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Forschungs-felder der

Wirtschafts-didaktik

Herausforderungen – Gegenstandsbereiche – Methoden

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ISBN 978-3-89974465-1

Lange Zeit wurden Fachdidaktiken reduziert auf das Erstellen von Lehr-

materialien und weniger als innovatives Feld der Wissenschaft gesehen.

Angesichts dieser Außensicht und angesichts der zunehmenden Bedeu-

tung ökonomischer Bildung ist es das Anliegen dieses Bandes, für den

Bereich der Wirtschaftsdidaktik Aufklärung zu leisten. Dazu wird in drei

großen Abschnitten

– das wissenschaftliche Selbstverständnis grundlegend und mit Blick auf

aktuelle Herausforderungen diskutiert,

– exemplarisch Einblick in Forschungsmethoden und in die Forschung

zu den Methoden ökonomischer Bildung gegeben und

– schließlich werden neuere Forschungsansätze in ausgewählten Unter-

richtsfeldern vorgestellt.

Die Autorinnen und Autoren sind an deutschen Hochschulen im Bereich

der ökonomischen Bildung – zumeist in der Lehrerausbildung – tätige

Wissenschaftler. Auch wenn der Band Forschungsfragen in den Mittel-

punkt stellt, wendet er sich nicht nur an Wissenschaftler, sondern bietet

den Fachlehrerinnen und -lehrern sowie deren Ausbildern der zweiten

Phase interessante Einblicke in unterrichtsrelevante Erkenntnisse.

Der Herausgeber ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für öko-

nomische Bildung und Professor für Wirtschaftspädagogik an der WHL

Wissenschaftliche Hochschule Lahr.

WOCHENSCHAUWISSENSCHAFT

WOCHENSCHAUWISSENSCHAFT

DIDAKTIK DER ÖKONOMISCHEN BILDUNG

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Günther Seeber (Hrsg.)

WOCHENSCHAUWISSENSCHAFT

Forschungsfelderder Wirtschaftsdidaktik

Herausforderungen – Gegenstandsbereiche – Methoden

DIDAKTIK DER ÖKONOMISCHEN BILDUNG

© Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts.

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliogra-fische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.deabrufbar.

© by WOCHENSCHAU VerlagSchwalbach/Ts. 2009

www.wochenschau-verlag.deAlle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgend-einer Form (Druck, Fotokopie oder in einem anderen Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oderunter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

Umschlaggestaltung: Ohl Design Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Gesamtherstellung: Wochenschau Verlag ISBN 978-3-8997-4465-1 (Buch)ISBN 978-3-7344-0173-2 (E-Book)

Die Veröffentlichung wurde finanziell gefördert durch die Wissenschaftsförderungder Sparkassen-Finanzgruppe e.V.

Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildungvon Thomas Retzmann, Günther Seeber und Birgit Weber

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Inhalt

Günther SeeberWirtschaftsdidaktische Forschungsfelder – Problemaufriss undEinführung in den Band ......................................................................... 6

HERAUSFORDERUNGEN WIRTSCHAFTSDIDAKTISCHER FORSCHUNG

Birgit WeberForschungsfelder der Wirtschaftsdidaktik ............................................. 13

Reinhold Hedtke, David-Christopher AssmannIst Wirtschaftsdidaktik das, was Wirtschaftsdidaktiker tun? .................. 28

Dietmar KahsnitzWissenschaftliche Grundlagen einer wirtschaftlichen Bildung.Was sollen Jugendliche in der allgemeinbildenden Schuleüber die Wirtschaft lernen? .................................................................... 38

Michael-Burkhard PiorkowskyLebensweltorientierte Wirtschaftsdidaktik im Vergleich:Lebenssituationen-Qualifikationen-Konzept (LSQ) und Alltags-und Lebensökonomie-Konzept (ALÖ) .................................................. 49

FORSCHUNGS- UND LEHRMETHODEN

Rödiger VossQualitative Lehr-Lern-Forschung am Beispiel einer explorativen Studiezu den Determinanten der Qualität von Lehrenden .............................. 65

Bettina FührmannLernkonzepte aus dem Hirnlabor? – Welchen Beitrag können dieNeurowissenschaften für die Wirtschaftsdidaktik leisten? ..................... 80

Bernd RemmeleÖkonomische Kompetenzentwicklung – Systeme verstehen? ................ 92

Michael SchuhenKompetenzorientierung in der ökonomischen Bildung.Von der Notwendigkeit einer empirischen Perspektivebei der Diskussion Handlungsorientierter Methoden .......................... 104

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Hans Jürgen SchlösserExperimentelle Ökonomie und Wirtschaftsunterricht ......................... 113

Henrik Egbert und Vanessa MertinsProblemfelder und Lösungsskizzen für den Einsatz ökonomischerExperimente im Schulunterricht:Die Vorbereitungs- und Durchführungsphase .................................... 122

Tim EngartnerEine mikro- und makroökonomische Studie:Die Privatisierung der Deutschen Bahn als Gegenstanddes Ökonomieunterrichts .................................................................... 135

Volker Bank und Peter WilckensInternetzportale als dynamische Lern-Lehr-Medien ............................ 149

AUSGEWÄHLTE GEGENSTANDSBEREICHE

Eberhard Jung und Aline OesterleVon der Problemstellung zum Forschungsdesign: Die Entwicklungvon Ausbildungsfähigkeit und beruflich orientierter Selbstkonzepte ... 161

Lothar BeinkeProbleme Jugendlicher beim Übergang in die duale Berufsausbildung ..... 179

Johanna von LuckwaldStellenwert der Career Service-Arbeit an deutschen Universitäten ...... 192

Ilona EbbersDoing Gender in universitären Übungsfirmen .................................... 201

Claudia WiepckeKulturelle Diversität als Handlungsfeld ökonomischer Bildung.Personen mit Migrationshintergrund und die Ökonomikihrer Diskriminierung ......................................................................... 217

Wolfgang GeiseKaufentscheidung und Konsumentenverwirrtheit ............................... 227

Andreas Liening und Ewald MittelstädtWissensbilanzierung im Bildungsmanagement für eine deregulierteProfessionalität im Berufsfeld Ökonomische Bildung ......................... 238

Autorinnen und Autoren ..................................................................... 254

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Einführung

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Günther Seeber

Wirtschaftsdidaktische Forschungsfelder –Problemaufriss und Einführung in den Band

Die Wirtschaftsdidaktik ist die Bezugswissenschaft der ökonomischen Bil-dung. Das Spektrum ihrer Untersuchungsgegenstände ist nicht auf das be-rufliche Schulwesen – sozusagen als Teilmenge der Wirtschaftspädagogik –,aber auch nicht auf die allgemeinbildenden Schulen beschränkt, sondernerfasst didaktische Fragestellungen einer allgemeinbildenden Domäne Wirt-schaft. Obwohl im Mittelpunkt die schulische Bildung steht, hat die Wirt-schaftsdidaktik auch die ökonomische Erwachsenen- und Weiterbildung imBlick. Ergebnisse der Lehr-Lern-Forschung berühren darüber hinaus hoch-schuldidaktische Probleme.

Eine forschende Wirtschaftsdidaktik bildet und prüft Theorien zumLehren und Lernen in und für wirtschaftlich geprägte(n) Lebenssituationen.Sie fokussiert nicht allein auf den eigentlichen Lehr-Lern-Prozess, sonderndarüber hinaus auf die Voraussetzungen und Folgen dieses Prozesses. Da dieökonomische Bildung lange nicht oder nur peripher im herkömmlichenFächerkanon der Schulen vertreten war, war es in den Anfängen der Diszi-plinbildung in den 1970er und 1980er Jahren den Wissenschaftlern insbe-sondere ein Anliegen, den Nachweis der Bildungsrelevanz eines Faches„Wirtschaft“ zu erbringen (aktuell z.B. Kruber 2006, Jung 2007).

Obwohl mittlerweile ökonomische Themenkomplexe über alle Schular-ten hinweg und in allen Bundesländern flächendeckend, wenn auch inunterschiedlicher Intensität vertreten sind, bleibt es ein Daueranliegen, dieNotwendigkeit der Vermittlung einer ökonomischen Perspektive auf derBasis fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Erkenntnisse zu begrün-den (siehe auch Krafft 2008). Angesichts der Integration des Ökonomischenin Hybridfächer mit Namen wie „Sozialwissenschaften“ oder „Wirtschaft –Arbeit – Gesundheit“ besteht dauerhaft die Gefahr, das „Fachliche“ aus denAugen zu verlieren, gerade auch angesichts der mit Verbundfächern ver-knüpften Defizite in der Lehrerausbildung. So bleibt im 21. Jahrhundert diefundamentale und normative Auseinandersetzung mit dem Bildungsan-spruch ökonomischer Bildung eine Aufgabe der Wirtschaftsdidaktik.

Dennoch steht diese Disziplin – wie alle Fachdidaktiken – an einemWendepunkt. Als forschende Wissenschaft sieht sie sich mit einem empi-

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risch-analytischen Anspruch konfrontiert, dem sie bisher noch nicht einmalansatzweise gerecht wird. Als ein an Universitäten repräsentiertes Fach be-gegnet sie außerdem dem Anspruch auf internationale Präsenz und auf durchPeers verbürgte Qualität, indem die Wissenschaftler in entsprechend refe-rierten Zeitschriften veröffentlichen sollen. Die Umsetzung des forscherischenSchaffens in Lehrmaterialien und Unterrichtshilfen ist zwar eine originäreAufgabe jeder Didaktik, zählt aber angesichts der genannten Normsetzungendurch Fachwissenschaftler an den Hochschulen nichts.

Die Angebotsbreite des bisher dominanten hermeneutischen Forschungs-ansatzes korrespondiert – trotz der unverkennbaren Erfolge für die Theorie-bildung und der erzielten Ergebnisse für einen Theorie-Praxis-Transfer – aufdem Markt der referierten Wissenschaft nicht mehr mit dem Bedarf. Bereits2001 formulierte Retzmann mit Blick auf diese Situation ein Modell derfachdidaktischen Lehr-Lern-Forschung und wies auf die – auch aus derInnensicht der Disziplin – bestehenden Defizite hin. Zieht man als Referenznoch die aktuelle Diskussion um Bildungsstandards und deren wissenschaft-liche Fundierung durch fachbezogene Kompetenzmodelle heran, zeigt sicheinmal mehr der „blinde Fleck“ in der Wirtschaftsdidaktik auf prekäreWeise. Relevante Fragestellungen für eine empirische Neuorientierungkönnten sein:• Wie verläuft ökonomische Kompetenzentwicklung unter Berücksichti-

gung divergenter Rahmenbedingungen und des kognitiven Entwick-lungsstandes der Kinder und Jugendlichen?

• Welche ökonomischen Konzepte bringen Schüler in den Unterricht mit?• Welche Alltagstheorien bringen Lehrer mit und welche Fachkompetenz

besitzen sie?• Welche Konsequenzen hat das für den Unterricht?• Wie hängen Kompetenzen mit Einstellungen sowie mit der Urteilsfähig-

keit gegenüber wirtschaftlichen Sachverhalten zusammen?• Welche geschlechtsspezifischen Aneignungsprozesse ökonomischen Wis-

sens gibt es?• Welche Unterrichtskonzepte sind erfolgversprechend?• u.a.m.

In dieser Situation schien es dem Vorstand der fachdidaktischen Gesell-schaft, DeGöB, opportun und notwendig, sich im Kreis der wirtschaftsdi-daktischen Hochschulvertreter systematisch mit den Forschungsfeldern dereigenen Disziplin zu beschäftigen, um sich des Standes und der zukünftigenHerausforderungen, des Erreichten und der Lücken zu vergewissern. Des-halb wurden die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für ökonomische

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Bildung aufgefordert, für die Jahrestagung im März 2008 Beiträge einzurei-chen, die sich entweder grundsätzlich mit Forschungskonzepten, For-schungsmethoden und/oder der Theoriebildung in der Wirtschaftsdidaktikbzw. in einem ihrer Gegenstandsbereiche auseinandersetzen. Oder siesollten spezielle Forschungsvorhaben bzw. -ergebnisse vorstellen, bei diesenaber auch die konzeptionelle, methodische sowie theoretische Basis verdeut-lichen.

Die Ergebnisse dieses Aufrufs vereinigt der vorliegende Sammelband. Erumfasst die überarbeiteten Tagungsbeiträge sowie weitere, nur in einerSchriftfassung vorliegende Untersuchungen. Bedenkt man die relative Klein-heit der DeGöB mit ziemlich genau 100 Mitgliedern, so offenbart bereits diebloße Zahl der Beiträge die starke Resonanz des Aufrufs. Die gewünschteDiskussion der wirtschaftsdidaktischen Forschungsfelder wurde von derWissenschaftsgemeinschaft als Desiderat angenommen.

Obwohl der Aufruf offen gestaltet war und zum Beispiel weder Metho-den, noch Gegenstandsbereiche vorgab, habe ich versucht, die eingegange-nen Beiträge systematisch zu ordnen. Heraus kam eine Dreiteilung:• Herausforderungen, denen sich die Disziplin gegenüber sieht,• Forschungs- und Lehrmethoden sowie• ausgewählte Gegenstandsbereiche.

Die erste Rubrik wird mit einem Grundsatzreferat von Birgit Weber eröffnet.Sie problematisiert die im Einleitungstext angerissenen Probleme und ent-wirft eine Art Forschungsagenda für die makro- und mikrodidaktischeAnalyse in der Wirtschaftsdidaktik. Angesichts der oben genannten Publi-kationsbedarfe, um in den Universitäten eine gesicherte Position zu errei-chen, ist die Analyse von Reinhold Hedtke und David-Christopher Assmannverdienstvoll und hilfreich. Die Autoren erarbeiten in Anlehnung an eineUntersuchung des Wissenschaftsrates für die Soziologie eine Statistik zu denverwendeten Methoden, den Themen und der Literaturrezeption in denPublikationen der deutschen Wirtschaftsdidaktiker. Datenbasis hierfür isteine Veröffentlichungsliste der Jahre 2002–2006. So entwerfen sie ein Bildder wirtschaftsdidaktischen Forschungsaktivitäten.

Dietmar Kahsnitz widmet sich der Frage der Bildungsrelevanz von Wirt-schaft. Seine Ausführungen münden in die Schlussfolgerung, Wirtschafts-bildung müsse eine sozioökonomische Bildung sein. Das hat Konsequenzenfür die zugrunde zu legenden Curricula. Ein Blick in die existierenden Lehr-pläne zeigt, dass der ehemals von Steinmann u.a. für die ökonomische Bil-dung rezipierte Lebenssituationsansatz auf breiter Ebene Einzug in dieSchulen gehalten hat. Diesem Ansatz stellt Michael-Burkhard Piorkowsky

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sein Konzept einer Alltags- und Lebensökonomie gegenüber. Da ihm hier,wie in anderen wirtschaftsdidaktischen Ansätzen auch, gerade die produk-tiven Aktivitäten der Mitglieder privater Haushalte fehlen, die im Kernökonomisch sind, aber nicht durch die seiner Ansicht nach auf den Geld-und Güterkreislauf fixierte Ökonomie erfasst werden, will er diese Aktivitä-ten ins Zentrum seines curricularen Entwurfs stellen.

Auf den ersten Blick scheint die Aufnahme von Lehr- und Forschungs-methoden in ein gemeinsames Kapitel vielleicht fragwürdig. Spätestensbeim Lesen der Beiträge wird aber deutlich, dass sich die Wahl der Unter-richtsmethoden oft auf Forschungsmethoden der Fachwissenschaft und aufsolche der Fachdidaktik stützt. So hat die von Rödiger Voss vorgestellte undvon ihm durchgeführte Studie zu den Determinanten von Lehrerqualitätnicht nur richtungsweisenden Charakter für die Verwendung der „CriticalIncident Technique“ in einer empirisch orientierten Wirtschaftsdidaktik.Darüber hinaus thematisiert der Autor die Verwertungsmöglichkeit dieserMethode in der bzw. für die Praxis. Sein Ansatz kommt aus der Marketing-forschung. Auch Bettina Führmann sucht nach Möglichkeiten, Methodeneiner anderen Disziplin – der Neurowissenschaft – in die wirtschaftsdidak-tische Forschung zu integrieren. Während andere Fachdidaktiken in diesemFeld bereits gewinnbringend forschen, sieht die Verfasserin in der Wirt-schaftsdidaktik hierfür noch einen Bedarf.

Die beiden folgenden Aufsätze rücken die ökonomische Kompetenzent-wicklung in den Mittelpunkt. Bernd Remmele sieht im Hinblick auf eineempirische Erforschung ökonomischer Kompetenzen zunächst die Notwen-digkeit, eine Beobachter- und eine Teilnehmerperspektive zu unterschei-den. Wirtschaftliche Handlungsfähigkeit und ökonomische Denkfähigkeitseien systematisch zu trennen. Der Autor skizziert hierzu auch didaktischeKonsequenzen. Michael Schuhen konzentriert sich auf die Vermittlungökonomischer Kompetenz durch handlungsorientierte Methoden und ent-wirft im Überblick ein Forschungsdesign für eine an diesen Methoden orien-tierte Lehr-Lern-Forschung. Es geht ihm um eine Überprüfung „des gängi-gen Methodeninventars“ mit dem Ziel, die domänenspezifische Kompetenzsicher darin zu verorten.

Auch Hans Jürgen Schlösser sieht die Gefahr einer „theoretischen Entlee-rung von Unterricht und Lehre“ durch den Einsatz handlungsorientierterMethoden. Er stellt deshalb die Methode der „classroom-experiments“ inAnlehnung an die experimentelle Ökonomie als neue Alternative vor, dieHandlungsorientierung und Fachlichkeit vereinen soll. Sein Beitrag ist dasErgebnis einer vergleichenden Studie mit Studierenden seiner Universität,bei der sich die Experimente – bezogen auf den Lernfortschritt – als erfolg-

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reicher erwiesen als Vorlesungen. Henrik Egbert und Vanessa Mertins be-schreiben die Vorgehensweise beim Einsatz von Experimenten im Unter-richt. Dazu stellen sie mit einer Konzentration auf die Vorbereitungs- undDurchführungsphase einen idealtypischen Verlauf dar.

Abschließend werden zwei andere methodische Arrangements in denMittelpunkt gerückt: die Fallstudie und der Einsatz von Internetportalen.Tim Engartner beschäftigt sich mit dem Thema der Bahnprivatisierung, dasfür ihn exemplarisch zur Aneignung ganz unterschiedlicher ökonomischerSachverhalte geeignet ist. Volker Bank und Peter Wilckens geben Hinweisedarauf, wie Internetportale in den Unterricht integriert werden können, sodass teilnehmerzentriert die Expertise der Lernenden eingebracht und fort-entwickelt werden kann.

Der letzte Abschnitt widmet sich einzelnen Gegenstandsbereichen derWirtschaftsdidaktik. Der Berufswahlunterricht wird als eine originäre Auf-gabe der ökonomischen Bildung gesehen. Eberhard Jung und Aline Oesterleentwerfen ein Forschungsdesign zur Analyse des Potentials von Ganztags-schulen zur Förderung der Ausbildungsfähigkeit ihrer Schüler und derenBerufsfindung. Die detaillierte Beschreibung ihres Vorgehens kann als eineArt Blaupause für die Entwicklung von Projektvorhaben in der ökonomi-schen Bildung betrachtet werden. Lothar Beinke thematisiert die Problemevon Schülern beim Übergang von der Schule in die Ausbildung, der beivielen Schülern eine „Schockwirkung“ auslöst. Im Zentrum des Beitragssteht eine Befragung von Schülern hinsichtlich deren Erwartungen an dieMethoden ihrer zukünftigen Ausbilder. Mit dem Übergangsproblem Stu-dierender in den Beruf beschäftigt sich Johanna von Luckwald. Sie beschreibtdie Entwicklung von so genannten Career-Services und deren heutigenStellenwert an deutschen Universitäten. Sie sieht hier ein Forschungsfeld fürdie Fachdidaktik.

Ilona Ebbers stellt die Weiterentwicklung der Übungsfirma zu einerGründungssimulation vor. Neu ist hierbei einerseits deren Einsatz im tertiä-ren Bildungsbereich und andererseits die angestrebte Herausbildung vonGender- und Diversitysensibilität. Für Claudia Wiepcke ist die Fähigkeitzum Umgang mit kultureller Vielfalt nicht nur ein volks- und betriebswirt-schaftliches Problem, sondern sie sieht in der Vermittlung entsprechenderKompetenzen ein wirtschaftsdidaktisches Handlungsfeld.

Ähnliche Werbebotschaften für unterschiedliche Produkte, ein Informa-tionsoverkill und Unsicherheit führen zu dem Phänomen der Konsumen-tenverwirrtheit. In der Entwicklung adäquater Bewältigungsstrategien siehtWolfgang Geise eine Aufgabe der Verbrauchererziehung und damit derWirtschaftsdidaktik. Der den Band beschließende Beitrag von Andreas

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Liening und Ewald Mittelstädt zielt in Richtung Lehrerbildung. Ausgehendvom Konzept komplexer Systeme, ursprünglich der Chaostheorie entstam-mend, erkennen sie einen Bedarf zur Einbeziehung von Synergetik in dieOrganisationsentwicklung von Schulen. Als Umsetzungsvorschlag präsen-tieren sie die Wissensbilanz. Schließlich entwickeln sie auf der Grundlageihrer theoretischen und transferbezogenen Ausführungen einen Lernzielka-talog gerade für die Ausbildung der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichenLehrkräfte.

Bei Julia Krämer bedanken wir uns für die aufwändige redaktionelleBetreuung des Bandes.

Literatur

Jung, Eberhard (2007): Welche ökonomische Bildung benötigen wir? In: Unter-richt Wirtschaft. Jg. 8 (1). H. 29. S. 49-55.

Krafft, Dietmar (2008): Ökonomische Bildung: Stiefkind der Bildungspolitik inDeutschland. In: Loerwald, Dirk; Maik Wiesweg und Andreas Zoerner (Hrsg.).Ökonomik und Gesellschaft. Festschrift für Gerd-Jan Krol. Wiesbaden,S. 185-199.

Kruber, Klaus-Peter (2006): Ökonomische Bildung – ein Beitrag zur Allgemein-bildung? Eine immer wieder neue Frage an den Wirtschaftsunterricht. In:Weißeno, Georg (Hrsg.). Politik und Wirtschaft unterrichten. Schriftenreiheder Bundeszentrale für politische Bildung. Bd. 483. Bonn, S. 187-202.

Retzmann, Thomas (2001): Empirische Lehr-/Lernforschung als Beitrag derFachdidaktik zur Rationalisierung der Debatte um die ökonomische Bildung.In: Hans Jürgen Schlösser (Hrsg.). Stand und Entwicklung der ökonomischenBildung. Bergisch Gladbach, S. 167-187.

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Herausforderungenwirtschaftsdidaktischer Forschung

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Birgit Weber

Forschungsfelder der Wirtschaftsdidaktik

1 Einleitung

Fachdidaktiken als forschende Wissenschaften zu betrachten, ist nichtselbstverständlich. Als sie vor fast 40 Jahren an den Pädagogischen Hoch-schulen installiert wurden, sollten sie der Berufsvorbereitung angehenderLehrer dienen. Auch als universitäre Disziplin waren sie anderen Ansprü-chen ausgesetzt als ihre fachwissenschaftlichen Geschwister. Für die Fachdi-daktik der ökonomischen Bildung wirkt sich der diffuse und unbeständigeStatus der ökonomischen Bildung in unterschiedlichen schulischen Integra-tionsfächern auch darauf aus, wie sie sich als akademische forschende Dis-ziplin entfalten kann. Angesichts der geringen Zahl an Standorten in weni-gen Bundesländern wurde die Wirtschaftsdidaktik bislang vor allem als Rat-geber für die Implementierung ökonomischer Bildung über Curricula undMaterialien bemüht. Ihre Funktion als Wissenschaft zur Erforschung öko-nomischer Lehr-Lernprozesse ist die aktuelle Herausforderung, bei der aberdie theoretische Fundierung ihrer Grundlagen nicht zu vernachlässigen ist.

2 Wirtschaftsdidaktik als berufsvorbereitendesHandwerk?

Der wissenschaftliche Status wurde der Fachdidaktik 1970 zur Berufsvorbe-reitung künftiger Grund-, Haupt- und Realschullehrer an pädagogischenHochschulen zuerkannt. Die neu eingerichteten Professuren für „Ökono-mie und ihre Didaktik“ hatten sowohl das wirtschaftswissenschaftliche alsauch das wirtschaftsdidaktische Lehrangebot bereitzustellen. Nach dem Bildder Fachdidaktik in der Öffentlichkeit, wie es in dem populärsten Online-Lexikon präsentiert wird, wurde „Fachdidaktik ins Leben gerufen“, „um diein den Hochschulen ausgebildeten Lehrer auf die Realität ihres Berufesbesser vorzubereiten“, die fachwissenschaftliche Theorie sollte durch den„fachdidaktischen Praxisbezug“ ergänzt werden. Entsprechend wird dortauch kritisiert, dass der Versuch der Fachdidaktiken durch TheoriebildungAnschluss an die Fachwissenschaften zu finden zu Lasten des Praxisbezugs

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ging (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Fachdidaktik, Stand: 20.05.2008).Mit dieser Beschränkung auf die praktische Berufsvorbereitung, die mit derReferendariatsverkürzung noch verstärkt zu werden droht, wird die Funkti-on der Fachdidaktik als den Fachwissenschaften nachgeordnete „Vermitt-lungstechnik“ missverstanden, die allenfalls „didaktische Reduktion“ und„Methodik“ als Rezepte für einen effizienten Transfer wissenschaftlichenWissens in die Köpfe von Lernenden zu leisten hat. Den Eindruck, derFachdidaktik gehe es vor allem um Vermittlung, legt auch das wirtschafts-didaktische Online-Lexikon nahe, wenn es auf der einen Seite wirtschafts-wissenschaftliche Begriffe präsentiert, während die auf der anderen Seitepräsentierten didaktischen Begriffe sich vor allem auf Methoden beziehen(http://widawiki.wiso.uni-dortmund.de/ Stand 20.05.2008).

Nach weitgehender Auflösung der Pädagogischen Hochschulen wurdendie Fachdidaktiken mit Beginn der 1980er Jahre in die Universitäteneingegliedert. Dies geschah entweder als Zusammenschluss der Fachdidak-tiken in einer Fakultät oder als Angliederung an die entsprechenden Fach-wissenschaften. Im ersten Fall sollten sich die Fachdidaktiker vor allem umdie Lehrerausbildung für die Primarstufe und die Sekundarstufe I kümmern,wobei die Gefahr bestand, den Anschluss an den fachwissenschaftlichenDiskurs zu verlieren. Im zweiten Fall wurden sie den entsprechendenFachwissenschaften zugeordnet, in denen sie – häufig relativ marginalisiert– sich allein um die fachliche und fachdidaktische Lehrerausbildung zukümmern hatten.

Für die Berufung von Fachdidaktikern galten immer schon andere Ein-stellungsvoraussetzungen im Wissenschaftsgefüge. So hatten sie in der Ver-gangenheit Lehramtsstudium, Referendariat, dreijährige Berufspraxis undihre wissenschaftlicher Befähigung über Dissertation und Habilitation nach-zuweisen, während heute vor allem Beiträge in anonym referierten Zeitschrif-ten, internationale Reputation und Drittmitteleinwerbung zählen: Anforde-rungen, auf die die Fachdidaktiken sich gegenwärtig einstellen.

Während Fachdidaktik sich heute als forschende Wissenschaft fachspe-zifischer Lehr-Lernprozesse zu beweisen hat, bleiben traditionelle Aufgabenweiterhin bestehen. Die Fachdidaktiker vertreten neben fachdidaktischenFragestellungen häufig generalisierend die fachlichen Zusammenhänge inder Lehre für Lehramtsstudierende und andere Nicht-Fachstudierende, siebereiten Fachlehrer auf ihren Beruf vor, wirken bei der Prüfung aller Lehr-amtsstudierenden mit, betreuen, koordinieren und organisieren Lehramts-studienfächer, Schulpraktika und Lehrerfortbildungen, entwickeln undevaluieren Curricula, Lehr-Lern-Materialien und Schulbücher. Angesichtsihrer Schulkontakte wird ihnen zudem gerne die Aufgabe zugewiesen,

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Studieninteressierte zu gewinnen. Diese Anforderungen an die Zugangsbe-rechtigung und die Vielfalt der Aufgaben stellen sich bei anderen Fachver-tretern nicht, obwohl diese häufig qualitativ und quantitativ besser ausge-stattet sind und außerhalb des Bildungsbereichs auch völlig andere Drittmit-telpotenziale erschließen können.

Für die Wirtschaftsdidaktik kommt erschwerend hinzu, dass die Veran-kerung ökonomischer Bildung in der Schule auf ein diffuses Aufgabenfeldtrifft, gekennzeichnet durch integrierte oder eigenständige Fächer, unter-schiedlich nach Bundesländern, Schulstufen und Schulformen. So sind auchProfessuren für Wirtschaftswissenschaften und ihre Didaktik für das allge-meinbildende Schulwesen konzentriert in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und an den pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg.Es gibt sie an Einzelstandorten in Bayern und Niedersachsen. An manchenStandorten übernehmen – abhängig vom persönlichen Engagement – Pro-fessuren für Didaktik der Arbeitslehre oder Didaktik der Sozialwissenschaf-ten wirtschaftsdidaktische Aufgaben. In vielen Fällen liegen die Aufgabenauch in den Händen des akademischen Mittelbaus, der schlechter ausgestat-tet und mit höheren Lehrbelastungen versehen ist. Es gibt allerdings auchProfessuren mit wirtschaftsdidaktischer Denomination, die sich diesemGebiet gar nicht widmen, da ihre Berufung allein aufgrund ihrer ökonomi-schen Qualifikation erfolgte. Trotz der Existenz von Lehrerbildungsstand-orten für Studienfächer, die nach dem Schulfach auch ökonomische Bildungenthalten müssten, fehlen in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen,Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Professuren für Wirtschaftswissenschaften und Wirt-schaftsdidaktik vollständig.

Vor dieser historischen Entwicklung und dieser institutionellen Aus-gangslage muss die Entwicklung der Fachdidaktik zur forschenden Wissen-schaft gesehen werden. Wissenschaftliche Tätigkeit bezieht sich auf dieForschung zur Gewinnung von Erkenntnissen, Lehre zu deren Weitergabesowie auf die Organisation der wissenschaftlichen Rahmenbedingungen. DieSchwerpunkte lagen in der Vergangenheit entwicklungsbedingt auf denbeiden letzteren Funktionen.

3 Fachdidaktik als Wissenschaft

Wissenschaften verfolgen Erkenntnisinteressen der Beschreibung, Erklärungund Prognose, die dann als Gestaltungsempfehlungen Verwendung findenkönnen. Sie sind in der Regel auf spezifische Gegenstandsbereiche bezogen, indenen sie Probleme, Beziehungen, Systeme, Einflussfaktoren mit spezifi-

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schen Erkenntnismethoden als Denkweisen bzw. methodischen Verfahrenuntersuchen. Was also ist der spezielle Erkenntnisgegenstand der Fachdi-daktik, was sind ihre spezifischen Erkenntnisinteressen und -verfahren?

Die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD) als Zusammenschluss allerFachdidaktiken definiert den Erkenntnisgegenstand der Fachdidaktik als„Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen innerhalb und au-ßerhalb der Schule“, die zur begründeten kriteriengeleiteten Reflexiondidaktischer Entscheidungen befähigen soll (KVFF 2001).

Fachdidaktik ist weder Methodenlehre zur altersgemäßen Vermittlungfachwissenschaftlicher Inhalte, noch Rezeptologie zur effizienteren Organi-sation von Unterricht. Ihr Erkenntnisinteresse fasst die GFD wie folgt zu-sammen:• Auswahl, Legitimation, Strukturierung von Lerngegenständen,• Begründung und Festlegung von Zielen,• Gestaltung von Lernsituationen, Wahl geeigneter Lernorte, Methoden,

Medien,• Lernvoraussetzungen der Lernenden und Lehrenden.Die Erkenntnisweisen der Fachdidaktik macht Wolfgang Hilligen (1991) inhermeneutischen-kritischen Methoden zur Untersuchung der Relevanz, derAuswahl und der Begründungszusammenhänge des Lernbedeutsamen so-wie in hermeneutisch-kritischen und empirischen Methoden unter zusätz-licher Nutzung der Ergebnisse anderer Wissenschaften zur Optimierungvon Lernprozessen aus.

Fachdidaktik als Wissenschaft hat mit einem Spannungsfeld zu tun, dasauf den Realbereich, die Fachwissenschaft und die zu fördernden Lehr-Lern-prozesse des zu und sich bildenden Individuums bezogen ist. Dabei resultiertdie normative Erfordernis der begründeten Auswahl von fachlichen Inhaltenzum einen aus der Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Fachwissen-schaften, die für die Fachwissenschaftler kaum zu überschauen ist, des wei-teren aus dem dynamischen Wandel der Gesellschaften, wonach heute alsrichtig erkanntes Wissen morgen schon veraltet sein kann, sowie schließlichaus dem gesellschaftlichen Pluralismus, wonach Fragen nach dem relevan-ten Wissen je nach Gruppe unterschiedlich beantwortet werden (Sander2005, 22f). Die Erfordernis ist vor allem aber auch dadurch bedingt, dass dieFachwissenschaften durch die Klärung der Sache andere Erkenntnisinteres-sen verfolgen als die Fachdidaktiken, die auf die Klärung des Verhältnissesvon Sache und Individuum ausgerichtet sind, wodurch auch fachlicheAspekte, individuelle Entwicklungsaufgaben, unterschiedliche Interessenund Werte in den Blick geraten, die von den Wirtschaftswissenschaften obihrer Vorgehensweise und ihren Zielsetzungen nicht berücksichtigt werden.

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Diese Funktion der Fachdidaktik auch als fachbezogene Bildungswissen-schaft wird nicht durchgängig geteilt. So beschränkt der Wirtschaftspädago-ge Frank Achtenhagen (1984, 10) sie auf eine handlungsorientierte Theoriefür die Lehrkraft, die angibt, „welche Handlungen unter welchen Umstän-den von welchen Personen mit Aussicht auf welchen Erfolg ausgeführtwerden können“. Reinhard Czycholl (1974, 28) berücksichtigt weniger dasVerhältnis zur Wirtschaftswissenschaft, wenn er von Fachdidaktik als Theo-riezusammenhängen spricht, „[…] die sich auf die Planung, Realisation undKontrolle und auf den korrespondierenden Bedingungsrahmen von aufWirtschaft ausgerichteten Lehr- und Lernprozessen als ganzes oder einzelnerElemente davon beziehen.“

Gegen solche Verengungen auf eine Theorie definiert der Politikdidakti-ker Walter Gagel (2000, 53) Fachdidaktik als Berufs- und Grundlagenwis-senschaft. Als Berufswissenschaft ist sie Handlungstheorie, die auswählt, vonder Fachwissenschaft erarbeitete Inhalte an Lernende vermittelt und denVermittlungsvorgang reflektiert. Grundlagenwissenschaft ist sie als For-schungstheorie, die wissenschaftliches Wissen in Bezüge zu anderen Wissens-formen (Alltags-, Institutionen-, Berufs-, Schulwissen) einordnet und quali-tative Änderungen beobachtet. Aus historischer Perspektive charakterisiertBernd Schönemann (2006, 72) die Geschichtsdidaktik als Wissenschaftvom Geschichtsbewusstsein einer Gesellschaft.

Auch wenn die ein oder andere Wissenschaftsdefinition der Fachdidaktikunscharf oder einseitig erscheint, macht dieses Spektrum doch deutlich, dassWirtschaftsdidaktik nicht allein als Berufswissenschaft oder als Handlungs-theorie zu sehen ist und dass sie originäre Erkenntnisinteressen und Erkennt-nisgegenstände hat, die sie von jenen der Erziehungs- und Wirtschaftswis-senschaften unterscheiden.

4 Wirtschaftsdidaktik als forschende Wissenschaft

Durch systematische Verfahren reflektierter Erkenntnisgewinnung ist For-schung darauf ausgerichtet, neue allgemeine, über den Einzelfall hinausrei-chende, Phänomene, Strukturen und Beziehungen zu erkennen und zuerklären. Neben Grundlagen- und angewandter Forschung werden – nichtunumstritten – auch darauf aufbauende Entwicklungen und Erprobungenzur Forschung gezählt. So ist Forschung laut Frascati Manual (OECD 2002:§ 63) „Research and experimental development (R&D) comprise creativework undertaken on a systematic basis in order to increase the stock ofknowledge, including knowledge of man, culture and society, and the use ofthis stock of knowledge to devise new applications.“

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Als Wissenschaft erforscht die Wirtschaftsdidaktik originär ökonomischeSachverhalte und Theorien im Blick auf die Befähigung zu Tüchtigkeit undAufklärung, Mündigkeit und Verantwortung lernender Individuen in kom-plexen ökonomisch geprägten Lebenssituationen und zur Teilhabe an gesell-schaftlichen Prozessen. Sie gibt zudem Hilfestellung für Planung und Eva-luation fachlicher Lehr-Lernprozesse durch fachdidaktische Entwicklungund Erprobung. Insofern sind die gegenwärtigen Schwerpunkte die fachdi-daktische Theoriebildung als Grundlagenforschung sowie der fachdidakti-sche Theorie-Praxis-Transfer als Entwicklung und Erprobung.

(1) Fachdidaktische Theoriebildung als GrundlagenforschungDie Schwerpunkte der wirtschaftsdidaktischen Forschung liegen gegenwär-tig in der Grundlagenforschung, in der das Verhältnis der Wirtschaftswissen-schaft zur Allgemeinbildung als hermeneutisch-analytische fachdidaktischeTheoriebildung theoretisch bestimmt wird. Dabei werden Modelle entwik-kelt, die wesentliche Kriterien zur Beschreibung, Analyse und Evaluationsowie zur Planung und Gestaltung ökonomischen Unterrichts begründen.Solche Reflexionskriterien sollen Entscheidungen im Rahmen fachbezoge-ner Lehr- und Unterrichtsplanung und Materialentwicklung fundieren, umbegründet Ziele zu formulieren, Inhalte und methodische Lehr-Lernwegeauszuwählen. Der Erkenntnisgegenstand ist die Begründung der ökonomi-schen Bildung als Allgemeinbildung sowie der Beiträge ökonomischerBildung zu speziellen Praxisfeldern ökonomischen Handelns bzw. der theo-retischen Fundamente von Fächern und Lernbereichen. Dabei wird dieStruktur von Fachinhalten und neuen Theorien hinsichtlich ihres Bildungs-wertes, ihrer zugrunde liegenden fundamentalen Ideen, ihres Erklärungs-wertes und Gestaltungspotenzials für den mündigen Verbraucher, Erwerbs-tätigen und Wirtschaftsbürger didaktisch rekonstruiert und auch ideologie-kritisch analysiert. Dies beinhaltet auch, die Forschungsergebnisse andererWissenschaften unter einem auf fachspezifische Lehr-Lernprozesse bezoge-nen Erkenntnisinteresse hermeneutisch-kritisch zu untersuchen.

(2) Fachdidaktischer Theorie-Praxis-Transfer als Entwicklungund ErprobungAngesichts der Anforderungen an ökonomische Bildung und mangels ent-sprechend ausgebildeter Lehrkräfte richtete sich das Gestaltungsinteressevor allem auf die erprobende Entwicklung neuer und verbesserter Modelleökonomischen Lehrens und Lernens. Entwickelt und erprobt wurdenCurricula, Schulbücher, Lehr- und didaktische Materialien sowie komplexeLehr-Lernmethoden. Dabei ging es um die wissenschaftlich begründete,

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kriteriengeleitete Auswahl und generalisierte und integrierende „Überset-zungsarbeit“ des Wirtschaftswissens nach dem Prinzip der didaktischenReduktion oder Transformation. Während die didaktische Reduktion da-nach fragt, wie komplexe fachliche Inhalte einer bestimmten Zielgruppeeinfach erklärt werden können, hinterfragt die didaktische Transformationdie Bedeutung der Inhalte und bettet sie in komplexe sinnvolle Lebenszu-sammenhänge ein, um Lernende zur Bewältigung ihrer Lebenssituationensowie zur gesellschaftlichen Teilhabe mit Hilfe wissenschaftlicher Konzepte,Theorien und Methoden zu befähigen.

Die Theoriebildung in der Wirtschaftsdidaktik als Grundlagenforschungbezog sich also vor allem auf die Legitimation und Auswahl vorgefundenerSachstrukturen und Verfahren in Bezug auf die Bildung des lernendenIndividuums. Durch Theorie-Praxis-Transfer als Entwicklung und Erpro-bung wurde sie den gesellschaftlichen Anforderungen nach Berufsvorberei-tung und Hilfen für die Gestaltung ökonomischer Bildung gerecht. Ange-sichts der prekären und unübersichtlichen Situation der ökonomischenBildung in den Schulen hat sich die Didaktik der ökonomischen Bildunglange Zeit auf Entwicklung von Konzeptionen und Empfehlungen zurökonomischen Bildung beschränkt, ohne sich den fachspezifischen Lehr-Lernprozessen forschend zu widmen oder die Erprobung neuer Entwicklun-gen systematischer Evaluation zu unterziehen.

5 Forschungsfelder der Wirtschaftsdidaktik

Der Standort der Fachdidaktik befindet sich zwischen dem lernenden, sichbildenden Individuum und dem Lerngegenstand, konstituiert aus derFachwissenschaft und gesellschaftlichen Anforderungen. Vor allem soll sichdas Individuum in ökonomisch geprägten Lebenssituationen orientierenund bewähren, in diesen selbstbestimmt entscheiden und – betroffen vonökonomischen Problemen – diese beurteilen und verantwortlich mit gestal-ten. Dazu sollen ihm fachwissenschaftliche Kategorien und Denkschematadienlich sein. Die Wirtschaftsdidaktik hat dazu moderate konstruktivisti-sche Gestaltungshilfen (Theorie-Praxis-Hilfen) entwickelt. In diesem Span-nungsfeld lassen sich auch die existierenden fachdidaktischen Konzeptionenan den jeweiligen Polen verorten, wie etwa die „Qualifizierung für Lebens-situationen“ (Bodo Steinmann; Dietmar Ochs), die sozioökonomische Bil-dung (Dietmar Kahsnitz) bzw. die in der Entwicklung befindliche alltags-und lebensweltorientierte ökonomische Bildung (Michael-Burkhard Pior-kowsky) einerseits sowie die kategoriale ökonomische Bildung (Erich Dau-

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enhauer, Hermann May, Klaus-Peter Kruber) bzw. die an den ökonomi-schen Denkschemata orientierte, vor allem institutionenökonomische Bil-dung (Gerd-Jan Krol, Jan Karpe, Hans Kaminski).

In Folge der Entwicklung grundlegender wirtschaftsdidaktischer Kon-zeptionen, denen je nach Schulstufe eine unterschiedliche Bedeutung beizu-messen ist und die in einer professionellen Gesamtkonzeption zu integrierenwären, sollen hier fachdidaktische Forschungsfelder als theoretische Makro-und empirische Mikroanalyse unterschieden sowie ein unabgeschlossenerRahmen von Forschungsfragen skizziert werden.

Abb. 1: Verteilung positiver und negativer Incidents auf die Qualitätsdimensionen

(1) Fachdidaktische Makroanalyse: Wissenschaft – Lebensgestaltung –BildungDie fachdidaktische Makroanalyse untersucht das Verhältnis Wissenschaft,Lebensgestaltung und Bildung, um theoretisch begründete und kritischreflektierte Zielsetzungen und Strukturmuster für ökonomische Bildungs-prozesse und einen Bezugsrahmen und Bewertungshilfen für empirischeMikroanalysen zu schaffen.

(a) Wirtschaftswissenschaft und LebensgestaltungDie Modelle der Volks- und Betriebswirtschaftslehre müssen darauf hinuntersucht werden, was sie zur Befähigung des mündigen, selbstbestimmtenund verantwortlich handelnden Konsumenten, Berufswählers, Erwerbstäti-

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gen und Wirtschaftsbürgers leisten. Beispielsweise legen wirtschaftsdidakti-sche Konzeptionen nahe, dass die Annahme der Ökonomik oder die Ziel-setzung einer pädagogischen Verbraucherbildung eines allseits informiertenund rational handelnden Konsumenten wirtschaftstheoretisch nur als An-nahme zur Prognose von Koordinationsprozessen genutzt wird, währendneuere ökonomische Erkenntnisse und die Verbraucherforschung nahele-gen, dass Gewohnheitsbildung und Markenorientierung durchaus dienlichsind, da sie Transaktionskosten mindern. Die Absatzforschung, wenngleichauch auf das unternehmerische Gewinninteresse ausgerichtet, leistet wich-tige Erkenntnisse der Beeinflussung von Verbraucherentscheidungen, wäh-rend sich aus dem ökonomischen Denkansatz und der DilemmaanalysePrognosen für den Umgang mit Verbraucherinformationen, die Unterstüt-zung von Verbraucherorganisationen und umweltfreundliches Verhaltenableiten lassen. Allerdings ist die Ökonomik nicht wirklich interessiert amKonsumenten oder am Haushalt, wie Reinhold Hedtke 1999 und Hans-Jürgen Albers 2000 kritisieren.

Im Interesse der Kompetenzentwicklung des Individuums muss dieWirtschaftsdidaktik noch sehr viel gezielter untersuchen, welche Anforde-rungen Lebenssituationen stellen, wozu ggf. auch Erkenntnisse andererWissenschaften herangezogen werden müssen. Sie muss untersuchen, wel-chen Beitrag die Wirtschaftswissenschaften zur Aufklärung leisten, aberauch wo sie ggf. problematisch, einseitig oder unterkomplex sind.

(b) Wirtschaftswissenschaft und BildungDie Wirtschaftswissenschaft transportiert viele Verhaltensannahmen, umdie Wirkung von Restriktionen zu prognostizieren, wobei sie das Verhaltentypischer eigennutzorientierter, rationaler Individuen, die auch opportuni-stisch handeln können, zugrunde legt. In Bezug auf Bildungsprozesse mussdie Wirtschaftsdidaktik untersuchen, ob z.B. die Denkschemata des Oppor-tunismus und des Gefangenendilemma dazu beitragen, das unterstellteVerhalten für normal zu halten und individuelle Verantwortung zu negieren.Während die Volkswirtschaftslehre weder Nutzen noch Präferenzen hinter-fragt, setzt sich die Marketingwissenschaft explizit mit der Veränderung vonPräferenzen auseinander. Insofern bedarf es der wirtschaftsdidaktischenAnalyse der selbstbestimmten Konkretisierung von Bedürfnissen. Diskre-panzen zwischen Bildung und Wirtschaftswissenschaft sind auch darin zusehen, dass der ökonomische Denkansatz auf einem behavioristischen Reiz-Reaktionsschema beruht, etwa hinsichtlich des Anreiz-Restriktions-Sche-mas, des wirtschaftlichen Funktionsmechanismus, der Bedeutung ökono-mischer Anreize, die dem nutzenmaximierenden Individuum nur die Wahl

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von Alternativen als Optimierungsproblem lassen. Während das Erkennt-nisinteresse der Volkswirtschaftslehre auf die angemessene und nachhaltigeSteigerung des Wohlstands einer Nation und das der Betriebswirtschaftsleh-re auf eine angemessene und nachhaltige Gewinnmaximierung ausgerichtetist, werden die Interessen der angemessenen und nachhaltigen Nutzenma-ximierung von Verbrauchern und Erwerbsabhängigen vernachlässigt. Inso-fern muss die Wirtschaftsdidaktik auch die normativen Implikationen desErkenntnisinstrumentariums ideologiekritisch reflektieren, um unterschied-liche Interessen und individuelle Handlungsspielräume zu erschließen.

(c) Lebensgestaltung und BildungWirtschaftsdidaktik muss die Anforderungen der ökonomisch geprägtenLebenssituationen sowie die Herausforderungen gesellschaftlicher Teilhabeals Lebensgestaltung darauf hin untersuchen, welche Gefährdungen sich fürmündige Konsumenten, Berufswähler, Anleger und Unternehmer ergeben,welche Kompetenzen sie benötigen, um selbstbestimmt, tüchtig und verant-wortlich zu handeln. Es bedarf auch der Analyse inwiefern Individuen ihreHandlungsspielräume über- bzw. unterschätzen. Von der Wirtschaftsdidak-tik bislang unzureichend erforscht sind auch problematische Entwicklungenin der Wirtschaftswelt für unterschiedliche Gruppen. Welche Folgen hat diegeschlechtsspezifische Arbeitsteilung bzw. die Spezialisierung nach kompa-rativen Vorteilen für Frauen? Welche Herausforderungen ergeben sich fürBildungsferne angesichts der Zukunft der Arbeit? Inwiefern kann und mussökonomische Bildung sie befähigen ihre Interessen wahrzunehmen, auchwenn dies von der ökonomischen Theorie ignoriert, wirtschaftspolitischenZielen und dem volkswirtschaftlichen Wohlstand langfristig entgegensteht.Wirtschaftsdidaktische Handlungsforschung muss solche Entscheidungssi-tuationen untersuchen, um individuelle Probleme, Einflüsse und Hand-lungserfordernisse nicht nur typisch, sondern auch konkret für das sichbildende Individuum zu erschließen. Dabei muss sie auch Ergebnisse derVerhaltensökonomik und der Sozialisationsforschung unter eigenem Er-kenntnisinteresse neu erschließen.

(2) Fachdidaktische Mikroanalyse: Rahmenbedingungen – Lerner –Lehrender – LerngegenstandMit der kognitivistischen Wende geriet das Individuum als Informationsver-arbeiter und reflexives Subjekt in den Blick, während mechanistische For-men behavioristischer Beeinflussung für anspruchsvolle kognitive Prozesseoder kreative Problemlösungen in komplexen Situationen zunehmend inFrage gestellt wurden. Diese Entwicklungen korrespondieren auch in den

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Wirtschaftswissenschaften mit neuen Orientierungen. So widmet sich dieBetriebswirtschaftslehre dem ursprünglich ausgeblendeten, weil irrationa-len Subjekt Unternehmer, den Herausforderungen der Mitarbeiterführungjenseits des Taylorismus und der lernenden Organisation. Auch in derVolkswirtschaftslehre wird die Nutzenmaximierung modifiziert und aner-kannt, dass beschränkte Rationalität mit Wahrnehmungsverzerrungen undUrteilsfehlern Entscheidungen in komplexen Situationen unter Handlungs-druck erschwert. Mit diesem Wandel in den Lerntheorien und der Ökono-mik sowie der bildungstheoretischen Diskussion vom Input zum Outputbeginnt auch die Wirtschaftsdidaktik stärker sich mit den Lehr-Lernprozes-sen auseinanderzusetzen statt lediglich Gestaltungsempfehlungen zu geben.Die fachdidaktische Mikroanalyse untersucht die ökonomischen Lehr-Lern-prozesse im Blick auf die Lernenden und Lehrenden, den Lerngegenstandsowie auf die Rahmenbedingungen der Lehr-Lernprozesse. Lehr-Lernfor-schung ist ein Teil der Bildungsforschung, die Wege und Maßnahmen zurErreichung von Bildungs- und Qualifikationszielen wissenschaftlich unter-sucht, der sachlichen Kritik zugänglich macht, um über Evaluation zielge-richtete Qualitätssicherung und -entwicklung zu ermöglichen (BMBF 2004,351). Sie geht durch die Erforschung des fachlichen Lernens über die Bil-dungsforschung hinaus und durch die Erforschung der Lehr-Lernprozesseüber die Unterrichtsforschung. Das Erkenntnisinteresse richtet sich auf diecurricularen Rahmenbedingungen des ökonomischen Lehrens und Lernens,die subjektiven Lernvoraussetzungen, die Kompetenzentwicklungen im Rah-men von Lehr-Lernprozessen sowie die Professionalisierung der Lehrkräfte.

(a) Curriculare Rahmenbedingungen des ökonomischen Lehrensund LernensDie curricularen Rahmenbedingungen sind daraufhin zu untersuchen,inwiefern, in welchem Ausmaß, mit welchen Zielen, mit welchen Lernge-genständen sie ökonomische Bildung ermöglichen (z.B. Curriculumanaly-sen von Birgit Weber). Dies wird angesichts eines föderalen Systems mit 16Bundesländern im gegliederten und gestuften Schulwesen, einem bildungs-politischen Reformwettlauf noch dadurch erschwert wird, dass wirtschaftli-che Phänomene in unterschiedlichen Integrationsfächern wie Sachunter-richt, Sozialkunde, Arbeitslehre verankert sind. Das wirtschaftliche Weltbildwird aber auch von anderen Schulfächern beeinflusst, wenn beispielsweisewirtschaftliche Einflüsse in Geographie und Geschichte behandelt, wirt-schaftliche Weltbilder in Literatur und Religion präsentiert und praktischeAnwendungen in Mathematik und Deutsch genutzt werden. Wirtschaftli-ches Lernen kann aber auch überfachlich und fächerübergreifend verordnet

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werden für Verbraucherbildung, Berufsorientierung, Umweltbildung undglobales Lernen. Neben den curricularen Voraussetzungen, niedergelegt inLehrplänen und Standards, haben die eingesetzten Lernmedien direkterenEinfluss (z.B. Schulbuchanalysen von Rolf Oberliesen; Klaus Jürgen Bön-kost). Neben der Frage, welche Materialien überhaupt genutzt werden, sindsie auf ihren möglichen Beitrag zur Kompetenzentwicklung, zum Stand derRepräsentation wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie ideologiekritisch hin-sichtlich ihrer Akzentsetzungen, Schwerpunkte, Interessen und Vernachläs-sigungen zu untersuchen.

(b) Subjektive Lernvoraussetzungen der Kinder und JugendlichenKinder und Jugendliche bringen Vorstellungen über die Wirtschaftswelt inden Unterricht mit. Nach konstruktivistischen Vorstellungen sind solche inAlltagsituationen gewonnenen mentalen Modelle in Lernprozessen zu be-rücksichtigen, um zu verhindern, dass durch ein Nebeneinander von in derPraxis bewährtem Alltagswissen das Schulwissen träge bleibt (vgl. Gersten-maier/Mandl 1995). Affektive Lernvoraussetzungen sind Interessen, Moti-vationen und Einstellungen, wie sie z.B. auch im Rahmen von Kinder-,Jugendstudien und Meinungsforschungsinstituten erhoben werden. Kogni-tive Voraussetzungen sind das Vorwissen, Denkschemata und subjektiveTheorien zur Wahrnehmung, Erklärung und Beeinflussung ökonomischerPhänomene. Diese Lernvoraussetzungen unterscheiden sich alters-, her-kunfts-, kultur- und geschlechtsspezifisch. Hier liegen vielfältige Studienvor, die von der Wirtschaftsdidaktik unter eigenem Erkenntnisinteresse zuanalysieren und zu hinterfragen sind. Dies sind z.B.• Entwicklungs- und kognitionspsychologische Studien zur ökonomi-

schen Begriffsentwicklung (z.B. Anna Emilia Berti; Anna Silvia Bombi;Adrian Furnham; Annette Claar; Klaus Feldmann),

• Studien der Kindheits- und Jugendforschung zu Interessen und Motiva-tionen (z.B. Heinz Hengst; Helga Zeiher; Klaus Hurrelmann; MathiasAlbert; Sabine Andresen);

• Studien zum allgemeinen und speziellen Wirtschaftswissen und -be-wusstsein (z.B. Reinhold Würth; Hans-Joachim Klein; Klaus Beck;Volker Krumm; Christoph Szesny; Sigrid Lüdecke; Bundesverbanddeutscher Banken zur finanziellen Bildung, Bertelsmann Stiftung zuEinstellungen zum Entrepreneurship).

• Studien der Markt- und Berufsforscher zu konsum- oder berufsrelevan-ten Einstellungen und Handlungen sowie der Verhaltensökonomen überdas ökonomische Verhalten.

• Studien der sozialwissenschaftlichen Sachunterrichtsdidaktik zu subjek-

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tiven Theorien über ökonomische Phänomene (v.a. Andrea Moll; EvaGläser; Domingo Ramirez; Marlies Hempel, Edith Glumpler, AstridKaiser).

Die subjektiven Lernvoraussetzungen sind daraufhin zu untersuchen, wel-che Bedeutung Vorwissen, Einstellungen und Interessen für den Erwerbökonomischen Wissens haben. Ihre Erforschung ermöglicht es, besondereTypen und Muster des Denkens differenziert zu erkennen, so dass Lehrkräf-te sie nutzen können, um über fruchtbare Widersprüche die kognitiveEntwicklung zu stimulieren. Das Verständnis von Lernenden über dieWirtschaftswelt zu kennen, ermöglicht es auch, sie weder zu unter- noch zuüberfordern oder sie mit trivialen Lehrbuchweisheiten und -glaubenssätzenzu langweilen. Das Wissen über Lernvoraussetzungen kann auch die Ge-sprächs- und Diagnosekompetenz der Lehrkräfte verbessern.

(c) Kompetenzentwicklung in Lehr-LernsituationenDie Unterrichtsforschung oder Lehr-Lernforschung i.e.S. bezieht sich aufdie Evaluation der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen und die Diagnoseihrer Ergebnisse als Kompetenzentwicklung. Auch wenn Unterrichtsmetho-den ein besonderer Stellenwert für eigenständiges und nachhaltiges Lernenbeigemessen wird, so beruhen doch die Annahmen über die Kompetenzent-wicklung, z.B. von Erkundungen, Planspielen, Schülerfirmen und Experi-menten, weitgehend auf Plausibilitätserwägungen. Noch viel weniger unter-sucht ist die Frage, welche Einstellungen durch bestimmte Methodengefördert werden. Tragen beispielsweise Schülerfirmen dazu bei, das Unter-nehmerbild zu verbessern, die Interessen der Erwerbsabhängigen demUnternehmen unterzuordnen oder fördern sie etwa eine eher unbedachteRisikobereitschaft? Welchen Beitrag leisten beispielsweise ökonomischeExperimente zum Verständnis von wissenschaftlichem Wissen? Inwiefernund unter welchen Bedingungen tragen Berufspraktika – wenn auch nichtzur Berufswahlentscheidung, sondern – zur Persönlichkeitsstärkung und zurVerbesserung beruflicher Perspektiven bei? Hier liegen vor allem wirtschafts-pädagogische Studien zu komplexen Lehr-Lernarrangements vor sowiesolche zur Berufsorientierung von Lothar Beinke.

Die Kompetenzentwicklung in Lehr-Lernsituationen ist aber auch mitder Aneignung und Auseinandersetzung mit ökonomischen Denkschemataverbunden. Dabei geht es darum, welche Lernhemmnisse mit ihrer Aneig-nung verbunden sind und welche Möglichkeiten der Überwindung existie-ren? Existieren beispielsweise Alltagstheorien, die zur Lebensbewältigungdienlicher sind als wissenschaftliche Denkschemata? Welche ökonomischenBegrifflichkeiten bergen trotz alltäglicher Verwendung erhebliche Verständ-

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