technikgenerationen in der mensch-technik-interaktion

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240 Technikgenerationen in der Mensch-Technik-Interaktion Mandy Töppel 1 , Julian Stubbe 1 , Stefan Schmidt 2 und Werner Rammert 3 Schlüsselwörter: Technikgenerationen, Technografie, Sprachdialogsystem, Usability Zusammenfassung Wir gehen in unserem Beitrag davon aus, dass soziale Faktoren wie Geschlecht, Alter und Bil- dung nicht per se die Techniknutzung beeinflussen, sondern vielmehr dass Technikgeneratio- nen unterschiedliche Nutzungspraktiken erwerben, die sie im Umgang mit Mainstream- Technologien verinnerlicht haben. Unsere Untersuchung fand in einer Smart-Home-Umgebung statt, in der eine heterogene Nutzergruppe hinsichtlich der Faktoren Generation, Geschlecht und Bildung eine ihnen unbekannte Technologie mittels Spracheingaben bediente. Anhand von techniksoziologischen Beobachtungsmethoden werden Nutzungsstile und –probleme beleuch- tet. Um den Verlauf von Nutzerverhalten grafisch darstellen zu können, entwickelten wir ein Interaktivitätsmodell basierend auf unseren empirischen Daten. In unseren Ergebnissen weisen wir den Interaktivitätsschritt „Neustart“ bei älteren Jahrgängen nach, der auf ein lineares Ver- ständnis der Bedienung von Technik hinweist und auf mangelnde Erfahrungen mit Interfaces zurückzuführen ist. Abstract Within this article we proceed from the assumption that social factors like gender, age or edu- cation do not influence the usage of technology per se, but rather in the sense that “technology generations” inhabit different practices of usage depending on mainstream technologies of a given time. Our investigation took place in a Smart Home-environment in which a group, hete- rogeneous in terms of generation, gender and education had to operate a prior unknown tech- nology by using speech commands. By means of sociological methods of observation, styles and problems of usage were discovered. In order to illustrate the course of user behavior we developed an interactivity model based on our empirical data. The continuous appearance of the interactivity step “Restart” within the sequences of older cohorts indicates their linear un- derstanding of operations, which implies lacking experience with interfaces. Einleitung Im Januar 2010 ist am Zentrum Technik und Gesellschaft, in Kooperation mit dem Quality and Usability Lab der Deutsche Telekom Laboratories, das von der Deutsche Forschungsgemein- schaft geförderte Projekt 4 „Modellierung von Benutzerverhalten zur Usability-Evaluierung von Sprachdialogdiensten mit Hilfe von techniksoziologisch ermittelten Regeln“ gestartet. Ein Vor- satz des Vorhabens ist es, Mensch-Technik-Interaktion zu untersuchen, um darauf aufbauend typische Nutzungspraktiken von Technik zu rekonstruieren. Unter Nutzungspraktiken verste- hen wir Handlungsgewohnheiten, die durch ein hohes Maß an Kontinuität habitualisiert wur- den, aber dennoch eine situative Flexibilität aufweisen, um sie gegenüber einer unbekannten Technik anzuwenden. In unserem Beitrag wollen wir zeigen, wie die Konzepte der Technikge- nerationen und der Technografie in die Gestaltung, Evaluation und Antizipation von Mensch- Maschine-Systemen einfließen können. 1 Zentrum Technik und Gesellschaft, TU Berlin 2 Deutsche Telekom Laboratories, TU Berlin 3 Institut für Soziologie, TU Berlin 4 Fördernummern: RA 236/10-1 und MO 1038/8-1

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240

Technikgenerationen in der Mensch-Technik-Interaktion

Mandy Töppel1, Julian Stubbe1, Stefan Schmidt2 und Werner Rammert3

Schlüsselwörter: Technikgenerationen, Technografie, Sprachdialogsystem, Usability

Zusammenfassung

Wir gehen in unserem Beitrag davon aus, dass soziale Faktoren wie Geschlecht, Alter und Bil-dung nicht per se die Techniknutzung beeinflussen, sondern vielmehr dass Technikgeneratio-nen unterschiedliche Nutzungspraktiken erwerben, die sie im Umgang mit Mainstream-Technologien verinnerlicht haben. Unsere Untersuchung fand in einer Smart-Home-Umgebung statt, in der eine heterogene Nutzergruppe hinsichtlich der Faktoren Generation, Geschlecht und Bildung eine ihnen unbekannte Technologie mittels Spracheingaben bediente. Anhand von techniksoziologischen Beobachtungsmethoden werden Nutzungsstile und –probleme beleuch-tet. Um den Verlauf von Nutzerverhalten grafisch darstellen zu können, entwickelten wir ein Interaktivitätsmodell basierend auf unseren empirischen Daten. In unseren Ergebnissen weisen wir den Interaktivitätsschritt „Neustart“ bei älteren Jahrgängen nach, der auf ein lineares Ver-ständnis der Bedienung von Technik hinweist und auf mangelnde Erfahrungen mit Interfaces zurückzuführen ist.

Abstract

Within this article we proceed from the assumption that social factors like gender, age or edu-cation do not influence the usage of technology per se, but rather in the sense that “technology generations” inhabit different practices of usage depending on mainstream technologies of a given time. Our investigation took place in a Smart Home-environment in which a group, hete-rogeneous in terms of generation, gender and education had to operate a prior unknown tech-nology by using speech commands. By means of sociological methods of observation, styles and problems of usage were discovered. In order to illustrate the course of user behavior we developed an interactivity model based on our empirical data. The continuous appearance of the interactivity step “Restart” within the sequences of older cohorts indicates their linear un-derstanding of operations, which implies lacking experience with interfaces.

Einleitung

Im Januar 2010 ist am Zentrum Technik und Gesellschaft, in Kooperation mit dem Quality and Usability Lab der Deutsche Telekom Laboratories, das von der Deutsche Forschungsgemein-schaft geförderte Projekt4 „Modellierung von Benutzerverhalten zur Usability-Evaluierung von Sprachdialogdiensten mit Hilfe von techniksoziologisch ermittelten Regeln“ gestartet. Ein Vor-satz des Vorhabens ist es, Mensch-Technik-Interaktion zu untersuchen, um darauf aufbauend typische Nutzungspraktiken von Technik zu rekonstruieren. Unter Nutzungspraktiken verste-hen wir Handlungsgewohnheiten, die durch ein hohes Maß an Kontinuität habitualisiert wur-den, aber dennoch eine situative Flexibilität aufweisen, um sie gegenüber einer unbekannten Technik anzuwenden. In unserem Beitrag wollen wir zeigen, wie die Konzepte der Technikge-nerationen und der Technografie in die Gestaltung, Evaluation und Antizipation von Mensch-Maschine-Systemen einfließen können.

1 Zentrum Technik und Gesellschaft, TU Berlin 2 Deutsche Telekom Laboratories, TU Berlin 3 Institut für Soziologie, TU Berlin 4 Fördernummern: RA 236/10-1 und MO 1038/8-1

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Technikgenerationen

In den letzten 150 Jahren wurden die alltäglichen Lebensformen durch einen grundlegenden technischen Wandel geprägt. Rammert (1993) benennt dazu in seinem Artikel „Technik und Alltagsleben“ die Technisierung des Hauses, die Mechanisierung der häuslichen Arbeiten, die Industrialisierung der Nahrungsmittelherstellung, die Motorisierung des Verkehrs sowie die Elektrifizierung der Kommunikationsmedien. Die Beherrschung und Akzeptanz dieser techni-schen Innovationen im Alltag erklärt sich nach Sackmann und Weymann (1994) durch die Zu-gehörigkeit zu einer bestimmten Generation mit ihren typischen Technikbesitz, ihren Technik-erfahrungen und deren Technikkompetenzen. Das Konzept der Technikgeneration beinhaltet, dass jeder Techniknutzer in seiner primären Sozialisationsphase mit einer Mainstream-Technologie in Berührung kommt, die seine Nutzung von technischen Geräten typisiert. Nut-zungsprobleme mit innovativen Techniken entstehen somit durch eine mangelnde Anpassung der Funktionen und Eigenschaften entwickelter Systeme an bestehende Interaktionsgewohnhei-ten potenzieller Nutzer.

Tully (2003) betrachtet hierzu neue Technologien als Instanz der Sozialisation. In der Tech-nikanwendung ginge es nicht mehr nur um die Funktion einer Technik, sondern um die Dyna-mik von Technikentwicklungen und deren Vielfalt von Anwendungsmöglichkeiten. Das macht das Konzept einer Techniksozialisation umso bedeutender, da es bei der Bedienung von Tech-niken weniger um konkrete Handlungsweisen, vielmehr um die Vermittlung allgemeiner Stan-dards geht.

Docampo Rama (2001) beschreibt die unterschiedliche Nutzung von Interfaces bei Personen die entweder der Elektro-mechanischen Generation oder der Software-Generation zuzuordnen sind. Dabei untersuchte Docampo Rama, ähnlich wie in unserem Vorhaben, die Nutzung einer TV-Menüführung. Generationstypische Nutzerstrategien sind demnach das erfolgreiche Navi-gieren gegenüber dem erfolglosen Manipulieren.

Technografie

Um generationsspezifische Nutzungsstile und –probleme aufzudecken, wird in diesem Beitrag auf die „Technografie“ (Rammert und Schubert, 2006) zurückgegriffen. Technografie ist eine mikrosoziologische Forschungsmethodik, welche spezifische Situationen des Umgangs mit Technik fokussiert und diese aus ethnografischer Perspektive analysiert. Dabei geht sie über das traditionelle Methodeninventar der Ethnografie hinaus und vereint Videografie, Webnografie sowie Interaktivitätsexperimente inklusive der Verarbeitung von Systemdaten.

In diesem Beitrag wird auf Video- und Systemdaten (Log-Files) sowie qualitative Interviews zurückgegriffen. Die Arbeit mit Videomitschnitten hat für uns den Vorteil, dass Details von Verhaltensabläufen beobachtbar werden, die von den Beobachteten nur schwer expliziert wer-den können. Es werden somit Zusammenhänge von Sequenzen beobachtbar, die ohne diese genauen Aufnahmen keine Beachtung gefunden hätten (Knoblauch, 2004). Die Arbeit mit Sys-temdaten oder Log-Files ist in der Usability-Forschung schon etabliert, jedoch ist sie innerhalb der Soziologie derzeit noch ein Novum. Im Rahmen unseres Auswertungsansatzes werden wir einen Versuch vorstellen, Video- und Systemdaten in einer synchron angelegten Darstellungs-weise zu integrieren.

Untersuchungssetting

Das in der Untersuchung verwendete experimentelle Sprachdialogsystem „INSPIRE“1 beinhal-tet verschiedene Heimgeräte, wie einen Anrufbeantworter, eine TV-Programminformation oder einen MP3-Player. Da es sich bei INSPIRE um ein Sprachdialogsystem im Entwicklungsstadi-

1 INfotainment management with Speech Interaction via REmote microphones and telephone interfaces

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um handelt, wurden die Interaktionsverläufe zwischen Nutzer und System im Labor beobach-tet. Vor diesem Hintergrund wurden die Geräte von einer nichtsichtbaren Person gesteuert, die sich im Kontrollraum aufhielt. Dieses Vorgehen wird beim Testen von Prototypen angewendet und im Usability-Engineering als „Wizard of Oz“ (Sarodnick und Brau, 2006) bezeichnet. Die Untersuchung fand in einer Smart-Home-Umgebung mit einer komplexen Aufgabenstellung zur TV-Programminformation statt, die von INSPIRE visuell auf einem Monitor unterstützt wurde. Die Nutzenden hatten keine Erfahrungen mit dem Sprachdialogsystem INSPIRE und wurden bei der Bewältigung der Aufgaben nicht begleitet. Wenn sie Hilfe benötigten, konnten sie mit der Spracheingabe „Hilfe“ einen Hilfeprompt aktivieren, der sie über Möglichkeiten der Bedienung des Systems informierte.

Zusammensetzung des Samples

Um durch die Auswahl eines Samples Verzerrungen beim experimentellen Umgang mit INSPIRE zu vermeiden (bspw. jung, männlich, technikinteressiert, höher ausgebildet) wurde eine heterogene Gruppe hinsichtlich der Faktoren Generation, Geschlecht und Bildung zusam-mengestellt. In Anlehnung an das Konzept der Technikgeneration (Sackmann und Weymann, 1994) erfolgte eine Verteilung der Probanden in die Altersgruppen 18-35, 36-55 und 55+. In der ersten und zweiten Erhebungsphase (April 2010/2011) nahmen insgesamt 74 Probanden teil.

Beobachtungs- und Befragungsdaten

Damit sowohl nutzer- wie auch technik- und interaktionsspezifische Beobachtungsdaten so umfassend wie möglich erhoben werden, kamen folgende bewährte Beobachtungsmethoden zum Einsatz: Videomitschnitte, Beobachtungsprotokolle, Bildschirmsignale und Log-Files. In den Videodaten sind die Handlungen der Nutzenden zu sehen. Der Fokus liegt dabei auf ihrem Oberkörper sowie ihrem Gesichtsausdruck. Während der Interaktion mit dem Gerät wurde zu-dem ein Beobachtungsprotokoll zu Auffälligkeiten hinsichtlich der Spracheingaben der Nutzer oder Störungen des Systems geführt. Die in der Bedienung der Programminformation entstan-denen Bildschirmsignale wurden aufgenommen. Log-Files protokollieren jede Systemaktion und sorgen dafür, dass jede Handlung in ihrer Reihenfolge nachvollziehbar wird. Sie beinhal-ten die Eingaben des Wizard of Oz, den Systemstatus und die protokollierte Sprachausgabe.

Die Beobachtungsverfahren wurden durch Interviews mit einem Videofeedback (Sarodnick und Brau, 2006) ergänzt. Die Nutzenden wurden direkt nach Beendigung der Aufgaben mit ausgewählten Videoausschnitten konfrontiert. Sie wurden gebeten, die ihnen gezeigten Video-sequenzen zu kommentieren und ihr Handeln zu reflektieren. Nachdem die Teilnehmenden bezüglich der Irritationen im Umgang mit INSPIRE befragt wurden, erfolgte anschließend ein leitfadengestütztes Interview mit drei thematischen Schwerpunkten:

1. Alltägliche Techniknutzung: Welche Informations- bzw. Kommunikationstechnologien nutzen die Befragten täglich, in welchen Bereichen (privat/beruflich)?

2. Alltägliche Technikkompetenz: Welche Technikkompetenzen hinsichtlich bestimmter Hardware und Softwareprogramme besitzen die Befragten?

3. Ähnlichkeiten zwischen der bekannten und der neuen Technologie: An welche Technolo-gien aus dem Alltag haben sich die Befragten bei der Bedienung von INSPIRE erinnert?

Durch die Befragung werden die in der Beobachtung sich einstellenden Handlungen zwi-schen den Nutzenden und INSPIRE sowie die dabei auftretenden Usability-Probleme ursäch-lich auf Nutzungsgewohnheiten und Technikkompetenzen im Umgang mit ähnlichen Techno-logien zurückgeführt und ermöglichen es, den Interaktions- bzw. Aneignungsprozess besser zu verstehen.

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Interaktivitätsmodell und typische Interaktivitätsschritte

Das Interaktivitätsmodell (Abb.1), welches unserer Auswertung zugrunde liegt, wurde „aus den Daten heraus“ entwickelt. Das heißt, dass der Ausgangspunkt des Modells keine theoreti-sche Logik über das Nutzerverhalten ist, sondern die empirische Beobachtung und die Frage, welche Handlungselemente wir in den Daten unterscheiden können. Dabei hat das Modell den Anspruch Sequenzen offen zu legen in denen sich typische Verhaltensweisen zeigen und an denen es zu Irritationsmomenten im Umgang mit INSPIRE kam.

Das Nutzerverhalten wurde in drei Teilschritte gegliedert:

1. Aufgabe – die Intention des Nutzers hat entweder zum Ziel sich Informationen über das System zu beschaffen oder das System zu manipulieren,

2. Operationalisierung – der Befehl erfolgt als Stichwort, Teilsatz oder Satz,

3. Bewertung – die Systemantwort wird vom Nutzenden als „erwartet“ oder „unerwartet“ bewertet.

Die durch die Nutzereingaben hervorgerufenen Reaktionen von INSPIRE wurden in Log-Files festgehalten, welche die Sprachausgabe und den Systemstatus enthalten. Die Prompts der Sprachausgabe wurden unterteilt nach vorgebenden Fragen, halboffenen Fragen und offenen Fragen sowie bestätigenden Prompts, die keine Frage beinhalten. Anhand der Teilschritte wur-den alle Beobachtungsdaten mit der Software ELAN1 annotiert.

Abb.1: Interaktivitätsmodell und typische Interaktivitätsschritte

Jeder Wechsel zwischen Nutzer und System wurde in seinem Bezug zum vorangegangenen Schritt bestimmt und als Interaktivitätsschritt kategorisiert. Mit diesem Vorgehen ließen sich folgende typische Interaktivitätsschritte aufzeigen (siehe Abb.1):

Anpassung (an): Das System stellt eine vorgebende Frage, an die sich der Nutzer anpasst.

Variation der Form (vf): Es erfolgt eine unerwartete Systemreaktion und der Nutzer vari-iert die Operationalisierung seines Befehls gegenüber seinem vorangegangenen Befehl.

Variation des Inhaltes (vi): Der Nutzer macht eine Spracheingabe, die nichts mit dem In-halt der Aufgabenszenarios zu tun hat.

Wiederholung (w): Der Nutzende wiederholt seinen Befehl im genauen Wortlaut.

Hilfe (h): Der Nutzende sagt Hilfe und erhält einen situationsspezifischen Hilfe-Prompt.

1 ELAN ist ein Annotationstool, das verwendet wird um Videos in Verbindung mit Transkripten zu analysieren. Der Vorteil liegt für unser Vorhaben darin, dass wir Transkripte zur Sprache, Gestik und Mimik des Probanden sowie die technischen Protokolle (Log-Files- diese beinhalten den Prompt, Systemstatus sowie die Wizard of Oz-Eingaben) in ELAN importieren konnten. Folglich sind alle erfassten Daten in einem Tool dargestellt. Weiterhin können Zeilen hinzugefügt werden, die eine Codierung bzw. Anno-tation zu ausgewählten Zeitfenstern zulassen.

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Neustart (neu): Der Nutzende bricht den Dialog mit INSPIRE ab und startet einen Neu-beginn des Szenarios.

Die Einteilung in Interaktivitätsschritte ermöglicht es uns, Interaktivitätssequenzen grafisch darzustellen und typische Muster zu rekonstruieren (siehe dazu Abb. 2).

Interaktivitätssequenzen

In der Auswertung wurden die Jahrgänge, mit Bezug zum Technikgenerationenkonzept, je nach Geschlecht (m für männlich, w für weiblich) aus beiden Iterationen betrachtet. Die fol-gende Abbildung (Abb.2) beinhaltet exemplarisch die Interaktivitätssequenzen der älteren Jahrgänge bei der Bedienung der Programminformation.

Abb.2: Interaktivitätssequenzen der Programminformation vom Jahrgang 1929-1956 (m/w)

Die Interaktivitätssequenzen zeigen, welche Schritte die User im Umgang mit INSPIRE voll-führten, um die Aufgabe zu bewältigen. Ein Ziel ist es, Interaktivitätsschritte zu ermitteln, die auf Irritationen hinweisen (wie Hilfe oder Neustart) und diese mit Attributen wie Techniknut-zung und Technikkompetenz zu verknüpfen.

Ergebnisdiskussion

Ein Dialog mit INSPIRE ist durch Symbole, wie Begriffe der Sprachausgabe und Icons auf dem Bildschirm, gekennzeichnet. Die Bedienung von Technik mittels Symbolen bedarf folg-lich einer Erfahrung und Kompetenz mit der Interface-Logik. In den Sequenzen älterer Jahr-gänge entdeckten wir das häufige Auftreten des Interaktivitätsschrittes „Neustart“ (siehe Abb.2, dunkel markiert). Hier konnte ein signifikanter Zusammenhang (Fisher-Test, p < 0,01) zwischen der Zugehörigkeit zu einer Altersklasse und der Verwendung von Neustarts gezeigt werden. Die älteren Nutzenden gaben zudem an, dass sie im Alltag keinen HTPC1 besitzen. Wir schließen daraus, dass die Personen aus den älteren Jahrgängen das dialogische Prinzip der Technik nicht erkennen. Die Interface-Logik basiert auf Simulationen und der ständigen Mög-lichkeit Aktionen zu revidieren. Sherry Turkle macht die Wirkung dieser Logik auf das Nut-zerverhalten wie folgt deutlich (1997: 52):

„Now, playing with simulations encourages people to develop the skills of the more infor-mal soft mastery because it is easier to run ‚What if?’ scenarios and tinker with the outcome.“

Diese Fähigkeit der „soft mastery“ ist bei Personen älterer Jahrgänge gering ausgeprägt. Das häufige Neustarten der Aufgabe legt die Annahme nahe, dass diese Personen nicht die von Turkle beschriebenen „What if?“-Szenarien durchspielen, um auf diese Weise zu lernen wie das System beherrscht werden kann. Die fehlenden Technikerfahrungen und Interaktionsge-

1 Home Theater Personal Computer, basiert auf PC-Komponenten und ähnelt in seiner dialogischen Menüführung der Programm-information von INSPIRE.

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wohnheiten mit dialogischer Technik führen bei der Wahrnehmung von Problemen zu einem Neubeginn im Dialog mit INSPIRE und zeigen auf, dass die älteren Nutzer die Funktion der Technik mit manipulativen Strategien beherrschen wollen. Die jungen Jahrgänge dagegen ver-wendeten eher die Strategie des Navigierens durch das Menü und entdeckten dabei erfolgreich die Anwendungsmöglichkeiten von INSPIRE. Dass die Bedienung eines Interfaces von älteren Jahrgängen noch nicht verinnerlicht wurde, machen auch Sackmann und Weymann (1994) am Beispiel der Einführung von Bargeldautomaten deutlich. Die Nutzung digitalisierter Bargeld-automaten wurde schneller von jüngeren Generationen angenommen, die vertraut waren mit der operativen Logik digitaler Technologien (ebd.: 65).

Zusammenfassung und Ausblick

Die umfassenden Beobachtungsdaten durch technografische Methoden erlaubten es uns einen Datensatz zu generieren, aus dem sich ein Interaktivitätsmodell ableiten ließ. Das Modell bilde-te die Grundlage zur grafischen Darstellung von Interaktivitätssequenzen, die Auffälligkeiten in der Interaktion zwischen Nutzenden und INSPIRE aufdecken. In den Sequenzen wurde deutlich, dass ältere Jahrgänge eine Strategie der Manipulation anwenden, die von einem linea-ren Funktionsverständnis von Technik geprägt ist und sich anhand des Interaktivitätsschrittes „Neustart“ zeigt. Die Jüngeren Nutzer dagegen haben ein Nicht-lineares Verständnis von Technik, dass durch ein erfolgreiches Navigieren angezeigt wird. Um die Usability von INSPIRE für ältere Nutzende zu optimieren, schlagen wir eine Hilfeausgabe vor, die nach der Auswahl des Gerätes das nächstmögliche Ziel aufzeigt. Die Hilfeausgaben sollten zudem kon-krete Kommandos beinhalten, die dem Nutzer den Einstieg in den Dialog erleichtern. Darüber hinaus sollten die grafischen Ausgaben mit informierenden und bestätigenden Sprachausgaben verbunden werden. Der Dialogmanager von INSPIRE sollte flexibler gestaltet sein, um sich Nutzenden jeder Technikgeneration durch unterschiedliche Dialogstrategien anzupassen. Wei-terhin sollte es dem Benutzer möglich sein, einen Modus einzustellen, der seinen Erfahrungen mit Sprachdialogsystemen entspricht.

Literatur

Docampo Rama, M. (2001). Technology Generations Handling Complex Interfaces. PhD Thesis Eindhoven University of Technology.

Knoblauch, H. (2004). Die Videointeraktionsanalyse. Sozialer Sinn (1), 123-138. Rammert, W. (1993). Technik und Alltagsleben: Sozialer Wandel durch Mechanisierung und

technische Medien. In H. Albrecht (Hrsg.), Technik und Gesellschaft. Reihe: Technik und Kultur, Bd. 10 (S. 178-203). Düsseldorf: Georg-Agricola-Gesellschaft, VDI-Verlag.

Rammert, W. & C. Schubert (2006). Technografie. Zur Mikrosoziologie der Technik. Frankfurt, New York: Campus Verlag.

Sackmann, R. & A. Weymann (1994). Die Technisierung des Alltags. Generationen und technische Innovationen. Frankfurt/NewYork: Campus.

Sarodnick, F. & H. Brau (2006). Methoden der Usability Evaluation: wissenschaftliche Grundlagen und praktische Anwendung. Bern: Huber.

Tully, C. J. (2003). Mensch - Maschine - Megabyte. Technik in der Alltagskultur. Eine sozialwissenschaftliche Hinführung. Opladen: Leske + Budrich.

Turkle, S. (1997). Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York: Simon & Schuster.