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Anja Rathmann-Lutz (Hg.)

Visibilität des Unsichtbaren Sehen und Verstehen in Mittelalter und Früher Neuzeit

CHRONOS

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Inhalt

Vorwort

Gunnar Mikosch, Anja Rathmann-Lutz Visibilität des Unsichtbaren- eine Einleitung

Auswahlbibliographie

Christina Lechtermann «von demritterder dem andern solt volgen da er hien fure>>. Über die

7

9

23

Sichtbarkeit von Spuren im Prosa-Lancelot 27

Miriam Czock Kirchenräume schaffen, Kirchenräume erhalten. Kirchengebäude als heilige Räume in der Karolingerzeit

Lucas Burkart Die Aufhebung der Sichtbarkeit. Der Schatz der Saneta Sanetarum

53

und die Modi seiner visuellen Inszenierung 69

Henrike Haug «Calamo et atramento posteritati memorie reservare>>. Kunstbeschreibung als Instrument zur Rechtssicherung in Saint-Denis, Stablo und San Clemente in Casauria im r2.}ahrhundert

Cornelia Logemann Herrschaft als Rollenspiel. Zur Genese allegorischer Darstellungsverfahren im Spätmittelalter

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Anja Rathmann-Lutz Übernehmen, übertragen, verschweigen. Zur Nutzung von Bildwissen im England des frühen 14.Jahrhunderts 137

Gunnar Mikosch Ecclesia und Synagoge. Allegorie zwischen heilsgeschichtlichem Machtanspruch und christlichem Identitätskonflikt

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Anja Rathmann-Lutz

übernehmen, übertragen, verschweigen

Zur Nutzung von Bildwissen im England des frühen 14.jahrhunderts

<<Silence remains, inescapably, a form of speech.>> Susan Sontag

Visibilität und ihre Unsichtbarmachung

Schweigen wird vielfältig verstanden und gedeutet: als lingliistisches Signal, als pragmatische und diskursive Strategie, als Realisierung eines Tabus, als Werk­zeug zur Manipulation und Identitätskonstruktion, als Anteil des Zuhörers in einer Interaktion sowie als Ausdruck künstlerischer Ideen - als bewusstes Handeln.' So wird auch eine erwartete, aber ausbleibende Äusserung als <<Schweigen» oder «Verschweigen>> interpretiert werden. 2

Vgl. Muriel Saville-Troike: The Place of Silence in an Integrated Theory of Communication, in: dies. und Deborah Tannen (Hg.): Perspectives on Silence, Norwood, NJ, I98s, s.3-I8, besonders S.6f., zur Einordnung des Schweigens in die Sprechakttheorie, S. 13-15, zur <<ethnography of communication»; Alfred Bellebaum: Schweigen und Verschweigen. Bedeu­tungen und Erscheinungsvielfalt einer Kommunikationsform, Opladen 1992 (mit der älteren Literatur und einem Überblick über die möglichen Schweigehandlungen); Adam Jaworski: Introduction, in: ders. (Hg.): Silence. Interdisciplinary Perspectives (Studies in Anthropo­logical Linguistics ro), Berlin 1997, S. 3-14; Bernard P. Dauenhauer: Silence: The Pheno­menon and Its Ontological Significance, Bloomington 1980, S. 4 (Schweigen als «conscious activity>> ). Zu denken ist hier natürlich auch an das erste Axiom von Watzlawick («Man kann nicht nicht kommunizieren»). Ich danke Henrike Haug für die vielen anregenden und ergänzenden Kommentare zu diesem Aufsatz.

2 Das gilt auch für etwas, das aus einem Bild entfernt wurde und dort eine Leerstelle hinter­lässt, die weiteragiert beziehungsweise Reaktionen einfordert. Vgl. Jaworski (Anm. r); Mar­cia Hafif: Silence in painting: Let me count the ways, in: Jaworski (Anm. r), S. 339-349; Stacie Withers: Silence and communication in art, in: Jaworski (Anm. r ), S. 3 5 r-366; Adam J awor­ski: «White and white>>: Metacommunicative and metaphorical silences, in: ders. (Anm. r), S. 38I-40I.

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Überträgt man das Konzept einer solchen bedeutungsvollen und der Inter­pretation bedürftigen «conversational silence»J aus der gesprochenen Sprache einer Face-to-Pace-Kommunikation auf die komplexe Situation englisch­französischer Diplomatie zwischen circa I 300 und I 3 30, so kann man das Nichtvorhandensein bestimmter - politischer, künstlerischer - Äusserungen als bewusstes Verschweigen deuten, das Anteil an der Kommunikation zwi­schen den Parteien hat und Machtverhältnisse beeinflusst.4

Am Beispiel des offensiven - lauten - Umgangs Philipps IV. von Frankreich mit dem << image>> 5 seines Grassvaters Ludwig IX. und der verhaltenen - stillen -Reaktion seiner Tochter Isabella, Königin von England, kann das komplexe Zusammenspiel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, in dem Personen und Repräsentationen zueinander in Beziehung gesetzt sowie Positionen und Machtpotentiale verhandelt werden, deutlich gemacht werden.6

Konstatiert man auf Isabellas Seite ein bedeutungsvolles (Ver-)Schweigen, dann muss einerseits geklärt werden, was darauf hindeutet, dass ihre Zeitgenossen (aber auch die Wissenschaft) bestimmte Äusserungen und Handlungen von ihr erwarteten/ andererseits <<Visibilität>> als möglicher Auslöser der Reaktion

Vgl. Jack Bilmes: Constituting silence: Life in the world of total meaning, in: Semiotica 98 (I994), S. 73-87, hier S. 74·

4 Schweigen ist nicht nur auf der Ebene des Schreibens beziehungsweise Redens zu verstehen, sondern auch auf der der visuellen Repräsentation, des << in Auftraggebens» etc. V gl. Alina K wiatkowska: Silence across modalities, in: J aworski (Anm. I), S. 329-337. Zur Verkehrung von Machtverhältnissen durch Schweigen vgl. Dennis Kurzon: When silence may mean power, in: Journal of Pragmatics I8 (I992), S. 92-95; ders.: Discourse of Silence, Amsterdam I998. Die hier vorgestellten Überlegungen basieren in Teilen auf meiner Dissertation zur poli­tischen Instrumentalisierung unterschiedlicher <<images >> Ludwigs IX. des Heiligen von Frankreich im späten Mittelalter. Vgl. dazu ausführlich Anja Rathmann-Lutz: <<Images» Ludwigs des Heiligen im Kontext dynastischer Konflikte des I4. und rs.Jahrhunderts (Orbis Mediaevalis 12), Berlin 20IO. «<mage» wird hier verstanden als ein imaginiertes bezie­hungsweise imaginierbares Bild einer Person oder Institution, das- im Auge des Betrachters aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt- einem bestimmten Zweck dienen soll. Es ist das Ergebnis eines Prozesses, in dem Charakteristika einer Person in ihrer Reprä­sentation in verschiedenen Medien selektiv akzentuiert werden. Ein wichtiges Merkmal politischer <<images» ist, dass sie lediglich in einer konkreten historischen Situation für ein je spezifisches Publikum verständlich und damit potentiell wirksam sind. Ungeachtet dessen stehen die einzelnen Werke selbstverständlich wiederum in weiteren ikonographischen und funktionalen Zusammenhängen (ebd.ebd., S. I3-I7).

6 Das Schweigen wird als umso bedeutungsvoller wahrgenommen, je <<lauter», das heisst rei­cher an Äusserungen, die Umgebung ist. Abrahams (I 979) zitiert bei Saville-Troike (Anm. I), S. IO. Analog kann man die damnatio memoriae als einen solchen massiven Eingriff in Korn­munikationssituationen verstehen. Die aktive - quasi <<mörderische» - Rolle des Schweigens wird hier besonders deutlich. Vgl. Harriet I. Flower: The Art of Forgetting. Disgrace and Oblivion in Roman Political Culture, Chapel Hili, NC, 2006, S. I-I4.

7 Vgl. Bilmes (Anm. 3), S. 76- 78, für den Aspekt der Bedeutungszuschreibung bei Regelver-

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definiert und erläutert werden.8 Drittens wäre zu klären, ob Isabellas Schwei­gen beziehungsweise Verschweigen der Versuch war, die Unsichtbarkeit der einen zu Gunstender anderen - eigenen - Visibilität zu erreichen. Es ist also zunächst zu zeigen, auf welche Weise Philipp in seinem Einfluss­bereich Ludwig den Heiligen «sichtbar», im Sinne von schaubar, und versuchs­weise <<visibel», im Sinne von sinnlich, emotional, sozial und intellektuell sowie religiös und politisch wahrnehmbar, machte. In diesem Prozess der Visibilisie­rung rücken gleichzeitig auch seine Person sowie seine Vorstellungen und Ideale von Königtum in den Fokus zeitgenössischer Wahrnehmung. Allerdings kann Visibilität- im weitesten Sinne verstanden als <<als bedeutsam wahrgenommen werden mit Hilfe von Visualisierungen» - angestrebt, jedoch nicht einseitig, intentional hergestellt werden. Sie ist unter bestimmten Konstellationen (von Auftraggeber, Künstler, Objekt, Rezipient und Situation) wahrscheinlich, aber nie sicher, und selbst wenn ein bestimmtes Ziel visibel werden sollte, ist dies noch nicht gleichzusetzen mit dessen politischer Wirksamkeit. Am Beispiel Philipps IV. wird auch der Zusammenhang von Visualisierung und Visibilität zu verdeutlichen sein, indem aufgezeigt wird, dass durch die ver­schiedenen <<images>> Ludwigs IX. zum Beispiel als Heiliger und als König, die in zahlreichen Darstellungen erkennbar sind, auch und vor allem Ideen Philipps IV. von seinem Königtum und seiner Person, die dahinter stehen, potentiell visibel werden. Mit Hilfe der geradezu multimedialen Inszenierung der frühen Ikonographie Ludwigs wurde kollektives und individuelles Bildwissen erstens angelegt und zweitens gesteuert.9 Während also für einen Teil der Betrachter beziehungsweise Leser hinter den Artefakten und Texten die Auftraggeber, ihre Intentionen und auch unbewusste Aspekte visibel werden können - wobei die mediale Form und das Medienwissen des Rezipienten ebenso eine Rolle spielen, wie die Rezeptionssituation - , realisieren andere in den Werken unabhängig davon religiös oder sozial relevante Aussagen. In diesem Zusammenhang ist nicht von einer Hierarchie der Verstehensweisen auszugehen, vielmehr ist die Zeitgebundenheit der Visibilität immer in die Überlegungen einzubeziehen: auch für einen informierten Betrachter kann etwas nur in einer bestimmten Situation visibel werden. Visibilität << blitzt auf», ist variabel und entzieht sich auch schnell wieder; ist nie eindeutig, lebt vom Möglichkeitsraum, der durch Mehrdeutigkeiteil und das System der Möglichkeiten im Zusammenspiel von Situation, Wahrnehmungs-, Produktions- und Objektseite aufgespannt wird.

letzung. << Expectation of an actionwill make its absence noticeable and an occasion for infe­rence>> ( ebd., S. 78). Ebd., S. 8 r f., für zu erwartende Reaktionen ( «response priority>> ). Zur Definition von Visibilität vgl. die folgend en Ausführungen und die Einleitung zu diesem Band.

9 Dass dies nicht allein das Werk Philipps IV. war, versteht sich.

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Visibilität baut also auf beziehungsweise braucht die Offenheit von visuell, sprachlich, auditiv und performativ vermittelten Bildern. Wenn Visibilität nicht vor den Augen, sondern im Kopf des Betrachters entsteht, muss das ver­mittelnde Medium offen für jeden denkbaren (und nicht gedachten) Rezipien­ten sein, es birgt dann gleichzeitig sowohl Möglichkeiten als auch die Gefahr, Nichtintendiertes zu vermitteln. Io

In einem zweiten Schritt sind die Spielräume aufzuzeigen, die sich Isabella in - so meine These - bewusster Auseinandersetzung mit der potentiell wirk­samen Visibilität politischer Ideen in Frankreich für ihr eigenes politisches Handeln in England schuf: Wenn für den Sohn Isabellas, Edward (III.), Lud­wig der Heilige weder schau- noch lesbar war, so deshalb, weil seine Mutter durch gezielte Selektion und Verschweigen vor allem ihres Bildwissens die Visibilität des französischen Königsideals in England invisibel zu machen ver­suchte. I I Nimmt man weiter an, dass dies zu Gunsten ihrer eigenen politischen Sichtbarkeit geschah, so wird ein Bruch mit den genealogischen Vorhaben ihres Vaters, der auf eine enge Kommunikation mit ihr und eine Einflussnahme in England setzte, deutlich. Isabellas Schweigen zeigt sich vor allem im Umgang mit Prachthandschriften und ihrer Stiftertätigkeit, wo sie durch die Deutungshoheit über Bilder ihre Macht demonstrierte. Il Durch Verzicht auf Visualisierung beziehungsweise subtileren Einsatz derselben erreichte Isabella, dass der wichtige Ahnherr Lud­wig, der das französische Königtum sakral überhöhte, im politischen Diskurs Englands unsichtbar blieb.

IO Vgl. Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München I976 (<< Leerstellenbetrag>>); ferner ders.: Der implizite Leser, München I972. Siehe auch Doris Pany: Wirkungsästhetische Modelle. Wolfgang Iser und Roland Barthes im Vergleich, Erlan­gen 2000.

I I Zur mächtigen Wirksamkeit des blassen Vorhandenseins von Objekten und dem Wissen darum vgl. Michael Mente: Dominus abstulit? Vernichten und Verschweigen von Schrift­objekten als kommunikativer Akt, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S.427-447, hier S. 440, 447· Zur Machtdemonstration qua Bildwissen Christine Tauber: Manierismus und Herrschaftspraxis. Die Kunst der Politik und die Kunstpolitik am Hof von Fran~ois I", Berlin 2009.

I 2 Anderweitig konnten Machtdemonstrationen durchaus fehlschlagen, wie zum Beispiel in der Leeds-Affäre, siehe Adami Murimuthensis Chronica sui temporis, hg. von Thomas Hog, London I 846, S. 34 f.

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Kann man «Visibilität» erzwingen? Die Bemühungen Philipps IV.

um umfassende Sichtbarkeit

Nach der von Philipp IV. forcierten Kanonisation Ludwigs IX. fasste der Kult um den neuen Heiligen ausgehend von der Ile-de-France relativ schnell Fuss, wovon Kirchenpatronate, Titulaturen, Ordensliturgien, Kalendereinträge und Toponyme zeugen.'J Philipp griff unter Zuhilfenahme aller ihm zur Verfügung stehenden Handlungsräume und Medien überall dort steuernd ein, wo es um die Institutionalisierung des Kultes, die Verbreitung von Bildern und die Kon­solidierung bestimmter Deutungen ging. So verfügte er zahlreiche administrative, fiskalische und monetäre Massnah­men in Ludwigs Sinn, nicht ohne die familiär geprägte Kontinuität dieser ordonnances zu betonen. Diereformation du royaume von I3o2/o3, Gebiets­und Rechtsansprüche gegenüber England und Spanien sowie der Angriff auf den Templerorden bezogen ihre Inspiration explizit aus der vorbildlichen Poli­tik des Heiligen. Schliesslich schrieb Philipp IV. auch militärische Siege nicht mehr nur traditionell der Unterstützung durch Gott, Maria und St. Denis zu, sondern auch «beato Ludovico Confessori, precipuis Gallicorum Patronis».' 4

Im Süden und Westen des Reiches - Gebieten also, in denen die Herrschaft des französischen Königtums auch unter Philipp IV. keineswegs gesichert erschien - erhielten zahlreiche Städte, die Philipp IV. zwischen I298 und I 308 gründete beziehungsweise deren Gründung er unterstützte, den Namen des neuen Heiligen und verfestigten mit Bezug auf Aigues-Mortes und die Kreuz­züge den regional spezifisch militärischen Charakter der Titulatur. ' 5

In das weite Feld der Symbolpolitik fällt - neben der Namengebung der Thronfolger' 6 und der Neuinszenierung des Heilungsrituals' 7 - das grosse Fest in Paris zu Pfingsten I 3 I 3, mit welchem die Ritterweihe der Söhne Philipps IV. und die Kreuznahme Philipps, seiner Söhne, Edwards II. sowie zahlrei­cher Adliger gefeiert wurde (es wird später darauf zurückzukommen sein).

I 3 Zum Prozess der Heiligsprechung vgl. Louis Carolus-Barre: Les enquetes pour Ia canonisa­tion de Saint Louis de Gregoire X a Boniface VIII et Ia bulle Gloria Laus, du rr aoih I297, in: Revue d'histoire de l'eglise de France 57 (I97I), S. I9-3I; ders.: Le proces de canonisation de saint Louis, I272-I297· Essai de reconstitution. Ms. prepare pour l'edition par Henri Platelle (Collection de l'Ecole franyaise de Rome I95), Rom I994; Jacques Le Gaff: Saint Louis, Paris I 99 5.

I4 Jacques Doublet: Histoire de L'Abbaye de S.Denys, Paris I625, S.94Ü I 5 Pierre More!: Le Culte de Saint Louis, Paris o. J., S. 8, Ir. I6 Philipp brach mit der kapetingischen Tradition der Namengebung der erstgeborenen Söhne

zu Gunsren des Heiligen. Der 1289 geborene Sohn wurde also nicht wie üblich nach seinem Grassvater Philipp, sondern nach seinem Urgrossvater Ludwig benannt.

I7 Elizabeth A. R. Brown: The Prince is the Father of the King. The character and childhood of Philip the Fair of France, in: Mediaeval Studies 49 (I987), S. 282-334, hier S. 288 .

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Philipp feierte sich hier als <<Louis redivivus>>, indem er die Festivitäten zum letzten Kreuzzug Ludwigs und der Ritterweihe Philipps III. 1267 und dessen Kreuzzugsambitionen wieder aufnahm und übertraf. 18 Er liess anlässlich der Ritterweihe dafür sorgen, dass seine Söhne in den Besitz von Stundenbüchern mit dem Offizium Ludovicus Decus Regnantium kamen, das ebenfalls unter seinem Einfluss entstanden war und die Hauptthemen der königlichen Ideo­logie um r 300 artikuliert. !9 Ludwigs Heiligkeit wird hier von seiner Regierung her verstanden und dazu eingesetzt, die Ideen Philipps zu sakralem Königtum und geheiligtem Königreich zu propagieren und mit der himmlischen Herr­schaft zu parallelisieren. Durch die regelmässige Verwendung im liturgischen Kontext und die Aufnahme in einige exklusive Stundenbücher der königlichen Familie war das erfolgreichste der fünf nach der Kanonisation entstandenen Offizien mit seinen Lektionen einer der wichtigsten und am weitesten verbrei­teten Texte zu Ludwig. 20

Zu Philipps Programm gehörte es auch, Kontinuität und Bedeutung der fran­zösischen Königsfamilie über das «image>> Ludwigs des Heiligen in religiösen Stiftungen und künstlerischer Bildproduktion auszudrücken, wobei das Bild des <<Heiligen>> nie ganz verschwand, von dem des <<Königs>> jedoch überlagert wurde. Die bedeutendste Stiftung ist Saint-Louis de Poissy, das 1304 zum Gedenken an den Geburts- und Taufort Ludwigs gegründet wurde. Die Stiftungsurkunde betont die enge Bindung Philipps IV, seiner Nachfolger und der königlichen Familie zum Kloster, die sich auch in der Auswahl der Nonnen und Priorinnen der nächsten Jahrzehnte zeigen sollte. 21 Obwohl die Klosterkirche und die

I8 Vgl. Elizabeth A.R. Brown und Nancy F. Regalado: La grantfeste. Philip the Fair's Cele­bration of the Knighting of His Sons in Paris at Pentecost of I 3 I 3, in: Barbara Hanawalt und Kathryn Reyerson (Hg.): City and Spectacle in Medieval Europe (Medieval Studies at Minneseta 6), Minneapolis I994, S. 56-86, passim, ZitatS. 73·

I9 Vgl. Marianne Cecilia Gaposchkin: Ludovicus Decus Regnantium: The Liturgical Office for Saint Louis and the Ideological Program of Philip the Fair, in: Majestas IO (2002), S. 27-75; dies.: The Making of Saint Louis. Kingship, Sanctity, and Crusade in the Later Middle Ages, Ithaca 2008.

20 Zu den Offizien und ihrer Bedeutung für den Kult vgl. Marianne Cecilia Gaposchkin: Boni­face VIII, Philip the Fair, and the sanctity of Louis IX, in: Journal of Medieval History 29 (2003), S. I-26; dies.: Philip the Fair, the Dominicans, and the liturgical Office for Louis IX: new perspectives on Ludovicus Decus Regnantium, in: Plainsong and Medieval Music I 3 (2004), s. 33-6!.

2I Vgl. Alain Erlande-Brandenburg: Art et politique sous Philippe le Bel, Ia priorale Saint­Louis de Poissy, in: Comptes rendus des seances de l'Academie des inscriptions et belles lettres (I987), S. 507-518, hier S. 507f.; ders.: La priorale Saint-Louis de Poissy, in: Bulletin monumental I29 (I97I), S. 85-II2; Suzanne Moreau-Rendu: Le Prieure royal de Saint-Louis de Poissy, Colmar I968; Nicole Tharieux: Marie de France, fille de Charles VI, religieuse a Poissy, in: Revue de l'histoire de Versailles et des Yvelines 59 (I97I), S. rr7-I42; Willibrord­Christian van Dijk: Quelques capetiennes et Poissy, in: Chronos I8 (I987), S. I4-I7.

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umgebenden Gebäude zur Klosterweihe 1304 noch nicht fertig gestellt waren, liess Philipp im den Laien zugänglichen Teil der Kirche Statuen von sechs Kindern Ludwigs sowie am Lettner die Figuren des Königs und Marguerites de Provence installieren, die die Bedeutung, die Philipp seiner Neugründung über die memoria für Ludwig IX. als neuen Heiligen hinaus für die gesamte kapetingische Familie zumass, augenfällig machten. 22 Königliche, genealogisch motivierte memoria und die Aufwertung des Königsheils durch die Einreihung eines neuen Heiligen in die Familie werden hier geschickt überblendet. Die neue Kirche wurde ausserdem durch die Herzreliquie Ludwigs ausgezeich­net, in deren Nähe Philipp sein eigenes Herzgrab einrichten liess. In ähn­licher Weise sorgte Philipp für Royallieu, das ein Fragment der Kreuzreliquie beherbergte!3 Die immer wieder vorgenommenen Teilungen der von Ludwig erworbenen Passionsreliquien und der Reliquien des Heiligen selbst ermög­lichten es Philipp darüber hinaus, seine Gunstbeweise im gesamten Königreich und darüber hinaus zu verteilen. Die elevatio der Gebeine Ludwigs erfolgte am 25. August 1298 in Saint-Denis und um 1303 begann dort der Bau der ersten Ludwigskapelle, in der Ludwig auf dem Altarretabel, der Predella, in den Fens­tern und in Form einer Statue auf dem Altar dargestellt war- in grossenTeilen finanziert von Philipp. WenigeJahre danach wurde die Translation des Kopfes, für den Guillaume Julien auf den Auftrag Philipps IV. hin schon seit 1299 das Reliquiar gefertigt hatte, in die Sainte-Chapelle durchgeführt.24 In der Folge­zeit wurde die Kopfreliquie zu einem zentralen Element von Bittprozessionen

22 Zur Diskussion um ihre Qualität, Funktion und Bedeutung vgl. Erlande-Brandenburg (Anm. 22), S. 90, ro4f.; Michael Viktor Schwarz: Höfische Skulptur im 14.]ahrhundert. Entwicklungsphasen und Vermittlungswege im Vorfeld des weichen Stils (Manuskripte zur Kunstwissenschaft in der Wemersehen Verlagsgesellschaft 6), Wonns 1986, S. 91; Tanja Praske: Bildstrategien unter Philipp IV. dem Schönen (r285-1314) und Kar! dem Weisen (r 364-1 38o). Das französische Königsbild im Wandel, in: Martin Büchse! und Peter Schmidt (Hg.): Realität und Projektion. Wirklichkeitsnahe Darstellung in Antike und Mittelalter, Berlin 2005, S. I47-17o, hier S. r 5 8-164; Wolfgang Brückle: Civitas terrena. Staatsrepräsen­tation und politischer Aristotelismus in der französischen Kunst 1270-1380 (Kunstwissen­schaftliche Studien I 24), München 2005, S. I24-IJO, I 33-13 5.

2 3 Beim Bau beider Klöster folgte man in formaler und stilistischer Hinsicht dem architekto­nischen Vorbild des von Ludwig IX. und seiner Mutter Blanca von Kastilien gegründeten Klosters Royaumont. Vgl. Henri Bautier: Diplomatique et histoire politique. Ce que Ia cri­tique diplomatique nous apprend sur Ia personnalite de Philippe le Bel, in: Revue historique 2 59 (1978), S. 3-27, hier S. 20; Elizabeth Hallam: Philip the Fair and the cult of Saint Louis, in: Stuart Mews (Hg.): Religion and National Identity. Papers read at the 19th summer meeting and the 2oth winter meeting of the ecclesiastical history school (Studies in Church History r8), Oxford 1982, S.201-2I4, hier S.207; Cartulaire de Royallieu, hg. von Paul Guynemer, Compiegne 191 r, Einleitung und S. r7f.

24 Auch dort war in der unteren Kapelle schon ein Altar für Ludwig errichtet worden. Die Diskussionen um die Translation dauerten lange, vgl. Elizabeth A. R. Brown: Philippe le Bel and the remains of Saint Louis, in: Gazette des Beaux-Arts 95 (r98o), S. 175-182.

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und den jährlichen Feiern des Translationstages. I307 platzierte man dann den in Saint-Denis verbliebenen Unterkiefer Ludwigs in Anwesenheit Philipps IV. in ein neues Reliquiar, das neben dem Abt erneut zwei Könige, Philipp IV. und seinen Vater, exponiert, um an die Translationen von I 27I und I 306 zu erin­nern. Im gleichen Jahr veranlasste Philipp in Saint-Denis eine Neuordnung der königlichen Gräber, die ihm einen Platz «ad latus sancti Ludovici, avi condam dicti regis»25 sicherte und ihn erneut in den dort schon lange vorherrschenden sakralen wie auch genealogischen Diskurs zurückbanden. In ganz ähnlicher Weise wie die religiösen Stiftungen nutzte Philipp IV. pro­fane Bauaufgaben zur Propagierung des neuen Kultes und Erhöhung der kapetingischen Dynastie. So trug zum Beispiel die Serie polychromer Statuen, die an den mittleren Säulen und an den Pilastern zu beiden Seiten der Grande Salle des Palais de La Cite in Paris gruppiert waren, durch ihre Formensprache zur Sakralisierung des Raumes bei, indem sie die Königsgalerien der grossen Kathedralen aufrief. Die Skulpturen stellten hier jedoch nicht alttestamenta­rische, sondern alle französischen Könige vom mythischen Pharamond bis Philipp IV. selbst dar und symbolisierten so die ungebrochene Kontinuität der Königsfolge. Ludwig der Heilige allerdings war als primus inter pares aus der Reihe herausgehoben und kniete vor einem Marienbildnis. Erreichte Philipp in Poissy und anderen Kirchen eine relativ grosse Kirchenöffentlichkeit, so bestand der Rezipientenkreis hier in der Reichsöffentlichkeit, die ebenfalls einen breiten Personenkreis umfasste!6 Das gernäss dem testamentarischen Willen Johannas I. von Navarra von ihrem Mann Philipp IV. I 304 gegründete Collegium Navarrae dagegen war dazu bestimmt, den neuen Kult innerhalb

2 5 La Mort et !es Funerailles de Philippe le Bel d'apres un compte rendu a Ia cour de Majorque (Guillaume Baldrich), hg. von Ch. Baudon de Mony, in: Bibliotheque de l'ecole des chartes 58 (1897), S. 5-16, hier S. 1r.

26 Zum Zyklus vgl. Uwe Bennert: Artet propagande politique sous Philippe IV le Bel: le cycle des rois de France dans Ia Grande salle du palais de Ia Cite, in: Revue de l'art 97 (1992), S. 46-59; Joan A. Holladay: The Court as Physical Setting: the Genealogical Cycle of Philip IV in the Palace at Paris, Vortrag auf dem Symposium der International Medieval Society, Paris 2005. http://www.imsparis.org/o5Abstracts/Holladay.html (23. September 2005); Noel Valois: Les statues de Ia grande salle du palais, in: Bulletin de Ia Societe de l'histoire de Paris et de l'Ile-de-France 30 (1903), s. 87- 90; Sabine Salet: La sculpture a Paris SOUS Philippe le Bel, in: Jean Denens (Hg.): Paris, foyer d'art au moyen age (Document archeologia 3), Dijon 1973, S. 42-52. Zur Kirchenöffentlichkeit Wolfgang Kemp: Memoria, Bilderzählung und der mittelalterliche esprit de systeme, in: Anselm Haverkamp und Renate Lachmann (Hg.): Memoria. Vergessen und erinnern (Poetik und Hermeneutik 15), München 1993, S. 263- 282, hier S. 267; zu <<Teilöffentlichkeiten>> Peter von Moos: Das Öffentliche und das Private im Mittelalter. Für einen kontrollierten Anachronismus, in: Gert Melville (Hg.): Das Öffentliche und Private in der Vormoderne (Norm und Struktur 10), Köln 1998, S. 3- 83; ders.: << Öffentlich» und <<privat» im Mittelalter. Zu einem Problem der historischen Begriffs­bildung (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 3 3), Heidelberg 2004.

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der Pariser Universität zu etablieren. Über dem Portal der Ludwig zu Ehren gegründeten Kapelle dominierte eine grosse Skulptur Ludwigs im Krönungs­ornat. Sie war mit Ludovicus decus regnantium bezeichnet und von weiteren Versatzstücken des erfolgreichen Offiziums und entsprechenden Emblemen umgeben und nahm somit zentrale Aussagen des von Philipp geförderten Bil­des Ludwigs in diesem neuen Kontext auf. Eine überaus effektive Massnahme Philipps IV. war die Unterstützung der Mitglieder seiner Entourage bei Stiftungen zu Gunsten des neuen Heiligen und die Förderung von Gründungen seiner Untertanen aus allen Schichten und Landesteilen zu dessen Ehren, sowohl ideell, als auch materiell. So wurden zum Beispiel in zahlreichen H6tels-Dieu Ludwigskapellen erbaut oder gestif­tet. Und auch der engste Berater Philipps IV., Enguerrand de Marigny, liess sich in Mainneville ein Schloss bauen, dessen Kapelle er unter das Patronat des heiligen Ludwig stellte. Für diese Kapelle, sein Schloss in Plessis und die Kol­legiatskirche von Ecouis liess er drei Statuen Ludwigs fertigen, von denen nur eine erhalten ist. An dieser sowie an anderen Stiftungen, vor allem Reliquiaren, ist ersichtlich, dass man sich bemühte, die ersten Künstler aus Paris zu beschäf­tigen, und dies nicht nur aus Qualitätsgründen, sondern auch, weil die Pariser Werkstätten in Stil und Formensprache mit den königlichen Aufträgen vertraut waren und man also auf einen Transfer der Bildsprache setzen konnte: Bei fast allen erhaltenen Skulpturen dominiert das Bild des Königs im Krönungsornat gegenüber dem in der frühen Hagiographie entworfenen Bettelordensheiligen. Die Strategie Philipps schien also aufzugehen. Die visuellen Medien, derer sich Philipp bediente und die auf einen grossen Rezipientenkreis zielten - Tafel-, Wand- und Glasmalerei sowie Bauskulptur und Paramente - , müssen im Zusammenhang mit den liturgischen Abläufen gesehen werden, in denen sich die figürlichen und narrativen Darstellungen mit den imaginären Bildern, die durch die Messe, die Texte der Offizien und die Predigten hervorgerufen wurden, verbanden. 27 Auch hier darf der Einfluss Philipps nicht unterschätzt werden: Indem er über die Offizien und mit Hilfe der Bettelorden auch die religiöse Praxis seiner Untertanen beeinflusste und durch seine Stiftungen massgeblich zur Veränderung des Aussehens der Fassa­den und Kircheninnenräume der grossen Bettelordenskirchen und Kathedra­len beitrug, gelang es ihm, zum einen überhaupt in grossem Stil Bilder Ludwigs des Heiligen in seinem Reich zu verbreiten, zum anderen über bestimmte <<images» Ludwigs gleichzeitig auch seine Vorstellungen von sakralem König-

27 Die Texte legen sich wie Gewebe um die Leiber der Heiligen. Vgl. Hedwig Röckelein: Vom webenden Hagiographen zum hagiographischen Text, in: Textus im Mittelalter. Kompo­nenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hg. von Ludolf Kuchen buch, Göttingen 2oo6, S. 77-r ro.

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turn, geheiligter Dynastie und monarchischer Kontinuität im wahrsten Sinne des Wortes «unter das Volk>> zu bringen. 28

Die breite Streuung der Bilder und <<images>> in räumlicher, geographischer, medien- und gattungsspezifischer sowie sozialer Hinsicht ist in einer sol­chen Aufzählung nur holzschnittartig darstellbar. Festzuhalten ist, dass das französische Königreich hinsichtlich der Abdeckung mit Ludwigsbildern kaum blinde Flecken aufwies. Es war Philipp in recht kurzer Zeit gelungen, seine Vorstellung davon, welche Vergangenheit und Zukunft das französische Königtum haben solle, potentiell <<visibel» zu machen - ein Potential, dessen sich sowohl seine politischen Gegner als auch seine Nachfolger bedienten. Ludwig konnte also zum Werkzeug in politischen Auseinandersetzungen werden, die innerhalb und ausserhalb der kapetingischen Familien und des französischen Königreiches geführt wurden, weil Philipp IV. in den 129oer bis r 3 roer Jahren für seine Sichtbarkeit Sorge getragen hatte. Die Dichte, in der Visualisierungen zur Verfügung standen, sowie die unterschiedlichen Orte, an denen sie präsent und zugänglich waren, hatte ebenso zugenommen wie die Ausprägung in verschiedene <<images>> differenziert und konsolidiert worden war. Für Philipp IV. stand das Bemühen, den Kult zu verbreiten und Ludwig als heiligen kapetingischen König präsent und sichtbar zu machen, an erster Stelle. Eingebunden war die Arbeit am <<image>> Ludwigs in eine Strategie, die die Visibilität der kapetingischen Herrschaft und des französischen Königtums zu erreichen suchte - und dafür benötigte Philipp IV. letztlich den weithin sichtbaren Vorfahren. Am Beispiel des Glasfensterzyklus in der Benediktinerabtei Fecamp (Norman­die)29 kann deutlich gemacht werden, wie die französische Bildproduktion um

28 Nicht zuletzt trug die in der Zeit nach Ludwigs Kanonisation in Saint-Denis entstandene Historiographie entscheidend zum << image>> Ludwigs bei und kann als weiterer Mosaikstein im Tableau der Massnahmen verstanden werden, die Philipp IV. ergriff, um den Kult seines Grassvaters zu fördern und dabei gleichzeitig die Herrschaft der Kapetinger zu legitimieren und zu konsolidieren. Auf ihre Funktion als Fürstenspiegel und den Rezipientenkreis unter den Thronfolgern des französischen Reiches verweist häufig die Inserierung der angeblich von Ludwig eigenhändig verfassten enseignements an seinen Sohn und Nachfolger.

29 Zum Zyklus vgl. Macleiirre Harrison: A Life of Edward the Confessor in Early Fourteenth­Century Stained Glass at Fecamp, in Normandy, in: Journal of the Warburg and Cour­tauld Institutes 26 (1963), S. 22-37; Jean Lafond: Les Vitraux de l'Abbaye de Ia Trinite de Fecamp, in: L'Abbaye Benedictine de Fecamp 658-1958, 3 Bände, Fecamp 1958- 1961, Bd. III, S. 97-120 (hors texte mit Addenda und Corrigenda, Paris 1958); vgl. Louis Grode­cki: Saint Louis et le vitrail, in: Monuments historiques de Ia France r6 (r97o) , S. 5-2r, hier S. r4; La France de Saint Louis. Septieme centenaire de Ia mort de Saint Louis. Exposition nationale, Salle des Gens d'Armes du Palais, Paris, octobre r97o-janvier 1971, organisee par le Ministere des Affaires Culturelles avec Ia collaboration du Ministere de l'Education Nationale, Paris [1970], Nr. 94; Philippe Verdierund Peter Brieger (Hg.): Art and the Courts. France and England from 1259 to 1328, Ottawa 1972, Nr.98.

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Ludwig IX. schon früh an neuralgischen Punkten ansetzte, die im Einfluss­und Interessenbereich sowohl Englands als auch Frankreichs lagen: Im Zyklus wird ein «image» Ludwigs angeboten, das von denen abweicht, die Philipp in der Krondomäne propagierte, und somit zeigt, dass nie nur eine Person (Phil­ipp) in die Genese solcher Bilder involviert war. Als einer der ersten Ludwigszyklen im bildkünstlerischen Bereich nehmen die zwischen 1299 und r 3 ro ausgeführten Fenster der Marienkapelle der Trinitäts­kirche Bezug auf die von Ludwigs IX. Tochter Elanehe in Auftrag gegebene Vie de Saint Louis des Guillaume de Saint-Pathus oder die wahrscheinlich nach dieser Vorlage gestalteten Wandmalereien im Klarissenkloster Lourcines, ohne jedoch die in beiden Quellen prominente Betonung der Barmherzigkeit Lud­wigs mit zu übernehmen. Es liegt nahe, den Auftrag für die Fenster, der die zwei bedeutenden dynas­tischen Heiligen, Edward den Bekenner und Ludwig den Heiligen, in Bezie­hung zueinander setzt, in Zusammenhang mit einer der beiden Hochzeiten von 1299, als Philipps IV. Schwester Marguerite Edward I. von England heiratete, oder qo8, als Philipps Tochter Isabella Edward II. heiratete, zu sehen,Jo doch ist hier kein Nachweis zu erbringen - es wird später darauf zurückzukommen sem. Rekonstruiert man die Szenenfolge der erhaltenen neunzehn - von ursprüng­lich zwanzig- Szenen des Ludwigszyklus chronologisch, so zeigt sich, dass der Schwerpunkt auf einer Darstellung Ludwigs IX. als erfolgreicher, wenn auch leidgeprüfter Kreuzfahrer liegtY Der sechste und siebte Kreuzzug mit dem Tod Ludwigs bilden den Rahmen für die wenigen Szenen, die mit beiden nicht in Verbindung zu bringen sind, das «image >> des Heiligen allerdings um weitere Details ergänzen. Der Zyklus begann wohl mit der Darstellung Ludwigs bei der Teilnahme an einer Messfeier, eine Szene, die in der Jugend Ludwigs, jedenfalls vor seiner ersten Kreuzfahrt, angesiedelt ist. Es folgte die Übergabe der von Ludwig 1239/4I von Balduin II. erworbenen Dornenkrone an den Bischof von Paris, der Ludwig im Portal einer Kirche stehend empfängt. Beide Szenen verweisen auch in späteren Zyklen immer wieder auf die sich früh abzeichnende tiefe Frömmigkeit Ludwigs und sein Bemühen darum, dieser Frömmigkeit adäquat und öffentlich Ausdruck zu verleihen. Die Folge von neun Bildfeldern, die sich

30 Letzteres vermutet Lafond (Anm. 29), S. I ro. F Vgl. Harrison (Anm. 29). Die drei Zyklen zu Ludwig dem Heiligen, Edward dem Beken­

ner und den Wüstenvätern, die zunächst für die Marienkapelle entstanden, wurden häufig restauriert, getrennt und neu zusammengesetzt. Vgl. zuletzt Martine Callias-Bey: Marguerite Hure (r896-r967). << L'affaire des vitraux voles>> de l'abbatiale de Fecamp, in: Annales du patrimoine de Fecamp 8 (2001 ), S. 52-55 .

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mit dem ersten Kreuzzug Ludwigs beschäftigen, beginnt mit einer Szene, die bisher als der mehrteiligen Todesszene zugehörig gedeutet wurde. Sie scheint jedoch eher die Kreuznahme beziehungsweise den Moment unmittelbar davor zu illustrieren. Ludwig liegt von Prälaten umringt todkrank auf einem Bett, das sich deutlich von den sarkophagartigen Strukturen der Todesszenen unter­scheidet.JZ Nun beginnt mit der Überquerung des Meeres durch die Kreuzfah­rer der eigentliche Kreuzzugsbericht. Es folgen die Einnahme von Damietta und die Sammlung der Knochen der getöteten Kreuzfahrer vor Sidon. Ins­gesamt vier Szenen sind der Gefangennahme Ludwigs und seiner Gefangen­schaft bei den Sarazenen gewidmet.33 Auf der Rückfahrt nach Frankreich gerät das Schiff in einen schlimmen Sturm, doch sorgen Ludwigs Gebete für eine glückliche Weiterfahrt unter der schützenden Hand Gottes. Nach der Ankunft vor einer befestigten (Hafen-)Stadt in Frankreich wird Ludwig an der Spitze seines Heeres von seinen Untertanen empfangen. Die nächste Szene zeigt als Einzige eine der barmherzigen Taten Ludwigs, die Speisung des leprösen Mön­ches von Royaumont. Es folgen Szenen, die nur schwer einzuordnen sind. Bei den Darstellungen des Königs zu Pferd vor einer Festung und erneut mit einer Gruppe vor ihm kniender Männer kann es sich um beliebige Szenen aus dem Regierungsalltag in Frankreich handeln, genauso plausibel wäre aber auch der Aufbruch zum nächsten Kreuzzug als Bildthema, denn es folgt die dritte Über­fahrtsszene, die Ludwigs zweiten Kreuzzug ankündigt. AbsehEessend wird in vier Bildfeldern das Sterben Ludwigs präsentiert. Auf den ersten beiden emp­fängt er von Mönchen und Bischöfen die Sterbesakramente. Die beiden letzten Felder nimmt der Begräbniszug ein. Während es wohl nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Viten Edwards und Ludwigs in Fecamp als Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Konzepte von Heiligkeit zu verstehen sind, die die «saintete analogique>> Edwards mit der «saintete pragmatique>> Ludwigs kontrastiert,34 sollten die so gezeichneten «images >> der beiden heiligen Könige jedoch auch in einem breiteren Kontext gesehen werden. Für eine besondere Verehrung Ludwigs in der Abtei gibt es - im Gegensatz zum Kult um Edward den Bekenner, der hier seine Jugend

32 Vergleicht man die Szene mit der späteren Darstellung in der Vitenhandschrift Paris, Biblio­theque nationale de France, Ms. fr. 5716, so fallen deutliche kompositorische Gemeinsam­keiten auf. Die Szene ist zwar später querrechteckig und nicht mehr hochkant, das Personal und seine Positionierung jedoch gleich geblieben.

33 Möglicherweise war hier auch die wundersame Wiedererlangung des verlorenen Breviers dargestellt. Zum Motiv vgl. Larry-Stuart Crist: The Breviary of Saint Louis: The Develop­ment of a Legendary Miracle, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 28 ( r 96 5 ), s. 3 19-323·

34 Jean-Guy Goutterbroze: Deux modeles de saintete royale. Edouard le Confesseur et saint Louis, in: Cahiers de civilisation medievale 42 (1999), S. 243-258, ZitatS. 257.

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im Exil verbrachte und zu einem lokal verehrten Heiligen wurde- keine Hin­weise.J5 Angesichts dessen scheint es angebracht, hinter dem grossen Zyklus in der Abteikirche <<artistic diplomacy» zu vermuten.J6 Hier ist nun wieder auf die Hochzeit Marguerites, der Halbschwester Philipps IV., mit Edward I. zurückzukommen. Die Hochzeit war schon Ende I 294 geplant worden, der entsprechende Vertrag wurde aber von Philipp IV. abgelehnt.J7 Dieses Datum könnte eine Erklärung dafür sein, dass die Planungen für den Fensterzyklus schon vor der Kanonisation Ludwigs begonnen hatten. Mit der Darstellung der Viten beider königlicher Heiliger sollte wohl - an einem prestigeträchtigen Ort auf umkämpftem Gebiet - die Verbindung der beiden Dynastien gefeiert werden, die durch die erneut aufkommenden Feindseligkeiten zwischen 1294 und 1299 verhindert und danach baldmöglichst vollendet wurde. Ludwig wurde für diesen Zweck stärker als Herrscher und Kreuzritter, und weniger als ein - am Ideal der Bettelorden ausgerichteter- Heiliger gezeichnet. Hier mag auch der Ort eine Rolle spielen, handelt es sich doch nicht um eine Bettelordenskirche, sondern um die Kirche einer altehrwürdigen Benediktiner­abtei. Die Darstellung Ludwigs als Kreuzfahrer hatte jedoch den Vorteil, dass die dynastische Exklusivität, mit der Philipp IV. Ludwig gerne belegte, etwas in den Hintergrund geriet, zu Gunsten eines allgemeineren Bildes eines mutigen und leidensfähigen heiligen Königs. Dieses Bild konnte auch Anknüpfungs­punkte für die englische Seite bieten, gerade in Kombination mit Edward dem Bekenner, dessen Kult in England unter Heinrich III. und Edward I. zuneh­mend wichtiger wurde. Angesichts dieses frühen <<Angebots>> ist es umso erstaunlicher, wenn nun festzustellen ist, dass weder der Ludwigskult noch die zusammen mit ihm in Umlauf gebrachten <<images» in England Anklang fanden.

Kann man «Visibilität» unsichtbar machen? Die Geltungsansprüche Isabellas

von Frankreich im Licht ihrer bildpolitischen Strategien

Nicht nur der Zyklus in Fecamp gibt Anlass dazu, einen Transfer des entste­henden Ludwigskultes nach England zu erwarten. Angesichts der Entwick­lungen in Frankreich liegt die Vermutung nahe, dass er unter dem Einfluss

35 Art and the Courts (Anm. 29), Bd. I, S. 174. 36 Georgia Sommers Wright: A Tomb Program at Fecamp, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte

47 (r984), S. r86-209, ZitatS. 205 . Edward I. hatte den während der Streitigkeiten eingezoge­nen englischen Besitz der Abtei erst r 301 zurückerstattet. Zur Beziehung Philipps zur Abtei vgl. Art and the Courts (Anm. 29), Bd. I, S. 173-175·

37 Brown (Anm. r8), S. 303.

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der beiden englischen Königinnen französischer Herkunft - Marguerite, Halbschwester Philipps IV. und zweite Frau Edwards I., und Isabella, Tochter Philipps IV. und Frau Edwards II. - grössere Verbreitung fand. Doch wäh­rend Marguerite sich um den Import der religiös geprägten Ludwigsvereh­rung nach England bemühte, die letztendlich aber auf den engsten Kreis der Königsfamilie beschränkt blieb, verfolgte Isabella andere Ziele. Als englische Königin förderte sie weder den Kult, noch übertrug sie die in Frankreich eta­blierte «Visibilität>> Ludwigs/Philipps und die damit verbundenen politischen Ambitionen nach England, sondern verschleierte, verhinderte und überlagerte sie. Isabellas Schweigen bestand jedoch nicht in der vollständigen Unsichtbar­machung Ludwigs, im Gegenteil, es wird als solches erkennbar durch diverse visuelle und textuelle Verweise, die die Leerstellen als solche markieren. Isabella war auf die politischen Aufgaben, die ihre <<por plus grant fermete de la dicte pes [paix]•38 geschlossene Hochzeit mit sich brachte, im Rahmen ihrer Erziehung am Hof zehn Jahre lang vorbereitet worden.J9 Wie ihre Brüder war auch sie direkt mit dem Kult des neuen Heiligen konfrontiert, der kurz nach ihrer Geburt institutionalisiert worden war. Philipp war bemüht darum, auch nach der Hochzeit weiterhin engen Kontakt mit Isabella zu halten und auf sie und später ihren Sohn, den englischen Thronfolger, einzuwirken. Doch auch von anderer Seite wurden Erwartungen an sie herangetragen. Spätestens seit dem Sturz des königlichen Favoriten Piers Gaveston I 3 I2 nahm sie eine bedeutende Rolle als Vermittlerin zwischen Edward li. und der baronialen Opposition ein und wiederholt verhandelte sie mit ihren Brüdern über Ver­träge, die das englisch-französische Verhältnis betrafen.40 Mit dem Tod Piers' Gaveston und der Geburt des Thronfolgers im gleichen Jahr schien sich das Verhältnis zwischen Edward und Isabella verbessert zu haben. Als allerdings mit Vater und Sohn Despenser neue Günstlinge am Hofe die Regie übernah­men, schwand Isabellas Macht wieder und sie blieb I 3 2 5 schliesslich gegen den

38 Vertrag von Montreuil. Foedera, conventiones, litterae, et cujuscunque generis acta publica, inter reges Angliae et alias quosvis imperatores, reges [ ... ]ab ingressu Gulielmi I. in Angliam [ ... ], hg. von Thomas Rymer et al. (Publications of the Record Commission), 4 Bände in 6 Teil bänden, 2. Auflage, London I8I6- I869, Bd. I, I8I6, S.9o6f.

39 Nach der Verlobung I298 und dem Vertrag von Montreuil, der I299 Einzelheiten regelte, wurde die Hochzeit schliesslich I 308 in Boulogne gefeiert. Isabella war zu diesem Zeitpunkt fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, vgl. Paul Doherty: The Date of the Birth of Isabella Queen of England, I 308-I 3 58, in: Historical Research 48 (I975), S. 246- 248. Zu diesem Anlass verschenkte Philipp IV. erneut ein Reliquiar mit einem Kreuzfragment an die Kathedrale in Boulogne. V gl. Camille Enlart: L'Emaillerie cloisonnee a Paris SOUS Philippe le Bel et le maltre Guillaume Julien, in: Monuments et memoires de la Fondation Eugene Piot 29 (I927!28), S. I-97, hier S. I 7, 5 r.

40 Zur zeitgenössischen und modernen Bewertung Isabellas und ihren Funktionen zwischen I308 und I330 vgl. Sophia Menache: Isabella of France, queen of England- a reconsidera­tion, in: Journal of Medieval History IO (I984), S. Io7-I24.

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Willen Edwards mit dem Thronfolger in Frankreich, wohin sie ursprünglich wegen einer erneuten Friedensmission gesandt worden war. Wenn auch die Motivationen und Handlungsspielräume Isabellas für ihr Agieren zwischen I 308 und I 32 5 aufgrund der schwierigen Quellenlage nicht immer gut einseh­bar sind, so erscheint doch zumindest dieser letzte Schritt als bewusste Ent­scheidung ihrerseits, die sie gegen erheblichen Widerstand durchsetzte und die schliesslich den Sturz Edwards II. und eine dreijährige Regentschaft Isabellas in England zeitigte.4' Von einer solchen bewussten Entscheidung zeugt meines Erachtens auch das in ihren Büchern und Stiftungen ebenso wie ihrer politischen und diplomatischen Tätigkeit erkennbare Schweigen über den heiligen Vorfahren, der zur gleichen Zeit ihren Brüdern und weiteren Verwandten auf dem Kontinent so gute Dienste leisteteY Das lässt sich vor allem in ihren politisch informierten und engagierten Aufträgen zeigen, die der Unterweisung ihres Erstgeborenen, des Thronfolgers Edward, dienten. Viele Aufträge Isabellas enthalten Allusionen an englische Könige, womit sie einerseits den Erwartungen an die neue eng­lische Königin entsprach, andererseits aber ihr Schweigen über Ludwig umso deutlicher wurde.4J Ein Beispiel für die subtilen Verweisstrategien, die für Isabella oder in ihrem Auftrag visualisiert wurden, ist ihr anlässlich der Verlobung mit Edward zwischen I304 und 1308 in England entstandener Münchner Psalter. 44 Er sollte Isabella als «matrix of ideas>>45 zur Einführung in die neue Rolle und zum Kennenlernen ihrer neuen Umgebung dienen und nimmt durch die Themen- und Szenenauswahl - wie auch der wahrscheinlich von ihr in Auf­trag gegebene Queen Mary Psalter46

- auf den Leidener Psalter Ludwigs des

41 Isabella regierte nach der vom Vater ihrer zukünftigen Schwiegertochter, Philippa von Hen­negau, unterstützten Invasion im Namen ihres Sohnes, bis dieser sie und ihren Partner Roger Mortimer 1330 stürzte. Vgl. zu den Beziehungen zu Frankreich Michael Bennett: Isabelle of France, Anglo-French Diplomacy and Cultural Exchange in the Late 1350s, in: James S. Bothwell (Hg.): The Age of Edward III, Rochester 2001, S. 2r 5-225.

42 Isabella wusste wie ihre Zeitgenossen das erzieherische Potential illuminierter Bücher zu schätzen. Vgl. Anne Rudloff Stanton: Isabelle of France and her Manuscripts, 1 308-r 3 58, in: Kathleen Nolan (Hg.): Capetian Women, New York 2003, S. 22 5-2 52·

43 Zu retrospektiv festgestelltem bedeutendem Schweigen vgl. Bilmes (Anm. 4), S. 82 ( << implicit silence>> ).

44 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. Gall. r6. 4 5 Anne Rudloff Stanton: The psalter of Isabelle, Queen of England r 308-r 330: Isabelle as the

audience, in: Word & Image r8 (zoo2), S. r-27, hier S. r. 46 London, British Library, Ms. Royalz B VII. Vgl. Anne Rudloff Stanton: From Eve to Bath­

sheba and beyond. Motherhood in the Queen Mary psalter, in: J ane H. M. Taylor und Lesley Smith (Hg.): Women and the Book. Assessing the Visual Evidence (British Library Studies in Medieval Culture 2), London 1997, S. 172-189; Kathryn A. Smith: History, typology and homily: theJoseph cycle in the Queen Mary Psalter, in: Gesta 32 (1993), S. 147-159·

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Heiligen47 Bezug, der sich zu diesem Zeitpunkt wohlgehütet im Besitz der französischen Königsfamilie befand. Im Queen Mary Psalter wie auch im Münchner Psalter stehen allerdings englische Heilige - wie die Könige Edward der Bekenner, Edmund und Oswald - in Kalender und Litanei im Vorder­grund. Ein ähnliches Bild bieten die im East-Anglia-Stil ausgeführten Tay­mouth Hours, 48 die Isabella zwischen I3 25 und I335 in Auftrag gab. Sowohl im Queen Mary Psalter als auch in den Taymouth Hours nimmt allerdings auch der französische Nationalheilige Dionysius eine prominente Stellung ein. Daraus - und aus formalen Zitaten aus dem Stundenbuch ihrer Schwä­gerin Jeanne d'Evreux49 - wird ersichtlich, dass Isabella (beziehungsweise die für sie agierenden englischen Auftraggeber) sich nicht der Bezugnahme auf prestigeträchtige Symbole der französischen Monarchie enthielt, sondern die Zurückhaltung lediglich für Ludwig den Heiligen galt. 5o

Philipp IV. dagegen hörte nicht auf, seine Tochter und seinen Schwiegersohn mit seinen «images» Ludwigs des Heiligen zu konfrontieren. Er erbat sich die Anwesenheit beider auf dem grossen Pfingstfest von I 3 I 3. Die im Zuge dieser Reise wohl als Gegenleistung für einige Privilegien und somit pflichtschuldig erfolgten Stiftungen Edwards galten dem Ludwigsaltar in Saint-Denis und der Dornenkrone in der Sainte-Chapelle. Ebenso führte das Itinerar der Rückreise über die wichtigsten Kultorte Ludwigs. Die Aufenthalte in Maubuisson und insbesondere in Poissy lassen auf die Teilnahme an liturgischen Handlungen und Stiftungen zu Ehren Ludwigs und Blancas von Kastilien schliessen, die Philipp IV. initiiert hatteY Dementsprechend zeugt die ungewöhnlich illust­rierte Apokalypsenhandschrift, 52 die Isabella von ihrem Vater zur Erinnerung an diesen Besuch erhielt und in der die Passionsreliquien und Poissy eine her­ausragende Stellung einnehmen, ebenfalls vom Stolz auf die Abstammung von Ludwig dem Heiligen - wie vielleicht auch der verlorene Psalter, den sie von Philipp zur Hochzeit bekam.5l Das Manuskript fügt sich also in die anlässlich

47 Leiden, Universitätsbibliothek, Ms. 76A. 48 London, British Library, Ms. Yates Thompson 13. 49 New York, Metropolitan Museum, The Cloister, Ms. 54.2.1. 50 Auch in anderen Kontexten zeigt sich, dass Isabella die Mechanismen der Herrschafts­

konsolidierung und -propagierung qua Stiftungen und Ähnliches durchaus beherrschte. 51 Vgl. Brown und Regalado (Anm. 19); The Itinerary of Edward II and his Household, 1307-

IJ28, hg. von Elizabeth M. Hallam (List and Index Society 21 1), London 1984, S. 98-102. Zu den Privilegien vgl. Elizabeth A. R. Brown: Diplomacy, adultery and domestic politics at the court of Philip the Fair: Queen Isabelle's mission to Francein 1314, in: Jeffrey S. Hamilton und Patricia J. Bradley (Hg.): Documenting the Past. Essays in Medieval History Presented to George Peddy Cuttino, Woodbridge 1989, S. 53-83, hier S. 56-62.

52 Paris, Bibliotheque nationale de France, Ms. fr. 13096. 53 The Inventory of the Jewels and Wardrobe of Queen Isabella (1 307-8), hg. von Walter E.

Rhodes, in: English Historical Review 12 (1897), S. 517-521. Bei dieser Gelegenheit erhielt die Kathedrale in Boulogne, wo die Hochzeit stattfand, eine Kreuzreliquie von Philipp.

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des Festes betriebene politisch motivierte Kultpropaganda Philipps IV. ein. Es dokumentiert zudem seinen Anspruch, Isabella in ihrer neuen Rolle als englische Königin an ihre französische Abstammung zu erinnern, sie in seine Politik einzubinden und Einfluss auf sie zu nehmen. Er hatte damit jedoch nur sehr begrenzten Erfolg: Auf einer Reise nach Frankreich I 314, die offiziell als Pilgerreise geplant war und auf der Isabella diplomatische Aufgaben für Edward II. erledigte, besuchte sie zwar zahlreiche Schreine, doch ist keine Stif­tung nachweisbar, die explizit zu Ehren Ludwigs getätigt wurde. Sie agierte auf dieser Reise in ihrer Eigenschaft als englische Königin, für die zu jenem Zeit­punkt kein Bedarf bestand, sich dem französischen Ludwigskult über Gebühr zuzuwenden; und auch politische, diplomatische oder repräsentative Gründe schien es diesmal keine zu geben. Nach I 32 5 dann - wiederum in diplomatischer Mission in Frankreich - nahm Isabella an zahlreichen grossen Festen teil, so zum Beispiel an der Krönung Jeannes d'Evreux am Ir. Mai I 326, und unterhielt ein dichtes Netzwerk inner­halb der englischen baronialen Opposition und des französischen Hochadels. Die formalen und stilistischen Einflüsse, die im Queen Mary Psalterund in den Taymouth Hours zu spüren sind, können grösstenteils auf Eindrücke während dieser Frankreichreise zurückgeführt werden. Insbesondere in Seitenlayout und Motivzitaten lassen sich das Stundenbuch der Jeanne d'Evreux und ein im Umkreis von Jean Pucelle illuminierter Psalter aus Poissy als Vorbilder der Manuskripte ausmachen. Die Übermittlung dieser Einflüsse an die ausführen­den englischen Werkstätten erfolgte wohl sowohl durch die Auftraggeberin selbst, die auf bestimmte Inhalte, Motive oder Stilelemente besonderen Wert legte, als auch auf der Ebene der mitreisenden Geistlichen, Beamten, Dichter und Musiker.54 Obwohl es also von französischer Seite entsprechende Versuche gegeben hatte, Ludwig in und für England zu etablieren, wie den Fensterzyklus in Fecamp oder die Apokalypsenhandschrift Isabellas, blieb Letztere erstaunlich zurückhaltend, was die Instrumentalisierung ihres Urgrossvaters in englischen Zusammenhängen anging - auch und vor allem bei der Erziehung ihres Sohnes und ihrer Regentschaft während der Jahre I327 bis I330 wie die Betrachtung didaktischer Handschriften zeigt, die sie für Edward III. und seine Frau Phi-

54 Vgl. L.M.J. Delaisse, James Marrow und John de Wit (Hg.): Illuminated Manuscripts (The James A. Rothschild Collection at Waddesdon Manor 8), London 1977, S. 37-58; Jeffrey Hamburger: The Waddesdon Psalter and the Shop of Jean Pucelle, in: Zeitschrift für Kunst­geschichte 44 (r98r), S. 243-257; Starrton (Anm. 43), S. 245. Siehe auch Otto Pächt: A Giotto­esque Episode in English Medieval Art, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 6 (r943), S. sr-70. Zum Kulturaustausch zwischen den Mitgereisten Andrew Wathey: The Marriage of Edward III and the Transmission of French Motets to England, in: Journal of the American Musicological Society 45 (1992), S. r-29, passim.

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lippa von Hennegau in Auftrag gegeben und deren Zusammenstellung sie genau überwacht hatte.55 Der von Walter von Milemete verfasste Fürstenspiegel De nobilitatibus, sapi­entiis, et prudentiis regum (Oxford, Christchurch College, Ms. 92) und für Edward gefertigte Kopien des pseudoaristotelischen Textes De secretis secre­torum (London, British Library, Ms. Add. 4768o) weisen den jungen König auf Alexander und seinen Grossvater Edward I. als Vorbilder hin. Diese zwei Manuskripte bilden zusammen mit einer Pariser Sammelbandschrift mora­lisch-didaktischen Inhalts (Paris, Bibliotheque nationale de France, Ms. fr. 571) eine Gruppe, die im Auftrag Isabellas anlässlich der Verlobung und Hochzeit mit Philippa beziehungsweise Edwards III. Thronbesteigung entstand.5 6

Der in Bild und Text dicht verzahnte Traktat Walters weist deutliche Bezüge zu den gleichzeitigen politischen Entwicklungen in England auf. Das Programm wurde von Isabella überwacht und genau auf Edward III. zugeschnitten.P Am Beginn der Handschrift ist es Georg, der Edward sein Wappenschild überreicht und damit zum ersten Mal explizit als Beschützer des Königs und Nationalheiliger Englands aufgerufen wird. Die darauf folgenden Miniaturen zeigen die Erstürmung des Schlosses der Liebe- eine Anspielung auf die Ver­lobung Edwards mit Philippa- und ein Doppelbildnis Isabellas und Edwards, das einen Verweis auf Blanca und Ludwig IX. in der Bible moralisee Ludwigs (New York, Pierpont Morgan Library, MS 240, fol. 8r) darstellt. Diese Paral­lelisierung auf der visuellen Ebene lässt das Fehlen Ludwigs als Referenz im Text besonders deutlich werden. Der Traktat Walters setzt- als Begleittext der Secretis secretorum- ausschliesslich auf Alexander als Vorbild. In der Sammelbandschrift kreisen die ausgewählten Stücke alle um das Thema «Königtum>> und üblicherweise mit Ludwig in Verbindung gebrachte Motive wie Schutz der Kirche, gerechtes Richten und Bekehrung der Ungläubigen,

55 Michael A. Michael: The Iconography of Kingship in the Walter of Milemete Treatise, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 57 (r994), S. 3 5-47, hier S. 46f. und passim.

56 Zu diesem Handschriftenkomplex vgl. Michael A. Michael: A Manuscript Wedding Gift from Philippa of Hainault to Edward III, in: Burlington Magazine 123 (r985), S. 582-599; ders . (Anm. 56); Wathey (Anm. 55); Frederique Lachaud: Un << miroir au prince>> meconnu: le De nobilitatibus, sapienciis et prudenciis regum de Walter Milemete (vers 1326-1327), in: Jacques Paviot und Jacques Verger (Hg.): Guerre, pouvoir et noblesse au Moyen Age. Melangesen l'honneur de Philippe Contamine, Paris 2ooo, S. 40I-4ro; A Speculum Principis for Edward III, hg. von S.J. Bird, Chapel Hili 1975; Political Thought in Early Fourteenth­Century England. Treatises by Walter of Milemete, William of Pagula, and William of Ock­ham, hg. von Cary]. Nederman (Medieval and Renaissancetextsand studies 250; Arizona Studies in the Middle Ages and the Renaissance ro), Turnhaut 2002, S. I 5-6r.

57 Davon zeugt zum Beispiel auch die Übernahme von <<Detractor est nequissima», einer Motette, die lediglich in diesen zwei Manuskripten überliefert ist und auf die Gefahren schlechter Ratgeber verweist. In Frankreich konnte der Bezug zu Enguerrand de Marigny ebenso hergestellt werden wie in England der zu den beiden Despenser.

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doch bleiben die Allusionen an Ludwig vage (bis unsichtbar), gerade wenn man sie mit der kurz zuvor entstandenen Pariser Fauvel-Sammelhandschrift für Philipp V. (Paris, Bibliotheque nationale de France, Ms. fr. q6) vergleicht, die in vielem als Vorbild gedient haben könnte.5 8 Zwei der dort überlieferten Motetten wurden übernommen und übermitteln den didaktischen und prak­tisch-politischen Anspruch des Manuskriptes. Der Text forderte schon Ludwig X., Philipp V. - und in der Sammelhandschrift dann auch Edward III. - auf, «in proavi degens sanctitate I ecclesie pacis tenens lorum I ac iudicans plebem equitate>>. Doch bleibt der Bezug auf Ludwig in diesem Zusammenhang wie erwähnt vage und unbestimmt, da er nicht wie in Ms. fr. q6 mit weiteren Versatzstücken kombiniert ist, die auf Verwandtschaft mit Ludwig, direkte Nachfolge und die daraus erwachsende Verpflichtung verweisen. Zwei Prinzenspiegel für Edward III., die Wilhelm von Pagula 1331 und 1332 verfasste (Oxford, Bodleian Library, Ms. Digby 172 und Ms. Bodl. 624), setzen Ludwig IX. als Vorbild für Edward III. dann erstmals explizit, wenn auch sehr sparsam ein .59 Neben zahlreichen für einen Fürstenspiegel konventionellen Quellen nutzt Wilhelm überraschenderweise auch eine lateinische Version der enseignements Ludwigs für seine Kompilation.60 Wilhelm verwendet sie als Verhaltensanweisung für Edward und kommentiert die Empfehlungen, ohne die verwandtschaftliche Beziehung zwischen beiden zu erwähnen. Stattdessen legt William Edward seinen Namensvetter, «non pater tuus sed sanctus Edwar­dus, rex et martir",6' als Vorbild ans Herz und weist später noch einmal auf die Notwendigkeit der Einhaltung der enseignements hin,62 doch die Anspielun-

58 Die Handschrift enthielt neben den heute noch erhaltenen Teilen (Brunetto Latini, Livre de Tresor; Secreta Secretorum in französischer Übersetzung; drei kurze Prosastücke; Ludowice Qui servat; Rex Detractor Verbum; Raoulle Petit, Fauveyn) noch <<le Iivre deJulius Cesar, le gouvernement des roys, l'estature nostre seignur et le couronnement le roy de France>> und weitere nicht mehr identifizierbare Texte.

59 Zu den Texten vgl. De speculo regis Edwardi III, hg. von Joseph Moisant, Paris I89I, A, S. 8I-I23 nach Oxford, Bodleian Library, Ms. Dig. I72, B, S. 125-I69 nach Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodl. 624. Vgl. James Tait: On the Date and Authorship of the Speculum Regis Edwardi, in: English Historical Review I6 (I90I), S. I Iü-II 5; Leonard E. Boyle: William of Pagula and the <<Speculum Regis Edwardi IIh, in: Mediaeval Studies 32 (I97o), S. 329-336; ders.: The Oculus Sacerdotis and some other Works of William of Pagula. The Alexander Prize Essay, in: Transactions of the Royal Historical Society 5 (I 95 5 ), S. 8I-IIo; Cary J. Nederman und Cynthia Neville: The Origins of the <<Speculum Regis Edwardi IIh of William of Pagula, in: Studi Medievali 38 (I997), S. 3I7-329; Political Thought (Anm. 57), s. 63-I39·

6o Wilhelm muss eine Version der enseignements vorgelegen haben, die aus der Zeit vor I 296 stammt. Es ist zu vermuten, dass Isabella oder Marguerite, die aller Wahrscheinlichkeit nach im Besitz einer Abschrift der enseignements oder der Vita Geoffrois waren, ihm diese Quelle zur Verfügung stellten. Vgl. Rathmann-Lutz (Anm. 6), S. I64f.

6I De speculo regis Edwardi III (Anm. 6o), A, S. I I7. 62 Ebd., B, s. I69.

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gen verbleiben auf der allgemeinen Ebene der Exempla, die Wilhelm in seinem Werk verwendet. An keiner Stelle wird - wie aus den französischen Werken hinlänglich bekannt - auf die Abstammung von Ludwig und eine daraus resul­tierende besondere Verpflichtung oder Gabe Edwards verwiesen. Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass Isabella und Edward III. zwischen I 3 2 5 und I 340 weder ein Interesse daran hatten, den französischen heiligen König Ludwig als Ideal für das englische Königtum zu stilisieren, noch ihre Verwandtschaft mit ihm politisch zu instrumentalisieren. Zwar übernahm Isabella die Methode, in elaborierten Manuskripten Einfluss auf die nächste Generation auszuüben, vom Kontinent, doch die Inhalte waren «englisch>>, wie auch die Probleme zu jener Zeit vornehmlich «innenpolitischer>> Art waren. Paradoxerweise schuf Isabella, indem sie den Ludwig vereinnahmenden Ges­tus ihrer Verwandten mied und Ludwig als Vorbild in einer Art übernationa­lem Tugendraum beliess, unwissentlich die Voraussetzung dafür, dass Ludwig in England später hauptsächlich als Mittler und Bindeglied zwischen den spä­teren Konfliktparteien präsentiert werden konnte. Nur für einen kurzen, bedeutsamen Zeitraum während der Regierungszeit Edwards III. gewann das «image>> Ludwigs des Heiligen auch in und für Eng­land politische Bedeutung; dieses kurze Zwischenspiel zeigt deutlich, warum vorher bewusst auf die genealogische Bezugnahme verzichtet worden war: Mit der öffentlichen Wiederaufnahme der Ansprüche auf den Thron Frankreichs durch Edward III. I33 7, der Annahme des französischen Königstitels I340 und der Aufnahme der fleur de lys in das königliche Wappen war ein Wendepunkt hinsichtlich der Ludwigsbezüge seitens des englischen Königshauses zu beob­achten. In offizieller und öffentlicher Mission - das Schreiben sollte an Kir­chentüren geheftet werden - wandte sich Edward III. gleich im Februar I340

an das französische Volk, die Pairs, Prälaten, Herzöge, Barone, Adligen und Kommunen. Nun nannte er Ludwig den Heiligen in der Rechtfertigung seiner Annahme des französischen Königstitels seinen «progenitor>> beziehungsweise «nostre ancestre progenitour saint Lowys de Fraunce>>. Philipp VI. wird als Usurpator bezeichnet und Edward als «Retter>> stilisiert, der die <<bonas leges et consuetudines>>, die zur Zeit seines Vorfahren, des heiligen Ludwig, in Kraft waren, wieder einsetzt. 6

l Mit dem Versprechen, alles so wie in den Zeiten Ludwigs zu machen, reagiert Edward direkt auf die Anschuldigungen gegen die französischen Könige, die schon seit I 3 q/r 5 in Frankreich kursierten. Er erweist sich in allem als profunder Kenner der französischen Argumentations­linien und -Strategien und greift zum passenden politischen Zeitpunkt auf sie zurück. Er präsentiert Ludwig nun als Wurzel seines Anrechts auf den franzö-

6 3 Zum Beispiel in Foedera (Anm. 39 ), Bd. I I. 2, I 82 I, S. I Io8 f., I I Ir.

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sischen Thron und als idealen König und wendet sich damit letztlich von den Strategien seiner Mutter ab, der die Trennung der Traditionslinien der beiden Reiche so wichtig gewesen war. Da Isabella den Kult Ludwigs in England nicht weiter förderte und es weder für nötig noch als ratsam erachtet hatte, Ludwig in einem innenpolitischen Kontext zu instrumentalisieren, dauerte es also bis in die zweite Hälfte der Regierungszeit Edwards III., bis der heilige König als Argument in den Nach­folgequerden um den französischen Thron und als Bezugsahn in der Genea­logie auftaucht und die französisch geprägten «images» in England adaptiert und - teilweise -visibel wurden.

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