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Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Soziologische Perspektiven auf die
Multioptionsgesellschaft
Täglich 1000 Entscheidungen – die Qual
der Wahl
Täglich 1000 Entscheidungen
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Ich blätterte Kataloge durch und fragte mich, welche Esszimmer-Garnitur wohl meine Persönlichkeit definiert! (Fight Club)
JA NEIN
VIELLEICHT
Sich entscheiden MÜSSEN…
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Konsum Hobbys
Arbeit Familie
ReligionLebenskunstphilosophie
…im alltäglichen Leben:
Sport
…in der Lebenskunst:
Soziale Netzwerke
…in der Lebensplanung:
Ethik Glaube
Wohnort
Reisen Entertainment
Ursachen der Multioptionsgesellschaft
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Industrialisierung
Technisierung Ökonomisierung
Globalisierung
Individualisierung
Ökologisierung Digitalisierung
Die Theorie der Reflexiven Modernisierung
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Prof. Dr. Ulrich Beck
München/London/Paris8 EhrendoktorwürdenEthik-Kommission
Von der ersten zur kosmopolitischen Moderne
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Industrialisierung Technisierung Ökonomisierung
Die erste Moderne (ab Mitte des 19. Jahrhunderts)
Merkmale:RationalisierungBasisprinzipien/Basiskategorien – „entweder-oder“-LogikInstitutionalisierter Individualismus und soziale HierarchieNationale und strukturelle GrenzenFunktionale DifferenzierungBeherrschbarkeit der Natur„prästabilisierte Harmonie“ (U. Beck/W. Bonß)
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Individualisierung Globalisierung Ökologisierung
Von der ersten zur kosmopolitischen Moderne
Die reflexive Moderne (ab Mitte des 20. Jahrhunderts)
Merkmale:Radikalisierung/Modernisierung der Prämissen der 1. ModerneMehrmoderne/Auflösung von Grenzen – „sowohl-als-auch“-LogikKrise der 2. Moderne ist der Sieg der Prinzipien der 1. ModerneTheorem der Nebenfolgen und des Nicht-WissensKrise der Institutionen und des Vertrauens = Risikogesellschaft„planetarische Unsicherheit“ (U. Beck)
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Von der reflexiven zur kosmopolitischen Moderne
Die kosmopolitische Moderne (21. Jahrhundert)
Kosmopolitisierung
Merkmale:Radikalisierung/Modernisierung der Prämissen der 2. ModerneRe-formulierung von Grenzen und KategorienNeue Aufklärung (Back to nature/Kapitalismuskritik/Eigentum)Neue DemokratisierungMassive Beschleunigung sozialer Prozesse (in allen Bereichen)Anti-Globalisierungsbewegungen (Regionalität vs. Globalität)„nachmetaphysische Enthemmung der Moderne“ (P. Sloterdijk)
Digitalisierung
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Eine Konsequenz der Kosmopolitisierung: Multioptionalität
Ursachen:
Die kolossale Vervielfältigung der Optionen in allen Lebens-bereichen, von der Badewanne über die Brillenfassungen bis hin zu den Möglichkeiten, Partnerschaften einzugehen oder mittels Reproduktions- und Gentechnologien auf weniger archaische Art als Boris Becker Kinder zu bekommen, zeugt von einer Entfesselung und Freisetzung von Kräften, die in vormodernen Kulturen mit starren Gewissheiten undenkbar waren. Ganz zu schweigen von den seitenweise in die Zeitungen gerückten Kontaktinseraten! Das Internet mit dem von ihm eröffneten Cyberraum ist lediglich der modernste Ausdruck der Multioptionsgesellschaft. (P. Gross)
Konsequenz für das Subjekt: Bewusste Individualisierung
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Individualisierung und Lebenssinn
Denn selbst die kleinsten Entscheidungen wirken sich auf die Identität aus, die keine stabile, rein von der Vergangenheit determinierte Entität ist, sondern ein zur Gegenwart und Zukunft hin offener Prozess, der sich immer wieder neu formuliert. Das Individuum fabriziert sich Tag für Tag durch seine Entscheidungen neu und definiert fortwährend die – veränderliche – Totalität neu, die seinem Leben Sinn gibt. (J. C. Kaufmann)
Paradoxien der Individualisierung und Multioptionalität
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Auswählen-Können heißt auch: Auswählen MÜSSEN
Bei jeder Entscheidung steht er [der Lebenskünstler] vor dem Dilemma, zwischen widersprüchlichen oder gar unvereinbaren Zielen wählen zu müssen: Gemeinschaft oder Selbstbestimmung, Nachahmung oder Kreativität, Routine oder Spontaneität – wobei all diese Gegensätze lediglich Ausdruck eines übergeordneten Dilemmas seien, dem man in einer individualistischen Gesellschaft nicht entkommen könne, nämlich der Entscheidung zwischen Sicherheit und Freiheit. (Z. Bauman)
Paradoxien der Individualisierung und Multioptionalität
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Schon Kierkegaard sieht den Möglichkeitsmenschen in Zusammenhang mit der Verzweiflung und auch Robert Musil attestiert dem modernen Menschen: Nichts ist für ihn fest. Alles ist verwandlungsfähig, Teil in einem Ganzen, in unzähligen Ganzen, die vermutlich zu einem Überganzen gehören, das er aber nicht im Geringsten kennt. So sind wir heute in einer liquiden (…) Gesellschaft angekommen, in der Möglichkeiten durchaus als Tyrannei erscheinen können. (F. Huber)
Die Tyrannei des Wählens und Entscheidens heute:
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Die zweite Moderne markiert das Ende des langen historischen Prozesses der Herstellung des Subjekts und manifestiert sich darin, dass die Autonomie des Einzelnen ins Rampenlicht tritt. Entgegen der alten Last der Tradition, entgegen den verbindlichen Disziplinen der ersten Moderne wird nun angenommen, dass jeder sich frei erfinden und selbst definieren kann. Daraus ergibt sich ein neues, endloses Fragen nach der Identität. Denn wie soll ich die Frage Wer bin ich und was gibt meinem Leben Sinn? beantworten, wenn ich mich ständig hinterfrage und die Gewissheiten, auf denen mein Leben basieren soll, infrage stelle? (J.C. Kaufmann)
Konsequenzen für das Individuum und das (Aus-)Wählen
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Entscheidungsfaktoren sind neben der Optionenvielfalt:
Soziale Faktoren: Ökologisches BewusstseinGenerationenübergreifende VerantwortungPolitical Correctness, soziale Normierungen, digitaler Stress Individuelle Faktoren: RisikominimierungIndividuelle Moral/religiöse und spirituelle WerteIndividuelle Lebenssituation (Vermögen, Arbeit, Familie etc.)
Konsequenzen für das Individuum und das (Aus-)Wählen
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Steigerung der Komplexität durch Bedeutungskontexte
Entscheidungen müssen heute aufgrund der Steigerung der Bedeutungen bewusst(er) getroffen werden. Die Zunahme der Bedeutungskontexte ergibt sich
aus den strukturellen Konsequenzen, die mit der Entscheidung getroffen werden und nicht direkt beeinflussbar sind.
aus den individuellen Konsequenzen, da Entscheidungen heute Teil der Bildung der eigenen Identität sind und somit häufig. Symbolcharakter und einen individuellen Wert haben.
Multioptionalität: Die Bastelbiographie
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Die Normalbiographie wird zur Wahlbiographie, zur Bastel-biographie (Hitzler), zur Risikobiographie, zur Bruch- oder Zusammenbruchsbiographie. (U. Beck)
Freisetzungsdimension: die Herauslösung der Individuen aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und VersorgungszusammenhängeEntzauberungsdimension: Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitenden NormenKontroll- und Reintegrationsdimension: eine neue Art der sozialen Einbindung durch Institutionen (U. Beck)
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Konsum Hobbys
Arbeit Familie
ReligionLebenskunstphilosophie
…im alltäglichen Leben:
Sport
…in der Lebenskunst:
Soziale Netzwerke
…in der Lebensplanung:
Ethik Glaube
Wohnort
Reisen Entertainment
Multioptionalität: Die Bastelbiographie
Multioptionalität: Soziale Netzwerke und digitales Leben
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Soziale Netzwerke werden zur Entscheidungsöffentlichkeit
Soziale Netzwerke erhöhen den Druck bei Entscheidungen durch soziale Normen und die eigene Peergroup
Soziale Netzwerke steigern die Unsicherheit von Entscheidungen
Soziale Netzwerke zwingen zur Rechtfertigung
Multioptionalität: Der spirituelle Wanderer
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Inzwischen ist es fast schon zur Plattitüde geworden, darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem individualisierten Glauben um eine neue spirituelle Kultur handelt, die sich (…) ihre religiösen Inhalte und Praktiken nach Belieben den verschiedenen religiös-spirituellen Traditionen von Orient und Okzident entlehnte, um sie, angereichert mit wechselnden psychologischen Mode-praktiken, zu Formen des eigenen Gottes zusammenzubasteln. Diese Bewegungen stellen die individuelle Suche nach Vollendung und persönlicher Entwicklung, die mit einer Bereicherung der Seele einhergeht, in den Vordergrund. (U. Beck)
Multioptionalität: Lebenskunst
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Man betrachtet bzw. interpretiert sich selbst, wie man seine Handlungsweisen reflektiert, um sich zu verändern, um zu einem eigenen Heil zu gelangen, um die eigenen Orientierungen zu überprüfen und um seine Lebensform zu verbessern. Durch die Interpretation seiner Handlungen erkennt man die Regeln seines Verhaltens. Es geht um eine Kultur des Selbst, um Die Sorge um sich. (H. M. Schönherr-Mann)
Der Mensch ist zu einer bewussten Lebenskunst gezwungenNicht nur die Auswahl an sich, sondern auch die Vereinbarkeit mit der eigenen Lebenskunst macht die Wahl zur Qual.
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Der Mensch als Überlebenskünstler
Das Radikale an der Epoche (…) manifestiert sich in einer neuen Kunst, (…) Gewissheiten zu erfinden, damit die Fragmente des zerbrochenen Sinns wieder zusammengefügt werden können und damit ganz einfach die alltäglichsten Handlungen wieder möglich werden. Je mehr Informationen und je mehr Grund zum Nachdenken es (…) gibt, desto nötiger ist es für die Individuen, um existieren zu können, ihre Gewissheiten, ihre kleinen momentanen Glaubensüberzeugungen zu bestärken. (J.C. Kaufmann)
Wer erlöst? Was hilft dem frierenden Herz? Ein Gott, die Kirche, die Anderen, die Psychologie, die Ratgeberliteratur, die Volkshochschule? (P. Gross)
Die Qual der Wahl: ein politischer Ausblick
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Kommunalwahl am 16. März in Bayern
Politische Wahlen als Qual der Wahl zwischen:ParteiprogrammenPersonenPersönlichen Präferenzen
Zugleich: Wahl ist ein Vertrauensvorschuss in zukünftige Entscheidungen sowie Personen und immer risikobehaftet.Dennoch: Gehen Sie wählen! Hoffentlich, das Richtige!
Ergänzende Theorien/Literaturempfehlungen:
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
Peter Gross: Die Multioptionsgesellschaft/Ich-Jagd
Zygmunt Bauman: Die flüchtige Moderne/Leben als Konsum
Jean-Claude Kaufmann: Wenn Ich ein Anderer wäre
Hartmut Rosa: Beschleunigung und Entfremdung
Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft
Uwe Schimank: Die Entscheidungsgesellschaft
Alain Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst
Themenausblick:
Dr. Rainer Sontheimer - Gasteig - 11.03.2014
18.03.2014: Der Beratungs-Boom – wie mehr Beratung zu weniger Wissen und zu mehr Unsicherheit führt
25.03.2014: Ökologisch oder nicht? – wenn Leben zum moralischen Dilemma wird
11.08.2014: Sommerakademie Glücklich werden mit der Soziologie: Warum Lebenskunst soziologisch gedacht werden muss
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