durch dich bin ich stark

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Janie und Henry sind ineinander verliebt – und das Geheimnis, das sie teilen, ist der Beginn einer wahnsinnig aufregenden Geschichte... Originalausgabe „Made for Each Other“ 1987 by CORA Verlag Band 188 (26 2 ) 1987 Scanned by SPACY Corrected by Barbarella Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt - 1 -

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Janie und Henry sind ineinander verliebt – und das Geheimnis, das sie teilen, ist der Beginn einer wahnsinnig aufregenden Geschichte...

Originalausgabe „Made for Each Other“

1987 by CORA Verlag Band 188 (262) 1987

Scanned by SPACY

Corrected by Barbarella Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht

für den Verkauf bestimmt

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M. E. Cooper

Durch dich bin ich stark Die schüchterne Janie ist stolz, daß ausgerechnet sie Henry geholfen hat, den ersten Schritt zu seiner Karriere als Modedesigner zu tun. Denn seit er heimlich bei ihr zu Hause arbeiten kann und Janie eines seiner Modelle in der Schule getragen hat, hagelt es Aufträge. Niemand weiß, daß Henry die „tolle Schneiderin“ ist, an die Janie die Bestellungen weitergibt. Genausowenig wie die anderen ahnen, warum Janie mit jedem Tag hübscher und selbstbewußter wird. Doch dann passiert etwas, das für Janie und Henry böse Folgen haben kann...

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1. KAPITEL Janie Barstow ging den Flur entlang, den Blick krampfhaft

zu Boden gerichtet. Endlich einmal war ein ganzer Schultag ohne unangenehme Zwischenfälle vergangen. Vielleicht würde dieses Semester besser verlaufen als das vergangene. Schlimmer als in den letzten paar Monaten konnte es ja nicht mehr werden.

„Hallo!” Janie schaute auf und bemerkte Barry, einen Jungen aus

ihrem Geschichtskurs. „Hallo”, antwortete sie schüchtern. „Wie waren deine Weihnachtsferien?” „Toll.” In Wirklichkeit hatte sie sich entsetzlich gelangweilt.

Sie war zwar zu zwei Feten eingeladen worden, hatte beide jedoch sehr früh verlassen.

Barry hielt sich weiter dicht neben ihr. In Janies Kopf arbeitete es fieberhaft. Sie mußte irgend etwas sagen. Aber was? „Und wie war‘s bei dir?” fragte sie schließlich leise.

Er strahlte. „Super! Echt super. Ich hab einen einwöchigen Skikurs gemacht. Das Wetter war bombig, die Feten riesig und die anderen Leute in dem Kurs total witzig. Und Skilaufen finde ich Spitze! Kannst du eigentlich Skilaufen?”

„Nicht besonders.” „Du solltest es unbedingt besser lernen. Es ist ganz einfach.

Hey, sag mal, hab ich dich nicht beim Schulsender gesehen? Arbeitest du da mit?”

Janie wurde rot. Es stimmte, sie hatte auf drängen ihrer Mutter beim schuleigenen Radiosender WKND mitgemacht.

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Anfangs hatte es ihr sehr gefallen. Und Peter Lacey hatte ihr gefallen, der Diskjockey, für den sämtliche Mädchen der Kennedy High School schwärmten. Peter schien davon jedoch nie Notiz zu nehmen.

Janie hatte das Plattenarchiv geführt und Peter jeden Tag bei der Sendung in der großen Pause assistiert. Nach einiger Zeit hatte sie sich eingebildet, daß er sich genauso für sie interessierte wie sie für ihn. Als er sie dann gebeten hatte, ihm auf der Homecoming-Fete (Fete zur Feier des neuen Schuljahrs.) mit den Platten zu helfen, hatte sie das als offizielle Einladung aufgefaßt. Erst in letzter Minute hatte sie entdeckt, daß Peter in Wirklichkeit in die Eiskunstläuferin Lisa Chang verliebt war und mit dieser auf die Fete gehen wollte.

Peter und Lisa hatten sich alle. Mühe gegeben, Janie über

diese peinliche Situation hinwegzutrösten. Sie hatten ihr sogar einen Ersatzpartner für die Fete besorgt, Brad Davidson, den gutaussehenden Präsidenten des Schülerrats. Janie hatte sich auf der Fete dann auch ganz gut amüsiert. Aber mach diesem Zwischenfall hatte sie beim Schulsender aufgehört und Peter fortan aus dem Weg gegangen.

„Jetzt nicht mehr”, antwortete sie Barry. „Mir blieb nicht mehr genug Zeit zum Lernen.”

„Oh. Schade. Ich dachte, du könntest vielleicht umsonst einen Skikurs besuchen, wenn du sagst, daß du im Radio darüber berichten willst. Hast du schon mal so was gemacht?”

„Nein, nie.” „Ehrlich nicht? Ich wette, viele machen es so. Peter Lacey

zum Beispiel kommt bestimmt gratis in alle wichtigen Konzerte rein und hat zu Hause eine riesige Plattensammlung Werbegeschenke von den Firmen.”

„Hat er nicht!” Janie funkelte Barry empört an. „Die Platten sind Eigentum des Senders. Peter hat noch nie eine für sich

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genommen. Im Gegenteil, er kauft sogar Platten von seinem eigenen Geld, wenn er meint, daß sie wichtig für den Sender sind.”

„Hey, ist ja schon okay! Barry hob abwehrend die Hände. „Ich kenne den Typen kaum. Ich weiß nur, daß er eine tolle Sendung macht.”

Janies Schüchternheit kehrte schlagartig zurück. Warum war sie nur gleich so explodiert? Peter Lacey hatte es nicht nötig, daß sie ihn verteidigte. „Schon gut murmelte sie, mit ihrem Ausbruch hatte sie Barry bestimmt verraten, was sie für Peter empfand. Verstohlen schaute sie ihn von der Seite an. Barry wirkte plötzlich gelangweilt und unruhig.

Und richtig, wenige Augenblicke später verabschiedete er sich mit den Worten: ”Bis nachher. Wir sehen uns in der Klasse.”

„Ja, bis nachher.” Er bog in einen kurzen Seitengang ein, der auf den Schulhof

führte, und verschwand. Janie unterdrückte einen Seufzer. Warum konnte sie kein normales, nettes Gespräch mit jemandem führen, so wie die anderen Mädchen? Es war immer das gleiche. Entweder verging sie vor Schüchternheit und bekam den Mund nicht auf, oder sie ging in die Luft und verprellte sich damit die Leute.

In Cincinnati hatte Janie noch richtige Freunde gehabt. Die hatte es nicht gestört, als sie plötzlich so in die Länge geschossen war und alle anderen überragte. Niemand hatte sie Bohnenstange oder Micky Maus genannt. Aber im letzten Jahr, als sie mit ihren Eltern nach Rose Hill gezogen war, einem vornehmen Vorort von Washington D.C., hatte sich alles verändert.

Die Art, wie Janies neue Schulkameraden sich gaben, wie sie sprachen, sich kleideten und ihre Freizeit verbrachten - all das war ganz anders als an ihrer alten Schule.

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Natürlich wäre es Janie leichter gefallen, wenn sie wie Laurie Bennington gewesen wäre. Laurie wohnte ebenfalls erst seit einem Jahr in Rose Hill. Doch was für ein Unterschied! Sie hatte ein hübsches Puppengesicht, eine tolle Figur und teure Klamotten, die ihre Vorzüge wirkungsvoll zur Geltung brachten. Vor allem aber verfügte sie über ein enormes Selbstbewußtsein. Sie hatte damals einfach eine große Fete gegeben, obwohl sie niemanden gekannt hatte, und die Fete war ein Erfolg geworden. Inzwischen mischte Laurie überall mit, war im Schülerrat aktiv und hatte sogar ihre eigenen Sendeminuten in Peters Radio-Show.

Janie wußte, daß sie selbst nie so sein würde wie Laurie. Mit ihrem langen braunen Haar, das immer leicht strähnig wirkte, ihrer hochaufgeschossenen Figur und ihrem langweiligen Gesicht war sie das völlige Gegenteil von Laurie. Sie würde auch nie so schlagfertig und redegewandt sein wie diese. Außerdem war sie immer noch größer als die meisten Mädchen und als viele der Jungen in ihrer Klasse.

Als Janie sich einer Flurbiegung näherte, vernahm sie eine

vertraute Stimme. Sie erstarrte. Jeder an der Kennedy High School kannte dieses Lachen. Vorsichtig Lugte sie um die Ecke. Richtig, da stand Peter Lacey, keine fünf Meter von ihr entfernt, in eine Unterhaltung vertieft. Er wandte ihr den Rücken zu, doch Janie erkannte ihn an seiner braunen Fliegerjacke und dem Stapel Schallplatten, den er unter dem Arm trug. Ihr Herz schlug schneller, als sie ihn sah. Nicht, daß sie immer noch in ihn verliebt war in diesem Punkt war sie seit Wochen wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurückgekehrt und hatte sich alle falschen Illusionen abgeschminkt. Doch bei Peters Anblick, erinnerte sie sich jedesmal neu daran, wie schrecklich sie sich blamiert hatte.

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Peter machte Anstalten sich umzudrehen, und Janie fuhr erschrocken zurück. Sie bekam gerade noch mit, mit wem Peter sich unterhielt. Mit Natascha Jenkins. Natascha war ein nettes Mädchen, immer freundlich und hilfsbereit. Trotzdem wollte Janie ihr auf gar keinen Fall begegnen.

Natascha war nämlich Redakteurin und Mitherausgeberin der Schülerzeitung. Nachdem Janie WKND, verlassen hatte, hatte ihre Mutter darauf bestanden, daß sie sich eine andere nützliche Aufgabe in der Schule suchte. Um endlich Ruhe zu haben, hatte Janie sich bereit erklärt, bei der Schülerzeitung mitzumachen. Natascha hatte sie als erstes gebeten, einen Stapel Exemplare der neuen Ausgabe an die Geschäfte zu verteilen, die eine Anzeige darin aufgegeben hatten.

Janies Wangen brannten, als sie sich an den Ausgang der Aktion erinnerte. In den ersten Geschäften war man ihr sehr freundlich begegnet. Doch dann war sie zur Rezato-Boutique gegangen, einer der schicksten Boutiquen von Washington überhaupt. Als die Geschäftsführerin bemerkt hatte, daß statt der bezahlten ganzseitigen Anzeige nur eine viertelseitige gedruckt worden war, hatte sie ihre Wut an Janie ausgelassen. Noch auf dem Heimweg hatte Janie beschlossen, bei der Schülerzeitung aufzuhören.

Zu ihrem Schrecken hörte sie, daß die Stimmen von Peter und Natascha sich näherten. Janie fühlte sich nicht in der Lage, Peter gegen überzutreten. Und Natascha würde sie wahrscheinlich dazu drängen, weitere Exemplare der Schülerzeitung zu verteilen. Voller Panik blickte Janie sich um. Der Ausgang am Ende des Flurs war zu weit entfernt. Sie würde es nicht rechtzeitig bis dorthin schaffen. Wenn sie unbemerkt bleiben wollte, dann gab es nur die Möglichkeit, in einem der Klassenräume zu verschwinden. Am nächsten war die Tür zum Hauswirtschaftsraum. Doch die war sicherlich abgeschlossen, denn in dem Raum befanden sich elektrische

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Nähmaschinen und Kochutensilien. Janie drehte trotzdem am Türknopf. Verwundert und erleichtert zugleich stellte sie fest, daß er nachgab. Sie öffnete die Tür einen Spalt breit und schlüpfte hindurch, gerade als Natascha sagte: „Erstaunlich, wie schnell die Leute nach der Schule immer verschwunden sind, nicht wahr?”

Janie schloß die Augen und holte tief Atem. Das war noch mal gutgegangen. Plötzlich raschelte es irgendwo im Raum, und sie zuckte zusammen. Sie war nicht allein in der Klasse. Erschrocken schlug sie die Augen auf.

Auf der anderen Seite des Raumes, dicht bei den Fenstern, stand ein großer schlanker Junge mit blonden Haaren und starrte sie an. Janie kannte ihn flüchtig. Er hieß Henry Braverman. Im letzten Frühjahr war sie mit Ihm zusammen im Kunstkurs gewesen. Er war ihr aufgefallen, weil er zu den wenigen Schülern des Kurses gehört hatte, die größer waren als sie selbst. Jetzt schien er beinahe ebenso verwirrt zu sein wie sie.

„Hi”, sagte Janie - und spielte nervös mit dem Saum ihrer Jacke herum. „Tut mir leid, daß ich dich gestört hab. Ich wußte nicht, daß jemand hier drinnen ist.”

Henry antwortete zuerst nicht, sondern drehte ihr den Rücken zu und schob hastig ein paar Stoffetzen in einen großen Umschlag.

„Ist schon okay”, erklärte er dann unvermittelt. „Es wird sowieso Zeit für mich, zu verschwinden. Er durchquerte den Raum, blieb ein paar Schritte vor ihr stehen und blickte sie an. Janie dachte, daß er noch etwas sagen wollte, doch er nahm nur den Umschlag unter einen Arm und stopfte beide Hände tief in die Manteltaschen. Janie merkte, daß sie die Tür blockierte. Sie wurde rot und trat hastig beiseite.

„Entschuldigung”, murmelte sie.

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Er brummte etwas, das sie nicht verstand, und verließ den Raum. Janie blieb noch eine Weile in der Klasse. Was mochte Henry Braverman hier gesucht haben? Er hatte irgendwie ertappt und ein wenig schuldbewußt gewirkt.

Als Janie draußen auf dem Flur ein Geräusch hörte, fuhr sie zusammen. Sie mußte den Raum verlassen, ehe jemand kam und sie fragte, was sie hier machte. Sie öffnete schon die Tür, da stieß sie mit dem. Fuß gegen eine große flache Aktenmappe, die an der Wand lehnte. Janie fing die Mappe auf und nahm sie instinktiv mit hinaus auf den Flur. Dort schaute sie sich ihren Fund näher an. Auf der Mappe klebte ein Schildchen mit der Aufschrift: „Henry Braverman, 132 Winding Way, Rose Hill.” Die Schrift war groß, eigenwillig und irgendwie sehr elegant.

Zuerst wollte Janie die Mappe in den Hauswirtschaftsraum zurückbringen. Vielleicht kehrte Henry um, hielt danach Ausschau und ärgerte sich, wenn er das Ding nicht fand. Doch Janie traute sich nicht noch mal in den Raum. Außerdem war es ihre Schuld, daß Henry die Klasse so Hals über Kopf verlassen und die Mappe dabei vergessen hatte. Janie wußte, wo der Winding Way war.

Sie wollte Henry die Mappe auf dem Heimweg persönlich vorbeibringen - als kleine Wiedergutmachung für die Störung.

Die Straße, in der Henry Braverman wohnte, war

schnurgerade. Janie fragte sich, wer wohl auf die glorreiche Idee gekommen sein mochte, sie ausgerechnet „Winding Way zu nennen. Die Häuser hier waren etwas kleiner als das ihrer Eltern. Vor vielen Haustüren standen Fahrräder, und an den Garagen waren Basketball-Körbe angebracht.

In der Einfahrt des Hauses Nr. 132 parkte ein roter Sportwagen. Auf dessen Heckscheibe prangte ein bunter

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Aufkleber, der für die „Wildcats” warb, das Football-Team des Rose Hill State College. Während Janie noch überlegte, was sie nun tun sollte, kam ein Mann aus der Garage, einen Lederlappen in der Hand. Er war nicht besonders groß, aber durch seine breiten Schultern und seine kräftigen Arme wirkte er wie ein Hüne. Er schien etwas jünger zu sein als Janies Vater. Sein blondes, kurzgeschorenes Haar wurde stellenweise schon grau.

Er bemerkte Janie sofort. Ehe sie sich abwenden konnte, rief er: „Suchst du jemanden?”

Zaghaft trat Janie näher. „Wohnt hier Henry Braverman?” Der Mann warf den Lederlappen auf die Kühlerhaube des

Sportwagens, schob die Hände in die Taschen seines blauen Jogginganzugs und musterte sie neugierig. „Ich bin Henry Braverman. Was kann ich für dich tun?”

Verwirrt starrte Janie ihn an Dieser Mann konnte unmöglich Henrys Vater sein. Er sah ihm überhaupt kein bißchen ähnlich. „Ich ... äh ...”

„Ich weiß schon.” Er schmunzelte. „Du willst wahrscheinlich zu Hank. Henry junior”, setzte er hinzu, als er ihren verständnislosen Gesichtsausdruck sah. „Mein Sohn. Bist du eine Schulkameradin von ihm?”

„Ich...” „Er ist im Augenblick leider nicht zu Hause. Weißt du, er hat

jeden Tag Basketball-Training und kommt darum immer erst ziemlich spät heim. Hast du ihn schon spielen sehen?”

„Nein, äh ...Ich ...” begann Janie. „Das solltest du aber”, fuhr der Mann fort, ohne ihr Zeit für

eine Antwort zu lassen. „Es ist wichtig für eine Mannschaft, zu spüren, daß die Schulkameraden geschlossen hinter ihr stehen.”

„Ich muß jetzt gehen murmelte Janie und senkte den Kopf, um seinem forschenden Blick auszuweichen.

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„Ich werde Hank sagen, daß du hier warst. Als aktiver Sportler hat er nicht viel Zeit für ein Privatleben. Aber er wird sich freuen, daß du ihn besuchen wolltest. Soll ich ihm etwas ausrichten?”

„Nein. Nein, vielen Dank. Ich ...” Sie machte eine hilflose Handbewegung und ging dann rasch weg.

„Hey! Mädchen! Wie heißt du eigentlich?” Sie tat so, als höre sie ihn nicht mehr, und ging weiter.

Irgend etwas an dem Verhalten des Mannes hatte sie noch unsicherer gemacht als gewöhnlich, und sie wollte deshalb so schnell wie möglich weg. Merkwürdig. Henry war an diesem Nachmittag gar nicht beim Basketball-Training gewesen, sondern hatte sich statt dessen im Hauswirtschaftsraum herumgetrieben. Doch etwas in ihrem Inneren hatte sie davon abgehalten, es Henrys Vater gegenüber zu erwähnen.

Erst zu Hause bemerkte Janie, daß sie noch Henrys Aktenmappe hatte. Sie zog sich in ihre „Höhle” im Untergeschoß des Hauses zurück. Dort war es zwar etwas staubig und unordentlich und in einer Ecke türmten sich die Nähsachen ihrer Mutter. Doch es gab ein bequemes Sofa, eine gemütliche Leselampe und ein Bücherregal voller Fantasy- und Science-Fiction-Romane, Janies Lieblingslektüre. Am schönsten aber war, daß Betty und Beverly, ihre zehn Jahre alten Zwillingsschwestern, sie hier unten niemals störten.

Janie nahm ihren Schal ab und legte die Aktenmappe vorsichtig auf den alten, wackligen Tisch. Lange starrte sie die Mappe unentschlossen an. Dann strich sie sich das Haar hinter die Ohren und zog den Reißverschluß der Mappe auf.

Die Mappe enthielt einen dünnen Stapel Blätter. Janie streckte die Hand danach aus, zögerte dann jedoch. Sie

selbst hätte es auch nicht gut gefunden, wenn jemand einfach in ihren Privatsachen herumgewühlt hätte. Aber die

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Begegnungen mit Henry und seinem Vater hatten sie so neugierig gemacht, daß sie sich nicht bezähmen konnte.

Sie hielt den Atem an und zog die großen Bögen aus der Mappe.

„Oh!” entfuhr es ihr. Das oberste Blatt war die Skizze eines großen schlanken Mädchens mit modischem Haarschnitt. Sie trug ein knalliges Shirt und einen weitschwingenden, blaßgrünen Rock, der vorn und hinten lang war, an den Seiten jedoch kniekurz. Oben auf das Blatt war eine blaßgrüne Stoffprobe geheftet.

Janie blätterte fasziniert die übrigen Skizzen durch. Sie zeigten die verschiedensten Outfits an wechselnden Modellen. Es gab Sportswear, - Kombinationen im Romantik-Look und sogar ein richtiges Abendkleid. Vielen Zeichnungen waren entsprechende Stoffproben beigefügt. Und unter jeder Skizze stand in eigenwilliger, eleganter Schrift: „Henry Braverman”

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2. KAPITEL ,,Okay, Leute, endlich große Pause! Ihr habt sie euch redlich

verdient. Zur Belohnung darum erst mal ein bißchen Musik, die so richtig losgeht. Fangen wir an mit der Four-Speed Box, einer neuen Band aus Detroit!” Ein mitreißender Schlagzeugrhythmus ertönte aus den Lautsprechern und brachte Stimmung in die Schulcafeteria. Peter Lacey war, wieder auf Sendung. Natascha lächelte, als sie ihr Tablett zu dem Tisch ganz hinten in der Ecke balancierte, an dem die Clique sich zu treffen pflegte. Sie wußte, warum Peters Sendungen so beliebt waren. Man spürte einfach, daß er selbst einen Riesenspaß bei der Sache hatte.

Kaum hatte sie das Tablett abgestellt, bemerkte Natascha, daß Laurie Bennington auf sie zugesteuert kam. Wie immer erregte Laurie beträchtliches Aufsehen. Sie trug einen schwarzen Spitzenrock, einen weiten schwarzen Pulli und dazu schwarze, weiche Wildlederstiefeletten. Zwei grellrote Seidentücher setzten einen auffälligen Farbakzent. Eins hatte Laurie sich um die Taille gebunden, um ihre schlanke Figur zu betonen, das andere hatte sie sich wie ein Stirnband um den Kopf geschlungen. Natascha, hatte einen anderen Stil, was Klamotten betraf. Doch das mußte man Laurie lassen, sie sah immer top aus.

„Hallo, Natascha”, rief Laurie und tat so, als hätten sie sich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. „ich wollte dir unbedingt zu deinem letzten Artikel in der Schülerzeitung gratulieren. Vor

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den Ferien bin ich leider nicht dazugekommen, dir zu sagen, wie toll ich ihn fand.”

Natascha hatte vor Weihnachten einen längeren Artikel über die Ursprünge des Weihnachts- und des Neujahrsfestes veröffentlicht. Die Recherchen hatten sie Mühe gekostet, ihr aber auch großen Spaß gemacht. Laurie war die erste, die sich lobend über den Aufsatz äußerte. Natascha wurde rot vor Freude.

„Danke. Freut mich, daß er dir gefallen hat.” „Gefallen? Ich fand ihn spitzenmäßig. Weißt du, deine

Beiträge lese ich immer zuerst von ‚The Red and the Gold'. Nimm es mir nicht übel, aber ich glaube, du bist die einzige aus der Redaktion, die wirklich was von Journalismus versteht.”

Natascha fand das reichlich übertrieben. Trotzdem gingen ihr Lauries Komplimente herunter wie Öl. Für die meisten Schüler war es einfach selbstverständlich, daß jede Woche eine neue Ausgabe der Zeitung erschien. Sie machten sich keinerlei Gedanken darüber, wieviel Arbeit und Zeit in den einzelnen Artikeln steckte.

Natascha überlegte. Vielleicht hatte Laurie sich geändert. Im letzten Schuljahr hatte sie sich ja ein paar üble Dinge geleistet. Peter hatte erzählt, daß sie Janie Barstow eingeredet hatte, er sei unsterblich in sie verliebt. Laurie hatte mit Janies Gefühlen gespielt, nur um Peter eins auszuwischen. Aber vielleicht war sie inzwischen vernünftig geworden.

„Es ist ein Jammer, daß eure Zeitung nicht richtig gewürdigt wird”, fuhr Laurie fort. „Statt sie zu lesen, hören die Leute sich lieber diesen Kram da an.” Sie deutete mit dem Kopf zum Lautsprecher hinauf, aus dem gerade wieder Peters Stimme ertönte.

„Ich bewundere Peter”, erwiderte Natascha. „Er weiß, wie man die Leute dazu bringt, gespannt zuzuhören.”

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„Ja, klar, ich bewundere ihn natürlich auch”, pflichtete Laurie ihr rasch bei. „Peter und ich sind die besten Freunde. Aber es wäre doch toll, wenn ‚The Red and the Gold‘ von den Schülern genauso begeistert aufgenommen würde wie Radio WKND. Wenn du mich fragst, dann solltest du an der Schule genauso bekannt sein wie Peter Lacey. Was macht er denn eigentlich Großes? Er redet und legt Platten auf. Na und? Das erfordert längst nicht so viel Grips wie deine Artikel. Stimmt's?”

„Das kann ich nicht beurteilen. Ich halb noch nie eine Radiosendung gemacht. Aber du, nicht wahr?”

Laurie lachte auf. „Ja, eine Zeitlang. Ich hab die Leute regelmäßig darüber informiert, was hier an der Schule so läuft. Vor allem kam es mir darauf an, sie zum Mitmachen zu motivieren. Das hat wohl einigen Leuten nicht gepaßt. Weißt du, die wollen nicht, daß andere mitmischen. Es soll alles in den Händen einer bestimmten kleinen Clique bleiben. Aus diesem Grund ist meine Sendung aus dem Programm geflogen.”

„Was? Wie gemein!” rief Natascha empört. „Was sind das für Leute? Wen meinst du konkret? Genau so was sollte in unserer Zeitung stehen.”

Laurie blickte sich nervös um. „Nein, nein erwiderte sie rasch, „ich hab dir das ganz im Vertrauen erzählt. Es muß unter uns bleiben. Ich will nicht, daß du auch noch Schwierigkeiten kriegst.”

Laurie sah über Nataschas Schulter hinweg, und ihre Miene verfinsterte sich plötzlich. Verwundert drehte Natascha sich um. „Oh, hallo, Christina! Hi, Ted! Kommt, setzt euch!” rief sie.

Wieder einmal stellte Natascha fest, wie gut Christina Austin und Ted Mason zusammenpaßten. Sie waren wirklich ein tolles Paar. Ted hatte breite Schultern, war durchtrainiert und hatte

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ein umwerfendes lässiges Lächeln. Er galt als Spielmacher und großer Star der Football-Mannschaft der Kennedy High School. Die blonde Christina sah ebenfalls überdurchschnittlich gut aus. Sie war eine Topschülerin und vor einiger Zeit zur Homecoming-Princess gewählt worden.

Als die beiden sich am Tisch niederließen, hatte Laurie es eilig, sich zu verabschieden. „Tut mir leid, Leute, aber ich muß los. Ich schau später mal bei dir in der Redaktion rein, Natascha. Dann können wir in Ruhe über alles reden.” Sie würdigte Christina keines Blickes, nickte Ted kurz zu und rauschte dann davon. Ihr Tablett ließ sie einfach auf dem Tisch stehen.

,,Brrr!” Ted schüttelte sich grinsend. „Was wollte sie von dir, Natascha?” fragte Christina mit

grimmiger Miene. „Mit mir über die Zeitung sprechen.” Ted grinste immer noch. „O je! Nimm dich in acht!” „Warum? Was habt ihr bloß gegen sie?” „Hast du denn schon vergessen, was Laurie für Lügen über

den Schulsender verbreitet hat, nur um meine Wahl zur Homecoming-Princess zu Vereiteln?” erwiderte Christina „Sarah hat auch dafür leiden müssen”. Sarah, Christinas Stiefschwester, hatte immer noch gegen den schlechten Ruf anzukämpfen, den sie sich in den ersten Monaten ihrer Zeit an der Kennedy High School zugezogen hatte. „Trotzdem will ich so unparteiisch sein, wie ich kann, Laurie Bennington ist gemein, hinterhältig, niederträchtig, fies.

Ted beugte sich vor und hielt ihr sanft die Hand vor den Mund. „Psst! Reg dich nicht über sie auf, Schatz.”

Christina rückte unwillig den Kragen ihrer blütenweißen Bluse zurecht und fuhr dann ruhiger fort: „Wenn diese Laurie mit dir über die Zeitung reden will, dann kann das nur eins

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bedeuten! Sie will dich und die Zeitung für ihre Spielchen benutzen. Da geh' ich jede Wette ein.”

Nataschas Gerechtigkeitsgefühl regte sich. „Okay, Laurie hat sich ein paar üble Sachen geleistet”, sagte sie. „Aber vielleicht bereut sie es längst. Viele Menschen machen Fehler und lernen daraus. Wir müssen Laurie eine Chance geben.”

Christina setzte eine strenge Miene auf und wollte protestieren. Doch dann lächelte sie und tätschelte Nataschas Arm. „Du hast recht. Womöglich hat die Raubkatze sich eines Besseren besonnen und sich in ein unschuldiges Lamm verwandelt. Sei trotzdem vorsichtig, wenn Laurie in der Nähe ist, Natascha. Glaub mir, es ist sicherer so.”

Auf Nataschas Schreibtisch in der Redaktion der

Schülerzeitung sah es an diesem Tag noch chaotischer aus als gewöhnlich. Zusätzlich zu ihren üblichen Pflichten als Redakteurin und Mitherausgeberin der Zeitung mußte Natascha sich nämlich auch noch um die Anzeigen kümmern, weil Chuck Couch Grippe hatte.

Sie brütete über der Frage, wieso in der dicken Vorweihnachtsausgabe eine Anzeige der Rezato-Boutique nur viertelseitig gedruckt worden war, obwohl die Geschäftsführerin eine ganze Seite bestellt und bezahlt hatte. Wie hatte das nur geschehen können? War es Nataschas eigener Fehler gewesen? Auf jeden Fall durfte so etwas nicht wieder passieren. Sorgfältig ging Natascha noch einmal die Anzeigenliste der nächsten Nummer durch.

Sie fuhr erschrocken hoch, als sie plötzlich einen heißen Atem in ihrem Nacken spürte. Als sie aufspringen wollte, legten sich zwei fleischige Hände auf ihre Schultern und drückten sie auf den Stuhl zurück.

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„Hey!” protestierte Natascha. „Was soll das?” „Na, wie geht's meiner kleinen Lieblingsbiene?” fragte eine

träge, überhebliche Stimme dicht an ihrem Ohr. „Laß mich sofort los!” Sie drehte den Kopf. John Marquettes

großflächiges Gesicht mit den winzigen Augen war nur wenige Zentimeter entfernt von ihrem.

Was kriege ich, wenn ich dich loslasse?” Seine Hände glitten über ihre Arme. Natascha wollte sich

befreien, aber ihre Anstrengungen waren vergebens. John war ein Champion im Ringen und verfügte über ungeahnte Kräfte. Natascha spürte einen Anflug von Panik.

„Was du kriegst?” wiederholte sie. „Eine saftige Ohrfeige, wenn du nicht auf der Stelle deine Hände wegnimmst! Los, John, verzieh dich! Oder soll ich erst um Hilfe schreien?”

Er lachte ihr ins Gesicht. ”Du gefällst mir, wenn du sauer, bist, du kleine Kratzbürste” sagte er. Doch dann gab er sie frei und machte es sich auf ihrem Schreibtisch bequem. Natascha schaffte es gerade noch, einen Stapel wichtiger Fotos zu retten.

„Na,” fragte er mit gönnerhafter Miene, „hab ich mich nicht sagenhaft für mein Bienchen ins Zeug gelegt?”

Natascha rückte mit dem Stuhl von ihm ab. „Wie oft hab ich dir schon gesagt, daß du mich nicht so nennen sollst?” brauste sie auf. „Ich gehöre weder dir, noch bin ich ein Bienchen, eine kleine Biene oder sonst eine Art Tier. Und ich wüßte auch nicht, wieso du dich für mich ins Zeug gelegt haben solltest!”

„Nein? Dann denkst du wohl, mein Cousin setzt zum Spaß zweiseitige Anzeigen in euer Käseblättchen, was? Das hat er nur getan, weil er auf meinen Rat hört.”

Natascha fragte sich, wie dieser Cousin es bloß geschafft hatte, ein so erfolgreiches Sportgeschäft aufzubauen, wenn er auf den Rat von John hörte. Doch das behielt sie für sich.

„Er war ganz schön sauer, als er die letzte Nummer zu spät bekommen hat”, tönte Marquette und fuhr sich mit der Hand

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unter das Sweatshirt, um sich zu kratzen. „Er war nämlich unheimlich gespannt, weil ich ihm erzählt hatte, daß ein Bild von mir drin ist.”

„Ich hab dir doch schon mal erklärt, daß ...” „Klar, du hast es mir schon mal erklärt. Na und? Er war

trotzdem sauer. Ich hab ihm dann verklickert, daß mich hier an der Schule alle kennen und von meinem Job in seinem Sportgeschäft wissen. Und daß es darum eine Menge bringt, wenn er weiterhin bei euch inseriert.” Er musterte sie anzüglich von oben bis unten. „Und diesen ganzen Schwachsinn hab ich einzig und allein für dich losgelassen, mein Lieblingsbienchen.”

Natascha schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. Sie sammelte ein paar Blätter von ihrem Schreibtisch zusammen, wich John geschickt aus und eilte zur Tür. Wenn er nicht ging, dann tat sie es eben. „Danke für deine Mühe”, sagte sie kühl. „Ich bin sicher, daß die Anzeige ihr Geld wert ist und daß dein Cousin viele neue Kunden bekommen wird. Und jetzt muß ich los. So eine Zeitung macht nämlich eine Menge Arbeit.”

„Hey was ist mit meinem Interview?. Du hast es doch nicht vergessen, oder? Mein Cousin möchte wissen, wann es endlich erscheint.”

Natascha blieb stehen und biß sich nachdenklich auf die Lippe. Sie hatte Marquette vor Weihnachten in der Tat ein Interview versprochen. Er hatte damit gedroht, daß sein Cousin sonst keine weiteren Anzeigen mehr in „The Red and the Gold” aufgeben würde. Inzwischen fand Natascha die Idee mit dem Interview nicht mal mehr so übel. Marquette war nicht besonders intelligent und würde sich bestimmt interessante Einzelheiten aus der Sportlerszene entlocken lassen, über die andere klugerweise schweigen. Das würde unter Umständen eine spannende Story abgeben.

„Tja, also”, begann sie.

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„Hör mal, Süße, du bist mir was schuldig. Ich hab dir nicht umsonst diese bombige Anzeige beschafft. Mein Cousin wird sehr unangenehm werden, wenn ich ihm erzähle, daß du es dir anders überlegt hast.

Natascha hatte es satt, andauernd mit Marquettes Cousin erpreßt zu werden. Es verstieß gegen ihre Journalistenehre, sich von Anzeigenkunden vorschreiben zu lassen, was im Blatt veröffentlicht wurde. Am liebsten hätte sie Marquette gesagt, er sollt sich mitsamt seinem Cousin zum Teufel scheren. Aber andererseits brauchte die Zeitung nun dringend Inserate, und „Superjock” gehörte zu den besten Kunden.

„Keine Sorge”, sagte sie, „du bekommst dein Interview.” „Okay. Ich verspreche dir, daß du es nicht bereuen wirst.

Das wird ein Abend, den du nicht so schnell vergißt! „Ein Abend?” Natascha zog sich weiter in Richtung Tür

zurück. „Wieso Abend? Wir können das doch prima hier in der Schule erledigen. Wie wär's zum Beispiel am Donnerstag in der großen Pause?”

„Nein, kommt nicht in Frage. Wir werden abends gemütlich zusammen essen gehen. Ich weiß auch schon, wo. Das gehört mit zu unserer Abmachung.” Er kam ihr nach und stützte sich links und rechts von ihr an der Tür ab, so daß Natascha keine Chance hatte, ihm zu entrinnen. „Eine entspannte Atmosphäre ist nämlich äußerst wichtig. Du willst doch nicht, daß ich beim Interview die ganze Zeit bis oben zugeknöpft bleibe, oder?”

Natascha überlegte. Es konnte ihr tatsächlich nur nützen, wenn Marquette sich entspannte und alle Vorsicht fallenließ. Dann würde ihm am ehesten etwas Interessantes entschlüpfen. In einem Restaurant würde sie zudem sicher sein, denn er würde es nicht wagen, ihr in der Öffentlichkeit auf den Leib zu rücken.

„Okay”, sagte sie, „wie wär's mit Freitag in einer Woche?”

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„Abgemacht, kleine Biene. Bis dahin kannst du ja schon mal von mir träumen

Natascha schauderte bei dem Gedanken. Sie würde lieber von einer Langzeitdiät träumen, die aus nichts anderem als ungesunden Konservierungsstoffen bestand.

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3. KAPITEL Nach der letzten Stunde wartete Janie bei den Schließfächern

bis die Flure sich etwas geleert hatten. Dann machte sie sich mit klopfendem Herzen auf den Weg zum Hauswirtschaftsraum. Sie verstand selbst nicht, warum sie so aufgeregt war. Sie tat Henry doch lediglich einen Gefallen, indem sie ihm die Aktenmappe mit den Skizzen zurückbrachte.

Janie spielte kurz mit dem Gedanken, die Mappe einfach an die Tür zu lehnen, anzuklopfen und dann schnell zu verschwinden. Vorsichtig drehte sie am Türknauf.

Die Tür war verschlossen. Beinahe erleichtert wandte Janie sich zum Gehen. Dann

würde sie Henry eben in der Pause abpassen müssen. Oder sie würde noch einmal bei ihm zu Hause vorbeigehen. Das konnte allerdings bedeuten, daß sie seinem Vater wieder in die Arme lief.

Sie zögerte. Die Tür war zwar verschlossen, aber das mußte nicht zwangsläufig bedeuten, daß Henry nicht im Hauswirtschaftsraum war. Nachdem sie das letzte mal so hereingeplatzt war, hatte er es vielleicht sicherer gefunden, abzuschließen. Janie kehrte um, klopfte vorsichtig an die Tür und wartete. Nichts geschah. Sie holte tief Luft und klopfte erneut, diesmal kräftiger. Aber die Tür blieb zu.

Gerade wollte Janie es aufgeben, da meinte sie, drinnen ein, leises Rascheln zu hören.

„Henry?” fragte sie im gedämpften. Ton. „Bist du da? Ich bin's, Janie Barstow.”

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Keine Antwort. „Ich war gestern hier”, setzte Janie hinzu. Doch in der Klasse blieb alles still. Janie kam sich mit einemmal reichlich albern vor, wie sie da so im Flur stand und mit einer verschlossenen, Tür sprach. Es hatte keinen Sinn, Henry war anscheinend wirklich nicht da. Ohne rechte Überzeugung unternahm Janie einen letzten Versuch. „Laß mich rein, Henry”, sagte sie etwas lauter. „Ich hab etwas von dir.”

Das Schloß klickte, und die Tür ging einen Spalt breit auf. Einen Moment lang lugte Henry nach draußen, dann ließ er Janie herein. „Schnell”, drängte er. „Ich will nicht, daß uns jemand sieht.”

Janie schlüpfte in die Klasse, und er schloß wieder hinter ihr ab. Neugierig schaute sie sich um, aber das einzige, was sie entdecken konnte, war ein Häufchen Stoff auf dem Tisch neben einer uralten Nähmaschine.

Sie wurde rot, als sie merkte, daß sie ihre Nase schon wieder in fremde Angelegenheit steckte. „Ich. .. äh”, begann sie verlegen. „Du hast das hier gestern vergessen. Tut mir übrigens leid, daß ich einfach so hereingeplatzt war! Ich dachte, der Raum sei leer, und im Flur waren gerade ein paar Leute, denen ich nicht unbedingt über den Weg laufen wollte. Deshalb bin ich schnell ...”

„Ist schon okay.” Henry strich sich das blonde Haar aus den Augen. „Ich war nur etwas überrascht, das ist alles. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß jemand hereinkommt, und ich war so konzentriert. Er streckte die Hand nach der Aktenmappe aus, und Janie reichte sie ihm. Es war ihr peinlich zu sehen, wie erleichterte er feststellte, daß noch alles darin war. Um das zu vertuschen, plapperte sie drauflos.

„Es war reiner Zufall, daß ich die Mappe entdeckt habe. Fast wäre ich daran vorbeigelaufen. Ich wußte erst gar Sicht so recht, was ich damit anfangen sollte! Aber ich wollte sie auf

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keinen Fall über Nacht hier stehenlassen. Dann habe ich deine Adresse auf dem Klebeschildchen gelesen. Und weil ich ganz in der Nähe wohne, dachte ich, ich bringe dir die Mappe nach der Schule einfach vorbei. Ich war allerdings ziemlich verwirrt, als dein Vater meinte, er sei Henry Braverman.

„Mein Vater?” fragte Henry fassungslos. „Du hast mit meinem Vater gesprochen?”

Janie erschrak, als sie seine entsetzte Miene sah. „Ich...” Sie stockte. „Na ja ... richtig mit ihm gesprochen nicht. Er stand bei euch in der Einfahrt, und ich hab ihn gefragt, ob du dort wohnst. Und er ... Er meinte, du seist noch beim Basketball-Training.”

„0, nein!” Henry schloß die Augen. „Was hast du darauf geantwortet? Du hast ihm doch wohl nicht erzählt, daß du mich hier gesehen hast?”

Seine Heftigkeit brachte Janie durcheinander, machte sie jedoch auch neugierig. „Ich hab ihm gar nichts erzählt”, sagte sie fest. „Ich hab ihm nicht verraten, wie ich heiße sondern mich gleich aus dem Staub gemacht. Ich gehe jetzt besser. Kannst du mir bitte die Tür aufschließen?”

Einen Moment lang starrte er sie abwesend an. „Wie? Ah so, ja, die Tür.” Er machte sich am Schloß zu schaffen, hielt dann jedoch inne. „Du, hör mal, ich möchte mich bei dir für mein unmögliches Benehmen entschuldigen. Ich sollte dir eigentlich dankbar sein, weil du so nett warst, mir die Mappe zurückzubringen.”

„Nichts zu danken”, antwortete Janie steif. „Nein, ich meine es ernst. Ich hätte mich ein bißchen

zusammennehmen müssen. Weißt du, es ist nur ... Mein Vater ... Hat er auch wirklich nicht. gesehen, was in der Mappe ist?”

„Nein, ganz bestimmt nicht. Das hab ich dir doch schon gesagt! Ich hab nur kurz nach dir gefragt, war dann ziemlich

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durcheinander wegen dergleichen Namen und so und bin wieder weggegangen.”

„Oh ... Gut...” Seine Augen nahmen wieder diesen abwesenden Ausdruck an. Es dauerte eine Weile, bis er sich daran erinnerte, daß er nicht allein war. „Mein Vater und ich kommen nicht besonders gut miteinander aus.”

Janie spürte, wie Henry ihr langsam sympathisch wurde. Er hatte etwas Verletzliches an sich. Sie hatte das Gefühl, bei ihm einfach drauflosreden zu können, ohne daß er sie falsch verstand oder alles gegen sie auslegte.

„Ich kenne das”, versicherte sie ihm. „So etwas ist schlimm, nicht wahr?” Sie senkte den Kopf und zeichnete mit dem Finger ein unsichtbares Muster auf die Tischplatte. „Ich hab auch oft Probleme mit meiner Mutter. Früher hab ich mich unheimlich toll mit ihr verstanden. Aber seit wir letztes Jahr nach Rose Hill gezogen sind, will sie mich andauernd zu irgendwelchen Dingen drängen, die ich überhaupt nicht mag. Sie sagt, sie will nur mein Bestes. Aber ich möchte selbst über mein Leben entscheiden.”

„Stimmt”, pflichtete Henry ihr bei. „Mein Vater will mich auch immer zu Sachen zwingen, die mir nicht liegen. Am liebsten möchte er einen völlig neuen Menschen aus mir machen.”

Janie faßte den Mut zu sagen: „Einen Basketballspieler zum Beispiel?”

Er blickte sie scharf an. Janie überlegte, ob sie sich entschuldigen sollte. Doch statt dessen lächelte sie ihn verschmitzt an. Sie fand, daß er einen kleinen Seitenhieb verdiente, nachdem er sie anfangs so verhört hatte.

Henry erwiderte ihr Lächeln zögernd. „Stimmt”, gab er zu. „Du bist sehr groß. Sie würden dich bestimmt ins Basketball-

Team aufnehmen, wenn du wolltest.”

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„Aber ich will nicht!” rief Henry. Dann fuhr er etwas ruhiger fort: „Kommt es denn nicht einzig und allein darauf an, was ich möchte? Was nützt es mir, daß ich vielleicht das Zeug zu einem Basketball-Star habe, wenn ich Basketball nun mal nicht ausstehen kann? Das würde ich auch meinem Vater sagen, aber man kann einfach nicht mit ihm reden. Er versteht mich nicht.”

,,Aber du könntest es immerhin schaffen, seinem Wunschbild zu entsprechen, wenn du wolltest. Ich kann nicht mal das.” Janie hatte einen Kloß im Hals. „Was meine Mutter von mir verlangt, ist für mich einfach unmöglich.

„Wieso? Was verlangt sie denn von dir?? Sollst du Astronautin werden?”

„Nein, aber Cheerleader.” (In den USA organisieren die Cheerleaderinnen den Beifall bei sportlichen Wettkämpfen.) Sie wußte, daß sie unfair zu ihrer Mutter war, doch das kümmerte sie nicht.

Henry platzte laut los. Janie starrte ihn an und wurde knallrot. Wie war sie bloß darauf gekommen, sie könnte offen mit ihm reden? Sie wandte sich um und ging zur Tür.

Henry hörte sofort auf. „Warte”, rief er. „So warte doch!

Bitte geh nicht weg. Ich hab nicht über dich gelacht. Ehrlich, nicht.”

Sie hörte an seiner Stimme, daß er es ernst meinte. Zögernd ließ sie den Türgriff los, vermied es jedoch Henry anzusehen.

„Ich hab nur gelacht, weil ich die Cheerleaderinnen so merkwürdig finde”, erklärte er. „Die Vorstellung, daß deine Mutter dich dazu machen möchte, ist zu komisch! Ist das wirklich ihr Ernst? Will sie, daß du in kurzem Röckchen radschlägst und Pompons schwingst?”

„Na ja, nicht direkt”, gab Janie zu. „Sie hält mir nur andauernd vor, daß ich bei so wenig Sachen mitmache.” Sie seufzte. „Tu dies, schließ dich einer Gruppe an, geh doch mal

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da hin. So läuft das jeden Tag. Und wenn ich nachgebe, um meine Ruhe zu haben, dann endet es mit einer Katastrophe.”

„Ach, komm”, sagte Henry. ”So schlimm kann's nicht sein.” „Wetten, daß? Denk doch nur mal an den Kunstkurs, in dem

wir letztes Jahr beide waren. War ich da etwa besonders beliebt? Nun mal ganz ehrlich!”

„Na ja...” Henry räusperte sich. „Ich glaube, die meisten wußten nicht mal, wer du bist.. Du warst immer so schüchtern, daß die Leute kaum etwas von dir mitbekommen haben. Aber wenn, dann hätten sie dich bestimmt nett gefunden. Warum auch nicht?” Er zögerte. „Ich finde dich schließlich auch sehr nett.”

„Danke”, erwiderte Janie in sanfterem Ton. „Nett, daß du das sagst. Aber dadurch wird es eigentlich nur noch schlimmer. Das bedeutet nämlich, daß ich mir die ganze Misere selbst zuzuschreiben habe. Nein, ich glaube, um beliebt zu sein, muß man bestimmte Eigenschaften haben, und diese Eigenschaften fehlen mir.”

„Ach, komm”, wiederholte er, „bist du jetzt nicht ein bißchen zu...”

„Und warum soll ich denn unbedingt beliebt sein?” unterbrach Janie ihn. „Jeder Mensch ist schließlich anders. Warum soll ich beliebt sein, wenn mir gar nicht danach zumute ist? Du hast schließlich auch keine Lust Basketball zu spielen.”

„Ich weiß nicht, ob das dasselbe Ist”, sagte Henry langsam. „Ich bin ohne Basketball einfach glücklicher. Macht es dich glücklicher, nicht beliebt zu sein?”

Janie hatte keine Lust mehr, mit ihm dieselbe Diskussion zu führen wie zu Hause mit ihrer Mutter. Aber sie hatte auch noch keine Lust wegzugehen. Ihr Blick fiel auf die Aktenmappe, und sie wechselte das Thema. „Ich hab mir übrigens deine Zeichnungen angeschaut.”

„So?

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„Ja. Ich wollte nicht neugierig sein. Ehrlich nicht. Aber nachdem ich die erste Skizze gesehen hatte, mußte ich die restlichen auch sehen.

Sie sind traumhaft. Henry wurde leicht rot. „Wirklich? Freut mich, daß sie dir

gefallen. Ich hab sie noch nie jemandem gezeigt. Ich finde eigentlich auch, daß sie ganz gut sind, aber ich hab mich bisher nicht getraut, andere Leute zu fragen, was sie davon halten.

„Ganz gut? Sie sind super! Willst du eines Tages Künstler sein?”

„O nein.” Die Frage schien ihn zu erstaunen. „Es geht bei diesen Skizzen nicht um Kunst. Sie sollen einfach nur meine Ideen festhalten.

Darum war ich auch so nervös, als ich merkte, daß ich sie irgendwo vergessen hatte. Es war so, als hätte ich ein Tagebuch verloren.” „Ideen? Was für Ideen?”

„Mode-Ideen. Modelle. So was möchte ich beruflich machen.” Er griff nach der Mappe und zog eine Skizze heraus.

„Dann sind das alles deine eigenen Entwürfe?” fragte Janie. „Sie sind phantastisch! Ich dachte, du hättest einfach nur die Zeichnungen gemacht! Deine Modelle sind mindestens genausogut wie die Sachen in den Modezeitschriften. Ich finde sie sogar besser als das meiste, was man da geboten bekommt.”

Sie merkte, daß ihre Begeisterung ihm irgendwie unangenehm war.

„Danke”, sagte er und schob die Zeichnungen in die Mappe zurück.

„Nein, ich meine es wirklich ernst”, beharrte Janie. „In den Zeitschriften stehen oft Modezeichnungen, bei denen ich Zweifel habe, ob irgendein normaler Mensch so etwas tragen kann. Ich blättere dann immer schnell weiter zu den Fotos. Da weiß ich wenigstens, daß jemand die Klamotten tatsächlich angehabt hat.”

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Henry zog die Zeichnungen noch einmal heraus und betrachtete sie kritisch. „Vielleicht sind sie ein bißchen zu gestylt.”

„Nein, deine nicht protestierte Janie. „Das meine ich ja gerade! Wenn ich mir deine Zeichnungen ansehe, dann habe ich das Gefühl, daß man die Sachen wirklich anziehen kann. Als bräuchte man sich nur noch hinter die Nähmaschine zu setzen und könnte gleich losnähen.”

„Komisch, daß du das sagst.” Er blickte zu den Fenstern hinüber.

„Genau das hab ich nämlich gerade gemacht, als du angeklopft hast.

„Ehrlich? Du nähst eines deiner Kleider? Darf ich es sehen? „Na ja ... Wenn du willst. ..” Er führte sie zu einer uralten

Singer Nähmaschine, die schwarz lackiert und über und über mit goldenen Schnörkeln verziert war. Zögernd nahm er ein Skizzenblatt vom Nebentisch und reichte es ihr. „Hier, das ist der Entwurf. Es ist eine Art College-Kleid, aber mit leichtem Blousoneffekt an den Handgelenken. Das Raffinierte daran sind die Seitenstreifen, die aus einem anderen Stoff bestehen. Weißt du, ich kann leider noch nicht besonders gut schneidern und muß mich darum erst mal mit einfachen Schnitten begnügen.”

Janie schaute sich interessiert die Skizze an. Sie zeigte ein von Henrys großen schlanken Mädchen, diesmal mit langem, hellem Haar. Das Mädchen trug ein Kleid, das von den Schultern gerade bis zu den Knien herabzufallen schien, aber trotzdem vorteilhaft die Figur betonte. Die Farbe lag irgendwo zwischen Weiß und Creme.

„Es ist hübsch”, sagte Janie. „Aber willst du es wirklich nur nach der Skizze nähen, ohne Schnittmuster?”

„Ich hab's bereits gemacht”, antwortete er stolz. „Da ist es!” Er deutete auf ein Häufchen beigen Stoffs, das auf dem Stuhl

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neben der Nähmaschine lag. Janie nahm es und hielt es hoch. Überall hingen Fäden heraus, und es wirkte, wie ein Stoffschlauch mit Ärmeln.

Henry hatte Janies verblüffte Miene bemerkt. „Das Kleid ist

noch nicht völlig fertig”, erklärte er hastig. „Ich muß noch die Fäden vernähen, die Nähte ausbügeln und so weiter. Gefällt es dir?”

Janie zögerte. „Ich weiß, es sieht so nicht nach viel aus”, fuhr Henry fort. Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Aber es ist nun mal unheimlich schwer, Form in ein Kleid zu bringen, wenn man nicht an einem Mädchen nachprüfen kann, wie es sitzt. Ich weiß nie, ob es am Ende so wirkt, wie ich es mir vorgestellt habe. Kleider werden schließlich nicht für Kleiderbügel gemacht, nicht wahr?”

Janie lachte. „Nein, sicher nicht. Es ist nicht fair, ein Kleid danach zu beurteilen, wie es auf dem Bügel aussieht. Ich hasse es darum Klamotten zu kaufen, weil ich nie weiß, ob es sich lohnt ein Kleid anzuprobieren oder nicht. Es ist peinlich, wenn man in einem total lächerlichen Aufzug aus der Umkleidekabine kommt. Deshalb überlasse ich es lieber meiner Mutter, mir neue Sachen auszusuchen.

„Ich hab mich schon gewundert”, sagte Henry und musterte ihren dunkelbraunen Rock und ihren unförmigen grünen Pullover. Ehe Janie entscheiden konnte, ob sie über diese Äußerung verletzt sein sollte oder nicht, fuhr er fort: „Hey, ich hab eine Idee! Natürlich mußt du es offen sagen, wenn du nicht einverstanden bist. Du siehst aus, als hättest du die richtige Größe und alles. Es wäre eine große Hilfe für mich, wenn ich das Kleid an jemand sehen könnte. Würde es dir etwas ausmachen?”

Janie wußte genau, was er meinte. Trotzdem fragte sie: „Was soll mir etwas ausmachen?”

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„Das Kleid kurz überzuziehen und es mir vorzuführen.” „Jetzt? Hier? Ich? Mißtrauisch blickte sie ihn an. Wollte er sie auf den Arm

nehmen? Was versprach er sich davon, wenn sie das Kleid anzog? Und was würde Mrs. Monick sagen, die Hauswirtschaftslehrerin, wenn sie unerwartet hereinkam? „Nein, das geht nicht!”

„Oh.” Sein langes, schmales Gesicht, das eben noch vor Begeisterung geglüht hatte, wirkte plötzlich steif. „Okay. Entschuldige, daß ich gefragt habe. Es war nur, weil du so viel Ähnlichkeit mit dem Mädchen hast, das ich mir beim Entwerfen des Kleides vorgestellt habe. Ich mache das übrigens immer - daß ich mir jemand vorstelle, meine ich. Ich kann sonst nicht arbeiten. Zu Hause hab ich einen ganzen Ordner mit Bildern von Mädchen, die ich irgendwo ausgeschnitten habe. Wenn meine Phantasie mich mal verläßt, schaue ich mir die Fotos an.” Er lachte etwas bitter. „Falls mein Vater den Ordner mal findet, hält er sie bestimmt für Pinup-Bilder und ist stolz auf mich.”

Janies kämpfte mit sich. Es schien ihm wirklich viel daran zu liegen, das Kleid an ihr zu sehen, und es war eine Kleinigkeit für sie, es kurz überzustreifen. In einer Ecke des Raums stand ein Wandschirm, hinter dem sie sich gut umziehen konnte. Es würde nicht mal fünf Minuten dauern, und Henry wäre damit sehr geholfen. Sie fühlte sich geschmeichelt, weil er gesagt hatte, sie ähnele dem Mädchen, für das er das Kleid entworfen hatte. Und sie war auch neugierig. Konnte dieser klägliche Stoffhaufen an einem Mädchen tatsächlich so toll aussehen wie das Kleid auf der Skizze? Das würde sie nur erfahren, wenn sie das Produkt von Henrys Nähkünsten anprobierte.

„Bitte entschuldige”, wiederholte Henry. „Das Kleid ist wahrscheinlich sowieso nichts geworden.” Er wollte es ihr aus der Hand nehmen, doch sie wich ihm aus.

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„Nein, Warte. Ich werde es anprobieren. Aber nur, wenn du mir versprichst, nicht zu lachen.”

„Du machst es? Hey, super! Aber du mußt mir versprechen, nicht zu lachen.”

Er setzte sich mit dem Rücken zu ihr an die Nähmaschine, während Janie hinter dem Wandschirm verschwand. Das Kleid, hatte einen angenehm weiten Halsausschnitt, so daß Janie es problemlos überstreifen konnte und nur noch, die Ärmel zuknöpfen mußte. Es war so herrlich leicht, sie spürte es fast gar nicht.

Janie wollte schon hinter- dem Wandschirm hervortreten, zog sich dann jedoch noch schnell Schuhe und Strümpfe aus. Sie hatte das Gefühl, daß Kniestrümpfe und abgelaufene Halbschuhe nicht zu diesem tollen Kleid paßten.

Henry wartete bei dem großen Spiegel, der an der Wand

hing. Schüchtern ging Janie zu ihm und stellte sich davor. Gemeinsam musterten sie dann ihr Spiegelbild

Wie auf Kommando brachen sie beide plötzlich in Lachen aus.

„Du hast versprochen, nicht zu lachen”, stieß Janie mühsam hervor. „Du auch. Ich weiß auch gar nicht, was so lustig ist.”

Janie deutete auf den Spiegel, und erneut prusteten sie los. Henry lachte so sehr, daß ihm die Tränen kamen.

Es dauerte eine Weite, bis sie sich beruhigt hatten. Dann kehrte Janies übliche Schüchternheit zurück. Ich geh mich jetzt besser wieder umziehen”, erklärte sie verlegen. „Es wird höchste Zeit, daß ich nach Hause komme.”

„Warte”, bat Henry. „Das Kleid ist gar nicht so schlecht, wie es auf den ersten Blick wirkt. Steil dich doch bitte noch mal vor den Spiegel.” Er nahm sie beim Arm, führte sie vor, den Spiegel und postierte sich hinter sie. Janie bekam ein ganz heißes Gesicht, als er sie intensiv von allen Seiten betrachtete.

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„Jetzt weiß ich's!” Seine anfangs so enttäuschte Miene hellte sich sichtlich auf. ,,Es liegt an zwei Dingen”, erklärte er. ,Am Halsausschnitt und der Hüfte. Du hast schmale Schultern und einen herrlichen, langen Hals, aber dadurch wirkt das Kleid, als sei es dir viel zu weit. Halt mal einen Augenblick still.”

Er verschwand und kam wenig später mit einem Dutzend Stecknadeln zurück, die er zwischen den Lippen hielt. Gekonnt raffte er an der rechten Schulter etwas Stoff zusammen und steckte ihn fest. Dasselbe wiederholte, er an der linken Schulter. Wie durch ein Wunder lag das Oberteil des Kleides, das sich vorher unförmig ausgebeult hatte, nun glatt an Janies Körper an. Von der Taille aufwärts begann das Kleid tatsächlich dem Entwurf zu ähneln, den Henry gemacht hatte.

Im nächsten Moment spürte Janie seine Hände an den. Hüften. Eine Alarmglocke klingelte in ihrem Kopf. Doch als sie in den Spiegel schaute, war sie beruhigt. Henry war völlig in seine Arbeit vertieft. Er schien wirklich nur an das Kleid zu denken, und nicht an das Mädchen, das es trug. Janie war erleichtert, gleichzeitig störte es sie aber auch.

„Fertig!” Janie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Spiegelbild

zu. Sie konnte nicht genau sagen, was Henry alles verändert hatte, aber die Wirkung war umwerfend. Der Stoff fiel jetzt weich und gerade bis auf ihre Hüften und von da in leichtem Schwung bis zu den Knien. Die blousonartigen Ärmel unterstrichen den klassischen Schnitt des Kleides. Es war jetzt voll und ganz das Modell auf der Skizze.

„Es ist traumhaft, Henry”, rief sie. „ich verstehe gar nicht, wie du das gemacht hast!”

„Es ist nicht schlecht”, sagte er kritisch. „Aber irgendwie... Ohne Vorwarnung nahm er plötzlich Janies Haar hinten im Nacken zusammen. Während er es mit der einen Hand zurückhielt, faßte er Janie mit der anderen leicht am Kinn und

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drehte ihren Kopf erst nach rechts, dann nach links. Janie hatte sich noch nie so entblößt gefühlt wie in diesem Augenblick.

„Laß das”, protestierte sie. Henry hörte sie gar nicht. „Du hast ein tolles Gesicht”, sagte

er. „Schau dir nur mal diese Wangenknochen an! Auch, der Abstand zwischen deinem Mund und deinen Augen ist perfekt. Du solltest dein Gesicht nicht so verstecken. Einen Moment mal ...” Er wühlte in seiner Sporttasche herum und brachte einen langen, schmalen Stoffstreifen zum Vorschein. Sorgfältig nahm er Janies Haar nach hinten, noch strenger als beim ersten Mal, und band es mit dem Stoffstreifen zusammen. „Siehst du, was ich meine?” fragte er.

Janie starrte auf das Gesicht im Spiegel, als gehöre es zu einem völlig anderen Mädchen. Janie Barstow trug nicht solche traumhaften Kleider und hatte auch nicht so eine Frisur. Wer immer das Mädchen im Spiegel sein mochte, es hatte nicht die Art Gesicht, die Janie hübsch genannt hätte. Aber es wirkte irgendwie... interessant. Es erinnerte Janie an die Gesichter der Mädchen auf Henry Bravermans Skizzen.

Sie sagte ihm das natürlich nicht. Sie sagte gar nichts, denn sie war unfähig, einen Ton herauszubringen. Aber ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen. Und zu ihrem Erstaunen war das Mädchen im Spiegel auf einmal nicht nur interessant, sondern richtig hübsch. Henry sah es und lächelte auch. Aber Janie hatte an diesem Tag bereits mehr neue Erfahrungen gemacht, als sie verkraften konnte. „Ich ziehe mich jetzt lieber um”, sagte sie darum hastig und floh hinter den schützenden Wandschirm.

„Sei vorsichtig mit den Stecknadeln”, rief Henry ihr nach. Als Janie umgezogen hinter dem Wandschirm hervorkam,

hatte sie ihre Haare wieder gelöst. Henry sagte nichts dazu. Aber als sie ihm das Kleid reichte, wirkte er nervös. „Hast du

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es sehr eilig?” wollte er wissen. „Es dauert nicht lange, die Nähte aufzumachen und sie neu zu nähen.”

„Was? Wieso? Ich meine, warum soll ich solange warten?” „Na ja ... Das Kleid ist dir doch jetzt sozusagen auf den Leib

geschnitten. Es sieht wahnsinnig gut an dir aus, auch wenn ich mich eigentlich nicht selbst so loben sollte. Aber es steht dir wirklich phantastisch. Es wäre eine Sünde, wenn du es nicht tragen würdest. Ich möchte es dir gern schenken. Nur wenn du es willst, natürlich”, setzte er hastig hinzu. „Ich weiß, daß die Nähte ziemlich schlampig sind. Diese Nähmaschine hier ist wahrscheinlich älter als meine Großmutter.”

„Ob ich es will?” Janie schluckte. „Und wie gern! Hast du es dir auch genau überlegt?”

„Es gehört dir”, sagte er feierlich. „Du mußt mir allerdings versprechen, daß du immer dein Haar zusammenbindest, wenn du es trägst.” Er machte sich eilig daran, die Nähte wieder aufzutrennen.

Janie konnte es gar nicht mit ansehen. Für sie war es plötzlich, das kostbarste Kleid der Welt. Um sich abzulenken, fragte sie: „Wieso darfst du eigentlich diesen Raum benutzen? Hast du einen guten Draht zu Mrs. Monick?”

„Eigentlich nicht. Ich hab im letzten Herbst nur diese Nähmaschine hier für sie repariert und ihr danach den Schlüssel zu diesem Raum nicht wieder zurückgegeben. Ich hab's vergessen. Darum hab ich auch so einen Schreck gekriegt, als du gestern hereinschneitest. Ich darf mich hier eigentlich nicht aufhalten. Aber es ist nun mal der einzige Ort, an dem ich ungestört arbeiten kann.”

„Warum kannst du nicht zu Hause arbeiten?” „Familienprobleme”, antwortete er und zuckte die Achseln. „Entschuldige. Ich wollte nicht ...”

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„Macht nichts”, sagte Henry und beugte sich über das Kleid. „Jetzt will ich das hier aber fertig nähen. Der Hausmeister macht bald seine Runde durch diesen Flügel des Gebäudes.”

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4. KAPITEL Natascha holte sich im Sub-Shop einen Kräutertee und

bahnte sich dann einen Weg zu dem Tisch, an dem Brenda, Woody, Christina und Ted saßen.

„Hallo!” begrüßte Ted sie. ,,Da kommt ja das jüngste Opfer unserer lieben Laurie Bennington! Na? Irgendwelche neuen Entwicklungen in der Sache?”

Natascha tat so, als hätte sie die Frage überhört. Doch Brenda hakte nach: „Das jüngste Opfer? Wieso?”

„Heute in der großen Pause waren wir Zeugen, wie Laurie bereits zum zweiten Mal versucht hat, auffallend nett und freundlich zu Natascha zu sein, erklärte Christina.

„Sie hat es nicht versucht, sie war nett! protestierte Natascha. „O ja. Das ist ein schlechtes Zeichen”, fand Brenda. „Ach was. Laurie wollte mir nur sagen, daß ihr einer meiner

Artikel in der Schülerzeitung gut gefallen hat. Was ist daran so schlimm?”

„Was daran schlimm ist? Wenn Laurie Bennington jemandem Komplimente macht, dann verfolgt sie damit - einen ganz - bestimmten, Zweck”, erwiderte Brenda. ,,Irgend etwas verspricht sie sich davon.”

Ted schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. ,,Ich hab's! Weil sie beim Radiosender geflogen ist, will sie als Ersatz eine Klatschspalte in der Zeitung haben. Auf die Art könnte sie auch in Zukunft Leute in aller Öffentlichkeit schlecht machen, die ihr nicht in den Kram passen.”

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„Aber wir bekämen vielleicht mehr Leser, wenn....” begann Natascha. Die anderen buhten sie aus, bevor sie ihren Gedanken zu Ende aussprechen konnte. Natürlich hielt Natascha auch nicht viel von einer Klatschspalte, weder von Laurie Bennington noch von sonst jemandem. Doch was nützte es auf der, anderen Seite, eine journalistisch wirklich gute Zeitung herauszubringen, wenn niemand sie las?

Während die anderen sich weiter unterhielten, brütete Natascha über dieses Problem nach. Was die Zeitung dringend brauchte, waren Artikel über Themen, die die Leute an der Schule tatsächlich interessierten. Artikel, die sensationell und gleichzeitig informativ und sauber recherchiert waren. Es mußten Themen sein, über die in den Pausen und zwischen den Schulstunden jeder redete. Natascha hatte das Gefühl, daß sich aus ihrem Interview mit John Marquette solch ein Artikel ergeben konnte. Sie mußte es nur schaffen, ihm die entsprechenden Insider-Informationen aus der Sportszene zu entlocken.

Als Natascha sich wieder der allgemeinen Unterhaltung am

Tisch zuwandte, merkte sie, daß die anderen auch gerade zufällig über John Marquette sprachen.

„Ich wußte gar nicht, daß er im Superjock arbeitet”, sagte Brenda.

,,Der Laden gehört doch seinem Cousin”, antwortete Ted. „Das erklärt natürlich alles..” Brenda verzog das Gesicht.

„Er hat mich neulich nämlich mal bedient, als ich in dem Laden war. Auf seine typisch schleimige Art ist er angekommen und hat mich gefragt, ob er mir helfen könnte. Mir gefiel das zwar nicht, aber was blieb mir anderes übrig, als ihm zusagen, was ich wollte. Als nächstes hat er verkündet, er müßte mir beim Anprobieren helfen. Ätzend!

„Und was hast du gemacht?” fragte Christina..

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Brenda lachte. „Ich hab einfach behauptet, ich müßte draußen in der Parkuhr Geld nachwerfen und mich dann schnellstens aus dem Staub gemacht.” Hoffentlich hat er nicht mitgekriegt, wie ich mich draußen auf mein Rad geschwungen habe!”

„Warum nicht? Soll er doch endlich mal merken, was die Leute von ihm denken”, sagte Christina ernst.

„Ach, so schlimm. ...” begann Natascha, hielt dann jedoch inne.

Mich nervt, daß er sich immer so aufspielen muß. Aber ich glaube, das ist alles bloß Show bei ihm.”

„Show?” fragte Brenda. „Marquette ist ein unverbesserlicher Chauvi! Jedes Mädchen, das ihm über den Weg läuft, muß sich seine blöden Sprüche anhören. Der Typ scheint tatsächlich zu glauben, daß ihm alle zu Füßen liegen. Natascha, du bist doch nicht interessiert an diesem Fleischklops, oder?”

Natascha wurde rot. „Nein, natürlich nicht! Aber ich hab ihm versprochen, ihn fair die Zeitung zu interviewen. Ich meine, ich brauche dieses Interview für eine Story, an der ich gerade arbeite.”

„Na ja.” Brenda seufzte. „Dann mach es aber in der Schule, am hellichten Tage und irgendwo, wo viel los ist. Und sieh zu, daß sicherheitshalber ein paar gute Freunde in Rufweite sind.”

„Ich. ..” Natascha zögerte. Bestimmt übertrieb Brenda, um sie zu erschrecken. Mit John Marquette würde sie schon fertig werden. „Ich hab' mich mit ihm zum Essen, verabredet”, erklärte sie. „Natürlich nur rein geschäftlich”, fügte sie rasch hinzu.

„Du weißt hoffentlich, worauf du dich da eingelassen hast”, sagte Brenda.

„Er wird mir schon nicht den Kopf abreißen.” Natascha wandte sich an Christina. „Oder?”

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Christina schaute besorgt drein. „Ich halte nicht viel von Gerüchten”, sagte sie. „Aber über Marquette sind wirklich ein paar üble Geschichten im Umlauf. Hast du mir nicht neulich noch was über ihn erzählt, Ted?”

„Ich kenne Marquette zur Genüge”, antwortete Ted langsam. „Wir spielen schließlich seit etlichen Jahren Football zusammen, und ihr wißt ja, wie Football-Spieler nach einer Partie im Umkleideraum oder im Bus reden.”

Die drei Mädchen wechselten vielsagende Blicke. Sie wußten es natürlich nicht, aber sie konnten es sich lebhaft vorstellen.

„Er hat ein paar Sachen über sich selbst erzählt fuhr Ted fort, „bei denen sich mir die Haare gesträubt haben. Vielleicht war alles ja nur heiße Luft. Vielleicht ist er aber auch wirklich so. Er prahlt jedenfalls damit herum, daß er bei den Mädchen nichts anbrennen läßt und daß es ein Nein für ihn nicht gibt. Er meint, wenn ein Mädchen bei ihm nein sagt, dann macht sie ihm nur was vor. Darum überhört er dieses Wort grundsätzlich.”

„Das ist doch zum Lachen!” sagte Natascha. „Nicht, wenn du das betreffende Mädchen bist”, antwortete

Ted. „Deshalb solltest du Brendas Rat unbedingt beherzigen. Wenn du dich mit Marquette triffst, dann meide dunkle Ecken.”

Natascha nahm sich vor, sich keine Angst machen zu lassen. Sie wußte, daß sie Marquette übertölpeln konnte, wenn es darauf ankam. Dazu war sie clever genug. Sie war wild entschlossen, die Verabredung einzuhalten, ihm die nötigen Informationen zu entlocken und dann sicher nach Hause zu fahren, ehe es Marquette dämmerte, daß sie ihn ausgetrickst hatte. Es konnte im Grunde gar nichts schiefgehen.

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Janie legte ihre Bücher auf dem Küchentisch ab und rief:

„Mom, ich bin wieder da!” „Wir sind hier!”, hörte sie die Stimme ihrer Mutter hinter der

Schiebetür. Janie warf einen kurzen Blick in den Kühlschrank und ging

dann ins Wohnzimmer. Die Zwillinge Beverly und Betty, ihre Schwestern, hockten auf einem Läufer vor dem Kamin. Beverly machte sich an einem Kinderwebrahmen zu schaffen, den sie zu Weihnachten bekommen hatte, und Betty las.

Mrs. Barstow saß am äußersten Ende des Sofas, das über und über mit Karteikarten bedeckt war. Auch auf dem Tisch türmten sich etliche Stapel. Janies Mutter war dabei, die Karten zu sortieren. Als sie Janie hereinkommen hörte, schaute sie auf und schob ihre Lesebrille hoch. „Hallo, Liebes. Na, wie war's heute in der Schule?”

Janie ließ sich auf einen Stuhl fallen. Die Tüte mit dem Kleid von Henry behielt sie auf dem Schoß. Sie traute sich nicht, es aus den Augen zu lassen, aus Angst, es könne etwas damit passieren. „Und du? Was machst du?

„Der Damen-Club will eine großangelegte Briefaktion starten, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Um möglichst viele Adressen zusammenzubekommen, hat jede von uns eine Liste gemacht mit den Namen von Freunden, Verwandten, Bekannten und Geschäftsfreunden. Wir haben alle Adressen auf Karteikarten übertragen, und ich muß sie jetzt nach Postleitzahlen ordnen.

„Kann ich dir helfen? „Danke, das ist lieb von dir.” Sie reichte Janie einen dicken

Stapel Karteikarten. „Ordne diese hier erst mal nach dem Alphabet, damit wir die Doppelten aussortieren können.”

Janie machte sich an die Arbeit.

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„Du bist heute spät gekommen stellte die Mutter fest. „Hast du noch was für die Schülerzeitung erledigt?”'

Janie hatte bisher noch nicht den Mut aufgebracht, ihrer Mutter zu, beichten, daß sie bei der Zeitung aufgehört hatte. Erst hatte sie das Geständnis nur bis zum nächsten Wochenende aufgeschoben, dann bis zum Beginn der Weihnachtsferien, dann bis Neujahr. Ihr fehlte der Mut, weil sie genau wußte, wie ihre Mutter reagieren würde. Schließlich hatte Janie den Job bei der Schülerzeitung nur angenommen, um ihre Mutter zu besänftigen..

„Nein, nein”, antwortete sie hastig. „Ich hab noch jemandem bei einem Projekt geholfen.” Das war nicht gelogen, auch wenn es etwas doppeldeutig ausgedrückt war. Ob sie ihrer Mutter das neue Kleid zeigen sollte? Janie überlegte, konnte sich jedoch nicht dazu durchringen. Erst wollte sie es noch einmal allein für sich anprobieren. Sie wollte sichergehen, daß es ihr wirklich so gut stand, wie sie es in Erinnerung hatte.

„Ich freue mich, daß du allmählich Anschluß findest”, sagte ihre Mutter zufrieden. „Ich weiß, wie schwer es ist, wenn man umzieht und am Anfang niemanden kennt. Aber nette Menschen gibt es überall. Wenn man freundlich ist und offen, findet man schnell Freunde.”

„Hmm.” Janie tat, als sei sie völlig mit dem Sortieren der Karteikarten

beschäftigt. „Austin”, las Mrs. Barstow und blickte nachdenklich auf die

Karte in ihrer Hand. „Haben die nicht eine Tochter, die mit dir zur Schule geht?”

„Ja, Christina. Und Sarah, ihre Stiefschwester. Sie geht übrigens mit Brad Davidson.”

„Wer? Christina?” „Nein, Sarah.”

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„Oh. Als ich Margery Davidson das letzte mal getroffen habe, hat sie sich Sorgen um ihren Sohn gemacht. Sie meinte, er sei immer noch nicht über die Trennung von seiner früheren Freundin hinweg. Wie war noch gleich ihr Name?

„Brenda”, antwortete Janie. „Brenda Hall. Ich finde, sie unheimlich nett. Sie ist die Freundin von Christina Austin.”

„So?” Es entstand eine Pause, während Mrs. Barstow weiter die Karteikarten ordnete. „Warum lädst du Christina, Brenda und dieses Mädchen von der Schülerzeitung nicht mal hierher ein?”, schlug sie plötzlich vor. „Was meinst du? Wir mieten uns für den Tag einen Videorecorder und irgendeinen spannenden Film dazu. Ihr könntet euch auch Popcorn machen und heißen Apfelwein.”

Betty schaute von ihrem Buch auf. „Wir auch?” rief sie begeistert.

„Warum nicht? Ihr müßt allerdings versprechen, euch gut zu benehmen, solange Janies Freundinnen hier sind. Wie ist es, Janie? Willst du die drei einladen?”

„Nein, lieber nicht. Sie haben wahrscheinlich gar keine Zeit.”

„Sie werden doch nicht jeden Tag etwas vorhaben! Fragen kostet außerdem nichts.”

Janie holte tief Luft. „Danke, Mom, aber ich möchte nicht. Ich kenne die drei ja kaum.”

„Dann ist es die Gelegenheit, sie näher kennenzulernen. Und du hättest eine Menge Spaß. Erinnerst du dich noch, wie damals auf deiner Fete bei der Kissenschlacht ein Kopfkissen platzte? Wochen später flogen die Federn noch überall herum. Aber es hat trotzdem einen Riesenspaß gemacht, nicht wahr?”

„Mom, ich war damals zwölf!” „Oh, entschuldige bitte”, erwiderte Mrs. Barstow lächelnd.

„Und jetzt bist du natürlich viel zu erwachsen, um dich zu amüsieren, ja?”

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„Nein, darum geht es nicht...” Janie seufzte. Wenn ihre Mutter erst einmal in Fahrt geriet, dann war sie nicht mehr zu stoppen. „Hör zu, die drei Mädchen kennen sich schon seit Jahren. Warum sollten sie wohl hierher kommen wollen?”

„Warum? Um Spaß zu haben und dich besser kennenzulernen, darum.” Mrs. Barstow legte die Karteikarten beiseite, und nahm die Brille ab. „Janie, ich weiß, daß es nach dem Umzug hart für dich war. Du kanntest keine Menschenseele, und du mußt dir ganz neue Freunde suchen. Für mich war es auch nicht einfach. So manches Mal hätte ich am liebsten alles hingeworfen. Aber das wäre schließlich keine Lösung gewesen.”

Janie beugte sich vor und tat, als studiere sie eine der Karteikarten. Sie hätte nie für möglich gehalten, daß der Umzug nach Rose Hill ihrer Mutter auch Schwierigkeiten bereitet hatte. Ihre Mutter wirkte immer so stark, selbstbewußt und unbekümmert.

Janie verspürte einen ziehenden Schmerz über der linken Augenbraue. Sie rieb sich die Stirn und die Schläfen.

„Hast du Kopfschmerzen?” fragte ihre Mutter mitfühlend. „Komm, gib mir die Karten. Nach der Schule ist es zu anstrengend für dich, so etwas zu machen. Ich bin sowieso gleich fertig. Am besten, du legst dich vordem Essen noch ein paar Minuten hin.”

Erleichtert floh Janie nach oben in ihr Zimmer. Janies Zimmer sah aus wie aus einem Möbel-Katalog. Ihre

Mutter hatte nostalgische Kiefernmöbel ausgesucht, weiße Vorhänge, mit Blättern und Erdbeeren bedruckt, und eine dazu passende Tagesdecke. Im Bücherregal standen nur Schulbücher und ein paar alte Bilderbücher. Die Science-Fiction-- und Fantasy-Romane, die Janie so liebte, hatte sie alle unten in ihrer Höhle untergebracht.

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Henrys Kleid lag immer noch zusammengefaltet in der Tüte. Janie schüttelte es vorsichtig aus, hielt es hoch und musterte es zweifelnd. War dieses Stück Stoff wirklich die traumhafte Kreation, die sie in Erinnerung hatte? Janie hielt es vor sich und begutachtete sich im Spiegel. Das Kleid wirkte unscheinbar und langweilig. Genau wie ich, dachte Janie. Vielleicht hatte Henry es ihr nur eingeredet, daß sie in dem Kleid interessant aussah. Oder sie hatte sich so in den Wunsch hineingesteigert, endlich einmal attraktiv zu sein, daß sie es am Ende selbst geglaubt hatte. Sie würde sich Gewißheit verschaffen.

Janie zog die untere Schublade ihrer Kommode auf und holte eine große flache Plastikschachtel heraus, die wie Perlmutt schimmerte. Es handelte sich um ein Werbegeschenk, das sie bekommen hatte, als sie ihrer Mutter zum letzten Muttertag eine Flasche Parfüm bestellt hatte.

Sie stellte die Schachtel vor sich auf- den Tisch und öffnete. sie. Auf der einen Seite befanden sich kleine Vierecke mit Lidschattenproben in allen möglichen Farben, von Dunkelblau bis hin zu Hellrot. Auf der anderen Seite waren einige Proben Lipgloss untergebracht, kleine Lippenstifte, zwei Stifte zum Nachzeichnungen der Lippenkonturen und zwei Pinsel zum Ausmalen des Mundes.

Der Mittelteil der Schachtel enthielt Puder in unterschiedlichen Schattierungen, Teintgrundierungen, Rouge, einen Augenbrauenstift, Eyeliner, einige Bürstchen sowie Wimperntusche.

Nach dem ersten Versuch sah Janie aus wie ein Clown aus dem Zirkus. Sie mußte lachen.

Dann studierte sie ihr Gesicht lange und sorgsam im Spiegel. Sie versuchte sich zu erinnern, was Henry über ihr Gesicht gesagt hatte und wie die Gesichter, der Mädchen auf seinen

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Zeichnungen geschminkt gewesen waren. Schminken konnte doch nicht schwieriger sein als Algebra!

Beim zweiten Versuch beschränkte Janie sich auf ein wenig Lidschatten auf den äußeren Augenwinkeln und auf ein wenig Rouge unterhalb der Wangenknochen. Nachdem sie, die Übergänge mit einem weichen Pinsel verwischt hatte, war kaum noch zu erkennen, daß sie geschminkt war. Trotzdem wirkte ihr Gesicht jetzt interessanter.

Als nächstes kam ihr Haar an die Reihe. Janie kämmte es zurück, wie Henry es ihr gezeigt hatte, und schlang dann ein Gummiband darum. Ihr fiel ein, daß sie im Schrank noch ein kleines Seidentuch mit einem witzigen Muster darauf hatte. Sie holte es, band es um den Pferdeschwanz und schaute prüfend in den Spiegel. Henry hatte recht! Es war ein Fehler, daß sie sich ihr Haar ins Gesicht hängen ließ.

Jetzt das Kleid. Janie wandte sich vom Spiegel ab, als sie es über streifte. Sie wollte es erst sehen, wenn sie fertig angezogen war. Es schmiegte sich an ihre Schultern und Hüften, als sei es eigens für sie gemacht. Das war es ja auch.

Janie schluckte und drehte sich mit klopfendem Herzen um. „Es ist wunderschön”, flüsterte sie vor sich hin. Sie trat ein

paar Schritte zurück und drehte sich hin und her, um sich von allen Seiten bestaunen zu können. Doch so sehr sie sich auch drehte und wendete, der Spiegel zeigte ihr immer das gleiche: ein großes, schlankes Mädchen mit einem interessanten Gesicht. Und das, was das Mädchen trug, sah nach einem echten Modellkleid aus.

Das einzige, was das vollkommene Bild störte, waren die weißen Söckchen an ihren Füßen.

Was für Schuhe sollte sie bloß zu dem Kleid anziehen? Rasch schlüpfte Janie aus der Kreation, legte, sie aufs Bett und begann im Schrank herumzuwühlen. Ein Paar alte Gummistiefel kamen zum Vorschein-Turnschuhe, weiße

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Sandalen, unförmige Hausschuhe, die an Elefantenfüße erinnerten, und drei einzelne Schuhe, die nicht zueinander paßten. Endlich fand Janie, wonach sie gesucht hatte: die schmalen, flachen Schuhe aus braunem Leder, die sie im letzten Sommer auf der Hochzeitsfeier ihrer Cousine getragen hatte. Sie hatte sie nur dieses eine Mal angehabt. Einerlei, ob sie noch paßten oder nicht, Janie war wild entschlossen, sie zu Henrys Kleid zu tragen. Und zwar gleich am nächsten Tag in der Schule, ehe ihr Mut sie wieder verließ.

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5. KAPITEL Brenda und Woody waren die ersten am Tisch der Clique in

der Schulcafeteria. Sie setzten sich nebeneinander hin, und Brenda machte sich hungrig über ihren Salat her.

Woody stocherte lustlos auf seinem Teller herum und verzog das Gesicht. „Weißt du was?” verkündete er. „Diese Ravioli sehen aus wie Kopfkissen für Mäuse.”

„Du kommst vielleicht auf Ideen!” Brenda lachte. „Nicht nur das, sondern sie sind wahrscheinlich wirklich von

Mäusen als Kopfkissen benutzt worden.” Er spießte eine der kleinen Teigtaschen auf seine Gabel und untersuchte sie aus der Nähe. „Ist das hier nicht ein winziges graues Stück Fell?”

Brenda wollte nicht hinsehen. „Du bist selbst schuld”, antwortete sie. „Ich hab dir gesagt, du sollst lieber den Salatteller nehmen. Wenn du weiter jeden Mittag Nudeln ißt, dann wirst du deine Hosenträger bald wirklich brauchen, weil du keinen passenden Gürtel mehr findest.”

„Autsch!” Er hielt wie zum Schutz die Arme vors Gesicht. „Dieses Kaninchenfutter ist nun mal nichts für mich. Das weckt nur meine Gelüste. Sieh dir doch an, womit Kaninchen ihre Zeit verbringen!”

„Woody! Kann man denn nicht ein einziges Mal ernsthaft mit dir reden?”

„Nein, es wird nachher zur Gewohnheit und schadet meiner Gesundheit.”

„Woody, ich meine es ernst.” Sie legte Messer und Gabel so ungeschickt auf den Tellerrand, daß beides in die Salatsauce

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rutschte. ,,Igitt! Jetzt sind die Griffel voller Russian Dressing.” Mit spitzen Fingern fischte sie das Besteck vom Teller und wischte es mit der Papierserviette sauber. „Du, ich hab in den Ferien sehr viel nachgedacht - über mich, Brad und ... und über Greg.”

Sie sprach plötzlich so leise, daß sie im Lärm der Cafeteria kaum zu verstehen war. Es tat ihr immer noch sehr weh, Gregs Namen auszusprechen. Es war alles so schnell gegangen! Kaum hatte sie sich Hals über Kopf in Greg verliebt, da war er auch schon nach New York umgezogen, um dort Schauspieler zu werden. Sie hatte das verstanden. Ihr war die Trennung zwar schwergefallen, doch sie hatte seinen Mut und seine Entschlossenheit bewundert. Was dann geschehen war, konnte sie jedoch immer noch nicht richtig nachvollziehen.

Greg hatte sie eingeladen, ihn für ein Wochenende in New York zu besuchen.

Brenda hatte sofort zugestimmt. An einem Donnerstag hatte er anrufen wollen, um die Einzelheiten zu besprechen. Aber zum verabredeten Zeitpunkt hatte er sich nicht gemeldet.

Erst Freitagnacht hatte er angerufen und aus heiterem Himmel erklärt, er müsse mit ihr Schluß machen. Er brauche seine ganze Kraft und Konzentration für seine Arbeit. Alle Brücken wolle er hinter sich abbrechen, deshalb solle sie ihm auch keine Briefe mehr schreiben oder ihn anrufen. Er hatte komplett mit ihr gebrochen.

Woodys Stimme riß Brenda aus ihren trüben Gedanken.

„Wenn du Greg mal wieder siehst”, sagte er, „dann richte ihm aus, daß auf ihn noch eine Kennedy-Follies-Jacke mit seinem Namen darauf wartet. Das Duett, das ihr beide damals in der Show gesungen habt, war wirklich allererste Sahne.”

„Mir kommt es vor, als wäre das alles schon ewig lange her.” Brenda seufzte und lächelte wehmütig.

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„Mir nicht. Ich fange gerade erst an, mich von den schlaflosen Nächten zu erholen, die mich die Show gekostet hat. Aber ich würde es trotzdem nochmal machen. Vorausgesetzt natürlich, mein großer Superstar Brenda Hall wäre wieder dabei.”

Bei seinem Lob stieg Brenda die Röte ins Gesicht. Sie wußte, daß Woody seine Komplimente ernst meinte. Sie und Greg waren damals tatsächlich die große Überraschungsnummer der Kennedy Follies gewesen. Das war allerdings allein Greg und seinem Talent zu verdanken gewesen. Er hatte sie mitgerissen, so daß sie selbst auch den Eindruck hatte, sie sei talentiert.

„Darüber hab ich ebenfalls nachgedacht”, sagte sie langsam. „Mir ist klar geworden, daß die Show mit das Spannendste und Faszinierendste war, das ich je erlebt habe. Seit Greg in New York ist, hab ich mich ziemlich durchhängen lassen. Das darf, nicht so weitergehen. Ich würde gern wieder bei etwas mitmischen, das mich wirklich interessiert. Hast du nicht eine Idee?”

Woody lehnte sich zurück und hakte die Daumen hinter seine Hosenträger. „Tja, alsooo ...”, begann er gedehnt. „Ich glaube, ich habe da möglicherweise etwas für dich. Bisher ist es nur so ein Gedanke. Ich hab mich neulich mit ein paar Leuten, von der Clique darüber unterhalten, wie öde es nach den Weihnachtsferien immer in der Schule ist. Keine Veranstaltungen, keine Feten - nichts! Um diese Jahreszeit ist absolut tote Hose. Deshalb haben wir unsere kleinen grauen Zellen spielen lassen und versucht, uns etwas Besonderes zu überlegen. Das ist uns auch tatsächlich gelungen. Ich muß es allerdings noch mit Brad besprechen und hören, was der Schülerrat dazu meint.”

„Das ist noch so ein Punkt, über den ich nachgedacht habe”, sagte Brenda. „Brad. Ich muß unbedingt sehen, daß ich wieder

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mit ihm ins reine komme. Eigentlich war ich ja diejenige, die Schluß gemacht hat.. Aber ich weiß nicht so recht ... Irgendwie hat es mich trotzdem ganz schön geschockt, als er plötzlich mit Sarah ging. Vorher war er immer nur für mich da, und dann hatte er auf einmal eine andere. Noch dazu die Stiefschwester meiner besten Freundin!”

„Hast du denn erwartet, daß er sich extra eine sucht, die du nicht kennst?

„Ich hab wohl erwartet, daß er mit gar keinem anderen Mädchen geht”, gestand Brenda. „Ich weiß natürlich selbst, daß das absurd und ungerecht ist. Aber es gibt noch etwas, woran ich ziemlich zu knabbern habe. Erinnerst du dich, wie Brad mir immer aus dem Weg gegangen ist, nachdem ich mich von ihm getrennt hatte? Wenn wir uns zufällig, begegnet sind, hat er getan, als sei ich Luft für ihn. Und wenn ich irgendwo reinkam, dann, ist er wortlos aufgestanden und hat den Raum verlassen.”

„Stimmt. Aber du mußt bedenken, daß er verletzt war.” „Ich, weiß. Und es ist meine Schuld. Das Ganze wäre

vielleicht weniger schmerzlich für ihn gewesen, wenn ich mir mehr Mühe gegeben hätte. Aber ich will auf etwas anderes hinaus.”

„Worauf denn?” „Als Brad sich mit Sarah zusammengetan hat, benahm er

sich plötzlich, als sei alles wieder okay. Für mich war damit noch lange nicht alles okay. Im Gegenteil. Ich kam mir total allein vor.”

„Brenda!” Woodys Stimme klang vorwurfsvoll. „Du weißt genau, daß ich immer für dich da bin.”

Brenda ärgerte sich über ihre schlechte Wortwahl. Woody war seit langem in sie verliebt und hatte nie einen Hehl aus seinen Gefühlen für sie gemacht. „Natürlich weiß ich das”, sagte sie schnell. „Und ich finde das auch unheimlich lieb von

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dir. Aber so, wie die Dinge stehen, wäre es nicht fair von mir gewesen, mich in der Sache an dich zu wenden.” Ehe er widersprechen konnte, fuhr sie hastig fort: „Auf jeden Fall war es idiotisch von mir, auf Sarah eifersüchtig zu sein. Brad hat selbstverständlich das Recht, zu gehen, mit wem er will. Er muß mich nicht vorher um Erlaubnis fragen. Seit mir das klargeworden ist, habe ich den Wunsch richtig Frieden mit ihm zu schließen.”

„Das will er bestimmt auch.” „Ob Sarah mir auch noch mal verzeihen kann? Ich war nicht

besonders nett zu ihr. Sie hat so einiges durchmachen müssen, seit sie hier an der Schule ist. Wahrscheinlich haßt sie mich jetzt.”

„Ach, da bin ich mir gar nicht so sicher. Es würde mich nicht wundern, wenn sie sich auch mit dir versöhnen will. Vielleicht wartet sie nur auf ein Zeichen von dir.”

Brenda kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten, denn eine vertraute Stimme sagte: ,,Hey, Leute! Alles klar?”

„Peter!” rief Woody. „Was machst du denn hier? Du bist

nicht auf Sendung? Brenda und ich haben uns schon gewundert, wieso es heute so herrlich ruhig und friedlich ist. Hast du die Nadel vom Plattenspieler abgebrochen, oder was ist in dich gefahren?”

Peter stellte sein Tablett auf den Tisch und warf seine braune Fliegerjacke achtlos über einen Stuhl.. „Diese Versager!” stöhnte er. „Wir haben ein technisches Problem mit der Hauptschalttafel. Nichts Schlimmes. Jeder halbwegs intelligente Mensch hätte das mit einem Lötkolben in fünf Minuten wieder in Ordnung, gebracht. Aber diese Nieten von Techniker, die uns die Schulleitung auf den Hals geschickt hat, behaupten allen Ernstes man braucht mindestens eine Woche dafür.

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Tja, und ich armer Mensch muß nun sehen, wo ich bleibe. Mit der Sendung ist jedenfalls erst mal Essig. Grrr!”

„Warum hast du es nicht einfach selbst repariert?” wollte Brenda wissen.

„Das hätte ich. Aber Kevin, mein trotteliger neuer Assistent, hat die Sache gleich der Verwaltung gemeldet,” ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Und nun geht altes den Amtsweg!” Schlecht gelaunt starrte er auf sein überbackenes Käsesandwich. „Mensch, waren das noch Zeiten, als Janie Barstow meine Assistentin war! Sie hat sich um alles gekümmert, und der Laden lief perfekt Seit sie weg ist, funktioniert nichts mehr. Jetzt ist sogar ein Springsteen-Album verschwunden. Eine Sonderpressung aus Australien. Nicht mehr aufzufinden!”

„Zum Glück! Woody lachte. Dann bekommen wir mittags, wenigstens mal was anderes zu hören als immer nur Springsteen.”

„Sag das noch mal!” Peter tat gekränkt und zog an einem von Woodys Hosenträgern.

,,Ist das hier eine Privatfehde, oder kann ich auch mitmischen?” fragte Ted grinsend und beugte sich von hinten über Woody. Er balancierte auf jedem Arm ein volles Tablett. Vorsichtig setzte er seine Last auf dem Tisch ab, zog seine verblichene Jeans hoch und rückte dann einen Stuhl für Christina zurecht, die direkt hinter ihm stand.

„Hallo, alle zusammen”, rief sie. „Peter! Was hast du denn hier zu suchen?

Erneut begann Peter sein Klagelied auf die Techniker anzustimmen. Brenda hörte diesmal nicht mehr hin. Sie hatte gerade Sarah und Brad in der Schlange an der Kasse entdeckt. Gebannt starrte, sie zu den bei den hinüber. Brad war wie immer vom Scheitel bis zur Sohle Präsident des Schülerrates und angehender Princeton-Student: Collegeschuhe, gebügelte

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Khaki-Hose, blau-weiß gestreiftes Oxford-Hemd und dunkler Shettand-Pullover. Sarah konnte man nicht so leicht einordnen. Ihre schwarze Nietenjeans wirkte cool und abweisend, die weiße Bluse mit Häkelspitze dagegen romantisch und verspielt.

Brenda fehlte die Nähe zu Brad, auch wenn sie schon seit langem nicht mehr in ihn verliebt war. Sie wollte ihn als guten Freund behalten. Und Sarah sah sie in neuem Licht, seit sie deren Artikel über das Garfield House in der Schülerzeitung gelesen hatte. Sie hätte sie gern näher kennengelernt..

Die beiden hatten die Kasse erreicht, und Sarah schaute sich suchend nach einem Platz um.

Brenda kämpfte mit sich. Hatte Woody nicht gesagt, daß Sarah vielleicht nur auf ein Zeichen von ihr wartete? Sie gab sich einen Ruck und winkte, als Sarah in ihre Richtung sah.

Sarah stutzte und hatte sichtlich Zweifel, ob sie gemeint war. Dann wandte sie sich an Brad und sagte etwas zu ihm. Die beiden drehten sich zu Brenda um. Brenda winkte erneut und lächelte.

Brad und Sarah traten ein paar Schritte von der Kasse weg, und schienen sich zu beraten. Brenda blickte in eine andere Richtung. Für den Moment hatte sie getan, was sie tun konnte. Nun kam es auf die beiden an.

Woody, der neben ihr saß, räusperte sich plötzlich bedeutungsvoll, stieß Brenda leicht an und rief: ”Hi, Brad! Hi, Sarah! Kommt, setzt euch! Wir haben gerade beschlossen, den amtierenden Schülerrat zu stürzen. Ihr könnt euch aussuchen, ob ihr mitmacht oder ob wir euch gleich als Geiseln festhalten sollen.”

Brenda hob den Kopf und merkte, daß Sarah sie mißtrauisch ansah. Sarah erinnerte sie an ein scheues Tier. Eine falsche Bewegung, und sie würde sofort die Flucht ergreifen.

„Hallo”, sagte Brenda freundlich und lächelte.

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„Hallo.” Sarah wandte sich ab, weil Christina sie etwas fragte. Aber dieser kleine Wort- und Blickwechsel reichte Brenda. Sie hatte ein gutes Gefühl. Sie und Sarah waren zwar noch keine Freundinnen, aber auch keine Feindinnen. Alles weitere würde sich ergeben. Jetzt blieb bloß noch das Problem mit Brad. Unsicher musterte Brenda ihn von der Seite. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals.

„Hast du neue Nachrichten von der Princeton-Universität?” fragte sie ihn so beiläufig wie möglich.

„Erinnerst du dich an diesen Typ, den ich besucht habe, als ich in Princeton mein Vorstellungsgespräch hatte? Er hat mir einen langen Brief geschrieben mit lauter Tips, die seiner Meinung nach für, einen Studienanfänger wichtig sind.”

Woody horchte auf. „Zum Beispiel, wo es abends nach elf noch Pizza gibt und wo man die tollsten Mädchen findet”, flachste er.

„Wo man die tollsten Mädchen findet?” mischte Ted sich grinsend ein. „Das ist doch ganz einfach: beim Pizza essen natürlich!”

„Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen erklärte Sarah. „Wieso?” Verständnislos runzelte Woody die Stirn. „Na, solange sie nicht im Raum des Studentenrats Pizza

essen, brauche ich mir keine Sorgen zu machen”, erklärte sie verschmitzt.

Brenda begann zu kichern und verschluckte sich dabei fast an ihrem Mineralwasser. Sie hatte gar nicht gewußt, daß Sarah so schlagfertig sein konnte. Die beiden Mädchen tauschten einen verschwörerischen Blick aus.

Mit klopfendem Herzen reihte Janie sich in die Schlange in

der Cafeteria ein. Die Unterrichtsstunden am Vormittag hatte

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sie überstanden. Doch nun kam die Stunde der Bewährung. Wenn jemand die neue Janie bemerken würde, dann in der Pause, hier in der vollbesetzten Cafeteria. Sie mußte nur den Mut haben durchzuhalten.

Nach dem Sportunterricht hatte Janie sich im Umkleideraum sorgfältig zurechtgemacht. Sie hatte gewartet, bis die anderen Mädchen weg waren, hatte sich die Haare mit dem Seidentuch zurück gebunden und dann Henrys Kleid angezogen. Zum Schluß hatte sie sich noch dezent geschminkt.

Sie schaute zu dem großen Tisch in der Ecke der Cafeteria hinüber. Die Clique war fast vollständig versammelt. Janie bekam vor Aufregung ganz feuchte Hände. Ob sie sich nicht doch lieber woanders hinsetzen sollte? Sie konnte ihr Experiment auch an einem anderen Tag durchführen. Schließlich hatte sie sich lediglich vorgenommen, das neue Kleid in der Schule anzuziehen, und das hatte sie ja jetzt getan. Mußte sie sich deswegen auch gleich in die Höhle des Löwen begeben und sich zur Superclique der Schule setzen? Okay, sie hatte mit diesem Gedanken gespielt. Aber mußte sie es aus dem Grund auch tun?

Es war so, wie wenn man als Kind im Schwimmbad auf dem Fünf-Meter-Brett stand. Sie war die Leiter hinaufgeklettert. Wenn sie kniff, würde sie es vielleicht nie wieder versuchen.

Entschlossen bezahlte sie ihr Sandwich, nahm das Tablett und machte sich auf den Weg zum Tisch der Clique. Sie gab sich Mühe, gerade zu gehen und die Schultern nicht hängen zu lassen, denn das war sie Henrys tollem Kleid schuldig. Als sie näher zum Tisch kam, sah sie zum Glück nur bekannte Gesichter. Brad war da neben Sarah, seiner neuen Freundin. Ein Gefühl der Wärme durchflutete Janie, als sie daran dachte, wie nett Brad auf der Homecoming-Fete zu ihr gewesen war. Brad schaute auf, als hätte er ihre Gedanken gespürt. Er nickte

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und lächelte ihr zur Begrüßung zu. Einladend deutete er auf den freien Stuhl neben sich.

Janie stellte das Tablett auf den Tisch und wollte gerade Platz nehmen, da sagte eine Stimme „Hey, das ist ja Janie! Ja, gibt's denn so was!”

„Peter!” rief sie aus. „Peter, es ist Mittag! Was hast du um diese Zeit hier zu suchen?”

Peter schlug sich in gespielter Verzweiflung die Hand vor die Stirn und verdrehte die Augen. Die anderen am Tisch brachen in schallendes Gelächter aus. Janie blickte in die Runde. Was war so witzig? Hatte sie etwas Dummes gesagt?

„Du bist schon die fünfte, die mich das fragt”, erklärte Peter und tat, als sei er beleidigt. „Was ist los? Bin ich hier unerwünscht?”

„Aber die Show!” Janie starrte ihn verständnislos an. „Wer macht denn jetzt die Show?”

„Meine Hörerzahlen sind dermaßen abgesackt, und sie haben mich gefeuert”, sagte Peter. „Ich mache nur Spaß”, setzte er schnell hinzu, als er Janies Gesichtsausdruck sah. „Ich bin zu einer Woche Zwangspause verdonnert, weil es technische Probleme beim Sender gibt. Du siehst also, Janie, ohne dich läuft nichts mehr. Ich hab den anderen gerade noch vorgeschwärmt, wie perfekt du alles im Griff hattest. Davon profitiert der Sender heute noch!”

Janie wurde rot und schaute verlegen auf ihre Hände, doch sie mußte unwillkürlich lächeln.

Ted und Peter vertieften sich darauf in, eine angeregte Diskussion über Punk und Garagenrock. Janie machte sich erst gar nicht die Mühe, ihr Gespräch zu verfolgen. Sie genoß es einfach, dazusitzen, ihren Geflügelsalat auf Toast zu essen und das Gefühl zu haben, dazuzugehören.

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Als Janie sich die Finger an der Serviette abwischte, beugte. Sarah sich zu ihr. „Du hast doch auch Mr. Sholeson, in Geschichte, nicht wahr?”

„Ja. Du auch?” „Leider. Weißt du, was der uns über die Ferien aufgebrummt

hat? Wir sollten über hundert Seiten lesen! Ein paar Leute aus dem Kurs wollten schon einen Protestbrief an den Schulleiter schicken. Was denken diese Lehrer sich bloß? Denken sie überhaupt?

Janie lachte. „Keine Ahnung.” Sie fühlte, wie sie langsam wagemutig wurde. „Du, Sarah, dieser Artikel über deinen Freund aus dem Garfield House.

„Ja? Was ist damit?” fragte Sarah mißtrauisch. Brad, der zwischen ihnen saß, lehnte sich zurück und vertiefte sich plötzlich eifrig in seinen Taschenkalender.

„Na ja... Ich hab dir ja schon gesagt, wie sehr mir der Artikel unter die Haut gegangen ist. Du hast deinen Freund so toll beschrieben, daß ich ihn richtig vor mir gesehen habe. Erst durch deinen Artikel ist mir klargeworden, was für wichtige Arbeit im Garfield House geleistet wird!”

„Freut mich, das zu hören”, antwortete Sarah leise. „Danke, Janie.” Janie spürte, daß Sarah wußte, wie es war, ein Außenseiter zu sein.

„Ich bewundere dich dafür”, fuhr Janie fort. „Du hast es fertiggebracht, deine persönlichsten Gedanken und Gefühle zu veröffentlichen. Ich hätte nicht den Mut dazu.”

„Denn hatte ich auch nicht.” Sarah warf ihrer Stiefschwester einen Blick zu. „Ich hab von der Veröffentlichung erst erfahren, als ich den Artikel fertig gedruckt in der Zeitung gesehen habe. Da war es für kalte Füße, zu spät.”

Janie starrte sie verblüfft an. „Du hast von der Veröffentlichung vorher nichts gewußt? Da warst du bestimmt unheimlich sauer!”

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„Und wie! Vor allem auch, weil mir der Artikel eine Menge Arger eingebracht hat.” Sie griff nach Brads Hand und drückte sie. „Aber ich hab meine Meinung geändert, als ich dahinterkam, daß mein Aufsatz Jugendlichen geholfen hat, die in Schwierigkeiten steckten. Jetzt bin ich sogar froh, daß er in der Schülerzeitung abgedruckt worden ist.”

Janie erhob sich, um sich zum Nachtisch noch ein Eis zu holen.

„Hey, Janie”, rief Brenda bewundernd, als sie an den Tisch zurückkam. „Das Kleid, das du anhast, ist echt super!”

Alle Blicke richteten sich auf Janie. Sie wurde rot. „Danke”, sagte sie und setzte sich schnell.

„Hast du es bei Milovan gekauft?” fragte Brenda. „Ich bin vor ein paar Tagen dort gewesen. Aber so etwas Tolles hab ich nicht gesehen.”

„Unsinn”, meinte Christina. „Sie hat es wahrscheinlich aus einer der feinen Boutiquen in Georgetown. Stimmt's, Janie?”

„Tja, also. ..” In Janies Kopf arbeitete es fieberhaft! Was sollte sie bloß antworten? Sie hatte Henry versprechen müssen, auf keinen Fall zu verraten, daß das Kleid von ihm stammte. Auf der anderen Seite wollte sie die Mädchen auch nicht anschwindeln. Sie kannte sich überdies in den Boutiquen –überhaupt nicht aus und hätte sich bestimmt bald in Widersprüche verstrickt.

„Wenn ihr es genau wissen wollt, das Kleid hat mir jemand genäht”, erklärte sie widerstrebend.

„Ehrlich?” Brenda staunte. „Wer denn? Eine Freundin? Weißt du zufällig, woher sie das Schnittmuster hat?”

Janie überlegte blitzschnell. Es war vielleicht ganz nützlich, aus Henry eine „sie” zu machen. Auf diese Weise würde sich das Geheimnis leichter bewahren lassen. „Sie hat kein Schnittmuster benutzt, sondern nach eigenen Ideen geschneidert. Es ist ihr Hobby, Kleider zu entwerfen.”

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„Dann ist es ein richtiges Modellkleid?” fragte Christina beeindruckt. „Es wirkt sehr professionell. Und vor allem steht es dir unheimlich gut.”

„Deine Freundin hat eine große Zukunft”, fand Brenda. „Du, ob sie mir auch ein Kleid näht? Wieviel muß man denn für so einen Traum hin blättern?”

„Fünfzig Dollar”, improvisierte Janie. „Fünfzig Dollar!” Brenda schüttelte ungläubig den Kopf. Janie ärgerte sich über ihre eigene Unerfahrenheit. Offenbar

hatte sie einen Preis genannt, der völlig indiskutabel war. „Okay”, begann sie, „ich weiß ja, daß...

„Aber dann hast du den Stoff gestellt, oder?”, fragte Christina. Janie wurde immer verwirrter. „Nein, ich...”

„Du hast insgesamt nur fünfzig Dollar bezahlt?” unterbrach Brenda sie und geriet völlig aus dem Häuschen. „Meinst du, deine Freundin würde es für mich auch so billig machen?”

„Ich weiß nicht, ich ...” „Und für mich auch?” riet Christina. Sarah hatte bisher ruhig zugehört. Sie sah Janie an und

lachte. „Tja, ich muß mich wohl nach einer anderen Schneiderin, umsehen”, flachste sie. „So wie es aussieht, ist deine Freundin fürs erste ausgebucht.” Janie fühlte sich allmählich etwas sicherer und lachte ebenfalls. „Hey, ich meine es ernst”, sagte Brenda. „Ich auch”, bekräftigte Christina. „Was ist nun, Janie?”

Janie war hin- und hergerissen zwischen Begeisterung und Bestürzung. Henry wurde ausflippen, wenn sie es ihm erzählte. Aber sie konnte den Mädchen keine Versprechungen machen, ohne ihn vorher zu fragen.

„Wißt ihr was?” sagte sie schließlich. „Ich werde mir eure Maße auf schreiben, und dann werde ich i... sie fragen, ob sie Lust hat. Morgen gebe ich euch Bescheid.” „Super!” rief Brenda. „Spitze”, echote Christina.

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6. KAPITEL Henry starrte Janie entgeistert an. „Fünfzig Dollar?” rief er. „Ist das okay?” fragte Janie unsicher. „Ich hab aber gesagt,

daß ich dich erst noch fragen muß.” „Wie bist du gerade auf fünfzig Dollar gekommen?” Janie studierte sein Mienenspiel. Zum Glück schien Henry

nicht wütend zu sein. „Ich weiß nicht... Sie haben mich gefragt, wieviel ich für das Kleid bezahlt hätte. Da mußte ich irgend etwas erfinden. Ich kenne mich mit den Preisen nicht aus, weil ich so selten Klamotten kaufe. Aber ich dachte mir, ein Modellkleid müßte auf jeden Fall mehr kosten als eine Designer-Jeans.”

„Ein Modellkleid”, wiederholte er nachdenklich. „Das heißt, daß ich ein Modedesigner bin. Auf eine Art stimmt das natürlich ...”

„Dann gehen die fünfzig Dollar in Ordnung? Ist es dir wirklich nicht zu wenig?”

Mm, ich denke, fünfzig Dollar sind okay.” Er griff nach Zettel und Bleistift. „Mal sehen. Nehmen wir an, ich brauche ungefähr achtzehn Dollar für Stoff, drei Dollar für Reißverschlüsse und Nähgarn ... Das macht zusammen einundzwanzig Dollar. Dann vielleicht noch mal vier dazu für Knöpfe und ähnlichen Kleinkram. Bleiben noch fünfundzwanzig Dollar. Oh - deine Provision dürfen wir nicht vergessen. Bist du mit zehn Prozent einverstanden? Ich weiß, eigentlich solltest du mehr bekomme, aber wir müssen uns anfangs wohl etwas einschränken.”

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Janie fuhr auf. „Provision? Für mich? Nein, das kann ich auf keinen Fall annehmen.”

„Das mußt du aber”, antwortete Henry ruhig. „Wir müssen von Anfang an geschäftsmäßig vorgehen. Provisionen sind ein ganz normaler Kostenfaktor, der bei der Preiskalkulation mit berücksichtigt werden muß.”

„Ehrlich?” Er nickte. Janie schloß die Augen und überlegte, was sie tun sollte. Einerseits wollte sie ihn nicht kränken, indem sie sein Angebot zurückwies. Andererseits wollte sie aber auch kein `Geld dafür annehmen, daß sie ihm einen kleinen Gefallen tat. Schließlich fiel ihr ein Ausweg aus dem Dilemma ein. „Gut, wenn ich Provisionen von dir kriege, werde ich dir das Kleid bezahlen.”

„O nein”, protestierte er. „Das Kleid habe ich, dir geschenkt. Dafür nehme ich kein Geld.”

„Das mußt du.” Janie schlug ihn mit seinen eigenen Argumenten.

„Wir müssen von Anfing an geschäftsmäßig vorgehen!” „Okay, okay, du hast gewonnen.” Er grinste. „In Zukunft

mußt du deine Kleider bezahlen. Natürlich nur den Selbstkostenpreis. Wir können es von deiner Provision abziehen.” Er hob warnend den Zeigefinger. „Aber für das Kleid, das du anhast, will ich kein Geld. Wenn du es nicht geschenkt haben willst, dann betrachte es als Reklame. Du könntest sogar Gage dafür kassieren, daß du damit herumläufst.

Janie mußte lachen über die Art, wie er sich aus der Affäre zog. „Also gut. Abgemacht.”

„Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, richtig. Mit deiner Provision kostet ein Kleid also dreißig, Dollar. Bleiben noch zwanzig für mich. Zum Nähen brauche ich ungefähr drei Stunden. Das macht einen Stundenlohn von fast sieben Dollar. Stimmt's?

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„Und was ist mit der Zeit, die du am Entwurf arbeitest? Die müßtest du doch auch mit berechnen.

„Oh. Das, hätte ich fast vergessen. Er runzelte die Brauen. „So viel Gewinn ist es wohl doch nicht, was? Aber neue Entwürfe mache ich sowieso andauernd, einfach aus Spaß. Darum brauche ich es eigentlich gar nicht in Rechnung zu stellen. Und du hast wirklich zwei Aufträge für mich?”

,,Zwei richtige Aufträge!” Nachdem er es so gut aufgenommen hatte, begann Janie, sich stolz zu fühlen. „Und das ist erst der Anfang. Wenn die anderen Mädchen Brenda Hall und Christina Austin in deinen Kleidern sehen, dann werden sie alle eins haben wollen.”

„Brenda Hall ist das nicht das Mädchen mit den roten Locken? fragte Henry. „Ich war, voriges Jahr, mit ihr zusammen in einem Kurs.” Noch während er redete, begann er, ein Kleid zu skizzieren.

„Ja, genau”, antwortete Janie. „Und Christina ist blond. Die beiden sehen unheimlich gut aus und sind sehr nett.”

„Hast du, ihre Maße?” Sie schob ihm einen Zettel hin. Er warf einen kurzen Blick,

darauf und legte ihn dann in seinen Skizzenblock. „Spitze. Und jetzt erzähl mir, was du über die beiden weißt. Wie sind sie so? Was sind ihre wichtigsten Eigenschaften? Welche Vorlieben haben sie? Ich möchte mir die beiden richtig vorstellen können.”

„Ich werde es versuchen.” Janie zögerte. „Aber wozu soll das alles gut sein? Reichen denn die Maße nicht?”

Henry hob überrascht den Kopf. „Ich kann doch keine Kleider für sie entwerfen, wenn ich nichts über sie weiß.”

„Wieso Kleider, entwerten?” Janie wußte nicht, worauf er hinauswollte. „Sie haben gesagt, daß sie das gleiche Kleid haben wollen wie ich.”

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Henry ließ den Bleistift fallen und nahm Janie bei den Schultern. „Janie”, erklärte, er mit eindringlicher Stimme, „dieses Kleid habe ich für ein Mädchen entworfen, das groß und schlank ist. Eben für ein Mädchen wie dich. Christina oder Brenda würde es überhaupt nicht stehen, weil sie keine Mannequin-Figur haben. Sie brauchen etwas ganz anderes.”

„Aber sie haben ausdrücklich so ein Kleid wie dieses bestellt.”

„Das interessiert mich nicht”, antwortete er hartnäckig. „Ich werde dieses Kleid für kein Mädchen mit solchen Maßen nähen. Und seit ich es an dir gesehen habe, will ich es sowieso für niemanden mehr nähen. Dieses Modell ist ausschließlich für dich bestimmt. Für dich ganz allein!”

Auf der einen Seite fühlte Janie sich sehr geschmeichelt. Sie prägte sich jedes Wort ein, das Henry gesagt hatte, um es sich später ins Gedächtnis zurückrufen zu können. Auf der anderen Seite machte sie sich jedoch Sorgen, wie Brenda und Christina reagieren würden.

Henry schien ihre Gedanken zu erraten. „Hör zu”, sagte er, „die neuen Kleider werden deinen Freundinnen wahrscheinlich noch viel besser gefallen, weil ich sie ganz speziell auf ihre Maße und auf, ihre Persönlichkeit abstimmen werde. Sollte das aber nicht der Fall sein, dann brauchen sie sie selbstverständlich nicht zu nehmen.

Janie staunte, weiche Veränderung mit Henry vorgegangen

war. Er wirkte auf einmal viel selbstbewußter und hielt den Kopf höher. Doch während sie ihn noch bewunderte, schien sein neugewonnenes Selbstvertrauen plötzlich wieder zu schwinden.

„Was hast du?” fragte sie alarmiert. „Stimmt etwas nicht?” „Ach, vergiß alles, was wir gerade besprochen haben. Ich

kann für deine Freundinnen keine Kleider nähen. Tut mir leid.

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„Was soll das heißen? Wieso kannst du es nicht? „Ich kann eben nicht, das ist alles!” Henry holte tief Luft und

fügte dann ruhiger hinzu: „Kurz bevor du vorhin kamst, hat der Hausmeister hier hereingeschaut. Er hat nichts zu mir gesagt, aber ich weiß, daß er mißtrauisch geworden ist. Ich kann keinen Ärger riskieren, weil sonst rauskommt, was ich hier treibe. Darum kann ich den Raum nicht weiter benutzen.

„Das ist sehr schade. Es war bestimmt sehr praktisch für dich, hier zu nähen. Aber was hat das mit den Kleidern für Brenda und Christina zu tun?”

„Verstehst du denn nicht? Wo soll ich sonst arbeiten? Zu Hause? Ich kann ja nicht mal die Aktenmappe mit den Entwürfen zu Hause liegenlassen! Dauernd muß ich Angst haben, daß mein Vater mal in mein Zimmer geht und sie dort findet. Nein, sag deinen Freundinnen, daß es nicht möglich ist. Ich würde es wirklich gern machen. Aber ich darf kein Risiko eingehen.

Es tat Janie weh, die Enttäuschung auf seinem Gesicht zu sehen. Gab es denn keinen Ausweg?

Plötzlich hatte sie eine Idee. „Henry”, begann sie schüchtern, „wir haben zu Hause eine Nähmaschine. Eine ziemlich gute sogar. Sie ist noch fast neu. Du könntest bei uns arbeiten, wenn du willst.

Henrys Miene hellte sich auf,--verfinsterte sich jedoch sofort wieder. „Danke, Janie, das ist nett von dir. Aber das wäre keine Lösung. Ich würde euch im Weg sein. Deine Eltern wären bestimmt nicht damit einverstanden.”

„Doch, das wären sie sicher. Die Nähsachen sind im Keller, im Hobbyraum. Außer mir benutzt den niemand. Und mich würdest du da unten nicht stören.”

Zweifelnd schaute er sie an. „Am besten, du kommst gleich mal mit zu uns”, drängte

Janie. „Wir fragen meine Mutter, und dann werden wir ja

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sehen, was sie sagt. Wenn sie mich erst in meinem traumhaften-Henry-Braverman-Modellkleid bewundert hat, wird sie dich wahrscheinlich bitten, ihr auch ein Kleid zu nähen.”

„Wenn du wirklich meinst.” Freude und Erleichterung spiegelten sich auf seinem Gesicht. „Mensch, das wäre so super! Stell dir vor, ich bräuchte meine Sachen nicht mehr ständig durch die Gegend zu schleppen! Und ich müßte nicht ständig aufhören, wenn ich gerade erst angefangen hab. Vielleicht könnte ich auch manchmal am Wochenende bei euch arbeiten. Ich würde keinen Lärm machen”, fügte er rasch hinzu.

Selbst wenn, wär's überhaupt nicht schlimm.” Janie lachte. „Bei uns im Keller könntest du Schlagzeug üben, ohne daß es jemand stört. Los, gehen wir.”

„Warte, mir fällt da noch was ein. Hast du Lust, vorher kurz ins Einkaufszentrum mitzukommen? Du könntest mir helfen, den passenden Stoff für deine Freundinnen auszusuchen. Ich besorg mir die Sachen immer bei Fabric Mart. Die Frau, die dort bedient, ist sehr nett. Ich verdanke ihr eine Menge. Sie hat mir die unterschiedlichen Stoffarten erklärt. Außerdem hat sie mir Schnittmuster gezeigt und mir gesagt, worauf ich beim Zuschneiden und Nähen achten muß. Als ich zum ersten Mal ein Kleid fertig hatte, bin ich damit zu ihr gegangen, und sie hat mir etliche Tricks verraten, wie ich es besser machen kann. Es ist nämlich einfach, ein Kleid auf dem Papier zu entwerfen. Aber es dann wirklich zu nähen, das ist eine ganz andere Sache.

„Ich soll beim Aussuchen helfen? Aber ich verstehe nicht viel von Stoffen. Und außerdem weiß ich doch gar nicht, wie die Kleider für Christina und Brenda aussehen sollen.”

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„Keine Sorge”, versicherte Henry. „Ich werde sie dir im Bus skizzieren. Komm, machen wir uns aus dem Staub. Er griff nach seiner Tasche.

Auf dem Weg zum Bus legte er seinen freien Arm locker um Janies Schultern. Janie versuchte angestrengt, sich nicht zu verkrampfen. Verlegen wandte sie den Kopf ab und schaute in die andere Richtung. Peter hatte auch manchmal den Arm um sie gelegt, als sie noch mit ihm zusammengearbeitet hatte. Damals hatte sie es vollkommen falsch gedeutet, und sich Hoffnungen gemacht. Und als sie dann erfahren hatte, daß es gar nichts zu bedeuten gehabt hatte, war sie sich sehr dumm vorgekommen.

Henry schien sich nicht bewußt zu sein, daß er den Arm um sie gelegt hatte. Und- kurze Zeit später zog er ihn auch wieder weg.

Bei Milovan im Rose-Hill-Einkaufszentrum kriegt ihr zur Zeit Jeans, Tops und freche Jacken zu Super-Niedrigpreisen, weil dort Winterschlußverkauf ist. Und falls ihr zufällig nach Georgetown kommt, schaut unbedingt bei der Rezato-Boutique herein! Dort gibt es die neuesten Designer-Klamotten zu Januar-Sonderpreisen. Wenn ihr in einen dieser Läden geht, dann sagt auf jeden Fall, daß ihr in ”The Red and the Gold” davon erfahren habt. Unterstützt die Läden, die unsere Schülerzeitung unterstützen! Ihr werdet es nicht bereuen. Natascha Jenkins zog das Blatt aus der alten, ramponierten

Schreibmaschine und überflog den Text noch einmal. Mißmutig zog sie die Nase kraus. Sie haßte es, solche Artikel schreiben zu müssen, die nichts anderes als eine verkappte

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Form von Werbung waren. Aber die Zeitung brauchte nun einmal Anzeigen, um überleben zu können. Leider erwarteten die Kunden, die ein Inserat aufgaben, für ihr Geld auch noch eine lobende Erwähnung im redaktionellen Teil. Natascha ging es sehr gegen den Strich, in ihren Artikeln Reklame für ungesunde Hamburger und zuckrige Limonade machen zu müssen. All diese Dinge widersprachen ihrer Vorstellung von gesunder Ernährung. Doch wegen der Anzeigenkunden blieb- Natascha nichts anderes übrig, als einmal im Monat die Zähne zusammenzubeißen und ihre Reklame-Kolumne ,,Boutique Scenes for Teens” zu schreiben.

„Mensch, bist du fleißig, Natascha!” hörte sie plötzlich, eine Stimme von der Tür her. „Ich schaue dir schon eine ganze Weile zu. Toll, wie konzentriert du arbeiten kannst! Ich bewundere so etwas!”

„Oh, hi, Laurie. Na, alles klar?” Laurie spielte mit ihrem Armband aus roten und weißen

Glasperlen und seufzte dramatisch. „Nein, leider ist überhaupt nichts klar. Manchmal denke ich, ich sollte den ganzen Kram einfach hinschmeißen. Aber das wäre auch nicht richtig, oder?”

„Nein, sicher nicht”, antwortete Natascha, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Laurie hinschmeißen wollte.

„Ich wußte, daß du mich verstehen würdest! Jemand, der so tolle Artikel schreibt wie du, muß einfach verstehen. Als ich eben die Tür aufmachte und dich so konzentriert arbeiten sah, da war mir sofort klar, daß du wieder an einem deiner genialen Beiträge arbeitest. Stimmt's?”

Natascha schaute auf die Seite mit den „Boutique „Scenes for Teens”. „Nein, das kann man in diesem Fall wirklich nicht behaupten. Reine Routine-Sache, wie der überwiegende Teil der Zeitungsarbeit.”

„Aber dann kommt irgendwann die große Story und macht das alles wieder wett. Ich kenne das.” Laurie zog, sich einen

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Stuhl heran und setzte sich zu Natascha an den Schreibtisch. „Hör mal, ist es dir eigentlich schon mal passiert, daß du eine Riesenstory hattest, sie jedoch nicht schreiben durftest?”

Natascha horchte auf. Ihr journalistischer Spürsinn sagte ihr, daß Laurie nicht nur einfach so daherredete, sondern auf etwas Bestimmtes hinauswollte. „So etwas kann ab und zu vorkommen”, antwortete sie vorsichtig. „Aber wenn eine Story wirklich wichtig ist, dann bringen wir sie auch. Es müßten schon sehr gute Gründe dagegensprechen ...”

„Und wie sähe es aus, wenn der gute Ruf einflußreicher Leute auf dem Spiel stünde?”

Natascha zitierte einen Satz, den sie einmal irgendwo gelesen hatte: „Leute, die im öffentlichen Leben eine Rolle spielen, sind meistens freiwillig ins Rampenlicht getreten. Sie haben deshalb kein Recht, sich zu beklagen, wenn dadurch auch, ihre unschönen Seiten beleuchtet werden! Um welche einflußreichen Leute geht es, Laurie? Vor wem hast du Angst?”

„Ich? Ich hab keine Angst. Schließlich hab ich mir nichts vorzuwerfen.” Sie rückte näher und fuhr mit gesenkter Stimme fort:” Ich hab das Gefühl, daß ich dir vertrauen kann, Natascha. Dir, kann ich erzählen, was passiert ist.”

„Du weißt doch, daß ich alles, was ich erfahre, eventuell für die Zeitung verwende, oder?”

„Ja, ja, das ist schon okay.” Einen Moment lang erschien ein rachsüchtiger Ausdruck auf Lauries Gesicht. Er verschwand jedoch so rasch wieder, daß Natascha dachte, sie hätte es sich nur eingebildet. „Mir geht es bloß um Gerechtigkeit. Dir ist sicher bekannt, daß- ich im Schülerrat für die Veranstaltungen hier an der Schule verantwortlich bin.”

Natascha nickte. „Tja, da hab ich mir wochenlang das Hirn zermartert, wie

man die Schüler zu mehr Aktivität bewegen kann. Im Januar

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läuft hier ja überhaupt nichts. Schließlich hatte ich eine zündende Idee! Eine Modenschau von Schülern für Schüler! Nicht bloß langweilige Kleider, wie sonst immer, sondern auch sportliche Klamotten für Jungen. Ich hab einen Freund, dessen Cousin das größte Sportgeschäft der Stadt gehört, und den hab ich überreden können, für die Show Sachen zur Verfügung zustellen.” Sie stutzte. „Hast du was, Natascha?”

„Nein, nein”, sagte Natascha hastig. Ihre Überraschung mußte sich auf ihrem Gesicht gemalt haben. Laurie war also mit John Marquette befreundet! „Erzähl weiter.”

„Ich wollte dich bitten, die anderen Boutiquen und Läden zu kontaktieren, die immer in der Zeitung inserieren. Vielleicht hätten sie sich auch beteiligt. Aber dann ist es passiert! Ich kann es immer noch nicht fassen.”

„Was ist passiert, Laurie?” „Man hat mir meine Idee geklaut! Ich hab hintenherum

erfahren, daß meine Modenschau noch in diesem Monat steigen soll unter der Leitung von Woody Webster. Ausgerechnet er! Was versteht er schon von Mode?”

„Er weiß, wie man eine gute Show auf die Beine stellt”, nahm Natascha ihn in Schutz. „Die Kennedy Follies im letzten Jahr waren ein Bombenerfolg.”

Laune überhörte das. „Ich bin heute zu ihm gegangen und hab ihm meine Hilfe angeboten”, fuhr sie mit schneidender Stimme fort. „Er meinte nur, er hätte alles bestens im Griff. Daß er alles in seinem Griff hat, ist das einzige, worauf es ihm ankommt.”

„Ich verstehe das nicht. Wer ist denn der offizielle Veranstalter der Modenschau?”

„Ich nehme an, der Schülerrat. Und was das bedeutet, ist ja wohl klar. Daß nämlich der liebe Brad, seine asoziale Freundin, deren engelhafte Stiefschwester und der ganze übrige Haufen die Show kontrolliert.”

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Natascha musterte Laurie erstaunt. Schließlich gehörte sie selbst auch zu „dem Haufen”.

„Und nach deiner Idee wäre der Schülerrat nicht der offizielle Veranstalter gewesen?” fragte sie.

„Doch, das schon. Aber ich hätte die Show selbst organisiert. Schließlich war es meine Idee! Ich hatte mir auch schon ein paar witzige Werbegags einfallen lassen. Und jetzt soll ich nur als, Zuschauerin daran teilnehmen dürfen! Wenn ich überhaupt hingehe.”

Natascha klopfte rhythmisch mit dem Bleistift auf die Tischplatte. „Und warum kommst du damit ausgerechnet zu mir?” fragte sie nach einigem Nachdenken. „Ich weiß wirklich nicht, was ich für dich tun könnte. Die Zeitung berichtet natürlich immer groß über solche Schulveranstaltungen! Aber ich nehme an, du versprichst dir etwas anderes davon.”

Laurie beugte sich noch näher zu Natascha. „Ich möchte, daß du Brad Davidson verklickerst, von wem die Idee für die Show in Wirklichkeit stammt. Sag ihm, daß die Schülerzeitung nicht tatenlos zusieht, wie auf den Rechten einer Schülerin herumgetrampelt wird. Daß die Geschichte an die große Glocke gehängt wird, wenn er mir nicht die Leitung der Show überträgt!”

„Tja ...” Natascha zögerte. „Nett von dir, Laurie, daß du mich informiert hast Ich werde mir das mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und sehen, ob ich irgend etwas in Erfahrung bringen kann. Wenn es nötig ist, wird die Zeitung sich einschalten.”

Laurie packte Nataschas Arm und drückte ihn überschwenglich. „Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann”, rief sie. Sie erhob sich und wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um „Ach, übrigens, bist du verwandt mit den Jenkins von dem Buchladen?”

„Ja, das sind meine Eltern, Warum?”

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„Bisher war mir nur nie aufgegangen, daß da eine Verbindung bestehen könnte. Ich finde, in dem Laden herrscht eine so warme und freundliche Atmosphäre.”

Natascha konnte sich nicht erinnern, Laurie jemals in der Buchhandlung gesehen zu haben. Laurie Bennington war auch. gar nicht der Typ, der sich ernsthaft für Bücher interessierte.

„Mir ist gerade etwas eingefallen.” Laurie strahlte. „Vor ein paar Wochen hat mein Vater beim Abendessen erwähnt, daß er eine neue Sendung über Bücher plant. Ihm gehört ein Kabelprogramm in Washington. Wir sollten ihn vielleicht mal mit deinem Vater zusammenbringen. Wer weiß, vielleicht, ist dein Vater der ideale Typ für ein wöchentliches Bücherjournal im Fernsehen. Was meinst du?”

Im Grunde ihres Herzens war Natascha der Meinung, daß ihr Vater für vieles der ideale Mensch war, vor allem, wenn es mit Büchern zu tun hatte. „Schon möglich”, antwortete sie. „Ich weiß allerdings nicht, ob er die Idee gut finden wird.

„Natürlich wird er sie gut finden! Wer würde nicht gern ins Fernsehen kommen? Und für sein Geschäft wäre es bestimmt auch sehr förderlich.” Laune warf einen Blick auf die große Wanduhr. „Du lieber Himmel! Ist es wirklich schon so spät? Es war nett, sich mit dir zu unterhalten, Natascha. Aber jetzt muß ich los. Mein armer kleiner Sportwagen steht einsam und verlassen auf dem Parkplatz und wartet auf mich. Soll ich dich ein Stück mitnehmen?”

Natascha schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ich hab noch zu tun.” Unter anderem wollte sie so schnell wie möglich herausfinden, was es mit Lauries Geschichte auf sich hatte.

„In Ordnung. Mensch, ich bewundere deine Energie! Schade, daß die meisten Leute gar nicht zu würdigen wissen, wieviel Arbeit in so einer Zeitung steckt. Okay, dann erst mal tschüs. Und vergiß nicht, mit deinem Vater über die Fernsehshow zu reden.”

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Als, Laurie endlich draußen war, lehnte Natascha sich im Stuhl zurück. Nachdenklich kaute sie auf dem Bleistiftende herum und starrte vor sich hin. Dann gab sie sich schließlich einen Ruck und beendete den langweiligen Artikel über die Sonderangebote in den Boutiquen.

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7. KAPITEL Janie begann sich unbehaglich zu fühlen als sie mit Henry in

die Straße einbog, in der sie wohnte. Das Aussuchen und Einkaufen der Stoffe, und das Zusammensein mit Henry hatten sie so in Anspruch genommen, daß sie bisher gar nicht dazu gekommen war, sich Gedanken zu machen. Aber nun war ihr ziemlich mulmig zumute.

„Ich muß dich Vor meiner Mutter warnen”, erklärte sie unvermittelt. „Um diese Zeit ist sie meistens zu Hause.”

Henry blieb mitten auf dem Gehweg stehen und blickte Janie überrascht an. „Du hast doch gesagt, sie würde nichts dagegen haben.”

„Wie? Ach so, nein, sie wird auch nichts dagegen haben. Ich wollte dich nur vorwarnen, weil sie manchmal eine etwas merkwürdige Art hat.”

„Wieso? Was für eine Art?” „Sie wird überglücklich sein, dich zu sehen. Sie liegt mir

nämlich andauernd in den Ohren, daß ich Leute einladen soll. Anscheinend komme ich ihr nicht genug unter Menschen.” Janie verzog das Gesicht. ,,Im Moment predigt sie mir vor allem, daß ich mich mehr an Schulaktivitäten beteiligen soll. Mach doch dies mit! Melde dich für jenes an! Warum fährst du nicht mit zum Skilaufen? Warum unternimmst du nicht mehr mit anderen zusammen? Ich kann dir sagen, das nervt!”

Henry lachte. Und warum hörst du nicht auf ihre Ratschläge?”

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„Ich hab's versucht. Aber es endete jedesmal mit einer mittleren Katastrophe.” Janie seufzte. „Na, du wirst ja selbst sehen, wie sie ist.”

Mrs. Barstow war in der Küche gerade dabei, Einkäufe zu verstauen. Auf dem Tisch türmten sich Tüten, Schachteln und Konservendosen. „Hallo, Liebes”, sagte sie, als Janie hereinkam. „Das Schokoladeneis mit den Schokosplittern drin war leider ausverkauft. Deshalb hab ich einfaches Schokoladeneis genommen. Hoffentlich bist du nicht enttäuscht.”

„Ist schon okay”, sagte Janie mit lustloser Stimme. Sie hatte einmal vor Jahren eine Vorliebe für Eis mit Schokosplittern gehabt. „Du, Mom, ich hab jemanden aus der Schule mitgebracht. Dies ist Henry Braverman.”

„Hi, Mrs. Barstow.” „Hallo, Henry. Herzlich willkommen.” Janie hängte ihre Jacke an den Haken neben der Tür und

wollte gerade nach der Nähmaschine fragen, da rief ihre Mutter: „Janie! Ist das - Kleid neu? Das kenne ich ja noch gar nicht!”

„Gefällt es dir?” „Ja, es steht dir sehr gut. Wo hast du es gekauft?” Janie entschied sich, nicht lange um den heißen Brei

herumzureden. „Henry hat es genäht.” „Wirklich? Ihre Mutter war sichtlich verwirrt. „Interessant.

Woher hast du das Schnittmuster, Henry?” ,,Er hat kein. Schnittmuster benutzt”, antwortete Janie. „Er

hat das Kleid selbst entworfen. Henry ist Designer, so wie Halston oder Calvin Klein. Dieses Kleid ist ein Braverman-Original-Modell.”

„Tatsächlich? Henry, ich muß schon sagen, du hast wirklich Talent! Interessierst du dich schon lange für Modedesign?”

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Henry brachte zunächst kein Wort heraus. Janie wollte ihm schon zu Hilfe kommen, als er schließlich sagte: „Ja, ziemlich lange. Im letzten Herbst hab ich damit angefangen, meine Entwürfe in die Tat umzusetzen und selbst zu schneidern. Dieses Kleid ist das erste, mit dem ich einigermaßen zufrieden bin!”

„Nun, mit diesem Kleid kannst du auch zufrieden sein”, erklärte Mrs.

Barstow lächelnd. Man merkte ihr an, daß sie Henrys Talent guthieß.

„Wenn du mich fragst, könnte sogar jeder professionelle Modeschöpfer stolz darauf sein.. Und wie hübsch Janie darin aussieht! Wenn sich deine Begabung erst herumgesprochen hat, wirst du keine freie Minute mehr haben.”

Janie gab sich einen Ruck. „Du, Mom, deshalb kommen wir auch zu dir. Ich, wollte dich etwas fragen. Weißt du, ich hab das Kleid heute in der Schule angehabt, und zwei Mädchen haben daraufhin Kleider für sich bei Henry bestellt. Da hab ich Henry angeboten, er könnte unsere Nähmaschine benutzen. Das ist doch okay, oder?”

„Unsere Nähmaschine? Na ja, ich denke schon. Aber warum benutzt er nicht weiter die, mit der er dein Kleid genäht hat?”

„Das würde ich ja gern”, antwortete Henry. „Aber die Maschine, die ich bisher benutzt habe, steht in der Schule, im Hauswirtschaftsraum. Ich kann dort nur arbeiten, wenn niemand sonst die Maschine braucht. Ein größeres Projekt kann ich damit also schlecht in Angriff nehmen.”

„Ja, das leuchtet mir ein.” Mrs. Barstows Blick glitt von Janie zu Henry und dann wieder zurück zu Janie. „Nun, in dem fall kannst du gern mit unserer Maschine arbeiten: Laß mal sehen ... Die Bedienungsanleitung liegt in der Schublade, glaube ich. Brauchst du noch irgendwelches Zubehör? Das

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müßte eigentlich alles in dem Kasten sein, der neben der Maschine im Regal steht. Wie sieht es mit Scheren aus?”

„Danke, Mrs. Barstow, ich hab meine eigenen mitgebracht.” Gut. Unsere sind nicht mehr so scharf, wie sie eigentlich sein

sollten. Wenn du irgendwelche Probleme mit der Maschine hast, dann sag einfach Bescheid Ich helf dir gern.”

Janie umarmte ihre Mutter spontan. „Danke, Mrs. Barstow”, sagte Henry. „Das Ist sehr nett von

Ihnen.” Janie knipste das Licht an und schaute sich um. Sie sah den

Hobbyraum im Keller zum ersten Mal mit den Augen eines Fremden. Der Teppich war schmuddelig und verstaubt. Der Science-Fiction-Roman, den sie gerade las, lag aufgeschlagen neben dem geblümten Sofa auf dem Fußboden. Auf dem kleinen Tischchen daneben türmten sich weitere Science-Fiction-Bücher neben einem schmutzigen Glas und einer leeren Kartoffelchips-Tüte. An einem Ende des durchgesessenen Sofas lag Janies alter Schlafsack, den sie als Kissen, als Fußwärmer und als Kuscheldecke benutzte.

Henry schien das abgewetzte Mobiliar nicht zur Kenntnis zu nehmen. An den vollgestopften grauen Aktenschränken ihres Vaters vorbei steuerte er geradewegs auf die Nähecke zu. Die Nähmaschine war in einen Schrank eingebaut. Der alte Eßtisch daneben bot genügend Platz zum Ausbreiten und Zuschneidender Stoffe. Und es gab sogar eine Schneiderpuppe aus Draht. Auf einem niedrigen Bücherregal stapelten sich zahlreiche Schnittmuster, alte und zerrissene Kleidungsstücke zum Flicken und Ändern sowie allerlei Krimskrams. Janie erschien das alles plötzlich ziemlich trist.

„Ist der Raum okay so?” fragte sie. „Wir können die Sachen auch umstellen, wenn du willst.”

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„Okay? Es ist super! Genau das, was ich mir erträumt habe!” Er wart das Paket mit den neuen Stoffen auf den Tisch, faßte Janie um die Taille und wirbelte sie ausgelassen herum.

„Hör auf!” rief Janie lachend. „Mir, wird schwindlig.” „Oh, tut mir leid”, murmelte er und ließ sie los. Dann trat er,

einen Schritt zurück. „Meine Begeisterung ist mit mir durchgegangen.”

Janie wurde schrecklich. verlegen und bekam ein knallrotes Gesicht. Sie senkte den Blick und wandte sich ab.

„Wow, wie die Zeit vergeht! Ich mach mich jetzt lieber an die Arbeit, sonst schaffe ich heute nichts mehr. Hast du Lust, mir zu helfen?”

„Helfen? Wie denn? Ich hab vom Nähen keine Ahnung.” „Macht nichts. Ich sag dir schon, was du machen mußt.” Er

nahm das Seidenpapier, das er besorgt hatte, und strich es sorgfältig, glatt. Dann schnitt er ein Stück von etwa zweieinhalb Metern Länge ab.

„Wozu ist das?” -wollte Janie wissen. „Wir müssen alles genau planen, ehe wir den Stoff

zuschneiden”, erklärte Henry. „Als erstes machen wir eine Art Schnittmuster.” Er nahm das Blatt, auf dem er das Kleid für Christina skizziert hatte, und heftete es über der Nähmaschine an die Wand.

„Und ich dachte, du brauchst das Seidenpapier zum Einwickeln der fertigen Kleider”, gestand Janie.

„Nein, dafür benutzt man viel weicheres Seidenpapier.” Er zog einen Bleistift aus der Tasche und zeichnete die einzelnen Teile des Kleides in Originalgröße auf das Papier. Während er arbeitete, erläuterte er Janie, was die unterschiedlichen Teile waren und wie er sie zusammenfügen würde. Es war ziemlich kompliziert, und irgendwann hörte Janie nur noch mit halbem Ohr hin. Sie war zufrieden damit, neben Henry zu stehen und das Papier festzuhalten, auf dem er zeichnete. Zum ersten Mal

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seit langer Zeit hatte sie das Gefühl, nützlich und wichtig zu sein.

„Ist das schon alles?” fragte sie, als Henry den Bleistift

weglegte und zur Schere griff. „Noch lange nicht!” Er zog eine Grimasse und lachte. „Nein,

wenn ich die Teile ausgeschnitten habe, werde ich sie an der Schneiderpuppe zusammenstecken. Dadurch merke ich, was für Fehler ich gemacht habe. Normalerweise sind es an die acht. Die versuche ich zu korrigieren. Dann hefte ich die Teile nochmal, zusammen, und es zeigen sich weitere Fehler. Wenn ich Glück habe, gelingt es mir alle zu entdecken, ehe ich den Stoff zuschneide. Siehst du, deshalb arbeite ich zuerst mit Papier. Papier ist nämlich wesentlich billiger als Stoff.”

„Janie?” rief ihre Mutter von oben. „Kannst du einen Moment hochkommen?”

Janie und Henry wechselten einen besorgten Blick. Hatte Mrs. Barstow es sich etwa anders überlegt? Wollte sie nun doch nicht, daß Henry ihre Nähmaschine benutzte?

„Ich komme”, antwortete Janie nervös. Aber Mrs. Barstow hatte lediglich ein Tablett mit Kaffee und

Keksen vorbereitet. „Was meinst du? Ob Henry Lust hat, zum Abendessen zu bleiben?” fragte sie augenzwinkernd. „Dein Vater hat heute abend noch überraschend einen Termin und ißt deshalb in der Stadt. Es ist also reichlich Essen da.”

„Ich weiß nicht”, antwortete Janie zweifelnd. „Aber ich kann ihn ja mal fragen.”

Henry blickte auf, als Janie das Tablett hinstellte. „Hey, super! Genau das kann ich jetzt brauchen. Ich hab heute nämlich das Mittagessen ausfallen lassen. Oh, vorsichtig!” Er zog rasch das Seidenpapier beiseite, das Janie beinahe mit Kaffee bekleckert hatte. Sie reichte ihm einen dampfenden Becher und ließ sich dann auf dem Sofa nieder.

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Henry steckte sich einen Keks in den Mund und setzte sich zu ihr auf die Sofalehne. „Ich finde deine Mutter ganz nett”, sagte er. Janie runzelte die Stirn, erwiderte jedoch nichts. „Immerhin möchte sie, daß du glücklich bist”, fuhr Henry fort. „Ich wünschte, mein Vater wäre auch so. Ihm ist es völlig gleichgültig, ob ich glücklich bin oder nicht. Es kommt ihm nur darauf an, daß ich die Familientradition fortsetze und genauso eine Sportskanone werde wie er.”

Janie horchte auf. „Die Familientradition? Wieso?” „Weißt du denn nicht, wer mein Vater ist? „Doch. Henry Braverman senior. Das hat er mir schließlich

selbst gesagt.” „Er ist der Football-Trainer des Rose Hill State College. Und

früher als Student hat es seine Mannschaft fast bis zu den amerikanischen Meisterschaften gebracht. Das erzählt er noch heute voller Stolz überall herum.”

„Soll das heißen, er erwartet von dir, daß du ebenfalls Football machst?”,

Henry winkte ab. „Nein, so größenwahnsinnig ist er nun auch wieder nicht. Er weiß, daß ich dafür nicht die Statur habe. Aber er will, daß ich in einer anderen Sportart glänze. Da läßt er nicht locker.”

Janie dachte an ihre kurze Begegnung mit Mr. Braverman zurück. „Du meinst im Basketball?”

Henry wurde rot. „Genau. Im letzten Jahr hab ich ihm vorgeschwindelt, ich trainiere Geländelauf. Das funktionierte prima. Er konnte nie nachprüfen, wo ich gerade war. Zum Glück hat es ihn auch nie besonders gereizt, am Wochenende zuzusehen, wie eine Horde Jungen durch die Landschaft joggt. Aber im letzten Herbst hat er verlangt, ich sollte mir endlich einen richtigen Mannschaftssport suchen. Er meinte, ich müßte lernen, was Teamgeist bedeutet. Deshalb hab ich ihm erzählt, ich ginge zum Basketball-Training.”

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„Und das glaubt er dir?” „Na klar. Warum nicht? Ich würde bestimmt in die

Basketball-Mannschaft aufgenommen, wenn ich wollte. Aber ich will nicht. Meinem Vater kann ich das nur leider nicht klarmachen.”

„Wird er nicht eines Tages dahinterkommen, daß alles Schwindel ist? Was passiert, wenn er dir mal beim Spielen zusehen will? Oder wenn er zufällig mit einem aus der Mannschaft redet?”

Henry zuckte die Achseln. „Bisher habe ich immer Glück gehabt. Keine Ahnung, was ich machen soll, wenn er es entdeckt.”

Als Brenda am Montag in der großen Pause in die

Schulcafeteria kam, saß Peter schon am Tisch der Clique. Er hatte die Kopfhörer seines Walkman auf und hörte mit geschlossenen Augen Musik. Dazu schnippte er mit den Fingern den Takt des Songs.

Brenda nahm ihm gegenüber Platz und versuchte zu erraten, welches Stück er hörte. Doch nach einigen Takten gab sie auf. Sie rührte ihren Fruchtjoghurt um und holte dann ihr Spiralheft aus der Tasche, in dem sie sich immer notierte, was sie noch alles zu erledigen hatte. Woody hatte ihr von seiner Idee mit der Modenschau erzählt und sie gebeten, ihm bei der Organisation zu helfen. Brenda hatte sich sehr geschmeichelt gefühlt. Erst allmählich war sie dahintergekommen, wieviel Arbeit sie sich aufgehalst hatte.

An diesem Tag hatte sie jede freie Minute damit verbracht, Boutiquen und Geschäfte anzurufen und zu fragen, ob sie für die Modenschau Klamotten zur Verfügung stellten. Von insgesamt vierzehn Läden hatten sich bisher nur drei zu einer

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Zusammenarbeit bereit erklärt. Brenda setzte mit dem Filzstift Sternchen vor die Namen der Läden, die zugesagt hatten, und kleine Pfeile vor diejenigen, die sie noch einmal anrufen mußte. Mrs. Monick, die Hauswirtschaftslehrerin, hatte ihr außerdem ein halbes Dutzend Schülerinnen genannt, die selbst Sachen entwarfen und schneiderten. Drei dieser Mädchen hatte Brenda auch schon angesprochen, und sie hatten alle sofort eingewilligt, bei der Show mitzumachen. Die anderen drei waren in Mrs. Monicks Vierzehn-Uhr-Kurs. Brenda nahm sich vor, sie am Ende der Stunde abzufangen und mit ihnen zu reden.

„Liebes Tagebuch”, sagte eine vertraute Stimme. „Habe heute in der Pause mit einem wahnsinnig gutaussehenden Diskjockey am Tisch gesessen. Habe allerdings kein einziges Wort mit ihm gewechselt und ihn auch kein einziges Mal angesehen.”

„Hi, Peter”, antwortete Brenda, ohne von ihrem Spiralheft aufzuschauen.

„In Sachen Modenschau aktiv?” „,Genau. Immer wenn ich denke, daß ich ein Problem gelöst

habe, tauchen drei neue auf. Hoffentlich ist Woody mit seinen Hausaufgaben besser zurechtgekommen.”

„Hausaufgaben?” hörte sie Woodys Stimme hinter sich. „Oh, es tut mir leid, Frau Lehrerin. Ich hab sie zwar brav gemacht, aber dann kam mein böser Hund und hat alles aufgefressen.” Er ließ sich auf den freien Stuhl neben Brenda fallen. „Puh”, sagte er. „Ich bin völlig geschafft. Ihr glaubt ja nicht, wie schwer es ist, Jungen zum Mitmachen bei einer Modenschau zu bewegen. Die tun gerade so, als würde ich sie bitten, sich als Versuchskaninchen für angehende Zahnärzte zur Verfügung zu stellen.”

Brenda lächelte. Mit den Mädchen war es umgekehrt. Die wollten am liebsten alle auf den Laufsteg, und Brenda hatte

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mehr Bewerberinnen, als sie brauchen konnte... „Da kommen Ted und Christina. Frag ihn doch mal.

„Hab ich längst. Er wollte erst auch nicht, aber Christina hat es nicht zugelassen.”

„Ich kann mir denken, worüber ihr redet”, brummte Ted und rückte für Christina und sich, zwei Stühle zurecht. „Ich warne dich, Woody Webster! Wenn ich mit einer Krawatte auf dem Laufsteg erscheinen muß, dann werde ich dich hinterher eigenhändig damit erwürgen.”

Woody ging hinter Brenda in Deckung. „Rette mich vor diesem Rohling”, flehte er mit hoher Piepsstimme.

Brenda schob ihn, lachend weg. „Komm schon, Woody, reiß dich zusammen. Bist du ein Junge oder eine ängstliche Maus?”

Als Antwort zog Woody die Nase kraus, zuckte mit der Oberlippe und schnappte nach Brendas Käsesandwich. Natürlich erntete er dafür schallendes Gelächter. „Hast du Peter schon gefragt, ob er sich um die Musik kümmert” sagte er schließlich.

„Das steht erst zwei Seiten weiter auf meiner Liste”, erklärte. Brenda.

„Aber warum fragst du ihn nicht selbst? Er sitzt ja direkt vor dir.” Peter?” Woody grinste.

„Yeah, man?” „Musik für die Show?” „Yeah, man, alles klar”, erwiderte Peter mit seiner

übertriebensten Diskjockey-Stimme. „Siehst du?” wandte Woody sich an Brenda. „Wenn ich

mich darum kümmere, läuft es sofort.” Janie warf im Umkleideraum einen letzten prüfenden Blick

in den Spiegel. Am Freitag hatte sie Christina und Brenda angekündigt, daß die Kleider am Montag fertig sein würden. Und das waren sie auch. Sorgfältig in eine Plastiktüte verpackt,

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lagen sie vor Janies Füßen auf dem Boden. Janie hätte sie den Mädchen auch bereits am Vormittag in einer der kurzen Pausen geben können. Aber das war ihr irgendwie zu lieblos erschienen. Immerhin waren Brenda und Christina Henrys erste Kundinnen. Die feierliche Übergabe sollte darum in der großen Pause stattfinden und zu einem richtigen Ereignis werden. Dazu wollte Janie selbst so gut wie irgend möglich aussehen.

Sie erkannte das Mädchen im Spiegel kaum wieder. Das lag zum einen an der ungewohnten Frisur. Henry hatte ihr vorgeschlagen, es diesmal mit einem französischen Zopf zu versuchen. Janie hatte mindestens ein Dutzend Anläufe genommen, bis es ihr gelungen war, die Haarsträhnen sauber und gleichmäßig einzuflechten.

Dabei sollte es nur eine Übergangslösung sein. Henry hatte nämlich sehr genaue Vorstellungen davon, wie sie sich die Haare schneiden lassen sollte. Als er ihr angeboten hatte, mit zum Friseur zu kommen und dort die Anweisungen zu geben, hatte Janie sofort zum Telefon gegriffen, um nach einem Termin zu fragen. Sie war ganz enttäuscht gewesen, weil erst am Mittwochnachmittag etwas frei war.

Henry hatte sich auch die Zeit genommen, Janies Kleiderschrank durchzugehen. Sie konnte schließlich nicht jeden Tag in dem neuen Kleid herumlaufen. Als Janie ihre Klamotten mit Henrys Augen gesehen hatte, wäre sie am liebsten im Boden versunken. Ihr wurde schlagartig bewußt, was ihr vorher nie aufgefallen war! Die meisten Sachen, die sie besaß, wirkten unförmig und langweilig. Wie hatte sie sich nur freiwillig so anziehen können?

Henry hatte vier oder fünf Kombinationen zusammengestellt, die etwas Flair hatten. Eine davon trug Janie an diesem Tag! Blue Jeans, eine weiße Bluse und darüber einen weiten Lambswool-Pullover, den sie ihrem Vater stibitzt

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hatte. Henry hatte ihr gezeigt, wie sie den Gürtel tragen mußte, damit der Pulli Form bekam.

Janie nickte zufrieden. Das Mädchen im Spiegel achtete ganz offensichtlich auf sein Äußeres. Es hatte ein interessantes Gesicht und wirkte anziehend. Gut gelaunt griff Janie nach der Plastiktüte mit den. Kleidern und machte sich auf den Weg in die Cafeteria.

Statt sich in die Schlange zu stellen, drängte sie sich geradewegs zudem Tisch durch, an dem die Clique saß. Das Essen würde warten müssen. Sie hatte jetzt Wichtigeres vor. Diesmal bemerkte Peter sie als erster. Er winkte, und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Janie lächelte und winkte zurück.

Einige der anderen drehten sich um und nickten ihr freundlich zu. Dann wandten sie sich wieder ihrer Unterhaltung zu, so als sei Janies Auftauchen das Selbstverständlichste von der Welt. Früher hätte Janie sich dadurch verletzt und ausgestoßen gefühlt. Sie wäre verlegen am Tisch vorbeigegangen und hätte es nie im Leben gewagt, sich ohne besondere Aufforderung dazuzusetzen. Inzwischen wußte sie, daß das Verhalten der anderen keine Zurückweisung bedeutete, sondern nur zeigte, daß sie Janie akzeptierten. Für sie gehörte Janie mit zur Clique.

Aber einer nahm doch besondere Notiz von Janie, und das war Peter. Er schob ihr mit dem Fuß den freien Stuhl hin, der neben ihm stand. „Hi, Janie”, sagte er, als sie sich setzte. „Na, wie geht's? Alles klar?”

„Alles klar. Und bei dir?” Er schnitt eine Grimasse. ”Ich stehe dermaßen unter Dampf,

daß ich beinahe explodiere. Wenn ich nicht bald wieder auf Sendung gehen darf, geschieht noch ein Unglück.”

Janie mußte an die Zeit denken, als sie Peter geholfen hatte. Er war ständig in Bewegung gewesen, hatte fast

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ununterbrochen geredet, war zwischen Sendestudio und Plattenarchiv hin- und hergetanzt und hatte selbst am Sendepult nicht eine Minute stillsitzen können. Nach der Sendung war Janie allein schon vom Zuschauen völlig geschafft gewesen, während Peter frisch und munter wirkte.

„Es wird doch nicht mehr lange dauern, oder?” fragte sie mitfühlend.

„Keine Ahnung, wie- lange diese Möchtegerntechniker noch brauchen.”. Er zögerte und schaute sie nachdenklich an. „Mir würde das Warten wesentlich leichter fallen, wenn ich wüßte, daß du nach dieser Zwangspause wieder mitmachst. Wir brauchen dich echt, Mädchen. Du warst der ruhende Pol in diesem Chaos-Studio. Wenn du willst, zeig ich dir, wie man das Sendepult bedient. Dann könntest du deine eigene Sendung machen. Ist ein irres Gefühl, über den Äther zu gehen. Na, was meinst du?

Janie gab ihm dieselbe Antwort wie beim letzten mal. Der Unterschied war nur,, daß sie diesmal nicht schwindelte, sondern die Wahrheit sagte. „Tut mir leid, Peter, aber ich hab einfach keine Zeit.”

„Oh.” Er nickte langsam. „Okay. Aber denk daran, du kannst den Job jederzeit haben.”

„Danke, Peter.” Es machte Janie Kummer, seine Enttäuschung zu sehen, und sie wandte sich rasch ab.

Als sie bemerkte, daß Christina sie ansah, winkte sie, „Hi!” „Hi”, antwortete Christina und ging um den Tisch herum zu

ihr. Sie deutete aufgeregt auf die Plastiktüte, die Janie auf dem Schoß hielt. „Ist das ...?”

„Mensch, klar!” rief Janie. „Ich hätte es als allererstes machen sollen! Hier.” Sie nahm die Tüte und ging zum Fenster. Christina und Brenda folgten ihr.

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Nervös beobachtete Janie, wie die beiden Mädchen die Tüte öffneten und gespannt einen Blick hinein warfen. Auf Ihren Mienen spiegelte sich erst Verwirrung, dann Enttäuschung.

„Was ist los?” fragte Janie besorgt. „Ich dachte, wir bekommen genau so ein Kleid wie du”,

antwortete Brenda. Aber die hier haben nicht mal die richtige Farbe. Ich verstehe das nicht.”

Janie holte tief Luft. „Mein Kleid hätte nicht zu euch gepaßt, weil ihr eine andere Figur habt und auch vom Typ her völlig anders seid.”

„Ja, aber...” Janie redete weiter. „Meine Freundin hat für euch Kleider

entworfen, die in Form und Farbe speziell auf euren Typ zugeschnitten sind. Wenn sie euch nicht, gefallen, dann braucht ihr sie natürlich nicht zu nehmen. Aber probiert sie wenigstens mal an, bevor ihr euch entscheidet.”

Christina blickte Brenda zweifelnd an. „Weißt du, Brenda”, sagte sie dann.” Das Grün würde dein Haar bestimmt toll zur Geltung bringen!”

„Hmm ... Kann schon sein. Und das Blau hier paßt genau zum Blau deiner Augen. Ich wette, das Kleid würde dir irre gut stehen.”

Sie hielten die beiden Kleider in die Höhe und musterten sie kritisch. Dabei wurden ihre Gesichter immer länger. Janie konnte das nachempfinden. Auf den ersten Blick wirkten die Kreationen einfach und langweilig, so wie ihr eigenes Kleid, wenn es auf dem Bügel hing. Aber Janie wußte, wie sie Abhilfe schaffen konnte.

„Los, kommt mit”, sagte sie und nahm Brenda und Christina beim Arm. „Gehen wir in den Waschraum. Sagt noch nichts, ehe ihr sie nicht anprobiert habt.”

Brenda und Christina schienen von der Idee nicht besonders begeistert zu sein, ließen sich aber mitziehen.

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Christinas Kleid war leuchtend blau und paßte zu ihrem klassisch schönen Gesicht ebenso wie zu ihrem leicht konservativen Stil. Durch den eckigen Rückenausschnitt, die enge Taille und den etwas ausgestellten Rock wirkte es zeitlos. Seinen Pfiff erhielt es durch modische Akzente wie die weiten, bis zu den Ellbogen lose aufgerollten Ärmel und kleine blaue Glitzersteinchen rund um den Ausschnitt.

Für Brenda hatte Henry ein etwas frecheres Kleid entworfen. Es bestand aus zwei Teilen und war in einem gedeckten Grüngehalten, das wundervoll zu Brendas roten Haaren paßte. Der Rock reichte bis knapp zu den Knien und war gerade geschnitten. Das Oberteil hatte extrem breite Schultern und wurde zur Taille hin immer enger, so daß eine Dreieck-Form entstand, die sich im breiten V-Ausschnitt wiederholte.

Janie half den Mädchen in die Kleider, zog die Reißverschlüsse zu und zupfte alles noch ein bißchen zurecht. Beide Modelle saßen wie angegossen.

Als Christina und Brenda in den Spiegel schauten, waren ihre Zweifel schlagartig verflogen! Sie bedankten sich überschwenglich bei Janie und bezahlten sofort. Christina fragte sogar, ob sie noch ein weiteres Kleid bestellen könnte, wenn sie wieder Geld hätte.

Zwischendurch kamen viele Mädchen in den Waschraum. Einige blieben stehen, um bei der Anprobe zuzuschauen und Kommentare zu den Kleidern abzugeben. Immer wieder kam die Frage, aus welcher Boutique sie stammten.

Als Janie schließlich wieder in die Cafeteria zurückkehrte, hatte sie ein paar neue Aufträge für Henry in der Tasche. Sie hatte sich bei jedem Mädchen sorgfältig die Maße aufgeschrieben und nach Lieblingsfarben, Hobbys und Interessen gefragt. Sie wußte, daß Henry diese Angaben brauchte und daß er sich danach erkundigen würde.

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Auch Natascha Jenkins hatte ein Kleid bestellt. Dabei hatte Janie zu ihrem eigenen Erstaunen bemerkt, daß sie sich in Nataschas Gegenwart überhaupt nicht mehr unbehaglich fühlte. Im Gegenteil, sie konnte jetzt gar nicht mehr verstehen, wieso sie sich durch ein so nettes und freundliches, Mädchen wie Natascha eingeschüchtert gefühlt hatte. Ja nie hätte sich gern länger mit ihr unterhalten. Aber Natascha hatte nur kurz ihre Maße angegeben und war dann sofort wieder verschwunden. Irgendwie kam es Janie so vor, als habe das etwas mit der Anwesenheit von Brenda und Christina zu tun gehabt. Sie konnte sich das nicht recht erklären, denn die drei Mädchen waren doch dicke Freundinnen.

Ehe sie sich wieder zu den anderen an den Tisch setzten, nahm Brenda Janie beiseite. „Hast du schon von der Modenschau gehört, die nächste Woche steigen soll?” fragte sie. Janie schüttelte den Kopf.

„Es sollen Klamotten aus Läden gezeigt werden und Sachen, die von Schülern entworfen wurden”, erklärte Brenda. „Ich suche noch ein paar Leute, die mitmachen. Hättest du nicht Lust, dein tolles Kleid vorzuführen? Ich werde Christina fragen, ob sie ebenfalls bereit ist, ihres zu präsentieren. Deine Freundin hat doch sicher nichts dagegen, wenn wir ihre Modelle zeigen, oder? Wer ist sie eigentlich?”

Janie hatte schon lange mit dieser Frage gerechnet und sich darauf vorbereitet. „Sie möchte nicht, daß jemand ihren Namen erfährt”, sagte sie. „Sie hat nämlich zu Hause Probleme mit ihrer Familie.”

„Oh. Die große Unbekannte also. Na gut. Aber du machst doch bei der Show mit, oder?”

Janie nickte und wunderte sich dabei insgeheim über sich selbst. Sie, Janie Barstow, die totale Außenseiterin, würde als Mannequin über den Laufsteg stolzieren! Verrückt!

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„Super”, sagte Brenda. Doch dann seufzte sie. „Wenn ich die Jungs doch auch so einfach dazu bringen könnte, mitzumachen! Mir sind acht bis zehn tolle Outfits für sie versprochen worden. Aber ich hab praktisch niemanden, der sie vorführt. Die Typen wollen sich die Show zwar ansehen, aber auf keinen Fall selbst daran teilnehmen. Ich glaube, sie fürchten um ihren Ruf als ganzer Kerl.

„Dann dreh es doch so hin, daß es Ehrensache ist, mitzumachen”, antwortete Janie. Sie kam sich etwas kühn vor, weil sie jemandem wie Brenda Hall einen Rat gab. Doch Brenda schien das ganz normal zu finden.

„Gute Idee. Sie überlegte. „Aber wie stelle ich das an?” Janie dachte daran, was Henry ihr vor kurzem über, Sportler

und Prestige erzählt hatte. „Tu so, als dürften nur die absoluten Spitzensportler der Schule auf den Laufsteg! Such dir von jeder Sportart einen heraus und frag ihn, ob er mitmachen will. Auf die Art wird es eine Ehre sein, in der Show aufzutreten. Ich wette, dann lehnt niemand ab.”

Man sah förmlich, wie es in Brendas Kopf arbeitete. „Toll!”, rief sie schließlich. „Ich glaube, das Ist es! Klar, wir wenden uns an die großen Stars aus jeder Mannschaft. Aus dem Football-Team haben wir ja bereits Ted.” Sie blickte sich suchend um. „Wo ist Woody? Ich muß ihm unbedingt von deiner genialen Idee erzählen. Du, Janie, tausend Dank! Dein Einfall ist Gold wert. Und vielen Dank an deine Freundin für das irre Kleid!”

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8. KAPITEL Natascha eilte den Flur entlang, einen Stenoblock in der

Hand. Sie versuchte, geschäftig und selbstsicher zu wirken, doch in Wirklichkeit kam sie sich vor wie eine Verräterin Bisher hatte sie es nicht über sich gebracht, Brenda oder Christina von Laurie Benningtons Vorwürfen zu erzählen.

Sie hatte Angst, von den beiden für verrückt erklärt zu werden, weil sie auf jemanden wie Laurie hörte. Noch mehr fürchtete sie allerdings, daß sich Lauries Version der Geschichte als wahr herausstellen könnte. Wenn das geschah, würde sie in „The Red and the Gold” darüber berichten müssen. Ihr Vater hatte ihr einmal gesagt, als gute Journalistin könne sie mit ihren Feinden nachsichtig sein, aber ihre Freunde dürfe sie darum nicht schonen.

Die Tür zum Büro des Schülerrates stand sperrangelweit offen. Natascha gab sich einen Ruck, klopfte an und ging hinein. Am Haken neben der Tür bemerkte sie Brads Tweedjackett, sorgfältig auf einen Bügel gehängt. Brad selbst saß an einem großen Klapptisch, der als Schreibtisch diente. Er war in einen Aktenordner vertieft, einen Kugelschreiber in der Hand. Sein Kragen war offen, und er hatte die Ärmel seines blau-weiß gestreiften Hemdes aufgekrempelt. Er wirkte abgespannt und schien über die Störung nicht besonders erfreut zu sein.

„Brad?” begann Natascha zögernd. „Kann ich dich einen Augenblick sprechen?”

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„Klar!”, antwortete er. „Vorausgesetzt allerdings, du meinst wirklich nur einen Augenblick. Ich bin nämlich im Moment schrecklich in Eile, weil ich bis zur Schülerratssitzung am Donnerstag die ganzen Sachen hier noch durcharbeiten muß. Worum geht's denn?”

„Ich möchte mich mit dir kurz über die geplante Modenschau unterhalten.”

„Ja, sie soll morgen in einer Woche stattfinden. Bist du enttäuscht, daß wir die Schülerzeitung nicht früher darüber informiert haben? Das tut mir echt leid. Aber wir haben erst Ende letzter Woche endgültig grünes Licht dafür bekommen. Ich war anfangs ziemlich dagegen, weil ich dachte, daß sich hier an der Schule kaum jemand für Modenschauen interessiert. Aber ich hab mich von den Initiatoren der Show überzeugen lassen.”

„Den Initiatoren?” fragte Natascha so unbeteiligt wie möglich.

„Ich sollte wohl eher von einem Initiator sprechen.” Brad legte seinen Kugelschreiber hin. „Woody hat sich das Ganze ausgedacht und in Gang gebracht. Soweit ich gehört habe, organisiert er die Show jetzt aber mit Brenda zusammen.”

Eine Spur von Bitterkeit schwang in Brads Stimme mit. Offensichtlich gab er Woody immer noch einen Teil der Schuld daran, daß Brenda sich von ihm getrennt hatte. Woody hatte sie damals überredet, bei den Kennedy Follies einer bunten Show aus Gesang und Tanz mitzumachen. Dadurch hatte es die ersten Unstimmigkeiten zwischen Brad und Brenda gegeben, und Brenda hatte sich dann plötzlich in Greg Neill verliebt.

Nachdem er über den Schock hinweggekommen war, hatte, Brad sich mit Sarah zusammengetan. Seitdem hatte er auch wieder ein besseres Verhältnis zu Brenda. Auf Woody war er trotzdem noch schlecht zusprechen.

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„Stammt die Idee zu der Modenschau ursprünglich von Woody? Oder hat er sie von jemand anders?”

Brad zuckte die Achseln. „Ich glaub, es ist seine Idee. Er hat jedenfalls nichts Gegenteiliges verlauten lassen. Soweit ich weiß, hat er sich mit ein paar anderen Schülern zusammengesetzt, um, neue Projekte auszutüfteln. Aber ob es dabei auch um die Modenschau gegangen ist, kann ich dir nicht sagen.”

„Und du hast ihm die Leitung übertragen, weil du annahmst, es sei seine Idee. Ist das richtig?”

Brad setzte sich aufrecht hin und blickte Natascha prüfend an. „Ich hab ihm nicht die Leitung übertragen”, erklärte er mit Nachdruck. „Ich hab ihm lediglich die Unterstützung des Schülerrates zugesichert. Die Frage, wessen Idee diese Modenschau war, stand überhaupt nicht zur Debatte. Woody hat mir die Idee unterbreitet und mich davon überzeugt, daß es sich um eine unterstützenswerte Sache handelt. Daraufhin hab ich mein Okay dazu gegeben. Das ist alles. Komm schon, Natascha. Was sollen all diese Fragen? Du willst doch auf etwas Bestimmtes hinaus.”

„Mir ist da so ein Gerücht über die Modenschau zu Ohren gekommen. Ursprünglich soll die Idee von einer anderen Person stammen. Die Idee wurde geklaut, und dann soll die Leitung der Show durch Cliquenwirtschaft und Kumelei Woody zugeschustert worden sein. Ich versuche herauszufinden, was wirklich passiert ist.”

Brads Miene wurde abweisend. „Dieser Vorwurf ist einfach absurd”, sagte er. Seine Stimme klang schneidend. „Ich für meinen Teil hab niemandem eine Idee geklaut, und ich wüßte auch nicht, wer sonst so etwas tun sollte! So neu ist die Idee außerdem gar nicht. An unserer Schule hat es eine Modenschau vielleicht noch nicht gegeben. Aber andere High Schools veranstalten so etwas regelmäßig ein- oder zweimal im Jahr.”

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Er griff wieder nach seinem Kugelschreiber. „Das ist alles, was ich dir zu der Angelegenheit sagen kann. Wenn das nicht genügt, mußt du dich an andere wenden, die vielleicht besser informiert sind als ich.”

Natascha spürte, daß das Thema damit für ihn erledigt war. „Okay, dann erst mal vielen Dank.” Sie erhob sich. „Wenn ich noch weitere Fragen habe, melde ich mich bei dir.”

Als Natascha die Redaktion der Schülerzeitung betrat, hörte

sie neben sich eine Stimme, die ihr nur allzu gut bekannt war. „Hallo, Jenkins! Na, wie geht's meiner kleinen

Lieblingsbiene?” Sie wich zurück, als sie seinen Atem in ihrem Nacken spürte.

„Hör zu, Marquette”, begann sie empört, „wie oft soll ich dir noch sagen, ...” Sie brach ab, als sie merkte, daß noch jemand im Raum war. Laurie hatte es sich auf Nataschas Stuhl am Schreibtisch bequem gemacht und sah die Blätter durch, die auf dem Tisch lagen.

„Hallo, Natascha”, sagte sie honigsüß. „Ich bin kurz vorbeigekommen, um zu fragen, ob ich dir bei der Modenschau-Story noch irgendwie helfen kann. Ich hab mich gewundert, daß noch nichts in der neuen Ausgabe gestanden hat.”

Natascha trat näher und baute sich demonstrativ vor Laurie auf. Laurie verstand und räumte Nataschas Stuhl.

„Ich hab noch nicht zu Ende recherchiert”, erklärte Natascha ruhig und nahm am Schreibtisch Platz.

„Ich hab mir schon gedacht, daß du noch daran arbeitest. Du bist ja immer so wahnsinnig sorgfältig mit deinen Artikeln. Tut mir leid, daß ich dich mit der Geschichte behelligt habe und daß du dich jetzt so abmühen mußt. Ich will dich auch nicht drängen. Aber es bleibt nicht mehr viel Zeit. Die nächste Nummer ist die letzte Ausgabe vor dieser Modenschau!”

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„Wir werden sehen.”, Natascha hätte es am liebsten dabei belassen, aber ihr Pflichtgefühl war stärker. „Vielleicht kannst du mir noch ein oder zwei Fragen beantworten, Laurie. Du hast gesagt, jemand hat dir die Idee geklaut. Wie konnte das passieren?”

„Ich fürchte, ich bin einfach zu naiv und vertrauensselig gewesen.” Laune stützte sich lässig auf dem Schreibtisch ab und machte mit der anderen Hand eine weit ausholende Bewegung. Marquette, der neben ihr stand, verschlang sie förmlich mit seinen Blicken und leckte sich die Lippen.

„Weißt du”, fuhr Laurie fort, „ich brauchte ein paar Tips wegen der Beleuchtung. Darum bin ich zu Woody Webster gegangen und habe ihn um Rat gefragt.”

„Dieser Clown”, brummte Marquette. „Dem werde ich sein dämliches Grinsen schon austreiben.”

„Sei ruhig, John”, sagte Laurie. Dann wandte sie sich wieder an Natascha. „Ich fand, daß Woody ein bißchen eigenartig reagierte. Aber der Typ verhält sich ohnehin immer reichlich merkwürdig. Habe ich recht? Als nächstes habe ich dann plötzlich überall gehört, daß Woody eine Modenschau organisiert, zusammen mit seiner Freundin Brenda Hall. Natürlich bin ich sofort zu Woody gegangen und habe ihn zur Rede gestellt. Er meinte nur ganz flapsig, er wisse nicht, wovon ich rede. Da habe ich beschlossen, mit der Sache zu dir zu kommen.”

Natascha trommelte mit dem Bleistift auf dem Tisch herum. „War irgend jemand dabei, als du Woody von deiner Idee erzählt hast?”

„Nein, niemand.” „Hmm. Dann steht also Aussage gegen Aussage. Tut mir

leid, Laurie, wenn das so ist, kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen.”

„Und was wäre, wenn ich einen Zeugen hätte?”

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„Einen Zeugen? Aber du hast doch gerade gesagt, es wäre niemand dabeigewesen.”

„Bei meinem Gespräch mit, Woody war auch niemand dabei”, erklärte Laurie ungeduldig. „Es gibt aber jemanden, der bestätigen kann, daß ich die Idee lange vor Woody hatte. Komm her, John!”

Natascha konnte nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken. Laurie sprach in einem Ton mit dem massigen Ringer, als sei er ihr Schoßhund. Es fehlte nur noch, daß sie „sitz” sagte.

„John, erzähl Natascha von unserem Gespräch letzte Woche.”

„Äh .. klar, Laurie. Also, Bienchen, Laurie ist zu, mir gekommen und meinte, daß sie eine Modenschau plant. Sie wollte, daß mein Cousin, dem Superjock gehört, ein paar Sportklamotten zur Verfügung stellt.

Ich hab ihr gesagt, ich würde mich darum kümmern, und sie fand das in Ordnung. Richtig so, Laurie?”

„Richtig, John. Na, wie findest du das, Natascha? Jetzt hast du endlich den Beweis.”

„John”, fragte Natascha. „Wann genau war dieses Gespräch?” „Wann genau?” Seine Miene verdüsterte sich. „Keine Ahnung. Mittwoch oder Donnerstag, glaube ich.”

Laurie war sich sofort der Wichtigkeit dieser Frage bewußt. „Es war Mittwoch, erklärte sie hastig. „Nicht wahr, John?”

„Wenn du es sagst, wird's schon stimmen.” „Aha.” Natascha machte sich ein paar Notizen. auf ihrem

Stenoblock. „Okay, dann erst mal vielen Dank, daß ihr vorbeigekommen

seid. Wenn ich noch weitere Fragen haben sollte, werdet ihr von

mir hören.” Laurie erhob sich und rückte den weiten Ausschnitt ihrer Bluse zu recht, so daß eine ihrer wohlgeformten, gebräunten Schultern zum Vorschein kam. „Natascha, du bist

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ein Schatz. Oh, und ich hab mit meinem Vater über das geplante Bücherjournal im Fernsehen geredet. Er ist sehr interessiert. Wir müssen uns mal in Ruhe darüber unterhalten, wenn diese schreckliche Sache hier ausgestanden ist.”

„Bis dann, kleine Biene! John Marquette grinste. „Ich wette, du kannst nachts nicht mehr ruhig schlafen, weil du dich schon so auf Freitagabend freust. Stimmt's? Hahaha!”

Natascha hatte beschlossen, Woody nach der Schule

abzufangen und ihn mit Lauries Behauptungen zu konfrontieren. Er wartete jedoch von selbst bei den Schließfächern auf sie. ,,Hey, Natascha!” rief er. „Ich wollte dich kurz über die Modenschau informieren. Hast du zwei Minuten Zeit?”

„Klar.” Sie führte ihn in die Redaktion der Schülerzeitung, wo sie ungestört waren.

„Die Show soll nun definitiv am nächsten Dienstag um halb vier stattfinden”, begann er sobald sie sich an Nataschas Schreibtisch niedergelassen hatten. „Im kleinen Theater. Eintritt frei. Vorgeführt werden die Sachen ausnahmslos von Schülern und Schülerinnen der Kennedy High School. Die Modelle sind zum Teil ...” Er stutzte. „Du schreibst ja gar nicht mit! Willst du des alles so behalten?”

„Nein, ich werde es mir sofort notieren. Aber kann ich dich vorher etwas fragen? Natascha fiel es schwer, einen Anfang zu finden. Sie mochte Woody sehr. Er war so lustig und ein so guter Freund. Und ausgerechnet ihm mußte sie beinahe unterstellen, daß er eine ausgemachte Gemeinheit begangen hatte.

„Okay, schieß los.” „Woher stammt die Idee zu dieser Modenschau eigentlich?” Woody lehnte sich zurück und hakte die Daumen hinter

seine breiten roten Hosenträger. „Puh, das weiß ich gar nicht

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mehr so genau. Ich hab mich mit ein paar Leuten darüber unterhalten, wie öde es hier im Januar immer ist und daß wir eigentlich mal wieder was Witziges auf die Beine stellen müßten. Mir schwebte etwas vor, bei dem viele Leute mitmachen können, so wie die Kennedy Follies im letzten Jahr, aber irgendwie frischer und unkomplizierter. Und da kam mir die Idee mit der Modenschau.

„Wann war das genau?” Er zuckte die Achseln. „Irgendwann letzte Woche. Warum?” Sie überging seine Frage. „Welche Rolle hat Laurie

Bennington dabei gespielt?” Er grinste. „Die Drachenlady?” „Ich meine, was hat sie zu dem Projekt beigetragen?” „Gar nichts.” Woody zögerte, dann, fuhr er fort: „Na ja, um

ehrlich zu sein, sie hätte schon sehr gern mitgemacht. Sie muß durch irgend jemanden von der Sache erfahren haben. Jedenfalls ist sie zu mir gekommen Und hat mir ihre Hilfe angeboten. Sie meinte, sie hätte gute Beziehungen zu Superjock dem Sportgeschäft in Georgetown, und sie könnte den Inhaber dazu überreden, uns für die Modenschau ein paar aktuelle Sportsachen zu leihen.”

„Und was hast du gesagt?” „Ich hab gesagt, nur zu. Warum nicht? Oh, und sie wollte die

Leute auswählen, die auf dem Laufsteg die Klamotten vorführen. Sie meinte, das stünde ihr zu, weil sie im Schülerrat für Veranstaltungen aller Art zuständig sei. Außerdem verlange diese Aufgabe weibliches Einfühlungsvermögen. Am liebsten hätte ich ihr geantwortet, sie solle sich mitsamt ihrem weiblichen Einfühlungsvermögen auf den Mond schießen lassen. Aber ich hab mich schwer beherrscht und gesagt, daß ich mir ihr Angebot durch den Kopf gehen lasse und mich später bei ihr melde. Das hab ich allerdings bis heute nicht getan. Ich hab's einfach vergessen.”

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Natascha kam sich langsam wie ein Staatsanwalt vor statt wie eine Journalistin. Doch sie war wild entschlossen, Licht in die Angelegenheit zu bringen. „Hat Laurie sonst noch etwas mit der Show zu tun?” bohrte sie weiter.

„Keine Ahnung”, entgegnete Woody. „Wieso interessiert dich das alles eigentlich so brennend?” Aber als Natascha nur schwieg und weiter auf eine Antwort wartete, fuhr er fort: „Ach ja, sie ist nach zwei Tagen noch mal aufgekreuzt und hat erklärt, sie wolle auf der Modenschau unbedingt eines ihrer Outfits vorführen, irgend etwas ganz Teures von einem italienischen Modeschöpfer. Sie wurde richtig sauer, als ich ihr sagte, daß das nicht in Frage käme.”

„Warum denn nicht?” Er zuckte die Achseln. „Es würde gegen unsere Regel

verstoßen. Wir haben beschlossen, nur Sachen zu zeigen, die man in einem Laden kaufen kann oder die von einem der Schüler selbst entworfen wurden. Sonst würde jeder seine tollsten Klamotten vorführen wollen, die er zu Hause im Schrank hängen hat, und viele Leute würden gekränkt sein oder sich zurückgesetzt fühlen. Die Show soll aber dazu da sein, die Leute aufzumuntern, statt sie zu vergrämen.

Natascha hämmerte mit dem Bleistiftende auf dem Tisch herum. „Du sagst also, daß Laurie irgendwie von der Modenschau gehört hat? Und daraufhin hat sie dir ihre Hilfe angeboten. Aber die Idee zu der Show stammt einzig und allein von dir?”

„Genau. Na ja, es ist keine brandneue Idee. Aber soweit ich weiß, hat so etwas an unserer Schule bisher noch nicht stattgefunden. Sag mal, Natascha, was soll das alles? Wozu diese merkwürdigen Fragen?”

Natascha biß sich unschlüssig auf die Lippe. „Laurie zufolge”, sagte sie schließlich, „stammt die Idee ursprünglich

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nicht von dir, sondern von ihr. Du sollst sie ihr angeblich geklaut und Laurie anschließend ausgebootet haben.

„Das ist ja der absolute Hammer!” rief Woody empört. „Sie ist nur sauer, weil ich ihr eine Abfuhr erteilt habe! Die soll mich kennenlernen! Ich hatte mit Brenda eigentlich abgesprochen, daß Laurie doch eine ausgefallene Kombination vorführen soll, die uns die Rezato-Boutique zur Verfügung gestellt hat. Das kann sich die Drachenlady jetzt abschminken! Wenn sie überhaupt noch in die Modenschau reinkommt, dann nur als Zuschauerin.”

Natascha wartete geduldig, bis er sich wieder beruhigt hatte. „Kannst du beweisen, daß du die Idee als erster hattest?” fragte sie dann.

„Nein, natürlich nicht! Kann Laurie ihre Lügenmärchen beweisen?”

„Also steht Aussage gegen Aussage.” Natascha seufzte. ,,Woody, ich versuche nur, eine faire und verantwortungsbewußte Journalistin zu sein.”

„Ja? Nun, jede faire und verantwortungsbewußte Person, die sowohl Laurie Bennington als auch mich einigermaßen kennt, muß wissen, wem sie Glauben schenken kann. Hab ich recht, Natascha?”

Natascha wühlte in den Unterlagen auf ihrem Schreibtisch und hörte seine Bemerkung nicht.

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9. KAPITEL Henry wartete am Haupteingang auf Janie. „Na, wie war

es?” rief er aufgeregt, als er sie endlich kommen sah. „Was haben sie gesagt?”

„Na ja”, begann Janie langsam. „sie hatten eigentlich so ein Kleid erwartet, wie ich es habe. Darum waren sie zuerst ziemlich enttäuscht!”

„Ja?” fragte Henry betroffen. „Ja, am Anfang. Aber dann hab ich ihnen alles erklärt und

sie überredet, die Kleider wenigstens mal anzuprobieren.” Janie machte eine kleine Kunstpause.

Und? Paßten sie? Sahen sie schlimm aus? Was war?” Janie fand, daß sie ihn nun lange genug auf die Folter

gespannt hatte. „Nein, im Gegenteil! Brenda und Christina waren total begeistert! Sie umarmte ihn kurz und fuhr dann fort: „Und weißt du was? Ich habe sechs neue Aufträge für dich! Sechs! Na, was sagst du jetzt?”

Er sagte gar nichts, sondern starrte sie nur fassunglos an. „Und außerdem, Herr Modesigner, wird in der nächsten,

Woche in der Schule eine Modenschau stattfinden. Stell dir vor, dabei wird auch eins deiner Modelle vorgeführt! Und zwar von niemand geringerem als deiner werten Janie Barstow! Bist du jetzt sprachlos?

Henry blickte ihr forschend in die Augen und suchte nach einem Anzeichen dafür, daß alles nur ein Scherz war. Dann legte er plötzlich den Kopf in den Nacken und stieß einen

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dermaßen lauten Freudenschrei aus, daß Janie sich erschrocken die Ohren zuhielt.

„Ist das wirklich wahr? Du nimmst mich nicht nur auf den Arm?” Henry machte Anstalten, erneut in Triumphgeheul auszubrechen. Es gelang Janie gerade noch, ihm den Mund zuzuhalten. „Janie, du bist toll”, schwärmte er, als er sich einigermaßen beruhigt hatte. „Es ist alles einfach toll. Ich kann es noch gar nicht glauben! Eine Modenschau? Und sechs neue Bestellungen? Unglaublich!”

„Unglaublich, aber wahr.” Wow, da habe ich ja reichlich zu tun! Hey, haben sie dir

schon das Geld für die beiden Kleider gegeben? Dann, können wir sofort neuen Stoff kaufen. Vorher mußt du mir natürlich noch von den sechs Mädchen erzählen, damit ich mir ein Bild von ihnen machen kann. Wenn wir den Stoff haben, fahren wir anschließend gleich zu dir.”

Henry arbeitete an diesem Abend wie ein Besessener. Janies

Mutter mußte ihn nach den Elf-Uhr-Nachrichten schließlich bitten, endlich Schluß zu machen und nach Hause zu gehen. Am nächsten Abend war es nicht anders.

Am Mittwochnachmittag hatte Janie den Termin, beim Friseur. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so aufgeregt gewesen zu sein. Auf der Fahrt zum Einkaufszentrum versuchte Henry, sie zu beruhigen. Er versicherte ihr, daß er sich alles genau überlegt habe und daß sie von ihrer neuen Frisur begeistert sein werde. Schon möglich, dachte Janie, aber wenn er so sicher ist, warum räuspert er sich, dann ständig so nervös?

Bei dem Frisiersalon handelte es sich um einen dieser neuen chromblitzenden, durchgestylten Läden, die Janie noch vor einem Monat um nichts auf der Welt betreten hätte. Henry schien das nicht im geringsten zu stören. Er marschierte

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einfach hinein und fragte selbstbewußt nach dem Meisterfriseur. Auf seinem Block hatte er ein paar Skizzen vorbereitet, die Janies neue Frisur von verschiedenen Seiten zeigten. Während ein Mädchen Janie die Haare wusch, zog Henry sich mit dem Friseur in eine ruhige Ecke zurück und erklärte ihm seine Vorstellungen. Janie spürte, wie die beiden immer wieder von den Skizzen aufschauten und prüfend zu ihr herüber sahen. Das machte sie nicht gerade ruhiger, und aus ihrer Nervosität wurde allmählich richtige Panik. Als der Friseur schließlich mit Kamm und Schere zu ihr trat, schloß sie die Augen und weigerte sich, in den Spiegel zusehen, bis er fertig war.

Als Janie wieder die Augen öffnete, starrte ihr aus dem Spiegel ein völlig fremdes Mädchen entgegen. Sie erkannte sich kaum. Verschwunden waren die überlangen Ponyfransen und matten Strähnen, die ihr Gesicht immer verdeckt hatten. „Statt dessen reichten ihr die Haare jetzt nur noch bis zu den Ohrläppchen und fielen leicht und duftig.

Henry stand neben ihr und strahlte. Janie erwiderte sein Lächeln glücklich. Sie fand es umwerfend, wie positiv die neue Frisur sie veränderte! Ihr Gesicht wirkte dadurch viel weicher und hübscher. Ihr Hals, der plötzlich völlig freilag, sah so lang und graziös aus wie der eines Schwans.

Janie war gespannt, was ihre Mutter sagen würde. Zu ihrer Verblüffung war Mrs. Barstow von dem Moment an begeistert, als sie ihre Tochter zur Tür hereinkommen sah. Ihre überschwenglichen Komplimente machten Janie direkt verlegen.

„Ich bin ja so froh, daß du anfängst, ein bißchen mehr auf dein Äußeres zu achten”, erklärte Mrs. Barstow beim Abendessen. „Ich hätte zwar eine nicht ganz so ausgefallene Frisur gewählt, aber ich muß sagen, sie steht dir phantastisch. Wie bist du auf die Idee gekommen?”

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„Ich weiß nicht”, murmelte Janie. „Ich hab mich von Henry beraten lassen.”

„Dieser Junge weiß, was er will”, sagte Janies Vater anerkennend. „Ich muß sagen, kleines, du siehst plötzlich richtig erwachsen aus und vor allem sehr apart.” Er zwinkerte ihr zu und lächelte.

„Autsch”, rief Mrs. Barstow und, steckte den Finger in den

Mund. Sie und Janie waren dabei, die einzelnen Teile des Schnittmusters für Nataschas-Kleid mit Stecknadeln auf den Stoff zu heften, damit Henry mit dem Zuschneiden anfangen konnte.

Janie reichte ihrer Mutter die Rolle mit dem Pflaster. So ein Nadel stich tat zwar nur einen Moment lang weh, aber sie wollten es nicht riskieren den Stoff Mit noch so kleinen Blutströpfchen zu ruinieren. „Wißt ihr”, sagte Mrs. Barstow, während sie sich ein Stück Pflaster auf die Fingerspitze klebte, „ich bin sicher, daß man alle vier Ärmelteile auf dieses Stück Stoff bekommt. Aber wie? Ich hab die Teile schon so oft hin und her geschoben.”

„Machen Sie sich deswegen keine Gedanken”, beschwichtigte Henry sie. „Ich hab genug Stoff gekauft. Es kommt also nicht so darauf an.

„O nein, Henry”, erwiderte Mrs. Barstow. „Vielleicht kommt es nicht so darauf an, solange du immer nur ein Kleid in Arbeit hast. Was ist aber, wenn du eines Tages ein Dutzend nähst? Wenn wir die einzelnen Teile des Schnittmusters enger zusammenkriegen, kannst du pro Kleid mindestens einen halben Meter Stoff sparen. Glaub mir, wenn du Erfolg haben willst, mußt du in solchen Dingen auf Sparsamkeit achten.”

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„Danke, Mrs. Barstow, ich werde daran denken antwortete Henry fröhlich.

Janie mußte lächeln. Ihre Mutter begann, Henry genauso herumzukommandieren, wie sie selbst. Henry schien sich jedoch nicht daran zu stören. Er hörte sich Mrs. Barstows Ratschläge ruhig an und entschied dann ganz unbefangen, ob er sie befolgen wollte oder nicht. Janie wurde schlagartig bewußt, daß sie in diesem Punkt von ihm eine, Menge lernen konnte. Sie selbst hatte Tips ihrer Mutter bisher als unliebsame Einmischung oder gar als Befehl empfunden und war deshalb meistens gleich an die Decke gegangen. Dabei war das wohl nur die Art ihrer Mutter, zu signalisieren: „Du bist mir nicht gleichgültig! Ich mache mir Gedanken um dich.”

Um halb zehn beschlossen Henry, Janie und Mrs. Barstow, eine kleine Pause einzulegen. Mrs. Barstow ging hinauf in die Küche, um Tee aufzusetzen und ein paar Kekse zu holen.. Henry erhob sich von seinem Platz an der Nähmaschine und streckte sich. Dann, nahm er Ja nie beim Arm und führte sie zum Sofa.

„Ich möchte dir etwas zeigen”, sagte er geheimnisvoll. „Ich schleppe es schon den ganzen Tag mit mir herum.” Er griff nach seinem Skizzenblock, blätterte darin und reichte Janie schließlich den Entwurf eines Kleides.

Janie brauchte einen Moment, bis sie aus der Zeichnung klug wurde. Es handelte sich hierbei um den frechsten Entwurf, den sie bisher von Henry gesehen hatte. Das Kleid auf der Skizze war weiß. Ein breiter Streifen in leuchtendem Lila zog sich von der rechten Schulter schräg hinunter zur linken Hüfte und dann entgegengesetzt zum Rocksaum auf der rechten Seite, der hier um etliches kürzer war als links. Die linke Schulter blieb frei.

„Henry, ich finde es unheimlich toll!” rief Janie. „Wirklich?” Seine Stimme klang besorgt. „Wirklich! Das Kleid ist spitzenmäßig!”

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„Gut. Dieses Kleid wirst du nämlich, am Dienstag bei der Modenschau vorführen.”

Janie starrte ihn mit offenem Munde an. Sie? Sie sollte dieses freche Kleid tragen? In aller Öffentlichkeit? Auf dem Laufsteg? Das war unmöglich sagte sie, „auf keinen Fall. Ich würde sterben. So ein tolles Kleid muß außerdem von einem richtigen Model vorgeführt werden, damit es voll zur Geltung kommt.”

„Du sollst es tragen”, erwiderte Henry ,leise ich habe es für dich entworfen.”

„Henry, ich kann nicht! Ich würde dir gern den Gefallen tun, aber ich kann so, etwas einfach nicht tragen. Das Kleid ist viel zu ... Die Leute würden lachen, wenn sie mich in diesem Aufzug sähen.”

„Findest du die Zeichnung denn zum Lachen?” „Nein, natürlich nicht. Wieso?” „Das Mädchen auf dem Entwurf bist du!” Janie schaute sich die Skizze genauer an. Es stimmte

tatsächlich! Das waren ihr Haar, ihre Figur! Selbst im Gesicht, das nur mit ein paar Strichen angedeutet war, erkannte sie jetzt eine gewisse Ähnlichkeit.

„Du mußt dich nicht gleich entscheiden”, beruhigte Henry sie. „Ich werde es erst nähen, damit du es anprobieren kannst. Dann kannst du mir immer noch sagen, ob du es vorführen willst oder nicht.”

„Und wenn ich nicht will? Dann war die ganze Arbeit umsonst.”

Er zuckte die Achseln. „Ich will an diesem Kleid ein paar neue Ideen und Techniken ausprobieren. Umsonst wird die Arbeit also nicht gewesen sein.” Oben auf der Treppe waren Stimmen zu hören, und er steckte die Skizze schnell weg.

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Mrs. Barstow erschien mit den Keksen, und Janies Vater folgte ihr mit der Teekanne und einigen Bechern. „Hier ist also das erfolgreiche neue Unternehmen untergebracht.” Schmunzelnd schaute er sich um.

„Ja, Sir”, antwortete Henry. Janie schaute ihn überrascht an. In der Gegenwart ihres

Vaters wirkte Henry total verlegen und verkrampft. Seine Schlagfertigkeit und sein Selbstbewußtsein waren wie weggeblasen.

„Ich dachte, ich muß mir das mal anschauen”, fuhr Mr. Barstow in herzlichem Ton fort. ”In der Bank haben wir viel mit jungen, aufstrebenden Unternehmen zutun. Wenn der Laden gut läuft, kommen die Leute und wollen Geld, um sich zu vergrößern. Aber wann hat man schon mal die Gelegenheit, so etwas unter dem eigenen Dach aus nächster Nähe mitzuerleben?” Er lachte, während Henry den Mund nicht aufbekam und beharrlich weiter schwieg.

„Sag mal, mein Junge, hast du dir Gedanken darüber gemacht, wie das alles weitergehen soll? Wie stellst du dir deine Zukunft vor?”

Henry zögerte. „Als nächstes ist wohl erst mal das College dran. Dann vielleicht eine Ausbildung in Modedesign in New York. Irgendwann später würde ich gern richtig als Modedesigner arbeiten.”

„Irgendwann später?” rief Mr. Barstow. „Du bist doch jetzt dabei! Ich kenne mich in der Modebranche leider nicht aus, aber ich habe das Gefühl, daß du überdurchschnittlich talentiert bist. Darum solltest du gleich Nägel mit Köpfen machen und dich nicht zu billig verkaufen. Mit ein bißchen Unterstützung müßtest du eigentlich bald Karriere machen können.”

,,Meinen Sie wirklich?” Henrys Augen glänzten. Aber sicher. Ich stehe dir übrigens jederzeit zur Verfügung,

wenn du mal handfeste Tips brauchst, wie man so etwas

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finanziell aufzieht. Du weißt ja, wo du mich findest.” Er zwinkerte Henry aufmunternd zu. „Gleich eine Treppe höher, direkt über deiner Fabrik.”

Als Henry und Janie später allein waren, sagte er: „Glaubst du, daß dein Vater das ernst gemeint hat? Will er mir wirklich helfen?”

„Klar”, antwortete Janie. „Er hält sehr viel von dir. Er beklagt sich immer, daß die meisten Jungendlichen überhaupt keinen Unternehmungsgeist mehr hätten.”

„Und erfindet es nicht total unmöglich, daß ich mich als Junge so für Mode interessiere?

„Überhaupt nicht. Warum sollte er auch? Es gibt schließlich Dutzende erfolgreicher Designer und Modeschöpfer. Dad mag es, wenn man sich mit Feuereifer für etwas einsetzt.”

Schweigend arbeiteten sie noch eine Stunde lang weiter. Dann rief Mrs. Barstow von oben: „Okay, ihr zwei, Schluß

für heute! Morgen früh habt ihr Schule.” Janie stieg die Treppe hoch, blieb auf der letzten Stufe

jedoch stehen. „Henry”, sagte sie leise, „ich weiß wirklich noch nicht, ob ich mich trauen werde, das neue Kleid bei der Show vorzuführen. Aber ich wollte dir noch mal sagen, wie traumhaft ich es finde. Ich freue mich unheimlich darüber, daß du es für mich entworfen hast. Danke, Henry.

„Bitte”, erwiderte er feierlich und sah ihr dabei tief in die Augen. Sein Gesicht kam immer näher. Janie schloß die Lider. Sie war sicher, daß er sie gleich küssen würde. Doch er räusperte sich plötzlich verlegen und richtete sich auf. „Tja, äh ... dann gute Nacht, Janie.”

Janie brachte Ihn noch zur Tür, winkte ihm nach und schloß die Tür. In ihrem Zimmer versetzte sie dem Bettpfosten einen heftigen Tritt. „So'n Mist!” stieß sie hervor.

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Als Brenda am Freitagmorgen aus dem Geschichtskurs kam,

sah sie draußen im Flur einen Stapel der neuen Schülerzeitung liegen. Sie nahm sich ein Exemplar und überflog gespannt die erste Seite. Es dauerte einen Moment, bis sie den Artikel über die Modenschau entdeckte, - ganz unten links in der Ecke. Gut. Sie konnten für das bevorstehende große Ereignis jede Reklame gebrauchen. Brenda fand es nur schade, daß die Überschrift so klein geraten war und kaum ins Auge fiel.

Gespannt begann sie zu lesen. Alle wichtigen Informationen waren in dem Artikel enthalten, nämlich wann und wo die Modenschau statt finden sollte, wer daran teilnahm und wie alles vonstatten gehen sollte. Aber irgend etwas stimmte mit dem Text nicht. Es war nicht nur die mangelnde Begeisterung, die aus den Zeilen sprach. Irgendwie hinterließ der Artikel beim Leser das Gefühl, daß an dem ganzen Projekt etwas faul war. Brenda war außerdem ein bißchen frustriert darüber, daß weder sie noch Woody in dem Text erwähnt wurden, obwohl sie doch eine Menge Arbeit in die Vorbereitung der Show investiert hatten.

Auf dem Weg zu ihrem nächsten Kurs kam Brenda an der Redaktion der Zeitung vorbei. Die Tür stand offen. Natascha saß an ihrem Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt, und starrte auf die neueste Ausgabe der Schülerzeitung. Sie wirkte nicht besonders glücklich. Brenda wollte schon leise weitergehen, da blickte Natascha auf.

„Hallo”, sagte sie bedrückt. „Hi, Natascha. Alles in Ordnung?” „Ja, alles klar.” Sie lächelte schwach. „Aber ich merke mal

wieder, daß ich meinen Zuckerverbrauch einschränken muß. Wenn man zuviel Zucker ißt, fühlt man sich schlapp und unausgeglichen.

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„So?” Brenda wußte, daß es keinen Sinn hatte, sich beim Thema Ernährung mit Natascha auf Diskussionen einzulassen. „Du, hör mal, ich muß weiter, aber ich wollte dich vorher noch was wegen des Artikels über die Modenschau fragen.”

Natascha wurde feuerrot. „Was ist damit?” stieß sie hervor. „Na ja. Es ist eigentlich nicht weiter wichtig, und

wahrscheinlich hattest du einfach nicht genug Platz. Aber ich hab mich doch etwas darüber gewundert, daß du Woody und mich gar nicht erwähnt hast. Normalerweise veröffentlicht ihr in der Zeitung doch immer die Namen der Schüler, die für ein Projekt verantwortlich sind.”

„Das ist von Fall zu Fall verschieden und liegt ganz im Ermessen des jeweiligen Redakteurs.” Natascha sprang auf” „,The Red and the Gold” ist eine unabhängige Zeitung. Es ist meine Aufgabe, so objektiv wie möglich zu schreiben! Das heißt, ich darf in meinen Artikeln keine Rücksicht darauf nehmen, daß ich privat mit Woody, dir oder sonst jemand befreundet bin. Ihr dürft keine Sonderbehandlung von mir erwarten.”

„Aber Natascha!” Brenda verstand nicht, warum Natascha sich so aufregte. „Ich wollte doch nur wissen, warum die Arbeit, die Woody und ich uns machen, mit keinem einzigen Wort gewürdigt wird. Was hat das damit zu tun, daß wir deine Freunde sind? Ist das etwa ein Grund, so zu tun, als wären wir überhaupt nicht existent?”

Natascha wich ihrem Blick aus. Sie schien total verwirrt zu sein. „Tut mir leid, Brenda, aber ich arbeite gerade an einem Artikel. Können wir später weiter darüber reden?”

In diesem Moment klingelte es zur Stunde. Brenda mußte sich beeilen, wenn sie es noch rechtzeitig schaffen wollte. „Okay”, sagte sie, „ich komme später noch mal vorbei.”

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Natascha antwortete nicht. Ein paar Sekunden lang herrschte peinliches Schweigen. Brenda verstand nichts mehr. Verunsichert, wandte sie sich schließlich zum Gehen.

Als Brenda weg war, rieb Natascha sich die Schläfen. Sie

hatte plötzlich große Zweifel, ob sie wirklich eine gute Journalistin war und genügend Charakterfestigkeit besaß. Beim Schreiben des Modenschau-Artikels, war ihr gar nicht bewußt geworden, daß sie weder Woody noch Brenda genannt hatte. Trotzdem war es sicher nicht aus Zufall passiert. Sie hatte die Namen wahrscheinlich weggelassen, um Laurie und ihre Anschuldigungen nicht erwähnen zu müssen.

Lauries Geschichte hatte ihr zu schaffen gemacht, und sie hatte sich intensiv damit auseinandergesetzt. Wenn das, was Laurie behauptete, tatsächlich stimmte, war es natürlich eine wichtige Story für die Schülerzeitung. Natascha hatte jedoch inzwischen ihre Zweifel, ob Laurie die Wahrheit gesagt hatte. Woodys Bericht hatte mindestens ebenso glaubwürdig geklungen. Brad hatte auch nicht mehr Licht in die Angelegenheit bringen können. Und was John Marquette betraf, so paßten seine. Angaben sowohl zu Woodys als auch zu Lauries Version. So stand nach wie vor Aussage gegen Aussage, und Natascha hatte sich deshalb gegen eine Veröffentlichung entschieden. Die Tatsache, daß Brenda und Woody ihre Freunde waren, hatte dabei nicht die geringste Rolle gespielt.

Oder etwa doch? Zumindest Laurie schien davon überzeugt zu sein Es war noch keine Stunde her, da hatte sie Natascha deswegen die heftigsten Vorwürfe gemacht. Wie eine Furie war sie in die Redaktion gestürmt, ein Exemplar der Schülerzeitung hin und her schwenkend. Sie hatte einen knallgelben Petticoat angehabt, dazu eine leuchtend rote Stretchhose und einen Seidenschal in Giftgrün. Die

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schreienden Farben ihres Aufzugs hatten jedoch blaß gewirkt gegen die Zornesröte auf ihrem Gesicht.

„Ich bin unheimlich enttäuscht von dir, Natascha, hatte sie geschrien.

Natascha hatte die Hände verschränkt, um zu verbergen, daß sie zitterten. „Ich weiß gar nicht, wovon du redest”, hatte sie so ruhig wie möglich geantwortet.

„O doch, das, weißt du sehr wohl!” Laurie machte nicht einmal den Versuch, ihre Wut zu bezähmen. „Warum hast du meine Geschichte nicht veröffentlicht? Warum kein einziges Wort davon, daß Woody Webster, Brenda Hall und Brad Davidson mir meine Idee geklaut haben? Du hattest wohl Angst, dich bei deinen Freunden in die Nesseln zu setzen, was? Merkst du denn gar nicht, daß sie dich schamlos ausnutzen?”

Natascha bemühte sich, ruhig durchzuatmen und nicht in die Luft zu gehen. „Ich hab ein paar Nachforschungen angestellt, Laurie. Woody hat mir eine ganz andere Version der Geschichte erzählt. Es steht nach wie vor Aussage gegen Aussage, darum konnte ich deine Story nicht in die Zeitung setzen. Außerdem gefällt es mir nicht, in welchem Ton du mit mir redest.”

„Mein Ton gefällt dir nicht?” Lauries Stimme überschlug sich. „Ich rede so, wie es mir paßt, Natascha Jenkins! Und wieso steht eigentlich Aussage gegen Aussage? Ich habe schließlich einen Zeugen! Willst du etwa behaupten, John Marquette lügt? Vergiß nicht, liebe Natascha, daß sein Cousin einer der Hauptanzeigenkunden eures Käseblatts ist!”

Natascha konnte das endgültig nicht mehr hören. „John Marquette und sein Cousin können sich meinetwegen von einer Brücke stürzen! Die Zeitung kommt auch ohne sie aus.”

„Na gut.” Lauries Stimme klang jetzt leise und drohend. „Dann weiß ich jetzt wenigstens Bescheid. Es ist schließlich nicht das erste Mal, daß deine ätzende Clique mir alles

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vermasselt. Aber ich warne dich, Natascha! So leicht lasse ich mich nicht abspeisen. Ich werde überall herumerzählen, was du unter objektiver Berichterstattung verstehst. Ich sage dir, das wird nicht ohne Folgen bleiben, wenn der Schülerrat demnächst über die Mittel für eure blöde Zeitung berät.”

Mit triumphierendem Gesicht wandte Laurie sich zum Gehen. In der Tür blieb sie noch einmal stehen. „Oh, ich habe übrigens wegen der Fernseh-Show mit meinem, Vater gesprochen”, verkündete sie von oben herab. „Dad meinte, er wollte doch lieber einen fähigeren Mann für seine Büchersendung haben. Jemand wie dein Vater, der eine billige kleine Vorstadt-Buchhandlung führt, ist einfach nicht interessant genug für die Zuschauer. Sorry!”

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10. KAPITEL Brenda schaute sich in der Turnhalle um und schüttelte den

Kopf. „Mir gefällt das nicht”, sagte sie. „Ich finde die Halle zu groß. Was ist, wenn kaum jemand kommt?”

„Ich bin überzeugt, daß fast die ganze Schule kommen wird”, antwortete Woody. Es hatte ihn einige Mühe gekostet, die anderen dazu zu überreden, die Modenschau in die, Turnhalle zu verlegen. „Aber es geht mir nicht nur darum, daß wir hier mehr Plätze haben. Im kleinen Theater hätten wir die Sachen oben auf der Bühne zeigen müssen. Hier sind die Models auf beiden Seiten von Zuschauern umgeben. So ist eine richtige Modenschau. Und die wollen wir doch organisieren, oder? Was meinst du, Janie?”

Janie musterte die Zuschauerbänke an den Längsseiten der Sporthalle mit gemischten Gefühlen. „Mich wird es beim Vorführen viel mehr Überwindung kosten. Aber die Sachen werden bestimmt viel besser zur Geltung kommen.”

Woody strahlte. „Na, Brenda, was sagst du nun?” „Okay, ich gebe mich geschlagen. Aber es wird noch eine

Menge Arbeit kosten, die Halle vorzubereiten. Wir müssen zum Beispiel noch den Vorhang befestigen, hinter dem die Leute sich umziehen können.”

„Alles kein Problem!” Woody sprühte nur so vor Tatendrang. „Wir haben schließlich Leute, die mit anpacken. Henry wird uns kräftig helfen. Stimmt's, Henry?”

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„Klar doch!” antwortete Henry. Janie hatte ihn einfach als jemanden vorgestellt, der freiwillig mitarbeiten wollte. Leute für den Laufsteg gab es inzwischen genug - dank Janies Idee, Sportasse anzusprechen.

Leute, die außerhalb des Scheinwerferlichts mithalfen, waren schwieriger zu finden gewesen.

„Schauen wir uns die Sache mit dem Vorhang doch gleich mal an”, schlug Woody vor und ging mit Brenda und Henry zum hinteren Ende der Turnhalle. Janie wollte ihnen gerade folgen, da tippte ihr Peter Lacey von hinten auf die Schulter.

„Hallo, Janie. Ich wollte dich fragen, welche Musik ich für dich spielen soll.”

„Für Dienstagnachmittag meine ich. Was möchtest du?

Rock? Jazz? Disco? Die anderen müssen mit dem vorliebnehmen, was ich bestimme. Aber wir beide sind schließlich alte Freunde, darum darfst du dir selbst dein Stück aussuchen. Ich will das Band am Wochenende zusammenstellen, deshalb muß ich jetzt Bescheid wissen.”

Janie überlegte: „Irgend etwas Sanftes. Ein langsames New Wave Stück vielleicht, zu dem ich mich gut bewegen kann.”

„Kein Problem. Es gibt da eine Nummer auf dem neues Posers-Album, das müßte passen.”

„Toll Danke, Peter.” Sie wollte zu Woody und den anderen gehen, doch Peter druckste unschlüssig herum.

„Du, hast du heute abend noch was zu tun?” fragte er schließlich. „Ich dachte, wir könnten vielleicht irgendwo was essen gehen, wenn wir hier fertig sind.

Janie blinzelte und sagte: „Ich weiß noch nicht genau. Das muß ich erst noch klären.” Sie zögerte. „Hast du übrigens wieder mal was von Lisa - gehört?” Lisa Chang war die Eiskunstläuferin, in die Peter sich verliebt hatte. Inzwischen

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lebte sie in Colorado, um sich dort auf die Olympischen Spiele vorzubereiten.

„Nicht viel. Die lassen sie dort dermaßen hart trainieren, daß sie kaum noch Zeit für sich hat.”

„Oh.” Janie musterte ihn neugierig. „Na ja, grüß sie auf jeden Fall von mir, wenn du das nächste Mal mit ihr sprichst. Dann erst mal bis später.”

Henry kam zurück, um nachzusehen, wo Janie blieb. Er

kriegte gerade noch mit, wie Janie kopflos aus der Sporthalle stürzte. Besorgt eilte er ihr nach. Draußen vor der Tür holte er sie ein.

„Janie?” Sie wandte sich ab. „Was hast du, Janie?” „Nichts”, murmelte sie erstickt. „Komm, nun sag schon!” Er nahm sie bei den Schultern und

drehte sie sacht zu sich um. „Was hast du?” fragte er erneut. „Peter Lacey will heute abend mit mir essen gehen.” „Oh. Und das bringt dich dermaßen aus der Fassung?” „Na klar! Henry, im letzten Herbst hab ich mir fast ein Bein

ausgerissen, um Peter zu gefallen. Ich hab ihm Kaffee gemacht, ihm seine Lieblingskekse gebacken und ihm im Studio geholfen, wo ich nur konnte. Aber damals hat er mir nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als einem neuen Cash-Album. Ich gehörte für ihn zum Inventar des Studios.”

„Ich bin sicher, daß Peter es nicht...” Janie unterbrach ihn. „Und nun will dieser Typ plötzlich mit

mir essen gehen! Nur weil ich mich anders anziehe und eine neue Frisur habe! Aber ich bin noch dasselbe Mädchen, das er wie ein Möbelstück behandelt hat. Kommt es denn nur darauf an, wie jemand sich zurechtmacht? Wie ich das hasse!”

Henry sagte nichts, sondern zog sie statt dessen nur an sich und legte die Arme um sie.

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Janie machte sich anfangs ganz steif, doch dann entspannte sie sich. Tränen liefen ihr auf einmal übers Gesicht. Henry strich ihr tröstend über den Rücken und wartete, geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

„Es ist nicht deine neue Frisur, die ihm aufgefallen ist”, begann er. „Du selbst hast dich grundlegend verändert. Du hast Selbstbewußtsein bekommen. Du bewegst dich anders, und du sprichst auch anders. Du machst deinen Mund auf und sagst, was du denkst, statt dich wie früher in dein Schneckenhaus zu verkriechen.”

Sie hob den Kopf und blickte Henry nachdenklich an. „Das hab ich alles dir zu verdanken”, sagte sie leise.

Henry schüttelte den Kopf. „Ich hab dir nur ein neues Kleid genäht.

Alles andere geht allein auf dein Konto. Ich hab dich immer sehr hübsch gefunden.” Langsam beugte er sich zu ihr und küßte sie zärtlich. Janie stand reglos da. Dann, als er sich wieder von ihr lösen wollte, schlang sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn heftig.

„Was soll ich Peter bloß sagen?” flüsterte sie und schmiegte sich eng an Henry.

„Sag ihm, du hättest für heute abend schon eine Verabredung. Sag ihm, daß ich dich zum Essen eingeladen habe und einen ganz besonderen Abend mit dir verbringen will.”

„Mmm ...” Selig schloß Janie die Augen. „Ich werde es ihm ausrichten. Später...“

Natascha wickelte sich fröstelnd fester in ihren Mantel. Die

Heizung in John Marquettes altem Kabrio röstete zwar ihre Füße, hatte ansonsten aber keinerlei Wirkung. Angestrengt

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starrte Natascha aus dem Fenster und versuchte herauszubekommen, wo sie sich befanden. Aber die engen Straßen von Georgetown mit den alten Häusern wirkten im Dunkeln irgendwie alle gleich.

Es hatte inzwischen heftig zu schneien begonnen, und im Schein der nostalgischen Straßenlaternen sah alles sehr romantisch aus. Natascha konnte die Fahrt jedoch nicht genießen, weil John Marquettes Hand sich beim Schalten andauernd auf ihr Knie verirrte.

„Wir sind fast da”, rief Marquette über den Motorenlärm hinweg. „Ein irrer Schuppen übrigens. Die Jungs werden staunen, wenn sie dich sehen! Die werden grün vor Neid auf meine kleine Biene!”

„Ich bin nicht...” begann Natascha zu protestieren, doch Marquette hatte eine Parklücke entdeckt und trat so heftig auf die Bremse, daß Nataschas Magen einen Satz machte. Sie klammerte sich an der Armlehne fest, als John mit quietschenden Reifen einparkte. „Da wären wir.”

Er beugte sich über sie und öffnete die Beifahrertür. „Ladies first.”

„Mein Cousin wohnt in dem Haus, da drüben”, erklärte er, als sie draußen auf dem Bürgersteig standen. „Wahnsinnsbude, sage ich dir. Ich übernachte da manchmal, wenn ich bis spät im Laden mitgeholfen habe. Ist übrigens sturmfrei heute, weil mein Cousin übers Wochenende nach New York gedüst ist.”

Natascha interessierte das überhaupt nicht, Sie wollte nur eins dieses gräßliche Interview so schnell wie möglich hinter sich bringen und rasch wieder nach Hause.

Die Kneipe, in die John Marquette sie führte, war offensichtlich das Stammlokal zahlreicher sportbegeisterter College-Studenten. An den Wänden prangten jede Menge Mannschaftsfotos und Vereinsabzeichen, und auf einem Regal hinter dem Tresen reihten sich Pokale und andere

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Siegestrophäen. Im Fernsehen wurde gerade ein Basketball Spiel übertragen. Der Raum war so verraucht, daß Nataschas Augen tränten und ihr Kopf schmerzte. Marquette steuerte zielstrebig einen leeren Tisch hinten in einer Ecke an und rempelte dabei rücksichtslos Leute an. Ein paar Jungen fuhren wütend herum, doch als sie Marquette erkannten, wandten sie sich brummend wieder ab.

„Willst du ein Bier?” fragte Marquette. Natascha schüttelte angewidert den Kopf und schob seine

Hand von ihrem Knie. „Ich bin schließlich zum Arbeiten hier.” Entschlossen holte sie Block und Bleistift aus ihrer Tasche.

„Später, Jenkins. Erst müssen wir bestellen. Die Küche macht nämlich um acht Uhr dicht. Wie wäre es mit einem Steak-Sandwich und Pommes frites?”

Natascha wurde ganz übel bei dem Gedanken. „Kann ich einen Salat bekommen?” fragte sie schwach.

„Hohoho!” dröhnte Marquette los.. „Mal sehen, ob Tony für dich irgendwo ein Salatblatt auftreiben kann. Wie wär's mit einer Karotte dazu?”

„Danke. Ich liebe Karotten. Ist es eigentlich wahr, daß bei den Spitzensportlern an unserer Schule manchmal die Zensuren geschönt werden?”

Das Restaurant, das Henry und Janie betraten, war im

Erdgeschoß eines traditionsreichen Hauses in Georgetown untergebracht. Während sie auf einen Tisch warteten, sah Janie sich in dem behaglichen Raum um. Warmes, Kerzenlicht fiel auf die alten roten Backsteinmauern. „Bist du sicher, daß wir hier richtig sind?” flüsterte sie. „Bestimmt ist es sündhaft teuer.”

„Hast du nicht gehört, was dein Vater gesagt hat?” neckte Henry sie. „Ich hab ein aufstrebendes Unternehmen. In

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spätestens vier Wochen werde ich den Laden hier aufkaufen können.

Janie kicherte und rückte ein wenig dichter an Henry heran. „Schließlich sind wir heute abend zum ersten Mal

miteinander verabredet”, erklärte er feierlich. „Und ehrlich gesagt ist es das erste .Mal überhaupt, daß ich mich mit einem Mädchen treffe. Es soll darum ein Abend werden, den wir nicht so schnell vergessen.”

„Das werden wir nicht”, sagte Janie. In ihren Augen schimmerte es feucht. „Ganz bestimmt nicht.”

Sie vernahmen eine gedämpfte Stimme hinter sich. „Monsieur, Mademoiselle, Ihr Tisch ist fertig.”

„Bei der nächsten Begegnung hab ich dann Watt Koerner auf

die Matte gezwungen. Den mußten sie hinterher mit einer Schaufel vom Boden. kratzen.” Marquette winkte der Bedienung mit dem leeren Bierglas. Dann stutzte er plötzlich. ”Hey, Biene, du schreibst ja gar nicht mit! Hör zu, ich könnte dir wirklich ein paar heiße Geschichten erzählen. Aber du mußt mich schon ein bißchen in Stimmung bringen, wenn du verstehst, was ich meine...”

Natascha wußte nur zu gut, was er meinte. Sie drehte sich zur Seite, um seinen Händen auszuweichen, und trank einen Schluck von ihrem Mineralwasser. Entsetzt stellte sie fest, daß sie das neue Kleid, das Janie ihr an diesem Tag in die Schule mitgebracht hatte, mit der gräßlichen Salatsoße bekleckert hatte. Das Kleid war lavendelfarben und herrlich romantisch. Sie hatte sich auf Anhieb darin verliebt und trug es an diesem Abend zum ersten Mal. Ärgerlich feuchtete sie die Serviette mit Mineralwasser an und versuchte, den Fleck zu entfernen.

„Wer nehmen will, der muß auch geben”, tönte Marquette. „Denk zum Beispiel an diesen Clown Webster. Der wußte genau, daß er nicht einfach zu mir kommen konnte, als er sich

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von meinem Cousin Klamotten für seine Micky-Mouse-Show leihen wollte. Ich hätte ihm nämlich sofort eins auf die Birne gegeben. Aber er war so klug, Laurie zu schicken, damit sie mich nett bittet.” Er grinste anzüglich. „Da konnte ich natürlich nicht widerstehen, und mein Cousin selbstverständlich auch nicht.”

Natascha stutzte, ließ sich jedoch nach außen nichts anmerken. „Dann hat Woody dich also herumgekriegt, indem er Laurie vorgeschickt hat?” fragte sie so beiläufig wie möglich.

„Hab ich doch gerade gesagt. Sie hatte also doch nicht gegen ihre journalistischen

Grundsätze verstößen. Es war richtig gewesen, Laurie zu mißtrauen. Natascha war über diese Entwicklung so erleichtert, daß sie fast gar nicht mitbekam, daß John schon wieder nach ihrem Knie grapschte. Als sie reagierte, war es bereits zu spät. Nicht umsonst war Marquette der beste Ringer der Schule. Nach ein paar vergeblichen Versuchen, von ihm freizukommen, überlegte Natascha, ob sie eine Szene machen sollte. Zum Glück ließ er ihr Knie im nächsten Moment freiwillig los. Er griff nach dem Bierglas, leerte es mit langen gierigen Zügen und bestellte ein neues.

Während sie sich über den hübsch angerichteten Salat und

das noch warme Weißbrot hermachten, erzählte Janie Henry von ihrer Kindheit in Ohio. Auch damals war sie schon schüchtern gewesen, aber lange nicht so schüchtern wie in Rose Hill. Sie schwärmte Henry von Picknicks vor, von lustigen Ferienerlebnissen und davon, wie gern sie auf die Zwillinge aufgepaßt hatte, als diese noch klein gewesen waren. Irgendwie spürte sie jedoch, daß Henry ihr nur halb zuhörte, und sie verstummte schließlich.

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Schweigend saßen sie einander gegenüber, während der Kellner die leeren Salatteller abräumte.

Als sie wieder allein waren, faßte Janie sich ein Herz. „Henry?” fragte sie leise. Er reagierte, nicht. „Was ist los mit dir, Henry? Stimmt etwas nicht?”

Er seufzte. „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Als ich vorhin zu. Hause war, um mich umzuziehen und mir den Wagen meiner Mutter zu leihen, da bin ich meinem Vater über den Weg gelaufen. Er hat gesagt, daß er am. Mittwoch zum Basketball-Spiel kommen will. Er hat sich sogar entschuldigt, daß er bisher noch nie da war.”

„Oh...” Janie schluckte. Was soll ich jetzt tun? In nicht mal einer Woche wird der

ganze Schwindele auffliegen, und ich kann mir meine Zukunftsträume abschminken!” Er fuhr sich nervös mit den Händen durchs Haar.

„Es gibt nur eins! Du mußt ihm endlich die Wahrheit sagen”, antwortete Janie.

„Er wird mich umbringen! Ehrlich!” „Du muß versuchen, ihm klarzumachen, daß du ein

eigenständiger Mensch bist. Das wird ihm zwar nicht gefallen, aber so wie ich ihn einschätze, wird er es respektieren.”

„Hast du 'ne Ahnung!” Henrys Stimme klang bitter. „Du kennst ihn nicht.”

„Kann sein, daß ich ein bißchen naiv bin. Trotzdem denke ich, daß es... keine andere Lösung gibt. Du mußt ihm reinen Wein einschenken. Was willst du sonst machen? Den Trainer bestechen, damit er dich für das eine Spiel ins Team nimmt?”

„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich nicht mehr viel Zeit habe. Bis Mittwoch sind es nur noch ein paar Tage.”

Mitfühlend schaute Janie ihn an. Während der Kellner das Hauptgericht servierte, bemühte sie sich, Henry ein wenig aufzumuntern. „Das stimmt schon”, tröstete sie ihn. „Aber

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vorher kommt erst mal der Dienstag. Und am Dienstag ändert sich vielleicht dein ganzes Leben!“

„Hey, du wolltest doch was über die Noten der Sportler

wissen”, sagte John Marquette, während er und Natascha zu seinem Wagen zurück gingen. „Nun, ich hab zufällig eine Kopie des Berichts, den der Fachbereich Sport zu diesem Thema angefertigt hat. Natürlich ist der Bericht geheim. Aber du kannst ruhig einen Blick darauf werfen, wenn es dich interessiert.”

Natascha musterte ihn verstohlen von der Seite. Er trug einen dicken Pullover unter seiner kurzen Jacke und wirkte dadurch noch massiger als sonst. Eine innere Stimme riet ihr, den Geheimbericht zu vergessen und so schnell wie möglich nach Hause zu fahren. Aber das brachte sie einfach nicht über sich. Wenn sie sich schon auf einen Abend mit Marquette eingelassen hatte, dann sollte wenigstens etwas Handfestes da bei herausspringen. „Klar”, erwiderte sie deshalb. „Kannst du mir den Bericht am Montag mitbringen?”

„Nicht nötig, ich hab ihn hier. Ich hab dir doch erzählt, daß ich mich oft bei meinem Cousin einquartiere und darum eine Menge Sachen dort deponiert habe. Komm mit.”

„Schon gut”, wehrte Natascha ab und blieb stehen. „So eilig ist es nicht. Ich bin müde.”

„Hör zu”, brummte Marquette, „wenn du das Ding sehen willst, dann entweder jetzt gleich oder gar nicht. Ich muß sowieso kurz in die Wohnung. Kommst du also oder nicht?”

Widerwillig folgte Natascha ihm ins Haus und die Treppe hinauf. Kaum hatte sie das Zweizimmer-Apartment betreten, da wußte sie, daß sie einen Fehler begangen hatte. Die Einrichtung des ersten Zimmers bestand lediglich aus einer

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großen breiten Couch, einem riesigen Fernseher und einem Videorecorder. Durch die offene Tür konnte man im zweiten Raum ein ausladendes Wasserbett sehen. Natascha konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wo hier der Geheimbericht untergebracht sein sollte.

„Hey, gib mir deinen Mantel”, sagte Marquette und griff nach dem Kragen.

Natascha verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein danke, mir ist kalt.”

„Keine Angst, kleine Biene.” Er grinste anzüglich und versuchte, ihren Hals zu küssen. „Das werden wir gleich haben. Hey, sollen wir uns einen Film zu Gemüte führen? Mein Cousin hat jede Menge starker Videos hier. Ich werd uns was Heißes raussuchen.”

Natascha wich ihm aus und stellte sich mit dem Rücken, zur Wand hin. „Nein danke. Sobald du den Bericht gefunden hast, möchte ich nach Hause.”

Er schnaubte verächtlich und verschwand in der winzigen Küche. Als er zurückkam, hatte er eine Flasche Wodka in der Hand. „Auch einen Drink? Das wird dich aufwärmen.” Er lachte, als sie angeekelt den Kopf schüttelte, und setzte die Flasche an die Lippen.

Natascha dämmerte es daß sie sich in einer üblen Lage befand. Alle hatten sie vor John Marquette gewarnt. Warum hatte sie nur nicht dar aufgehört? Aber es nützte nichts, sich Vorwürfe zu machen. Sie mußte handeln, und zwar schnell. Ihre Eltern hatten ihr eingeschärft, sofort zu Hause anzurufen, wenn sie einmal ernsthaft in Schwierigkeiten war.

„Ich muß telefonieren”, sagte Natascha fest. „Wo ist das Telefon?”

„Das Telefon?” John nahm einen weiteren langen Zug aus der Flasche und griff dann hinter das Sofa. Doch statt Natascha den Apparat zu reichen, zog er den Stecker aus der Wand und

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schleuderte das Telefon in hohem Bogen in das andere Zimmer auf das Wasserbett. „Das Telefon ist im Schlafzimmer.” Er grinste und machte eine einladende. Handbewegung. „Komm, ich helf dir beim Wählen.

„Nein, vielen Dank, ich gehe lieber runter und such mir eine Telefonzelle.”

Marquette war mit zwei Schritten an der Tür und baute, sich davor auf. „Geh noch nicht, meine kleine Biene.” Sein Blick war glasig, und wegen des vielen Alkohols hatte er eine schwere Zunge. „Ich werd dir ein paar unvergeßliche Stunden bereiten. Verlaß dich darauf.” Trotz seines massigen Körpers war er unvermutet schnell. Er packte Nataschas Mantel und zerrte ihn herunter. „Aber wenn du was davon haben willst, kannst du nicht den ganzen Abend zugeknöpft bleiben wie eine Nonne.”

Natascha riß sich los. Sie verspürte eine eigenartige Mischung aus, Wut und Angst. „Laß mich in Ruhe!” schrie sie. „Ich will hier raus!- Und zwar sofort!”

„O nein, du bleibst schön hier! Er erwischte sie am Ärmel und zog sie an sich. „Hör zu, Jenkins, du hast mich lange genug zappeln lassen. Es wird Zeit, daß wir endlich zur Sache kommen.” Er schleifte sie in Richtung Couch.

„Laß mich los, oder ich schreie!” Natascha wehrte sich heftig.. Sie kam fast um vor Angst. Marquette kümmerte sich nicht darum. Erhielt, kurz inne, um einen, weiteren Schluck Wodka zu trinken, und zerrte sie dann weiter.

Der Stoff ihres neuen Kleides hielt dem nicht stand und riß mit einem lauten Geräusch ein -- von der Schulter bis hinunter zum Ellbogen.

Natascha stand einen Moment lang wie erstarrt da. ,,Du hast mein neues Kleid ruiniert”, jammerte sie dann und brach in Tränen aus.

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Marquette fuhr zurück und wirkte plötzlich erschrocken. „Hey, ich wollte doch nur ein> bißchen Spaß machen”, brummelte er verlegen. „Ich kauf dir ein neues Kleid, okay? Hauptsache, du bist endlich still, Sonst rufen die Nachbarn noch die Polizei!”

,,Bring mich nach Hause! Ich will sofort nach Hause!” „Okay, okay. Aber sei endlich still!” Er stellte die Flasche

weg. „Komm, gehen wir.” Natascha zog den Mantel über ihr zerrissenes Kleid, fuhr

sich mit der Hand über die Augen und folgte ihm die Treppe hinunter. Draußen merkte sie, daß Marquette Schwierigkeiten hatte, gerade zu gehen. Er fluchte, weil er Schnee in die Schuhe bekam. Als er das Auto aufschließen wollte, zielte er mit dem Schlüssel immer wieder daneben.

Natascha war vom Regen in die Traufe gekommen. Marquette war viel zu betrunken, um noch fahren zu können. Es wäre glatter Selbstmord, zu ihm in den Wagen zu steigen.

„Nein”, sagte Natascha entschlossen, „du kannst so nicht fahren. Du hast zuviel getrunken.”

„Ich?” Wütend starrte er sie an. „Hör zu, Bienchen, ich trinke oft doppelt soviel und fahre dann immer noch sicherer als du, wenn du stocknüchtern bist! Und nun steig ein, wenn du nach Hause willst!”

Janie und Henry schlenderten eng umschlungen die

verschneite Straße entlang. Das Abendessen in dem herrlichen alten Restaurant war genauso verlaufen, wie Janie es sich erträumt hatte. Von den köstlichen Gerichten selbst hatten sie und Henry kaum etwas mitbekommen, weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen waren. Janie hatte es sogar geschafft, Henry von seinem Vater abzulenken. Sie hatte ihn. einfach gefragt, wie er auf Modedesign gekommen war.

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Henry war ihr in vielen Punkten ähnlich. Er hatte Ihr dabei geholfen, ihre, Schüchternheit zu überwinden, und Janie sehnte sich danach auch etwas für ihn tun zu können. Es tat ihr leid, daß er sich nicht frei entfalten konnte, weil er in ständiger Angst vor Entdeckung durch seinen Vater lebte.

Janie streckte die Zunge weit heraus und versuchte, eine Schneeflocke zu erwischen. „Am liebsten würde ich den ganzen Weg nach Hause zu Fuß gehen”, schwärmte sie. „Schau mal, wie toll das Licht ist! Es ist fast so hell wie am, Tag. Und wie still es ist! Der Schnee dämpft alle Geräusche. Irgendwie erinnert mich das daran, wie ich mir immer die Bettdecke über den Kopf gezogen habe, wenn draußen Gewitter war. Damals war ich natürlich noch sehr klein fügte, sie rasch hinzu.

„Natürlich.” Henry nickte mit ernster Miene. „Das Auto steht übrigens da vorn um die Ecke.”

„Horch mal! Janie blieb stehen. „Ruft da nicht jemand?” Sie lauschten angestrengt. Dann deutete Henry nach rechts,

„Es scheint von dort drüben zu kommen. Hört sich an, als würde jemand Hilfe brauchen. Los, komm!” Er nahm Janie bei der Hand, und gemeinsam liefen sie durch den Schnee. Als sie um die Ecke bogen, sahen sie zwei Personen, die neben einem Auto miteinander kämpften. Bei der einen Person handelte es sich offenbar um ein Mädchen, bei der anderen um einen hünenhaften Jungen.

„Hey”, rief Henry schon von weitem, laß sie los!” „Sag ihr lieber, daß sie mich loslassen soll”, antwortete eine

lallende Stimme. „Natascha?” fragte Janie ungläubig. „Bist du es?” „Janie! Gott sei Dank! Wie kommst du denn hierher?” „Hohoho”, lallte die Stimme weiter. „Ich freß einen Besen,

wenn das nicht Micky Maus ist.”

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Janie wurde knallrot und fuhr herum. John Marquette! Mußte er sie denn immer wieder demütigen? Doch diesmal würde sie nicht auf ihn achten. Sie tat einfach, als sei er gar nicht vorhanden, und wandte sich wieder Natascha zu. „Natascha! Bist du okay?

„Was wird hier eigentlich gespielt?” fragte Henry gleichzeitig.

„Ja, ich bist okay”, antwortete Natascha. Sie wirkte total geschafft.

„Ich wollte John für die Schülerzeitung interviewen, aber er hat sich vollaufen lassen. In diesem Zustand wollte er mich nach Hause fahren.

Aber ich hab mich geweigert. Der ist doch gar nicht mehr Zurechnungs fähig!- Er wird jemanden umbringen!”

„Ich bin nicht betrunken”, brüllte Marquette und wankte zu seinem Wagen.

Henry packte ihn am Arm. „Hey, warte! Wir können dich nach Hause bringen. Dein Auto holst du dann morgen ab, wenn du dich wieder besser fühlst.

Marquette schlug Henrys Hand weg. „Halt du dich da raus. Die eiserne Jungfrau könnt ihr von mir aus mitnehmen.” Er deutete verächtlich auf Natascha. „Ich komm schon allein nach Hause.” Er torkelte weiter und riß die Tür seines Kabrios auf. Als er einsteigen wollte, stellte Henry sich ihm in den Weg. „Hör zu, John, du kannst, dich so nicht ans Steuer setzen. Sei vernünftig und fahr mit uns.”

„Laß mich in Frieden, du Spargeltarzan. Oder willst du, daß ich dir das Genick breche? Hey, du Mücke, dich kenne ich doch!” Mit glasigen Augen stierte er Henry an. „Braverman! Genau! Dein alter Herr trainiert doch das Football-Team! Daß der so eine trübe Tasse wie dich zum Sohn hat!”

Das war zuviel für Henry. Er richtete sich hoch und holte aus. Seine rechte Faust prallte gegen Marquettes Kinn. Der

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bullige Ringer taumelte überrascht ein paar Schritte zurück, rutschte auf einer vereisten Stelle aus und schlug der Länge nach hin. Er blieb reglos liegen.

„Henry!” rief Janie bestürzt. „Was hast du getan?” „Tut mir leid”, stammelte er verlegen. „Aber als er meinen

Vater erwähnt hat, kam der ganze Frust in mir hoch, und ich hab einfach rot gesehen.”

„Ist er verletzt?” fragte Natascha entsetzt. „Was machen wir jetzt?”

Marquettes Augen waren geschlossen, doch seine Lippen bewegten sich. Henry kniete sich neben ihm hin und horchte. Marquette sang! Mit tonloser Stimme leierte er immer wieder dieselbe Zeile: „Kämpft, kämpft für die Kennedy High School.

„Ihm fehlt nichts weiter”, sagte Henry erleichtert. Aber er kann unmöglich hier liegenbleiben.”

„Wir können ihn in die Wohnung seines Cousins bringen”, schlug Natascha vor. „Indem Haus dort, eine Treppe hoch.”

Nach einigem Hin und Her hatten sie Marquette soweit, daß er auf den Füßen stand. Henry stützte ihn auf der einen Seite, Janie auf der anderen, und Natascha schob von hinten. So schafften sie ihn mühsam in das Apartment seines Cousins hinauf. Dort ließen sie ihn aufs Sofa fallen, wo er sofort einschlief und laut zu schnarchen benenn. Sie breiteten eine Decke über ihn und gingen dann zu Henrys Auto zurück.

Auf der Rückfahrt nach Rose Hill begann Natascha zu weinen. Janie streichelte sie und versuchte, sie zu trösten. „Nicht weinen”, murmelte sei. „Jetzt ist doch alles vorbei.”

„Nein, ist es nicht jammerte Natascha. „Er hat mir das schöne neue Kleid, das deine Freundin für mich genäht hat, zerrissen! Dabei hatte ich es heute zum erstenmal an.”

Janie blickte fragend zu Henry hinüber. Er nickte unmerklich.

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„Meine Freundin wird das wieder in Ordnung bringen”, erklärte Janie lächelnd. „Danach ist das Kleid wie neu.” Natascha hob den Kopf.” Ehrlich?”

„Ganz bestimmt. Und du brauchst auch nichts dafür zu bezahlen. Auf allen Kleidern ist nämlich vierundzwanzig Stunden Garantie.” Sie blinzelte Henry verschwörerisch zu.

Als sie beim Haus der Jenkins ankamen, umarmte Natascha Janie und Henry dankbar. „Diesen Abend werd ich nicht so bald, vergessen”, sagte sie, während sie ausstieg. Janie kuschelte sich glücklich an Henry. „Ich auch nicht”, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Als John Marquette am nächsten Morgen aufwachte, hatte er

einen bitteren Geschmack im Mund, und in seinen Schläfen pochte es. Gleichzeitig bemerkte er einen Schmerz im Unterkiefer, den er sich nicht er klären konnte. Nebelhaft erinnerte er sich daran, wie er Natascha mit in die Wohnung genommen hatte. Jetzt war sie fort. Verkatert schlich er durch das Apartment und versuchte sich zu entsinnen, was geschehen war. Dann, als er an dem Spiegel im Schlafzimmer vorbeikam, sah er seine geschwollene Unterlippe und die blutige, Schramme auf seiner Wange.

Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Braverman hatte es gewagt, ihn vor den Mädchen niederzuschlagen!

Marquettes Miene verfinsterte sich. Das würde ihm diese Schießbudenfigur büßen! John Marquette beleidigte man nicht ungestraft.

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11. KAPITEL „Okay, noch einmal”, rief Woody. „Sobald euer Vorgänger

den Laufsteg verläßt, macht die Musik eine kleine Pause. Das ist das Zeichen für euch, loszugehen, so daß ihr genau dann auf der Bildfläche erscheint, wenn die nächste Musik beginnt. Üben wir das mal kurz.” Er schaute zu Peter Lacey hinüber, der die Musikanlage bediente, und gab ihm ein Zeichen. „Ist das erste Model soweit? Los!”

Ein Song der Rolling-Stones, dröhnte aus den Lautsprechern, und Woody sah gespannt zu, wie ein Oberstufenmädchen namens Mindy viel zu schnell über den „Laufsteg” hetzte, der mit Klebeband auf dem Hallenfußboden markiert war.

„Langsam, Mindy, langsam! Woody mußte sich anstrengen, um die Musik zu übertönen. Stell dir vor, daß viele Hundert Augenpaare auf dich gerichtet sind. Gib ihnen was zu sehen! Zeig ihnen was!

„Genau”, ertönte eine Jungenstimme aus der Menge. „Zieh dich aus und zeig uns, was du hast!”

„Lieber nicht”, rief ein anderer Junge dazwischen. „Laß die Klamotten an!”

„Jetzt reicht's aber!” schimpfte Woody aufgebracht. Die arme Mindy sah aus, als würde sie jeden Moment im Boden versinken. „Ihr müßt den Leuten das Ganze durch eure albernen Witze nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Spart euch eure dummen Sprüche für später auf!”

Woody hatte den Hauptstörer längst ausgemacht. Es war John Marquette, der die Proben immer wieder mit seinen

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Zwischenrufen unterbrach. Woody war von Anfang an dagegen gewesen, daß dieser ungehobelte Klotz an der Modenschau teilnahm. Aber Brenda hatte gemeint, man könne den besten Ringer der Schule nicht einfach ausschließen, wenn alle anderen Sportasse dabei waren. Nun bekamen sie den Dank dafür. Marquette riß einen dummen Witz nach dem anderen und verunsicherte die Leute.

„John”, rief Woody, „kann ich dich einen Augenblick sprechen?

Okay, Mindy, du kannst erst mal gehen. Danke.” Mindy trabte erleichtert davon. „Gehen!” mahnte Woody sie.

Marquette bequemte sich tatsächlich zu Woody hinüber. Er ging, quer über den „Laufsteg”, und schnitt dem nächsten Model den Weg ab. „Ich hab auch mit dir zu reden, Webster”, verkündete er drohend.

„Das kann warten. Jetzt ist erst mal wichtig, daß du aufhörst, andauernd zu stören”, erklärte Woody fest. Er versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Mit Marquette war nicht zu spaßen, das wußte er nur zu gut. „Verkneif dir also deine Witze und deine abfälligen Bemerkungen, sonst muß ich dich leider rauswerfen!”

„Hör mal, du Zwerg! Von einem Clown wie dir lasse ich mich nicht herumkommandieren! Ich werd dir mal was sagen. Ein paar von uns sind ziemlich sauer darüber, daß eine gute Freundin von uns aus der Show geflogen ist. Wir überlegen uns deshalb stark, ob wir unter diesen Umständen noch weiter mitmischen sollen. Kann aber auch sein, daß wir bleiben und aus deiner Micky Maus - Show den größten Flop des Jahrhunderts machen.

„Ich weiß gar nicht, wovon du redest”, erklärte Woody ausweichend, obwohl er sehr gut verstanden hatte.

„Ich spreche von Laurie Bennington, kapiert? Sie hat den tollsten Körper der ganzen Schule, und wir wollen diesen

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Körper in der Show sehen in irgendeinem heißen Outfit. Ist das klar?”

Woody räusperte sich. „Wir haben Laurie angeboten, mitzumachen. Aber sie wollte ja unbedingt ihre eigenen Klamotten vorführen. Das konnten wir nicht zulassen.”

„Ihr werdet es zulassen. Laurie hat eine Menge heißer Klamotten im Schrank. Ihr werdet ihr erlauben, ein paar davon in eurer albernen Show zu zeigen.” Der drohende Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

„Ich ... äh ... Ich muß das mit Brenda besprechen”, antwortete Woody nervös.

„Okay, aber beeil dich. Die Proben hier gehen erst weiter, wenn das geklärt ist!”

„Nein!” Brenda strich sich wütend die roten Locken aus dem

Gesicht. „Ich opfere doch nicht meine Freizeit für die Show, nur damit diese verlogene Laurie Bennington kommt und mir alles kaputtmacht!”

„Ich bin ja ganz deiner Meinung”, antwortete Woody besänftigend. „Aber wenn wir Laurie nicht teilnehmen lassen, wird die Hälfte der Jungen aussteigen.”

„Warum denn bloß” jammerte Brenda. „Hat Laurie dermaßen viele Verehrer?”

„Ein paar der Jungen sind einfach froh, daß Marquette ihnen eine Ausrede liefert, damit sie nicht auf den Laufsteg müssen. Etliche wollen Marquette wohl auch nur einen Gefallen tun, oder sie wagen es nicht, sich ihm zu widersetzen.”

„Lächerlich! Hast du Marquettes geschwollene Lippe gesehen?” Woody nickte. „Ja. Warum?”

Brenda lachte schadenfroh. „Erinnere mich nachher daran, daß ich dir erzähle, wie er dazu gekommen ist. Ich hab am Wochenende mit Natascha telefoniert. Von ihr hab ich die ganze Geschichte.”

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„Okay. Aber jetzt müssen wir uns endlich entscheiden. Entweder Laurie kriegt ihren Auftritt, oder ein Großteil der Jungen wirft das Handtuch.” Erwartungsvoll schaute Woody Brenda an, doch sie schwieg trotzig. „Überlege mal, Brenda”, fuhr er schließlich fort. „Was kann es schon schaden, wenn sie mitmacht? Wir lassen sie einmal, über den Laufsteg marschieren, die Leute klatschen, und sie tritt wieder ab. Fertig. Dann ist sie zufrieden, Marquette ist zufrieden, und wir sind zufrieden, weil wir keine Probleme mit der Show haben.

„Nein, das stimmt nicht!” rief, Brenda. „Sie wird uns auf der Nase herumtanzen und alles an sich reißen! Ich will nicht, daß sie es jedesmal schafft, uns ihren Willen aufzuzwingen!”

Woody legte den Arm um sie und drückte sie freundschaftlich an sich. „Schon gut, Brenda. Wenn du so sehr dagegen bist, dann lassen wir es eben. Sollen Marquette und. seine Freunde ruhig abhauen! Dafür schicken wir die übrigen Jungen zweimal über den Laufsteg.”

„Nein, ist schon okay, Woody.” Brenda seufzte. „ich mußte nur mal ein bißchen Dampf ablassen. Laurie bringt mich jedesmal neu auf die Palme mit ihren Intrigen. Von mir aus soll sie ihren Willen haben. Wenn wir ein waches Auge auf sie haben, wird sie keinen Schaden anrichten können. Vielleicht war es auch wirklich nicht fair, sie auszuschließen.”

„He, he!” Woody lachte, „Als nächstes bietest du ihr noch die Leitung der Show an! Nein, ich lasse sie lediglich mitmachen, weil dieser ätzende Marquette mir die Pistole auf die Brust gesetzt hat. Die Show darf nicht ins Wasser fallen!”

An der Stirnseite der Turnhalle war Janie hinter dem

Vorhang dabei, die Sachen durchzusehen, die am nächsten Tag vorgeführt werden sollten. Vor allem achtete sie auf lose Knöpfe und herunterhängende Fäden, während Henry alle Kleider noch einmal kurz aufbügelte.

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„Au! Henry rieb sich seine rechte Hand und verzog das Gesicht. „Ich glaube, als ich Marquette k.o. geschlagen habe, hat es mir weher getan als ihm.. Es tut mir jetzt noch weh.

„Ich wundere mich noch immer über dich”, antwortete Janie. „Allerdings hat Marquette schon lange einen Dämpfer verdient.”

„Anderen Argumenten ist er ja leider nicht zugänglich gewesen”, sagte Henry. „Hast du ihn übrigens heute schon gesehen? Ich bin ihm vorhin begegnet. Eigentlich hatte ich befürchtet, daß er sich auf mich stürzen würde. Er- hat mich jedoch nur haßerfüllt angestarrt und ist weitergegangen. Ich traue dem Frieden nicht.

„Stimmt, Marquette ist nicht der Typ, der so was einfach vergißt. Hey, schau dir das an!” Janie hielt eine marineblaue Jacke hoch. „Für diesen Blazer muß man bestimmt hundertfünfzig Dollar hinblättern, und dabei fallen die Knöpfe an den Ärmeln schon ab!

„Darum kontrollieren wir ja alles.” Schweigend arbeiteten sie weiter. „Natascha war übrigens

total aus, dem Häuschen, als ich ihr heute morgen ihr Kleid mitgebracht habe”, begann Janie nach einer Weile. „Sie konnte es gar nicht fassen, daß du einen ganz neuen Ärmel angesetzt hast. Sie wollte unbedingt zehn Dollar extra bezahlen, und sie meinte, ihr Bericht über die Modenschau würde ein einziges Loblied auf die geheimnisvolle Designerin werden. Ich finde es schade, daß du darauf bestehst, weiterhin anonym zu bleiben. Früher oder später wird es ja doch herauskommen.”

„Lieber später. Du, Janie, das Schicksal ist mir übrigens gnädig. Ich hab noch eine Galgenfrist bekommen.”

„Wie?” „Mein Vater! Einer der College-Trainer ist überraschend

ausgefallen. Das bedeutet, daß mein Vater zusätzlich dessen Mannschaft übernehmen und trainieren muß. Und das

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wiederum bedeutet, daß er reichlich zu tun hat und deshalb doch nicht zu dem Basketball-Spiel kommen kann.” Er blickte Janie fragend an. „Hey, du freust dich ja gar nicht.”

Janie wich seinem Blick aus „Irgendwie gefällt mir das nicht, Henry. Diese ganze Heimlichtuerei ist nicht, gut für dich. Du hast es nicht nötig, dich vor deinem Vater, zu verstecken. Schließlich bist du kein Schwerverbrecher.”

Henry wandte sich ab. „Was bleibt mir anderes übrig? Die Sache sähe anders aus, wenn er mich akzeptieren würde, wie ich wirklich bin. Er will nur eins, daß ich in allen Punkten so bin wie er.”

„Vielleicht ist er gar nicht so schlimm, wie du denkst”, widersprach Janie sanft. „Laß es doch mal auf einen Versuch ankommen. Du hast ihm noch nie eine echte Chance gegeben. Woher soll er wissen, wie du in Wirklichkeit bist, wenn du es ihm nie zeigst?”

„Es ist sinnlos, mit ihm zu sprechen. Außerdem, bringe. ich es nicht, ihm die Wahrheit zu sagen”, gab Henry zurück. In versöhnlicherem Tonfall fügte er hinzu: „Sieh mal, Janie, vielleicht hast du recht. Aber, ich packe es nun mal nicht. Ehrlich nicht.”

Mitfühlend legte sie eine Hand auf seine Schulter. „Ist schon okay”, sagte sie. „Ich wollte dir keine Vorhaltungen machen. Dazu bin ich auch gar nicht berechtigt. Ich selbst komme mit meinen Eltern schließlich auch nicht besonders toll zurecht.”

„Mit deiner Mutter verstehst du dich ganz gut, soweit ich das mitgekriegt habe.”

„Ja, irgendwie schon”, gab Janie zu. „Ich, hab sie auch sehr gern. Wenn sie mich bloß nicht immer so zu etwas drängen würde! Sie kommt morgen übrigens auch zu der Modenschau. Ich hoffe nur, daß sie ihren Fotoapparat zu Hause läßt. Das Blitzlicht würde mich so irritieren, daß ich bestimmt stolpern würde. Dann wäre der ganze Effekt hin.”

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John Marquette stand hinter dem Vorhang. Über sein

Gesicht glitt ein Grinsen. Seine Gegner im Ring kannten und fürchteten es. Es bedeutete nämlich meistens, daß Marquette einen Vorteil hatte und daß er gewillt war, diesen Vorteil auszunutzen.

Voller Schadenfreude schaute er durch einen Spalt zu, wie die beiden, die er schon eine ganze Weile belauschte, mit der Arbeit fortfuhren. Henry Braverman und Micky Maus! Einfach, lachhaft! Das stärkste aber war, daß dieser Spargeltarzan seinem Vater vormachte, er spiele Basketball, während er in Wirklichkeit heimlich Kleider schneiderte!

John Marquette stellte zufrieden fest, daß der Nachmittag sehr erfolgreich verlaufen war. Als erstes hatte er den Clown Webster zur Schnecke gemacht und der bildhübschen Laurie damit einen großen Gefallen erwiesen. Marquette war entschlossen, sich irgendwann den Dank dafür bei ihr abzuholen. Vor allem aber wußte er nun, wie er sich an Henry Braverman rächen konnte. Es war nur noch eine Frage der Zeit.

Mr. Bravermann ließ die Zeitung sinken, trank einen Schluck

Kaffee und fragte: „Na, mein Sohn, wie schätzt du eure Chancen gegen Millville ein? Die haben ein paar ziemlich starke Angriffsspieler in ihrer Mannschaft, nicht wahr?”

Henry erstarrte. Das waren für ihn die schlimmsten Augenblicke, wenn sein Vater versuchte, mit ihm über Sport ins Gespräch zu kommen. Früher oder später würden Henry Schnitzer unterlaufen, die er nicht mehr wegerklären konnte. Aus Vorsichtsgründen hielt er seine Antworten stets so kurz und allgemein wie möglich.

„Schwer zu sagen, wie es ausgehen wird”, sagte er.

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„Wie hält euer Trainer es mit der Raumdeckung?” Henry hatte nur sehr vage Vorstellungen davon, was das

überhaupt war. „Kommt darauf an murmelte er, den Blick starr auf seinen Müsliteller gerichtet.

„Ich glaube, es wird noch mehr Schnee geben”, meinte Mrs. Braverman. „Schaut euch nur diesen Himmel an!”

Henry blickte so angestrengt aus dem Fenster, als hinge sein Leben davon ab. „Ja, du hast recht, Mom”, erklärte er eifrig. „War das ein Schneetreiben am Freitagabend! Auf dem Rückweg von Georgetown war ich richtig nervös, weil die Straßen noch nicht geräumt waren.”

„Ein guter Autofahrer fährt auch bei Schnee sicher”, mischte Mr. Braverman sich ein. „Es ist alles nur eine Sache der inneren Einstellung.”

Henry überhörte diesen Kommentar. „Ich werd heute abend nicht zum Essen dasein, Mom!”, sagte er so ruhig wie möglich.

„Warum nicht? Seit die Schule wieder begonnen hat, bist du fast jeden Abend unterwegs. Hast du irgendwelche Geheimnisse vor uns?” Erwartungsvoll sah Mrs. Braverman ihn an.

Henry spürte, daß Ihre Frage darauf abzielte, ob er womöglich eine Freundin hatte. Er schluckte. „Nein, nein. Ich bin nur mit ein paar Freunden zum Pizzaessen verabredet.”

„Vergiß nicht, daß du auch noch eine Familie hast. Wenn du dich hier weiter so rar machst, wissen wir am Ende nicht mehr, wie du aus siehst.”

„Laß den Jungen nur”, ergriff Mr. Braverman für seinen Sohn Partei. „Ich finde es wichtig, daß er viel mit seinen Kumpels zusammen ist. Es geht nichts über gute Kameradschaft. Hab ich nicht recht, mein Sohn?”

„Ja, Dad.” „Dabei fällt mir ein, daß mich gestern ein Schulkollege von

dir angerufen hat. Er heißt John Marquette und will im Laufe

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der Woche vorbeikommen, um sich mit mir zu unterhalten. Ich hoffe, daß ich ihn für unser Football Team gewinnen kann, sobald er mit der Schule fertig ist. Es kann unserem Ruf nichts schaden, wenn wir einen der besten Ringer der Gegend in der Mannschaft haben.”

Henry ballte unter dem Tisch die Fäuste. Er traute Marquette nicht. Dieser Feigling würde seinem Vater zwar garantiert nicht stecken, daß Henry ihn zu Boden geschlagen hatte. Dazu war ihm die Sache viel zu peinlich. Aber er hatte sich inzwischen bestimmt einen hinterhältigen Racheplan ausgedacht. Und Henry Braverman senior schien darin eine wichtige Rolle zu spielen.

„Wenn dir John mal über den Weg läuft, leg ein gutes Wort für unsere Mannschaft ein”, fuhr Henrys Vater fort. „In den letzten Jahren hat die Sportbegeisterung der College-Studenten sehr nachgelassen. Und meine Spieler haben darunter zu leiden. Sie brauchen einfach die Gewißheit, daß die übrigen Studenten voll hinter ihnen stehen und sie nach Kräften unterstützen. Da helfen Athleten wie John Marquette. So weit ich gehört habe, ist er ein äußerst erfolgreicher Sportler, auf den jedes College stolz sein würde.”

„Wer? Marquette?” platzte Henry heraus. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Der größte Angeber der ganzen Schule?”

„Nun mach aber mal halblang! Redet man so über einen Sportskameraden? Ich finde das reichlich unkameradschaftlich von dir und bestehe darauf, daß du es sofort zurücknimmst!

Henry wußte, daß es klüger war, nachzugeben und es nicht auf einen Krach ankommen zu lassen.

Aber er konnte den unfairen Vorwurf seines Vaters unmöglich auf sich sitzen lassen.

„Ich soll es zurücknehmen?” brauste er auf. „Wo es die Wahrheit ist? Marquette ist ein großmäuliger Muskelprotz mit

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dem Gehirn einer Küchenschabe. Er benimmt sich wie der letzte Mensch.”

„Henry! So spricht man nicht über einen der besten Sportler der Schule! Was sollen denn deine Mannschaftskameraden denken, wenn sie so etwas von dir hören?”

„Ach, da ist wohl das einzige, was deiner Meinung nach zählt, was?” Henry reichte es. Wütend stieß er seinen Stuhl zurück und sprang auf. „Mir ist es egal, was die Mannschaftskameraden von mir denken!”

Auch um Mr. Bravermans Beherrschung war es nun geschehen. „Die Mannschaftskameraden sind enorm wichtig im Leben eines Jungen. Sie lernen dich so gut kennen, wie kaum sonst jemand. Wenn sie dich nicht respektieren, kannst du dich gleich begraben lassen.”

„Und wenn sie vielleicht einfach nur zu blöd sind, um mich zu verstehen?”

„Schrei mich nicht so an! Und setz dich wieder! Unsere Unterhaltung ist noch nicht beendet.”

„Wir sollten uns alle beruhigen und uns wie vernünftige Menschen. über die Sache unterhalten”, schaltete sich Mrs. Braverman ein. „Wir wollen den Tag doch nicht gleich mit einem Streit beginnen.”

Henry und sein Vater achteten nicht auf das, was sie sagte. „Du weißt, daß ich recht habe, Junge. Man ist zusammen in

derselben Mannschaft. Man kämpft zusammen. Man spürt, daß man sich auf den anderen verlassen kann. Da merkt man schnell, ob jemand etwas wert ist Das hast du doch beim Basketball miterlebt.”

„Ich hab gar nichts beim Basketball miterlebt”, entfuhr es Henry. Als er merkte, was er gesagt hatte, wurde er kreidebleich.

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Mr. Braverman schien einen Augenblick zwischen Wut und Verwirrung zu schwanken. „Was soll das heißen?” fragte er.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. „Ich spiele überhaupt nicht Basketball.”

„Wie bitte? Mr. Braverman runzelte die Stirn. „Soll das heißen, daß du gesperrt worden bist und dich nicht getraut hast, es mir zu sagen? Aber mein Sohn, es ist doch keine Schande, wenn man ...”

Das Mitgefühl in der Stimme seines Vaters war unerträglich für Henry. „Ich bin nicht gesperrt worden rief er. „ich hab nie Basketball gespielt! Ich hab dich belogen!”

In der Küche herrschte plötzlich eisiges Schweigen. „Du hast mich dazu gezwungen”, fuhr Henry fort, als er die

Stille nicht länger aushalten konnte. „Du hast mich ständig gedrängt, mir einen Mannschaftssport zu suchen, obwohl ich nicht wollte. Damit du endlich Ruhe gibst, hab ich mir dann einfach was ausgedacht.

Das Gesicht seines Vaters rötete sich. „Damit ich Ruhe gebe? Na, ich werd nicht eher Ruhe gehen,

bis du mir erklärt hast, was hier eigentlich gespielt wird!” Er sprang auf und ging auf Henry zu.

Henry fühlte sich im Recht und wich keinen Zentimeter zurück.

„Wo hast du gesteckt, wenn du behauptet hast, du seist beim Training?”

Sie standen sich praktisch Nase an Nase gegenüber. „Was hast du wirklich gemacht?”

Henry hatte diese Frage erwartet und sich darauf vorbereitet. „Ich hab mir selbst beigebracht, wie man Kleider entwirft.”

„Wie soll ich das verstehen? Was für Kleider?” „Kleider für Mädchen. Ich möchte als Modedesigner

arbeiten.”

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„Wie spannend!”, Mrs. Braverman strahlte. „Vor ein paar Wochen war ein Designer in der Johnny-Carson-Show im Fernsehen zu Gast. Ein interessanter Mann.”

„Der kann mir mitsamt deinem Johnny Carson gestohlen bleiben”, erklärte Mr. Braverman lautstark. „Ich finde es unerhört, daß unser Sohn sich herumtreibt und uns belügt. Ich werde schon herausbekommen, womit du deine Zeit vertan hast! Darauf kannst du dich verlassen!”

„Von mir aus fang gleich morgen nachmittag damit an. Da findet an unserer Schule nämlich eine Modenschau statt. Neben Sachen aus Boutiquen werden Kleider gezeigt, die ich entworfen habe. Aber nicht nur das. Ich hab in den letzten zwei Wochen mit Kleidern über dreihundert Dollar verdient, und das ist erst der Anfang!”

Henry nahm seine Bücher, schnappte sich im Vorbeigehen seine Jacke und verließ das Haus, um zur Schule zu gehen.

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12. KAPITEL „Selbst ein Football-Star wie Ted muß ab und zu

ausspannen. Ted greift dann am liebsten zum Bumerang, weil der ganz von allein zurückkommt.”

Woody erntete für seine Ansage Lachen aus dem Publikum. „Teds Outfit”, fuhr er fort, „hat uns übrigens das Sportgeschäft Superjock aus Georgetown zur Verfügung gestellt. Ted trägt ein Hemd im Rugby-Stil aus Baumwolle in Meergrün und Burgunderrot, dazu meergrüne Rugbyshorts, in Burgunderrot abgesetzt. Für den Fall, daß es Regen gibt, hat Ted eine lässige Jacke aus burgunderrotem Gore-Tex. Und bei so viel Burgunder wird er wahrscheinlich jemanden brauchen, der ihn sicher nach Hause bringt.”

Alles lachte, und es gab viel Beifall. „Was hast du auf deiner Seite Neues, Brenda?” fragte Woody, nachdem es wieder etwas ruhiger geworden war.

Statt Stevie Wonder erklang nun John Denver aus dem Lautsprecher.

„Tja, Woody, hier kommt Marcia, antwortete Brenda, das Mikrofon in der Hand. ”Marcia liebt lange romantische Spaziergänge auf dem Land, und sie hat bei Milovan genau die richtigen Sachen dafür gefunden. Sie trägt einen klassischen Rock in Marineblau und dazu einen blauen Kuschelpullover mit weißem Schneeflockenmuster.”

Erneut ertönte Applaus. Janie stand hinter dem Vorhang in dem Bereich, der den

Mädchen als provisorische Garderobe diente. Sie hörte der

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Ansage nur mit halbem Ohr zu. Es würde mindestens noch zwanzig Minuten dauern, bis sie an die Reihe kam. Sie sollte die allerletzte im Programm sein.

Brenda war von dem neuen Kleid, das Henry für Janie entworfen hatte, so begeistert gewesen, daß sie die ursprüngliche Reihenfolge der Auftritte geändert hatte. „Dein Kleid muß unbedingt ans Ende der Show”, hatte sie Janie erklärt. „Es wäre sonst ungerecht, denn es ist mit Abstand das Schönste und noch dazu von einer Schülerin der Kennedy High School entworfen. Es steht dir übrigens phantastisch. Deine Freundin scheint dich sehr genau zu kennen.”

Janie war rot geworden. Sie war froh gewesen, daß Brenda es nicht bemerkt hatte, sonst hätte sie sich bestimmt einen Reim darauf gemacht. Brenda hatte Janie und Henry mehr als einmal zusammen gesehen, und da sie gut mit Natascha Jenkins befreundet war, hatte sie bestimmt auch schon von dem Zwischenfall am Freitagabend gehört.

Der arme Henry! Er war noch immer ziemlich mitgenommen von der Auseinandersetzung mit seinem Vater. Während der großen Pause hatte Janie versucht, ihn ein wenig zu beruhigen, aber er hatte gar nicht richtig zugehört.

Sie war sehr stolz darauf, daß er seinem Vater endlich reinen Wein eingeschenkt hatte. Trotzdem bedauerte sie es ein bißchen, daß Henry nicht ein oder zwei Tage gewartet hatte. So hatte er sich selbst die Modenschau verdorben. Dabei hatte es für sie beide ein so großes Ereignis werden sollen!.

Henry hing irgendwo niedergeschlagen hinter den Kulissen herum. Am liebsten hätte Janie sich aufgemacht, um ihn zu suchen. Sie wußte, daß er sie jetzt brauchte, und sie brauchte ihn ebenfalls. Wie sollte sie, vor so vielen Zuschauern über den Laufsteg marschieren, ohne sich vorher von ihm Mut zusprechen zu lassen?

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Aber Brenda hatte ihnen immer wieder eingeschärft: „Laßt euch auf keinen Fall mehr vor dem Vorhang blicken, wenn ihr fertig umgezogen seid! Bleibt in der Garderobe! Ihr verderbt sonst den Effekt und stehlt außerdem denen die Show, die gerade dran sind.”

Brenda trug beim Ansagen das grüne Kleid, das Henry für sie entworfen hatte. Sie sah einfach umwerfend aus. Der zweite wandelnde Beweis für Henrys Talent war Christina. Sie führte das blaue Kleid vor, das er für sie kreiert hatte. Und auch Natascha trug das lavendelfarbene Kleid von Henry. Janie bemerkte es, als Natascha in die Garderobe kam, um ein paar der Mädchen für die Schülerzeitung zu interviewen. Henry konnte wirklich stolz auf sich sein. Nur schade, daß er von alldem nichts mitbekam.

„Hallo, Janie! Sag mal, willst du etwa auf den Laufsteg?” Das unverhohlene Erstaunen in Lauries Stimme versetzte

Janie einen Stich. Doch sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. „Hi, Laura. Wie geht's dir?”

Laurie trug bereits ihr Outfit. Janie musterte sie neugierig. Laune hatte eine weiße Spitzenstrumpfhose an und darüber ein weißes Minikleid mit einem schrillen Graffiti-Aufdruck in Neon-Pink. In Neon-Pink leuchteten auch die Stiefeletten und das Tuch, mit dem sie seitlich eine dicke Haarsträhne zusammengebunden hatte. Laurie sah aus, als hätte sie allein für ihr Augen-Make-up mindestens eine halbe Stunde gebraucht. Es wirkte auch dementsprechend raffiniert.

„Ach, stimmt ja”, rief Laurie, ohne auf Janies Frage einzugehen. „Peter Lacey hat die Show mit organisiert. Dann ist mir alles klar! Ich hab immer gesagt, daß er sich unheimlich für seine Freunde einsetzt!”

Sie meinte damit ganz offensichtlich, daß Janie nur in der Show auftreten durfte, weit sie mit Peter befreundet war. Janie

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hätte beinahe laut losgelacht, denn sie wußte nur zu gut, wie Laurie zu ihrem Auftritt gekommen war. Doch sie konnte jetzt keinen Streit gebrauchen. Darum lächelte sie nur und wandte sich wieder ihrem Taschenbuch zu.

Laurie ließ sich jedoch nicht so leicht abwimmeln. „Was für ein nettes Kleid”, erklärte sie herablassend. „Hat das auch deine kleine Freundin gezaubert, von deren Nähkünsten zur Zeit alle Mädchen schwärmen? Find ich ja rührend, daß sie versucht, auf eigene Faust zu schneidern. Vielleicht werd ich auch mal was bei ihr bestellen. Ich finde, man sollte so etwas unterstützen.”

Diesmal gelang es Janie nur mit viel Mühe, das Lachen zu unterdrücken. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was für eine Art Kleid Henry für Laurie entwerfen würde. Die Ärmel würden wahrscheinlich in riesigen, einfahrbaren Krallen enden.

Am Garderobeneingang herrschte plötzlich Unruhe. Janie sah, wie eine elegante ältere Dame mit einem Arm voller Kleider hereinkam. Sie erkannte sie sofort. Es war die Geschäftsführerin der Rezato-Boutique in Georgetown. Diese Frau war es gewesen, die ihr eine Szene gemacht hatte, als etwas mit den Anzeigen in „The Red and the Gold” nicht gestimmt hatte.

„Wo soll ich die Sachen hinhängen?” fragte die Dame. Janie sprang auf, nahm ihr die Kleider ab und hängte sie auf

einen Ständer. „Danke, meine Liebe. Und hier noch der rote Overall und

der Regenmantel.” „Hallo, Miß Wainwright”, rief Laurie überschwenglich. „Ich

bin Laurie Bennington. Wir hatten ein Gespräch neulich bei Ihnen in der Boutique. Erinnern Sie sich? Es ging dabei um die Modesendung, die mein Vater vielleicht in seinem Kabelprogramm starten will.”

„Ja, natürlich erinnere ich mich. Wie geht es dir?”

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„Super!” Laurie stellte sich in Positur. „Wie gefällt Ihnen mein Minikleid?”

Die Frau musterte Laurie mit fachmännischem Blick. „Sehr nett, meine Liebe, sehr nett. Oh, entschuldige mich bitte für einen Moment.”

„Sie steuerte geradewegs auf Janie zu. „Verzeihung, aber dieses Kleid ... Es stammt doch sicherlich von der jungen Designerin, von der ich gehört habe.”

„Ja, das stimmt”, antwortete Janie. „Sag mal, wer ist denn dieses geheimnisvolle Mädchen? Ich

kann gar nicht glauben, daß es sich wirklich um eine Schülerin handelt.

„Es ist eine Freundin von mir”, entgegnete Janie. „Sie möchte auf jeden Fall anonym bleiben.”

„Aber du darfst in ihrem Namen sprechen ... Oh, ich verstehe.” Miß Wainwright nahm offensichtlich an, daß Janie selbst die geheimnisvolle Designerin war. „Also dann richte deiner, Freundin bitte aus, daß sie mich in den nächsten Tagen anrufen soll. Ich möchte nämlich, daß sie eine kleine Sonderkollektion exklusiv für die Rezato-Boutique entwirft.”

Janie konnte sich nur mühsam davor zurückhalten, der Frau um den Hals zu fallen. „Vielen Dank”, sagte sie feierlich. „Ich werde es ausrichten.”

„Aber vergiß es nicht. Und laß dir noch einmal sagen, daß dein Kleid wirklich ein Traum ist. Es steht dir überaus gut.”

„Vielen Dank”, wiederholte Janie verlegen. Laurie hatte den letzten Teil der Unterhaltung mitangehört.

„Miß Wainwright, was sagen Sie denn zu meinem Kleid?” fragte sie eifrig. „Der neueste Schrei aus Italien. So etwas trägt man dort jetzt.”

„Ja, meine Liebe”, antwortete die Geschäftsführerin der Rezato-Boutique nachsichtig. „Aber weißt du, unsere Branche ist äußerst schnellebig. Was man heute trägt, ist für uns

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meistens schon Schnee von gestern. Uns interessiert, was die Leute In einem Jahr tragen werden.”

Der freundliche Tonfall machte die Kränkung nur noch schlimmer. Lauries Gesicht glühte. Wütend machte sie auf dem Absatz kehrt und rauschte davon, nicht ohne Janie noch einen verächtlichen Blick zuzuwerfen.

„Pst! Janie!” Das Flüstern kam von der anderen Seite des Vorhangs. Janie

zog den Stoff ein Stück beiseite. Davor stand Henry. Er biß sich auf die Lippe und wirkte besorgt. Janie umarmte ihn stürmisch und gab ihm einen Kuß. „Du, ich hab tolle Neuigkeiten für dich”, flüsterte sie.

„Erzähl sie mir später. Du bist gleich dran. Hat die Frau von der Rezato-Boutique den Regenmantel gebracht?”

„Ja, sie war , vor ein paar Minuten hier. Und weißt du was? Sie...”

„Zieh ihn über”, unterbrach er sie ungeduldig. „Den Regenmantel?” fragte sie verblüfft. „Genau den. Ich hab mit Brenda gesprochen, und wir fanden,

daß dein Kleid auf diese Art besser zur Geltung kommt. Du gehst mit Mantel hinaus. Am Ende des Laufstegs läßt du den Mantel ganz cool zu Boden gleiten. Du drehst dich ein paarmal hin und her, darin gehst du zurück. Den, Mantel läßt du einfach liegen. Brenda sammelt ihn nachher auf. Verstanden?”

„Ich glaub schon. Aber...” „Okay. Hol jetzt den Mantel und zieh ihn über. Ich will

sehen, wie du damit wirkst.” Janie nahm den Mantel vom Ständer und schlüpfte hinein. Er

war dunkelgrau, glänzend und reichte ihr fast bis zu den Füßen. Geschnitten war er wie ein Soldatenmantel. Irgendwie erinnerte er Janie an einen Film, den sie einmal über Napoleon gesehen hatte. Henry begutachtete sie kritisch von alten Seiten

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und nickte zufrieden. „Genau richtig.” Er strich eine Haarsträhne zurück, die ihr In die Stirn gefallen war, und, nickte erneut. „Janie”, sagte er langsam, „sie werden ausflippen, wenn sie dich so sehen! Er strahlte plötzlich wie ein kleiner Junge.

„Henry?” Janie hatte eine Idee. „Du warst doch nur deshalb dagegen, daß die Leute deinen Namen erfahren, weil dein Vater es nicht wissen durfte. Oder?”

Henrys Miene verfinsterte sich. „Ja.” „Aber dein Vater weiß doch seit eurem Krach Bescheid.

Warum sollen wir also nicht das Geheimnis lüften? Ich würde mich so freuen, wenn du endlich Anerkennung für deine Arbeit bekämest!”

Sie sah ihm an, wie erinnerlich mit sich kämpfte. Er hatte sich inzwischen offenbar so an die Anonymität gewöhnt, daß er sich nur schwer davon trennen konnte.

„Janie?” hörte sie in diesem Moment jemanden rufen. „Du bist dran!”

Rasch schlang sie die Arme um Henry. „Schau mir genau zu”, flüsterte sie. „Und hör genau zu. Drück mir die Daumen!”

„Mach ich”, antwortete er und gab ihr schnell noch einen zärtlichen Kuß.

„Henry”, schimpfte sie zum Spaß, „zerdrück mir mein tolles Kleid nicht!”

„Und nun, liebe Leute, seht ihr Janie auf dem Weg zu einer großen Fete”, verkündete Brenda, während die ersten Takte des Stücks von den Posers ertönten. „Da Janie ein schlaues Mädchen ist, hat sie sich auf jedes Wetter vorbereitet. Sie trägt einen Mantel aus Nylon-Ciro, den ihr hier in der Gegend nur bei der Rezato-Boutique in Georgetown bekommt.”

Janie schritt so würdevoll wie möglich den Laufsteg entlang und hielt den Kopf hoch wie eine Königin. Henry, das ist für dich, dachte sie. Der Beifall für den Mantel verebbte. Irgendwo

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applaudierte jedoch jemand ein paar Sekunden länger als die übrigen. Janie sah ihre Mutter. Und der Mann, der neben ihr stand, war niemand anders als Henrys Vater! Er hatte es sich also trotz allem nicht nehmen lassen, auf der Modenschau zu erscheinen.

Am Ende des Laufstegs knöpfte Janie den Mantel auf. Brenda erklärte: „Janies Kleid wurde von einer Schülerin der High School entworfen. Den Namen dieser genialen Schülerin dürfen wir leider nicht nennen, weil sie anonym bleiben möchte.” Der Mantel glitt zu Boden, und zum Vorschein kam das asymmetrisch geschnittene Kleid mit der freien Schulter und dem leuchtenden Diagonalstreifen. Beifall brandete auf. Janie wandte sich elegant nach links, hob die Arme mit einer anmutigen Geste bis auf Schulterhöhe und drehte sich dann nach rechts.

Nun hätte sie eigentlich wie geplant zurückgehen und hinter dem Vorhang, verschwinden müssen, so wie die anderen vor ihr. Statt dessen stieg sie einfach über die- Klebebandmarkierung hinweg und eilte zum Mikrofon. Brenda trat verwirrt beiseite.

„Hallo, Leute”, sagte, Janie mit zitternder Stimme. Ich hab eine Ansage zu machen. Nein, zwei Ansagen. Sie blickte zu Henrys Vater hinüber. „Also erstens möchte ich das große Geheimnis lüften und euch verraten, von wem das Kleid stammt, das ich trage. Es wurde von einer Person entworfen, die wirklich eine Menge Talent hat und mit der ich mich sehr gut verstehe! Es ist ...”

Sie wartete, bis die gespannten Ahs und Ohs verklungen waren und es mucksmäuschenstill in der Halle War.

„Es ist niemand anders als Henry Braverman, ein Junge aus der Junior-Klasse unserer Schule. Er sitzt, irgendwo hinter der Bühne, aber ich hoffe, daß er mich hören kann.

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Der Beifall, der losbrach, war noch stürmischer als der für das Kleid.

„Bei meiner zweiten Ansage handelt es sich um eine große Überraschung, von der nicht mal Henry selbst bis jetzt etwas weiß. Die Rezato-Boutique hat vor, sich von ihm eine exklusive Sonderkollektion entwerten zu lassen!”

Wieder gab es heftigen Applaus und Bravorufe. Die Zuschauer klatschten noch lange nach Janies Abgang.

Janie stürmte in Henrys Arme. „Wie konntest du nur?” fragte er und sah sie liebevoll an.

„Ich wäre beinahe gestorben, als ich deine Stimme plötzlich aus dem Lautsprecher hörte.

„Ich müßte es einfach tun”, rief sie atemlos und lachte. „Ich konnte nicht zusehen, wie alle Leute nach Hause gehen, ohne zu wissen, wer mein Super-Kleid entworfen hat!” Sie küßte ihn ausgelassen. „Und ich, hatte vielleicht eine Angst, in dieses blöde Mikrofon zu sprechen!” gestand sie. „Ich hab befürchtet, ich würde keinen Ton herausbringen!”

„Du hast eine tolle Rede gehalten. Aber was sollte diese Sache mit der Rezato-Boutique?

„Ich wollte es dir vorhin schon sagen. Die Geschäftsführerin hat heute deine Kleider gesehen und fand sie allesamt sehr beeindruckend. Ich soll dich bitten, sie in den nächsten Tagen anzurufen, weil sie eine Kollektion von dir haben möchte.”

Henry starrte sie mit offenem Munde an. „Im Ernst? Ich dachte, das vorhin auf dem Laufsteg wäre ein Ulk gewesen! Mensch, weißt du, was das bedeutet?”

Janie schlang die Arme um ihn, zog ihn zu sich herunter und küßte ihn auf die Nasenspitze. „Natürlich weiß ich das”, sagte sie stolz. „Das bedeutet, daß du den Erfolg hast, den du verdienst. Wie ist das eigentlich? Wirst du deine alten Freunde vergessen, wenn du ein berühmter Designer bist?”

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Er hielt sie ganz fest und gab ihr als Antwort einen langen Kuß. „Janie, ich liebe dich”, flüsterte er. „Plötzlich läuft alles wie geschmiert. Das habe ich dir zu verdanken. Ich bin noch nie in meinem Leben so glücklich gewesen. Sogar den Streit mit meinem Vater finde ich plötzlich gar nicht mehr so schlimm.”

„Ich hab dich auch sehr lieb. Sie kuschelte sich an ihn. „Du hast aus mir einen ganz neuen Menschen gemacht, weil du ...”

Er verschloß ihr die Lippen mit einem weiteren Kuß. Dann mußten sie sich leider trennen, weil eine Menge Leute in die Garderobe gestürmt kamen, um ihnen zu gratulieren.

Natascha war die erste. „Du bist vielleicht eine, Janie Barstow”, rief sie und umarmte sie herzlich. „Erzählst mir, deine Freundin würde mein Kleid wieder herrichten, während der eigentlich Verantwortliche vom am Steuer sitzt und sich diebisch freut. Meinst du, er hat was dagegen, wenn ich ihm einen Kuß gebe? Ich finde das Kleid so traumhaft!

„Er hat garantiert nichts dagegen.” Janie lachte. „Aber ich vielleicht!”

Nach ein paar Minuten ging Janie hinaus in die Halle. Ihre Mutter wartete dort auf sie, zusammen mit Henrys Vater. Janie drängte sich zu ihnen durch.

„Janie, du warst wunderbar! Und dein Kleid war einfach zauberhaft!” rief Mrs. Barstow entzückt. „Ich mußte mir in den Arm kneifen, um sicherzugehen, daß ich nicht nur träume. Und denk dir, am Ende der Show stellt sich heraus, daß dieser Herr hier neben mir, mit dem ich mich so nett unterhalten habe, Henrys Vater ist!”

,,Ich weiß”, sagte Janie und wurde ernst.” Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Mr. Braverman.”

„Ich freue mich auch. Es war angenehm, euch beide kennenzulernen. Aber jetzt werd ich mich wohl lieber...”

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„Mr. Braverman,” Janie zögerte. „Henry ist da drüben hinter dem Vorhang. Wenn Sie vielleicht kurz hallo sagen wollen ...”

Er schien mit, sich zu kämpfen., „Ich glaube, Henry wäre sehr froh, Sie zu sehen.”, setzte

Janie mutig hinzu, ohne zu wissen, ob es wirklich stimmte. „Tja, wenn es so ist, dann gern.” Er folgte ihr quer durch die

Turnhalle in den Bereich hinter dem Vorhang. Henry redete gerade mit Woody und Brenda. Als er seinen Vater sah, stutzte er und verstummte.

Auch Mr. Braverman sprach kein Wort. Schweigend starrten sie einander an. Dann räusperte Mr. Braverman sich und ging mit ausgestreckter Hand, auf Henry zu.

„Mein Sohn, ich möchte dir gratulieren!” Er schüttelte Henry die Hand und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Das war ein Riesenerfolg für dich. Ich bin sehr stolz auf dich!”

„Danke, Dad. Ich...” Henry wußte plötzlich nicht weiter. Statt dessen umarmte er seinen Vater. Mr. Braverman zögerte unmerklich, doch dann erwiderte er die Umarmung seines Sohnes voller Wärme.

So standen, sie eine Weile da, und über die Schulter seines Vaters hinweg warf Henry Janie einen Blick zu. Sie stellte gerührt fest, daß seine Augen feucht schimmerten.

John Marquette warf den Tarnanzug, den er vorgeführt hatte,

achtlos auf den Boden, angelte sich seine Jacke vom Haken und schnitt seinem Spiegelbild eine ärgerliche Grimasse.

Als er den Jungenumkleideraum verließ, bekam er gerade noch mit, wie Henry Bravermann einem Mann um den Hals fiel. John wollte schon eine abfällige Bemerkung vom Stapel lassen, da drehte der Mann sich um. Es war Mr. Braverman, der Football-Trainer. Johns Laune sank noch weiter in

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Richtung Nullpunkt. Dann hatte Henry sich mit seinem alten Herrn also wieder vertragen! Marquette lief wütend hinaus. Draußen auf der Treppe sprangen zwei Schüler aus der Unterstufe hastig beiseite, um ihm Platz zu machen. Marquette nahm es mit Befriedigung zur Kenntnis.

Natascha atmete erleichtert auf, als Marquette weg war. Sie

hatte befürchtet, daß er Streit mit Henry anfangen und dadurch, die ganze Modenschau verderben würde. Verrückt, daß Henry „die” große Unbekannte war, die die tollen Kleider entworfen hatte! Er und Janie standen mit Mr. Braverman und Janies Mutter zusammen da und unterhielten sich. Man sah ihnen von weitem an wie verliebt sie waren. Verwundert dachte Natascha an die verschüchterte Janie zurück, die vor einigen Monaten kleinlaut zu ihr ins Redaktionsbüro gekommen war. War das tatsächlich dasselbe Mädchen? Enorm, wie jemand sich so verändern konnte!

Beim Gedanken an die Schülerzeitung fühlte Natascha sich müde und ausgebrannt. Es hatte in der letzten Zeit so viel Ärger gegeben. Die Zeitungsarbeit hatte ihr kaum noch Spaß gemacht. Sicher, sie wußte, daß sich das wieder geben würde. Aber sie hatte den unbestimmten Verdacht, daß sie zu viel Zeit in die Schülerzeitung investierte. Andere wichtige Dinge hatten darunter leiden müssen. Wehmütig schaute Natascha zu, wie Janie und Henry Hand in Hand die Turnhalle verließen. Sie spürte auf einmal einen dicken Kloß im Hals. Trotzdem lächelte sie tapfer und sagte sich, daß auch für sie irgendwann bessere Zeiten kommen würden. Irgendwann würde auch sie so glücklich sein wie Janie und Henry!

ENDE

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