von der rebellion zu daesh

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Von der Rebellion zu Daesh Mali – Libyen – Islamischer Staat. Leonhard Harding 31.3.2016 Unter der Überschrift : « Dossier Daesh : la cible africaine » berichtet das Magazin Jeune Afrique am 6.3.2016: « En proie aux bombardements de la coalition internationale dans sa matrice irako-syrienne, l'État islamique se redĂ©ploie en Libye et menace directement ses voisins maghrĂ©bins et sahĂ©liens. Objectif : rallier Ă  lui tous les groupes terroristes de la rĂ©gion. » Danach will der Islamische Staat in Libyen alle islamistischen Organisationen der Region unter seiner FĂŒhrung vereinen. 1 Ähnliche Berichte ĂŒber eine Verlagerung der AktivitĂ€ten des IS nach Libyen mehren sich in den letzten Wochen. Es könnte auch eine Verlagerung der Hauptstadt von Raqqa nach Sirte in Libyen erfolgen, wenn die militĂ€rischen EinsĂ€tze der westlichen Allianz, der Russen und der arabischen Gruppe um Saudi-Arabien das Hauptquartier des IS ernsthaft bedrohen. Libyen ist ein RĂŒckzugsgebiet islamistischer Gruppen aus Mali und gleichzeitig der Ausgangspunkt islamistischer Attacken gegen staatliche und militĂ€rische Einrichtungen sowie Zentren westlicher EinflĂŒsse (Hotels, Bars) in Mali, Niger, Burkina Faso und neuerdings auch in der ElfenbeinkĂŒste. In Libyen finden gleichzeitig erbitterte KĂ€mpfe von I.S. Einheiten mit lokalen Armeeeinheiten und internationale LufteinsĂ€tze im Kampf um die Kontrolle der Öl-Anlagen an der MittelmeerkĂŒste statt. Mali hatte im Jahre 2015 bemerkenswerte Fortschritte zur Durchsetzung eines Friedensvertrages zwischen Regierung und Rebellen aus dem Norden gemacht, an der auch der politisch-militĂ€rische Arm der Tuareg, die MNLA, beteiligt ist. Dennoch hat sich nach Angaben der UNO in den letzten sechs Monaten des Jahres 2015 die Sicherheitslage deutlich verschlechtert. 2 Der Norden Malis und zunehmend die Mitte wie auch der SĂŒden des Landes werden von islamistischen Terrorgruppen verunsichert. Damit wird deutlich, dass sich der Konflikt in Mali verlagert und qualitativ in doppelter Weise verĂ€ndert hat. Er ist zu einem Kampf um die Umgestaltung des Großraumes Westafrika in einen islamischen 1 Jeune Afrique, Paris, Ă©dition digitale, 6.3.2016. « Daesh » ist die Transkription der arabischen Bezeichnung des „Islamischen Staates im Irak und in Syrien.“ 2 United Nations: Security Council: Report of the Secretary-General on the situation in Mali, 24.12.2015, S. 20. 1

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Von der Rebellion zu DaeshMali – Libyen – Islamischer Staat. Leonhard Harding

31.3.2016

Unter der Überschrift : « Dossier Daesh : la cible africaine Â» berichtet das Magazin Jeune Afrique am 6.3.2016: « En proie aux bombardements de la coalition internationale dans sa matrice irako-syrienne, l'État islamique se redĂ©ploie en Libye et menace directement ses voisins maghrĂ©bins et sahĂ©liens. Objectif : rallier Ă  lui tous les groupes terroristes de la rĂ©gion. Â» Danach will der Islamische Staat in Libyen alle islamistischen Organisationen der Region unter seiner FĂŒhrung vereinen.1

Ähnliche Berichte ĂŒber eine Verlagerung der AktivitĂ€ten des IS nach Libyen mehren sich in den letzten Wochen. Es könnte auch eine Verlagerung der Hauptstadt von Raqqa nach Sirte in Libyen erfolgen, wenn die militĂ€rischen EinsĂ€tze der westlichen Allianz, der Russen und der arabischen Gruppe um Saudi-Arabien das Hauptquartier des IS ernsthaft bedrohen.

Libyen ist ein RĂŒckzugsgebiet islamistischer Gruppen aus Mali und gleichzeitig der Ausgangspunkt islamistischer Attacken gegen staatliche und militĂ€rische Einrichtungen sowie Zentren westlicher EinflĂŒsse (Hotels, Bars) in Mali, Niger, Burkina Faso und neuerdings auch in der ElfenbeinkĂŒste. In Libyen finden gleichzeitig erbitterte KĂ€mpfe von I.S. Einheiten mit lokalen Armeeeinheiten und internationale LufteinsĂ€tze im Kampf um die Kontrolle der Öl-Anlagen an der MittelmeerkĂŒste statt.

Mali hatte im Jahre 2015 bemerkenswerte Fortschritte zur Durchsetzung eines Friedensvertrages zwischen Regierung und Rebellen aus dem Norden gemacht, an der auch der politisch-militĂ€rische Arm der Tuareg, die MNLA, beteiligt ist. Dennoch hat sich nach Angaben der UNO in den letzten sechs Monaten des Jahres 2015 die Sicherheitslage deutlich verschlechtert.2 Der Norden Malis und zunehmend die Mitte wie auch der SĂŒden des Landes werden von islamistischen Terrorgruppen verunsichert.

Damit wird deutlich, dass sich der Konflikt in Mali verlagert und qualitativ in doppelter Weise verĂ€ndert hat. Er ist zu einem Kampf um die Umgestaltung des Großraumes Westafrika in einen islamischen

1 Jeune Afrique, Paris, Ă©dition digitale, 6.3.2016. « Daesh Â» ist die Transkription der arabischen Bezeichnung des „Islamischen Staates im Irak und in Syrien.“2 United Nations: Security Council: Report of the Secretary-General on the situation in Mali, 24.12.2015, S. 20.

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Gottesstaat geworden, auch wenn dieser nicht nĂ€her definiert wird. Das unmittelbare Ziel dieser Gruppen ist der Kampf gegen Frankreich und die Verunsicherung und Destabilisierung der Staaten Westafrikas als Voraussetzung fĂŒr eine solche Umwandlung. Die zweite qualitative VerĂ€nderung der KĂ€mpfe in West- und Nordafrika liegt in der Zielsetzung des Islamischen Staats in Libyen. Dieser will mit Waffengewalt einen Islamischen Staat als Ausweitung oder Teil des Islamischen Staates in Syrien / Irak schaffen. Weil zwischen den Terrorgruppen in Mali und den Truppen des I.S. in Libyen enge Verbindungen, hat diese Situation unmittelbare Konsequenzen fĂŒr Mali.

Die in Mali aktiven Gruppen sind sehr unterschiedlich in ihrer Zusammensetzung, ihren Zielen und Interessen.

Gruppen der Tuareg und anderer Völker des Nordens.

Die MNLA (Mouvement de libĂ©ration de l’AZAWAD), die politische Organisation von Tuaregrebellen, hat 2012 den letzten großen Aufstand begonnen und einen unabhĂ€ngigen Staat AZAWAD ausgerufen.3 In einer strategischen Allianz mit den islamistischen Gruppen Ansar Dine und MUJAO hatten sie die malische Armee aus großen Teilen des Nordens verdrĂ€ngt und diese Gebiete besetzt, wurden aber bald von den djihadistischen Gruppen aus den StĂ€dten Timbuktu und Gao vertrieben. In der strategischen Allianz waren sie die SchwĂ€cheren gewesen und hatten sich mit ihrer sĂ€kularen politischen Zielsetzung gegen die Islamisten nicht durchsetzen können. Nur das Gebiet um die Stadt Kidal konnten sie lĂ€ngere Zeit halten.

Ihre militĂ€rische StĂ€rke lag in ihrer militĂ€rischen Ausbildung und ihrer Bewaffnung: viele junge Tuareg hatten als Söldner in den Diensten des libyschen Diktators Gaddafi gestanden und dort einen großen Teil seiner Elitetruppen ausgemacht. Nach dem Sturz Gaddafis kehrten sie mit schweren Waffen nach Mali zurĂŒck und begannen, eine neue Rebellion der Tuareg zu organisieren.4

Die MNLA hat sich finanziert durch die Waffeneinfuhr von Libyen, ÜberfĂ€lle auf MilitĂ€rposten der malischen Armee, durch die Kontrolle der Handelsstraßen, d.h. durch eigenen Handel und das Eintreiben von

3 Neben der MNLA waren noch andere bewaffnete Gruppen im Norden Malis tĂ€tig: HCUA (Haut conseil pour l’unitĂ© de l’Azawad), MAA (Mouvement arabe de l’Azawad), MAA-dissident (Mouvement arabe de l’Azawad-dissident), CPA (Coordination pour le peuple de l’Azawad), CM-FPR (Coordination des Mouvements et fronts patriotiques de rĂ©sistance), Gatia (Groupe autodĂ©fense touareg Imghad et alliĂ©s). Agence France Press, 14.8.2014.4 Lemine Ould Salem. 2014. Le Ben Laden du Sahara. Paris: La MartiniĂšre, 140.

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Schutzgeldern, durch Drogen- und Waffenhandel sowie Schmuggel. Ob sie auch an EntfĂŒhrungen und der Erpressung von Lösegeldern beteiligt war, ist nicht einwandfrei nachgewiesen.5

Die MNLA setzte sich aus KĂ€mpfern verschiedener Tuareggruppen zusammen. Die Tuareg sind kein Volk, sondern Gruppen, Clans von ViehzĂŒchtern und HĂ€ndlern, die durch eine gemeinsame Sprache, den Lebensraum, die Wirtschaftsform und vielfĂ€ltige Verwandtschaftsbeziehungen verbunden sind. Auch wenn viele Tuareggruppen in den Rebellionen der vergangenen Jahrzehnte zusammen gekĂ€mpft haben, waren diese AufstĂ€nde nie von allen Tuareg mitgetragen. Auch die MNLA hat nie alle Tuareggruppen reprĂ€sentiert. Neben den Unterscheidungen nach Clan-Zugehörigkeit sind auch soziale Schichtungen bestimmend, ebenso Spannungen zwischen den traditionellen AutoritĂ€ten, den aufstrebenden JĂŒngeren und jenen, die als Gastarbeiter oder Söldner in Libyen tĂ€tig waren und nach ihrer RĂŒckkehr nach Mali die alten Machtstrukturen herausforderten. Andere GegensĂ€tze entstanden aus den VerĂ€nderungen der ökonomischen Basis. Neben der Viehzucht wurde der Handel wichtiger, vor allem der Schmuggel von Drogen, Brennstoffen, Waffen und Tabak. Diese kriminellen Verbindungen zogen auch wechselnde Allianzen und RivalitĂ€ten mit anderen arabisch-sprechenden Gruppen nach sich.

Die Interessen und Zielsetzungen der verschiedenen Gruppen unterschieden sich nach Raum und Zeit und sind nicht eindeutig zu definieren und zuzuordnen. Die MNLA hat sĂ€kulare Ziele verfolgt: die Verbesserung der Lebensbedingungen fĂŒr die Tuareg, die Anerkennung ihrer kulturellen Werte und ihrer wirtschaftlichen Organisationsform, grĂ¶ĂŸere Autonomie und schließlich die UnabhĂ€ngigkeit eines von ihnen beherrschten Staates, AZAWAD.6

In den Jahren 2013 und 2014 haben sich einige kĂ€mpferische Einheiten der Tuareg zunĂ€chst einem Friedensvertrag widersetzt und die Regierung weiterhin bekĂ€mpft. Erst im Oktober 2015 haben sie sich mit der rivalisierenden Organisation „Plateforme“ auf eine Belegung ihrer Konflikte geeinigt.

Heute tritt die MNLA weniger in Erscheinung, nachdem sie am 16.6.2013 durch ein Waffenstillstandsabkommen mit der Regierung ihre bewaffnete

5 Auch die Darstellung von Anne Frintz „Drogenschleuse Westafrika“ in: Le Monde Diplomatique, deutsche Ausgabe, Februar 2013, bringt keine belastbaren Aussagen.6 Siehe ihre Homepage www.mnlamov.net

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Rebellion gegen den Staat Mali beendet und dadurch die Abhaltung von PrĂ€sidentschafts- und Parlamentswahlen in Mali erst möglich gemacht hatte.7 Sie ist dennoch tĂ€tig geblieben und hat in bewaffneten Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Gruppen, vor allem der „Plateforme“, um die Vorherrschaft in der Stadt Kidal gekĂ€mpft. Erst am 14.5.2015 hat die MNLA zusammen mit der Plateforme den Friedensvertrag unterzeichnet.8

Die „Plateforme“ ist ein Zusammenschluss von Tuareg-KĂ€mpfern, die die bewaffnete Auseinandersetzung mit der Regierung beendet haben und fĂŒr eine Zusammenarbeit mit der Regierung zur Durchsetzung des Friedensvertrages eintreten.

Djihadistische Gruppen

Im Gegensatz zu diesen sĂ€kularen Zielen der Tuareg sind andere Gruppen entstanden, die den Vorstellungen des politischen Islam folgen. Sie wollen, so ist einzelnen ErklĂ€rungen zu entnehmen, den Staat Mali und dessen Verfassung abschaffen und daraus einen islamischen Gottesstaat gestalten. In diesem soll nicht mehr eine nach westlich-demokratischen Prinzipien formulierte Verfassung das politische SelbstverstĂ€ndnis ausdrĂŒcken und den Staat begrĂŒnden, sondern islamische Konzepte von Staat und Recht sollen die Basis des neuen Staates bilden. Die Scharia soll die Rechtsnormen der Republik Mali ablösen. Diese Zielsetzung erstreckt sich nicht nur auf Mali, der ganze Großraum Westafrika ist im Visier. Diese nicht nĂ€her ausformulierten Vorstellungen sind im Gegensatz zu der globalen Vision des Islamischen Staates stĂ€rker an regionale Interessen gebunden.

Zu diesen Gruppen gehörten ursprĂŒnglich Ansar Dine, „UnterstĂŒtzer des Glaubens“, AQIM (Al Qaida im islamischen Maghreb), und MUJAO („Mouvement pour l'unicitĂ© et le jihad en Afrique de l'Ouest“ - Bewegung fĂŒr Einheit und Dschihad in Westafrika). Aus Splittergruppen von AQIM und MUJAO hat sich inzwischen die Gruppe Al-Mourabitoune („die WĂ€chter“) gebildet. Hinzu kommt seit wenigen Monaten, im Zentrum des Landes, der FLM („Front de libĂ©ration du Macina“). Auch andere Gruppen sind in Mali aktiv.

7 Mali: Abkommen zwischen Regierung und Tuareg. In: FAZ 19.6.2013.8 France 24, 14.5.2015. Die CMA (Coalition des mouvements AZAWAD) hat inzwischen auch mit den rivalisierenden Gruppen CPA (Coalition du peuple pour l’AZAWAD) und CMFRRII ein Kooperationsabkommen geschlossen und die gemeinsame Zusammenarbeit mit der Regierung zur Umsetzung des Friedensvertrages begonnen. Maliactu.net 29.1.2016.

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Nach Presseberichten von Aljazeera, Alakhbar und AFP (Agence France Presse) wollten Ansar Dine und MUJAO nach der Besetzung der StĂ€dte Gao und Timbuktu Anfang 2012 ein “islamisches Emirat“ errichten und die Scharia im ganzen Territorium des Staates Mali einfĂŒhren.9 Der gesamte Großraum Westafrika sollte „re-islamisiert“ werden.10 Dokumente, die nach der RĂŒckeroberung der Stadt Timbuktu gefunden wurden, nannten als Ziel die Errichtung einer „islamic theocracy“ .11

Der entscheidende Faktor in der TĂ€tigkeit dieser Bewegungen war und ist der Kampf gegen Frankreich und gegen korrupte Regime sowie de Destabilisierung der Staaten dieses Raumes als Vorbedingung zur Schaffung eines nur von ihnen beherrschten Großraumes: „Diese Terroristen wollen aus der Zone Sahel-Sahara und darĂŒber hinaus aus ganz Westafrika eine Hochburg schaffen, von der aus sie spektakulĂ€re und blutige Operationen in der ganzen Welt starten könnten“.12 Ob diese Zielsetzung heute weiterhin besteht, ist ungewiss.

Die Gruppe AQIM ist aus der radikalen algerischen GSCP (Groupe Salafiste pour le Combat et la PrĂ©dication) hervorgegangen,13 hatte seit 2007 Basen im Norden Malis und verfolgte nach westlichen EinschĂ€tzungen das Ziel: "ridding North Africa of western influence, overthrowing apostate "unbeliever" governments (including Algeria, Libya, Mali, Mauritania, Morocco, and Tunisia), and installing fundamentalist regimes based on Islamic law or Sharia.“14 Nach der Eroberung der Stadt Timbuktu im 2013 hatten ihre Vertreter dort die Scharia eingefĂŒhrt. Heute tritt die AQIM kaum noch als eigenstĂ€ndige Bewegung in Erscheinung, sie wurde durch die militĂ€rischen Interventionen der Franzosen und der MINUSMA sowie durch zahlreiche Abspaltungen geschwĂ€cht, ihr Einfluss auf die anderen islamistischen

9 Yassid Temlali: Algeria: The Dilemma of Timbuktu’s Salafi ‘Emirate. In: Alakbhar English, 21.7.2012.: „Its objective is 
 an Islamic emirate that acts as a base for Salafi expansion on the desert coast and the rest of West Africa.”- Siehe auch: AFP, 13.3.2012: Islamist fighters call for Sharia law in Mali. 10 MUJAO fĂŒgte hinzu, der Plan sei „to re-islamize this entire part of the continent by fighting the US-European presence there.” Temlali 2012 11 Doornbos, Harald / Moussa, Jenan. 2013. Inside the Islamic Emirate of Timbuktu. In: Foreign Policy, 14.02.2013, S. 1.12 Serge Daniel : 2013. AQMI. Al-Qaida au Maghreb Islamique. L’Industrie de l’enlĂšvement. Paris, S. 11.13 Eine ausfĂŒhrliche Darstellung in: Counter Extremism Project. Weekly Roundup: Al-Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM), 1.2.2016.14 Council of Foreign Relations. Al Qaeda in the Islamic Maghreb. 24.1.2013

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Bewegungen ist aber weiterhin groß 15, AnschlĂ€ge erfolgten immer noch, wie der auf das Hotel La Palmeraie in Timbuktu am 5.2.2016.16

Ihre Finanzierung fand AQIM wie die anderen Djihadistengruppen durch ÜberfĂ€lle, Erpressung von Lösegeldern nach EntfĂŒhrungen, Kontrolle des Handels, Schmuggel mit Drogen17 und Tabak, Brennstoffen, Waffen und anderen Objekten. FĂŒr viele Beobachter erscheinen Ansar Dine und die anderen djihadistischen Bewegungen als „Terroristen“,18 als „Banditen“,19 als „acteurs directs du trafic de drogues et d’autres formes de contrebande“20 oder als „Gangster-Dschihads“21 Wiedemann nennt AQMI einen „Gemischtwarenladen fĂŒr Terrorismus, Geiselnahmen, Drogenhandel“22. Ihre Rolle im DrogengeschĂ€ft wird von manchen Beobachtern aber differenzierter gesehen; sie seien nicht direkte Organisatoren dieses GeschĂ€fts, sondern „Begleiter“23.

Die im Dezember 2011 durch eine Abspaltung von AQMI gegrĂŒndete Bewegung MUJAO wurde ursprĂŒnglich als die radikalste Gruppe der islamistischen Krieger angesehen. Durch ihren GrĂŒnder Hamada Ould Mohamed Kheirou hatte sie enge Beziehungen zu Mauretanien. Ihr Ziel war die Umgestaltung ganz Westafrikas in einen islamischen Großstaat. MUJAO hat im Juni 2012 die MNLA aus Gao vertrieben und sich die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft in der Stadt erkĂ€mpft.24 Im

15 Im Dezember 2015 haben AQIM und Al-Mourabitoune ihre Vereinigung bekanntgegeben. Die konkrete Bedeutung ist unbekannt. The New York Times: Mali: Group Merges with Al Qaeda. 5.12.2015.16 Aliou Hasseye: Mali: Les terroristes et leur tradition macabre du vendredi. In : maliactu.net, 12.2.2016.17 Anne Frintz: 2013. 'Drogenschleuse Westafrika'. In: Le Monde Diplomatique, deutsche Ausgabe, 08.02.2013. 18 So der Staatschef von Mauretanien, nach: Serge Daniel 2013, S. 25919 Bouquet spricht von : „un banditisme de droit commun derriĂšre des comportements marquĂ©s au sceau d’idĂ©ologies nationaliste ou religieuse". Peut-on parler de ‘seigneurs de guerre’ dans la zone sahĂ©lo-saharienne ? Entre vernis idĂ©ologique et crime organisĂ©. In : Afrique Contemporaine, 2013, 1, 245, S. 9420 Serge Daniel. 2013, S. 279.21 Marc Engelhardt. 2012: Mali nach dem Putsch. Unter Gangstern und Dschihadis. In: Cicero Online, 18.2.2013, S. 4.22 Charlotte Wiedemann. 2014: 'Mali oder das Ringen um WĂŒrde: Meine Reisen in einem verwundeten Land'. MĂŒnchen: Pantheon, S. 280.23 Sarah Diffalah. 2013: Les djihadistes et la ‚cocaine connection‘. In : Le Nouvel Observateur, 1.3.2013.24 „At first, the group represented a hard core of jihadist and criminal elements, but it quickly became a front for drug smugglers from Gao.” Lacher, Wolfram. 2012: Organized Crime and Conflict in the Sahel-Sahara Region. In: The Carnegie Papers. Washington, S. 15

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August 2013 sind die Gruppen MUJAO und AQMI eine Fusion eingegangen 25, MUJAO erscheint nicht mehr in der Öffentlichkeit.

Im Gegensatz dazu ist die Gruppe Ansar Dine, auch Ansar Eddine genannt, weiterhin in Angriffen auf staatliche und militĂ€rische Einrichtungen in Mali aktiv. Sie wurde als Abspaltung von MNLA durch Iyad Ag Ghaly gegrĂŒndet, einem Tuareg, der im Tuaregaufstand der 1990ger Jahre eine wichtige Rolle gespielt und spĂ€ter durch eine diplomatische TĂ€tigkeit im Dienste seines Landes in Saudi-Arabien internationale Kontakte geknĂŒpft hatte. Sie versteht sich als Verteidiger des Islam, will die territoriale IntegritĂ€t Malis erhalten und das Land in eine Theokratie mit der Scharia als Grundgesetz umwandeln. In den öffentlichen ErklĂ€rungen erscheinen die Zielsetzungen als stĂ€rker religiös motiviert, auf die StĂ€rkung des Islam und die Errichtung eines islamischen Staates und die SĂ€uberung Westafrikas von westlichen EinflĂŒssen ausgerichtet, auch wenn keine ausformulierte politische Programmatik bekannt ist. Ob dem GrĂŒnder Iyad Ag Ghaly an der Durchsetzung der alten Tuaregforderungen nach UnabhĂ€ngigkeit nicht mehr gelegen ist, wie ein Journalist aus Mali schreibt, ist ungewiss.26

Die unmittelbaren Ziele hat Ansar Dine nach der Besetzung der Stadt Timbuktu und der Entmachtung der MNLA im Jahre 2012 auch durchgesetzt,27 was durch die französische MilitĂ€rintervention und die Vertreibung aus Timbuktu Anfang 2013 allerdings beendet wurde. SpĂ€ter hatte Ansar Dine lange Zeit ihre Hochburg in Kidal, von wo sie die MNLA ebenfalls vertreiben konnte. Die Rolle von Iyad Ag Ghali erscheint ambivalent: in der Krise von 2012/13 wurde er zum „Kettenglied zwischen ideologisch völlig disparaten KrĂ€ften“, eingestuft als „gefĂ€hrlicher Terrorist“ und dann als „gefragter UnterhĂ€ndler“28. Heute werfen ihm Journalisten aus Mali vor, konkurrierende MitkĂ€mpfer zu eliminieren und eine Kooperation mit dem Front national de libĂ©ration du Macina zu betreiben.29

25 Le Monde 24.8.2013.26 Ibrahim Keita: Mali: Iyad Ag Ghaly Le terroriste double-face fait assassiner ses combattants. In : MaliActu.net, 9.11.2015.27 Eine erschĂŒtternde Darstellung dieser Terrorherrschaft wird in dem Film Timbuktu prĂ€sentiert.28 Charlotte Wiedemann: Eine Topographie von Schuld und Zorn. Beobachtungen in Nord-Mali, ein Jahr nach der französischen Intervention. In: Le Monde Diplomatique, 1/2014.- Charlotte Wiedemann: 'Mali oder das Ringen um WĂŒrde: Meine Reisen in einem verwundeten Land'. MĂŒnchen: Pantheon, S. 280-281.29 Ibrahim Keita: Mali: Iyad Ag Ghaly Le terroriste double-face fait assassiner ses combattants. In : MaliActu.net, 9.11.2015.

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In den letzten Monaten ist er dadurch aufgefallen, dass er den Friedensvertrag von Algier entschieden ablehnt, zum weiteren Kampf gegen Frankreich und deren Alliierten aufruft 30 und auf einsatzbereite Zellen in den Regionen um Kidal, Mopti, Sikasso und Timbuktu hinweist.31 In diesem Sinne hat er den Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo begrĂŒĂŸt, weil es den Propheten in Karikaturen dargestellt habe; dafĂŒr habe es erhalten, was es verdiente.32 Er droht auch den Gruppierungen, die den Friedensvertrag in Bamako unterzeichnet haben, und nennt sie „des ‚mouvements laĂŻcs‘ qui ouvrent les terres du Nord Mali Ă  un ‚État apostat‘ en Ă©change de petits avantages“.33 Ansar Dine ist verantwortlich fĂŒr den Raketenangriff auf ein Lager der CMA (Coalition des mouvements de l’AZAWAD) vom 28.11.2015 34 und auf ein Lager der MINUSMA in Kidal vom selben Tag, mit drei Toten, ein Angriff, den Ansar Dine als Vergeltung fĂŒr „die Vergewaltigung unseres Landes durch die Feinde des Islam“ darstellt.35 Dasselbe Lager der MINUSMA wurde am 12.2.2016 erneut Ziel eines Angriffs, bei dem sechs Blauhelmsoldaten getötet und 30 weitere verletzt wurden.36 Im Januar 2016 soll eine KriegserklĂ€rung zwischen Ansar Dine und der MNLA um die Vorherrschaft in der Region Kidal erfolgt sein. Ansar Dine kĂ€mpft um die Vormachtstellung in dieser Region gegen eine MNLA, die sich zur Zusammenarbeit mit der Regierung zur Durchsetzung des Friedensvertrages entschlossen hat und Jagd auf die Terroristen macht.37 Möglicherweise hat Ansar Dine dem FLM beim Anschlag auf das Hotel Splendid in Ouagadougou im Januar 2016 Hilfestellung geleistet.38

Die Finanzierung der Bewegung erfolgt wie bei der Mehrzahl der Bewegungen durch ÜberfĂ€lle, Schmuggel und Ă€hnliche AktivitĂ€ten.

30 AFP/Jeune Afrique : Mali : trois morts dans une attaque contre un camp de l’ONU revendiquĂ©e par Ansar Eddine.in: Jeune Afrique, 28.11.2015. – Thomas Scheen : Brutale Rache. In: FAZ 18.1.2016. 31 United Nations: Security Council: Report of the Secretary-General on the situation in Mali, 24.12.2015, S. 20.32 Mathieu Olivier: Mali: une menace terroriste omniprĂ©sente, du Nord au Sud. In : Jeune Afrique, Ă©dition digitale, 20.11.2015.33 International Crisis Group (ICG) Briefing Afrique N° 115, 14.12.2015, S.13.34 Ebenda.35 AFP/Jeune Afrique : Mali : trois morts dans une attaque contre uncampf de l’ONU revendiquĂ©e par Ansar Eddine.in: Jeune Afrique, 28.11.2015. 36 Aliou Hasseye: Mali: Les terroristes et leur tradition macabre du vendredi. In: Maliactu.net 12.2.2016. – In einer Internetbotschaft von Ansar Dine war dieser Anschlag eine Antwort auf den Besuch von BundesprĂ€sident Gauck in Mali, „eine Botschaft an die "Eroberer der Kreuzfahrer" und die, die sie unterstĂŒtzten, so wie es der "deutsche PrĂ€sident" mit seinem Besuch in Mali getan habe“. Terrorgruppe: Anschlag in Mali Reaktion auf Gauck-Besuch. In: Deutsche Welle, 13. Februar 2016.37 Baba Ahmed: Nord du Mali : la guerre est dĂ©clarĂ©e entre le MNLA et Iyad Ag Ghali. In : Jeune Afrique, Ă©dition digitale, 22.1.2016.38 Thomas Scheen: Brutale Rache. In: FAZ 18.1.2016.

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Aus der Liste dieser Attacken und ErklĂ€rungen geht hervor, dass die djihadistische Gruppe zwar durch die militĂ€rische Intervention von MINUSMA, der malischen Armee und der französischen EinsĂ€tze Barkhane geschwĂ€cht ist und in der kriegsmĂŒden Bevölkerung sowie der großen Tuaregorganisation MNLA nicht mehr den frĂŒheren RĂŒckhalt findet. Aber Ansar Dine ist weiterhin aktiv und hat durch die Kooperation mit dem FLM eine gefĂ€hrliche Ausweitung der terroristischen AktivitĂ€ten eingeleitet.

Al-Mourabitoune (arabische Bezeichnung: „Die Almoraviden“, englischer und deutscher Name „The Sentinels“, „Die WĂ€chter“).

Ist eine gewalttĂ€tige djihadistische salafistische Terroristengruppe, gegrĂŒndet von Mokthar Belmokthar, von manchen Beobachtern als die heute gefĂ€hrlichste Gruppe eingeschĂ€tzt. Trotz jĂŒngster AnschlĂ€ge gilt die Gruppe wegen der Angriffe der UN-gefĂŒhrten MINUSMA und der französischen Intervention „OpĂ©ration Berkhane“ als geschwĂ€cht. Ein interner Richtungsstreit oder Machtkampf hat am 13.5.2015 zu einer Aufsplitterung gefĂŒhrt. Eine Gruppe von etwa 100 KĂ€mpfern in Mali, unter Abou Walid Al-Sahraoui, ursprĂŒnglich als MUJAO organisiert, hat sich dem Islamischen Staat angeschlossen. Manche Beobachter sprechen von massenhaften Desertionen. Die andere, etwa 200 KĂ€mpfer, in Libyen, folgt weiterhin Mokthar Belmokthar, der sich gegen den Islamischen Staat stellt und die FĂŒhrungsrolle von AQMI anerkennt.39 In seiner TreueerklĂ€rung bezeichnet er seine Bewegung als „Al-Qaida en Afrique de l’Ouest“.40 Offenbar hat er in Libyen Zuflucht gefunden und operiert von da aus. Wenn diese TĂ€tigkeit zutrifft und Teile seiner Bewegung sich zum Islamischen Staat bekennen, könnten diese Verbindungslinien die geostrategische Lage im Großraum Westafrika ernsthaft verĂ€ndern, vor allem wenn der IS seinen Vormarsch in Libyen fortsetzt und das Nachbarland verstĂ€rkt als RĂŒckzugsgebiet djihadistischer Gruppierungen aus Mali fungiert.

Sie wurde im August 2013 von Mokthar Belmokthar gegrĂŒndet, aus zwei Splittergruppen von AQIM: AMB (Al-Mulathamun Battalion, „Die

39 Wikipedia, Adnane Abou Walid Al-Sahraoui, bezieht sich auf mehrere ErklĂ€rungen und Interviews in Nachrichtenagenturen. (26.1.2016). – Ähnlich Thomas Scheen: Wechsel des Schlachtfeldes. In: FAZ 13.1.2016. – Die massenhaften Desertionen werden genannt von Mali.actu 30.9.2015. – Jeune Afrique beziffert die KĂ€mpfer in Libyen auf etwa 200. Jeune Afrique 18.12.2015. – The New YorkTimes beruft sich auf eine im Internet veröffentlichte Audiobotschaft: „Al-Mourabitoun, the Mali-based group is joining the Qaeda branch“. The New York Times: Mali: Group Merges With Al Qaeda, 5.12.2015.t“ 40 Le Monde 16.1.2016. – So auch Isabel Pfaff: Burkina Faso – Ende der Ruhe. In: SZ 17.1.2016.

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Maskierten“), auch „al-Muaqioon Biddam“, („Those who sign in blood“) genannt und MUJAO (Mouvement pour l’unicitĂ© et le jihad en Afrique de l’ouest). Mokthar Belmokthar,41 ein ehemaliger Kommandeur von AQIM aus Algerien, war in seinem Heimatland wegen terroristischer TĂ€tigkeiten zum Tode verurteilt worden. Er hatte sich 1992 nach einem Kampfeinsatz in Afghanistan42 zunĂ€chst dem algerischen GIA („Groupe Islamique ArmĂ©â€œ) angeschlossen und dann eine eigene Gruppe GSPC („Groupe salafiste pour la prĂ©dication et le combat“) gegrĂŒndet. Im Jahre 2007 gliederte er den GSPC in die von ihm mitbegrĂŒndete AQIM ein, und im Jahre 2012 verließ er die AQIM und grĂŒndete erneut eine eigene Bewegung, „Al-Mourabitoune“.43

Die genauere, lĂ€ngerfristig angelegte politische Programmatik von Al-Mourabitoune ist nicht bekannt. Man kennt nur Ziele, die bei Verlautbarungen an die Öffentlichkeit gerichtet werden. Diese kreisen um drei Themen: Der Kampf gegen Frankreich und den Westen sowie die Rache fĂŒr die UnterdrĂŒckung der Moslems; der Kampf gegen die UnglĂ€ubigen, gegen sĂ€kulare und nicht-islamische EinflĂŒsse, d.h. gegen die westlichen Staaten und ihre VerbĂŒndeten in Afrika; und schließlich die Errichtung eines islamischen Staates und die EinfĂŒhrung der Scharia als Grundgesetz eines solchen Staates, in Mali und im Großraum Westafrika, der alle Moslems von der Unterwerfung unter die Herrschaft der UnglĂ€ubigen befreien soll. Das kommt in Verlautbarungen wie folgt zum Ausdruck: „die Vereinigung aller Muslime und islamischen Bewegungen Afrikas gegen sĂ€kulare und nicht-islamische EinflĂŒsse“44, „Die UnglĂ€ubigen aus der Sahara vertreiben und die Scharia einfĂŒhren“45, „to punish the cross-worshippers for their crimes against our people in Central Africa, Mali, and other lands of the Muslims“46, „Kampf gegen Frankreich“ und „Rache fĂŒr die Beleidigung des Propheten“47. Das Motiv der Rache gegen Frankreich wird hĂ€ufig genannt, auch das der Bestrafung afrikanischer Regierungen, die wie Algerien, Niger oder

41 Zu seinem Werdegang siehe Le Nouvel Observateur 19.1.2016 und Le Monde 19.6.2015. – Die ausfĂŒhrlichste Darstellung ist: Lemine Ould Salem: Le Ben Laden du Sahara. Paris: La MartiniĂšre 2014.42 Dort verlor er ein Auge und wird seitdem auch als „der EinĂ€ugige“ bezeichnet.43 CEP (Counter Extremism Project) 18.1.2016. - http://www.counterextremism.com/about http://www.counterextremism.com/sites/default/files/threat_pdf/Al-Mourabitoun-10212015.pdf. - Siehe auch Sarah Diffala : Burkina Faso : Mokhtar Belmokhtar, l’insaisissable djihadiste du dĂ©sert. In:Le Nouvel Observateur 19.1.2016.44 Counter Extremism Project. 45 RĂ©my Carayol : Terrorisme : Mokhtar Belmokhtar, mĂȘme pas mort. In : Jeune Afrique, 6.1.201646 CEP 18.1.201647 Madjid Zerrouky : Attentas Ă  Ouagadougou : AQMI adopte les codes de l’Etat islamique. In : Le Monde 18.1.2016

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Mauretanien mit den „UnglĂ€ubigen“ kooperieren.48 Nach dem Anschlag auf das Hotel „Splendid“ in Ouagadougou verkĂŒndete er, die Attacke sei Rache fĂŒr die französische PrĂ€senz und die Komplizenschaft Burkina Fasos.49

Al-Mourabitoune strebt also die EinfĂŒhrung der Scharia in Westafrika an, als Basis fĂŒr die Errichtung eines islamischen Staates.50

Dieses Ziel deckt sich in zentralen Bereichen mit den Absichten des Islamischen Staates in Syrien und im Irak. Allerdings hat sich diese Bewegung noch nie zu dem globalen Ziel des Islamischen Staates, der Weltherrschaft in der Form eines wiedererrichteten Kalifates, bekannt. Mokthar Belmokthar hat bisher eine TreueerklĂ€rung gegenĂŒber dem Kalifen in Raqqa abgelehnt und seine Kooperation mit AQIM verstĂ€rkt. Ob er oder seine Bewegung mit den Vertretern des Islamischen Staates in Libyen in Verbindung steht, ist nicht bekannt. Auch von direkten Kontakten zu den IS-KĂ€mpfern im Norden des WĂŒstenstaates ist nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, trotz der Rolle Libyens als RĂŒckzugsgebiet. Allerdings lĂ€sst sich nach dem Bekenntnis einer Gruppe von KĂ€mpfern von Al-Mourabitoune zum IS in Nordlibyen und nach dem RĂŒckzug von Mokthar Belmokthar nach Libyen auf engere Kontakte schließen.

Auf das Konto von Mokthar Belmokthar bzw. von Al-Mourabitoune geht eine lange Reihe von AnschlĂ€gen: EntfĂŒhrungen, Selbstmordattentate, Attacken auf ArmeestĂŒtzpunkte, auf die von den Franzosen ausgebeutete Uran-Mine in Niger, ein Angriff auf eine Gasförderanlage bei In Amenas im SĂŒden Algeriens (Januar 2013), Raketenbeschuss des Flughafens von Bamako, Angriffe auf das Lager der MINUSMA und auf ein MilitĂ€rlager der Franzosen, und zuletzt ein Anschlag auf die Bar „La Terrasse“ in Bamako (MĂ€rz 2015), ein Anschlag auf das Restaurant „Biblos“ in der Stadt SĂ©varĂ© (August 2015) und ein Anschlag auf das Hotel Radisson Blu in Bamako (20.11.2015) sowie zuletzt auf das Hotel „Splendide“ sowie das gegenĂŒber liegende Restaurant „Cappuccino“ in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso (15.1.2016).51 Der Anschlag in Ouagadougou erfolgte möglicherweise als Versuch von Mokthar Belmokthar, seine AutoritĂ€t ĂŒber Al-Mourabitoune und seine 48 Lemine Ould Salem. 2014. Le Ben Laden du Sahara. S.75, 156, 170.49 Thomas Scheen : Brutale Rache. In : FAZ 18.1.201650 So ausdrĂŒcklich ein Sprecher von Mokthar Belmokthar „On veut un État islamique sur le modĂšle des talibans en Afghanistan et on ne le veut pas pour les seules populations du Nord. On le veut pour tout le Mali et pourquoi pas l’ensemble de l’Afrique de l’Ouest Â», zitiert von Lemine Ould M. Salem : Le Ben Laden du Sahara, S. 144.51 Eine Zusammenstellung in: CEP 17.12.2015

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Schlagkraft zu bezeugen.52 Auch der jĂŒngste Anschlag, am 13.3.2016, auf drei beliebte Strandanalgen in Grand-Bassam, der alten Kolonialmetropole, nahe Abidjan in der ElfenbeinkĂŒste, mit 22 Toten, geht auf Al-Mourabitoune zurĂŒck.53

Al-Mourabitoune finanziert sich durch RaubĂŒberfĂ€lle, EntfĂŒhrungen und Erpressung von Lösegeld, Schutzgeldzahlungen, durch Schmuggel von Nahrungsmitteln, Brennstoffen, Textilien und Ersatzteilen, die in Algerien preiswerter sind.54 Drogen- und Zigarettenschmuggel lehnt Mokthar Belmokthar ab, weil der Islam diesen Genuss verbietet. Das unterstreicht, dass er „un islamiste pur et dur“ ist, „un fanatique“, wie der mauretanische Journalist Salem formuliert.55 Waffenschmuggel spielt auch keine Rolle; Waffen werden vielmehr bei ÜberfĂ€llen auf MilitĂ€rlager des Feindes erbeutet, wie bei dem Angriff auf eine Kaserne der mauretanischen Armee am 4.6.2005 in Lemgheity, bei dem 17 Soldaten getötet und 35 gefangengenommen wurden; die Kriegsbeute bestand aus Geld, Fahrzeugen, Benzin, Nahrungsmitteln, Waffen und Munition, die nach dem RĂŒckzug an sorgfĂ€ltig ausgewĂ€hlten Orten versteckt wurden.56

Der FLM

Eine neue Dimension der islamistischen TÀtigkeit und der Bedrohung des Staates Mali hat sich seit Januar 2015 aufgetan, mit dem FLM (Front de libération du Macina). Sie stammt nicht aus dem Norden und bringt den Terror in die Mitte des Landes. Macina ist eine Region, die sich in der Mitte des Landes von der Grenze zu Mauretanien bis zu der zu Burkina Faso erstreckt, mit dem Zentrum um die Stadt Mopti. An der Spitze steht ein salafistischer Prediger, Amadou Kouffa. Die Gruppe arbeitet mit Ansar Dine zusammen, verfolgt als besonderes Ziel aber, wie in ihrem Namen angedeutet, die Befreiung der Region Macina, die in vorkolonialer Zeit, im 19. Jahrhundert, von Sékou Amadou zu einem theokratischen islamischen Reich ausgebaut worden war.57 Im Gegensatz zu Interpretationen mehrerer Beobachter 58 geht es dem FLM

52 RT France 17.1.2016.53 Sia Kambou / AFP : CĂŽte d’Ivoire. 16 morts Ă  Grand-Bassam : le djihadisme frappe de nouveau l’hĂŽtellerie africaine. In : Nouvel Observateur, 14.3.2016. – Thomas Scheen : Terror in der ElfenbeinkĂŒste : Deutsche unter den Opfern. In: FAZ Net, 14.3.2016.54 Cyril Bensimon / Nathalie Guibert: Le barbare du dĂ©sert. In : Le Monde 19.6.2015. Drogenhandel lehnt er nach Zeitungsberichten aus ideologisch-religiösen GrĂŒnden ab. 55 Lemine Ould M. Salem : Le Ben Laden du Sahara, S.43.56 Einzelheiten ebenda, S. 67-70.57 A.H.Ba / J. Daget. 1962. L’Empire peul du Macina. Paris : Mouton.58 Z.B. SĂ©kou Tamboura. 2015. Aqmi-Al Mourabitoun-Mujao-Ansardine-Mnla-Flm : Ils ont dĂ©clarĂ© la guerre au Mali. In : L’Aube – Maliweb.net 30.11.2015.

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nach Ansicht des ehemaligen Außenministers von Mali, TiĂ©bilĂ© DramĂ©, jedoch nicht um die Wiederherstellung dieses Reiches.59

Die Mitglieder sind frĂŒhere KĂ€mpfer des MUJAO, mehrheitlich dem Volk der Peul zugehörig. Ihr Siedlungsraum ist der Westen des Landes, um die Stadt Mopti. Die Zahl der KĂ€mpfer wird auf etwa 150 Mann geschĂ€tzt.60

Die politische Zielsetzung ist unklar; offizielle ErklĂ€rungen aus den FĂŒhrungskreisen gibt es nicht. Die durchgefĂŒhrten Attacken und die radikal salafistischen Predigten ihres FĂŒhrers lassen darauf schließen, dass die Errichtung eines islamischen Staates angestrebt wird, in der Region Macina und in ganz Mali, Ă€hnlich wie dies von Ansar Dine intendiert ist. Ob damit die Errichtung eines Kalifats auf den Ruinen des alten Reiches der Peul mit der Hauptstadt Mopti gemeint ist, wie manche Journalisten mutmaßen,61 ist nicht klar.

Die Attacken des FLM haben die Mitte Malis zu „einem der wichtigsten SchauplĂ€tze der Gewalt in Mali gemacht“, und die Bevölkerungsmehrheit der Peul stehe jetzt im Zentrum der politischen Sorgen der Regierung.62 Damit sei ein „Wechsel des Schlachtfeldes“ erfolgt, ein „Machtwechsel im GefĂŒge der Terrorgruppen“, weshalb die von Algeriern dominierte Gruppe AQMI nur noch eine Nebenrolle spiele.63

Die bekanntesten Aktionen sind ÜberfĂ€lle auf MilitĂ€rposten und Dörfer, unter ihnen Nampala und TĂ©nenkou (Januar 2015) sowie Boulkessi. Am 7. August 2015 wurde das Hotel Byblos in der militĂ€rstrategisch wichtigen Stadt SĂ©varĂ© angegriffen. Außerdem sind Einzelpersonen umgebracht worden, die sich Amadou Kouffa entgegengestellt hatten.64 Auch zu dem Überfall auf das Hotel Raddison Blu in Bamako am 20.11.2015 hat sich der FLM bekannt; er habe zusammen mit Ansar Dine gehandelt, « en rĂ©action contre les forces Barkhane Â» qui mĂšnent

59 TiĂ©bilĂ© DramĂ©. 2015. Terrorisme: La nĂ©buleuse jihadiste au Mali. In : Jeune Afrique 2.12.2015. DramĂ© begrĂŒndet diese EinschĂ€tzung damit, dass der FLM das Mausoleum des damaligen ReichsgrĂŒnders SĂ©kou Amadou zerstört hat.60 Nathalie Guibert / Madjid Zerrouky. 2016. Les nouvelles menaces contre la France de l’émir d’Al-Qaida au Sahel. In : Le Monde 16.1.2016.61 Matthieu Olivier. 2015. Mali: une menace terroriste omniprĂ©sente, du Nord au Sud. In : Jeune Afrique, 20.11.2015.- Ähnlich RĂ©mi Carayol. 2015. Mali : le Front de libĂ©ration du Macina, un nouveau Boko Haram ? in : Jeune Afrique, 31.8.2015. Im August 2015 war der FLM fĂŒr Carayol noch eine weitgehend unbekannte Organisation, von der man nichts Genaues wisse.62 RĂ©mi Carayol. 2015. Mali: le Front de libĂ©ration du Macina, un nouveau Boko Haram ? in : Jeune Afrique 31.8.2015.63 Thomas Scheen. 2016. Wechsel des Schlachtfeldes. In: FAZ 13.1.2016.64 Eine Zusammenstellung bei Matthieu Olivier. 2015. Mali: une menace terroriste omniprĂ©sente, du Nord au Sud. In : Jeune Afrique, 20.11.2015 und bei Wikipedia: FLM.

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des opĂ©rations « contre le Front de libĂ©ration du Macina et le groupe Ansar Dine avec l’aide de l’armĂ©e malienne Â».65

Dies macht deutlich, dass der FLM offenbar in enger Verbindung mit der djihadistischen Gruppe Ansar Dine um Iyad Ag Ghaly agiert. Diese Kooperation eröffnet eine breite Front, die vom Norden bis in den SĂŒden des Landes reicht.

Die Sicherheitslage am Ende des Jahres 2015

Nach ĂŒbereinstimmenden EinschĂ€tzungen zahlreicher Beobachter, der UNO (24.12.2015) und der Autoren der International Crisis Group (22.5.2015 und 14.12.2015) hat sich die Sicherheitslage in Mali in den letzten Monaten deutlich verschlechtert. Der letzte Bericht der MINUSMA spricht sogar von „an increase in the number and geographical spread of activities by extremist and terrorist groups and organized crime networks, notably in Mopti, SĂ©gou and Timbuktu regions, as well as in Bamako“.66

Die Brisanz dieser Entwicklung

Die Brisanz und tiefere Dimension dieser Attacken und dieser Ausweitung der Front liegen darin, dass sie vor dem Hintergrund des Vordringens des Islamischen Staates in Libyen erfolgen. Sie können auch als Zeichen dafĂŒr gedeutet werden, dass grĂ¶ĂŸere Teile der Bevölkerung Malis in einer von wachsender Unsicherheit geprĂ€gten Welt leben und sich von ihrem Staat verlassen fĂŒhlen.

Libyen ist ĂŒber Jahrzehnte der mĂ€chtige und attraktive Nachbar dieses Landes gewesen, auch wenn beide keine gemeinsame Grenze haben. Seit Jahrhunderten lebten zudem zahlreiche Tuareg im Westen dieser nordafrikanischen Region. Im 20. Jh. bot Libyen unter Gaddafi ArbeitsplĂ€tze im Dienstleistungsgewerbe und in der Ölindustrie fĂŒr viele junge Menschen aus dem Norden Malis. Diese wurden zudem angelockt durch Aufstiegsmöglichkeiten in der Armee, wo sie als Söldner eine solide Ausbildung erhielten. Gaddafis politische Ideologie, dargelegt in seinem „GrĂŒnen Buch“, mag fĂŒr diese Menschen, die in ihrem Heimatland vom Staat vernachlĂ€ssigt und benachteiligt, wenn nicht unterdrĂŒckt wurden, eine Zukunftsperspektive geboten haben. Mehrere Tausend Malier, besonders Tuareg aus dem Norden des Landes sollen in Libyen Zuflucht gefunden haben. Nach dem Sturz Gaddafis kehrten

65 RFI 23.11.2015, zitiert von Wikipedia : FLM (28.1.2016). Als erste Gruppe hatte sich Al-Mourabitoune fĂŒr die Attacke verantwortlich erklĂ€rt.66 UN Security Council. Report of the Secretary-General on the situation in Mali. 24.12.2015.

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zahlreiche Tuareg-Söldner mit ihrer AusrĂŒstung nach Mali zurĂŒck und bildeten den Grundstock der Rebellenbewegungen.

Libyen ist heute ein zerfallener Staat, in zwei Teile zerbrochen, mit einer Hauptstadt in Tripolis und einer zweiten in Tobruk. Die Ankunft einer mit Hilfe der UNO konstituierten Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis muss um ihre Anerkennung durch die rivalisierenden KrĂ€fte ringen.67Die Ölfelder und –hĂ€fen zwischen den zwei StĂ€dten, um Sirte, sind das Angriffsziel von IS-KĂ€mpfern. Wenn diese Region unter die Kontrolle des Islamischen Staaten fallen sollte, könnte dieser hier ein zweites Zentrum aufbauen und eventuell die bisherige Hauptstadt von Raqqa in Syrien nach Sirte verlagern. Damit wĂ€re Libyen ein ideales RĂŒckzugsgebiet der IS-Truppen und der dijihadistischen Bewegungen in Mali, Niger, Tschad, Burkina Faso und Nigeria. Al-Mourabitoune operiert anscheinend schon von Libyen aus. Es wĂ€re auch ein strategisch gut gelegener Ausgangspunkt der islamistischen Durchdringung des Großraumes Westafrika und ein Sprungbrett nach Europa.

Die EnttĂ€uschung grĂ¶ĂŸerer Teil der Bevölkerung Malis ĂŒber ihren Staat beruht auf der ethnischen und politischen DiversitĂ€t dieser Bevölkerung und der als diskriminierend empfundenen Politik der Regierung in Bamako. Einen Zentralstaat, der alle Teile des Landes umfasst, gibt es erst seit der Kolonialzeit. Vor der Schaffung der Kolonie „Französischer Sudan“ um die Wende zum 20. Jahrhundert hatte es in diesem Großraum einige Reiche und eine Vielzahl kleinerer politischer Einheiten gegeben, mit eigenen Kulturen und Sprachen und eigenen politischen wie wirtschaftlichen Organisationsformen. Die bekanntesten unter ihnen sind das Reich der Malinke, Mali (12.-15. Jh.), das Reich der Songhai, Gao (15.-17. Jh.), das Reich der Bambara, SĂ©gou (19. Jh.) und das islamische Reich der Peul, Macina (19. Jh.). Mit der Eroberung der Region durch die Kolonialmacht Frankreich wurden alle in eine zentral regierte politische Einheit, „Französischer Sudan“, zusammengefasst; ihre kolonialen Grenzen wurden auch bei der UnabhĂ€ngigkeit des Landes als Republik Mali beibehalten, trotz gegenteiliger Forderungen der Ältesten der Tuareg, die nicht unter der Herrschaft der Schwarzafrikaner aus dem SĂŒden leben wollten und einen Staat aller Tuareg, ĂŒber die bisherigen Kolonialgrenzen hinaus anstrebten.

Heute ist Mali ein Zentralstaat nach französischem Muster, die Amtssprache ist französisch, obwohl nur eine kleine Minderheit 67 Zehn StÀdte im Westen Libyens, zwischen Tripolis und der tunesischen Grenze, haben am 31.3.2016 ihre Anerkennung der neuen Regierung erklÀrt und alle Libyer zu demselben Schritt aufgerufen. Le Monde, 1.4.2016.

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französisch spricht, und nach der Verfassung ist das Land „laizistisch“, obwohl ĂŒber 85 % der Bevölkerung moslemisch ist.

Der Zentralstaat ist nicht in der Lage, die GrundbedĂŒrfnisse grĂ¶ĂŸerer Teile der Bevölkerung, vor allem im nördlichen Landesteil, zu befriedigen: Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung, Schaffung einer angepassten Infrastruktur, Energieversorgung, Schaffung von ArbeitsplĂ€tzen, Aufbau eines in die Zukunft weisenden Bildungswesens, die Verbesserung des Gesundheitswesen, und nicht zuletzt die kulturelle und politische Selbstbestimmung. Er besitzt nur noch eine „faible lĂ©gitimitĂ© au Nord“.68 Insbesondere die Tuareg fĂŒhlen sich von diesem Staat fremdbestimmt und vernachlĂ€ssigt.

Sie und andere junge Menschen aus dem Norden sehen in den Angeboten islamistischer KĂ€mpfer oder krimineller Banden eine Möglichkeit, ihr Überleben zu organisieren. KĂ€mpfer der Terrororganisationen laufen wegen der Intensivierung der militĂ€rischen Interventionen der Armee, der Uno und Frankreichs in wachsender Zahl ĂŒber zu den KĂ€mpfern des IS in Libyen.

Libyen neue Hochburg des Islamischen Staates im Norden Afrikas?

Seit Monaten Ă€ußern internationale Beobachter, dass Libyen zum RĂŒckzugsgebiet von islamistischen KĂ€mpfern aus Nord- und Westafrika sowie von Milizen und FĂŒhrungskrĂ€ften des Islamischen Staates werde; der I.S. ziehe sich wegen der Luftangriffe aus Syrien nach Libyen zurĂŒck; Libyen werde zum neuen Refugium des Islamischen Staates („Sanctuaire du daesh“) und zum „Ersatzkalifat des Islamischen Staates“; Sirte, die Geburtsstadt und Hochburg des gestĂŒrzten StaatsprĂ€sidenten Muammar al-Gaddafi, werde ein neues Raqqa; die KĂ€mpfe um die Kontrolle grĂ¶ĂŸerer KĂŒstenstĂ€dte und der Ölanlagen Libyens verschĂ€rfe die FlĂŒchtlingskrise; die I.S.-Miliz rekrutiere unter den FlĂŒchtlingen neue KĂ€mpfer und bedrohe nun auch die EuropĂ€ische Union. Mehrere Regionen an der KĂŒste stĂŒnden schon unter der Kontrolle des I.S., die Verbindungen zu Boko Haram in Nigeria seien bekannt; es sei auch bekannt, dass Djihadisten aus Mali hier ein neues Refugium gefunden hĂ€tten, „un vĂ©ritable sanctuaire“; schließlich: bis zu 200.000 FlĂŒchtlinge wĂŒrden in den KĂŒstenstĂ€dten Libyens auf eine Überfahrt nach Europa warten.69 Nach neuesten Zeitungsberichten sind in den letzten Wochen

68 ICG Briefing Afrique N° 115, 14.12.2015, 1569 FAZ, SZ, Die Zeit, Welt am Sonntag, Der Spiegel, Focus, N24, Le Monde, Le Nouvel Observateur, Jeune Afrique, The Economist, ARD, BBC, The New York Times, The Long War Journal, IRIS, IPG. Auch RT Français (Russia Today, französische Ausgabe).

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mehrere hundert Afrikaner, aus Gambia, Ghana, Nigeria und Senegal auf dem Seeweg nach Italien gekommen.70

Wenn diese Interpretationen zutreffen, entsteht hier ein neuer Islamischer Staat oder eine Ausweitung des Islamischen Staates, der in Syrien und dem Irak bereits existiert. Nicht nur Nord- und Westafrika sondern auch Europa und die gesamte Welt sollen durch die Wiedererrichtung eines Kalifats unter die Herrschaft Allahs gestellt werden. Der heilige Krieg, djihad, dient diesem Ziel, er ist nach der Vorstellung fĂŒhrender Vertreter des Islamischen Staates eine Verpflichtung fĂŒr alle Muslime.71 Wie in Syrien und dem Irak sowie in Mali praktiziert, erfolgt als erste Stufe der Eroberungsstrategie die Destabilisierung der Region, dann die Infiltration, die MachtĂŒbernahme, die EinfĂŒhrung der Scharia und die Ausrufung des Kalifates.72

Wie ernst sind diese Warnungen zu nehmen? Eine genaue ÜberprĂŒfung der Berichte vor Ort ist nicht möglich. Auch die UnabhĂ€ngigkeit und GlaubwĂŒrdigkeit der einzelnen Journalisten und ihrer GesprĂ€chspartner sind nur schwer einzuschĂ€tzen. Zudem verĂ€ndert sich die Lage stĂ€ndig.

Es steht aber fest, dass es im Januar 2016 Angriffe der I.S.-Miliz auf Ölanlagen in Sidra und Ras Lanouf gegeben hat, bei denen grĂ¶ĂŸere Öltanks in Brand geschossen wurden.73 Es ist auch sicher, dass Tripolis, die Hauptstadt im Westen des Landes, teilweise, die Stadt Sirte aber seit ĂŒber einem Jahr vollstĂ€ndig unter der Kontrolle des I.S. stehen.74 Es ist auch bekannt, dass ein Landstreifen von etwa 160 km im Westen und Osten von Sirte ebenfalls von I.S.-Milizen kontrolliert wird. Von Sirte aus, „now described as the new Raqqa“,75 erfolgen das Vordringen der Milizen nach Osten und die Angriffe auf die Ölanlagen. In Sirte selbst sind von 75.000 Einwohnern nur 10.000 – 15.000 nicht aus der Stadt geflohen.76 Außerdem hat die I.S.-FĂŒhrung offen dazu aufgerufen, in

70 „Alarmierender Zuwachs“ an Migranten aus Afrika. In: FAZ 1.4.2016.71 Siehe etwa die vom Al Hayat Media Center, der Propaganda-Zentrale des Islamischen Staates, veröffentlichte Strategie „Attentats sur la voie prophĂ©tique“ in der Zeitschrift „Dar Al Islam“, 8/2016 (Februar). - Ähnlich eindeutig ist die Beschreibung der militĂ€rischen Theorie des Jihad von Abu Musab al-Suri in seiner Schrift „The Call to Global Islamic Resistance“, in englischer Version 2005 im Internet veröffentlicht. 72 Eine EinfĂŒhrung in Geschichte, Theoretiker, Ziele und Strategien des Kalifates bietet Nabil Mouline: 2016. Le Califat. Histoire politique de l’islam. Paris: Flammarion.73 Thomas Scheen: Brutale Rache. In: FAZ 8.1.2016.- Siehe auch: Jihadists in Libya. The next front against Islamic State. In: The Economist 6.2.2016, S. 29-30.74 Mehdi Benyezzar: Cinq ans aprĂšs la chute de Kadhafi, la Libye terre de conquĂȘte de l’EI. In : Le Nouvel Observateur 15.2.2016. - The Economist 6.2.2016. – Michael Pauron: Comment l’État islamique tente de gagner du terrain en Libye. In: Jeune Afrique (16.12.2015) zitiert den französischen Außenminister Jean-Yves Le Drian mit den Worten, der I.S. kontrolliere ein Gebiet von 250 km und die großen Verkehrswege der Region.75 Jihadists in Libya. The next front against Islamic State. In: The Economist 6.2.2016, S. 29-30.76 Jeune Afrique 16.12.2015.

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Libyen den Kampf fĂŒr einen islamischen Gottesstaat aufzunehmen.77 Und die USA haben bestĂ€tigt, am 19.2.2016 Luftangriffe auf ein MilitĂ€rcamp des I.S. bei Sabratha in Libyen geflogen zu haben.78 Als erste Reaktion sind etwa 200 KĂ€mpfer des I.S. am 23.2.2016 in das Stadtzentrum von Sabratha eingedrungen, haben das Hauptquartier der SicherheitskrĂ€fte besetzt und 12 Mitglieder der SicherheitskrĂ€fte getötet und enthauptet.79 Als zweite Reaktion auf die Luftangriffe haben sich zahlreiche tunesische I.S.-KĂ€mpfer aus Sabratha zurĂŒckgezogen und am 7.3.2016 in der tunesischen Grenzstadt Ben Guerdane die Kaserne und das Hauptquartier der „Garde Nationale“ angegriffen, mit 45 Toten.80 Der tunesische Regierungschef Habib Essid sieht darin den Plan, „d’établir un Ă©mirat de Daech“.81

In einem Bericht des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wird die strategische Bedeutung Libyens fĂŒr den Islamischen Staat unterstrichen und Libyen als potenzielles RĂŒckzugs- und Operationsgebiet fĂŒr IS-KĂ€mpfer bezeichnet:

Libya is strategically important for ISIL82, in view of its geographical location at the crossroads between the Middle East, Africa and Europe. Owing to the current political and security challenges the country faces, resulting in a weakened national security apparatus, the country is also viewed as a potential retreat and operational zone for ISIL fighters unable to reach the Middle East. The ISIL central command in Iraq and the Syrian Arab Republic views Libya as the “best” opportunity to expand its so-called caliphate. Abu al-Mughirah Al Qahtani, the so-called delegate leader of the ISIL Libyan Wilayat, stated in a recent interview that “Libya has a great importance because it is in Africa and south of Europe. It also contains a well of resources that cannot dry. [
] It is also a gate to the African desert stretching to a number of African countries”.83

Der I.S. in Libyen hat seit Februar 2015 sein Hauptquartier im Ouagadougou Konferenzzentrum in Sirte.84 Er wurde im FrĂŒhjahr 2014

77 Islamischer Staat soll ein FĂŒnftel seiner KĂ€mpfer verloren haben. In: FAZ 5.2.2016. Die FAZ zitiert den Sprecher des Weißen Hauses in Washington.78 BBC 19.2.2016.79 Frida Dahmani: Libye: guerre secrĂšte contre Daesh. In: Jeune Afrique, 7.3.2016.80 FrĂ©dĂ©ric Bobin: La frontiĂšre entre la Tunisie et la Libye, une poudriĂšre stratĂ©gique. In: Le Monde, Edition Afrique, 7.3.2016. – Der Autor zitiert einen Aufruf der KĂ€mpfer an die Bevölkerung der Stadt, sich ihnen anzuschließen: „Nous sommes Daech. Ne paniquez pas“.81 Le Nouvel Observateur / AFP: #Tunisie. Attaques djihadistes en Tunisie. 8.3.2016.82 Der UNO-Bericht spricht durchgehend von ISIL, Islamic State in Iraq and the Levant.83 Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team submitted pursuant to paragraph 13 of Security Council resolution 2214 (2015) concerning the terrorism threat in Libya posed by the Islamic State in Iraq and the Levant, Ansar al Charia, and all other Al-Qaida associates. S/2015/891, 19.11.2015, S. 7.84 Die folgenden Angaben sind dem zitierten UNO-Bericht entnommen.

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unter dem Namen IYSC (Islamic Youth Shura Council) in der Stadt Derna gegrĂŒndet und ist in drei Provinzen aufgeteilt: Wilayat85 Tripolitania (mit den StĂ€dten Tripolis und Sirte), Wilayat Barqa (die Cyrenaica, mit den StĂ€dten Derna und Benghazi) und die Wilayat Fezzan (der SĂŒden des Landes). Damit ist die angestrebte Organisation des Islamischen Staates Libyen zum Ausdruck gebracht. Die reale Kontrolle erstreckt sich bisher nur auf Teile der KĂŒste, um die StĂ€dte Sirte und Derna.

Die I.S.-KĂ€mpfer, zwischen 2.000 und 3.000 Mann,86 sind zu einem erheblichen Anteil (etwa 800 Mann) Libyer, die nach KampfeinsĂ€tzen im Islamischen Staat in Syrien und Irak in ihre Heimat zurĂŒckgekehrt sind, wo sie sich im FrĂŒhjahr 2014 in der IYSC neu organisiert, dem Kalifen in Raqqa die Treue geschworen und Ostlybien als Provinz des Islamischen Staates unter dem Namen „Wilayat Barqa“ erklĂ€rt haben. Andere KĂ€mpfer sind AuslĂ€nder, mit einem hohen Anteil von Personen aus dem Maghreb. Eine dritte Gruppe wird von Libyern aus lokalen Kampfgruppen gestellt.

Neuere Berichte sagen außerdem, der I.S. habe die militantesten Mitglieder von Ansar al-Sharia aufgenommen.87 Ansar al-Sharia stehe darĂŒber hinaus mit der AQIM und mit Al-Mourabitoune und Mokthar Belmokthar in Verbindung, womit der unmittelbare Bezug zu den KĂ€mpfen in Mali hergestellt wĂ€re.88 Auch KĂ€mpfer aus dem Senegal haben sich dem I.S. in Sirte angeschlossen und bedrohen ĂŒber Facebook ihr Heimatland, den PrĂ€sidenten Macky Sall, den sie als „eine Schachfigur im Kampf gegen den Islam“ ansehen, und die Sufi-Bruderschaften, die durch ihre Wallfahrten zu den Mausoleen verstorbener Marabouts den Islam verrieten.89 Es ist auch bekannt, dass die nigerianische Terrororganisation Boko Haram dem Kalifen des

85 Mit Wilayat wird im arabischen Kulturraum eine Verwaltungseinheit bezeichnet.86 Neuere Berichte sprechen von 5.000 KĂ€mpfern. N24, 5.2.2016. – Le Monde spricht von einem spektakulĂ€ren Anstieg der Zahlen der KĂ€mpfer. Jean-Philippe RĂ©my: Comment l‘Etat islamique est parti Ă  l’assaut de l’Afrique. In: Le Monde, 22.1.2016. - Kader Abderrahim, von der französischen Forschungsinstitution IRIS (Institut de Relations Internationales et StratĂ©giques) spricht von 3.500 bis 4.500 Mann, darunter seien viele ehemalige Soldaten Gaddafis. IRIS. Analyses. La Libye, future base arriĂšre de l’E.I. ? 6.1.2016.87 The Economist 6.2.2016. - Ansar al-Scharia (AnhĂ€nger des islamischen Rechts‘) ist der Name mehrerer salafistischer libyscher Milizen.88 Thomas Joscelyn: Ansar al Sharia Libya fights on under new leader. In: The Long War Journal. Foundation for defense of democracies, Washington, 30.6.2015.89 „Tous les soufis vont se soumettre Ă  la charia par la force
 On va les combattre par notre façon jusqu’à ce qu’ils arrĂȘtent de faire le tour des tombes de leur marabouts, jusqu’à ils arrĂȘtent de fĂȘter le Gamou et le Magal dans tous les coins. Â» Benjamin Roger : Terrorisme. Ces SĂ©nĂ©galais qui ont rejoint l’État islamique en Libye. In : Jeune Afrique 27.1.2016.

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Islamischen Staates die Treue geschworen hat und dass KĂ€mpfer von Boko Haram in Libyen an den KĂ€mpfen teilnehmen.90

Als Ziel verfolgt der Islamische Staat in Libyen die Errichtung eines islamischen Gottesstaates, wie er es in der Stadt Sirte mit der EinfĂŒhrung und Durchsetzung der Sharia begonnen hat.91 Ob er in naher Zukunft im Namen des Islamischen Staates in Libyen ein Kalifat des Maghreb ausrufen wird, wie Kader Abderrahim, Forscher am IRIS, meint, ist nicht sicher,92 wenn – wie andere Berichte angeben - die persönlichen Einstellungen mancher KĂ€mpfer eher materialistisch sind.93

In Libyen sind auch andere islamistische Terrorgruppen aktiv: unter ihnen Ansar al-Sharia, die auch in Tunesien und Ägypten agiert, AQMI und Al-Mourabitoune, aus Algerien bzw. Mali. Sie nutzen das politisch zerfallene Land als RĂŒckzugs- und Organisationsgebiet fĂŒr ihre TĂ€tigkeiten im westafrikanischen Großraum.94

Durch diese internationale Vernetzung, durch den Zerfall des libyschen Staates, die strategische Position am SĂŒdrand des Mittelmeeres und im Norden der Sahara, mit dem Endpunkt vieler Migrationsströme, und durch den Reichtum an BodenschĂ€tzen in Libyen wird der Islamische Staat, der sich dort ausbreitet, zu einer globalen Bedrohung. Libyen kann zum Mittelpunkt eines neuen, den Großraum Nord- und Westafrika umfassenden Islamischen Staates werden.

Die amerikanischen, britischen und französischen LuftschlÀge 95 der vergangenen Wochen gegen Camps des Islamischen Staates in der NÀhe der StÀdte Sirte und Sabratha 96 sowie der Einsatz von

90 François Soudan / Laurent de Saint Perier: Jean-Yves Le Drian: « Le rapprochement entre Daesh et Boko Haram est un risque majeur Â» Interview mit dem französischen Verteidigungsminister, in: Jeune Afrique, 14.12.2015.91 Einzelheiten dazu im zitierten UNO-Bericht, S. 10. Und in Michael Pauron : Comment l’État islamique tente de gagner du terrain en Libye. In :Jeune Afrique, 16.12.2015. 92 Kader Abderrahim: La Libye, future base arriĂšre de l’EI ? In : IRIS Analyses, 6.2.201693 Viele KĂ€mpfer verfolgen anscheinend keine religiösen Motive, sehen im I.S. eher einen lukrativen Arbeitgeber. Bettina RĂŒhl: Schlimm, schlimmer, Libyen. In: IPG, 8.2.2016.94 François Soudan: Carte – Daesh: la cible africaine. In : Jeune Afrique, 18.12.2015. Der Artikel enthĂ€lt auch eine Aufstellung der verschiedenen islamistischen Gruppen und eine Karte ihrer AktivitĂ€tswege.95 Der letzte amerikanische Luftangriff datiert vom 19.2.2016. Er habe dem Tunesier Noureddine Chouchane gegolten, der fĂŒr AnschlĂ€ge in der Stadt Tunis sowie am Strand von Sousse verantwortlich gemacht wird. Bei diesem Angriff der US-Luftwaffe sollen 40 Personen getötet worden sein. RP Online, 19.2.2016.96 FrĂ©dĂ©ric Bobin: Les Etats-Unis veulent endiguer l’Etat islamique en Libye. In : Le Monde 20.2.2016. Sabratha wird als Ausbildungslager des I.S. fĂŒr KĂ€mpfer aus Tunesien bezeichnet; die Stadt Sabratha, am Mittelmeer gelegen, ist einer der wichtigsten Stellen, von denen aus FlĂŒchtlingsströme nach Europa aufbrechen. Mehrere tausend FlĂŒchtlinge aus Tunesien, Ägypten, dem Sudan und aus Schwarzafrika warten hier auf eine Überfahrtmöglichkeit.

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Spezialeinheiten am Boden 97 zeigen, dass eine informelle Intervention schon stattfindet und dass eine offene militĂ€rische Intervention der Nato immer wahrscheinlicher wird. Gleichzeitig wird der Druck der Amerikaner auf Italien grĂ¶ĂŸer, die FĂŒhrung der militĂ€rischen Koalition gegen den Islamischen Staat zu ĂŒbernehmen.98

Eine solche Nato-Intervention wird aber von allen Nachbarstaaten Libyens, von Algerien, Tunesien und Ägypten, sowie von der Bevölkerung Libyens strikt abgelehnt. Auch Marokko hat sich gegen eine militĂ€rische Intervention ausgesprochen.99 Tunesien hat ausdrĂŒcklich vor einer solchen Intervention gewarnt: „Aus Prinzip sind wir gegen jede militĂ€rische Intervention, vor allem wenn diese nicht vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen genehmigt ist.100 Das Land ist von der VerschĂ€rfung der Spannungen doppelt betroffen, weil viele junge Tunesier sich den I.S.-KĂ€mpfern in Libyen angeschlossen haben, offenbar von den politischen Zielen und Visionen des I.S. angezogen. Nur so ist es zu erklĂ€ren, dass eine große Gruppe, 60-100 Mann stark, darunter viele junge Tunesier aus Ben Gardane, sich am 7.3.2016 in dieser Grenzstadt ungehindert bewegen und von der Moschee zum heiligen Krieg und zur Mitarbeit der Bevölkerung aufrufen konnte: „Habt keine Angst! Wir sind eure BrĂŒder. Öffnet die GeschĂ€fte. Wir sind gekommen, um euch von der UnterdrĂŒckung durch die Regierung zu befreien.“ Tunesien ist der einzige Staat, der aus der arabischen Rebellion einen noch gefĂ€hrdeten demokratischen Weg gefunden hat, aber unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und unter einer hohen Arbeitslosigkeit leidet. Er ist den Verfechtern des Islamischen Staates in Libyen ein Dorn im Auge und erscheint als leichte Beute. 101

97 Nathalie Guibert: La France mĂšne des opĂ©rations secrĂštes en Libye. In : Le Monde, 24.2.2016. Sie spricht von « frappes ponctuelles trĂšs ciblĂ©es, prĂ©parĂ©es par des actions discrĂštes voir secrĂštes Â» und hat mit diesen EnthĂŒllungen ein Ermittlungsverfahren des Verteidigungsministers wegen Verrats von militĂ€rischen Geheimnissen ausgelöst.98 Der amerikanische Botschafter in Rom wird mit den Worten zitiert „le chef suprĂȘme de l’armĂ©e occidentale contre Daech sera italien“. Marcelle Padovani: En finir avec Daech en Libye? L‘Italie dos au mur. In : Nouvel Observateur, 16.3.2016.99 Laurent De Saint Perier: Libye : demain la guerre contre l’État islamique ? in : Jeune Afrique, Ă©dition digitale, 29.2.2016. – Der Autor zitiert den ehemaligen Botschafter Frankreichs in Libyen Patrick Haimzadeh mit den Worten: eine solche Intervention wĂ€re eine Katastrophe.100 So der Außenminister KhemaĂŻes Jhinaoui, zitiert von FrĂ©dĂ©ric Bobin: Tunis s’inquiĂšte d’une Ă©ventuelle intervention en Libye. In: Le Monde 19.3.2016. Das Land sei bei einer NATO-Invervention von einem massiven Ansturm von FlĂŒchtlingen aus Libyen bedroht.101 Die Stadt wird auch „die Hauptstadt des Libyen-Schmuggels“ genannt. Zu dem Überfall siehe: FrĂ©dĂ©ric Bobin: A Ben Gardane, le choc et la peur face au pĂ©ril djihadiste. Â» in : Le Monde, 11.3.23016.

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Ein Weg aus der Bedrohung setzt eine politische Strategie zur Stabilisierung der Staaten der Region 102 und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Masse der Bevölkerung voraus. Nur sie kann die AttraktivitĂ€t des Islamischen Staates und die Ursachen der Migrationsströme eindĂ€mmen. Die internationale Forschergruppe „International Crisis Group“ hat dies in ihrem letzten Bericht, vom 14.3.2016, in geradezu beschwörenden Forderungen formuliert, die in einem lĂ€ngeren Auszug hier wiedergegeben werden sollen.Der letzten Welle der Gewalt, entstanden aus der Entstehung des Islamischen Staates, entgegen zu treten, erfordert

“focusing on not only an enemy easy to hate but also the conditions that have enabled its rise: the enormous violence Sunnis have suffered in Iraq and Syria; upheaval and escalating Middle East power rivalries; the dangerous sense of victimisation among the Arab world’s Sunni majority; increasing identity politics and sectarian hatred; the Libyan and Sahel instability after Qadhafi’s ouster; the ideological space that has opened up with the Muslim Brotherhood’s demise; dim prospects for reform in countries that have not yet succumbed; and many states’ struggles to meet needs of citizens, particularly those in peripheries, Muslim minorities and growing youth populations. IS’s emergence throws into stark relief Sunnis’ desperation in Iraq and Syria. Its ability elsewhere to recruit, even tiny minorities, shows states’ failures to deliver as much as the power of what the movement sells. IS provokes justifiable outrage, but blame for its rise is widely shared and should provoke introspection beside condemnation; compassion as much as revulsion.”

“The gravest danger these groups pose, at a particularly perilous moment of world history, is that they provoke reactions that deepen the conditions they feed off and, like mistakes after the 9/11 attacks, create new instability that again plays into their hands.” 103

102 Beim fĂŒnften Treffen der internationalen Kontaktgruppe zu Libyen in Addis- Abeba am 28.1.2016 haben die Afrikanische Union, die EuropĂ€ische Union, die Vereinten Nationen und die afrikanischen Anrainerstaaten Libyens die Dringlichkeit einer politischen Strategie zur Stabilisierung Libyens zum Ausdruck gebracht. Siehe: Emeline Wuilbercq: L’expansion de l’EI en Libye inquiĂšte les Africains. In : Le Monde, 30.1.2016.103 ICG Special Report. Exploiting Disorder: al-Qaeda and the Islamic State. BrĂŒssel, 14.3.2016, S. 50.

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