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Page 1: Den kenn ich doch

17MMW-Fortschr. Med. Nr. 8 / 2013 (155. Jg.)

_ Der erste Teil der Geschichte ist „ver-dammt lang her“. Damals gab es noch Kran-kenscheine und ich hatte dieselben vor mir in der Praxis auf dem Fußboden kniend ausgebreitet, um sie zu sortieren. Es war der erste Januar und ich kniete bereits den 2. Tag an der Quartalsabrechnung, als es klingelte. Ein Student, Südamerikaner, schwarze Haare, schwarze Augen, verzwei-felt: „Frau Doktor, mir ist eben ein Kondom gerissen ...“

Nach einer kurzen Reflexion über mein Leben („Was mach ich hier eigentlich, wäh-rend andere leben??“) beruhigte ich ihn und schickte ihn mit seiner norwegischen Freundin in die Gynäkologie, um sich „die Pille danach“ zu besorgen, von der sie noch nie etwas gehört hatten.

Teil zwei der Geschichte: Ein neuer Patient aus Norwegen erscheint in der Praxis, Stu-dent, schwarze Haare, schwarze Augen. Mein erster Eindruck: „Den kennst du doch …“.

Er wohnte jetzt in dem Studentenheim, in dem einst seine Eltern gewohnt hatten.Und ich rechnete nach Aufnahme seines Geburtsdatums zurück: Soundso viele Jah-re plus neun Monate. Stimmt!

Ich erinnere mich noch gut an seine blonde hübsche Mutter. Von Medikamen-ten hatte sie nie viel gehalten, wohl auch nicht von der „Pille danach“.

DR. MED. LUISE HESS, DARMSTADT■

Den kenn ich doch …

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Folge 95

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[email protected] AUS DER PRAXIS

WAS MMW-LESER ERLEBEN

Idiotisches Gesundheitszeugnis_ Wir schlagen uns ja täglich mit unsin-niger Bürokratie herum. Aber es gibt At-teste, deren Schwachsinn nicht zu überbie-ten ist: die „Gesundheitsatteste“ für kleine Sportler, aber auch die für Jobber im Ser-vice- oder Krankenhausbereich.

Hin und wieder müssen Kinder, die z. B. bei Schwimm- oder Tennisturnieren starten wollen, ein „Gesundheitszeugnis“ vorlegen, das dann zwei Jahre Gültigkeit hat. Natür-lich ist es angebracht, ein kränkelndes Kind abzuhorchen, ob nicht z. B. ein Herzfehler oder Asthma für die mangelnde Leistungs-fähigkeit verantwortlich zu machen sind. Aber ein pumperlgesundes Kind zum Arzt zu schicken, damit er ihm eben diese Ge-sundheit bescheinigt, ist idiotisch. Schließ-lich kann schon eine Woche später ein häss-licher Virusinfekt den Herzmuskel angreifen und den Turnierstart lebensgefährlich wer-den lassen. Da verlässt man sich doch bes-ser auf das Befinden des kleinen Sportlers, als auf einen bis zu zwei Jahre alten Zettel!

Heute war es wieder mal eine 400-€- Jobberin, die in der Gastronomie aushelfen will und mich um ein „Gesundheitsattest“ bat. Soll ich sie nun auf Tuberkulose unter-suchen, Hepatitis-Antikörper bestimmen, einen HIV-Test, einen Routinelabor-Rund-umschlag und vielleicht auch noch eine Er-gometrie machen, um sicher zu gehen, dass der stressige Kellnerinnenjob gut ver-tragen wird? Was ist, wenn alles ok ist, und sie sich morgen eine Hepatitis B einfängt? Soll ich nicht auch vorsichtshalber schauen, ob sie MRSA-Trägerin ist oder eine Neigung zu rheumatoider Arthritis hat, der das Ser-vieren auf der Terrasse (nur Kännchen!) übel bekäme? Tolle Ideen. Nur: Wer bezahlt das alles?

Ich verzichte auf all das, messe den Blut-druck und schaue in meine Akte, ob dort Besonderes vermerkt ist. Nein, sie scheint so gesund zu sein, wie sie aussieht, und das bestätige ich ihr. Ich knöpfe ihr symbo-lische drei Euro ab (die Krankenkasse wei-

gert sich zu Recht, solche Atteste zu bezah-len), und fünf Minuten später ist sie wieder draußen. Mit einem Zettel ohne Wert. Wa-rum nur wird der immer wieder angefor-dert?

DR. MED. FRAUKE HÖLLERING, ARNSBERG ■

Der Patient ist jetzt zwei Jahre lang ge-sund – weil es so im Attest steht.

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