wein und biologische vielfalt: wechselspiel zwischen technik und natur

21
Schriftenreihe der Georg-Agricola-Gesellschaft 35 (2012), S. 125–145 125 Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur Ursula Nigmann, Roland Achtziger Die Vereinten Nationen haben den Zeitraum von 2011 bis 2020 zur UN- Dekade der Biologischen Vielfalt ausgerufen. Damit soll die Bedeutung der natürlichen Vielfalt oder kurz Biodiversität für die Lebensvorgänge in der Natur und auch für den Menschen noch stärker in das Bewusstsein von Ge- sellschaft, Politik und Wirtschaft gerückt werden. Das Wechselspiel zwi- schen dem Wirken des Menschen und seiner (Kultur-)Technik auf der einen Seite und der Vielfalt der lebenden Organismen und ihren oftmals speziellen Anpassungs- und Lebensstrategien auf der anderen Seite lässt sich insbeson- dere in Weinlandschaften herausarbeiten. In diesem Beitrag werden einige Beispiele für die zahlreichen Beziehungen zwischen der Weinbautechnik und -kultur und der Biodiversität in Weinlandschaften vorgestellt. Weinrebe und Weinbau Die Weinrebe Vitis vinifera Grundlage des Weins ist die Weinrebe (Vitis vinifera spp. vinifera), die aus der ursprünglichen Form, der Wilden Weinrebe (Vitis vinifera ssp. sylvestris) gezüchtet wurde (Myles et al. 2011). Diese Wildform kommt auch heute noch – wenn auch nur noch in wenigen Exemplaren – z. B. in der Oberrheinebene vor (Baden-Württemberg) (Sebald et al. 1992). Dort wächst sie wie in ihrem natürlichen Habitat in den Hartholzau- en, die durch eine seltene Über utung und einen hohen Nährstoreich- tum gekennzeichnet sind und die v.a. eine Vielzahl an großen, stabilen Bäumen aufweisen (s. Ellenberg & Leuschner 2010). Da Weinreben kein eigenes Stützgerüst aufbauen, wachsen sie mit Hilfe ihrer Ranken an sol- chen Bäumen zum Licht und können dabei die erstaunliche Länge von 40 Metern erreichen (s. Sebald et al. 1992). Sowohl die Urform als auch die Zuchtform sind zudem sehr wärmeliebend. Weinbau in Deutschland In Deutschland werden auf ca. 1.020 km 2 Weinreben angepanzt (Deut- sches Weininstitut 2011), was etwa 0,3 % der Landäche Deutschlands ent- spricht. Wie die Karte der 13 deutschen Anbaugebiete zeigt, ist der Wein- bau nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt. Neben marktpolitischen Vorgaben spiegelt dieses Verbreitungsmuster die Ansprüche der Weinrebe

Upload: tu-freiberg

Post on 19-Nov-2023

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Schriftenreihe der Georg-Agricola-Gesellschaft 35 (2012), S. 125–145 125Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und NaturUrsula Nigmann, Roland Achtziger

Die Vereinten Nationen haben den Zeitraum von 2011 bis 2020 zur UN-Dekade der Biologischen Vielfalt ausgerufen. Damit soll die Bedeutung der natürlichen Vielfalt oder kurz Biodiversität für die Lebensvorgänge in der Natur und auch für den Menschen noch stärker in das Bewusstsein von Ge-sellschaft, Politik und Wirtschaft gerückt werden. Das Wechselspiel zwi-schen dem Wirken des Menschen und seiner (Kultur-)Technik auf der einen Seite und der Vielfalt der lebenden Organismen und ihren oftmals speziellen Anpassungs- und Lebensstrategien auf der anderen Seite lässt sich insbeson-dere in Weinlandschaften herausarbeiten. In diesem Beitrag werden einige Beispiele für die zahlreichen Beziehungen zwischen der Weinbautechnik und -kultur und der Biodiversität in Weinlandschaften vorgestellt.

Weinrebe und Weinbau

Die Weinrebe Vitis viniferaGrundlage des Weins ist die Weinrebe (Vitis vinifera spp. vinifera), die aus der ursprünglichen Form, der Wilden Weinrebe (Vitis vinifera ssp. sylvestris) gezüchtet wurde (Myles et al. 2011). Diese Wildform kommt auch heute noch – wenn auch nur noch in wenigen Exemplaren – z. B. in der Oberrheinebene vor (Baden-Württemberg) (Sebald et al. 1992). Dort wächst sie wie in ihrem natürlichen Habitat in den Hartholzau-en, die durch eine seltene Überfl utung und einen hohen Nährstoff reich-tum gekennzeichnet sind und die v.a. eine Vielzahl an großen, stabilen Bäumen aufweisen (s. Ellenberg & Leuschner 2010). Da Weinreben kein eigenes Stützgerüst aufbauen, wachsen sie mit Hilfe ihrer Ranken an sol-chen Bäumen zum Licht und können dabei die erstaunliche Länge von 40 Metern erreichen (s. Sebald et al. 1992). Sowohl die Urform als auch die Zuchtform sind zudem sehr wärmeliebend.

Weinbau in DeutschlandIn Deutschland werden auf ca. 1.020 km2 Weinreben angepfl anzt (Deut-sches Weininstitut 2011), was etwa 0,3 % der Landfl äche Deutschlands ent-spricht. Wie die Karte der 13 deutschen Anbaugebiete zeigt, ist der Wein-bau nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt. Neben marktpolitischen Vorgaben spiegelt dieses Verbreitungsmuster die Ansprüche der Weinrebe

126 Ursula Nigmann, Roland Achtziger

Intensiv durch den Weinbau geprägte Kulturlandschaft: Radebeul im Anbaugebiet Sachsen (Alle Fotografi en: Roland Achtziger)

Lage der 13 Weinanbaugebiete (Deutsches Weininstitut, mit freundlicher Genehmigung)

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 127

hinsichtlich des Wärme und der Vegetationsdauer, aber auch verschiedene geschichtliche Aspekte wider.

Weinlandschaften, also Landschaften mit Weinbau, sind alte Kulturland-schaften. Am Rhein begann der Weinanbau vor etwa 2000 Jahren, Nach-weise aus Mitteldeutschland liegen seit über 1200 Jahren vor und Sachsen beging im Jahr 2011 das Jubiläum 850 Jahre Weinbau. Die größte Ausdeh-nung hatte der Weinbau in Deutschland im 16. Jahrhundert. Die Weinbau-fl äche war damals ungefähr dreimal so groß als heute, also ca. 300.000 ha (Braatz et al. 2007, S. 20). Im Mittelalter soll in Franken eine Fläche von 40.000 ha mit Reben bepfl anzt gewesen sein (Leicht 1985). Die heutige Anbaufl äche beträgt dagegen nur noch 6.000 ha.

Die historische Nutzung lässt sich auch heute noch sehr eindrücklich im unteren Taubertal und am Main bei Wertheim erkennen: Die in den Wäl-dern oder Streuobstwiesen heute noch erhaltenen Weinbergsmauern, Wein-bergstreppen oder Steinriegel sind ein beredtes Zeugnis der ursprünglichen Flächennutzung. Sie sind ebenso wie die heutigen Strukturen im Weinbau wertvoll für die Strukturvielfalt der Weinlandschaft und damit auch für die Biodiversität.

Zeugnisse der ehemaligen, historischen weinbaulichen Nutzung sind die alten Weinbergs-mauern, hier bei Reicholzheim im Taubertal.

128 Ursula Nigmann, Roland AchtzigerBegrenzungen des WeinbausDie Weinreben-Pfl anze benötigt zum Wachstum viel Licht und Wärme. Deutschland liegt mit einer relativ geringen Sonneneinstrahlung und einem eher kühlen Klima am Nordrand des für Weinbau geeigneten Bereichs. Da-her wurden im Weinbau spezielle Anbautechniken entwickelt, um dennoch ein optimales Wuchsklima für die Reben und somit gute Erträge sicherzu-stellen.

Da der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen an Hängen und auf Steillagen geringer ist als in fl achen Lagen, ist hier auch die Sonneneinstrahlung und damit die Erwärmung größer (Jackson 2008). Deshalb wird Weinbau in Deutschland nahezu nur an Hängen und auf Steillagen meist von Flusstä-lern betrieben. Der Anbau auf geneigten Hängen und auf steilen Lagen hat außerdem den Vorteil, dass die Kaltluft und auch das Regenwasser abfl ie-ßen können. Um die Sonneneinstrahlung, die morgens besonders im Herbst durch Nebel oder Dunst beeinträchtigt sein kann und die mittags und nachmittags am stärksten ist, tageszeitlich optimal auszunutzen, werden die Weinberge zudem bevorzugt in Süd-West-Exposition anlegt (Jackson 2008). Im Zuge des Klimawandels könnten in Zukunft bisher aufgrund der Exposition ungeeignete Flächen, z. B. mit stärkerer Nord- oder Ost-Aus-richtung, für den Weinbau nutzbar werden.

Verteilung der Rebfl ächenneigung in Deutschland (Auswertung auf Basis von Daten zu den Lagen des Deutschen Weininstituts DWI)

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 129Eine weitere Ausdehnung des Weinbaus in Deutschland in höher gelegene Flächen, z. B. in die Mittelgebirgsregionen, war bisher aufgrund der mit der Höhe abnehmenden Jahresdurchschnittstemperatur und der damit verbun-denen kürzeren Vegetationsdauer nur begrenzt möglich. So wird Weinbau nur bis zu ca. 500 Meter Höhenlage betrieben. Die im Anbaugebiet Ba-den gelegenen Weinlagen Olga- und Elisabethenberg am Hohentwiel und Weinberge am Schwarzwaldrand sind mit maximal 572m NN die höchst-gelegen Weinberge Deutschlands (Weinzierl et al. 2011a, b).

Biodiversität

Geschichte des Begriff sIm Jahre 1980 wird „biological diversity“, also die gesamte Verschieden-heit („total variability“) des Lebens auf der Erde, von Th omas Eugene Lo-vejoy u.a. im Vorwort des von Soulé und Wilcox herausgegebenen Buches Conservation Biology (Soulé & Wilcox 1980) eingeführt; im Jahre 1985 wurde der Begriff von Walter G. Rosen dann in Vorbereitung einer wis-senschaftlichen Tagung zu BioDiversity zusammengeführt (Heywood & Baste 1995). Die Tagungsergebnisse wurden 1988 in dem Buch Biodiver-sity veröff entlicht (Wilson & Peters 1988), was zur weiteren Bekanntheit des Begriff s führte (Heywood & Baste 1995). „Diversity“ meint dabei die Verschiedenheit bzw. die Unterschiedlichkeit, was sich aus dem lateinischen Wortursprung ableitet: „Di-vers“ bezeichnet unterschiedliche Richtun-gen, verschieden, unterschiedlich. Der Fachterminus „Biological Diversity“ wurde ins Deutsche nicht ganz exakt als „Biologische Vielfalt“ übersetzt, da „Verschiedenartigkeit“ (qualitativer Begriff ) als „Vielfalt“ (quantitativer Begriff ) wiedergegeben wird, womit eine Reduzierung der ursprünglichen wesentlich weitergehenden Bedeutung einhergeht. Daher ist die synonym verwendete Kurzform „Biodiversität“ eigentlich treff ender und soll daher im Folgenden auch verwendet werden.

Defi nition BiodiversitätDass sich Biodiversität gerade nicht (nur) auf die „Vielfalt“ oder „Vielzahl“ von Arten, also die Artenvielfalt beschränkt, verdeutlicht das folgende Sche-ma (vgl. Noss 1990). Biodiversität zeigt sich danach auf allen drei Hauptor-ganisationsebenen des Lebens, die hierarchisch ineinander geschachtelt sind: – Die erste Ebene der Biodiversität (hier im Schema der innere Kreis) um-

fasst die Verschiedenartigkeit der Moleküle und der Gene als Grundlage für die genetische Vielfalt der Organsimen oder auch der Individuen in-nerhalb von Populationen einer Art.

130 Ursula Nigmann, Roland Achtziger

– Die zweite Ebene, die Ebene der Arten (im Schema der mittlere Kreis) ist sicher die bekannteste. Hierzu gehören die verschiedenen Arten der Tiere, der Pfl anzen, der Mikroorganismen und der Pilze (Artendiversi-tät).

– Die dritte Ebene (im Schema der äußere Kreis) umfasst die Landschaf-ten, Landschaftselemente und Ökosysteme (Diversität der Lebensräume und Landschaften).

Auf allen drei Ebenen Gene, Arten und Landschaften können zudem je-weils die drei Komponenten der Biodiversität betrachtet werden: Dabei spie-gelt die Komposition den Aspekt der Zusammensetzung auf den jeweiligen Ebenen wider, z. B. die Artenzusammensetzung einer Lebensgemeinschaft oder die Zusammensetzung einer Landschaft aus verschiedenen Lebensräu-men (kompositorische Diversität). Die Komponente der Struktur beschreibt hierbei den Aspekt der strukturellen Vielfalt innerhalb eines Ökosystems oder einer Landschaft. Zur dritten Komponente der Biodiversität, der Funk-tion, gehören die vielfältigen ökologischen Prozesse und Wechselwirkungen auf allen drei Ebenen wie Interaktionen zwischen Räuber und Beute oder Pfl anzen-Bestäuber-Beziehungen sowie die Vielfalt an Struktur-Funktions-Beziehungen bei Organismen.

Biodiversität international und nationalInnerhalb kurzer Zeit erfuhr der ursprünglich rein im wissenschaftlichen Sinne verwendete Begriff „Biodiversität“ eine Bedeutungserweiterung, um politische Entscheidungsträger und die Öff entlichkeit anzusprechen und

Schematische Darstellung der wichtigsten Komponenten der Bio-diversität (Struktur, Komposition, Funktion) mit den hierarchisch geschachtelten Ebenen Gene, Arten, Landschaften (veränderte und vereinfachte Darstellung nach Noss 1990)

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 131umfasst nun auch die ökonomische Nutzbarkeit der Natur und Aspekte der sozialen Gerechtigkeit (vgl. Baur 2010). Im UN-Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD), die 1992 zum Weltgipfel in Rio verabschiedet und mittlerweile von 168 Staaten und der EU unterschrieben wurde, verpfl ichten sich die Unterzeichner u.a. zum Schutz der Biodiversität, der nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile und zu einer Zugangsregelung und dem gerechten Ausgleich von den aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehenden Vorteile (= Access and Bene-fi t Sharing, ABS) (s. CBD o. J.).

Im Jahr 2012 wird dieses, auch Rio-Konvention genannte Übereinkom-men 20 Jahre alt, was das dafür entworfene Kürzel „RIO+20“ symbolisiert. Zur Umsetzung der Konvention hat auch die Europäische Gemeinschaft im Jahr 2001 eine Biodiversitätsstrategie verabschiedet, die 2011 erneuert wurde und die den Schutz und die Verbesserung des Zustands der Biodi-versität in Europa zum Ziel hat. Deutschland hat seit 2007 eine Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt (Biodiversitätsstrategie) (BMU 2007). Die Erreichung der darin formulierten Ziele zu Schutz und Förderung der Biodiversität wird anhand von Indikatoren, die alle Politikfelder ein-beziehen und damit Biodiversität als Querschnittsaufgabe verdeutlichen, überprüft und im Indikatorenbericht zur nationalen Strategie veröff ent-licht (BMU 2010).

Beispiele für die Biodiversität in WeinlandschaftenDie Diversität auf der Ebene der Gene und Moleküle drückt sich zum Bei-spiel in den zur Weinherstellung in Deutschland zugelassenen 114 Rebsor-ten aus (Bundessortenamt 2008). Die 59 weißen und 28 roten Rebsorten sowie die 15 Unterlagsrebsorten und 12 Zierrebsorten sind Ausdruck der genetischen Verschiedenartigkeit der Weinrebe Vitis vinifera ssp. vinifera (Quelle: Bundessortenamt 2008). Damit sind auch Zuchtformen, Sorten, Nutzpfl anzen Bestandteile der Biodiversität. Auch die Vielfalt der in den Weinbeeren und später im Wein enthaltenen Aromamoleküle, die ein we-sentliches Charakteristikum des Weines darstellen, sind Ausdruck der Bio-diversität auf molekularer Ebene.

Die Diversität auf der Ebene der Arten drückt sich in den unterschiedlichen, in Weinlandschaften vorkommenden Tier- und Pfl anzenarten aus. Die meisten Arten, die hauptsächlich oder ausschließlich in Weinlandschaften vorkommen, haben spezielle Ansprüche und Anpassungen an die dort vor-herrschenden klimatischen Bedingungen (Hitze, Trockenheit) oder sind an bestimmte, nur in Weinlandschaften vorhandene Strukturelemente gebun-

132 Ursula Nigmann, Roland Achtzigerden (s. u.). Neben den Tier- und Pfl anzenarten sind auch die Mikroorga-nismen wie Bakterien und die Pilze Bestandteil der Artendiversität in der Weinlandschaft. Dabei sind die Weinhefepilze z. B. der Gattung Saccharo-myces sowohl als Wildform aus dem Weinberg oder als Reinzuchthefe aus dem Labor, für die Vergärung des Traubensaftes und damit für die Wein-herstellung essentiell, indem sie im Zuge der Gärung den im Beerensaft enthaltenen Traubenzucker zu Alkohol verstoff wechseln.

Auf der Ebene der Landschaften bilden die verschiedenartigen Landschafts-elemente wie Weinbergsmauern, Böschungen, Waldsäume, Streuobstwie-sen, Wegränder und Wälder Beispiele für die spezielle Biodiversität in der Weinlandschaft. Diese Elemente sind im wesentlichen durch die speziellen und oftmals regionalspezifi sch entwickelten Kulturtechniken im Weinbau bedingt. Und da die Vielfalt einer Weinlandschaft auf die Arbeit der Winzer und die verschiedenen Kulturtechniken zurückgeht, kann man auch diese mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Visionen und Philosophien als Teil der Biodiversität auff assen.

Kulturtechnik und Biodiversität in Weinlandschaften

Der Weinbau an Hängen und in Steillagen bringt besondere Herausfor-derungen mit sich: Neben der Gefahr von Rutschungen, Erosion und dem damit verbundenen Nährstoff verlust erfordern auch die eingeschränkte Einsetzbarkeit von Maschinen und die damit erschwerte Bearbeitbar-keit der Weinberge besondere Entwicklungen und Anpassungsstrategien hinsichtlich der Weinbautechniken, z. B. in Anlage und Gestaltung der Weinberge. Da die Weinbergsstrukturen wichtige Voraussetzungen für die Biodiversität in Weinlandschaften sind, soll im Folgenden näher auf sie eingegangen werden.

Terrassenweinbau: Weinbergsmauern und BöschungenEine wichtige Entwicklung, der eine Bewirtschaftung auch steiler und steilster Lagen ermöglicht, ist der Terrassenweinbau. Zwischen den ebenen Flächen oder Stufen der einzelnen Terrassen werden zur Hangsicherung in Regionen mit steinigem Untergrund Weinbergsmauern aufgebaut (meist als Trockenmauern ohne Mörtel), in Regionen mit weniger steinhaltigem Untergrund und insbesondere mit Lössböden werden Rebböschungen an-gelegt. Beide Landschaftselemente, Mauern und Böschungen, fungieren gleichzeitig als Wärmespeicher und dienen somit auch zur Reduzierung der Frostgefahr.

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 133

Die meisten Weinberge mit Trockenmauern sind historische Weinberge (Höchtl et. al 2011). In Deutschland werden solche Trockenmauerweinberge heute noch auf einer geschätzten Gesamtfl äche von 1.400 ha bewirtschaftet, was lediglich ca. 1 % der deutschen Weinbaufl äche entspricht (Höchtl et al. 2011). Wo sie vorkommen, können Weinbergsterrassen mit Trockenmauern jedoch äußerst landschaftsbestimmend sein, was etwa an der Neckarschleife bei Mundelsheim (Württemberg) oder im sächsischen Elbtal zu sehen ist.

Wie das folgende Beispiel zeigt, ist die Einführung des Terrassenweinbaus in den deutschen Weinanbaugebieten außer von den lokalen Gegebenheiten auch von geschichtlichen Ereignissen beeinfl usst. Der Weinbau auf Ter-rassen, in Württemberg bereits lange etabliert und erfolgreich praktiziert, wurde Anfang des 17. Jahrhunderts durch den Württemberger Dr. Martin Aichmann auch in Sachsen eingeführt. Aichmann war Jurist und Th eologe und ging 1601 als Berater in Angelegenheiten der Landeskirche, der Uni-versitäten und des kurfürstlichen Kammergerichts nach Sachsen. Später nahm er sich dann auch als kurfürstlicher Berater dem sächsischen Weinbau an (Höhne et al. 2005, Epperlein & Jacobshagen 2011). Zur Sicherung der Hänge und zur Wärmespeicherung schlug er den Anbau auf Terrassen vor; ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem mit Wassergräben sollte vor Bo-denerosion schützen. Außerdem sollten die Reben nicht mehr im Weinberg einzeln verteilt angepfl anzt werden, sondern in Reihen, also in Rebzeilen. Er forderte zudem eine Erhöhung der Rebsortenvielfalt, um die Weinqua-lität zu steigern (Höhne et al. 2005). Die meisten Vorschläge wurden – wie zunächst in seinem Demonstrationsweinberg bei Cossebaude gezeigt – al-lerdings dann erst später durchgesetzt. Inwieweit sich der Terrassenweinbau in Sachsen ohne Martin Aichmann und weitere ebenso verdienstvolle Per-sonen etabliert hätte, bleibt jedoch spekulativ.

Landschaftsprägender Terrassenweinbau mit Weinbergsmauern und „Stäff eles“ am Neckar bei Mundelsheim (Württemberg)

134 Ursula Nigmann, Roland Achtziger

Außer am Neckar und seinen Nebenfl üssen ist Terrassenweinbau mit Tro-ckenmauern insbesondere in Mainfranken, an Mosel, Ahr, Elbe sowie Saale und Unstrut zu fi nden (Höchtl et al. 2011). Je nach den lokalen Gegeben-heiten und der Bauzeit haben sich in den jeweiligen deutschen Weinbaure-gionen unterschiedliche Mauerformen herausgebildet.

Mauern als Lebensraum mit unterschiedlichen UmweltbedingungenWie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, sind die Trockenmauern ein (Weinbau-)Kulturprodukt oder auch ein vom Menschen geschaff enes Kunstprodukt. Für die sie besiedelnden Lebewesen ist dies jedoch irrelevant; für diese zählt lediglich, dass sie einen Lebensraum vorfi nden, der ihren na-türlichen Ansprüchen entspricht. Diesbezüglich ähneln Trockenmauern

Unterschiedliche Geologie – unterschiedliche Weinbergsmauern: Muschelkalk (Saale-Un-strut, oben links), Buntsandstein (Franken, Unteres Maintal, oben rechts), Syenit (Sachsen, unten links), Gneis/Granit (Baden, Breisgau, unten rechts)

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 135mit ihrer speziellen Struktur Felsstandorten, weshalb viele Mauerbewohner auch Felsbesiedler sind oder ursprünglich waren.

Aus Sicht der Biodiversität betrachtet bilden die einzelnen Bereiche einer Trockenmauer Kleinlebensräume für eine Reihe daran angepasster Arten: Direkt auf der Mauerkrone kann es sehr heiß und trocken werden, Schatten gibt es dort kaum und eine Humusschicht ist nicht oder nur in geringer Mächtigkeit vorhanden. Am Mauerfuß hingegen ist meist ausreichend Bo-denmaterial vorhanden und durch die Abstrahlung der Mauerwand ist es in kühlen Perioden oder in der Nacht am Fuß sogar wärmer als auf der Mauer-krone. Im Laufe des Tages wird der Mauerfuß dann beschattet und nach Niederschlägen können sich hier Abfl ussrinnen bilden. Die Mauerwand mit ihren Fugen und Löchern nimmt hinsichtlich ihrer kleinklimatischen Be-dingungen eine Mittelstellung zwischen Mauerfuß und Mauerkrone ein: Starke Erwärmung, phasenweise Trockenheit oder Feuchtigkeit, Sonne und Schatten. Eine Humusschicht kann sich allenfalls in den Mauerritzen hal-ten. Auf kleinstem Raum sind daher ganz unterschiedliche Lebensbedin-gungen zu fi nden, was eine wichtige Voraussetzung für die Diversität der Mauerbewohner darstellt.

Bereiche einer Weinbergsmauer

Mauerkrone

Mauerwand

Mauerfuß

136 Ursula Nigmann, Roland Achtziger

Entsprechend dieser Bedingungen siedeln sich auf Weinbergsmauern Tier- und Pfl anzenarten mit speziellen Anpassungen an Hitze und Trockenheit an: – Der Mauerpfeff er (Sedum acre), der bevorzugt die Mauerkrone besiedelt,

trotzt dem Wassermangel, indem – ähnlich wie bei Kakteen – Flüssig-keit in den dicken Blättern gespeichert wird.

– Der Milzfarn (Asplenium ceterach) besiedelt die Mauerritzen. Bei Tro-ckenheit schrumpfen die Blattzellen auf der Oberseite stärker und schnel-ler ein als die auf der Blattunterseite. Dadurch rollen sich die Blätter ein. Die dicht behaarte Blattunterseite zeigt nun nach außen und refl ektiert mit einem dichten Besatz an brauen Spreuschuppen die Sonnenstrahlen. Diese wirken aber auch wie eine Art Schwamm, der Feuchtigkeit, z. B. Tautropfen, aufnimmt. Zusätzlich wird der Verbrauch an Wasser durch eine extreme Senkung der Stoff wechselrate herabgesetzt. Der Farn kann dabei über 90 % an Flüssigkeit verlieren. Bei zunehmender Feuchtigkeit rollen sich die Blätter wieder auf und die Photosynthese setzt wieder ein. Solche Pfl anzen heißen auch „Auferstehungspfl anzen“, da sie bei Trockenheit wie abgestorben wirken und bei ausreichend Wasser wieder frisch sind (Kremer & Muhle 1991).

– Der Natternkopf (Echium vulgare), ein Besiedler des Mauerfußes, aber auch anderer sonniger und trockener Standorte, ist stark mit refl ektieren-den Haaren besetzt, wodurch die direkte Sonneneinstrahlung reduziert wird.

Anpassungen an Hitze und Trockenheit bei Pfl anzen: Milzfarn (links) und Natternkopf (rechts)

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 137Die Mauern und der Boden können in süd- oder südwestexponierten Wein-lagen durch die hohe Einstrahlung besonders bei dunklem steinigen Un-tergrund wie Vulkan- oder Schiefergestein an heißen Tagen über 50 °C betragen und sehr stark abstrahlen. Am Boden lebende Tierarten haben vielfältige Anpassungsstrategien, mit denen auch diese extremen Lebens-räume genutzt werden können: Einige Heuschrecken z. B. richten sich mit der Längsseite zur Sonne aus und reduzieren so die Sonneneinstrahlung am Körper. Zusätzlich werden die Beine in den Körperschatten gestellt und ab-wechselnd vom heißen Boden abgehoben.

Turmschnecken kriechen bei hohen Temperaturen an die Spitze von Gras-halmen, um der Hitze am Boden zu entgehen; durch die auch bei leichtem Wind erzeugten Halmschwankungen werden sie außerdem gekühlt. Wein-bergschnecken (Helix pomatia) verschließen im Sommer bei starker Hitze, aber auch im Herbst zur Überwinterung, die Öff nung des Schneckengehäu-ses mit einem Epiphragma genannten Kalkdeckel, den sie nach der Hitze bzw. im Frühjahr wieder ablösen. Diese hell-weißen Deckelchen sind dann leicht auf dem Boden zu entdecken.

Durch die Schaff ung spezieller Strukturen durch bestimmte Kulturtech-niken des Weinbaus, die selbst Anpassungen an die morphologischen und klimatischen Verhältnisse sind, werden spezielle Lebensräume für Pfl anzen- und Tierarten geschaff en und erhalten, die nur in der Weinlandschaft in dieser Ausprägung vorhanden sind.

Anpassungen an Trockenheit und Hitze bei Schnecken: links: Turm- oder Vielfraßschne-cke (Enidae), die zur Kühlung auf die Halmspitze gekrochen ist; rechts: Weinbergschnecke (Helix pomatia) mit Epiphragma neben einem bereits abgestoßenem Epiphragma einer anderen Schnecke, das als Schutzdeckel während des Winters und heißer Sommerwochen dient.

138 Ursula Nigmann, Roland AchtzigerBöschungen und SteilwändeIn Gebieten mit für den Trockenmauerbau ungeeignetem Untergrund wie zum Beispiel Lössböden, trennen Böschungen und Steilwände, die sich gut im Lössboden formen lassen, die einzelnen Terrassen ab. Die Böschungen und Steilwände sind wie die bereits vorgestellten anderen durch den Wein-bau entstandenen Strukturen ebenfalls Lebensraum von unterschiedlichen Tier- und Pfl anzenarten. Die artenreichen Böschungen weisen dabei, neben verschiedenen Pfl anzenarten, auch zahlreiche Insektenarten auf, die in viel-fältiger Weise miteinander interagieren.

Lösswände und -böschungen zwischen den Weinbergsterrassen: Kaiserstuhl (Baden, links, Mitte) oder Unstruttal (Saale-Unstrut, rechts)

In den steilen Lösswänden brüten – zum Beispiel am Kaiserstuhl oder im Saalegebiet mitten in der Weinlandschaft – die Bienenfresser (Merops apias-ter). Die Aufzucht der Brut erfolgt in den zuvor gegrabenen bis zu 1,5 m tie-fen Brutröhren. Die Hauptnahrung dieser Vögel sind, wie der Name schon verrät, Bienen, Wespen, aber auch andere größere Fluginsekten (Hölzinger & Mahler 2001).

SteinriegelIn Weinbergen, die keine Terrassen aufweisen, wurden jahrhundertelang Steine aus den Rebzeilen entfernt und in mühevoller Handarbeit am Rand der Rebfl ächen auf Steinriegeln abgelegt. Im Gegensatz zu den heißen Mit-telmeerländern werden in den deutschen Weinbauregionen keine Steine als Schutz vor Verdunstung der darunterliegenden Erdschichten benötigt (Wolf 2005). Mit der Zeit entstanden so hangwärts verlaufende Steinriegel, die auch positive Eff ekte für das Kleinklima hinsichtlich Wärmespeicherung, Temperaturausgleich und Windschutz bieten (Wolf 2005). Besonders zahl-

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 139

reich und landschaftsprägend sind diese Strukturen in der Weinlandschaft des Taubertals. Auf vielen der Steinriegel haben sich trockenheitstolerante Gebüsche wie Liguster oder Schlehen angesiedelt. Manche dieser Steinrie-gel sind aber auch heute noch ohne größeren Gehölzbewuchs.

WeinbergshäuschenDie Weinbergshäuschen oder -hütten dienten in den verschiedenen Anbau-gebieten zur Aufbewahrung der früher im Herbst entfernten Rebpfähle oder von Werkzeugen und Obst, wurden als Unterstand für den Weinbergswäch-ter („Wengertschütz“), der die Trauben vor Diebstahl und Vogelfraß be-wachte, als Unterstand bei Regen genutzt oder wurden – zusammen mit einem Wassersammelsystem am Häuschen – speziell für das Anrühren von Pfl anzenschutzmitteln errichtet, z. B. für die bekannten Kupfer-Vitriol- oder auch Bordeaux-Brühe (Höchtl et. al 2011, Epperlein & Jacobshagen 2008). Diese Häuschen werden heute oft nicht mehr oder nur noch selten benötigt und dienen nun als Neststandort für verschiedene Vogelarten, wie den Wie-dehopf (Upupa epops) oder den Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros). Oftmals werden zusätzlich auch Nisthilfen an oder in die Weinbergshäuser gehängt. Auch auf den Dächern der älteren Weinbergshäuschen hat sich Le-ben angesiedelt: Hier sind Flechtenrasen und – besonders auf der kühleren Nordseite – verschiedene Moospolster zu fi nden.

Eine bauliche Besonderheit stellen die Weinbergshäuschen im Anbaugebiet Saale-Unstrut im Bereich Mansfelder Seen dar: Sie wurden ab dem 18. Jahr-hundert teilweise in oder an den Berg gebaut; auf das Dach kam eine Iso-

Steinriegel als Ablageplatz für überzählige Steine wie hier bei Tauberzell (Franken) haben auch positive kleinklimatische Eff ekte als Windschutz und als Wärmespeicher.

140 Ursula Nigmann, Roland Achtziger

lationsschicht aus Erde aus dem Aushub (Epperlein & Jacobshagen 2008). Diese „grünen“ Dächer weisen, sofern sie nicht zu nährstoff reich sind, eine durch den besonders trockenen Untergrund bedingte arten- und blütenrei-che Pfl anzengemeinschaft auf.

Zwischen den RebzeilenZwischen den einzelnen Rebzeilen werden als Schutz vor Erosion und zur besseren Befahrbarkeit mit Maschinen oder zur Gründüngung verschiede-ne Grassaaten oder Samenmischungen eingesät. Zunehmend werden auch bunte Blumenmischungen verwendet. Unbewachsene Bodenstellen werden seltener. Solche wenig bewachsenen oder gänzlich vegetationsfreien Böden erwärmen sich stärker und auch früher im Jahr als begrünte Flächen und werden daher auch von vielen Insekten zum Sonnen und Aufwärmen ge-nutzt. Vogelarten wie die Heidelerche suchen auf solchen Flächen mit einer kurzrasigen lückigen Bodenvegetation ihre Nahrung (Meßlinger 2005).

Wechselwirkungen Weinrebe – Umwelt – Biodiversität

Die wichtigste Pfl anze in der Weinlandschaft, die Weinrebe, verfügt ebenfalls über verschiedene Anpassungsstrategien an Trockenheit und Sonneneinstrahlung: Sie bildet ein ausgedehntes Wurzelsystem aus, das

Regionaltypisches Weinbergshäuschen bei Höhnstedt (Saale-Unstrut)

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 141bis zu ca. 10 m in die Tiefe gehen kann, um an Wasser zu gelangen. Dies könnte als eine Anpassung an ihren Ursprungslebensraum, die Harthol-zaue, angesehen werden, um der Konkurrenz der mächtigen Baumwurzeln zu entgehen (Jackson 2008). Die Wurzeln der Weinrebe können nahezu ebenso lang in der Horizontale wachsen (7 m, mdl. Mitteilung M. Riedel, Weinbauinstitut Freiburg). Bei starker Sonneneinstrahlung werden in den äußeren Gewebeschichten (Epidermis) der Blätter und Beeren bestimmte Polyphenole, u.a. Flavonoide, eingelagert, die das Gewebe vor der Zerstö-rung durch das energiereiche Licht schützen (Pollastrini et al. 2011) und damit eine Art Sonnenschutz bilden.

Neben den Interaktionen mit bestimmten Umweltfaktoren steht die Wein-rebe genauso wie alle anderen Arten mit der belebten Umwelt, also der Bio-diversität, in Beziehung: Im Wurzelgefl echt leben Mykorrhiza-Pilze, die die Pfl anze mit Nährstoff en versorgen, auf dem Stamm sitzen Flechten, zwi-schen Rindenstücken überwintern kleine Insekten und Spinnen, die Blätter werden von Pilzen besiedelt und die Blüten und jungen Trauben sind Nah-rung eines Kleinschmetterlings, in manchen Regionen befressen Rehe die Blattsprossen der Reben. Als Anpassung insbesondere gegen diesen Fraß-druck weist die Weinrebe zahlreiche Schutzmechanismen gegen Pilze und Fraßfeinde auf (Boso et al. 2010): Die Wachsschicht auf den Blättern bildet so eigentlich einen recht guten Schutz vor eindringenden Pilzen. Allerdings kann durch die Schließzellen der Blätter eine Infektion durch Pilze erfol-gen. Als Abwehrreaktion werden die Zellwände rund um die Infektions-stelle durch die Einlagerung von Callose verstärkt und so das Pilzwachstum gestoppt oder zumindest verlangsamt (Gindro et. al 2003). Die Dicke der Blätter und die Behaarung der jungen Triebe schützt die Rebe außerdem vor hungrigen Insekten.

Zum Schutz der Weinrebe gegen solche Konkurrenten bzw. Schaderreger werden im Weinbau verschiedene Abwehrtechniken eingesetzt, die wie-derum Auswirkungen auf die Biodiversität haben können: Ein bekann-ter Schädling ist etwa die Reblaus (Viteus vitifolii). Diese Zwergblattlaus saugt in einem Stadium der Entwicklung an der Rebwurzel. Durch die im Speichel enthaltenen Aminosäuren wird die Bildung eines Gallgewe-bes angeregt, das später zerfällt und damit die Wurzel schädigt. Im 19. Jahrhundert trat die Reblaus durch Verschleppung aus Amerika auch in Europa auf und führte großfl ächig zum Absterben von Rebanlagen. Als Gegenmaßnahmen werden die empfi ndlichen europäischen Sorten auf die gegen die Reblaus resistenten Wurzeln von amerikanischen Rebsorten ge-pfropft (Börner et al. 2009).

142 Ursula Nigmann, Roland AchtzigerGegen Befall durch bestimmte Schadpilze wurden ebenfalls Abwehrstra-tegien entwickelt: Pilze, wie der Echte Mehltau (Uncinula necator), benö-tigen zur Keimung viel Feuchtigkeit. Bei sehr engsitzenden Beeren in der Traube sind zahlreiche feuchte Nischen vorhanden. Zudem kann die die Beere umgebende und schützende Wachsschicht durch die Nachbarbeeren beschädigt werden, wodurch ein wichtiger Schutzmechanismus ausfällt. Durch die Zucht von lockerbeerigen Klonen wurde das Befallsrisiko re-duziert. Neugezüchtete pilzwiderstandsfähige Rebsorten („Piwis“) wei-sen ebenfalls weniger Pilzerkrankungen auf. Die Bekämpfung von uner-wünschten und schädlichen Pilzen erfolgt zudem durch die Anwendung von Spritzmitteln.

An den Blüten und den reifenden Trauben fressen Raupen der Trauben-wickler (Lobesia botrana). Die Männchen dieser Schmetterlinge spüren die Weibchen anhand der von diesen abgegebenen Lockstoff en (Pheromone) auf (Arx et al. 2011). Nach der Paarung erfolgt die Eiablage an die Blüten-stände der Rebe. Um die Partnerfi ndung und die anschließende Paarung und die Eiablage zu verhindern, wird im Pfl anzenschutz der Lockstoff synthetisch hergestellt und in einer so hohen Konzentration ausgebracht,

Mit in drahtförmigen (links) oder ampullenartigen Behältnissen (rechts) ausgebrachten künstlichen Duftstoff en (Pheromonen) wird der Befall der Beeren mit Traubenwicklern deutlich verringert.

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 143dass die Traubenwickler-Männchen den Stoff überall wahrnehmen und ihnen so die Orientierung unmöglich gemacht wird („Verwirrtechnik“, Börner et al. 2009).

Für den Weinbau erfordern weitere, großräumige Faktoren auch in Zukunft permanente Anpassungsstrategien. Der prognostizierte Klimawandel, der (regional unterschiedlich) mit einer höheren Sonneneinstrahlung, höheren Temperaturen, einer Zunahme von Starkwetterereignissen, wie Hagel, ver-bunden sein kann (s. IPCC 2011), führt bereits jetzt schon dazu, dass kli-matisch anspruchsvollere Rebsorten wie Merlot oder Carbernet Sauvignon angepfl anzt werden können. In besonders gefährdeten Regionen werden die Rebzeilen mit Netzen vor Hagel geschützt.

Obwohl der Weinbau als Dauerkultur nur mittelfristig auf Änderungen von Marktinteressen reagieren kann, prägt der Kundengeschmack die Rebsor-tenauswahl und damit auch die Vielfalt an Rebsorten. Und nicht zuletzt führen auch (wirtschafts-)politische Vorgaben, wie z. B. die Festlegung von Weinbaugebieten oder die geplante Aufgabe des Pfl anzrechtesystems zu Anpassungsstrategien der Weinwirtschaft und damit auch zu Veränderun-gen in der Weinlandschaft.

Zusammenfassung

Die Weinrebe ist eine wärme- und lichtliebende Pfl anze. Um die klimati-schen Wachstumsbedingungen, v.a. die Sonneneinstrahlung, für die Wein-rebe zu verbessern, erfolgt der Anbau der Weinreben in Deutschland vor allem auf geneigten Flächen. Damit sind verschiedene Weinbau-Techniken verbunden, die zu einer Vielfalt an Landschaftselementen und -strukturen in der Weinlandschaft führen und die in vielfältigen Wechselbeziehungen zu den in dieser Weinlandschaft lebenden Organismen stehen. In diesem Beitrag werden die Aspekte der biologischen Vielfalt (Biodiversität) in Weinlandschaften vorgestellt.

Literatur – Arx, v. M.; Schmidt-Büsser, D. & Guerin, P. M. (2011): Host plant volatiles induce ori-

ented fl ight behaviour in male European grapevine moths, Lobesia botrana. – Journal of Insect Physiology 57 (2011) 1323–1331.

– Baur, B. (2010): Biodiversität. – Haupt UTB, 127 S. – BMU (= Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (2007):

Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. – 178 S. Internet-Ressource www.bmu.de (Aufruf 11.10.2011).

144 Ursula Nigmann, Roland Achtziger – BMU (= Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (2010): In-

dikatorenbericht 2010 zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. – 87 S. Internet-Ressource www.bmu.de (Aufruf 11.10.2011).

– Börner, H.; Schlüter, K. & Aumann, J. (2009): Pfl anzenkrankheiten und Pfl anzen-schutz. – Springer-Verlag, 8. Aufl age, 690 S.

– Boso, S.; Alonso-Villaverde, V.; Santiago, J. L.; Gago, P.; Dürrenberger, M.; Düggelin, M.; Kassemeyer, H. H. & Martinez, M. C. (2010): Macro- and microscopic leaf charac-teristics of six grapevine genotypes (Vitis spp.) with diff erent susceptibilities to grapevine downy mildew. – Vitis 49(1), 43–50.

– Braatz, D.; Sautter, U. & Swoboda, I. (2007): Weinatlas Deutschland. – GU Verlag, 278 S. – Bundessortenamt (2008): Beschreibende Sortenliste Reben. Internet-Ressource www.

bundessortenamt.de (Aufruf 21.09.2011). – CBD (= Convention on Biological Diversity): Internet-Ressource www.cbd.int (Aufruf

21.09.2011). – Deutsches Weininstitut (2011): Internet-Ressource www.deutscheweine.de (Aufruf

20.09.2011). – Ellenberg, H. & Leuschner, C. (2010): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökolo-

gischer Sicht. – Ulmer Verlag (15. Aufl age), 1357 Seiten. – Epperlein, K. & Jacobshagen, U. (2008): Göttersitz, Edelacker und das Paradies. – Wein

an Saale und Unstrut. – Mitteldeutscher Verlag, 160 S. – Epperlein, K. & Jacobshagen, U. (2011): Katzensprung und Goldener Wagen – Winzer

und Weine aus Sachsen. – Mitteldeutscher Verlag, 176 S. – Europäische Kommission (2011): Mitteilung der Kommission an das europäische Parla-

ment, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen (KOM(2011) 244 endgültig): Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020.

– Gindro, K.; Pezet, R. & Viret, O. (2003): Histological study of the responses of two Vitis vinifera cultivars (resistant and susceptible) to Plasmopara viticola infections. – Plant Phy-siology and Biochemistry 41: 846–853.

– Heywood, V.H. (Hrsg.) (1995): Global Biodiversity Assessment. – Cambridge University Press, 1140 S.

– Heywood, V.H. & Baste, I. (1995): Introduction. – In: Heywood, V.H. (Hrsg.) (1995): Global Biodiversity Assessment.- Cambridge University Press: 1–19.

– Höchtl, F.; Petit, C.; Konold, W.; Eidloth, V.; Schwab, S. & Bieling, C. (2011): Erhaltung historischer Terrassenweinberge – ein Leitfaden. Culterra 58: 190 S.

– Höhne, C.; Huth, M.; Knievel, M.; Lambrecht, J.; Nitschke, H. & Rühle, G. (2005): Der Sonne am nächsten. Terrassenweinbau im Elbtal. – Hofl össnitz Stiftung Weingutmuse-um, 44 S.

– Hölzinger, J. & Mahler, U. (2001): Die Vögel Baden-Württembergs, Band 2, Nicht-Sing-vögel. – Eugen Ulmer Verlag, 547 S.

– IPCC (2011): Summary for Policymakers. In: Intergovernmental Panel on Clima-te Change Special Report on Managing the Risks of Extreme Events and Disasters to Advance Climate Change Adaptation [Field, C. B., Barros, V., Stocker, T. F., Qin, D., Dokken, D., Ebi, K. L., Mastrandrea, M. D., Mach, K. J., Plattner, G.-K., Allen, S. K., Tignor, M. and P. M. Midgley (eds.)]. Cambridge University Press (Internet-Resource www.ipcc-wg2.gov/SREX (Aufruf 1.12.2011).

– Jackson, R. S. (2008): Wine Science – Principles and Applications. – Elsevier, 751 S. – Kremer, B. P. & Muhle, H. (1991): Flechten, Moose, Farne. Steinbachs Naturführer.

Mosaikverlag, 286 S.

Wein und Biologische Vielfalt: Wechselspiel zwischen Technik und Natur 145 – Leicht, H. (1985): Geschichtlicher und geographischer Überblick über den Weinbau in

Franken. – Schriftenreihe Bayerisches Landesamt für Umweltschutz 62: 7–15. – MEA (= Millenium Ecosystem Assessment report (2005): Ecosystems and Human Well-

being: General Synthesis. – Internet-Ressource: http://www.maweb.org/en/Synthesis.aspx (Aufruf 11.10.2011).

– Meßlinger, U. (2005): Heidelerche. – In: Bezzel, E.; Geiersberger, I.; Lossow, G. v. & Pfeifer, R. (2005): Brutvögel in Bayern, Ulmer Verlag: 304–305.

– Myles, S.; Boyko, A. R.; Owens, C.L.; Brown, P. J.; , Grassi, F.; Aradhya, M. K.; Prins, B.; Reynolds, A.; Chia, J.-M.; Ware, D.; Bustamante, C. D. & Buckler, E. S. (2011): Genetic structure and domestication history of the grape. – PNAS 108 (9): 3530–3535.

– Noss, R. F. (1990): Indicators of monitoring biodiversity: a hierarchical approach. – Con-servation Biology. 4: 355–364.

– Pollastrini, M.; Di Stefano, V.; Ferrettin, M.; Agati G.; Grifoni D.; Zipoli G.; Orlandini S. & Bussotti F. (2011): Infl uence of diff erent light intensity regimes on leaf features of Vitis vinifera L. in ultraviolet radiation fi ltered condition. – Environmental and Experi-mental Botany 73: 108–115.

– Sebald, O.; Seybold, S. & Philippi, G. (Hrsg.) (1992): Die Farn- und Blütenpfl anzen Ba-den-Württembergs. Band 4: 362 S., Eugen Ulmer Verlag.

– Soulé, M.E. & Wilcox, B. (1980): Conservation Biology: An Evolutionary-Ecological Perspective. – Sinauer.

– Weinzierl, W.; Nigmann, U.; Bärmann, E. & Riedel, M. (2011a): Der Bereich Breisgau im Porträt. – Der Badische Winzer 7: 26–29.

– Weinzierl, W.; Nigmann, U.; Bärmann, E. & Riedel, M. (2011b): Der Bereich Bodensee im Porträt. – Der Badische Winzer 2: 24–27.

– Wilson, E. O. & Peters, F. M. (1988): Biodiversity. – Smithsonian Institution. – 521 S. – Wolf, R. (2005): Das Taubertal zwischen Rothenburg o.d.T. und Bad Mergentheim –

Natur, Landschaftsbild und Geschichte einer einmaligen Kulturlandschaft. – Laufener Seminarbeiträge 1/04: 11–25.