strukturelle Äquivalenzen und grenzerfahrungen. olga neuwirths ensemblestück »hooloomooloo«...

11
67 Stefan Drees Strukturelle Äquivalenzen und Grenzerfahrungen. Olga Neuwirths Ensemblestück Hooloomooloo (1996/97) und seine Beziehung zum gleichnamigen Triptychon von Frank Stella (1994) 1 [2007] Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen die Bemühungen, Olga Neuwirths rund 16- minütige Komposition Hooloomooloo für drei Ensemblegruppen und Zuspiel-CD (1996/97) 2 auf ihre Beziehungen zum gleichnamigen Gemälde des amerikanischen Künstlers Frank Stella (* 1936) hin zu untersuchen – ein heikles Thema angesichts der vielen Blüten, die das Thema »Musik und bildende Kunst« während der vergangenen Jahrzehnte getrieben hat. 3 Die Über- einstimmung der Titel von Bild und Komposition provoziert von vornherein die Frage, in wel- chem Verhältnis die von ihren internen Bedingungen her so unterschiedlichen Medien Malerei und Musik, aber auch die damit verbundenen Wahrnehmungsmodalitäten Sehen und Hören zueinander stehen; darüber hinaus gibt sie der Vermutung Raum, dass bestimmte charakte- ristische Elemente von Stellas Arbeit mit spezifischen ästhetischen Vorstellungen Neuwirths übereinstimmen. Es existiert demnach eine Art Schnittmenge zweier künstlerischer Ansätze, die in Neuwirths Fall dazu geführt hat, dass das Bild zu einem Katalysator für die Entstehung des Ensemblestücks werden konnte. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich mit den beiden Be- griffen »Grenzerfahrungen« und »strukturelle Äquivalenzen« näher umschreiben und sollen im Folgenden anhand einiger Beispiele näher erläutert werden. Dabei bleibt jedoch immer auf die grundsätzliche Problematik eines hypothetischen Verhältnisses zwischen Bild und Musik hinzu- weisen: Denn die Titelgleichheit kann allzu leicht dazu verführen, eine Reihe nicht existierender Abhängigkeiten zu konstruieren, und zur Bestimmung oberflächlicher Übereinstimmungen füh- ren, die den eigentlichen Sinn der Auseinandersetzung mit dem anderen Medium überhaupt nicht erfassen. 4 Anregungen und Berührungspunkte I In seinem 1994 entstandenen Triptychon Hooloomooloo setzt sich Frank Stella mit den Prin- zipien einer illusionistischen Darstellung auseinander, indem er dem Betrachter räumliche Wir- kungen vorspiegelt. Das Gemälde aus der Serie Imaginary Places besteht aus drei getrennten, aber dennoch motivisch ineinander übergehenden, reliefartigen Tafelbildern von gleichartiger Farbgebung, aber mit jeweils leicht unterschiedlich strukturierter Oberfläche. Als zentrales Motiv der abstrakten Bildsprache fungieren spiral- und kreisförmige Elemente, auf die der Werktitel mit seinen insgesamt acht »O«s hinweist; konzeptionell bedeutender ist jedoch das ambivalente Spiel mit den beiden Polaritäten Räumlichkeit-Fläche und Vordergrund-Hintergrund, denn Hoo- loomooloo bezieht seine Wirkung vor allem aus den subtilen Übergängen zwischen einer realen Dreidimensionalität und der illusionistischen Perspektivität der Bildoberfläche. Die Beschäftigung mit entsprechenden optischen Ambivalenzen zählt seit den frühesten Wer- ken zu den Konstanten von Stellas Arbeiten. Die Struktur bildenden Grundprinzipien zu ih- rer Erzeugung lassen sich trotz gewisser Wandlungen in der Anwendung künstlerischer und technischer Verfahren auf wenige Elemente eingrenzen, nämlich auf »Umkehr und Wiederkehr, Wiederholung und Austauschbarkeit, Repetition und Reversibilität«. 5 In den Werken der Serie 1 Die folgende Untersuchung basi- ert auf einem Vortrag, den der Autor am 24. 5. 2005 an der Musikhochschule Münster im Rahmen der Ringvorlesung »Musik und Malerei« gehalten hat und wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. Sie bezieht jedoch Aspekte des bereits zu- vor publizierten Aufsatzes Perspektiven- wechsel. Tonraum-Deformationen durch In- strumentalklang-Verstimmungen bei Olga Neuwirth (in: Positionen 48, August 2001, S. 31–33) mit ein. 2 Die Uraufführung der Kompos- tion fand am 14. 3. 1997 im Rahmen der Musikbiennale Berlin durch das Ensem- ble Modern unter Leitung von Jonath- an Nott statt. 3 Zur Problematik dieses Themenkreis- es vgl. außerdem die Ausführungen der Komponistin im Gespräch mit Gerald Matt, Das wunderbare Labyrinth der Welt, im vorliegenden Band, S. 344–348. 4 Dieses Problem zeigt sich etwa in der Untersuchung von Axel Petri, Materi- ale Analogiebildungen zwischen Musik und bildender Kunst. Eine Analyse der Werke

Upload: hfm-berlin

Post on 24-Jan-2023

0 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

67

Stefan DreesStrukturelle Äquivalenzen und Grenzerfahrungen. Olga Neuwirths Ensemblestück Hooloomooloo (1996/97) und seine Beziehung zum gleichnamigen Triptychon von Frank Stella (1994)1 [2007]

Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen die Bemühungen, Olga Neuwirths rund 16-minütige Komposition Hooloomooloo für drei Ensemblegruppen und Zuspiel-CD (1996/97)2 auf ihre Beziehungen zum gleichnamigen Gemälde des amerikanischen Künstlers Frank Stella (* 1936) hin zu untersuchen – ein heikles Thema angesichts der vielen Blüten, die das Thema »Musik und bildende Kunst« während der vergangenen Jahrzehnte getrieben hat.3 Die Über-einstimmung der Titel von Bild und Komposition provoziert von vornherein die Frage, in wel-chem Verhältnis die von ihren internen Bedingungen her so unterschiedlichen Medien Malerei und Musik, aber auch die damit verbundenen Wahrnehmungsmodalitäten Sehen und Hören zueinander stehen; darüber hinaus gibt sie der Vermutung Raum, dass bestimmte charakte-ristische Elemente von Stellas Arbeit mit spezifischen ästhetischen Vorstellungen Neuwirths übereinstimmen. Es existiert demnach eine Art Schnittmenge zweier künstlerischer Ansätze, die in Neuwirths Fall dazu geführt hat, dass das Bild zu einem Katalysator für die Entstehung des Ensemblestücks werden konnte. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich mit den beiden Be-griffen »Grenzerfahrungen« und »strukturelle Äquivalenzen« näher umschreiben und sollen im Folgenden anhand einiger Beispiele näher erläutert werden. Dabei bleibt jedoch immer auf die grundsätzliche Problematik eines hypothetischen Verhältnisses zwischen Bild und Musik hinzu-weisen: Denn die Titelgleichheit kann allzu leicht dazu verführen, eine Reihe nicht existierender Abhängigkeiten zu konstruieren, und zur Bestimmung oberflächlicher Übereinstimmungen füh-ren, die den eigentlichen Sinn der Auseinandersetzung mit dem anderen Medium überhaupt nicht erfassen.4

Anregungen und Berührungspunkte IIn seinem 1994 entstandenen Triptychon Hooloomooloo setzt sich Frank Stella mit den Prin-zipien einer illusionistischen Darstellung auseinander, indem er dem Betrachter räumliche Wir-kungen vorspiegelt. Das Gemälde aus der Serie Imaginary Places besteht aus drei getrennten, aber dennoch motivisch ineinander übergehenden, reliefartigen Tafelbildern von gleichartiger Farbgebung, aber mit jeweils leicht unterschiedlich strukturierter Oberfläche. Als zentrales Motiv der abstrakten Bildsprache fungieren spiral- und kreisförmige Elemente, auf die der Werktitel mit seinen insgesamt acht »O«s hinweist; konzeptionell bedeutender ist jedoch das ambivalente Spiel mit den beiden Polaritäten Räumlichkeit-Fläche und Vordergrund-Hintergrund, denn Hoo-loomooloo bezieht seine Wirkung vor allem aus den subtilen Übergängen zwischen einer realen Dreidimensionalität und der illusionistischen Perspektivität der Bildoberfläche.Die Beschäftigung mit entsprechenden optischen Ambivalenzen zählt seit den frühesten Wer-ken zu den Konstanten von Stellas Arbeiten. Die Struktur bildenden Grundprinzipien zu ih-rer Erzeugung lassen sich trotz gewisser Wandlungen in der Anwendung künstlerischer und technischer Verfahren auf wenige Elemente eingrenzen, nämlich auf »Umkehr und Wiederkehr, Wiederholung und Austauschbarkeit, Repetition und Reversibilität«.5 In den Werken der Serie

1 Die folgende Untersuchung basi-ert auf einem Vortrag, den der Autor am 24. 5. 2005 an der Musikhochschule Münster im Rahmen der Ringvorlesung »Musik und Malerei« gehalten hat und wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. Sie bezieht jedoch Aspekte des bereits zu-vor publizierten Aufsatzes Perspektiven-wechsel. Tonraum-Deformationen durch In-

strumentalklang-Verstimmungen bei Olga Neuwirth (in: Positionen 48, August 2001, S. 31–33) mit ein.2 Die Uraufführung der Kompos-tion fand am 14. 3. 1997 im Rahmen der Musikbiennale Berlin durch das Ensem-ble Modern unter Leitung von Jonath-an Nott statt.

3 Zur Problematik dieses Themenkreis-es vgl. außerdem die Ausführungen der Komponistin im Gespräch mit Gerald Matt, Das wunderbare Labyrinth der Welt, im vorliegenden Band, S. 344–348.4 Dieses Problem zeigt sich etwa in der Untersuchung von Axel Petri, Materi-ale Analogiebildungen zwischen Musik und bildender Kunst. Eine Analyse der Werke

68

Imaginary Places tritt neben die vielfältig abgewandelte Form der Spirale auch die gitterarti-ge, schematisierte Darstellung von langen, im Raum sich drehenden Rauchfahnen, die Stel-la per Computer zu grafischen Mustern geformt und wiederum auf die Leinwand übertragen hat. Durch solche Arbeitsschritte, aber auch durch die Verwendung heterogener Materialien gewinnt er ein großes Arsenal optischer Hilfsmittel, das ihm dazu dient, die Übergänge zwi-schen Bildfläche und realer Dreidimensionalität, zwischen Hintergrundstrukturen und Vorder-grundfiguren zu verwischen: »monochrome Flächen, illusionistische übereinander geschichtete Flächen, illusionistisch gewölbte Raumgitter, durch Schattenimitation hervorgerufene Plastizität von Scheinkörpern oder Schichtung im Raum, reale Schichtung von übereinandergeklebten Stoffen mit anliegenden oder abstehenden Ecken, aus der Bildfläche in den Raum des Betrach-ters auskragende Streifen und Flächenkompartimente, die wie Zungen von der Oberfläche des Bildträgers abstehen oder sich im Raum wieder einrollen, um einen eigenen Innenraum vom Außenraum abzugrenzen«.6

Stella entwirft also auf der Grundfläche seiner Leinwand eine Art Relief, das dem Betrachter aus der Ferne unterschiedlich starke Raumwirkungen suggeriert. Der Umstand, dass sich erst dem analytischen Blick diese Wirkungen als Illusion enthüllen, ist für Neuwirths Auseinandersetzung mit Hooloomooloo offenbar von zentraler Bedeutung, denn sie hebt ihn in einem Werkkommen-tar zu ihrer Komposition explizit hervor: »Aus der Nähe betrachtet geben die Reliefs den falschen Schein, auf dem die Illusion aufgebaut ist, offen zu erkennen. Die verlockende, illusionistische Täuschung kippt um in Enttäuschung über falschen Zauber, gefolgt von einem befreienden Lachen über die erkannte eigene Verführbarkeit.«7 Demnach ist es die hierin sich abzeichnende Grenzerfahrung, für die sich die Komponistin interessiert: die Grenzerfahrung einer Situation, in der die Wahrnehmung scheinbar klarer Strukturen jederzeit in eine andere Qualität umschlagen kann. Indem sie die daraus resultierenden Wirkungen verbal skizziert, stellt Neuwirth eine Ana-logie zwischen Stellas Arbeit und ihren eigenen Werken her und gibt damit auch Einblick in die Schnittmenge zweier ansonsten sehr unterschiedlicher künstlerischer Ansätze: »Das kunstvolle Spiel der Ambivalenzen von Vordergrund und Hintergrund, die reichen haptischen Qualitäten und räumlichen Modellierungen seiner [Stellas] Suggestionsräume, der Quasi-Geschwindigkeit und der sinnlichen Präsenz von Körper, der Oszillation zwischen realer Fläche und imaginärer Räumlichkeit, zwischen geschlossener Ganzheit und disparater Eigenständigkeit der Teile ha-ben mich unmittelbar angezogen und an Texturelemente in meinen Kompositionen erinnert.«8 In diesem Sinne hat sich die Komponistin zur Entfaltung einer Klangwelt anregen lassen, die insofern mit der Wirkung von Stellas Reliefbildern vergleichbar ist, als sie sich mit ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten ein Repertoire quasi illusionistischer Prinzipien erarbeitet und sie zur Dekon-struktion bestimmter Sinneswahrnehmungen einsetzt. Man kann daher das Ensemblestück als Versuch ansehen, dem Spiel mit visuellen Mehrdeutigkeiten eine analoge Handhabung musika-lischer Gestaltungsmittel entgegenzusetzen. Die kompositorischen Grundlagen eines solchen Umgangs mit illusionistischen Wirkungen sind einerseits in der räumlichen Aufteilung des En-sembles, andererseits in der mit den drei Ensemblegruppen verknüpften Deformation eines zen-tralen Tonvorrats durch gezielt vorgeschriebene Verstimmungen und Präparationen zu suchen; beide Komponenten lassen sich als strukturelle Äquivalenzen zu Stellas Arbeit verstehen.

»Hooloomooloo« von Olga Neuwirth und »Relief« von Gerald Resch, in: Querstand 10 (2005), Nr. 14, S. 20–24.5 Hubertus Gaßner, Frank Stella: Der Raum bewohnbarer Illusionen, in: Frank Stella, Katalog zur Ausstellung München, 10. 2. bis 2. 4. 1996, hg. von der Stiftung Haus der Kunst, München: Haus der Kunst 1996, S. 63–151, hier S. 86.

6 Ebd., S. 146.7 Olga Neuwirth, Hooloomooloo, im vorlie-genden Band, S. 65–66, hier S. 65.8 Ebd, S. 65. Der Gedanke einer illusio-nistischen Darstellung von Bewegung bei konstruktiver Statik spielt auch in ander-en Werken Neuwirths eine Rolle, die ein-en Bezug zur bildenden Kunst – in diesem Falle ausschließlich zu plastischen Arbei-

ten – erkennen lassen, nämlich in Cons-truction in Space – Hommage à Naum Ga-bo für vier Solisten, vier im Raum verteilte Ensemblegruppen und Live-Elektronik (2001, auf die gleichnamige Skulptur von Naum Gabo), in torsion : transparent vari-ation für Fagott solo, Ensemble und Zus-piel-CD (2001, wiederum auf zwei Skulp-turen Naum Gabos) sowie in Marsyas für

69

Klavier (2004, auf eine Skulptur von Anish Kapoor). Besonders in den beiden zuerst genannten Kompositionen hat sich dies in der Art niedergeschlagen, wie die unter-schiedlichen Instrumentengruppen mitein-ander in Wechselwirkung treten und wie dadurch der Raum – im Falle von Con-struction in Space auch durch den Einsatz von Live-Elektronik – artikuliert wird.

9 Alle Angaben folgen dem Vorwort zur Partitur Ricordi Sy. 3342, München 1997, o. S.10 Durch die Anweisungen wird zwar prinzipiell die Möglichkeit eröffnet, den Vorgang der Klangproduktion in ein wei-träumiges Wechselspiel dreier Klang-erzeugungsorte einzubetten; in der Prax-is hat sich jedoch aufgrund der Koordina-

tionsprobleme beim Musizieren bislang lediglich die Anordnung der Gruppen auf dem Podium durchgesetzt.11 Das Cent dient als logarithmische Maßeinheit für musikalische Inter-valle. Der Name resultiert daraus, dass ein äquidistanter Halbton, also die klein-ste Abstufung innerhalb des traditionel-len temperierten Stimmungssystems, in

Räumliche Konzeption und Tonraum-DeformationenIn der Konzeption von Hooloomooloo sind die Tendenz zur Verräumlichung des Klanges und die Tonraum-Deformationen eng miteinander verknüpft. Neuwirth teilt die insgesamt 16 Instrumentalisten in drei unterschiedlich besetzte Gruppen ein, die deutlich getrennt vonei-nan-der aufgestellt werden sollen. Dabei sind die Gruppen I und III durchaus ähnlich besetzt:9 Neben den in beiden Fällen vorkommenden Streichern Violine und Violoncello sowie dem Schlagwerk setzen sie sich jeweils aus einer Reihe von Holz- und Blechbläsern zusammen. Demgegenüber enthält Gruppe II neben den Streichern Viola und Kontrabass lediglich ein Klavier; als weiteres Element kommen hier noch die beiden Lautsprecher für den CD-Player hinzu, die rechts und links vom Klavier postiert werden und jeweils leicht nach oben in Richtung der beiden äußeren Gruppen zu neigen sind. Allen drei Gruppen ist damit die Verwendung von Streichern sowie die Besetzung jeweils eines Instruments mit fixen Tonhöhen bzw. Geräuschklängen (Klavier oder Schlagzeug) gemeinsam. Ihre geforderte Trennung kann laut Anweisungen sowohl durch das Einhalten deutlicher Abstände auf dem Podium als auch mittels einer im Aufführungsraum ver-teilten Positionierung erfolgen, wobei Gruppe II jedoch in jedem Fall auf der Bühne verbleiben soll und damit in den Mittelpunkt einer perspektivisch ausgerichteten Konzertsituation rückt.10

Gruppe I Gruppe II Gruppe III

Violine I Viola Violine II

Violoncello I Kontrabass Violoncello II

große Flöte (auch Altflöte in G und Piccolo) Klarinette in B

Bassetthorn Bassklarinette (auch Klarinette in B)

Horn Posaune

Trompete in B (auch kleine Trompete in B)

Schlagwerk I Klavier Schlagwerk II

Lautsprecher

Während sich die Anweisungen zur räumlichen Anordnung der Klangkörper auf die musikali-sche Makrostruktur beziehen, greift die Deformation bestimmter Tonraum-Regionen, die in jeder der drei Gruppen auf andere Weise realisiert wird, unmittelbar in das harmonische System des Werkes ein und setzt damit am Bereich der Mikrostruktur von Hooloomooloo an. Zunächst fordert Neuwirth in den Streichern eine die Töne d1 und d betreffende mikrotonale Veränderung der Saitenstimmung: Violine und Violoncello aus Gruppe I stimmen die entsprechenden Saiten um ca. 60 Cent – also um etwas mehr als einen Viertelton – herunter, Violine und Violoncello aus Gruppe III dagegen um denselben Wert hinauf.11 Während die herkömmliche Stimmung des fünfsaitigen Kontrabasses in Gruppe II unverändert bleibt, wird für die Viola neben der nor-malen eine zweite D-Saite an Stelle der A-Saite gefordert, die ebenfalls um 60 Cent nach unten gestimmt wird; daneben wird die G-Saite der Viola durch eine zweite C-Saite ersetzt und auf cis gestimmt. In stimmtechnischer Hinsicht ergeben sich daher in Gruppe II die größten Kontraste und stärksten Abweichungsgrade von der Norm.

70

Diese Skordaturen – in der vorstehenden Abbildung zusammengefasst und gruppenweise aufgelistet (Gruppe II ohne Kontrabass) – markieren einen Eingriff in die natürlichen Ober-tonverhältnisse der beteiligten Streichinstrumente und fokussieren zudem die Tonlage d1 als strukturellen Mittelpunkt des Tonsatzes. Die Übersicht macht die Veränderungen gegenüber der herkömmlichen Stimmung deutlich und zeigt darüber hinaus, dass die äußeren Begrenzungen durch die leeren Streichersaiten in den Gruppen I und III jeweils einen Tonraum von C bis e2 abstecken, während sich die Viola aus Gruppe II darauf beschränkt, mit ihren Verstimmungen die ungefähre Mitte desselben zu markieren. Dennoch dehnt Neuwirth auch in Gruppe II den gesamten künstlich veränderten Tonraum bis an die äußeren Grenzen C und e2 aus, indem sie für das Klavier eine Reihe exakter Präparationen vorschreibt. Diese beziehen sich einerseits auf die Erzeugung von Flageoletts, also auf das Herausfiltern einzelner Teiltöne aus dem Oberton-spektrum bestimmter Klaviersaiten, das durch den Einsatz von Silikonbällchen erreicht wird; andererseits werden bestimmte Saiten unter Zuhilfenahme von Schaumgummi gezielt so präpa-riert, dass damit der Klang des Instruments durch Geräuschspektren erweitert wird.

Bereits in der Anordnung ihres Materials legt die Komponistin also eine Deformation des Tonraums fest, die sich auf die Obertonstruktur der einzelnen Instrumentengruppen auswirkt, indem sie einzelne Töne durch mikrointervallische Abweichungen, Geräuschkomponenten oder veränderte Resonanzverhältnisse ersetzt. In allen drei Ensemblegruppen bezieht sich die vorgesehene Veränderung auf den durch die leeren Streichersaiten begrenzten Tonraum (C bis e2), ist aber im Einzelnen auf jeweils andere Elemente desselben gerichtet, sodass sich, entsprechend der Anzahl der Gruppen, eine dreifache Ausleuchtung dieses grund-legenden Materialreservoirs ergibt. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Ton d1, dessen exakte Konturen von der Komponistin zugunsten eines um ihn zentrierten mikrointervallischen Feldes verwischt werden. Mit ihren individuellen Besetzungen und Abweichungen von den temperierten Tonhöhen stellen die drei Ensemblegruppen demnach drei Varianten desselben Grundmaterials zur Verfügung. Aufgrund der skizzierten Voraussetzungen besitzt zwar jede Gruppe ihr eigenes harmonisches Potenzial, doch erschließt sich der Sinn der harmonischen Differenzen erst durch den Bezug auf die übrigen Gruppen. Mit diesen Möglichkeiten einer Wechselwirkung von Teilen eines Ganzen setzt sich Neuwirth in Hooloomooloo musikalisch auseinander.

100 Schritte geteilt wird und eine zwölf Halbtöne umfassende Oktave daher 1200 Cent entspricht. Tonabstände von unt-er 100 Cent werden als Mikrotöne oder Mikrointervalle bezeichnet. Bei der von Olga Neuwirth häufig benutzten Verstim-mung von rund 60 Cent handelt es sich um eine Distanz, die größer als ein Vi-ertelton (50 Cent) ist, die also innerhalb

des temperierten Systems bewusst irregu-lär gesetzt wird.12 Der E-Bow (Electronic Bow oder En-ergy Bow) ist ein Effektgerät, das ur-sprünglich in der Popmusik beheimatet ist. Da er über eine eigene Energiequelle (Bat-terie) verfügt, kann er mittels eines Tonab-nehmers und einer Induktionsspule die la-tente Schwingung einer Gitarren- oder

Klaviersaite abnehmen und über die Spule auf die Saite übertragen. Dadurch entste-ht eine Rückkopplung mit dem Effekt, dass die Saite langsam zu klingen beginnt und so lange weiterklingt, bis der E-Bow wieder entfernt wird. In der Partitur heißt es zu T. 1: »e-bow einschalten; auf die d1-Saite im Resonanzkasten setzen; Ped. Drücken und warten bis die Saite zu schwingen beginnt«.

Abbildung 2: Klavier-Präparationen (Gruppe II)

Hervorhebung von Obertönen durch Silikonbällchen Präparation durch Schaumgummi

Abbildung 1: Skordatur der Streicher (Gruppe I–III)

Gruppe 1: Vc und Vn Gruppe II: Va Gruppe III: Vc und Vn

71

DifferenzierungsprozesseDie mit der Idee illusionistischer Prinzipien verknüpfte Auflösung von Vorder- und Hintergrund wird ausgehend von den Manipulationen des Tonraumes im Verlauf von Hooloomooloo auf unterschiedliche Weise realisiert. Zu Beginn des Werkes sind die Verhältnisse zunächst sehr klar (vgl. Abbildung 3): Die Komponistin schafft sich dort eine um zwei Tonhöhen zentrierte orgelpunktartige Hintergrundstruktur, auf der sie die Figuren und Verläufe der einzelnen Instru-mentalstimmen abbildet. Im weiteren Verlauf jedoch verändert sie dieses klare Verhältnis auf unterschiedlichste Weise, indem sie – ausgehend von einem allmählich aufgebauten Tonraum-Zentrum – einen Prozess klangräumlicher Entfaltung in Bewegung setzt. Ausgangspunkt des Stückes ist ein Ton, der durch Einwirkung eines E-Bow auf die Klavierseite d1 bei niedergedrück-tem Pedal entsteht und damit deutlich wahrnehmbar auf das manipulierte Tonraum-Zentrum der Komposition verweist.12 Von ihm aus wird ein enger Cluster erschlossen, dessen Umfang sich auf die benachbarten Tonstufen bzw. auf deren mikrotonale Derivate erstreckt.Zunächst vermischt sich die artifizielle Tonqualität dieses d1 mit dem obertonlosen, ernied-rigten es1 der Ondes Martenot, das von der Zuspiel-CD erklingt.13 Die gesamte Einspielung enthält diesen Ton, der über die Dauer des Werkes hinweg allmählich seine Klangfarbe ver-ändert und die verschiedenen Register des Klangraumes durchschreitet, um am Ende wie-der zum erniedrigten es1 zurückzukehren. Sie dient so als kompositorischer Bezugspunkt und – zumindest zu Beginn auch im Zusammenklang mit dem d1 – als mikrointervallische Grund-fläche, auf der nun die figurativen Elemente der musikalischen Gestaltung platziert werden. Ermöglicht wird dies durch die gleichsam neutrale Klangqualität, die den Tönen aufgrund

13 Die Ondes Martenot (frz. die »Mar-tenot-Wellen«), nach ihrem Erfinder Maurice Martenot (1898–1980) benannt, sind ein frühes elektronisches Instrument, bei dem die Tonhöhen durch elektro-magnetische Schaltkreise erzeugt werden. Gespielt wird es mit der rechten Hand über ein Manual bzw. für Glissandi mit-tels eines gleitenden Ringes, der auf einem

parallel zur Tastatur verlaufenden Draht bewegt werden kann; durch Bewegung der linken Hand kann der Spieler Lautstärke und Klangfarbe regulieren.

72

Abbildung 3: Hooloomooloo für drei Ensemblegruppen und Zuspiel-CD (1996/97), Beginn der Komposition (T. 1–15).© G. Ricordi & Co., München 1997 (Partitur Sy. 3342).

73

ihrer elektronischen Erzeugung zukommt; sie können daher in gewissem Sinne als eine Art »kompositorischer Leerraum« für die weiteren Entwicklungen dienen. Zu den Schwebungen dieses engen Intervalls tritt kurzzeitig und durch Geräuschklänge anderer Instrumente ver-zerrt die Tonhöhe cis1 (erstmals Violine, Gruppe III, T. 6) hinzu. Dieses Hinzutreten konstituiert über das Bestehen der initialen Klangfläche hinaus die Zelle cis-d-es, die nun als Auslöser für eine schlagartige Erweiterung des erschlossenen Tonraums auf mehrere Oktavlagen dient, während der einzelne Register in den meisten Instrumenten mit lebhaften Figurationen ausge-füllt werden. Diese Auffächerung, die vorwiegend auf chromatischen Tonfortschreitungen be-ruht, kommt jedoch rasch zum Stillstand und fällt sofort wieder in den Orgelpunkt zusammen (T. 11–12).Diese ersten zwölf Takte mögen als grundsätzliches Modell für die diskursiven Strukturen von Neuwirths Musik dienen, denn ganz exemplarisch wird hier vorgeführt, auf welche Weise sich die Klangsituationen entfalten: Zwar bildet der vordefinierte Tonraum den Rahmen für die Ent-wicklung; doch können sich die einzelnen musikalischen Partikel innerhalb dieses Rahmens frei und auf durchaus unterschiedliche Weise bewegen. Das Resultat solcher Abläufe ist ein in Wel-len auftretendes klangliches »Wuchern«, das durch einen identischen harmonischen Anfangsim-puls, nämlich den durch Hinzufügung eines cis zur fast permanent hörbaren Klangfläche d-es entstehenden Cluster cis-d-es, angeregt wird, in Ablauf und Ziel aber jeweils variabel bleibt. Es handelt sich um einen Prozess wiederholten Neuansetzens, der immer wieder mit anderen Wendungen und Klangsituationen überrascht und sowohl durch abrupte Abbrüche als auch durch eine bis zur Erschöpfung des Materials gehende Fortspinnung formale Zäsuren inner-halb der Werkarchitektur setzt. Diese werden dadurch markiert, dass das Ensemble vollständig aussetzt und nur noch der eingespielte Klang der Ondes Martenot hörbar ist. Ganz gleich, wie unterschiedlich diese in Wellen verlaufenden Vorgänge auch sein mögen: Immer münden sie in einen Tonkomplex, der den um die Tonhöhe d1 zentrierten Bezugspunkt des Werkes dem Hörer wieder präsent werden lässt. Die damit verbundenen Umschwünge und Abbrüche die-nen der Komponistin nicht nur als Mittel zur Artikulation formaler Einschnitte; sie markieren in ihrer Gesamtheit auch einen bogenförmigen Prozess, der sich am Ende des Werkes durch ein allmähliches Zusammenfalten der Musik in den Anfangston d1 bemerkbar macht und damit als Vorgang der Auflösung eine spiegelbildliche Entsprechung zur allmählich sich entwickelnden Ausgangssituation bildet.

Illusionistische PrinzipienMit den Umschwüngen und Abbrüchen, von denen die Musik durchzogen ist, sind musikalische Abläufe verbunden, die sich höchst unterschiedlich auf Harmonik und Klanggestalt des Werkes auswirken. Jede Rückkehr zum initialen Orgelpunkt markiert im formalen Gefüge der Kompositi-on einen Einschnitt und dient zugleich als Auslöser für neue musikalische Prozesse, mit denen jeweils andere Deformationen des Tonraums mitsamt ihrer spezifischen Obertonverhältnisse in den Vordergrund treten. Solche Wechsel der klanglichen Perspektive, die sich in Form pulsie-render Bewegungsverläufe sowohl räumlich zwischen den einzelnen Instrumentalgruppen als auch kompositorisch zwischen den Vorder- und Hintergrundstrukturen des Tonsatzes abspie-len, verändern auf subtile Art die wahrnehmbaren Oberflächenstrukturen der Musik. So wird etwa, beginnend in T. 65, durch das Zusammenwirken aller mit leichter Zeitverzögerung suk-

74

zessive einsetzender Ensemblegruppen ein additiv erzeugter Gesamtklang aus den drei Ober-tonspektren aufgebaut. Dieses kurze Tutti wird jedoch sofort zugunsten einer Wechselwirkung der Gruppen aufgelöst: Der zunächst alle klanglichen Teilspektren umfassende Klangraum wird in ein alternierendes Nacheinander aufgesplittert, in dem jeweils für wenige Momente eine der Gruppen mit ihrer charakteristischen Material- und Klangkonstellation in den Vordergrund tritt. Die innere Strukturierung dieser einzelnen Blöcke erfolgt durch Repetition einzelner Tongrup-pen einerseits sowie durch Tremoli und Klangfarbentriller andererseits. Hierdurch löst die Kom-ponistin die Konturen der Instrumentalstimmen zugunsten dichter Klangbänder auf, verhindert also gewissermaßen durch die Strukturierung des Tonsatzes eine Unterscheidung von klangli-chem Vorder- und Hintergrund. Das Alternieren der einzelnen Gruppen gipfelt im Aufbau eines Gesamtklanges (ab T. 80, vgl. Abbildung 4), in dem erneut Blöcke ähnlicher Beschaffenheit miteinander kombiniert sind, der aber schließlich abrupt abreißt und einem Tacet-Takt weicht (T. 84). Erst hier tritt mit dem Klang der Ondes Martenot wieder die Hintergrundstruktur ins Zentrum der Aufmerksamkeit.Eine längere Passage (T. 106–137), in deren aufeinander folgenden Abschnitten die Kompo-nistin die Texturen des Tonsatzes ganz anders strukturiert, sei als Vergleich hierzu erläutert: Sie beginnt in allen drei Instrumentalgruppen übereinstimmend mit einer Konfrontation von liegen-

Abbildung 4: Hooloomooloo für drei Ensemblegruppen und Zuspiel-CD (1996/97), T. 78-82. © G. Ricordi & Co., München 1997 (Partitur Sy. 3342)

75den Klängen und Glissandobewegungen, setzt also ausgehaltene und tremolierte Tonhöhen einerseits gegen das stufenlose Pendeln zwischen zwei Punkten im Tonraum, das zudem häufig mit geräuschhaften Klangfarben (etwa mit dem Einsatz von Klangfarbentrillern in den Bläsern oder Flageoletts in den Streichern) verbunden ist (T. 106–114). Aufgrund unterschiedlicher Geschwindigkeiten und Bewegungsrichtungen der glissandierenden Linien differieren die ein-zelnen Instrumentalstimmen hier sehr stark, bilden jedoch in ihrer Gesamtheit ein Gewebe, das sich gegenüber den liegenden Klängen als Vordergrund durchsetzt.Diese recht klaren Verhältnisse geraten in der Folge ins Wanken (T. 115–126): Während die glissandierenden Linien weiterhin vorherrschen, nun jedoch weitgehend ohne Geräuschantei-le, werden die liegenden Klänge von chromatischen und vierteltönigen Figurationen abgelöst. Die vormalige Vordergrund-Hintergrund-Wahrnehmung wird dadurch relativiert, die aufgrund deutlicher Tonschritte wesentlich deutlicher konturierten Tonfolgen setzen sich gegenüber den Glissandi durch. Auf engstem Raum kombiniert Neuwirth dies mit einer räumlichen Entwicklung: Zunächst findet eine Wechselwirkung zwischen den Gruppen statt, wobei die musikalischen Er-eignisse von Gruppe II und III miteinander verflochten sind und jenen von Gruppe I gegenüber-stehen (T. 115 und T. 117–118). In der Folge nehmen Bewegtheit und Ereignisdichte innerhalb des Tonsatzes immer weiter zu, bis die Entwicklung förmlich abgeschnitten wird, wodurch erneut der Hintergrundton der Ondes Martenot ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken (T. 126).

Abbildung 5: Hooloomooloo für drei Ensemblegruppen und Zuspiel-CD (1996/97), T. 125-130. © G. Ricordi & Co., München 1997 (Partitur Sy. 3342)

76

Hierauf folgt eine dreitaktige Passage, die insgesamt dreimal wiederholt wird. Neuwirth verwen-det hier überwiegend klar erkennbare Tonhöhen und scharf konturierte Rhythmen, die sie hoque-tus-artig auf verschiedene Instrumente aller Gruppen aufteilt und zusätzlich durch den Einsatz einzelner glissandierender Stimmen auflockert (T. 128–130, vgl. Abbildung 5). Aufgrund die-ses Verfahrens entsteht der Eindruck einer entwicklungslosen Starre, der dieser Passage eine besondere Bedeutung im formalen Aufbau der Komposition verleiht: Nicht nur aufgrund ihrer verkürzten Wiederkehr an einer anderen Stelle der Partitur (T. 171–172), sondern auch durch die jeweils dreimalige Wiederholung der in sich bereits in höchstem Maße repetitiv gebauten Takte signalisiert sie eine wichtige strukturelle Nahtstelle von Hooloomooloo. Die Fortsetzung trägt wiederum einen gänzlich anderen Charakter, da Neuwirth nun die Tonhöhenkomponente vollständig auflöst (T. 131–137): Aus Elementen wie übertrieben starkem Bogendruck bei den Streichern, Luftgeräuschen bei den Bläsern, dem Hantieren des Pianisten im Klavierinnenraum und der Verwendung von Löwengebrüll im Schlagzeug entsteht somit eine vorwiegend aus Geräuschanteilen bestehende Textur, die auch ein imitatorisches Wechselwirken der beiden Außengruppen erkennen lässt.14

Anregungen und Berührungspunkte IIAuf den ersten Blick scheint es durchaus nahe zu liegen, die hier skizzierte Arbeit mit unter-schiedlichen, aber dennoch auf einer identischen Materialgrundlage basierenden Texturen mit Stellas durchgehender Verwendung von kreis- oder spiralförmigen Bildelementen in Verbindung zu bringen. Auch wenn dies im Hinblick auf die Untersuchung einer Abhängigkeit von Bild und Musik sehr verlockend ist, wäre es dennoch ein Fehlschluss. Er illustriert die Gefahr, die sich daraus ergibt, wenn man voraussetzungslos – also ohne Blick auf allgemeine Tendenzen in der Arbeit eines Komponisten – einen Bezug zwischen Malerei und Musik herzustellen versucht. Da es sich bei dieser Handhabung differenziert gestalteter Texturen jedoch um ein Charakteristikum handelt, das bereits anhand früherer Werke Neuwirths aufgezeigt werden kann – ein Umstand, den die Komponistin in ihrem Text auch ausdrücklich erwähnt –, ist eine solche Argumentation nicht stichhaltig.15

Umgekehrt lässt sich aber gerade in diesen kompositionstechnischen Details eine jener Voraus-setzungen erkennen, die als Ursache für die Affinität Neuwirths zur Arbeit von Stella in Frage kommt. Anders ausgedrückt: Gerade die trotz unterschiedlicher Art des künstlerischen Me-diums herrschenden Analogien im Umgang mit der Materialbasis erweisen sich als zentraler Auslöser für den kompositorischen Bezug auf das Gemälde Hooloomooloo. Er führt dazu, dass Neuwirth in ihrem Ensemblestück die Grenzüberschreitung, also das visuelle Spiel mit den Pola-riäten Räumlichkeit-Fläche und Vordergrund-Hintergrund, zum Gegenstand einer musikalischen Auseinandersetzung macht. Dazu bedient sie sich einer Reihe von Elementen, die gleichfalls bereits vorher zur Grundlage ihrer Arbeit gehörten – nämlich der Strukturierung des Auffüh-rungsraumes und der Eingriffe in die natürlichen Schwingungsverhältnisse der Instrumente –, fügt sie jedoch auf eine für ihr Komponieren neue Art zusammen, die auf ein deutliches Interesse an der Wirkung des Bildes schließen und eine Suche nach musikalischen Entsprechungen zu den visuellen Wirkungen erkennen lässt. Eine Transformation von Stellas illusionistischen Prin-zipien gelingt ihr letztlich durch die ständigen Veränderungen, mit denen sie die Wahrnehmung von klanglichem Vorder- und Hintergrund manipuliert.

14 Hieran zeigt sich auch, welch eminent wichtige Funktion in Neuwirths Kom-ponieren der Handhabung und Erzeu-gung von Geräuschfarben und damit der Veränderung konventioneller Instru-mentalklänge jenseits vorgeordneter Ver-stimmungen zukommt. Im Vorwort zur Partitur von Hooloomooloo gibt die Kom-ponistin detailliert an, wie der Klang der

Instrumente durch Anwendung spezi-fischer Spieltechniken und Klanger-zeu-gungsarten verändert werden soll und führt zu diesem Zweck zahlreiche Nota-tionssymbole an. Die exakte Platzierung solcher Angaben in der Partitur zeugt von der Gewissenhaftigkeit, mit der solche Möglichkeiten der Klangerzeugung einge-setzt werden, um damit ganz bestimmte

musikalische Wirkungen zu erzielen und den herkömmlichen Instrumentalklang quasi von innen heraus aufzubrechen; da-bei ist die konventionell hervorgebrachte Klangfarbe eher eine Ausnahme.15 Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür bietet etwa die Komposition Vampyrotheone für drei Ensembleformatio-nen mit drei Solisten (1994/95).

77

Die Frage, inwieweit insbesondere Neuwirths formale Lösung auf Anregungen durch Stellas Tri-ptychon zurückgeht, ist dagegen wesentlich schwieriger zu beantworten: Zwar ergibt sich durch zweimaliges Vorkommen der statisch konzipierten Passage (T. 128–130 und T. 171–172) eine Dreiteiligkeit des Werkes, doch ist diese keinesfalls symmetrisch an der Struktur des dreiteiligen Bildaufbaus orientiert. Wie eine Formskizze des Werkes verdeutlicht, spielt die Symmetrie des Triptychons offenbar bei der Konzeption nur eine untergeordnete Rolle, während die Komponi-stin der Gliederung durch die Tacet-Takte, in denen nur der Klang der Ondes Martenot hörbar ist, eine zentrale Bedeutung als Wendepunkte des musikalischen Verlaufs einräumt. Dass die Zahl drei zudem auch in anderen Bereichen wichtig ist, so vor allem bei der Aufteilung in drei Ensemblegruppen und damit auch bei den drei unterschiedlichen Deformationen des Tonrau-mes, kann gleichfalls nicht automatisch als Beleg für eine Übernahme struktureller Prinzipien verstanden werden.16 Dennoch legt der Text der Komponistin nahe, dass die Wahl von drei Ensemblegruppen »analog zum Triptychon Hooloomooloo« zumindest in diesem Fall von Stellas Bild angeregt worden ist.17

All diesen Einschränkungen zum Trotz markiert das Werk einen wichtigen Wendepunkt inner-halb von Neuwirths Komponieren – einen Wendepunkt, der letzten Endes auch auf die konkrete Auseinandersetzung mit Stellas Gemälde zurückzuführen ist. Hierfür gibt es mehrere Indizien:

Die Komponistin hat einen ausführlichen Einführungstext zu ihrem Ensemblestück verfasst, in dem sie detailliert auf die illusionistischen Wirkungen des Triptychons eingeht. Dieser Um-stand ist umso bemerkenswerter, als Neuwirth sich bislang nur in ganz wenigen und begrün-deten Ausnahmefällen im Rahmen von Werkkommentaren zu ihren eigenen Kompositionen oder den damit verbundenen Anregungen geäußert hat.In Hooloomooloo kommt es erstmals zu einer tief greifenden Deformation des Tonraumes. Zwar benutzt Neuwirth schon zuvor, etwa in ihrem Ensemblestück Vampyrotheone, extensive Präparationen und verfremdende Spieltechniken für die Instrumente; doch greift sie dabei niemals durch Verstimmung der Streicher in die spektralen Komponenten des Klanges ein. Im Gegensatz dazu gehört dieses Verfahren nach Hooloomooloo zu den wichtigsten Grund-lagen ihrer Arbeit.Ähnliches lässt sich auch für das Prinzip der Darstellung musikalischer Abläufe auf einer wenig veränderten klanglichen Hintergrundfläche feststellen: Auch auf dieses Gestaltungs-mittel greift die Komponistin seit Hooloomooloo immer wieder zurück, während sie es in ihren früheren Werken nicht benutzt hat.

Die zuletzt genannten kompositionstechnischen Details können daher als Elemente begriffen werden, die auf die Auseinandersetzung mit Frank Stella zurückzuführen und als strukturelle Äquivalenzen zu den technischen Kriterien seines Triptychons zu verstehen sind. Sie scheinen daher am unmittelbarsten die Beziehung zwischen Musik und Malerei zu spiegeln und können durchaus als Chiffre für einen Prozess der Beeinflussung angesehen werden, bei dem das Bild letztlich als Katalysator zur Entwicklung neuer Kriterien zum Zugriff auf das musikalische Material geführt hat. So trifft denn letztlich auch das zu, was Olga Neuwirth selbst zusammenfassend über ihre Komposition sagt: »Ich wollte zwar auf Stellas Werk explizit hinweisen, ohne aber dass daraus je Schlussfolgerungen für die Interpretation dieser Komposition gezogen werden sollen.«18

16 So zeigt wiederum das Ensem-blestück Vampyrotheone eine vergleichbare Aufteilung.17 Neuwirth, Hooloomooloo, S. 66. 18 Ebd.