verteilungsgerechtigkeit im florenz der renaissance

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Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts 1 Petra Schulte 1. Ausgangspunkt jedweder Reflexion über Verteilung ist das Phänomen der Knappheit als Grundbedingung menschlicher Existenz. „Knappheit bezeichnet immer ein Verhältnis, genauer ein Missverhältnis zwischen Nutzungswünschen und Verfügbarkeiten“ 2 und bezieht sich auf materielle ebenso wie auf immate- rielle Güter. Im Zusammenleben muss entschieden werden, ob diese Güter ver- erbt, frei erworben oder zentral vergeben werden, innerhalb welcher rechtlicher bzw. ethisch-moralischer Grenzen dies geschieht, inwieweit Ungleichheit ak- zeptabel ist und inwiefern „Eigentum verpflichtet“ (Art. 14 Abs. 2 GG). 3 Auf nationaler wie auf internationaler Ebene stellen dies zentrale Fragen unserer Zeit dar. 4 Dass wir heute in diesem Zusammenhang mit den Begriffen der Gleichheit und der Gerechtigkeit operieren, ist ein Erbe des späten Mittelalters, das parallel zu den einsetzenden ökonomischen und gesellschaftlichen Verände- rungen neu über die Organisation des menschlichen Zusammenlebens nach- zudenken begann und mit Verweis auf das römische Recht sowie die antike Phi- losophie die Grundlagen des Gemeinwohls bestimmte. 5 1 Der Aufsatz beruht auf einem Vortrag, den ich am 19. Juni 2013 am Deutschen Historischen In- stitut in Rom gehalten habe. Für die Anregungen in der anschließenden Diskussion danke ich den Teilnehmenden herzlich. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Joachim Schneider und Herrn Prof. Dr. Johannes Pahlitzsch für die Möglichkeit, meine Überlegungen zu Florenz anstelle meines ursprüng- lichen Beitrags Der Fürst und die Verteilung knapper Ressourcen im europäischen Spätmittelalter an dieser Stelle zu publizieren. 2 Mario Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung. Möglichkeiten und Grenzen einer marktgesteuerten staatlichen Verteilung des Mangels, Tübingen 2008 (Jus Publicum 176), 2. 3 Zum Eigentum in historischer Perspektive vgl. Janet Coleman, „Proprietà“: premoderna e moder- na, in: Sandro Chignola / Giuseppe Duso (Hg.), Sui concetti giuridici e politici della Costituzione dell’Europa, Mailand 2005 (Per la storia della filosofia politica 17), 119–158; Andreas Eckl / Bernd Ludwig (Hg.), Was ist Eigentum? Philosophische Positionen von Platon bis Habermas, München 2005; Manfred Brocker, Art. Eigentum, in: Martin Hartmann / Claus Offe (Hg.), Politische Theorie und Politische Philosophie. Ein Handbuch, München 2011, 174–178. 4 Mit weiterführenden Hinweisen: Samuel Fleischacker, A Short History of Distributive Justice, Cambridge, Mass. / London 2004, 109–124; Izhak Englard, Corrective & Distributive Justice. From Aristotle to Modern Times, New York 2009, 177–208. 5 Zum mittelalterlichen Begriff des Gemeinwohls vgl. Peter Hibst, Utilitas publica – gemeiner Nutzen – Gemeinwohl. Untersuchungen zur Idee eines politischen Leitbegriffes von der Antike bis zum späten Mittelalter, Frankfurt am Main 1991 (Europäische Hochschulschriften 3.497); Herfried Münkler / Harald Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, Berlin 2001 (Forschungsberichte der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Gemeinwohl und Gemeinsinn“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 1); Saeculum 64/II (2014) 193 Unangemeldet

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Saec 14/2 / p. 195 / 28.7.2015

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts1

Petra Schulte

1.

Ausgangspunkt jedweder Reflexion über Verteilung ist das Phänomen derKnappheit als Grundbedingung menschlicher Existenz. „Knappheit bezeichnetimmer ein Verhältnis, genauer ein Missverhältnis zwischen Nutzungswünschenund Verfügbarkeiten“2 und bezieht sich auf materielle ebenso wie auf immate-rielle Güter. Im Zusammenleben muss entschieden werden, ob diese Güter ver-erbt, frei erworben oder zentral vergeben werden, innerhalb welcher rechtlicherbzw. ethisch-moralischer Grenzen dies geschieht, inwieweit Ungleichheit ak-zeptabel ist und inwiefern „Eigentum verpflichtet“ (Art. 14 Abs. 2 GG).3 Aufnationaler wie auf internationaler Ebene stellen dies zentrale Fragen unsererZeit dar.4 Dass wir heute in diesem Zusammenhang mit den Begriffen derGleichheit und der Gerechtigkeit operieren, ist ein Erbe des späten Mittelalters,das parallel zu den einsetzenden ökonomischen und gesellschaftlichen Verände-rungen neu über die Organisation des menschlichen Zusammenlebens nach-zudenken begann und mit Verweis auf das römische Recht sowie die antike Phi-losophie die Grundlagen des Gemeinwohls bestimmte.5

1 Der Aufsatz beruht auf einem Vortrag, den ich am 19. Juni 2013 am Deutschen Historischen In-stitut in Rom gehalten habe. Für die Anregungen in der anschließenden Diskussion danke ich denTeilnehmenden herzlich. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Joachim Schneider und Herrn Prof. Dr.Johannes Pahlitzsch für die Möglichkeit, meine Überlegungen zu Florenz anstelle meines ursprüng-lichen BeitragsDer Fürst und die Verteilung knapper Ressourcen im europäischen Spätmittelalter andieser Stelle zu publizieren.2 Mario Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung. Möglichkeiten undGrenzen einer marktgesteuerten staatlichen Verteilung des Mangels, Tübingen 2008 (Jus Publicum176), 2.3 Zum Eigentum in historischer Perspektive vgl. Janet Coleman, „Proprietà“: premoderna e moder-na, in: Sandro Chignola / Giuseppe Duso (Hg.), Sui concetti giuridici e politici della Costituzionedell’Europa, Mailand 2005 (Per la storia della filosofia politica 17), 119–158; Andreas Eckl / BerndLudwig (Hg.), Was ist Eigentum? Philosophische Positionen von Platon bis Habermas, München2005; Manfred Brocker, Art. Eigentum, in: Martin Hartmann / Claus Offe (Hg.), Politische Theorieund Politische Philosophie. Ein Handbuch, München 2011, 174–178.4 Mit weiterführenden Hinweisen: Samuel Fleischacker, A Short History of Distributive Justice,Cambridge, Mass. / London 2004, 109–124; Izhak Englard, Corrective &Distributive Justice. FromAristotle to Modern Times, New York 2009, 177–208.5 Zum mittelalterlichen Begriff des Gemeinwohls vgl. Peter Hibst, Utilitas publica – gemeinerNutzen – Gemeinwohl. Untersuchungen zur Idee eines politischen Leitbegriffes von der Antikebis zum späten Mittelalter, Frankfurt am Main 1991 (Europäische Hochschulschriften 3.497);Herfried Münkler / Harald Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantikenpolitischer Leitbegriffe, Berlin 2001 (Forschungsberichte der interdisziplinären Arbeitsgruppe„Gemeinwohl und Gemeinsinn“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 1);

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Ein in diesem Kontext zentrales Werk war dieNikomachische Ethik des Aris-toteles (†322 v.Chr.), der in ihr zwischen der Gesetzesgerechtigkeit und derpartikularen Gerechtigkeit unterschied. Die Gesetzesgerechtigkeit bedinge dieBefolgung der Gesetze und werde, da diese sich idealiter auf alle Lebensbereicheerstreckten und die Angehörigen eines Gemeinwesens im Hinblick auf dasselbezur Tugend erzögen, auch als universale Gerechtigkeit bezeichnet. Der Begriffder partikularen Gerechtigkeit hingegen erfasse den Umgang mit Gütern, vondenen das äußere Glück oder Unglück abhinge und von denen der Einzelnestets mehr haben wolle, als ihm zur Verfügung stehe. Das Gerechte entsprecheder Mitte, dem Gleichen; als sein Maßstab erscheine die Proportionalität. Sie seieine arithmetische, wenn es sich um freiwillige Tausch- oder Vertragsgeschäftehandele. Unabhängig vom Status der beteiligten Personen habe das Genom-mene dem Gegebenen an Wert zu entsprechen. Demgegenüber müsse bei der„Zuteilung von Ehre, Geld und anderen Dingen, die unter die Mitglieder derGemeinschaft aufgeteilt werden können“, eine geometrische Proportionalitätgewahrt werden. Der Zustand der Gleichheit gelte dann als erreicht, wenn dernach festgelegten und allgemein akzeptierten Kriterien Würdigere mehr erhalte.Abhängig von der Verfassungsform sähen die Demokraten die Würdigkeit „inder Freiheit, die Oligarchen im Reichtum, andere in der Adligkeit und die Aris-tokraten in der Tugend“.6 Im Gegensatz zu heute zielte die Verteilungsgerech-tigkeit (iustitia distributiva) also nicht auf die Ermöglichung der sozialen undpolitischen Partizipation und damit den gesellschaftlichen Ausgleich, sondernbestätigte vielmehr den hohen sozialen Status sowie den bestehenden Führungs-anspruch einer mehr oder minder großen Personengruppe.Wer sich im späten Mittelalter mit den Gerechtigkeitskonzeptionen des Aris-

toteles auseinandersetzte und sie auf die eigeneLebenswirklichkeit zuübertragenbzw. sie vor deren Hintergrund zu interpretieren versuchte, stand vor dem Pro-blem, definieren zu müssen, wer welche Güter an wen verteilte und unter wel-chen Umständen diese Verteilung als gerecht galt. Dabei kam es zu Abweichun-gen vom Text des griechischen Philosophen und zu regionalen Unterschieden inseiner Rezeption, die bislang noch nicht vergleichend untersucht wurden undinsofern auch in den jüngeren epochenübergreifenden Studien des amerika-nischen Philosophen Samuel Fleischacker und des israelischen Juristen IzhakEnglard7 unberücksichtigt bleiben. Eine derartige Analyse stellt, will man sie aufeiner europäischenEbene systematischbetreiben, ein großes und–wie imFolgen-den exemplarisch dargelegt werden soll – ertragreiches Forschungsfeld dar.

Petra Schulte

Elodie Lecuppre-Desjardin / Anne-Laure van Bruaene (Hg.), De Bono Communi. The Discourseand Practice of the Common Good in the European City (13th–16th c.), Turnhout 2010 (Studies inEuropean Urban History 22).6 Aristoteles, Die Nikomachische Ethik. Griechisch-deutsch, übersetzt von Olof Gigon, neu hg.von Rainer Nickel, Düsseldorf / Zürich 2001, V, 1130b–1133b.7 S. Anm. 4.

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Für das Herzogtum Burgund habe ich gezeigt, dass am Hof die aristotelischeVerteilungsgerechtigkeit in Bezug auf den Fürsten diskutiert wurde, der Gold,Ämter, Ländereien und Privilegien vergab, und zwar primär an den Adel. DieVorstellung der Gerechtigkeit ersetzte in diesem Punkt die der Freigebigkeitund wurde an die Idee einer vermeintlich rechnerischen Überprüfbarkeit derVerhältnismäßigkeit der Gabe gebunden. Derjenige Adlige, der einen anderenan Tugend, das heißt an Leistungen für den Fürsten und das Gemeinwesen,überragte, sollte entsprechend mehr erhalten.8 Dass in den Städten Verteilungund Verteilungsgerechtigkeit naturgemäß anders gedacht wurden, liegt nahe,war aber noch nicht Gegenstand der Forschung. Die Untersuchungen konzen-trieren sich im Wesentlichen auf die Interpretation des Freskos der Guten Re-gierung, das Ambrogio Lorenzetti um 1339 im Palazzo Pubblico in Siena malteund das eine bildliche Umsetzung der ausgleichenden und verteilenden Gerech-tigkeit zeigt.9 Weniger bekannt sind hingegen die schriftlichen Zeugnisse, wie sieetwa in Florenz überliefert sind. Gleichwohl spiegelt sich u. a. in den Ratspro-tokollen, politischen Reden sowie theologischen und humanistischen Abhand-lungen anschaulich wider, dass man im öffentlichen Leben der Stadt Fragen derVerteilung (distributio) zum Teil vehement erörterte.Thematisiert wurden die bestehende Vermögensverteilung sowie die Vertei-

lung von politischen Ämtern, öffentlichen Geldern sowie von Steuerlasten.10Die Diskussion bedurfte der Bezugnahme auf Aristoteles nicht und erfolgtedurchaus auch ohne sie. Als jedoch die Rezeption des Stagiriten in der erstenHälfte des 15. Jahrhunderts eine deutliche Intensivierung erfuhr11 und 1416/

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

8 Petra Schulte, Die Idee der Gerechtigkeit im spätmittelalterlichen Herzogtum Burgund. Habilita-tionsschrift (masch.), Köln 2010 (in Druckvorbereitung), Kap. V: Gerechtigkeit in der Wirtschaft,im Recht und in der Verteilung; dies., Arm und Reich in der politischen Theorie des späten Mittel-alters, in: Günther Schulz (Hg.), Arm und Reich. 24. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- undWirtschaftsgeschichte, 16.–19.03. 2011, Bonn (im Druck).9 Mit weiterführender Literatur Englard (s. Anm. 4), 215–221; Ulrich Meier, Die linke und dierechte Waagschale der Justiz. Die Rezeption der aristotelischen Lehre der Teilgerechtigkeiten beiAlbertus Magnus und Ambrogio Lorenzetti, in: Petra Schulte / Gabriele Annas / Michael Roth-mann (Hg.), Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des späteren Mittelalters, Berlin 2012(Zeitschrift für Historische Forschung 47), 63–87.10 Matteo Palmieri, Vita civile, hg. von Gino Belloni, Firenze 1982, III.7, 104:Di questo sommo benecivile sarà ogni ragionamento del presente nostro libro, in el quale, quanto più si può, credo manifestodimostrarvi che origine et quali principii abbia avuta iustitia, in che parti in generale maximamentese exerciti, come nelle guerre et in che modo nella pace la republica iustamente si governi, che ordineequalmente distribuisca le facultà, gl’honori et graveze publici, et quale sia lo stato, la gloria et fermostabilimento d’ogni bene ordinata republica. Ebd., III.156, 136: Ora seguireno d’una altra parte diiustitia, la quale è posta in distribuire l’humane commodità infra e mortali. Questa in publico primagl’honori equalmente conferisce et con simile convenientia domanda i bisogni alla patria, et l’utilitàdi quella secondo è dovere con misura divide; in privato è liberalemente benefica et con benignitàdiffunde le facultà proprie, commensurando quelle con vera regola di distributiva virtù.11 David A. Lines, Ethics as Philology: A Developing Approach to Aristotle’s Nicomachean Ethicsin Florentine Humanism, in: Marianne Pade (Hg.), Renaissance Readings of the Corpus Aristoteli-cum, Kopenhagen 2001, 27–42.

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1417 der spätere Kanzler der Republik, Leonardo Bruni (†1444), eine neue la-teinische Übersetzung der Nikomachischen Ethik vorlegte,12 der weitere vonGiannozzo Manetti (†1459)13 und von dem aus Byzanz stammenden JohannesArgyropulos (†1487)14 folgten, begannen die Florentiner Humanisten die Pro-bleme der Verteilung verstärkt im Zusammenhang mit der aristotelischen Ver-teilungsgerechtigkeit zu analysieren und die Verhältnisse in der eigenen Stadt andieser Stelle wahlweise zu kritisieren oder zu legitimieren. Dies erfolgte parallelzum Aufstieg der Familie der Medici unter Giovanni di Bicci (†1429) und des-sen Sohn Cosimo demÄlteren (†1464).15 Anders als ihre Gegenspieler, die unterRinaldo degli Albizzi auf eine Stärkung und Abschließung des Patriziats dräng-ten, den Medici im Herbst 1434 aber letztlich unterlagen,16 gaben sich Letztereals Förderer der Mittelschicht, bezogen deren Mitglieder in das von ihnen ge-schaffene, auf dem Prinzip der Freundschaft beruhende Netzwerk mit ein undsicherten sich so eine umfassende indirekte politische Einflussnahme.17 Ferner

Petra Schulte

12 Einen Überblick über die überlieferten Manuskripte aller Werke von Leonardo Bruni bietet nachArchiven und Bibliotheken geordnet James Hankins, Repertorium Brunianum: A Critical Guide tothe Writings of Leonardo Bruni, Bd. 1: Handlist of Manuscripts, Roma 1997 (Fonti per la storiadell’Italia medievale. Subsidia 5). Zur Bedeutung des Aristoteles im Denken von Leonardo Brunivgl. Sabrina Ebbersmeyer, Feind oder Verbündeter? Das Verhältnis der frühen italienischen Huma-nisten zum Aristoteles ethicus, in: dies. / Eckhard Kessler (Hg.), Ethik – Wissenschaft oder Lebens-kunst? Modelle der Normenbegründung von der Antike bis zur Frühen Neuzeit / Ethics – Scienceor Art of Living? Models of Moral Philosophy from Antiquity to the Early Modern Era, Berlin2007 (Pluralisierung & Autorität 8), 219–242, 227–232; dies., Homo agens. Studien zur Geneseund Struktur frühmittelalterlicherMoralphilosophie, Berlin / NewYork 2010 (Quellen und Studienzur Philosophie 95), Kap. II.3: Humanistische Umstilisierung der aristotelischen Ethik: LeonardoBruni (1370–1444), 150–185.13 Simona Foà, Art. Manetti, Giannozzo, in: Dizionario Biografico degli Italiani 68 (2007), 613–617(in der digitalen Version: http://www.treccani.it/enciclopedia/giannozzo-manetti_(Dizionario-Biografico)/).14 Emilio Bigi, Art. Argiropulo, Giovanni, in: Dizionario Biografico degli Italiani 4 (1962), 129–131(in der digitalen Version: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovanni-argiropulo_(Dizionario-Biografico)/).15 Vgl. Nicolai Rubinstein, Il governo di Firenze sotto i Medici (1434–1494), neu hg. von GiovanniCiappelli, Florenz 1999 (La nuova Italia); Volker Reinhardt, Florenz zur Zeit der Renaissance. DieKunst der Macht und die Botschaft der Bilder, Freiburg / Würzburg 1990; ders., Geld und Freunde.Wie die Medici die Macht in Florenz eroberten, Darmstadt 2009 (Geschichte erzählt).16 John M. Najemy, A History of Florence 1200–1575, Oxford 2008, 250–277. Ferner am Beispielder Strozzi, die wie andere auch 1434 ins Exil gehen mussten, Ingeborg Walter, Die Strozzi. EineFamilie im Florenz der Renaissance, München 2011.17 Vgl. Kurt Weissen, Machtkämpfe und Geschäftsbeziehungen in Florenz im 15. Jahrhundert. WieCosimo de’Medici seine Bank imKampf gegen seine inneren Gegner einsetzte, in: MarkHäberlein /Christof Jeggle (Hg.), Praktiken des Handels. Geschäfte und soziale Beziehungen europäischerKaufleute in Mittelalter und früher Neuzeit, Konstanz 2010 (Irseer Schriften, N.F. 6), 175–189. Fer-ner John F. Padgett / Christopher K. Ansell, Robust Action and the Rise of the Medici, 1400–1434,in: American Journal of Sociology 98 (1993), 1259–1319; John F. Padgett / Paul D. McLean, Econ-omic Credit in Renaissance Florence, in: Journal of Modern History 83 (2011), 1–47; dies., Organi-zational Invention and Elite Transformation. The Birth of Partnership Systems in Renaissance Flo-rence, in: American Journal of Sociology 111 (2006), 1463–1568. Allgemein zur Bedeutung der

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wirkte vor allem Cosimo de’Medici als Mäzen und finanzierte in einem bis datounbekannten Rahmen Kunst und Kultur.18 Er folgte einem Prinzip, das der Hu-manist Leon Battista Alberti (†1472) in den 1430er Jahren in den Libri dellafamiglia beschrieb: Man könne mit dem Reichtum denjenigen helfen, die esnötig hätten, und in der Folge Freundschaft und Lob erwerben. Gebraucheman ihn darüber hinaus dafür, freigebig und hochherzig große und edle Werkezu finanzieren, stellten sich Ruhm und Autorität ein.19 Die Republik erfuhrindes unter Cosimo de’Medici eine weitere Aushöhlung ihrer ideellen Grund-lagen20 ebenso wie unmittelbare Eingriffe in ihre Verfahrensabläufe und ihreinstitutionelle Gestalt.21Im Folgenden soll in groben Zügen nachgezeichnet werden, ob und wie vor

diesem Hintergrund die aristotelische Verteilungsgerechtigkeit reflektiert wur-de.22 Dabei werde ich mich an den oben genannten Themen der Vermögensver-teilung sowie der Verteilung von politischen Ämtern, öffentlichen Geldern undSteuerlasten orientieren,23 und mich in einem letzten Punkt der Verteilung vonGeld und Gütern an die Armen zuwenden.

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

Freundschaft Dale Kent, Friendship, Love, and Trust in Renaissance Florence, Cambridge, Mass. /London 2009.18 Dale Kent, Cosimo de’Medici and the Florentine Renaissance. The Patron’s Oeuvre, New Ha-ven / London 2000.19 Leon Battista Alberti, I libri della famiglia, hg. von Ruggiero Romano / Alberto Tenenti, Torino1969 (Nuova Universale Einaudi 102), II, 171: Sono atte le ricchezze ad acquistare amistà e lodo,servendo a chi ha bisogno. Puossi colle ricchezze conseguire fama e autorità adoperandole in coseamplissime e nobilissime con molta larghezza e magnificenza.Vgl. zu diesem Werk August Buck,Ökonomische Probleme in den „Libri della Famiglia“ des L. B. Alberti, in: Heinrich Lutz (Hg.),Humanismus und Ökonomie, Weinheim 1983 (Mitteilung der Kommission für Humanismusfor-schung 8), 121–133; Rainer Guggenberger, Versuch einer philosophisch-philologischen Analyseund Synthese der Vorrede und der ersten drei Bücher der libri della famiglia Leon Battista Albertis,Diplomarbeit Wien 2010 (in der digitalen Version: http://othes.univie.ac.at/9456/1/2010-04-06_0447530.pdf).20 Eine in diese Richtung weisende Kritik setzt bereits vor 1434 ein. Vgl. Najemy (s. Anm. 16), 253.21 Vgl. AnthonyMolho, Cosimo de’Medici: Pater Patriae or Padrino? (zuerst 1979), in: ders., Firen-ze nel Quattrocento, Bd. 1: Politica e fiscalità, Rom 2006 (Storia e letteratura. Raccolta di studi e testi231), 43–70; Daniel Höchli, Der Florentiner Republikanismus. Verfassungswirklichkeit und Ver-fassungsdenken zur Zeit der Renaissance, Bamberg 2004 (Dissertation Nr. 2649), 168–174; JessikaNowak, „Florentinisches Gesetz, tritt am Abend es in Kraft, wird’s am Morgen abgeschafft“. DerÜbergang von der Republik zum Prinzipat, in: Alfried Wieczorek / Gaëlle Rosendahl / DonatellaLippi (Hg.), Die Medici. Menschen, Macht und Leidenschaft. Begleitband zur Sonderausstellung„Die Medici. Menschen, Macht und Leidenschaft“, Mannheim / Regensburg 2013 (Publikationender Reiss-Engelhorn Museen 54), 79–83.22 Die Auseinandersetzung mit der Nikomachischen Ethik stellt sich in Florenz komplexer dar, alsdies hier untersucht werden kann. Mit Aristoteles beschäftigten sich nicht nur Humanisten, sondernparallel auch Ordensgeistliche und Universitätslehrer, die Moralphilosophie unterrichteten, wobeisich die Personenkreise zum Teil überschnitten. Vgl. David A. Lines, Faciliter edoceri: NiccolòTignosi and the Audience of Aristotle’s Ethics in Fifteenth-Century Florence, in: Studi medievali,serie terza 40 (1999), 139–168, 139–141.23 Unberücksichtigt bleiben Phänomene der Rechtsprechung, die in verschiedenen Schriften (etwa

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Der Handel, das Bankgeschäft und die Tuchproduktion hatten Florenz im spä-teren Mittelalter zu einer der führenden Städte in Italien gemacht.24 Für seineBürger bedeutete privater Wohlstand eine wesentliche Voraussetzung für dieTeilhabe am sozialen und politischen Leben; zur Führungsschicht gehörte, weraus einer guten Familie stammte, ein ehrbares Leben führte und im Überflusslebte.25 Derjenige hingegen, der arm war oder Steuerschulden besaß, war keinvollwertiges Mitglied der Gesellschaft.26 Die Haltung der Bürger hinsichtlichder Vermögensverteilung tritt in einem fingierten Dialog zwischen dem ungari-schen König Matthias Corvinus und dem florentinischen Ritter und KaufmannDomenico Giugni zutage, den der Humanist Aurelio Lippo Brandolini (†1497)Anfang der 1490er Jahre verfasste und in dem er die Regierungsformen der Mo-narchie und der Republik miteinander verglich.Matthias: Wie ist der Besitz zwischen euch aufgeteilt? Domenico: Jeder besitzt das, waser ererbt und erworben hat. Matthias: Heißt das, dass diejenigen, denen die Vorfahrennichts hinterlassen haben und die selbst nichts erwerben können, nichts besitzen? Do-menico: Von der Republik erhalten sie nichts. Matthias: Aber wenn es herausragendeBürger sind? Hilft ihnen ihre Tugend nicht? Domenico: Sie erhalten von niemandemBesitz, aber sie werden, solange sie arm sind, von ihrer Familie und ihren Freundenunterstützt. (…) Matthias: (…) Gibt es bei euch nicht sehr Reiche und extrem Arme?Domenico: Natürlich. Aber ist das nicht in jeder Stadt so?27

Petra Schulte

in der Sancti Antonini Archiepiscopi Florentini Ordinis Praedicatorum Summa Theologica, parsquarta, Verona 1740, 5.3.3., Sp. 182 f.) im Kontext der Verteilungsgerechtigkeit erörtert wurden. Vgl.hierzu am Sieneser Beispiel auch Meier (s. Anm. 9).24 Richard A. Goldthwaite, Private Wealth in Renaissance Florence. A Study of Four Families,Princeton 1968; ders., The Economy of Renaissance Florence, Baltimore 2009; Ludovica Sebregon-di / Tim Parks (Hg.), Denaro e Bellezza. I banchieri, Botticelli e il rogo delle vanità, Katalog derAusstellung Firenze, Palazzo Strozzi, 17 settembre – 22 gennaio 2012, Florenz / Mailand 2011;ChristianBarteleit,Die FlorentinerWirtschaft, in:Kunst- undAusstellungshalle der BundesrepublikDeutschland (Hg.), Florenz! 22. November 2013 bis 9. März 2014, Bonn /München 2013, 75–81.25 Lauro Martines, The Social World of the Florentine Humanists 1390–1460, London 1963, 18–84.26 Vgl. allgemein Giacomo Todeschini, Visibilmente crudeli. Malviventi, persone sospette e gentequalunque dal Medioevo all’età moderna, Bologna 2007 (Saggi 681), 205–240.27 Aurelio Lippo Brandolini, Republics and Kingdoms Compared, hg. und übersetzt von JamesHankins, Cambridge, Mass. / London 2009 (The I Tatti Renaissance Library 40), II. 37–38, 128–130:Matthaeus: Quo igitur pacto possessiones inter vos divisae sunt? Dominicus: Unusquisque, quodsibi vel hereditate obvenit vel ipse aliquo pacto acquisivit, id possidet. Matthaeus: Quid qui neque amaioribus quicquam acceperunt neque ipsi parare potuerunt, nihilne habent? Dominicus: A republicaquidem nihil. Matthaeus: Quid si optimi cives sint, nihilne illis sua virtus opitulatur? Dominicus:Nihil ad aliena quidem possidenda, sed subvenitur iis, a cognatis atque amicis, si modo tam tenuessunt ut illorum ope indigeant. (…). Matthaeus: (…) Suntne inter vos alii ditissimi, alii pauperrimi?Dominicus: Quidni? Nonne in omni civitate sic evenit?

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Das Zitat unterstreicht, dass die Florentiner die Generierung vonWohlstand aufdas Erbe,28 persönliche Fähigkeiten und individuelles Glück zurückführten undinsofern als einen von der Republik unabhängigen Prozess betrachteten. DieAufgabe der städtischen Institutionen war es, im Sinne der ausgleichenden Ge-rechtigkeit die Legalität von Rechtsgeschäften zu garantieren, das Eigentum zuschützen und die Gleichheit von Arm und Reich vor dem Gesetz zu wahren.Eine verteilende Gerechtigkeit in Bezug auf den Vermögenserwerb konnte hin-gegen in Florenz – anders als am burgundischen Hof, wo idealiter die gerechte,das heißt die proportional zum geleisteten Dienst erfolgende, Entlohnungdurch den Herzog eine wichtige Grundlage für den Reichtum des Adels bilde-te – nicht zum Maßstab des Regierungshandelns erhoben werden. Gleichwohlbeklagte Dante (†1321) im ca. 1303/1306 entstandenen Gastmahl ihr Fehlen:Ich sage, dass man ihre Unvollkommenheit (die der Reichtümer, P. S.) zuallererst in derUnterschiedslosigkeit ihres Auftretens bemerken kann, worin keine verteilende Gerech-tigkeit aufscheint, sondern beinahe immer vollständige Ungerechtigkeit, welche Unge-rechtigkeit die der Unvollkommenheit eigene Wirkung ist. Denn wenn man die Weisenbedenkt, durch welche sie zustande gekommen sind, so kann man drei Weisen zusam-menfassen: Denn entweder kommen sie aus reinem Zufall, so wie wenn sie ohne Absichtoder Hoffnung aufgrund einer nicht bedachten Entdeckung eintreten; oder sie kommenaus Zufall, dem das Gesetz hilft, wie etwa aufgrund von Testamenten oder wechselseiti-ger Nachfolge; oder sie kommen durch Zufall, der dem Gesetz hilft, wie bei erlaubtenoder unerlaubten Schacher, erlaubt sage ich, wenn es sich um Handwerk, Handel oderverdienstvolles Dienen handelt; unerlaubt sage ich, wenn es sich umDiebstahl oder Raubhandelt.29

Dantes Äußerungen sind im Rahmen einer allgemein kritischen Haltung zu se-hen, die im 14. Jahrhundert gegenüber dem Reichtum in den literarischen, his-toriographischen und moralphilosophischen Schriften vorherrschte,30 was sich

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

28 Vgl. Thomas Kuehn, Heirs, Kin, and Creditors in Renaissance Florence, Cambridge 2008.29 Dante Alighieri, Das Gastmahl. Viertes Buch. Italienisch-Deutsch, übersetzt von Thomas Rick-lin, eingeleitet und kommentiert von Ruedi Imbach in Zusammenarbeit mit Roland Béhar undThomas Ricklin, Hamburg 2004 (Philosophische Werke 4/IV), IV.11.6–7, 82–85: Dico che la loroimperfezione primamente si può notare ne la indiscrezione del loro avvenimento, nel quale nulladistributiva giustizia risplende, ma tutta iniquitade quasi sempre, la quale iniquitade è proprio effettod’imperfezione. Che se si considerano li modi per li quali esse vegnono, tutti si possono in tre manierericogliere: chè o vengono da pura fortuna, sì come quando sanza intenzione o speranza vegnono perinvenzione alcuna non pensata; o vengono da fortuna che è da ragione aiutata, sì come per testamentio per mutua successione; o vegnono da fortuna aiutatrice di ragione, sì come quando per licito o illicitoprocaccio: licito dico, quando è per arte o per mercatantia o per servigio meritante, illicito dico, quan-do è per furto o per rapina.30 Vgl. Hans Baron, Franziskanische Armut und bürgerlicher Reichtum in der humanistischen Ge-dankenwelt des Trecento: die Rolle Petrarcas (engl. 1938), in: ders., Bürgersinn undHumanismus imFlorenz der Renaissance, Berlin 1992 (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 38), 41–66; ders.,Franziskanische Armut und bürgerlicher Reichtum in der humanistischen Gedankenwelt des Tre-cento: die Rolle der Stadt Florenz (engl. 1938), in: ebd., 67–94.

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an der Wende zum 15. Jahrhundert änderte.31 Als ein wichtiger Beleg für denWandel gilt das Widmungsschreiben an Cosimo de’Medici, das Leonardo Brunider von ihm übersetzten, Aristoteles zugeschriebenen Ökonomik 1420 voran-stellte und wenige Jahre später gegen Kritik verteidigte.32 Aristoteles, so hielt erin einem Brief fest, habe den Reichtum unter die äußeren Güter, die bona exte-riora, subsumiert und im Hinblick auf die Erlangung des Glücks für ebensonotwendig erachtet wie die Güter des Körpers, die bona corporis, und die derSeele, die bona animae. Die Gewichtung der drei Bereiche werde durch die Artder Lebensführung bestimmt. Die vita contemplativa bedürfe der äußeren Gü-ter weniger als die vita civilis et activa und die Tat im Kleinen weniger als dergroße und edle Akt. Wenn er, Leonardo Bruni, also die Auffassung vertrete, dassder Reichtum nützlich, der Schmuck der Besitzenden und die Voraussetzungfür ein tugendhaftes Handeln sei, dass ferner die reich Geborenen leichter zuEhren und Würden gelangten als diejenigen, deren Fähigkeiten die ArmutGrenzen setze, und dass sich insofern jeder im eigenen Interesse, vor allem aberin dem der Kinder auf eine ehrenwerte Weise um die Mehrung des Reichtumsbemühen solle, befinde er sich mit Aristoteles durchaus im Einklang. Denn erverstehe den Schmuck nicht wörtlich, sondern als Großzügigkeit, als magnifi-centia, und den Reichtum nicht als Selbstzweck, sondern als ein Instrument zurVerwirklichung der Tugend.33 Auch der aus Rom stammende Stefano Porcari

Petra Schulte

31 Winfried Trusen, Handel und Reichtum. Humanistische Auffassungen auf dem Hintergrund vo-rangehender Lehren in Recht und Ethik, in: Lutz (s. Anm. 19), 87–103; Hubertus Busche, Die mora-lische Entgrenzung der Ökonomie in der Frührenaissance. Exemplarische Argumente des Florenti-nischen Stadtbürgerhumanismus 1400–1460, in: Wolfram Hogrebe in Verbindung mit JoachimBromand (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. XIX. Deutscher Kongress für Philosophie,Bonn, 23.–27. September 2002, Bonn 2004 (Vorträge und Kolloquien), 462–477; Patricia Lee Rubin,Images and Identity in Fifteenth-Century Florence, New Haven / London 2007, 34–42; ChristophBertsch, Eine Stadt erzählt. Judith, David und das Christuskind: Die vermeintlich Schwachen alsHelden der Civitas Florentinie, in: Christoph Bertsch / Philine Helas (Hg.), Florenz in der frühenNeuzeit. Stadt der guten Augen und bösen Zungen, Berlin 2013, 97–124, bes. 101–105.32 Gordon Griffiths, Leonardo Bruni’s Justification of the Pursuit of Wealth, in: The Journal ofEuropean Economic History 32.2 (2003), 351–359; Hermann Goldbrunner, Leonardo Brunis Kom-mentar zu seiner Übersetzung der pseudo-aristotelischen Ökonomik: Ein humanistischer Kom-mentar, in: August Buck / Otto Herding (Hg.), Der Kommentar in der Renaissance, Boppard 1975(Kommission für Humanismusforschung. Mitteilung 1), 99–118, bes. 110–115; Susanne Daub, Leo-nardo Brunis Rede auf Nanni Strozzi. Einleitung, Edition und Kommentar, Stuttgart / Leipzig 1996(Beiträge zur Altertumskunde 84), 92 mit Anm. 189.33 Griffiths (s. Anm. 32), 352–359. Zum Tugendbegriff in Florenz vgl. Quentin Skinner, RepublicanVirtues in an Age of Princes, in: ders., Vision of Politics, Bd. 2: Renaissance Virtues, Cambridge52010, 118–159. Zur Tugend der magnificentia vgl. Anm. 19. Ferner Guido Guerzoni, Liberalitas,Magnificentia, Splendor. The Classic Origins of Italian Renaissance Lifestyles, in: Neil De Marchi /Craufurd D. W. Goodwin (Hg.), Economic Engagements with Art, Durham / London 1999 (Histo-ry of Political Economy. Annual Supplement to Volume 31), 332–378; Fraser Jenkins, Cosimo de’-Medici’s Patronage of Architecture and the Theory of Magnificence, in: Journal of the Warburg andCourtauld Institutes 33 (1970), 162–170; Alessandro Polcri, L’etica del perfetto cittadino: la magni-ficenza a Firenze tra Cosimo de’Medici, Timoteo Maffei e Marsilio Ficino, in: Interpres 26 (2007),

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(†1453) hob, wahrscheinlich von Leonardo Bruni beeinflusst, in einer Rede, dieer als Capitano del Popolo 1427/1428 hielt, die Vorteile des Reichtums hervor:Dass wir Reichtümer (ricchezze) benötigen, scheint mir recht klar zu sein. Woher stam-men die Häuser und die Gebäude, die uns und unseren Familien Ruhe geben? Von denReichtümern! Woher erhalten wir die Kleidung, den Hausrat und den angemessenenSchmuck? Von den Reichtümern! Woher stammt das Essen für uns und unsere Kinder?Von den Reichtümern! Woher erhalten unsere Söhne Bildung und Tugend? Von denReichtümern! Woher erhalten wir die Möglichkeit, unsere Töchter zu verheiraten? Vonden Reichtümern! Aus diesen und anderen Gründen sehen wir, dass wir uns in der Re-publik, in der wir im Rahmen des Gesetzes und der guten Sitten tätig zu sein und Reich-tümer zu erwerben vermögen, gut mit allem versorgen können.34

Die Vermögensdifferenzen und die mit ihnen einhergehende Ungleichheit wur-den als mit dem Naturrecht in Einklang stehend empfunden,35 die Reichtümerüber deren redlichen Erwerb sowie die Verpflichtung, mit dem Überfluss dieNotleidenden zu unterstützen und – im Sinne der magnificentia – große Pro-jekte zum Lob Gottes und Wohl des Gemeinwesens zu finanzieren, legitimiert.Wie im gesamten Mittelalter sah man auch im 15. Jahrhundert die ökonomischeRationalität in einer gefährlichen Nähe zur Sünde der avaritia, des Geizes undder Habgier,36 doch begann sich, wie der Humanist Poggio Bracciolini (†1459)kritisch darstellte, die Definition der avaritia, die traditionell als Ursache zahl-reicher Fehlverhalten vom Betrug über denWucher bis hin zur Korruption galt,zu verengen.37 Für die wohlhabenden Fernkaufleute und Bankiers wurde dasStreben nach Reichtum von dem ihm per se unterstellten Laster gelöst und an

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

195–223; James R. Lindow, The Renaissance Palace in Florence. Magnificence and Splendour inFifteenth Century Italy, Aldershot 2007, chap. 1: Debated Concepts: Magnificence and Splendour,9–42; Peter Howard, Preaching Magnificence in Renaissance Florence, in: Renaissance Quarterly61.2 (2008), 325–369.34 Che le ricchezze sieno subordinate alle necessità di nostra vita, assai mi pare essere manifesto.Consideriamo la necessità privata: donde si preparano a noi le case e gli edifici, ne’quali usiamo,tranquillità quiete di noi e delle nostre famiglie? dalle ricchezze. Donde abbiamo li vestimenti, sup-pellettili, e opportuni ornamenti? dalle ricchezze. Donde abbiamo cibo e’suplementi per noi e per linostri figliuoli? dalle ricchezze. Donde facciamo i nostri figliuoli letterati e virtuosi? donde maritiamonoi le nostre figliuole? dalle ricchezze. Per le quali ed altre cose vediamo che vivendo la Repubblica,nella quale per li nostri esercizi possiamo nella città acquistare ricchezze, quanto la legge e’buonicostumi concedono, largamente possiamo provvedere a tutte necessità di nostra vita. Die Rede istediert in Prose del giovane Buonaccorso da Montemagno, hg. von G. B. Giulari, Bologna 1874,28–49. Zur umstrittenen Autorschaft vgl. Uwe Neumahr, Die Protestatio de Iustitia in der Floren-tiner Hochkultur. Eine Redegattung, Münster / Hamburg / London 2002 (Ars Rhetorica 13), 134.35 Vgl. Anm. 90.36 Vgl. Gene Brucker, Florenz in der Renaissance. Stadt, Gesellschaft, Kultur, Hamburg 1990 (engl.1969), 140–143.37 Poggio Bracciolini, De avaritia (Dialogus contra avaritiam), trascrizione, traduzione e note diGiuseppe Germano, post-fazione di Adriano Nardi, Livorno 1994. Eine deutsche Teilübersetzungfindet sich in Poggio Bracciolini, Habgier als Tugend / Poggius Florentinus, Dialogus de avaritia,übersetzt von Martin Schmeisser, in: Sabrina Ebbersmeyer / Eckhard Keßler / Martin Schmeisser(Hg.), Ethik des Nützlichen. Texte zur Moralphilosophie im italienischen Humanismus, München

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die Tugend gebunden, die ohne ein großes Vermögen kaum mehr denkbar er-schien.38 Dass sie zugleich immer weniger bereit waren, einen göttlichen Willenin der Verteilung und im Entzug von materiellen Gütern, wie ihn etwa der Do-minikaner und Erzbischof von Florenz Antonino Pierozzi (†1459) in der Sum-ma Theologica jenseits eines individuellen Fleißes am Werke sah,39 hinzuneh-men und gegen das Schicksal nach Möglichkeit den Kampf aufnahmen, zeugtvon ihrem neuen Selbstbewusstsein.40

3.

In seiner berühmten Grabrede für Nanni Strozzi formulierte Leonardo Bruni1428, dass der Zugang zu den städtischen Ämtern (honores) für jeden offen-stehe, der Fleiß und Begabung besitze und sein Leben wohlüberlegt führe.Von ihren Bürgern fordere die Stadt nämlich Tugend und rechtschaffene Tüch-tigkeit.41 Der Umstand, dass Tugendhaftigkeit für den Humanisten durchausgraduelle Abstufungen besaß bzw. in ihrer vollendeten, von nur wenigen Men-schen zu erreichenden Ausprägung auf der richtigen Konsumtion von Reich-tum beruhte, wird in dieser Rede, in der der republikanische Gleichheitsgedan-ke der Bürger, hier im Sinne einer Chancengleichheit, im Vordergrund stand, inseinen Konsequenzen nicht thematisiert.42

Petra Schulte

2007 (Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen II.36), 146–169. Vgl. Trusen (s.Anm. 31), 96–102.38 Vgl. Ebbersmeyer, Homo agens (s. Anm. 12), 183.39 Carl Ilgner, Die volkswirtschaftlichen Anschauungen Antonins von Florenz (1389–1459), Pader-born 1904, 158. ZumWirtschaftsdenken des Dominikaners allgemein vgl. ferner August Pfister, DieWirtschaftsethik Antonin’s von Florenz (1389–1459), Freiburg (Schweiz) 1946; Rudolf Schüssler,Antonino von Florenz als Ökonom. Eine Verteidigung, in: Roberto Lambertini / Leonardo Sileo(Hg.), I beni di questo mondo. Teorie etico-economiche nel laboratorio dell’Europa medievale. Attidel Convegno della Società italiana per lo studio del pensiero medievale (S.I.S.P.M.), Roma, 19–21 settembre 2005, Porto 2010 (Textes et études du Moyen Âge 55), 281–304; Monika Poettinger /Bertram Schefold, Wirtschaftsdenken im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Wieczorek /Rosendahl / Lippi (s. Anm. 21), 65–77, 73–75.40 Ehrengard Meyer-Landrut, Fortuna. Die Göttin des Glücks im Wandel der Zeiten, München /Berlin 1997, 135–152; Peter Vogt, Kontingenz und Zufall. Eine Ideen- und Begriffsgeschichte, Ber-lin 2011, 568–578.41 Daub (s. Anm. 32), 285: (19) Forma rei publice gubernande utimur ad libertatem paritatemqueciviummaxime omnium directa, que quia equalis est omnibus, popularis nuncupatur. Neminem enimunum quasi dominum horremus, non paucorum potentie inservimus: equa omnibus libertas, legibussolum obtemperans, soluta hominum metu. Spes vero honoris adipiscendi ac se attollendi omnibuspar, modo industria adsit, modo ingenium et vivendi ratio quedam probata et gravis; virtutem enimprobitatemque in cive sua civitas nostra requirit.42 Eine ausführliche Interpretation der Rede bieten Daub (s. Anm. 32); James Hankins, Rhetoric,History, and Ideology: The Civic Panegyrics of Leonardo Bruni, in: ders. (Hg.), Renaissance CivicHumanism. Reappraisals and Reflections, Cambridge 2000 (Ideas in Context 57), 143–170.

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Bis die Idealisierung und Legitimierung der bestehenden gesellschaftlichenHierarchie ihren Platz in der politischen Theorie erhielten, vergingen nur einigeJahre. Matteo Palmieri subsumierte in seinem wahrscheinlich zwischen 1433und 1436 geschriebenen und Alessandro degli Alessandri gewidmeten BuchDella vita civile43 die Vergabe der öffentlichen Ämter (honori publici) unter dieVerteilungsgerechtigkeit und notierte, dass sie sich nach der Würde eines jedenzu richten habe. Da sich das Volk in diesem Punkt jedoch nicht einig sei, stelle essich in der Republik als schwierig dar, die im Vergleich höhere Würde einerPerson zu bestimmen. Gemäß den Adligen undMächtigen bestehe sie im Reich-tum und in der Herkunft aus freigebigen und altehrwürdigen Familien, gemäßden Popularen in der Menschlichkeit und in der Wahrung des freien und friedli-chen Zusammenlebens und gemäß den Weisen (savi) in der praktiziertenTugend. Matteo Palmieri passte folglich Aristoteles an die florentinischen Gege-benheiten an und bezog dessen Aussage nicht auf unterschiedliche Verfassungs-formen, sondern auf verschiedene Positionen innerhalb der Stadt. Er selbstsprach sich für die Gleichsetzung der Würde mit der für den gemeinen Nutzenwirkenden Tugend aus,44 die auch bei ihm den Reichtum zur Grundlage hatte.45Der Einzelne dürfe nicht auf seine Vorfahren verweisen, sondern habe selbstüber Tugend zu verfügen und müsse ihr entsprechend handeln. Mit seiner ab-schließenden Aussage, dass bei der gleichen Tugendhaftigkeit zweier Männerder Adlige immer vorzuziehen sei,46 dürfte der Humanist dem Selbstverständnisdes florentinischen Patriziats entsprochen haben, dem er als sozialer Aufsteigereinen Vorrang zugestand oder zumindest rhetorisch Reverenz erwies. DerAdelsbegriff kann damit auf den engsten Kreis der florentinischen Elite bezogenwerden,47 zu der seit dem Herbst 1434 auch wieder die rund 140 Jahre vom

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

43 Zur unsicheren Datierung vgl. Giuliano Tanturli, Sulla data e la genesi della Vita Civile di MatteoPalmieri, in: Rinascimento 2.36 (1996), 3–48.44 Matteo Palmieri (s. Anm. 10), III.157–159, 136: La degnità di ciascuno è quella secondo la qualedebbono essere distribuiti gl’honori publici. Difficile cosa è in ella republica provare di cui sia ladegnità magiore, però che di quella infra il popolo variamente si dissente: e nobili et potenti diconola degnità essere posta nelle abondanti facultà et nelle famiglie generose et antiche, i popolari nellahumanità et benigna conservatione del libero e pacifico vivere, e savi dicono nella operativa virtù.Coloro che nella città aranno a distribuire gl’honori, seguitando il più approvato consiglio, queglisempre ne’ più virtuosi conferischino, però che, dovendo con quegli alla degnità conrispondere, niunacosa sarà mai più degna fra gl’huomini che la virtù di chi per publica utilità se exercita. Chi per levirtù de’ passati cerca gloria spoglia sé d’ogni merito d’honore, et misero è / certo colui che consuma lafama de’padri antichi. Vgl. John M. Najemy, Civic Humanism and Florentine Politics, in: Hankins(s. Anm. 42), 75–104, 93–95.45 Neumahr (s. Anm. 34), 132 f.46 Matteo Palmieri, Vita Civile (s. Anm. 10), III.159, 136 f.: Dia exemplo di sé et non de’suoi chimerita honore, preponendo sempre la nobilità, quando sono pari virtù.47 Zur Frage Che cosa sia nobiltà vgl. die über Florenz hinausgehenden Betrachtungen von Élisa-beth Crouzet-Pavan, Renaissances italiennes 1380–1500, Paris 2007 (Bibliothèque de „l’Évolutionde l’humanité“), 486–498.

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politischen Leben ausgeschlossenen Magnaten zählten.48 Im Gegensatz zurStadt Venedig, in der sich die optimates durchgesetzt hätten, wurde wenig späterfür Florenz konsequent der Wandel von einer gubernatio popularis hin zu einerMischverfassung konstatiert, in der sich von den populares auf der einen und denoptimates auf der anderen Seite geprägte Strukturen und Institutionen fänden.49Es gehört zu den Spannungsfeldern dieser Zeit, dass diejenigen Familien des

Patriziats, die mit dem Sieg der Partei der Medici über die der Albizzi nicht alsGegner der ersten gebrandmarkt wurden und insofern vom Exil verschont blie-ben, weiterhin ihre herausragende Stellung und eine Umdeutung der älterenpolitischen Leitideen durchzusetzen versuchten, während Cosimo de’Mediciparallel seinen Vorrang in der Stadt ausbaute und in seinem Beziehungsnetz diesoziale Grenze zwischen Ober- und Mittelschicht souverän überschritt.50 Rich-ten wir den Blick auf die Realität der Ämtervergabe, wird zudem CosimosMachtpolitik deutlich.51 Traditionell musste der Einzelne, um ein Amt imhöchsten Leitungskollegium der Stadt, der Signoria, zu erlangen, zunächst voneiner Kommission aufgestellt und im sogenannten Squittinio geprüft und bestä-tigt werden, was im Abstand von mehreren Jahren geschah. Erst dann gelangtesein Name in einen der Losbeutel, die von gewählten Amtsträgern, den Acco-piatori, gefüllt, in der Kirche Santa Croce aufbewahrt und alle zwei Monate zumZweck der Neubesetzung der Ämter in den Kommunalpalast getragen wurden.In diesem erfolgte die Ziehung der Lose, die Überprüfung der Namen auf even-tuell bestehende Hindernisse der Amtsübernahme und die Verkündigung derneuen Amtsträger.52 Da eine Einflussnahme auf den Squittinio jenseits der Strei-chung der exilierten Gegner aus der Liste der wählbaren Personen eine zu of-fensichtliche Veränderung des gesellschaftlichen Gefüges bedeutet hätte, setzteCosimo de’Medici an anderer Stelle an und ließ die von ihm bestochenen bzw.seinem Netzwerk angehörenden Accopiatori abhängig von der politischen Si-tuation einzelne oder alle Losbeutel manipulieren.53

Petra Schulte

48 Reinhardt, Geld und Freunde (s. Anm. 15), 111.49 Protesto di Giannozzo Manetti, in: Emilio Santini, La Protestatio de Iustitia nella Firenze Medi-cea del sec. XV (Nuovi testi in volgare del Quattrocento), in: Rinascimento 1.10 (1959), 33–106, 58:In populare Vinetia turnò lo stato degli optimati; Firenze in parte degli optimati e in parte populare.Zu dieser, wahrscheinlich 1444 gehaltenen Rede siehe Anm. 55. Früher wurde die Mischverfassungin der auf Griechisch verfassten Schrift Ton Florentinon Politeias (1439) erwähnt. Athanasios Mou-lakis, Leonardo Bruni’s Constitution of Florence, in: Rinascimento 2.26 (1986), 141–190 (Edition:174–190). Vgl. hierzu Russell Dees, Bruni, Aristotle, and theMixed Regime in „On the Constitutionof the Florentines“, in: Medievalia et Humanistica 15 (1987), 1–23; Daub (s. Anm. 32), 159 f.50 Vgl. Höchli (s. Anm. 21), 295.51 Siehe Anm. 21.52 Ulrich Meier, „Nichts wollen sie tun ohne die Zustimmung ihrer Bürger“ – Symbolische undtechnische Formen politischer Verfahren im spätmittelalterlichen Florenz, in: Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Vormoderne politische Verfahren. Tagung in Münster, September 1999, Berlin 2001(Zeitschrift für Historische Forschung. Beihefte 25), 175–206.53 Reinhardt, Geld und Freunde (s. Anm. 15), 114–118.

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Nicht jeder goutierte die öffentlich nicht kommunizierte und doch allgemeinbekannte Intervention zugunsten der Parteigänger der Medici, die sich in ande-rer Form auch bei der Vergabe weiterer städtischer Ämter fortsetzte.54 Im Jahr1444 (?) bemerkte etwa Giannozzo Manetti in seiner Protestatio de Iustitia –einer Rede, die der amtierende Gonfaloniere di Compagnia nach dem Antritteiner neuen Signoria hielt, um die ihr unterstehenden Magistrate zur Gerechtig-keit zu ermahnen –, dass er seine Vorgänger noch nie von der aristotelischenVerteilungsgerechtigkeit reden gehört habe. Stets sei sie nur kurz erwähnt undihre Wirkung gepriesen worden; er hingegen beabsichtige, ihre Grundzüge zuerläutern.55 Es sei Aufgabe der städtischen Regierung, so lautete die Quint-essenz, darauf zu achten, dass die Ämter aus Gründen etwa der Bevorzugungvon Familienangehörigen oder Freunden nicht an die falschen, lasterhaftenMänner gegeben würden, die den Schlechten ein Vorbild und den Guten einSchrecken seien. Eine solche Vorgehensweise gereiche der Stadt zum Schadenund führe zu Aufruhr, Belagerungen und Machtübernahmen, Teilung der Bür-gerschaft, Exil, Zerstörung der Häuser sowie anderen furchtbaren Dingen.561415 war die Protestatio de Iustitia von der Kommune normativen Regelungenunterworfen worden, die sie, wie der Romanist Uwe Neumahr in seiner 2002erschienenen Dissertation herausarbeitet, ihres kritischen Potentials weitgehendberaubt hatten. Die Rede musste seitdem, wie es in den Statuten hieß, die üb-lichen Bezeugungen, Ermahnungen und Beistandsangebote enthalten und sichin ihren Zitaten an der Heiligen Schrift, den klassischen Texten der Dichter und

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

54 Vgl. Höchli (s. Anm. 21), 168 f.55 Protesto di Giannozzo Manetti (s. Anm. 49), 57: La terza giustitia si è distributiva, la quale nonde’ campi, delle pareti o della pecunia è ministra, ma degli ufici, degnità e honori, e quella dispensa-trice, perché io non [h]o mai in questo loco di questa giustitia udito parlare, ma solamente sermonan-do laudare et commendare gli acti d’essa, e però mi piace d’alarghare el freno. Vgl. Heinz Willi Witt-schier, Giannozzo Manetti. Das Corpus der Orationes, Köln / Graz 1968, 61–65.56 Protesto di Giannozzo Manetti (s. Anm. 49), 57 f.:Dico adunque che questa giustitia s’apartiene avoi di conservare, magnifici e gloriosi signori, nostri venerabili collegi, capitani di parte guelfa e voialtri uficiali e cosultori; però che, quando el dare gli ufiti della nostra ciptà, voi gli dessi a huominivitiosi che per malvagia arte aquistano quegli e che allora essi vitiosi per lo pessimo exemplo neprendono audacia et vigore e buoni ne prendono spavento e terrore perché veggiono nella ciptà esseredi maggiore pregio el vitio e lla malitia che non è la virtute e lla bontate e interviene che nne lascianoil timone e il governo della repubblica, come confessa Platone philosopho ateniese in una sua epistulaavere fatto (Plato, Epist. I, IV; V, I. Dione a Dionisio). Dato che egli fusse di questa doctrina consi-gliatore e confortatore che ogni buon huomo prendesse el governo della sua ciptà e questo à ciò che icattivi non si ponessino a sedere nel luogo de’ buoni, niente di meno egli non volse mai in essa ciptàalcuno hufitio dato, con ciò sia cosa che molto spesso dai parenti e amici ne fussi invitato e confortato;sicché egli è d’avere riguardo grandissimo nel rendere delle vostre fave agli huomini vitiosi, nonmultiplicassono nella vostra ciptà e quella faccino poi con grandissimo danno pericolare; però chequinci nascono e manifesti scandali, l’obsedioni e postate, el partimento de’ ciptadini, lo exilio d’essi,l’abattimento delle case e tanti e sì orendi mali, che el è meglio tacergli, perché, volendo exprimergli,mancherebbe el tempo. (…).

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den Gesetzen anlehnen.57 Gleichwohl ist davon auszugehen, dass ihre Inhaltenicht zufällig gewählt wurden. Mit der Korruption bzw. der Parteilichkeit beider Besetzung der Ämter hatte Giannozzo Manetti einen Punkt angesprochen,der in Florenz zwar seit langem als ein grundsätzliches Problem galt,58 unterCosimo de’Medici jedoch als besonders heikel empfunden wurde.In der von ihm in den 1450er Jahren zusammengestellten Summa Theologica

erklärte der Erzbischof Antonino Pierozzi allgemein, dass man bei der Vertei-lungsgerechtigkeit – im Gegensatz zur Freigebigkeit – in der Auswahl der zubedenkenden Person sowie der Art und des Umfangs der Gabe nicht frei sei.Man müsse geben, was man schulde.59 Ämter und Wohltaten (officia et benefi-cia) hätten diejenigen zu erhalten, die dem Gemeinwohl besser als andere dien-ten. Rechtlich reiche es zwar, den Guten und nicht den Besseren auszuwählen,da sonst jede Entscheidung angefochten werden würde. Im Hinblick auf dasGewissen jedoch empfehle er den Vorzug des Besseren. Dabei habe die Auswahlinsofern ohne das Ansehen der Personen zu erfolgen, als dass Freundschaftenund Verwandtschaften unberücksichtigt bleiben müssten, um nicht gegen dasPrinzip der acceptio personarum zu verstoßen.60Eine andere, weniger neutrale, sondern unmittelbar politische Unterschei-

dung zwischen dem „Guten“ und dem „Besseren“ wählte der Humanist Nicco-lò Tignosi (†1474) in seinem Kommentar der Nikomachischen Ethik, den erEnde der 1450er/Anfang der 1460er Jahre verfasste. 1458 waren in einem Mo-ment der Krise nicht nur erneut politische Gegner ins Exil geschickt worden,sondern die Anhänger der Medici hatten zudem einen Squittinio einberufen,

Petra Schulte

57 Neumahr (s. Anm. 34), 36–41.58 Zur Korruption bei der Ämtervergabe und den Strategien ihrer Vermeidung vgl. Moritz Isen-mann, Rector est raptor. Korruption und ihre Bekämpfung in den italienischen Kommunen desspäten Mittelalters, in: Arne Karsten / Hillard von Thiessen (Hg.), Nützliche Netzwerke und kor-rupte Seilschaften, Göttingen 2006, 208–230, bes. 217–224.59 Antoninus, Summa Theologica (s. Anm. 23), pars quarta, 5.3.1, Sp. 181 f.: Quantum ad collatio-nem beneficiorum, et honorum, est sciendum secundum B. Thomam 2.2. quaest. 63. quod duplex estdatio. Una pertinens ad liberalitatem, qua scilicet gratis datur alicui, quod ei non debetur, sicut quumaliquid alteri donatur. Et ibi non habet locum acceptio personarum, quia absque injustitia potest quisdare de suo quantum vult, et cui vult. Et talis est collatio munerum gratiae, per quae assumunturpeccatores a Deo. Alia datio est pertinens ad justitiam, qua scilicet alicui datur quod ei debetur.60 Ebd., Sp. 182: Debentur autem officia et beneficia his, qui sunt meliores ad aliqua pro bono com-munitatis. Ad quod debet attendere qui habet ista conferre. Et quamvis secundum jura sufficiateligere bonum, nec requiratur quod eligatur melior, hoc secundum B. Thomam est verum in forojudiciali, quod scilicet talis electio non potest impugnari, si est facta de bono, et non de meliori. Et hoc,quia, si non fieret, sic omnis electio haberet calumniam. Sed quantum ad conscientiam eligentis,necesse est eligere meliorem, vel simpliciter vel in comparatione ad bonum commune. Alias si prae-ponatur minus bonus meliori, idest aptiori ad beneficium vel officium ratione consanguinitatis, velamicitiae, hujusmodi pertinet ad acceptionem personarum, quod in collatione spiritualium est magisreprehensibile.Und an anderer Stelle: Similiter de officiis communitatis, quia magis aptis debent dis-tribui, nisi forte magis aptus haberetur suspectus de aliqua novitate, et hujusmodi; sed certe non estmagis aptus, si est perturbativus boni communis.

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der den Kreis der Bürger mit passivem Wahlrecht neu festlegte.61 Niccolò Ti-gnosi gelangte angesichts dessen zu der Überlegung, dass die Würden nichtschlicht nach den Verdiensten einer Person vergeben werden könnten, weil dieVerteilungsgerechtigkeit die jeweilige Situation zu berücksichtigen habe. Dennetwas, das für das Gemeinwesen das Beste darstelle, sei nicht zwangsläufig imabsoluten Sinne gut, was das Beispiel der Vertreibung der gegnerischen Fraktionaus der Stadt zeige. Ein Bürger müsse demgemäß in zweierlei Hinsicht betrach-tet werden: einmal absolut und einmal in Bezug auf den gemeinen Nutzen.Folglich sei denkbar, dass der weniger Gute hinsichtlich des gemeinen Nutzensaufgrund seiner Macht und seiner Betriebsamkeit der Bessere und ihm die Wür-de bzw. das Amt zu geben sei. DemUmstand gemäß entspreche das der Gerech-tigkeit.62 In den humanistischen Kreisen in Florenz war das umfangreiche Werkvon Niccolò Tignosi stark umstritten. Sein Bemühen etwa um eine allgemein-verständliche Erläuterung der aristotelischen Gedanken kam nicht bei allen gutan.63 Der wenig später entstandene Kommentar der Nikomachischen Ethik vonDonato Acciaiuoli (†1478) beispielsweise ging im Kontext der Verteilungs-gerechtigkeit über die Erörterung der zu errechnenden Proportionalität nichthinaus.64

4.

Seltener als die gerechte Verteilung von Ämtern wurde in Florenz diejenige vonöffentlichen Geldern thematisiert. Matteo Palmieri, der auf diesen Aspekt in

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

61 Molho (s. Anm. 21), 50 f.; Reinhardt, Geld und Freunde (s. Anm. 15), 118–123.62 Biblioteca Medicea Laurenziana (BML), Plut. 76.49 (Nicolai Tignosi Fulginatis expositio in ethi-cam Aristotelis), fol. 80va: Et dixit quodammodo quoniam in gubernando non possunt omnes dig-nitates distribui secundum merita, propterea talis distributio non est iusta simpliciter, sed quodam-modo. Nam interdum facimus id quod pro communitate melius est quod non est absolute bonus, utenim ex urbe factiones amoverentur principibus factionum. (…). Potest civis considerari dupliciter:uno modo in se et absolute ut civis est, alio modo per conperationem ad bonum comune, quo fitaliquando eum qui minus bonus est ad utilitatem communem magis conferre vel propter potentiamvel propter industriam. Et quoniam distributiones bonorum vel dignitatum ad utilitatem communemfieri debent, propterea interdum minus merentibus datur dignitas vel pretura. Quod, si simpliciteriustum non sit, est tamen iustum quodammodo.Der Text ist in der BML in einem zweiten Exemplarüberliefert (Plut. 76 cod. 48, fol. 90v).63 Antonio Rotondò, Nicolò Tignosi da Foligno: polemiche aristoteliche di un maestro del Ficino,in: Rinascimento 1.9 (1958), 217–255; Mario Sensi, Niccolò Tignosi da Foligno, l’opera e il pensiero,in: Annali della facoltà di lettere e filosofia dell’Università degli studi di Perugia 9 (1971), 359–495;Lines (s. Anm. 22); ders., Aristotele’s Ethics in the Italian Renaissance (ca. 1300–1650). The Uni-versities and the Problem of Moral Education, Leiden / Boston / Köln 2002 (Education and Societyin the Middle Ages and Renaissance 13), 185–206.64 Biblioteca Medicea Laurenziana, Strozzi 53 (Expositio Donati Acciaioli Florentini supra librosethicorum Aristotelis in novam inductionem Argyropili Bisancii ad clarissimum virum CosimumMedicem), fol. 1r–177r, fol. 70r–72r.

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seinem BuchDella vita civile einging, nahm erneut auf die ‚Weisen‘ Bezug. Die-se seien sich einig, dass, wenn sich der Haushalt im Plus befinde, der Überschussgerechterweise an diejenigen ausgezahlt werden müsse, die die Stadt in Notzei-ten finanziell unterstützt hätten.65 Offensichtlich spielte Matteo Palmieri aufden Monte Comune an, der sich in Florenz in den 1340er Jahren entwickelthatte und als öffentliche Bank die Funktion besaß, die Stadt bei der Finanzie-rung ihrer Aufgaben, insbesondere der von ihr geführten Kriege, zu unterstüt-zen. In denMonte Comune flossen nicht nur die Zwangsanleihen (prestanze),66sondern auch die Kredite derjenigen wohlhabenden Bürger, von denen es inPoggio Bracciolinis De avaritia (1428) heißt, dass sie als ein privater Geldspei-cher fungierten, auf den bei Bedarf zurückgegriffen werde.67 Die Schulden kon-solidierte man mit fünf Prozent,68 so dass prinzipiell eine Umverteilung derSteuern, die in der Stadt als indirekte Steuern (gabelle) und auf dem Land alsGrundsteuern (estimo) eingezogen wurden, zugunsten der reichen Gläubigergefördert wurde.69 Da es wirtschaftliche Krisensituationen allerdings phasen-weise unmöglich machten, die Anleihen, mit denen gehandelt wurde, zu tilgenoder auch nur die Zinsen zu zahlen, war das Vertrauen in den Monte Comuneunbeständig und die Bereitschaft, unter Druck oder sogar freiwillig Darlehen zugewähren, nicht immer gleich hoch.70In dem Fall, in dem die Stadt ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukom-

men vermöge und der öffentliche Reichtum wachse, fuhr Matteo Palmieri fort,solle das Geld nicht gehortet bzw. nicht zum toten Kapital werden, das wederNützliches noch Schönes hervorbringe. Vielmehr habe Florenz dann für die

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65 Matteo Palmieri (s. Anm. 10), III.169, 138 f.: Conosciuto la degnità essere posta in ella virtù etsecondo quella dovere distribuire gl’honori, convenientemente segue dimonstrare in che modo sidebbono distribuire le pecunie publici. Unitamente s’acordono i savi civili che, quando l’entrate dellecittà s’hanno a distribuire, sia iusto assegnare quelle secondo la ragione di chi più pecunie ha in ebisogni della patria conferito.66 Vgl. Marvin B. Becker, The Monte from Its Founding Until the Late Fourteenth Century, in:ders., Florence in Transition, Bd. 2, Baltimore 1968, 151–200; Anthony Molho, Florentine PublicFinances in the Early Renaissance, 1400–1433, Cambridge, Mass. 1971 (Harvard Historical Mono-graphs 65), 4–112.67 Bracciolini, Habgier als Tugend (s. Anm. 37), 79:Quam ob causam, ut in bene moratis populis accivitatibus constituuntur horrea publica ad subministrandum frumentum in caritate annonae, itapercommodum foret plures in eis collocari avaros, qui essent veluti privatum horreum pecuniarum,quod suppeditaret nobis privatim et publice subsidium ad res vel pace vel bello quod maxime pecuniageritur.68 Zum Problem der Verzinsung vgl. Julius Kirshner, Reading Bernardino’s Sermon on the PublicDebt, in: Domenico Maffei / Paolo Nardi (Hg.), Atti del Simposio Internazionale Cateriniano-Ber-nardiniano, Siena, 17–20 aprile 1980, Siena 1982, 547–622; Lawrin Armstrong, Usury and PublicDebt in Early Renaissance Florence: Lorenzo Ridolfi on the Monte Comune, Toronto 2003 (Studiesand Texts 144).69 Michael North, Europa expandiert. 1250–1500, Stuttgart 2007 (Handbuch der Geschichte Euro-pas 4), 307. Zu den genannten Steuern vgl. Molho (s. Anm. 66), 22–59.70 Vgl. Goldthwaite, Economy (s. Anm. 24), 495–504.

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eigenemagnificentia und zur Erhöhung der allgemeinen Lebensqualität den Er-findungsgeist sowie die Künste und das Handwerk zu fördern und entsprechen-de Aufträge zu vergeben. Die Verteilung der Gelder, die Entlohnung, habe mitVernunft und Maß in Anbetracht der vollbrachten Leistung zu erfolgen und seiwesentlich einfacher als die Verteilung der Lasten.71

5.

Die Festsetzung der Höhe der Zwangsanleihen ergab sich aus dem situativenFinanzbedarf der Stadt, der auf die einzelnen Viertel (gonfalonieri) umgelegtwurde. In jedem gonfaloniere schätzten neun mit dieser Aufgabe beauftragteGremien das Vermögen der einzelnen Haushalte und setzten auf dieser Basisfür jeden eine zu zahlende Summe fest. Um den endgültigen Betrag zu erhalten,wurden die drei höchsten und die drei niedrigstenWerte gestrichen und aus demRest der Durchschnitt errechnet. In einem letzten Schritt wurden die Ergebnissealler Haushalte miteinander verglichen und die Forderungen so angepasst, dassdie Stadtviertel der ihnen jeweils auferlegten Zahlungsverpflichtung nachkom-men konnten.72 Vor dem Hintergrund dieses für Korruption anfälligen Verfah-rens ermahnten die Väter ihre Söhne, Freundschaften zu schließen, sich keineFeinde zu machen und die eigene finanzielle Situation herunterzuspielen. Prahlenicht mit großen Einkünften, riet Giovanni Morelli (†1444) in seinen die Jahre1393 bis 1411 umfassenden Ricordi,73 mache vielmehr das Gegenteil.Wenn du 1.000 Florin verdienst, spreche von 500, wenn du 1.000 Florin ausgibst, verhaltedich ebenso. Und wenn die 1.000 Florin nicht zu verschleiern sind, behaupte, sie seienvon anderen. Decke deine Einkünfte niemals auf. Wenn du 10.000 Florin besitzt, richtedeine Lebensführung in der Wortwahl, deiner Kleidung und der deiner Familie, denSpeisen, den Bediensteten und der Pferdehaltung derart aus, als würdest du nur über

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

71 Matteo Palmieri, Vita Civile (s. Anm. 10), III.170 f., 139.: Se le richeze publici avanzassino, poisarà ristituito a ciascuno quanto avesse conferito, non sieno in massa morta ragunate, dove né utilitàné bellezza si vegga di quelle, et la città si priema et sia di danari muncta, ma in magnificentia etutilità di commodi communi sia qualche singulare cosa ordinata, dove gli ’ngegni, l’arti et qualuncheforza humana quanto più può se exerciti, et secondo le virtù o facte opere o favori prestati, sieno talipecunie con ragione et ordinata misura in particulare a ciascuno per premio distribute. Qualunche diqueste distributioni di pecunia, perché dopo il ricevuto benificio a chi già ha meritato si fanno, sonomeno difficili. Siehe auch Anm. 87. Zum gerechten Lohn vgl. Christian Hecker, Lohn- und Preis-gerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichti-gung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Ethik und Ökonomie 6).72 David Herlihy / Christiane Klapisch-Zuber, Les Toscans et leurs familles. Une étude du Catastoflorentin de 1427, Paris 1978, 3 f.73 Vgl. Leonida Pandimiglio, Art. Morelli, Giovanni, in: Dizionario Biografico degli Italiani 76(2012), 615–619 (in digitaler Version: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovanni-morelli_(Dizionario-Biografico)/).

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5.000 Florin verfügen. Gewähre niemandem, keinem Verwandten, keinem Freund, kei-nem Gesellschafter Einblick in dein Handeln. Lasse aber einen Freund auf dem Land, aneinem sicheren Ort, ein heimliches Lager mit Öl und einer anderen guten Sache anlegen.Und verrate dich nicht durch ein Übermaß an Besitztümern. Kaufe so viel, wie du fürdein Leben brauchst, und treffe deine Entscheidung nach dem Nutzen, nicht der Reprä-sentativität.74

Weiter schrieb er:Beschwere dich immer über die Steuerlast, sage, dass du eigentlich nur die Hälfte zahlenmüsstest, dass du Schulden, große Ausgaben und hinterlassene Verpflichtungen von dei-nem Vater hast. Weise auf Verluste hin, auf geringe Einnahmen, auf die noch ausstehen-den Käufe vonWein, Brot und Holz. Aber übertreibe nicht, bleibe so nahe bei der Wahr-heit, dass dir geglaubt und du nicht für einen Lügner gehalten wirst. Hüte dich in jederanderen Situation vor der Unwahrheit wie vor dem Feuer. Hier jedoch ist sie erlaubt, dadu dich ihrer nicht bedienst, um einem anderen etwas wegzunehmen, sondern um zuverhindern, dass dir entgegen deiner Schuldigkeit etwas genommen wird.75

Eine geschickte Verschleierungstaktik, Freundschaften und die Zugehörigkeitzur Führungsschicht vermochten die Abgaben für den Einzelnen erheblich zusenken, was in den städtischen, Rat gebenden Versammlungen in den 1420erJahren verstärkt als Missstand und ein Problem der Verteilung diskutiert wur-de.76 Francesco di Lorenzo Machiavelli, Doktor des kanonischen Rechts, hob1422 beispielsweise hervor, dass in einer Stadt alle Bürger sia negli onori chenegli oneri – sowohl Bezug auf die Ehren als auch auf die Lasten – gleich zubehandeln seien.77

Petra Schulte

74 Giovanni di PagoloMorelli, Ricordi, hg. von Vittore Branca, Florenz 1956, 251 f.:Appresso, non timillantare di gran guadagni, di gran ricchezza. Fa il contradio: se guadagni mille fiorini, dì di cin-quecento; se ne traffichi mille, dì il simile; se pure si vede, dì: „E’ sono d’altri“. Non ti iscoprire nelleispese: se se’ ricco di diecimila fiorini, tieni vita come se fussi di cinque, e così dimostra nelle parole, nelvestire di te e della tua famiglia, nelle vivande, ne’ fanti e ne’ cavalli; e in tutte altre dimostrazioninon te ne iscoprire mai con persona, né con parente né con amico né col compagno. Ma da parte e dinascoso fa da te un diposito segreto, un’endica d’olio e di cosa buona e sicura per non dimostrarti intutto; e queste cose fa sieno sacrete, falle fare a un amico in contado, in luogo sicuro. Non ti iscoprire inmolte possessioni: compera quelle sieno abbastanza alla vita tua, non comperare poderi di troppaapparenza, fa che sieno da utile e non di mostra.75 Ebd., 252 f.: Rammaricati sempre della gravezza: che tu non meriteresti la metà, che tu abbi debi-to, che tu hai le spese grandi, gl’incarichi de’ lasci di tuo padre, che tu abbi perduto nella mercantia,che tu abbi poco ricolto, che tu arai a comperare il grano e ’l vino e le legne e ciò che ti bisogna. E nonle mettere però sì inorma che si sia fatto beffe di te: dì la bugia presso alla verità per modo ti siacreduta e che tu non sia iscorto per un bugiardo. E guarti come dal fuoco di non usare bugie se nonin quest’atto: e questo t’è lecito perché tu non lo fai per torre quello di persona, ma fai perché e’ non tisia tolto il tuo contra il dovere.76 Molho (s. Anm. 66), 113–152.77 Zitiert nach: Elio Conti, L’imposta diretta a Firenze nel Quattrocento (1427–1494), Rom 1984(Studi storici – fasc. 136–139), 108. Zur Forderung der equalitas onerum vgl. auch Ulrich Meier,Der falsche und der richtige Name der Freiheit. Zur Neuinterpretation eines Grundwertes der Flo-rentiner Stadtgesellschaft (13.–16. Jahrhundert), in: Klaus Schreiner / Ulrich Meier (Hg.), Stadtregi-

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1427 schließlich ersetzte man die Zwangsanleihen durch den Kataster, eineVermögenssteuer, und schuf damit die Grundlage für die zweite der beiden For-derungen.78 Jeder Haushalt war nun für seine eigene Steuererklärung verant-wortlich und hatte eine Erklärung abzugeben, in der u.a. die Namen und dasAlter der der Kernfamilie angehörigen Personen (bocche), eine Beschreibungdes Eigentums in der Stadt und auf dem von ihr beherrschten Land, demConta-do, die Investitionen in die öffentliche Schuld, denMonte Comune, der Umfangder geschäftlichen Transaktionen einschließlich des angelegten Kapitals, der ak-tuellen Lagerbestände und des als Kredit vergebenen Geldes sowie schließlichalle Verbindlichkeiten festzuhalten waren. Bei der Berechnung des zu besteuern-den Vermögens wurden der Hauptwohnsitz ausgenommen und die Lebenshal-tungskosten von 200 Florin pro Person abgezogen.79 DasNettovermögenwurdemit fünf Prozent besteuert.80 Die der Kernfamilie angehörigenMänner (teste) imAlter zwischen 18 und 60 Jahren hatten darüber hinaus Steuern auf den genann-ten Freibetrag von 200 Florin zu zahlen, die abhängig von ihrem sozialen Status,ihrer Gesundheit bzw. ihrer Leistungsfähigkeit und der von ihnen ausgeübtenTätigkeit (stato, sanità, qualità, industria et exercitio) zwischen zwei und sechsSolidi schwankten.81 Ein Nettovermögen unter 36 Florin war von der Steuer-pflicht ausgenommen.82Die Einführung des Katasters wurde vom Patriziat zum Teil kritisch betrach-

tet. Die ihm angehörigen Familien hatten – ohne Hoffnung auf Begünstigun-gen – hohe Summen zu zahlen, auch wenn sie der Steuersatz von fünf Prozentabsolut gesehen nicht in dem Maße traf wie die weniger Vermögenden und beider Angabe einzelner Posten, wie etwa der Geschäftsgewinne, durchaus mani-puliert wurde.83 Da die finanziellen Leistungen für das Gemeinwesen anderer-seits aber ein Argument für ihren Führungsanspruch und zugleich ein Zu-

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

ment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des SpätenMittelalters und der Frühen Neuzeit, Göttingen 1994 (Bürgertum 7), 37–83, 47 f. mit Anm. 35.78 Otto Karmin, La legge del catasto fiorentino del 1427 (Testo, introduzione, note), Florenz 1906;Ugo Procacci, Studio sul catasto fiorentino, Città di Castello 1996 (Quaderni di „Rinascimento“24). Vgl. ferner die grundlegende Arbeit von Herlihy / Klapisch-Zuber (s. Anm. 72) sowie die Auf-bereitung der Daten im Internet: http://cds.library.brown.edu/projects/catasto/ (Online Catasto of1427. Version 1.3, hg. von David Herlihy u. a. [Machine readable data file based on David Herlihy /Christiane Klapisch-Zuber, Census and Property Survey of Florentine Domains in the Province ofTuscany, 1427–1480]. Florentine Renaissance Resources / STG BrownUniversity, Providence, R. I.,2002). In seiner 2009 erschienenen Studie The Economy of Renaissance Florence nimmt Richard A.Goldthwaite für 1427 eine Einteilung der Bevölkerung in Schichten vor. Er weist darauf hin, dasseine gesicherte Interpretation des Befundes der noch fehlenden wirtschaftsgeschichtlichen Auswer-tung des Catasto bedürfe. Goldthwaite, Economy (s. Anm. 24), 560–567.79 Procacci (s. Anm. 78), 21 f.80 Ebd., 22 mit Anm. 66.81 Karmin (s. Anm. 78), cap. 33, 28; Procacci (s. Anm. 78), 22 f. Zur florentinischen Währung (240Denare = 20 Solidi = 1 Florin) ebd., 89 f.82 Herlihy / Klapisch-Zuber (s. Anm. 72); Goldthwaite, Economy (s. Anm. 24), 562f.83 Vgl. Goldthwaite, Economy (s. Anm. 24), 505 f.

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geständnis an die breite Bürgerschaft boten, akzeptierten sie das neue Steuer-system.84 Entsprechend äußerte der Magister Galileus Johannis Galilei im Feb-ruar 1430/1431 in einer Versammlung, dass jeder Streit in der Stadt in der unsi-cheren Verteilung der honores und onera begründet liege. Nun sei die Letzteregut geregelt, während die Vergabe der Ehren noch Schwächen aufweise.85 Wiewir oben gesehen haben, sollte sich die Situation in den folgenden Jahren eherverschlimmern als verbessern.Eine theoretische Reflexion erfuhr der Kataster bei Matteo Palmieri,86 der in

Della vita civile die Verteilung der Lasten (gravezze) neben der von Ämtern undöffentlichen Geldern als ein Phänomen der iustitia distributiva aufgriff und dieSchwierigkeit der Frage betonte, nach welchen Prinzipien den Bürgern Steuernaufgebürdet werden dürften, wenn es das öffentliche Bedürfnis erfordere. Zwarkönne eine wahre Gerechtigkeit kaum erreicht werden, da keiner sein Vermögenoffenlege und eine gute Regelung insofern unmöglich sei. Gleichwohl müsse inder Leitung eines jeden Gemeinwesens die Maxime befolgt werden, dass nie-mandem Schaden zuzufügen und dem gemeinen Nutzen zu dienen sei. In ihrerUmsetzung, die nie hundertprozentig gelinge, solle Sorgfalt gewahrt werden,um Fehler bei der Festsetzung der Steuern nach Möglichkeit zu vermeiden unddie Einheit der Bürger nicht zu gefährden. Häufig herrsche zwischen der Ver-teilung der Ämter und der der Lasten ein derartiges Ungleichgewicht, dass vieleeine begründete Korrelation zwischen hohen Ehren und geringen Steuern sä-hen.87 Um dem entgegenzuwirken, befürwortete er eine proportionale Steuerauf der Grundlage eines transparenten Verfahrens,88 wie es 1427 eingeführt wor-

Petra Schulte

84 Reinhardt, Geld und Freunde (s. Anm. 15), 50–53.85 Francesco Carlo Pellegrini, Sulla repubblica fiorentina a tempo di Cosimo il Vecchio. Saggio distudi, Pisa 1889, xxxvi f.: Magister Galileus Johannnis Galilei: Examinentur cause et invenienturradices huius morbi, ut possi adhiberi medela. Causa discordarium solet esse quia aut honores autonera non certe distribuuntur inter cives. Onera nunc sunt bene distributa per Catastum; restat utdefectus sit in honoribus distribuendis. Vgl. Molho (s. Anm. 66), 84.86 Matteo Palmieri, Ricordi fiscali (1427–1474) con due Appendici relative al 1474–1495, 2 Bde., hg.von Elio Conti, Rom 1983 (Istituto Storico Italiano per il Medio Evo. Studi Storici 132–135).87 Matteo Palmieri (s. Anm. 10), III.171–173, 139: Quello in che è posta la somma dificultà dellepecunie è secondo quale ordine o con che misura si debbono a i privati cittadi / ni domandare, quandoviene il bisogno publico. Qui è impossibile l’ordine della vera iustitia, perché i privati, coperti, nondanno vera regola a chi distribuisce. In ogni administratione civile chi governa sempre si dirizi alledua principali commodità: l’una, che non si nuoca a persona, l’altra, che egli si serva alla communeutilità di tutto il corpo civile. Impossibile è certo in questa materia giugnere al vero; ma con ognidiligentia debbe essere cerca la meno errante via, perché è una delle principalissime parti a conservarel’unione civile et spesso è diversissima dalla divisione degli honori, in modo che a molti più honorericevere et meno pecunie pagare con ragione vera si convenga. Vgl. Nicolai Rubinstein, FlorentineConstitutionalism and Medici Ascendancy in the Fifteenth Century, in: ders. (Hg.), Florentine Stu-dies. Politics and Society in Renaissance Florence, London 1968, 442–462, 452.88 In den Ricordi fiscali (s. Anm. 86), Bd. 1, I, 4, hielt er entsprechend fest: (1427. Adí 10 di luglio).Richordo in prima chome, da sopradetto dí adrieto, a Firenze mai piú fu chatasto, né mai posono legraveze secondo stima vera di sustanze. Ma ponevansi in varii modi. Vgl. Molho (s. Anm. 66), 82.

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den, nach 1434 allerdings schon nicht mehr selbstverständlich war.89 Grundsätz-lich hob Matteo Palmieri hervor, dass die Stadt ein Anrecht darauf habe, zumZweck der öffentlichen Verteidigung auf das materielle Vermögen der Bürgerzurückzugreifen, da sie die Rahmenbedingungen für seinAnwachsen und seinenSchutz schaffe und die Reichtümer insofern auf sie zurückzuführen seien. DieRegel, jedem denselben Steuersatz aufzuerlegen, nannte er die beste. Nur sietrage der natürlichen Ungleichheit Rechnung, die darauf beruhe, dass sich jederBürger abhängig von seinen Tugenden, seinemFleiß und seinemKonsumverhal-ten in unterschiedlicher Weise um den eigenen Nutzen kümmere.90 ÖffentlicheUnterstützung in Form von Steuerbefreiungen sollten Alte in Anerkennungihrer Lebensleistung, Junge mit Blick auf ihren künftigen Beitrag für das Ge-meinwohl und Behinderte aus Gründen der Barmherzigkeit erhalten. All denje-nigen jedoch, deren körperliche Verfassung es zulasse, den eigenen Lebensunter-halt selbst zu bestreiten, könnten keine Zugeständnisse gemacht werden. Hiermüsse es genügen, dass sie geschützt würden und es ihnen ermöglicht werde, freiden Beruf auszuüben, der ihrer Würde entspreche und sie ernähre.91 In klaren

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

89 Conti (s. Anm. 77), 181–196; Giovanni Ciappelli, Fisco e società a Firenze nel Rinascimento,Roma 2009 (Studi e testi del Rinascimento europeo 36), cap. V: Il fisco fiorentino nel Quattrocento,129–146.90 Matteo Palmieri, Vita civile (s. Anm. 10), III.176–178, 140f.:Restano i beni sottoposti alla fortuna,de’ quali sono la parte magiore le facultà, le copie, l’abondanzie et le disordinate richeze. Queste,perché sono acresciute, difese, salve et in tutto dalla patria date, tutte sono obligate a quella, et ne’bisogni debbono essere domandate et richieste a’ cittadini per difesa publica; ma perché ogni uno confatica exercitandosi guarda le sue, con vera proportione d’ordine che pigli da ciascuno la rata di quellopossiede debbono essere richieste. La regola che fa ciascuno pagare la rata secondo gli altri, in modoche a ogni tempo le sustanzie di ciascuno privato sieno a un modo consumate, è optima. Naturale èpoi, e altrimenti essere non può, che in ella moltitudine civile l’uno inanzi all’altro acresca l’utilitàpropria secondo che le virtù, le industrie, sollecitudini, commodità et rispiarmi sono di ciascuno.Vgl.Eberhard Isenmann, Prinzipien, Formen und wirtschaftliche Auswirkungen von Besteuerung –Steuergerechtigkeit und Steuergleichheit im 15. Jahrhundert (Deutschland und Italien), in: Simonet-ta Cavaciocchi (Hg.), La fiscalità nell’economia europea secc. XIII–XVIII = Fiscal systems in theEuropean economy from the 13th to the 18th centuries. Atti della „Trentanovesima Settimana diStudi“ 22–26 aprile 2007, Florenz 2008 (Fondazione Istituto Internazionale di Storia EconomicaF. Datini, Prato. Serie 2, Atti delle „Settimane di Studi“ e altri Convegni 39), 153–183, 178. Eineähnliche Position tritt in der Protestatio de Iustitia zutage, die Matteo Palmieri 1437 hielt. GinoBelloni, Il protesto di Matteo Palmieri, in: Studi e problemi di critica testuale 16 (1978), 27–48, 44.Vgl. zu dieser Rede Neumahr (s. Anm. 34), 117–141.91 Matteo Palmieri (s. Anm. 10), III.178–180, 141: Chi distribuisce, sempre riguardi alla equalitàdell’universale corpo del tutto; le membra migliori sempre per loro medesime si conserveranno inanzialle meno buone, come richiede il bene commune: le membra in questo caso non sono molte. Coloroche hanno alcuno naturale difecto d’infermità o d’età non atta a valersi di se medesimo meritonosubsidio publico, acciò che della miseria de’ primi s’abbia misericordia et della / conservatione de’secondi, se sono piccoli si riceva a tempo utile commodo et acrescimento di bene civile, se sono vechicaritativamente si sovenga a chi ha passato l’età prospera della vita humana et dagli anni è necessitatoa non più valersi. Tutti gli altri che secondo le forze naturali possono subministrare alla propria vita,in ne’ bisogni publici non debbono ricevere il victo delle sustanze obligate alla patria se prima non s’èsubvenuto a’ bisogni d’essa, ma in tale caso gli basti essere difeso et mantenutogli l’actitudini libere da

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Worten unterschied Matteo Palmieri zwischen den schlechten und den gutenGliedern des städtischen Körpers. Personen, deren Tugend zweifelhaft oder in-existent sei, müssten Florenz verlassen; Wucherer und Betrüger sollten bestraftund ihre Tätigkeiten verboten werden. Männer aber, die mit ehrbarem Handelund Gewerbe der Allgemeinheit dienten, private Gewinne erzielten und mehrals andere vorwärts kämen, seien als überdurchschnittlich nützlich und tugend-haft zu fördern und zu unterstützen. Ihr materielles Vermögen dürfe nicht zumGegenstand einer Neiddebatte werden, da ein geringerer sozialer Status den ei-genen Lastern geschuldet und insofern selbst gewählt sei. Die proportionaleSteuer, die alle auf derselben nachvollziehbarenGrundlage zu zahlen hatten, ori-entierte sich gemäß Matteo Palmieri an der bestehenden sozialen Ordnung undspiegelte diese wider.92 Seine Auffassung teilte auch der Erzbischof AntoninoPierozzi, der in der Summa Theologica im Kontext der Verteilungsgerechtigkeitkonstatierte, dass die Steuer dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit unterliegenmüsse.93Der mögliche Einwand, dass der proportionale Tarif die Armen stärker als die

Reichen bedrücke, besaß bei beiden Autoren keine Relevanz. Es waren die Be-fürworter der progressiven Steuer, die mit diesem Gedanken argumentierten94und sie unter Cosimo de’Medici 1442 erstmals umsetzten.95 Dabei wurde dersoziale Anspruch jedoch missbraucht, um missliebigen Personen mit hohenForderungen zu schaden. Erneut und verstärkt geriet die Finanzpolitik zueinem für die Bürger unkalkulierbaren Machtinstrument.96 In seinem Zibaldo-

Petra Schulte

potersi valere con exercitii ne’ quali possa fare utilità, di che, secondo la propria degnità, secondo itempi si mantenghi.92 Ebd., III.181–183, 141f.: Chi di questi fusse inerte et sanza alcuna virtù onde cavassi subsidiomeritamente caschi et vada fuori della città come inutile. Chi con arti inhoneste inanzi agli altri sivalesse, come d’usure o di nocive fraudi, debbe essere corretto, et d’arte prohibita admonito; et nondeono essere in ella città tali arti permesse. Quegli che con honeste et buone arti laudabilemente seexercitono, faccendo in commune fructo et in privato più che gli altri avanzando, non debbono peralcuno modo essere invidiati, ma in elle loro virtù conservati et acresciuti; et, se pigliassino ventaggiod’alcuna utilità inanzi agl’altri, meritamente sia loro conservata, come a più utili, migliori et sopraagli altri virtuosi civili. Coloro che, contrarii a questi per loro vitii infami, più che gli altri consumano,degnamente sieno in più ruina et in grado peggiore, poiché così elegono male vivere. Sia insommaquello ordine in distribuire graveze sopra qualunche altro lodato, / il quale le particulari sustantie de’cittadini parimente consuma; chi poi per proprio vitio scema o per sua virtù acresce, si stia con quelloche l’operationi da lui facte a casa gli recono, conservando sempre chi naturalmente non può subve-nirsi.93 Antoninus, Summa Theologica (s. Anm. 23), pars quarta, 5.3.1, Sp. 182: Similiter et onera veloperarum vel laborum vel collectarum secundum debitam proportionem imponenda sunt. Der Ver-stoß gegen die acceptio personarum bildete auch hier die Grundlage seiner Argumentation: Aliasminus imponentes majoribus ratione status, qui magis debent gravari, pertineret ad acceptionempersonarum. Zur Steuer in der Summa Theologica vgl. Ilgner (s. Anm. 39), 241–253.94 Vgl. Isenmann (s. Anm. 90), 177–183.95 Conti (s. Anm. 77), 197–205.96 Vgl. am Beispiel des Humanisten GiannozzoManetti die Ausführungen von LauroMartines, Die

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ne, den der Kaufmann Giovanni Rucellai Ende 1457 zu schreiben begann, hielter für seine Söhne fest:Pandolpho und Bernardo, es erscheint mir nützlich, euch daran zu erinnern, dass man inunserer Stadt Florenz sein Geld nicht unter kleinen, sondern unter großen Schwierig-keiten zusammenhält. Der Grund hierfür liegt in den Kriegen, die die Kommune fastohne Unterlass führt und die hohe Kosten verursachen. Zu ihrer Finanzierung werdenstets Steuern und Zwangsanleihen erhoben, wobei dies mal willkürlich, mal unterRückgriff auf Catasti und Valsenti erfolgt, mal also Dunkelheit, mal Helligkeit herrscht.Verschiedentlich findet sich auch beides nebeneinander. Es gibt kein besseres Mittel derVerteidigung, als sich keine Feinde zu machen. Denn ein Feind schadet mehr als vierFreunde helfen.97

6.

Von den bislang zitierten Autoren thematisierte allein der Erzbischof Antoni-no Pierozzi die Armenfürsorge, auf die im Zusammenhang der Verteilungs-gerechtigkeit abschließend kurz einzugehen bleibt. Er hob hervor, dass dieVerteilung von Gütern, etwa durch die Kommune, den Bedürftigeren vorzie-hen müsse,98 und gestand den Notleidenden ein Recht auf Unterstützung zu,wenn im Einzelfall eine entsprechende Verfügung vorliege.99 In beiden Fällenwird jedoch kein genereller Anspruch der Armen auf eine städtische Hilfe be-gründet. Dem entspricht, dass die Unterstützung der Bedürftigen trotz der

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

Verschwörung. Aufstieg und Fall der Medici im Florenz der Renaissance, Darmstadt 2004 (engl.2003), 61–67.97 Giovanni Rucellai ed il suo Zibaldone, I: „Il Zibaldone Quaresimale“, hg. von Alessandro Perosa,London 1960 (Studies of theWarburg Institute 24), 2, 9: Pandolpho et Bernardo, e’ mi pare utilissimoda dovervi ricordare, che nella nostra città di Firenze si conservano et mantengono le richezze noncon pichola dificultà ma con grandissima. Et questo per cagione delle guerre spesse e quasi continuedel comune, dove bisognano fare grandissime spese et il commune bisogna che riccora a’ suoi cittadinicon porre loro delle gravezze e prestanze assai. Et spesso si raconciano o vero mutano le gravezze,quando al buio per oppenione et quando a lume con catasti et valsenti et quando parte oppenione etparte lume et quando per uno modo e quando per uno altro. Non ci ò trovato migliore rimedio adifendersi quanto a guardarsi da non avere nimici, perchè nuoce più uno nimico che non giovanoquattro amici. Die Verfahren der einzelnen Steuererhebungen beschreibt Conti (s. Anm. 77), 181–280.98 Antoninus, Summa Theologica (s. Anm. 23), pars quarta, 5.3.1, Sp. 182: Similiter si quis habetdistribuere bona communitatis vel alicujus societatis indigentibus, si praefert, multo minus indigen-tes, magis indigentibus ratione amicitiae vel parentelae et hujusmodi, videtur pertinere ad acceptio-num personarum. Secus si de sua substantia vult dare uni, et non alteri; quia ad illud non tenetur.99 Ebd., 5.17., Sp. 253: Et sciendum secundum Thomam ubi supra, quod uti bene pecunia seu divitia,pertinet ad diversas virtutes, sed diversis respectibus seu rationibus. Nam pertinet ad justitiam com-mutativam vel distributivam secundum rationem debiti legalis, prout scilicet res exterior debeturalteri ex aliqua obligatione, ut propter aliquem contractum venditionis vel mutui et hujusmodi. Velquia habet distribui indigentibus ex dispositione communitatis vel alicujus.

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zunehmenden kommunalen Intervention in Florenz ein Akt der Nächstenlie-be, der Mildtätigkeit und der Freigebigkeit war, die in einer Vielzahl an bür-gerlichen Stiftungen und karitativen Einrichtungen ihren Niederschlag fand.100Dass der Erzbischof Antonino Pierozzi die Freigebigkeit nicht mit der Vertei-lungsgerechtigkeit gleichsetzte, weil die Gabe nicht geschuldet sei, wurde obenbereits erwähnt.101 Zugleich nannte er Kriterien, die beim Schenken zu berück-sichtigen seien, und führte hier den Grund, den Ort, die Zeit und in Bezug aufdie Verfasstheit des Beschenkten das Alter, den körperlichen Zustand sowie dieScham an, die zumeist die unverschuldet Verarmten charakterisiere.102 SeineAusführungen entsprechen der sich im späteren Mittelalter durchsetzendenHaltung, die – bei Matteo Palmieri klang dies schon an – den gesunden, in dieArmut hineingeborenen Menschen fehlenden Arbeitswillen und insofern eineVerantwortung für die eigene Situation unterstellte103 und in einem Altarbildihren Ausdruck fand, das der Maler Lorenzo Lotto 1542 für eine Seitenkapelleder venezianischen Kirche SS. Giovanni e Paolo fertigstellte.104 Gezeigt werdender 1523 heiliggesprochene Antonino Pierozzi sowie zwei Geistliche, von de-nen der eine ausgewählte Bittbriefe entgegennimmt und der andere mit Be-dacht nach den eben genannten Kriterien Almosen verteilt. Drei Frauen miteiner Kleidung, die auf ihren früheren Wohlstand verweist, und mit hellerHaut, wenden ihren Blick zu Boden und repräsentieren die poveri vergognosi,die verschämten Armen.105 Um speziell ihnen zu helfen, hatte Antonino Pie-rozzi 1442 noch als Prior des Dominikanerkonvents von San Marco die Bru-

Petra Schulte

100 Zur Armenfürsorge in Florenz vgl. John Henderson, Piety and Charity in Late Medieval Flor-ence, Oxford 1994; Philine Helas, „Non si truova in alchuna parte maggore quantità di spedali, nèttanto dengni …“. Bildprogramme der Sozialfürsorge und karitative Topographie, in: ChristophBertsch / Philine Helas, Florenz in der frühen Neuzeit. Stadt der guten Augen und bösen Zungen,Berlin 2013, 9–48. Vgl. ferner Ulrike Ritzerfeld, Pietas – Caritas – Societas. Bildprogramme karitati-ver Einrichtungen des Spätmittelalters in Italien. Dissertation, 3 Bde., Bonn 2007 (in digitaler Ver-sion: http://hss.ulb.uni-bonn.de/2007/1083/1083.htm)101 S. Anm. 59. Eine differenziertere Betrachtung erfolgt im Kontext der Tugend der liberalitas.Antoninus, Summa Theologica (s. Anm. 23), pars quarta, 5.17.1, Sp. 253: Quod autem liberalitasnon sit species justitiae, sed pars potentialis, idest annexa justitiae, ut secundaria principali, sic declaratThomas, ubi supra: Justitia proprie dicta exhibet alteri, quod est ejus, ut in restitutionibus, satis-factionibus, et hujusmodi. Sed liberalitas exhibet alteri, quod est suum, et de quo non est alteri obliga-tus. Convenit tamen cum justitia in duobus. Primo quia est ad alterum ut justitia: secundo quia estcirca res exteriores ut justitia, licet secundum aliam rationem.102 Ebd., 5.17.2, Sp. 253–255.103 Vgl. am deutschen Beispiel Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550.Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Wien / Köln / Wei-mar 2012, 585–604.104 Eine kurze Einordnung findet sich in Nobert Huse / Wolfgang Wolters, Venedig. Die Kunst derRenaissance. Architektur, Skulptur, Malerei 1460–1590, München 21996, 273.105 Zu den unterschiedlichen Armutskonzepten und ihremWandel im Spätmittelalter vgl. GiovanniRicci, Povertà, vergogna, superbia. I declassati tra Medioevo e Età moderna, Bologna 1996 (Saggi452); Todeschini (s. Anm. 26).

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derschaft der Buonomini di San Martino gegründet.106 Knapp die Hälfte derihr zur Verfügung stehenden Mittel stammte in den ersten Jahren von Cosimode’Medici.107Parallel unterstützte dieser Kaufleute und Handwerker, die sich in einer

schwierigen Situation befanden und in die Armut abzugleiten drohten, mit zins-günstigen Darlehen, was als eines der zentralen Elemente des von seinem VaterGiovanni di Bicci und ihm aufgebauten Netzwerkes gilt.108 Für andere Per-sonen, zumal für solche mit einem geringen Vermögen bzw. einem niedrigenEinkommen, war es in Florenz schwierig, Liquiditätsengpässe zu überbrückenund einen Kredit mit niedrigen Zinsen zu erhalten.109 Um 1437 wurde auf derBasis eines Privilegs von Papst Eugen IV. den neu hinzugezogenen jüdischenGeldverleihern das Monopol zugestanden, Kleinkredite gegen ein Pfand zu ver-geben.110 Die Idee einer städtisch organisierten Pfandleihanstalt, einesMonte diPietà,111 vermochte sich unter den Medici nicht durchzusetzen und wurde nachzwei gescheiterten Versuchen 1473 und 1488 erst 1496 auf Betreiben des Domi-nikaners Girolamo Savonarola (†1498) dauerhaft umgesetzt.112

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

106 Vgl. Piero Bargellini, I Buonomini di San Martino, Florenz 1972; Amleto Spicciani, The „poverivergognosi“ in Fifteenth-Century Florence. The First 30 Years’ Activity of the Buonomini diS. Martino, in: Thomas Riis (Hg.), Aspects of Poverty in Early Modern Europe, Alphen aan denRijm u.a. 1981 (Veröffentlichungen des Europäischen Hochschulinstituts 10), 119–182; Dale V.Kent, The Buonomini di San Martino. Charity for „the Glory of God, the Honour of the City,and the Commemoration of Myself“, in: Francis Ames-Lewis (Hg.), Cosimo „il Vecchio“ de’Medi-ci, 1389–1464. Essays in Commemoration of the 600th Anniversary of Cosimo de’Medici’s (Papersdelivered at the Society for Renaissance Studies Sexcentenary Symposium at the Warburg Institute;London, 19 May 1989), Oxford 1992, 49–67; Olga Zorzi Pugliese, The Good Works of the Floren-tine „Buonomini di SanMartino“. An Example of Renaissance Pragmatism, in: Konrad Eisenbichler(Hg.), Crossing the Boundaries. Christian Piety and the Arts in Italian Medieval and RenaissanceConfraternities, Kalamazoo, MI 1991, 108–120.107 Vgl. Kurt Weissen, Die verarmten Reichen in der florentinischen Gesellschaft des 14. und15. Jahrhunderts, in: Petra Schulte / Peter Hesse (Hg.), Reichtum im späten Mittelalter. PolitischeTheorie – Ethische Norm – Soziale Akzeptanz (im Druck).108 S. Anm. 17.109 Weissen (s. Anm. 107).110 Vgl. Goldthwaite, Economy (s. Anm. 24), 421–424; ferner die Einschätzung dieser Maßnahmedurch Hans-Jörg Gilomen, Die Substitution jüdischer Kredite im Spätmittelalter. Das Beispiel Zü-richs, in: Lukas Clemens / Sigrid Hirbodian (Hg.), Christliches und jüdisches Europa imMittelalter.Kolloquium zu Ehren von Alfred Haverkamp, Trier 2011, 207–233, 207 f.111 Vgl. Heribert Holzapfel, Die Anfänge der Montes Pietatis (1462–1515), München 1903 (Ver-öffentlichungen aus dem Kirchenhistorischen Seminar München 11); Giacomo Todeschini, Credi-bilità, fiducia, ricchezza: il credito caritativo come forma della modernizzazione economica europea,in: Paola Avallone (Hg.), Prestare ai poveri. Il credito su pegno e i Monti di Pietà in area Mediterra-nea (secoli XV – XIX), Rom 2007 (Ricerche di economia e storia 2), 17–30. Ferner aus einer starkkunstgeschichtlichen Perspektive Jörg Traeger, Renaissance und Religion: Die Kunst des Glaubensim Zeitalter Raphaels, München 1997, 155–211.112 Vgl. Riccardo Fubini, Prestito ebraico e Monte di Pietà a Firenze (1471–1473), in: Dora LisciaBemporad / Ida Zatelli (Hg.), La cultura ebraica all’epoca di Lorenzo il Magnifico. Celebrazioni delV centenario della morte di Lorenzo il Magnifico (Convegno di studio, Firenze, Accademia toscana

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DieMonti di Pietà, die Ende des 15. Jahrhunderts in vielen italienischen Städ-ten aus einem religiösen ebenso wie aus einemwirtschaftlichen Bedürfnis herausentstanden, waren nicht unumstritten, da auch sie, wenngleich in einem gerin-geren Maße, Zinsen forderten. Im Mai 1515 setzte der Medici-Papst Leo X. inder Bulle Inter multiplicis den Diskussionen ein Ende und sprach sich – ent-gegen der früheren Position des von ihm geschätzten Kardinals Thomas Caje-tan – für die Pfandleihanstalten aus.113 Eine wertvoll illuminierte Abschrift derAbhandlung, die Thomas Cajetan als junger dominikanischer Professor in Pavia1498 gegen denMonte di Pietà verfasst hatte, belegt, dass aus den unterschied-lichen Auffassungen kein Konflikt erwachsen ist; im Februar 1515 hatte sichThomas Cajetan in dieser Frage dem Papst offiziell untergeordnet.114 Sein ur-sprünglicher Text sucht eine moralphilosophische Lösung und prüft die Zins-forderung des Monte di Pietà daraufhin, ob sie den Forderungen der ausglei-chenden oder verteilenden Gerechtigkeit entspricht. An dieser Stelle sei nureine Idee kurz herausgegriffen: Die Verteilung der Güter, so gibt Cajetan zubedenken, könne von der Würde nicht getrennt werden. Da diese in jeder Ver-fassungsform anders definiert werde, gelte das auch für die Gesamtheit derArmen (universitas pauperum). In ihr sei die Würde mit der am Darlehen zumessenden Bedürftigkeit gleichzusetzen. Grundsätzlich gelte, dass der, der wür-diger bzw. in diesem Fall bedürftiger sei als ein anderer, proportional mehr Gu-tes erfahren müsse. Insofern sei es ungerecht, wenn jemand, der mehr Pfänderabgebe und größere Schwierigkeiten habe, sie auszulösen, mehr Zinsen zahle alsjemand, dessen Bedürftigkeit geringer erscheine.115 Mit großer Originalität deu-

Petra Schulte

di scienze e lettere „La Colombaria“, 29 novembre 1992), Florenz 1998 (Studi. Accademia toscana discienze e lettere „La Colombaria“ 170), 101–155; Carol Bresnahan Menning, Charity and State inLate Renaissance Italy. The Monte di Pietà of Florence, Ithaca, NY 1993.113 Holzapfel (s. Anm. 111), 129f.114 Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 79.20, fol. 28r–76r (Thomas de Vio Caietanus, Tractatusde Monte Pietatis), fol. 76r:Hec sunt Pater beatissime que in difficultate hac de monte pietatis michioccurunt. E quia cogitationes mortalium timide humanumque iudicium sepe fallitur et de salute hicagitur animarum, beatitudinis tue iudicio in hac presertim synodo ea submittenda censui humilitersupplicans ut certe veritatis sententia a tuo suscipiamus apostolatu. Vale felix semper Auguste Romedie VIII februarij M D XV. Am 17.2.1515 wurde der Traktat mit diesem Zusatz in Rom von Jaco-bus Mazochius gedruckt. Ein Exemplar befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothekund ist digital einsehbar unter: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ163727206.115 Thomas de Vio Caietanus, Tractatus de Monte Pietatis (s. Anm. 114), cap. 11, fol.: 62v–63r: Exhoc inquam consequens est, ut distributionis ratio absque dignitate non inveniatur. Dignitatem au-tem dicimus non quodcunque bonum hominis, sed illud, ex quo homines sortiuntur, quod partes sunttotius universitatis: sive illud sit virtus ut in politia aristocratia, sive rerum abundantia aut nobilitasut in olicratia, sive libertas ut in democratia sive quodcunque aliud. Et cum talis partium dignitas adcomune aliquod opus, quod totius proprium est, ordinetur, oportet, si hanc pauperum universitatemin comunitatem quandam erigere velimus, invenire et quid sit totius opus et secundum quid partiumdignitas attendatur. Est autem hic opus totius perpetua comoditas mutui inveniendi. Propter hoc enimomnia fiunt et hoc consequitur mediante pecunie mutuande (que Mons dicitur) integra conservatio-ne. Dignitas vero indigentia est. (…); cap. 12, fol. 65v: Unde si in pauperum universitate que super

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tet der Dominikaner die aristotelische Verteilungsgerechtigkeit entgegen der im15. Jahrhundert üblichen Lesarten für sein soziales Anliegen um.

7.

Der Hinweis auf die Knappheit als Ausgangspunkt des Nachdenkens über Ver-teilung und die Beobachtung, dass von diesem wiederum die Ideen von Gleich-heit und Gerechtigkeit nicht zu trennen sind, stand am Anfang meiner Ausfüh-rungen über Florenz im 15. Jahrhundert. Die im späten Mittelalter erstmalsaufgeworfenen und erörterten Probleme sind bis heute im Großen und Ganzendieselben geblieben, auch wenn sich die Umstände geändert haben und andereAntworten gefunden werden, in denen sich nicht zuletzt ein Bedeutungswandelder verwendeten Begriffe offenbart.Der bislang fehlende Blick auf die Rezeption der aristotelischen, sich auf die

Ämter, Ehren und Güter des Gemeinwesens beziehenden Verteilungsgerechtig-keit macht die Unterschiede zu heute in einer besonderen Weise deutlich. DerErzbischof Antonino Pierozzi charakterisierte die Verteilungsgerechtigkeit alsein Geben, das aus einer Schuldigkeit heraus erfolge. Eine solche bestand alleingegenüber den Tugendhaften bzw. – was das Patriziat nicht als Gegensatz ver-stand – den Mächtigen und Reichen. Allein die Bevorzugung der Mitgliedereiner Partei, die offen kritisiert oder mühevoll begründet wurde, erschien pro-blematisch. Grundsätzlich legitimierte der Verweis auf eine Gleichheit im pro-portionalen Sinne jedoch den strikt begrenzten Zugang zu Ämtern und Ehrenund damit eine bestehende Ungleichheit. Mit der Autorität des Aristoteleswurde den Armen die soziale und politische Teilhabe ebenso verwehrt wie einAnspruch auf städtische Unterstützung. Der Tractatus de Monte Pietatis vonThomas Cajetan, in dem von einer universitas pauperum ausgegangen wird, ver-deutlicht, dass die Definition derjenigen Gruppe, deren Interessen verfassungs-prägend sind, eine zentrale Grundlage der Verteilungsgerechtigkeit und zu-gleich ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Selbstverständnisses darstellt. Undso profitierte der Personenkreis, dessen Führungsanspruch in Florenz mit demPrinzip der verhältnismäßigen Gleichheit gesichert wurde, von eben diesemPrinzip auch bei der Verteilung der Lasten. Nicht übersehen werden darf hierallerdings, dass die Durchsetzung eines gleichen Steuersatzes auf der Basis eines

Verteilungsgerechtigkeit im Florenz des 15. Jahrhunderts

indigentia fundatur bona distribuenda essent, quanto aliquis esset magis indigens, tanto maius bo-num sibi deberetur (…). Et consequenter quanto aliquis est magis indigens, tanto minus mali comunissustinere debet. Et quia onus hoc mercedis solvende inter mala connumeratur, oportet quod secun-dum iusticie distributive formam magis indigens minus solvat. Magis autem indigentem inter pau-peres esse constat qui maiore eget mutuo et minus cito potest solvere. Non ergo iuste statutum est,quod plus mutui sumentes et maiore tempore retinentes plus teneantur solvere. Vgl. hierzu den ab-wertenden Kommentar von Holzapfel (s. Anm. 111), 109f.

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transparenten Verfahrens eine politische Errungenschaft und nur von kurzerDauer war. Das Verhältnis von politischer Macht und Verteilungsgerechtigkeitwurde unter Cosimo de’Medici immer wieder neu austariert. Eine Harmoniealler Mitglieder der Gesellschaft, wie sie Antonino Pierozzi als Resultat deriustitia distributiva beschrieb,116 entstand unter ihm sicher nicht.

Petra Schulte

116 Antoninus, Summa Theologica (s. Anm. 23), pars quarta, V.3.5, Sp. 184.

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