kleine geschichte des modernismus, freiburg i. br. 2007

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Claus Arnold Kleine Geschichte des Modernismus

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Claus Arnold

Kleine Geschichtedes Modernismus

Alle Rechte vorbehalten© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2007www.herder.deEinbandgestaltung: Finken & Bumiller, StuttgartSatz: Barbara Herrmann, Freiburg

Pawel
Schreibmaschinentext
ISBN: 978-3-451-33168-8

Inhalt

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1. Der »Modernismus« – erste Orientierung auf einemhistorisch-theologischen Minenfeld

1.1 Ein Begriff wächst heran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.2 Zum Grundansatz: Rekonstruktion des

»Modernismus« oder der Modernismuskrise? . . . . . 17

2. Reformkatholizismus und Amerikanismus2.1 Herman Schell – Ein »idealer« Theologe . . . . . . . . . . 232.2 Themen und Protagonisten des

Reformkatholizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.3 Der Amerikanismus, oder: Die Theologie in der Zeit

der Kanonenboote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342.4 Die kirchenamtliche Reaktion auf den

Amerikanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392.5 Die Indizierung der Werke Schells von 1898/99 . . . 402.6 Der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler

als Gegner des Reformkatholizismus . . . . . . . . . . . . . . 45

3. Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie derKirche

3.1 »Die christliche Wissenschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523.2 Die neue Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563.3 Evangelium und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593.4 Der Religionshistoriker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

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4. Theologie und religiöse Erfahrung4.1 George Tyrrell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694.2 Das Interesse an der Heiligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Henri Bremond . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Friedrich von Hügel und »die tiefere und freierekatholische Sache« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

4.3 Von Hügel und die innere Polarisierung des»Modernismus« nach »Pascendi« . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

5. Antimodernismus und kirchliches Lehramt5.1 Das Heilige Offizium und das Dekret »Lamentabili«

(1903 –1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89Ein »Syllabus« entsteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Interne Diskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Inhaltliche Abmilderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102»Lamentabili« – ein antimodernistischesDokument? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

5.2 Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis«Pius’ X. (1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106Pius X. als Antimodernist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107Albert Maria Weiß als Anreger von »Pascendi« . . . . 109Weiß – der Erfinder der Gesamthäresie derModerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112Joseph Lémius – der geistige Vater des lehrhaftenTeils von »Pascendi« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116Kardinal Vives y Tuto und der disziplinäre Teil von»Pascendi« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117Kardinalstaatssekretär Merry del Val und diemoderne Pressearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

5.3 Der Antimodernisteneid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1205.4 Die Rezeption von »Pascendi« und »Sacrorum

Antistitum« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Inhalt

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5.5 Der Integralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127Umberto Benigni und das »Sodalitium Pianum« . . 128Pius X. und die Action française . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

5.6 Resümee: Lehramt und Antimodernismus . . . . . . . . 136

6. Die Nachwirkung von Antimodernismus und»Modernismus«: ein Ausblick

AnhangZeittafel: Die Modernismuskrise (1893 –1914) . . . . . . . . . 144Literaturhinweise in Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Inhalt

Vorwort

Im Sommer 2007 jährt sich zum hundertsten Mal das Erschei-nen des Dekretes »Lamentabili sane exitu« der römischen In-quisition und der Enzyklika »Pascendi dominici gregis« vonPapst Pius X. – Grund genug, der damaligen Kontroverse umden katholischen »Modernismus« und Antimodernismus eine»Kleine Geschichte« zu widmen. Der thematisch wie auchschon rein geographisch umfassende Charakter dieser europä-isch-nordamerikanischen intellektuellen Krise im Katholizis-mus bringt es mit sich, dass eine kurze Darstellung wie dievorliegende Schwerpunkte setzen muss, wenn sie sich nicht ineinem »name-dropping« und bloßer Ereignisgeschichte er-schöpfen will. Die folgenden Kapitel erheben deshalb keinenAnspruch auf Vollständigkeit; sie wollen aber einen erstenÜberblick bieten und zugleich an zentralen Punkten einentieferen Einstieg in ein komplexes historisch-theologischesThema ermöglichen. Auf der Grundlage neu zugänglicher rö-mischer Akten kann dabei nun der lehramtliche Antimoder-nismus ebenso ausführlich wie der von ihm bekämpfte »Mo-dernismus« vorgestellt werden; dazu konnte ich an eigeneVorarbeiten der jüngsten Zeit anknüpfen.

Mein herzlicher Dank gilt Herrn Dr. Bruno Steimer vomVerlag Herder, der mich zu dieser »Kleinen Geschichte« ange-regt hat, meiner Mitarbeiterin Frau Beate Müller M.A. undHerrn Dipl.-Theol. Gregor Klapczynski, Münster, für die kri-tisch-korrigierende Lektüre sowie den Hilfskräften Frau Debo-rah Ullrich und Herrn Martin Belz für die Mithilfe bei der Li-teraturbeschaffung und Registererstellung.

Frankfurt am Main, März 2007 Claus Arnold

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1. Der »Modernismus« –erste Orientierung auf einemhistorisch-theologischen Minenfeld

»Die Modernisten (so nennt man sie allgemein sehr richtig) gebrauchen den schlauenKunstgriff, ihre Lehren nicht systematisch und einheitlich, sondern stets nur vereinzeltund aus dem Zusammenhang gerissen vorzutragen, um den Schein des Suchens undTastens zu erwecken, während sie doch fest und entschieden sind; deshalb ist es gut,Ehrwürdige Brüder, diese Lehren hier zunächst im Überblick darzustellen und den Zu-sammenhang aufzuzeigen, in welchem sie stehen, um dann erst nach dem Grundedes Übels zu suchen und die Mittel vorzuschreiben, durch welche das Unheil abge-wendet werden kann.« Papst Pius X., Enzyklika Pascendi dominici gregis (1907) 1

»Der Schöpfer des Modernismus ist Pius X. Er hat das zu einem bestimmten Bewusst-sein seiner selbst gebracht, was vorher nur ein sehr unbestimmtes Streben nach einerverständigeren und auf tiefere Bildung gegründeten Auslegung des Katholizismus ge-wesen war. In seinem Bemühen, ihn zu verdammen, hat er ihm einen Namen gegeben,ihn zu einer Partei zusammengeschlossen und ihm viele Anhänger und Sympathiensowohl innerhalb als außerhalb der Kirche gewonnen.« George Tyrrell, ZwischenScylla und Charybdis (1909) 2

Wer sich historisch mit dem Thema des theologischen »Mo-dernismus« beschäftigen will, betritt ein »Minenfeld« (NicolasLash), auf dem alle möglichen Missverständnisse lauern. Dennursprünglich ist »Modernismus« kein Begriff der Geschichts-wissenschaft, sondern ein ausgesprochen negativer Kampf-begriff, der aber im Gegenzug auch die positive Identifikationmit der so charakterisierten »modernen Irrlehre« provozierenkonnte. Beide Haltungen – antihäretische Denunziation wie

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1 Deutsche Übersetzung zit. nach: Rundschreiben unseres Heiligsten Vaters Pius’X., durch göttliche Vorsehung Papst, über die Lehren der Modernisten (8. Sep-tember 1907: »Pascendi dominici gregis«). Autorisierte Ausgabe (lateinischerund deutscher Text), Freiburg i. Br. 1907, 7.2 Zit. nach Schnitzer, Modernismus, 151.

Identifikation – begegnen noch heute. Wie kaum ein anderertheologischer Gegenstand verlangt der »Modernismus« des-halb nach der Nüchternheit des Historikers – und dies um somehr, als die Auseinandersetzung um ihn tatsächlich eine ent-scheidende Etappe der Standortbestimmung der römisch-ka-tholischen Kirche in der Moderne markiert. Die Frage nachder Modernitätsfähigkeit von Religionen und Konfessionenstellt sich heute mindestens so dringend wie vor hundert Jah-ren, als der »Modernismus« von Papst Pius X. (1903 –1914)verurteilt wurde. Die Betrachtung des historischen Falls »Mo-dernismus« kann deshalb auch für die Analyse der heutigen Si-tuation anregend sein. Historische Nüchternheit erzeugt dabeiam ehesten die Begriffsgeschichte.

1.1 Ein Begriff wächst heran

Im Gegensatz zum kunst- und literaturwissenschaftlichen Mo-dernismus-Begriff hat die theologische Verwendung von »Mo-dernismus« eine lange Vorgeschichte. Das Wortfeld »modern«,abgeleitet von lateinisch »modo« (jetzt, gegenwärtig), spielt inder theologischen Auseinandersetzung schon eine Rolle seitdem Mittelalter, in dem sich in der scholastischen Theologiedie Schulrichtungen der »via antiqua« (geprägt von den »alten«Theologen wie Albert dem Großen und Thomas von Aquin)und der »via moderna« (geprägt von den »neuen« Theologenwie dem Nominalisten Wilhelm von Ockham) gegenüberstan-den. Martin Luther nannte die Vertreter der letzteren bereits»Modernisten«. Im Rom der Gegenreformation bezeichneteman die Protestanten gerne als die »eretici moderni«, die zuden »klassischen« Häretikern der Alten Kirche (etwa den »Aria-nern«) hinzugetreten waren und diese noch übertrafen. Die ei-gentliche Auseinandersetzung um die »moderne Theologie« be-ginnt aber erst mit dem 18. Jahrhundert, und zwar vor allem im

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Ein Begriff wächst heran

evangelischen Bereich, wo sich zunächst altprotestantische Or-thodoxie und frühaufklärerische beziehungsweise pietistischeReformbewegungen gegenüberstanden und später protestanti-sche Konservative gegen »liberale« beziehungsweise kulturpro-testantische Theologen kämpften. In diesem Kontext ge-brauchte der orthodoxe niederländische Calvinist AbrahamKuyper erstmals »Modernismus« als synthetischen Begriff fürdie gefährlichen Neuerungen, die er bei David Friedrich Straußund Ferdinand Christian Baur in Deutschland, aber auch beidem ehemaligen Katholiken Ernest Renan in Frankreich fand(Het modernisme een fata morgana op christelijk gebied, 1871).Kuyper karikierte deren Anliegen in einem »modernistischen«Glaubensbekenntnis: »Ich, Moderner, glaube an einen Gott,der Vater aller Menschen ist, und an Jesus, nicht den Christus,sondern den Rabbi von Nazareth. Ich glaube an den Menschen,der von Natur gut, nur nach Vollkommenheit streben soll. Ichglaube, dass Sünde nur relativ, Vergebung der Sünde also nurmenschliche Erfindung ist. Ich glaube an eine Hoffnung desbesseren Lebens und ohne Urtheil aller Seelen Seligkeit«3. Dieweitere Auseinandersetzung im Protestantismus wurde aller-dings nicht unter dem Etikett des »Modernismus«, sonderneher unter dem der »liberalen Theologie« fortgeführt. Immer-hin weist die Herkunft des Begriffs auf eine konfessionsüber-greifende Herausforderung hin, nämlich die Reformulierungder christlichen Botschaft nach dem Zerbrechen der traditionel-len Metaphysik und dem Aufkommen der historisch-kritischenErforschung von Bibel und Dogmenentstehung.

Historisch prägend ist dann die Rezeption des Modernis-mus-Begriffes im Katholizismus geworden. Dort avancierte erim Gefolge der großen »Ismen« zum Inbegriff der Häresie. DieKonstruktion dieser »Ismen« beginnt bereits in der Alten Kir-che und wächst sich in Mittelalter und Neuzeit zu einer kom-

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3 Zit. nach Loome, Liberal Catholicism, 31.

Der »Modernismus« – erste Orientierung auf einem historisch-theologischen Minenfeld

pletten Häresiologie aus, bei der die Demonstration der eige-nen, katholischen Wahrheit vor der Negativfolie von Protes-tantismus, Jansenismus, Quietismus, Josephinismus (und wiesich auch heißen mochten) im Vordergrund stand. Bevor dasim 19. und 20. Jahrhundert weiter erstarkende römische Lehr-amt sich dann auch des »Modernismus« annahm, gab es abereine kurze innerkatholische Vorgeschichte: Wohl erstmals ge-brauchte der belgische Nationalökonom Charles Périn, einkonservativer Laie, 1881 in dem Aufsatz »Le modernismedans l’église d’après les lettres inédites de La Mennais« »Mo-dernismus« als synthetischen Begriff für die Versöhnungsver-suche liberaler Katholiken mit den Ideen der FranzösischenRevolution und der Demokratie. Périn war sich der Tatsachebewusst, dass er einen Neologismus prägte, und definierte»Modernismus« als das Eindringen humanitärer Tendenzenaus der säkularen Gesellschaft in die Kirche. Damit lag erganz auf der Linie des Antiliberalismus, den Papst Pius IX.(1846 –1878) in seinem »Syllabus« von 1864, einer Zusam-menstellung von 80 Zeitirrtümern, formuliert hatte. Périnschloss sich zugleich dem hergebrachten ultramontanen4 Ge-schichtsbild an, dass die Übel des Säkularismus und Rationa-lismus ihren Ausgang beim Protestantismus genommen undsich über die Aufklärung und die Französische Revolutionfortentwickelt hätten bis hin zu dem gegenwärtigen Versuch,Gott ganz aus der Gesellschaft zu verdrängen. Diese eher »so-ziale« Definition des »Modernismus« sollte später noch einegroße Rolle spielen. Périns Verwendung des Begriffs wurdevon der römischen Jesuitenzeitschrift »Civiltà Cattolica« rezi-piert und um die Nuance der übergroßen Wissenschaftsgläu-bigkeit erweitert. Die erstmalige Verwendung von »Modernis-mus« im katholischen Deutschland durch den Freiburger

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4 »Ultra montes«: »über die Alpen hinweg«, also nach Rom orientiert, »streng-kirchlich«; vgl. Fleckenstein / Schmiedl, Ultramontanismus.

Ein Begriff wächst heran

Theologen Carl Braig (1882) mag zwar durch die französischeDiskussion inspiriert gewesen sein, beschränkte den Begriffaber wieder auf die konfessionelle Polemik gegen die subjekti-vistisch-psychologistische neuprotestantische Gefühlsreligionim Gefolge von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. InRom wurde dagegen die innerkatholische Verwendung des Be-griffs fortgeschrieben und sein eher »sozialer« Inhalt mit derAbgrenzung von einer als glaubensgefährlich betrachteten his-torisch-kritischen Bibelauslegung verbunden: Als die fünfHauptwerke des französischen Exegeten Alfred Loisy im De-zember 1903 auf den Index der verbotenen Bücher gesetztwurden, kommentierte dies der offiziöse »Osservatore Roma-no« mit der Unterscheidung zwischen recht verstandener Mo-dernität und »Modernismus«, der »Häresie in der Religion,Revolution in der Politik, Irrtum in der Philosophie« bezeich-ne. Dieser synthetische Begriff von »Modernismus«, unter dennun alle »modernen« Irrtümer gefasst wurden, verbreitete sichdurch das Zutun zweier prominenter Zeitkritiker, die uns nochöfters begegnen werden: durch den Dominikaner Albert MariaWeiß in seinem ins Französische und Spanische übersetztenBuch »Die religiöse Gefahr« (1904), das die vielfältigen, kon-fessionsübergreifenden religiösen Reformbestrebungen derJahrhundertwende umfassend kritisierte, und durch den Ku-rienbeamten und Presseagitator Umberto Benigni, der unter»Modernismus« alle Bestrebungen nach Autonomie von derkirchlichen Autorität zusammenfasste. Die Bezeichnung »Mo-dernist« begann somit, frühere ähnliche Etikettierungen wie»liberaler Katholik« oder »Reformkatholik« abzulösen.

Vor diesem Hintergrund definierte Papst Pius X. in derwie üblich nach ihren Anfangsworten benannten Enzyklika»Pascendi dominici gregis« (»Die Herde des Herrn zu weiden«;1907) schließlich den »Modernismus« als häretisches theologi-sches System im Katholizismus, das eine komplexe Einheit ausrein innerweltlicher Philosophie, subjektivistischer Glaubens-

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Der »Modernismus« – erste Orientierung auf einem historisch-theologischen Minenfeld

auffassung, rationalistischer Bibelkritik und traditionsverges-senem Reformertum darstelle. Im Windschatten der Enzyklika»Pascendi« kämpften europäische »Antimodernisten« dannnicht nur gegen die neue katholische Bibelwissenschaft undFundamentaltheologie, sondern – begriffsgeschichtlich gese-hen durchaus folgerichtig – auch gegen den »sozialen« und»politischen Modernismus«, der sich für sie in den Christli-chen Gewerkschaften und der Christlichen Demokratie ver-wirklichte. Deren tendenziell von der kirchlichen Hierarchieunabhängige und überkonfessionelle Ausrichtung hielten siefür verdammungswürdig. Speziell in Deutschland entdecktenAntimodernisten sogar einen »literarischen Modernismus«,weil katholische Intellektuelle dort im Umkreis der Kulturzeit-schrift »Hochland« die Standards der katholischen Tendenz-literatur in Frage stellten. Mit einem engen Modernismus-Begriff zur Auslegung der Enzyklika »Pascendi« operierten da-gegen bereits Ende 1907 die deutschen Bischöfe. Sie schränk-ten den häretischen »Modernismus« auf einen philosophisch-theologischen Agnostizismus und Immanentismus ein,klammerten den »Reformismus« und »sozialen Modernismus«aus und konnten so behaupten, in ihren Diözesen gebe es soetwas praktisch nicht. Der Mainstream des deutschen Ver-bandskatholizismus folgte dieser Taktik und ging seinerseitsin die Offensive gegen den sozial-politischen Antimodernis-mus, der von seinen Gegnern wie seinen Verfechtern auch als»Integralismus« bezeichnet wurde.

Bei den vom »Modernismus«-Vorwurf betroffenen Theo-logen setzte bei der Mehrheit das verzweifelte Bemühen umAbsetzung vom »Modernismus« ein, bei einer entschlossenenMinderheit avancierte der Begriff dagegen zur trotzigen Selbst-bezeichnung, die positiv im Sinne theologischer Zeitgenossen-schaft verstanden wurde. Ein Kreis italienischer Reformtheologenkonfrontierte Pius X. mit einem »Programm der Modernisten«(Il programma dei modernisti, 1908), und der prominente anglo-

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Ein Begriff wächst heran

irische Ex-Jesuit George Tyrrell stellte einen positiv verstandenen»Modernismus« der »Mittelalterlichkeit« (dem »medievalism«)der römischen Kurie entgegen. Damit war der Begriff nun vonbeiden Seiten her eindeutig katholisch besetzt. »Modernismus«als Selbstbezeichnung einer Richtung in der Anglikanischen Kir-che (greifbar vor allem in der Zeitschrift »The Modern Church-man« ab 1911) knüpfte an die römisch-katholische Verwendungan, und auch der prominente evangelische Theologe Karl Barthhatte den katholischen »Modernismus« vor Augen, als er nach1918 kritisch von einem »protestantischen Modernismus«sprach, der sich für ihn auf der Traditionslinie Schleiermacher –Albrecht Ritschl – Adolf von Harnack verwirklichte.

»Modernismus« und »Modernist« als Selbstbezeichnun-gen blieben im Ganzen ein minoritäres beziehungsweise eli-täres Phänomen und verschwanden praktisch völlig mit demErsten Weltkrieg, der den international vernetzten Reform-bestrebungen vollends ein Ende setzte. Das römische Lehramtund antimodernistische Theologen blieben aber bis hin zumPontifikat Papst Pius XII. (1939 –1958) auf der Suche nachNeo- beziehungsweise Krypto-Modernisten. Im Kontext desZweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) verschwand derBegriff zeitweise aus dem innerkirchlichen Diskurs, obwohlkonservative Bischöfe die Neuverurteilung des »Modernis-mus« gefordert hatten, tauchte dann aber in der nachkonzilia-ren Auseinandersetzung wieder auf, bei der vor allem im fran-zösischen und angelsächsischen Bereich konservative undtraditionalistische Theologen das Eindringen des »Modernis-mus« in die Kirche beklagten und mitunter das II. Vaticanumselbst als »modernistisch« charakterisierten.

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Der »Modernismus« – erste Orientierung auf einem historisch-theologischen Minenfeld

1.2 Zum Grundansatz: Rekonstruktion des»Modernismus« oder der Modernismuskrise?

Der Blick in die Begriffsgeschichte hat gezeigt, mit welchen Po-larisierungen, welchen Denunziations- und Immunisierungs-strategien der Begriff »Modernismus« belastet ist. Das Themadrängt gewissermaßen nach einer Parteigeschichte, und solchewurden schon bald nach der Auseinandersetzung um den »Mo-dernismus« geschrieben. Die meisten Modernismus-Forschersind heute der Ansicht, dass es nicht erkenntnisfördernd ist,die häresiologische Fremddefinition des »Modernismus« durchdie Enzyklika »Pascendi« als historischen Begriff zu rezipierenund mit seiner Hilfe dann den einen oder anderen Theologenzum »Modernisten« zu erklären oder nicht. Solche Etikettie-rungsversuche haben früher meist zu der Frage geführt, wie»weit« denn der Modernismus-Begriff zu fassen ist – denn unterdas Dach von »Pascendi« passen bei extremer Interpretation mitAusnahme der prononcierten Antimodernisten sehr viele bisfast alle Theologen –, oder ob es auch »Semi-Modernisten«und ähnliches gegeben habe. Andererseits hat eine zuweilenidentifikatorische Modernismusforschung »modernistischen«Theologen mehr an Modernität zugesprochen, als vorhandenwar, und nach heutigen Standards antimoderne Seiten von»Modernisten« (etwa völkisches, vitalistisches und »organisch-ganzheitliches« Denken) manchmal unterbelichtet. In einerstreng modernitätstheoretischen Betrachtungsweise findet manhingegen auch antimoderne Modernisten (Friedrich WilhelmGraf). Umgekehrt wussten die Antimodernisten mit ihrem dua-listischen Weltbild durchaus auf dem modernen religiösenMarkt durch klare Innen-Außenunterscheidungen und medialePräsenz zu bestehen und, wie schon der Ultramontanismus des19. Jahrhunderts, moderne Mittel für antimoderne Ziele ein-zusetzen. Solche Brechungen haben die jüngere Modernismus-forschung angeregt, und sie müssen auch in einer eher narrati-

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Zum Grundansatz: Rekonstruktion des »Modernismus« oder der Modernismuskrise?

ven Darlegung, wie sie hier versucht wird, ihren Ort haben. Da-bei dürfen aber die Phänomene intensiver Auseinandersetzungund Polarisierung im Katholizismus um 1900 nicht gewisser-maßen wegdefiniert werden. Denn es ist kaum bestreitbar, dasswir es bei der Modernismuskrise tatsächlich insgesamt mit einerhandfesten theologischen Modernisierungskrise zu tun haben:Um 1900 setzte auch bei katholischen Forschern eine kon-sequente Historisierung der heiligen Texte und Überlieferungenvon Christentum und Kirche ein. Dies hatte schon seit dem 18.Jahrhundert zu heftigen Erschütterungen in der evangelischenTheologie geführt und intensivierte sich dort noch 1902 im so-genannten »Babel-Bibel-Streit« um die religionsgeschichtlicheEinordnung des Alten Testaments. Ähnliche Konfliktlagen wa-ren auch dem Katholizismus nicht fremd geblieben, wie etwaschon die Auseinandersetzung um den Mainzer Exegeten Lo-renz Isenbiehl zeigt, der 1779 von Papst Pius VI. zensuriert wur-de, weil er die »Immanuel-Weissagung« in Jes 7,14 bestritt. DieAuseinandersetzungen der Modernismuskrise sind also in einerkonfessions- und religionsübergreifenden Perspektive kaum er-staunlich, wie noch heute die Kontroverse um die historisch-kritische Erforschung des Koran zeigt. Neben dem virulentenHistorismus-Problem, das sich bis heute einer einfachen Lö-sung entzieht, sorgte im Katholizismus um 1900 die späte Re-zeption der Kantschen Metaphysikkritik und der damals aktuel-len Lebensphilosophie dafür, dass der im 19. Jahrhundert vonultramontanen Theologen in anti-aufklärerischer Frontstellungmühsam wieder aufgerichtete und von Papst Leo XIII. (Enzy-klika »Aeterni Patris«, 1879) verbindlich vorgeschriebene tho-mistisch-scholastische Denkrahmen erneut brüchig wurde.

Trotz dieser massiven Problemkonstellation stellte der»Modernismus« in Europa und Nordamerika keine einheitlicheBewegung oder gar eine »Partei« beziehungsweise »Verschwö-rung« dar: Gegenseitige Kritik und eine große Bandbreite vonAnsichten prägten vielmehr das Bild. Neben der Mehrheit von

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Der »Modernismus« – erste Orientierung auf einem historisch-theologischen Minenfeld

Reformern, die sich eine »Versöhnung« von Glaube und moder-ner Wissenschaft beziehungsweise Kultur im Sinne einer neuenApologetik erhofften, gab es auch solche, die tatsächlich eine ra-tionalistische Auflösung des alten Glaubens und zumal der Dog-men zugunsten einer neuen Humanität anstrebten. Der Ex-Priester Salvatore Minocchi bekannte beispielsweise 1909, alsonach der Polarisierung im Umkreis der Enzyklika »Pascendi«:»Der wahre Zweck des Modernismus ist in der Tat nicht eine Re-form der katholischen Kirche, was eine unverwirklichbare undunmögliche Utopie ist, sondern das Bemühen, alle lebendigenElemente des gegenwärtigen Katholizismus in den allgemeinenFortschritt der menschlichen Gesellschaft hinein aufzulösen.Wenn das Minimalprogramm, so gesagt, von protestantischenund katholischen Modernisten darin besteht, die getrennten Kir-chen in eine christliche Kirche hinein aufzulösen, so kann derenMaximalprogramm nichts anderes sein als die Auflösung derchristlichen Kirche in die universelle soziale Demokratie hinein,die danach strebt, eine höhere und fortgeschrittenere Form desKatholizismus zu verwirklichen.«5 Einige »liberale Katholiken«glaubten hingegen, es sei mit eher disziplinären Reformen undeiner gesellschaftlich-politischen Neupositionierung der Kirchegetan, während andere auch eine exegetisch und philosophischaktualisierte Theologie anmahnten.

Die Zeit um 1900 war dabei allgemein von Suchbewegun-gen innerhalb und außerhalb der Religionen und Konfessionengekennzeichnet; die Modernismuskrise im Katholizismusspielte sich also im Kontext einer allgemeinen »Krise« des Re-ligiösen, zumindest in gebildeten Kreisen, ab: Neben dem Re-formjudentum stand hier etwa das liberalprotestantische Be-mühen, die Theologie als historische Kulturwissenschaft desChristentums neu zu begründen und zugleich Persönlichkeitund Individualität im Kontext der Moderne zu »retten« (Ernst

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5 Zit. nach Zorzi, Katholizität, Bd. 1, 216.

Zum Grundansatz: Rekonstruktion des »Modernismus« oder der Modernismuskrise?

Troeltsch). Im angelsächsischen Raum stieß die früher belä-chelte Mystik auf ein allgemeines Interesse, das sich am Erfolgvon Evelyn Underhills »Mysticism« (1911) ablesen lässt. Miteinem gewissen Pathos formulierte die Schriftstellerin Olgavon Gerstfeldt, Gattin des bedeutenden protestantischenKunsthistorikers Ernst Steinmann, die Erfahrung der überkon-fessionellen religiösen Gärung, die sich ihr in deutschen undrömischen Salons um 1900 erschlossen hatte: »Mehr undmehr lösen sich die Menschen in unseren Tagen innerlich vonden Dogmen der Kirche los und können ihren logischen Ver-stand nicht vergewaltigen. Die Zeit ist aber noch nicht gekom-men, wo die Quintessenz der christlichen Lehre in einemneuen Gefäß erstrahlen wird, kristallklar wie die Wahrheitselbst. Vielleicht aber ist auch dieser Tag nicht fern, vielleichtleuchtet der Glanz des Sonnenaufgangs noch über den letztenJahren unseres Alters. Wohl unseren Kindern, wenn es ihnenzu teil werden sollte, auf Wegen zu wandeln, denen die Wahr-heit leuchtet. Wir aber leben in der Dämmerstunde und su-chen tastend umher.«6

Wie kann nach all dem eine heutige Theologiegeschichte demThema »Modernismus« gerecht werden? Sie kann sicher keineeinfache Definition von »Modernismus« geben, sondern musseher den schleichenden Übergang von kontroverstheologisch-ideologischen Begriffen in historische Verstehensmodelle of-fenlegen. Sie kann aber die damaligen Problemkonstellationenanalysieren, sie kann konkrete Kontroversen in einem konkre-ten Zeitraum beschreiben, deren Nachwirkungen nachgehen(ohne dabei neuen Teleologien zu verfallen), Netzwerke vonReformtheologen und Antimodernisten transparent machen,Diskurse analysieren und dabei die intellektuellen Optionen

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6 Stille Gedanken einer Frühvollendeten. Aus den nachgelassenen Papieren vonOlga von Gerstfeldt, als Manuskript gedruckt, o. O. 1911.

Der »Modernismus« – erste Orientierung auf einem historisch-theologischen Minenfeld

beider Seiten ernst nehmen. Sie kann zumal nach der Öffnungdes Archivs der Kongregation für die Glaubenslehre den Ein-fluss des Antimodernismus auf das römische Lehramt diffe-renzierter beschreiben, und hier liegt im Jubiläumsjahr von»Pascendi« ein Schwerpunkt der folgenden Darstellung.Schließlich darf die Theologiegeschichte bei aller Fokussierungauf die Auseinandersetzungen auch den Weg der stillen Mehr-heit von Theologen und Katholiken nicht ignorieren, die jedeExponierung und Polarisierung scheuten.

In diesem Sinn wird hier der Streit um den »Modernismus«als eine Verdichtung, eine Kumulation von Auseinandersetzun-gen um die religiös-kulturelle Positionierung des Katholizismusin der Moderne verstanden. Der zeitliche Rahmen für diese Mo-dernismuskrise reicht von der Endphase des Pontifikats PapstLeos XIII. (1878–1903) beziehungsweise dessen Bibel-Enzyklika»Providentissimus Deus« (1893) über die Auseinandersetzungum Amerikanismus und Reformkatholizismus um 1900 biszum Tode Papst Pius’ X. (1914), dessen Pontifikat die eigentlichemodernistisch-antimodernistische Verschärfung brachte. Da-nach wurde von kurialer Seite der antimodernistische Kampf ge-mildert; gleichzeitig zerfielen die internationalen, europäisch-nordamerikanischen Netzwerke der Reformtheologen unterdem Druck von Antimodernismus und Nationalismus (ErsterWeltkrieg). Die konkreten Konfliktkonstellationen innerhalbdieser Modernismuskrise sind dabei in theologisch-wissen-schaftlicher Hinsicht geprägt von der lehramtlichen Reaktionauf die historisch-kritische Bibelauslegung (die sogenannte»question biblique« in Frankreich), die kritische Kirchen-geschichtswissenschaft und Dogmengeschichte, nicht-thomisti-sche philosophische Neuansätze, eine neue Dogmenhermeneu-tik und das Interesse an religiöser Erfahrung und Mystik. Inpolitisch-sozialer Hinsicht entbrannte der Modernismus-Streitum von der kirchlichen Hierarchie unabhängige, christdemokra-tische Ansätze in Italien, Frankreich und Deutschland (»prakti-

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Zum Grundansatz: Rekonstruktion des »Modernismus« oder der Modernismuskrise?

scher Modernismus«). Schließlich stießen nicht-konfessionalis-tische, reformorientierte literarische Bestrebungen auf den Vor-wurf eines »literarischen Modernismus«. Orientieren wir uns aufdiesem geographisch wie inhaltlich weiten Feld ein wenig undbeginnen wir mit den »Reform«-Kontroversen in der erstenHälfte der Modernismuskrise unter Papst Leo XIII.

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Der »Modernismus« – erste Orientierung auf einem historisch-theologischen Minenfeld

2. Reformkatholizismus undAmerikanismus

2.1 Herman Schell – Ein »idealer« Theologe

»Er war der bekannteste Theologe, derjenige, der am tiefsten die Erfordernisse undBedürfnisse der Zeit erfasste und der am ehrlichsten und am eifrigsten sich der Auf-gabe einer Hinführung der modernen Menschheit zu Christus und zur Kirche hingab, inseiner abgrundtiefen Ehrlichkeit und Lauterkeit des Charakters, in seinem völligenMangel an Strebertum und Falschheit ein Kind, das die Arglist der Welt und derer,die den Ton in der Kirche angeben, nicht kannte. Dafür hat er auch seinen reichlichenTribut zahlen müssen. Wie ist er bis aufs Blut verfolgt und in seinen heiligsten Interes-sen angegriffen worden. […] Nun hat er Ruhe und die Bohrwürmer am Mark der Kirchehaben sie auch. Was noch berührender ist, das ist die Tatsache, dass die kirchlicheWissenschaft immer mehr und mehr mit dem jetzigen System einer bodenlosen Läh-mung verfällt; wir haben jetzt kaum noch signifikantere Theologen auf deutschem Bo-den; brennende Fragen werden schon gar nicht mehr behandelt.« Joseph Sauer anAuguste von Eichthal,17. Juni 1906 1

Die Gestalt des Würzburger Dogmatikers und »Apologetikers«(Fundamentaltheologen) Herman Schell (1850–1906) ist theo-logisch-biographisch gesehen aufs engste mit der Auseinander-setzung um den Reformkatholizismus unter Leo XIII. und ihrerNachwirkung unter Pius X. verbunden. Schells früher Tod anPfingsten 1906 verschärfte und emotionalisierte einen Polarisie-rungsprozess in der deutschen katholischen Theologie, derschon 1898/99 durch die römische Indizierung von Schells Re-formschriften und theologischen Hauptwerken wesentlich be-fördert worden war. Seine Freunde und Verteidiger machtendie strengkirchliche Polemik gegen Schell für seinen frühen

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1 Zit. nach Arnold, Kulturmacht, 144. Vgl. Claus Arnold, »So schöne Tage hatdie katholische Theologie schon lange nicht mehr erlebt«. Zum 100. Todestagvon Herman Schell († 31.5.1906), in: Theologische Revue 102 (2006), 355 –362.

Tod verantwortlich und rückten ihn postum in die Nähe desVölkerapostels Paulus (so der Kirchenhistoriker Sebastian Mer-kle), während man in Rom angesichts des Grabmalsaufrufes fürSchell, dem sich ein breites Spektrum von Honoratioren desnicht-integralistischen deutschen Katholizismus anschloss, einereformistische Verschwörung in der deutschen Kirche befürch-tete, der man durch die offizielle Belobigung des Schell-Gegners(und ehemaligen -Freundes) Ernst Commer entgegentrat.

Schells Persönlichkeit hatte sympathische Züge, die denStreit um sein Andenken um so erbitterter machten. DerSchriftsteller Hermann Sinsheimer berichtet etwa von einemSpaziergang, den er als Student mit dem Professor machendurfte: »Als er hörte, dass ich Jude sei, sprach er von den Judenso, wie wenn er vorhätte, demnächst selbst einer zu werden. Niewieder habe ich so über sie sprechen hören wie damals durchdiesen kleinen Mann in seiner großen Güte. […] Ich sah inSchells über und über lächelndes Gesicht, als ich gerade hervor-gestoßen hatte: ich sei der Meinung, die Evangelien gehörtenzur jüdischen Nationalliteratur der hellenistischen Epoche, dasie doch wesentlich von Juden für Juden geschrieben seien. Dasummte er wieder, und der Hut schwamm wieder waagrecht ne-ben mir her. Dann kamen, nach ziemlich geraumer Zeit desSummens, etwas schwermütig, wie mir schien, die Worte unterder breiten Krempe hervor: ›Bleibe Se e Jud, lieber Freund, ’sisch no lang net das Schlechteste‹«2. Wenn sich Schell hier in sei-ner charakteristischen Lösung von radikal-ultramontanen Ver-engungen (zu denen auch ein nicht rassistisch, sondern eher an-tikapitalistisch motivierter Antisemitismus zählte) präsentiert,so zeigt sein biographisch-theologisches Profil doch schon aufden ersten Blick, dass es sich einfachen Kategorisierungen wiekonservativ – progressiv beziehungsweise modern – antimo-dern entzieht. In seiner Heimatstadt Freiburg i. Br. ließ er sich

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2 Zit. nach Hausberger, Schell, 3.

Reformkatholizismus und Amerikanismus

durch den spekulativ hochbegabten Privatdozenten Constantinvon Schäzler für die Neuscholastik begeistern und bemühte sichseit seiner von (dem damals schon kirchlich distanzierten)Franz von Brentano angeregten philosophischen Dissertationüber »Die Einheit des Seelenlebens aus den Principien der aris-totelischen Philosophie entwickelt« (1873) um eine Aktualisie-rung der philosophischen und theologischen Tradition, die übereine bloße Repristination, eine bloße Wiederaufnahme der altenScholastik hinausging, und deshalb apologetisch gegen mo-derne Irrtümer (wie hier konkret gegen den Monismus desEduard von Hartmann) brauchbar war. Insbesondere Schellsdynamischer Gottesbegriff, in dem er Gott als »reinsten Akt«,»Selbstgrund« und »Selbstursache« darstellte, wie er in der theo-logischen Dissertation »Das Wirken des Dreieinigen Gottes«(1885) angelegt und in der Katholischen Dogmatik (4 Bde.,1889–1893) sowie der Apologetik »Gott und Geist« (2 Bde.,1895–1896) entwickelt ist, bewies eine gewisse Annäherung anmoderne Konzepte von Freiheit und Persönlichkeit. Historisch-kritisches Denken blieb Schell eher fremd, was sich z. B. in sei-nem »Christus« (1903) zeigte, in dem er einerseits die traditio-nellen christologischen Begriffe wahren und den Gottmenschendoch im Sinne seines vitalistisch-christlichen Kulturoptimismusals lebendige »Persönlichkeit«, als »Befreier von den monisti-schen Vorurteilen und Bedenken des antiken wie des modernenZeitgeistes« und als »Quellgrund des Göttlichen, das in der mo-dernen Kultur lebt«, präsentieren wollte. Das Buch erregte beistrengkirchlichen Kreisen schon durch sein Erscheinen in dervon dem späteren Rechtskatholiken Martin Spahn herausgege-benen Reihe »Weltgeschichte in Karakterbildern« Anstoß, in derder Heiland nun Seite an Seite mit dem Großen Kurfürsten ran-gierte, und wurde bei all seiner Kulturfreudigkeit (die sich unteranderem in der reichen Bebilderung niederschlug) auch in re-formkatholischen Kreisen nicht immer geschätzt. Der scharf-züngige Münchener Benediktiner und kritische Augustinusfor-

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Herman Schell – Ein »idealer« Theologe

scher P. Odilo Rottmanner nannte es etwa »das neueste Bilder-buch für große Kinder«.

In seinen vielbeachteten Reformschriften (Der Katholicis-mus als Princip des Fortschritts, 1897; Die neue Zeit und deralte Glaube, 1898) suchte Schell die Kulturbedeutung desKatholizismus neu zu akzentuieren und Auswüchse des Ultra-montanismus, wie sie sich beim »Taxil-Schwindel« manifes-tiert hatten, anzuprangern. Bei diesem 1897 entlarvten »größ-ten Ulk des 19. Jahrhunderts« saß ein nicht geringer Teil derfranzösischen und italienischen kirchlichen Hierarchie den»Enthüllungen« des zum Schein bekehrten Schriftstellers LeoTaxil über eine angebliche freimaurerisch-satanistische Ver-schwörung gegen die katholische Kirche auf. Die Blamage wargroß, und wieder einmal stand die katholische Kirche in derÖffentlichkeit als hoffnungslos rückständig da. Doch damitwollten sich Schell und andere nicht abfinden.

2.2 Themen und Protagonisten desReformkatholizismus

Schell gehörte zu den Hauptvertretern des »Reformkatholizis-mus«. Dieser Begriff wurde durch den katholischen Theologenund Literaten Josef Müller mit der Schrift »Der Reformkatho-lizismus, die Religion der Zukunft« im Jahr 1899 geprägt, diedemonstrative Rechtgläubigkeit mit Kritik an der (von PapstLeo XIII. geförderten) Neuscholastik und mit der Forderungnach disziplinären Reformen verband. Das römische Verbotder Schrift (1901) und die päpstlich belobigte Polemik desRottenburger Bischofs Paul Wilhelm Keppler gegen »Reform-simpel« und »Margarinekatholizismus« (1902) brachten den»Reformkatholizismus« in Misskredit.

Eine Wende in der Wahrnehmung des Begriffs vollzog sichnach der Enzyklika »Pascendi« von 1907. Im katholischen

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

Deutschland unterschied man nun den vergleichsweise harmlo-sen Reformkatholizismus vom eigentlichen »Modernismus«,obwohl »Pascendi« den »Modernisten als Reformer« in den Sys-tembegriff von »Modernismus« mit einbezogen hatte. Diese Im-munisierungsstrategie wirkte noch lange nach. Im Gegenzugsetzten offene »modernistische« Dissidenten Reformkatholizis-mus nun synonym mit dem katholischen »Modernismus«, densie in der Tradition des liberalen Katholizismus des 19. Jahrhun-derts sahen, und wurden hierin im protestantischen Bereich re-zipiert. In der Folge entwickelte sich »Reformkatholizismus«zum Oberbegriff für alle neuzeitlichen »alternativen«, das heißtnicht römisch-tridentinischen Katholizismen und schloss Galli-kanismus, Jansenismus, Episkopalismus, Febronianismus, ka-tholische Aufklärung und Altkatholiken ein – ein Sprachge-brauch, der sich übrigens unter negativen Vorzeichen schon1904 bei dem prominenten Antimodernisten Albert MariaWeiß OP findet.

Im Sinne einer kirchenhistorischen Pragmatik soll der Re-formkatholizismus in dieser Darstellung als eine vor allem deut-sche, aber vielfältig europäisch-nordamerikanisch verknüpfteKonstellation von Reformansätzen und -konflikten in der erstenHälfte der Modernismuskrise verstanden werden. Welche In-halte und Personen bestimmten nun diese Konstellation? Nachden Reformschriften von Schell forderte Josef Müller in seinernamensgebenden Programmschrift von 1899 eine kirchlicheNeuorientierung, die in manchem tatsächlich an die Agendader katholischen Aufklärungzeit (ca. 1770–1840) gemahnte;die Reformer waren allerdings selbst durchaus ultramontan so-zialisiert und sind, wie schon die Gegner der Unfehlbarkeitsdefi-nition von 1870, eher als »Post-Ultramontane« (Herman H.Schwedt) zu charakterisieren. Die Neuorientierung sollte durcheine stärker synodale Kirchenleitung, die Aktivierung der Laien,eine effektive Sozialarbeit, den Abschied von konfessioneller Po-lemik, eine moderne Klerusbildung, eine Reform der kirchli-

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Themen und Protagonisten des Reformkatholizismus

chen Bücherverbote (die dann erst 1965/66 abgeschafft wurden)und eine größere kirchliche Distanz zur Zentrumspartei be-stimmt sein. Diese verstand sich seit den Zeiten des Kultur-kampfs als legitime Vertreterin katholischer Interessen und alseinzige Wahloption für »gute« Katholiken.

Den »politischen Katholizismus« der Zentrumspartei griffauch der regierungsfreundlich (»gouvernemental«) und zumin-dest theologisch vergleichsweise »liberal« gesinnte FreiburgerKirchenhistoriker Franz Xaver Kraus (1840–1901) an. Ab 1895publizierte Kraus seine pseudonymen »Spektatorbriefe« in derMünchener »Allgemeinen Zeitung«, einem Organ, das sich anein allgemeines liberal-konservatives Bildungspublikum richte-te. Kraus wandte sich in diesen Briefen gegen: »1. den politi-schen Ultramontanismus und die Umwandlung der Kirche zueiner politischen Institution; 2. gegen die Allianz des Vatikansmit der Demokratie; 3. gegen die Allianz des Vatikans mit derFranzösischen Republik [das sogenannte »ralliement«]; 4. gegendie Misshandlung des geistigen und wissenschaftlichen Ele-ments in der Kirche.«3 Diesem »politischen Katholizismus«stellte Kraus sein etwas vages Idealbild eines »religiösen Katho-lizismus« entgegen. Kraus’ elitäre Ausrichtung und sein be-grenztes Verständnis für die wichtige Rolle, welche die katho-lischen Vereine und Parteien für die (gleichwohl unterkonfessionellen Vorzeichen stehende) gesellschaftlich-politischePartizipation der katholischen Bevölkerung spielte, bleiben un-verkennbar. Er verstand die Allianz von »Vatikan« beziehungs-weise »Ultramontanismus« und Demokratie aber als rein in-strumentelle: Die an und für sich monarchistisch denkendeKurie kam seiner Ansicht nach der Dritten Französischen Repu-

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3 Franz Xaver Kraus an Anton Stöck, 5. November 1899; zit. nach Hubert Schiel,Franz Xaver Kraus, sein Lebenswerk und sein Charakter im Spiegel der Briefe anAnton Stöck, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 3 (1951),218 –239, hier 237.

Reformkatholizismus und Amerikanismus

blik nur entgegen, weil sie sich Hilfe für die Wiedergewinnungdes 1870 verlorenen Kirchenstaates erhoffte. Gleichzeitig er-blickte der national gesinnte Kraus darin eine ungerechte Par-teilichkeit der römischen Zentrale. Die Zentrumspartei war fürKraus vor allem ein massenwirksames Mittel der internen Ge-sinnungskontrolle, worin ihn die heftigen Angriffe der Zen-trumspresse auf seine Person bestätigten. Kraus unterschätztedabei die Prozesse interner Differenzierung, die sich auch im or-ganisierten deutschen Katholizismus um 1900 abspielten undspäter im Zentrums- und Gewerkschaftsstreit zuspitzten. DerFreiburger Kirchenhistoriker hat nie aufgehört, mit seinem »re-ligiösen Katholizismus« die Gemüter zu erregen. Noch heute se-hen die einen in ihm den Wegbereiter eines modernen, auf-geklärten, gesellschafts-, staats- und wissenschaftsfreundlichen,eben »liberalen« Katholizismus, während die anderen ihn alseinen zeitgeistgläubigen, gouvernemental-elitären und antide-mokratischen Unruhestifter ausmachen, der, wenn er sichdurchgesetzt hätte, dem deutschen Katholizismus das organisa-torische Mark aus den Knochen geschabt und ihn den Ideo-logien des 20. Jahrhunderts, insbesondere dem Nationalsozialis-mus, wehrlos ausgeliefert haben würde.

Kraus fand sein Ideal eines »religiösen Katholizismus« beiDante, dem Kritiker päpstlicher Machtpolitik, vorbereitet, undin der Kunst der italienischen Renaissance verband sich für sei-nen Schüler und »Erben« Joseph Sauer die religiöse Kraft desMittelalters mit der Individualität der Neuzeit zu einer großenSynthese, die dann durch Reformation und Gegenreformationzerstört wurde und nun wiedergewonnen werden sollte. Diekirchliche Reform um 1900 fand ihre Inspiration beziehungs-weise Rechtfertigung oft im Rückgriff auf die Geschichte, undes ist wenig erstaunlich, dass dabei nicht mehr ein ultramontan-geschlossen konzipiertes »katholisches Mittelalter« das Leitbildabgab, sondern ein katholischer Aufbruch in die Neuzeit kon-struiert wurde. In diesem Sinne suchte der prominente Kirchen-

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Themen und Protagonisten des Reformkatholizismus

historiker Albert Ehrhard in seiner Schrift »Der Katholizismusund das zwanzigste Jahrhundert« (1901) explizit die Neuzeitkirchlich zu rehabilitieren und sie vom Odium des subjektivisti-schen Zerfalls, das ihr die ultramontane Geschichtsauffassungnach den antikirchlichen Exzessen der Französischen Revolu-tion angehängt hatte, zu befreien. Entsprechend wurde vonSchell dem ultramontanen Kulturpessimismus die »amerikanis-tische« Parole »Church and Age unite« entgegengehalten: Kir-che und Neuzeit sollten endlich zusammenfinden (s.u. 2.3).Der Würzburger Kirchenhistoriker Sebastian Merkle machtesich gar daran, die besonders verabscheute, weil »seichte« und»rationalistische« katholische Aufklärung zu rehabilitieren. So-gar Martin Luther war von solcher »Objektivierung« der Ge-schichtsbilder nicht ausgeschlossen: Althergebrachte (wennauch quellenmäßig fundierte) konfessionell-historische Pole-mik, wie sie der gelehrte Dominikaner Heinrich Suso Deniflein seinem »Luther« (1904) vortrug, wurde nicht mehr goutiert,zumal sie für die nationale Integration der Katholiken in daskleindeutsche Reich dysfunktional war. Merkle entdeckteschließlich sogar »Gutes an Luther und Übles an seinen Tad-lern« und war insofern bahnbrechend für ein neues katholischesLutherbild, das im Sinne der nationalen Ökumene ab 1914 im-mer mehr Rückenwind bekam.

Auch der später sogenannte »literarische Modernismus«kündigte sich vor 1900 an: Der Literat Carl Muth stellte 1898unter dem Pseudonym »Veremundus« die Frage: »Steht dieKatholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Eine literarischeGewissensfrage«. Muths Initiative versteht sich vor dem Hin-tergrund des katholischen Literaturbetriebs mit seinen erbau-lichen Tendenzromanen, seinen »Literaturpäpsten« wie Ale-xander Baumgartner SJ, seinen eigenen Literaturgeschichtenwie der von Brugier und seinem System katholischer Verlageund katholischer Zeitungen, das sich im 19. Jahrhundert unteranderem aus der Notwendigkeit der Selbstbehauptung in ei-

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

nem antikatholischen kulturellen Umfeld herausgebildet hatte.Muth verlangte nun auch für die katholische Literatur den Pri-mat der Kunst und die Einordnung in den literarischen Main-stream. Er dachte dabei allerdings nicht an die ihm verhassten»formkünstelnden Modernen« wie Stefan George, ArthurSchnitzler oder Hugo von Hofmannsthal als Vorbilder, son-dern an die deutsche Klassik als bleibenden Maßstab deutscherLiteratur – immer noch eine vergleichsweise progressive Posi-tion im deutschen Katholizismus, wenn auch keine dezidiertmoderne.

Mit der Kulturzeitschrift »Hochland« schuf Muth 1903eine Vermittlungsgestalt für seine Ideale, die in ihrer Langzeit-bedeutung für das katholische Bildungsbürgertum bis in die1960er Jahre hinein kaum unterschätzt werden kann. Er reihtesich damit in die übergreifende Entwicklung einer reform-katholischen Öffentlichkeit um 1900 ein: Neue Foren der kir-chen- und kulturpolitischen sowie der theologischen Diskus-sion boten damals auch die Zeitschriften »Renaissance«(gegründet 1900) und »Freie Deutsche Blätter« / »Das 20. Jahr-hundert« (gegründet 1901), das sich ab 1909 »Das Neue Jahr-hundert. Organ der deutschen Modernisten« nannte. Dem»20. Jahrhundert« war Herman Schell besonders verbunden,der 1902 auch den Hauptvortrag auf der sogenannten »Isar-lustversammlung« der Freunde der Zeitschrift in Münchenhielt. Aus ihr entstand 1904 die sogenannte »Kraus-Gesell-schaft«, die aber nicht alle reformkatholischen Kräfte in sichbündeln konnte und schließlich von einem bleibenden inter-nen Gegensatz zwischen »modernistischen« Reformtheologenund zentrumskritischen Laien, die den Anschluss an den völ-kischen Antiultramontanismus suchten, geprägt war. Auch der1901 verstorbene Franz Xaver Kraus wurde postum in diesemSinne stilisiert. Sein Biograph Ernst Hauviller deutete ihn imLichte der völkischen Vordenker Paul de Lagarde und HoustonSt. Chamberlain: »Er war für den Katholizismus – soweit dies

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Themen und Protagonisten des Reformkatholizismus

innerhalb seiner Normen möglich war – was Paul de Lagardefür das evangelische Christentum gewesen: ein Pfadfinder fürwahre, freie Religiosität kommender Zeiten«.4

Die reformkatholischen Themen brachen sich aber auchin den Mainstream-Organen des deutschen KatholizismusBahn, etwa in der »Kölnischen Volkzeitung«, neben der kon-servativeren Berliner »Germania« das wichtigste überregionaleZentrumsblatt im Reich, und in den Organen von KV und CV,den bedeutenden Verbänden katholischer Studentenverbin-dungen. Christopher Dowe hat in seiner profunden Arbeit»Auch Bildungsbürger« jüngst gezeigt, wie die von Schell aus-gelöste Diskussion sich auf die Identitätsbildung katholischerAkademiker auswirkte, selbst wenn deren Verbände ängstlichdarauf bedacht waren, nicht in die kirchlichen Kontroversenum Schell hineingezogen zu werden. Hinsichtlich der Breiten-wirkung des Reformkatholizismus wäre es deshalb verfehlt,ihn als Randphänomen abzutun. Bei aller späteren Polarisie-rung und bei aller äußeren kirchlichen Konformität der »nor-malen« Katholiken vollzog sich hier doch ein tiefgreifenderMentalitätswandel, der politisch schon 1895 in der nationalenNeuorientierung der Zentrumspartei greifbar war. Die trans-nationale Anziehungskraft reformkatholischer Ideen auf bil-dungsbürgerliche Kreise lässt sich auch am Erfolg einer litera-rischen Idealgestalt belegen: In Antonio Fogazzaros Roman »Ilsanto« wurde nicht nur ein Treffen der führenden Kirchenre-former stilisiert (Kraus ist darin als »Prof. Dane« karikiert),sondern auch ein idealistisch-einfacher »Heiliger« als Prophetdes progressiven Katholizismus präsentiert. Fogazzaros Ro-man, der 1906 auf persönlichen Wunsch Pius’ X. indiziertwurde, avancierte zum Roman einer bürgerlichen »reform-katholischen Generation«. Rein quantitativ ist die rasche Ver-

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4 Ernst Hauviller, Franz Xaver Kraus. Ein Lebensbild aus der Zeit des Reform-katholizismus, Kolmar 1904, 135, vgl. ebd. 110.

Reformkatholizismus und Amerikanismus

breitung des im November 1905 erschienenen Werkes bemer-kenswert: 30.000 verkaufte Exemplare in Italien im ersten Jahr,100.000 in den USA und England bis 1908, ca. zehn Auflagenin Deutschland und Frankreich zur gleichen Zeit, Übersetzun-gen ins Russische, Ungarische, Holländische, Spanische undJapanische. Die mystisch-reformerische Botschaft des »Heili-gen«, der in einer Reformrede vor dem Papst wissenschafts-feindliche Verketzerungssucht, Autoritarismus und blindenKonservatismus in der Kirche anprangerte, hatte den »idealis-tischen« Zeitgeist beflügelt.

Die Koinzidenz der Vorstöße von Schell, Müller, Kraus,Ehrhard und Muth wurde schon von Zeitgenossen – und nichtnur von Kritikern – als Reformbewegung empfunden. Sie warfreilich keineswegs einheitlich, was bei ihrer professoral-klerika-len Prägung nicht überraschen kann: Kraus distanzierte sich öf-fentlich von Müller, und auch Schell musste sich intern von Ehr-hard kritisieren lassen. Gemeinsames Ziel der »Reformer« war es,vor dem Hintergrund der Debatte um die katholische kulturelleUnterlegenheit, die sogenannte »Inferiorität«, eine verbessertegesellschaftliche Positionierung des Katholizismus im wilhelmi-nischen Deutschland durch den Erweis seiner Modernitätsfähig-keit im Bereich der Wissenschaft und Klerusbildung (Univer-sitätsbildung statt Seminarerziehung), der Literatur und Politikzu erreichen. Bei aller gesellschaftlichen Integrationswilligkeitder tragenden, vorwiegend akademisch-bildungsbürgerlichenEliten des Reformkatholizismus bedeutete dies letztlich ein Pro-gramm »katholischer Kulturdominanz« (F. W. Graf), das inpeinlicher Abgrenzung von Protestantismus und Altkatholizis-mus vorgetragen wurde; gerade in Bezug auf den liberalen Pro-testantismus ging es nicht nur um das Einholen, sondern auchum das Überholen durch den Katholizismus, der nun als größte»Kulturmacht« der Neuzeit proklamiert werden sollte.

Dieses Programm kannte auch stark nationale bis tenden-ziell völkische Töne, die in das Bild einer damals »zeitgemä-

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Themen und Protagonisten des Reformkatholizismus

ßen« Theologie gehören. Herman Schell etwa betonte nichtnur den Gegensatz »romanisch« und »germanisch« bezie-hungsweise »jesuitisch« und »deutsch«, sondern feierte 1896als Rektor der Würzburger Universität den hundertsten Ge-burtstag Wilhelms I. mit folgenden Worten: »Des neuen Rei-ches erster Kaiser ist tot: aber es lebt sein Geschlecht, es lebtseiner Krone Ruhm und Glanz, es lebt sein Werk – die deut-sche Einheit, die deutsche Kaisermacht, des deutschen Reichesfester Bau! Es lebt das neuerstandene Deutschtum – als Einheitnach außen, als Freiheit nach innen! Es lebt und soll lebendurch unsere begeisterte Treue und ernste Pflichterfüllung imFrieden wie im Krieg, im Wetteifer der Stände und der Konfes-sionen, im Wetteifer von Nord und Süd, von Ost und West!«5

Im Ersten Weltkrieg wetteiferten dann tatsächlich alle – auchdie strengkirchlichen katholischen Theologen – in nationalerPflichterfüllung, und dies nicht nur in Deutschland, sondernauch in Frankreich, Italien und nicht zuletzt in den VereinigtenStaaten von Amerika.

2.3 Der Amerikanismus, oder:Die Theologie in der Zeit der Kanonenboote

Die Themen des Reformkatholizismus spielten gleichzeitigauch in anderen europäischen Ländern eine Rolle: in Englandunter dem Etikett des »Liberal Catholicism«, den die eng-lischen Bischöfe im Dezember 1900 in einem gemeinsamen,in Rom vorformulierten Hirtenbrief verurteilten. Noch wichti-ger ist freilich der »Amerikanismus«, dessen Vorstellungen inFrankreich, Italien und Deutschland rezipiert wurden. Her-man Schell ließ sich in seiner zweiten Reformbroschüre »Dieneue Zeit und der alte Glaube« (1898) ganz von den »ame-

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5 Zit. nach Hausberger, Schell, 122.

Reformkatholizismus und Amerikanismus

rikanistischen«, irisch-katholischen Kirchenmännern inspirie-ren und zitierte eingangs ihren prominentesten Vertreter,nämlich John Ireland, den Erzbischof von St. Paul/Minnesota:»Ich predige den neuzeitlichen Kreuzzug: den herrlichsten allerKreuzzüge: um Kirche und Neuzeit innig zusammenzubrin-gen: im Namen der Menschheit, im Namen Gottes! Die Kircheund die Neuzeit! Bringt sie zu lebendigem Gedankenaus-tausch! Ihre Herzen drängen zur Verständigung!«6

Wenn die Modernismuskrise irgendwo einen konkretenpolitisch-kulturellen Hintergrund hatte, dann sicher im Falledes Amerikanismus, in dem es um eine euphorische kirchlicheRezeption des – so wörtlich – »New Age«, des ungeschmäler-ten Fortschrittsoptimismus der neuen demokratischen Weltging. Was die Amerikanisten, die sich auch selbst so bezeichne-ten, umtrieb, sei zunächst am Beispiel des Spanisch-Ame-rikanischen Krieges von 1898 verdeutlicht, an dessen EndeSpanien seine Kolonien Cuba und die Philippinen verlor unddiese als Quasi-Kolonien an die USA gingen. Dieser Krieg mar-kierte, wie neuere Forschungen zeigen, einen wichtigen Schrittbei der Herausbildung einer US-amerikanischen imperialisti-schen Identität. Er ging für die Vereinigten Staaten zwarschnell siegreich zu Ende; der anschließende Freiheitskampfauf den Philippinen forderte aber bis 1918 ca. 500.000 Opferunter der Zivilbevölkerung. Die eher spanienfreundliche römi-sche Kurie hatte im Vorfeld des Krieges den schon zitiertenErzbischof John Ireland gebeten, auf Präsident McKinley ein-zuwirken, damit der Krieg vermieden werde. Ireland tat seinMöglichstes, scheiterte aber an der wenig entgegenkommen-den Haltung Spaniens und an der von der amerikanischenPresse geschürten Kriegsstimmung, der Präsident McKinleynicht zuletzt aus wahltaktischen Gründen nachgab. PapstLeo XIII. war enttäuscht, und Ireland beklagte sich darüber

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6 Zit. nach Hausberger, Schell, 158f.

Der Amerikanismus, oder: Die Theologie in der Zeit der Kanonenboote

bei einem anderen führenden Amerikanisten, bei DenisO’Connell, dem Rektor des nordamerikanischen Kollegs inRom, der zugleich als Agent amerikanisch-katholischer Inte-ressen in Rom wirkte. Doch O’Connell verstand es, Irelandauch die positive Seite der ganzen Sache nahezubringen, wieein längerer, besonders eindrücklicher Abschnitt aus seinemBrief an Ireland vom 24. Mai 1898 zeigt:

»Schlagen Sie alle Zweifel und Zögernisse in den Windund schreiten Sie voran mit dem Banner des Amerikanismus,das das Banner Gottes und der Humanität ist. VerwirklichenSie nun alle Träume, die Sie je hatten, und zwingen Sie der Ku-rie durch den großen Triumph des Amerikanismus jene Aner-kennung der englischsprachigen Völker auf, von der Sie wis-sen, dass sie nötig ist. – Für mich ist dies nicht nur eine Fragevon Cuba. Wenn es das wäre, wäre es keine Frage oder nur einearmselige. Sollen die Greasers [ein abfälliger Ausdruck für Hi-spanoamerikaner] doch einander aufessen, und so das Lebenunserer lieben Jungs gerettet werden. Vielmehr ist es für micheine Frage von viel größerer Bedeutung: – es ist die Frage vonzwei Zivilisationen. Es ist die Frage von allem, was in Europaalt, hässlich, gemein, kaputt, grausam und verlogen ist, gegenalles, was in Amerika frei, erhaben, offen, wahr und mensch-lich ist. Wenn Spanien von den Weltmeeren gefegt wird, ver-schwindet mit ihm viel von der Gemeinheit und Enge des altenEuropa und wird durch die Freiheit und Offenheit Amerikasersetzt. Das ist Gottes Weg, die Welt weiter zu entwickeln.Und ganz Kontinentaleuropa fühlt, dass der Krieg gegen esselbst gerichtet ist, und deshalb sind sie alle gegen uns, undRom mehr als alle, denn wenn das Prestige Spaniens und Ita-liens verloren und der Angelpunkt der Weltpolitik nicht mehrauf den Kontinent beschränkt sein wird, dann wird es sogareinem Kind klar und offensichtlich sein, dass es Unsinn ist,die Universalkirche von einem exklusiv europäischen Stand-punkt aus und dazu noch mit ausschließlich spanischen und

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

italienischen Methoden regieren zu wollen. ›Jetzt ist die Axt andie Wurzel des Baumes gelegt‹. Soll der Reichtum der Klösterund Kongregationen in Cuba und auf den Philippinen dochverschwinden; er hat nichts zur Förderung der Religion bei-getragen. Keine neuen Flicken auf alte Gewänder mehr; dashilft niemandem. Die Grundlage der Religion muss neu gelegtwerden ›im Geist und in der Wahrheit‹.«7

Deutlich wird, wie O’Connell einen qualitativen Gegen-satz zwischen Alter und Neuer Welt, zumal zwischen den ro-manischen Ländern und den USA, konstruiert; einen Gegen-satz, der für ihn gleichermaßen politisch und kirchlich gilt.Der Amerikanismus offenbart sich hier – zumindest aus derPerspektive der Amerikanisten – tatsächlich als die innerkirch-liche Dimension eines umfassenden »clash of civilisations«.Obwohl die katholische Weltkirche übernational konzipiertwar, wetteiferten um 1900 die Nationalstaaten und nationalenKatholizismen bei der römischen Zentrale um Aufmerksam-keit und Einfluss. Der deutsche Katholizismus blickte dabei ei-fersüchtig auf vermeintliche Bevorzugungen Frankreichs, »derältesten Tochter der Kirche«, während die Amerikanisten all-gemein ein »romanisches« beziehungsweise alteuropäischesÜbergewicht konstatierten. In den USA selbst richtete sichder »amerikanistische« Kampf gegen die zahlreichen deutsch-sprachigen katholischen Gemeinden und ihre Pfarrschulen,die zumal der gebürtige Ire Ireland als Hindernis für die Inte-gration bekämpfte. Gleichzeitig fanden große Teile des ame-rikanischen Episkopats nichts dabei, an interkonfessionellenund interreligiösen Veranstaltungen und »Parlamenten« teil-zunehmen und so religiös die nationale Integration zu för-dern – ein Mangel an Berührungsängsten, den konservativeeuropäische Katholiken mitnichten nachvollziehen konnten.

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7 Zit. nach Thomas T. McAvoy, The great crisis in American Catholic History1895–1900, Chicago 1957, 206 –210 (meine Übersetzung).

Der Amerikanismus, oder: Die Theologie in der Zeit der Kanonenboote

In die Alte Welt hinein wurde das amerikanistische Ge-dankengut vor allem literarisch transportiert: Der deutsch-stämmige Konvertit Isaac Thomas Hecker (1819 –1888) hattein den USA die Ordensgemeinschaft der Paulisten begründet,die sich vor allem volksmissionarischer Arbeit widmete. SeineBiographie erschien 1897 auch in französischer Übersetzung,versehen mit einem Vorwort des progressiven Pariser Theo-logieprofessors Félix Klein. Hecker wurde in diesem Vorwortzum amerikanistischen Heiligen stilisiert, zu einem Vorkämp-fer für die moderne persönliche Freiheit in der Kirche, dieheute weniger passiven Tugenden wie Demut, Disziplin undGehorsam, sondern der Tatkraft des Individuums Raum gebensolle. Dieses Leitbild, das mit der Pragmatik des ultramonta-nen Katholizismus brach, machten sich weite reformkatho-lische Kreise in Frankreich, Deutschland und Italien zu eigen.Zugleich provozierte es zumal in Frankreich Proteste, die sichin ihrer Schärfe nur vor dem Hintergrund des Gegensatzes vonDemokraten und Monarchisten beziehungsweise Legitimistenim französischen Katholizismus verstehen lassen. Namentlichder Priester und Monarchist Charles Maignen antwortete mit»Studien zum Amerikanismus« und der kritischen Frage, obHecker wirklich ein »Heiliger« gewesen sei. Die literarischeamerikanistische Offensive konnte auf einem internationalenreformerischen Netzwerk aufbauen, das Denis O’Connell vonrömischen Salons aus gesponnen hatte und das neben Kleinauch Herman Schell und Franz Xaver Kraus einschloss. Letzte-rer lieh den Amerikanisten seine Feder, um den missliebigenultramontanen deutschen Dogmatiker Joseph Schröder von»The Catholic University of America« in Washington D.C. zuvertreiben. Wenigstens in diesem Fall überwogen die kirchen-politischen Affinitäten einmal die nationalen Loyalitäten.

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

2.4 Die kirchenamtliche Reaktion auf denAmerikanismus

Die kontroverse öffentliche Diskussion um Amerikanismusund Reformkatholizismus führte schließlich auch zu Reaktio-nen der römischen Kurie. Im Falle des Amerikanismus gestal-tete sich die Situation dabei besonders heikel: Einerseits warendie konservativen französischen Katholiken ohnehin über diePolitik des »ralliement«, die Annäherung des Heiligen Stuhlesan die französische Republik, verärgert und sollten nicht wei-ter gereizt werden. Andererseits hatte der päpstliche Hoftheo-loge Alberto Lepidi OP der scharfen Amerikanismus-KritikMaignens die kirchliche Druckerlaubnis gegeben, die vom Pa-riser Erzbischof zuvor verweigert worden war, und so den Ein-druck einer päpstlichen Approbation erweckt. Schließlichstanden große Teile der amerikanischen Hierarchie hinter denAmerikanisten, während in der Kurie deren scharfe Kritikerwie etwa Kardinal Camillo Mazzella SJ überwogen. Dieserhatte 1896 als Vorsitzender der Sonderkommission der Römi-schen Inquisition zur Frage der Gültigkeit der anglikanischenWeihen (die damals zum Beispiel der berühmte Kirchenhis-toriker Louis Duchesne bejahte) dazu beigetragen, dass eineökumenische Annäherung auf diesem Wege verhindert unddie Weihen in der anglikanischen Kirche für »absolut nullund nichtig« erklärt wurden. Papst Leo XIII. favorisierte imFalle des Amerikanismus eine sorgfältiger dosierte Reaktion,die sich auch vom massiveren antimodernistischen Vorgehenseines Nachfolgers Pius’ X. abhebt. Der Papst ließ die Sachenicht durch die für Buchzensur zuständige Indexkongregationbehandeln, sondern setzte wiederum eine spezielle Kardinals-kommission ein. Ergebnis war ein im Kern von Mazzella for-muliertes päpstliches Schreiben, das Leo XIII. aber inhaltlichund formal abmilderte: Er änderte den Anfang und Schlussdes Entwurfs, um den Eindruck zu vermeiden, der amerikani-

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Die kirchenamtliche Reaktion auf den Amerikanismus

sche Katholizismus als solcher werde hier kritisiert. Formal er-ging der Text nicht als feierliches Lehrschreiben (Enzyklika),sondern als einfaches Breve (Brief), das unter dem 22. Januar1899 an den einzigen nordamerikanischen Kardinal, Erz-bischof James Gibbons von Baltimore, gesandt wurde. DiesesBreve »Testem benevolentiae« verurteilte zwar einzelne Lehrendes Amerikanismus, stempelte diesen aber nicht als Häresie ab.Im einzelnen wies Leo XIII. die Ansicht zurück, die Kirchemüsse im Dialog mit den Nicht-Katholiken und der modernenWelt allgemein weniger verständliche Lehren hintanstellenoder übergehen. Im disziplinären Bereich kritisierte er die Ein-führung des modernen Freiheitsideals in die Kirche – auf Kos-ten der Hierarchie – sowie die generelle Ablehnung der passi-ven Tugenden und der alten Ordensgelübde. Diese Art derVerurteilung machte es der Mehrheitsgruppe des amerikani-schen Episkopats um Kardinal Gibbons leicht, das päpstlicheSchreiben anzunehmen. Die so zugespitzten, ungeheuerlichenLehren habe niemand vertreten (Félix Klein sprach deshalbspäter von einer »hérésie fantôme«), der »wahre« Amerikanis-mus sei von der Verurteilung nicht betroffen. Der deutschspra-chige Erzbischof Franz Xaver Katzer von Milwaukee danktedagegen dem Papst, dass er die amerikanische Kirche vor einergroßen Gefahr bewahrt habe.

2.5 Die Indizierung der Werke Schells von 1898/99

Weniger glimpflich kam Herman Schell davon, den der Mün-chener Nuntius Benedetto Lorenzelli als »Amerikanist imdeutschen Gewande« apostrophierte. Die kurieninternen Vor-gänge um Schell hat Karl Hausberger schon kurz nach der Öff-nung des Archivs der Kongregation für die Glaubenslehre 1999rekonstruiert. Sie werfen ein weiteres bezeichnendes Licht aufdie Spätphase des Pontifikats von Leo XIII., denn im Falle

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

Schell lief eine veritable kuriale Parallelaktion ab, die zugleichnoch einmal das im 19. Jahrhundert mehrfach versuchte, wennauch nicht immer geglückte Vorgehen demonstriert, mit demkonservative deutsche Bischöfe und Theologen ihre unlieb-samen Gegner mit Hilfe (oder auch unter Instrumentalisie-rung) der römischen Dikasterien ausschalteten.

Der Limburger Domkapitular Matthias Höhler tat sich li-terarisch mehrfach als Gegner reformerischer Ansätze hervor.Für den Bereich der Kirchengeschichte hatte Höhler explizitein »dogmatisches Kriterium« postuliert und eine wissen-schaftliche Auseinandersetzung mit dem bekannten TübingerKirchenhistoriker Franz Xaver Funk begonnen, der bei denKonzilien der Alten Kirche nicht jene päpstliche Mitwirkungund Bestätigung finden konnte, die nach den neuscholasti-schen Handbüchern eigentlich zu erwarten gewesen wäre. AnSchells erster Reformschrift kritisierte Höhler vor allem denAntijesuitismus und die seicht-aufklärerische Tendenz. Er be-ließ es aber nicht bei einer veröffentlichten Reaktion, sondernhakte auch auf der römischen Schiene nach. Höhler stand wieviele andere Absolventen des römischen Collegium Germani-cum in brieflichem Kontakt mit Andreas Kardinal SteinhuberSJ, dem früheren Direktor des Kollegs und nunmehrigen Prä-fekten der Indexkongregation. Angeregt von dem prominen-ten Antimodernisten Albert Maria Weiß OP drängte Höhlerim Oktober 1897 Steinhuber zum Vorgehen gegen Schell –ohne allerdings eine Reaktion zu erhalten, denn parallel dazubrachte der konservative Mainzer Bischof Paul Leopold Haff-ner durch mündliche, dann schriftliche Denunziation und dieÜbersendung eines Syllabus mit Schellschen Irrtümern bereitsein Indexverfahren gegen den Würzburger Theologen in Gang.Höhler erfuhr davon nichts und wandte sich im Jahr 1898 anden Münchener Nuntius Lorenzelli, der die Causa Schell andas Staatssekretariat unter Kardinal Rampolla weiterleitete.Tatsächlich erhielt der zuständige Würzburger Bischof Ferdi-

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Die Indizierung der Werke Schells von 1898/99

nand von Schlör daraufhin im November 1898 einen BriefLeos XIII., in dem der Papst ein Vorgehen gegen Schell in Aus-sicht stellte, falls dieser sich nicht korrigiere. Im Begleitschrei-ben des Nuntius wurden als Schellsche Irrtümer 1. die Bekeh-rungsmöglichkeit des Todsünders im Jenseits und 2. diepositive Aseität (Selbstursächlichkeit) Gottes und ihre Anwen-dung auf das Mysterium der Trinität sowie zahlreiche anstö-ßige Stellen aus Schells »amerikanistisch« inspirierter zweiterProgrammschrift genannt. Schell legte seinem Bischof am 15.Dezember zwei lateinische Erklärungen zu den Vorwürfen vorund betonte seine Rechtgläubigkeit, und der Bischof leitete dieDokumente an den Nuntius weiter. Ebenfalls am 15. Dezem-ber setzten allerdings die Kardinäle der Indexkongregation dieHauptwerke Schells auf die Liste der verbotenen Bücher, einUrteil, das der Papst am 17. Dezember bestätigte. Wie bei be-kannten katholischen Theologen üblich, sollte Schell Gelegen-heit zur »löblichen Unterwerfung« unter die Indizierung vorderen Publikation gegeben werden. Bischof Schlör war nunsehr verwundert, als er vom Indexsekretär ein Dekret des Da-tums erhielt, an dem Schell seine Stellungnahme abgeben hat-te, und ließ durch den Geschäftsträger der deutschen Bischöfein Rom das Staatssekretariat über das parallele Vorgehen derIndexkongregation aufklären. Dort wunderte man sich dop-pelt, weil Schells Stellungnahme im Januar 1899 auch nochnicht angekommen war; Nuntius Lorenzelli hatte sie zurück-gehalten. Kardinal Steinhuber beschwerte sich bei Rampollaüber das unabhängige Vorgehen des Staatssekretariates, undLeo XIII. legte den Fall nun ganz in die Hände der Indexkon-gregation, mit einem absehbaren Ergebnis, das der SpectatorFranz Xaver Kraus ironisch in den kirchenpolitischen Kontexteinordnete: »So schöne Tage hat die katholische Theologieschon lange nicht mehr erlebt als die Woche, welche am 22.Februar die Verdammung des angeblichen Amerikanismus indem päpstlichen Brief an Gibbons und am 24. die Zensurie-

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

rung der Schriften des Würzburger Dogmatikers HermannSchell gebracht hat. Ihnen werden noch andere glückliche Er-eignisse derselben Gattung folgen: seit Monaten liegt die Ver-urteilung der von dem Deutsch-Amerikaner P. Zahm in ihrerStellung zur christlichen Theologie betrachteten Evolutions-lehre fertig da, und die Zensurierung der von den Dominika-nern in Jerusalem, insbesondere dem P. Lagrange vorgetrage-nen Ansichten über die Entstehung des Alten Testaments wirdallem Anschein nach in kürzester Frist besorgt sein.«8 Krausbrachte mit dieser Zusammenschau die reformkatholisch-theologisch-exegetische Problemkonstellation der ersten Phaseder Modernismuskrise auf den Punkt. Schell unterwarf sicham 1. März; das Presse-Echo war enorm.

Schauen wir ein wenig in die neu zugänglichen römischenAkten hinein. Die theologische Begutachtung der Werke Schellsfür die Indexkongregation lag in den Händen des Belgiers Lau-rentius Janssens OSB, dem ersten Rektor des internationalenBenediktinerkollegs von San Anselmo, einem ausgewiesenenNeuscholastiker, der uns wieder als Zensor Alfred Loisys begeg-nen wird. Janssens’ Gutachten zeigen, dass er unter Berücksich-tigung der Mainzer Vorarbeiten in den dogmatisch-apologeti-schen Werken Schells zielsicher die »modernisierenden«Aspekte herausgriff. Diese betrafen zunächst die damals aktuel-len Fragen der Eschatologie, also die Lehre von den »LetztenDingen«, deren traditionelle Härte weiteren gebildeten katho-lischen Kreisen Unbehagen verursachte: Sollte so viele Men-schen die ewige Verdamnis treffen? Gab es nicht auch für Tod-sünder noch Hoffnung nach Ende ihres Lebens? War dasHöllenfeuer wirklich ein materielles Feuer? Solche Fragen gabenzu »minimalistischen« Lösungsversuchen Anlass. Schon konser-vative Autoren des 19. Jahrhunderts wie der englische Oratoria-ner William Faber hatten versucht, die Zahl der Katholiken im

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8 Zit. nach Weber, Liberaler Katholizismus, 248.

Die Indizierung der Werke Schells von 1898/99

Himmel möglichst hoch und entsprechend die der Verdamm-ten möglichst niedrig zu rechnen. Auch Schell stand mit seinem»Minimalismus« in einem internationalen theologischen Kon-text: So wurde bereits 1885 Paul Girodon wegen seines »Exposéde la doctrine catholique« in Rom angezeigt. In England hatteneinige Jahre später die Artikel von St. George Jackson Mivartüber »Happiness in Hell« für Aufsehen gesorgt; sie wurden1893 indiziert, der Autor 1900 exkommuniziert. Von Mivart indieser Frage beeinflusst war George Tyrrell (s.u. 4.1), der bei denLetzten Dingen »einen gewissen gemäßigten Agnostizismus«empfahl und deshalb der ordensinternen Zensur unterworfenwurde. Auch im dynamischen Gottesbegriff der Selbstursäch-lichkeit entdeckte Janssens ein falsches modernes Verständnisvon Persönlichkeit und Freiheit. In den Reformschriften be-mängelte Janssens Schells Antijesuitismus und Antiromanis-mus, sein übertriebenes Lob der Freiheit des wissenschaftlichenForschens sowie seinen naiven Fortschrittsoptimismus. Janssensvermisste bei Schell die Sympathie für die ideale christliche Ge-sellschaftsordnung des Mittelalters und für die Inquisition alsnotwendiges Instrument zur Verteidigung der Wahrheit.Schließlich rückte er ihn in die nächste Nähe des Amerikanis-mus. Auch die Kenntnis der kurieninternen Vorgänge belegt al-so, dass Schell wegen seiner relativen »Modernität« indiziertwurde und sich damit in die lange Reihe der im 19. und 20.Jahrhundert gemaßregelten Versuche einer Aktualisierung desscholastischen Erbes von modernen Denkvoraussetzungen hereinordnet. Trotz Schells Unterwerfung ging der Streit um seineRechtgläubigkeit weiter, wobei unter anderem weiterhin seineantirigoristische Eschatologie zur Debatte stand. Auf die erbit-terte Auseinandersetzung nach seinem frühen Tode im Jahr1906 wurde schon eingangs hingewiesen.

Die Indizierung Schells bedeutete einen ersten Schlag fürden deutschen Reformkatholizismus. Hinzu kam nach 1902das Vorgehen einzelner deutscher Bischöfe wie Keppler von

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

Rottenburg oder Thomas Nörber von Freiburg gegen reform-katholische Tendenzen im Klerus und besonders bei den Semi-naristen (Verbot der Lektüre reformkatholischer Zeitschriften,Ausschluss aus dem Seminar). Unter dem Druck der weitereninnerkatholischen Polarisierung, aber auch des wachsendenspätwilhelminischen antikatholischen »Antiultramontanis-mus«, der durch den Evangelischen Bund und völkisch-natio-nalistische Gruppierungen geprägt war und die Reformer indi-rekt diskreditierte, zerbrach der Reformkatholizismus alshistorische Konstellation. Seine Themen spielten gleichwohl bis1914 weiter eine Rolle und wurden von integralistischen Kreisenmit Häresieverdacht belegt (als »praktischer« beziehungsweise»sozialer« und »literarischer« »Modernismus«). Im Zeichen desSiegkatholizismus und katholischen Antiliberalismus nach 1918schien dann auch Schell als Theologe obsolet geworden zu sein:»So ist er für uns heute der große Interpret jener fortschritt-lichen Zeit, die die Bedeutung des fortschrittlichen Katholizis-mus an dem Anteil bemaß, den er an der Kultur hat. Jene Zeitist ins Grab gesunken und mit ihr auch ihr Künder.«9

2.6 Der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm vonKeppler als Gegner des Reformkatholizismus

Blicken wir abschließend auf den prominentesten Gegner desReformkatholizismus im deutschen Episkopat, der selbst durchjene schillernde antimodern-moderne Intellektualität gekenn-zeichnet war, die uns noch öfters beschäftigen wird. Paul Wil-helm (von) Keppler stammte aus Schwäbisch Gmünd in der Di-

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9 Joseph Koch, Herman Schell und Franz Brentano, in: Fritz-Joachim von Rinte-len (Hg.), Philosophia perennis. Abhandlungen zu ihrer Vergangenheit und Ge-genwart (FS Geyser), 2 Bde., Regensburg 1930, Bd. 1, 337–348, hier 348; zit. nachHausberger, Schell, 445.

Der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler

özese Rottenburg und brachte von seiner primären Sozialisati-on, genauerhin von seinem geistlichen Onkel und Erzieher, eingewisses radikal-ultramontanes Erbteil mit. Als akademischerLehrer in Tübingen und Freiburg übte Keppler eine neuartigeVerbindung von Exegese und Homiletik, die sich an den franzö-sischen Klassikern der Kanzelrede inspirierte, ihm aber auchden milden Spott seiner streng wissenschaftlichen Kollegenund auch kritischer Studenten eintrug. Zugleich etablierte sichKeppler als kirchlicher Kunstpapst der Diözese Rottenburg undförderte insbesondere die das kirchlich normative Mittelalterverkörpernde Neugotik, aber auch die sogenannte BeuronerSchule, in der sich ägyptische, altchristlich-byzantinische undnazarenische Ansätze zu einer neuen »christlichen Kunst« ver-banden. Kirchenpolitisch bewegte sich Keppler zeitweise imFahrwasser des »liberalen Katholiken« Franz Xaver Kraus, anden er sich in Freiburg anschloss. Ein ästhetisierender Grund-zug durchzog die Interessen Kepplers. Er begeisterte sich unteranderem für den Rassentheoretiker Arthur de Gobineau, wohlvor allem für dessen »Renaissance«, deren »historische Szenen«das Tatmenschentum verherrlichten. Keppler wurde – wie vieleandere Angehörige des badischen liberal-konservativen Estab-lishments auch – Mitglied der Freiburger Gobineau-Gesell-schaft, deren Gründer Ludwig Schemann ihm auch Paul de La-garde nahebrachte (als Bischof trat Keppler dann aus derGesellschaft aus – wegen der antipäpstlichen Polemik Gobi-neaus). Früher als andere Katholiken entdeckte Keppler auchden kulturpessimistischen »Rembrandtdeutschen« Julius Lang-behn für sich, mit dem ihn schließlich ein enges persönlichesVerhältnis verband. Aus Langbehns Kulturkritik speiste sichauch Kepplers antimodernistische Wirksamkeit, die er als Rot-tenburger Bischof (1898–1926) mit seiner berühmten Rede»Über wahre und falsche Reform« von 1902 eröffnete. In ihrtritt sein keineswegs nur traditional orientierter, sondern eher»zeitgemäß«-vitalistischer Antimodernismus schön hervor:

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Reformkatholizismus und Amerikanismus

»Wer des Modernen satt geworden, ist nur zu gewinnen durchetwas total Anderes, durch echtes Glaubensleben, ein unver-fälschtes, unverkümmertes Christentum, nicht durch ein mo-dernisiertes Christentum, nicht durch einen Margarinekatholi-zismus«10.

Keppler erreichte auch sonst eine schichtenübergreifendeund langfristige Massenwirksamkeit, die seinen reformkatho-lischen und »modernistischen« Gegnern verwehrt blieb. Seine»Wanderfahrten und Wallfahrten in den Orient« fesseltenZehntausende, seine bei Herder verlegten, prachtvoll ausgestat-teten Essays zur christlichen Kunst schmückten tausende katho-lische Wohnzimmerschränke. In seinen populären Schriften»Mehr Freude« und »Leidensschule«, deren Gesamtauflage indie Hunderttausende ging, verstand Keppler es meisterhaft, dastraditionelle Glaubensgut vitalistisch-frisch aufzuschäumenoder es mit dem zartbitteren Schmelz des Kulturpessimismusund neuromantischer Empfindsamkeit zu überziehen. DerWeltfreudigkeit der Reformer stellte Keppler in seiner Seelsorgs-strategie eine entschlossene Jenseitsorientierung entgegen. Ergriff im Gegensatz zu Schell bewusst auf wenig ökumenischeKontroverslehren zurück, wie etwa in seiner an die Priester ge-richteten Schrift »Die Armenseelenpredigt«. Eine Musterpredigtaus diesem Band, eine Abendpredigt für Allerseelen, ergibt typi-sche Kostproben Kepplerscher Rhetorik und zeigt, wie dieser imGegensatz zu den Reformtheologen die traditionelle Eschatolo-gie nicht minimalisierte, sondern ästhetisch überhöhte:

»Ich aber habe euch an diesem Abend eine Botschaft zuüberbringen. Sie kommt aus der Nacht, da niemand wirkenkann. Die armen Seelen haben sie mir aufgetragen, diese gutenSeelen, die mehr an uns als wir an sie denken und so sehr undnoch mehr auf unser Heil bedacht sind, als da sie noch auf Er-den lebten. – Grüße sie von uns, sagten sie mir, als ich diese Pre-

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10 Paul Wilhelm von Keppler, Wahre und falsche Reform, Freiburg i. Br. 1903, 13.

Der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler

digt mit ihnen besprach, grüße sie von uns und rufe ihnen insGewissen hinein: Wirket, solange es Tag ist! Sag ihnen, dass wirsie bitten und beschwören, sie möchten den Tag benützen undwirken die Werke dessen, der auch sie mit einer Aufgabe undSendung betraut hat, einzuwirken die goldenen Fäden der Got-teswerke, des Gebetes, der guten Meinung, des Gottesdienstes,der Sonntagsfeier, des Sakramentsempfanges, der Werke derLiebe ins Gewebe ihres Lebens. Sag ihnen, dass der Tag plötz-lich, ohne Abend und ohne Dämmerung, umschlägt in dieNacht, da niemand wirken kann, dass manche von denen, diebei diesem Abendgottesdienst sich eingefunden haben, dennächsten Allerseelentag nicht mehr auf Erden erleben.«11

Keppler mobilisierte seinen Klerus in homiletischen Kur-sen, merzte »modernistische« Neigungen bei seinen Seminaris-ten aus und schüchterte erfolgreich die kritische Tübinger ka-tholisch-theologische Fakultät ein, indem er den DogmatikerWilhelm Koch wegen »modernistischer« Vorträge seines Amtesentsetzte und den katholischen Historiker und Legendenfor-scher Heinrich Günter maßregelte. Keppler schuf sich mit freienKapitelskonferenzen neue Foren für seine Beredsamkeit undumkleidete sein Amt, das zuvor eher mit der Jovialität schwäbi-schen Honoratiorentums versehen worden war, mit byzantini-sierender Weihe. Der »modernistische« Vorwurf an Keppler, ersei ein Schauspieler, er sei unecht, ein Verräter seines FörderersKraus, verkannte die Tatsache, dass Keppler wohl der einzige in-tellektuelle Kopf im Episkopat war, der spürte, wohin die wei-tere Fahrt des Zeitgeistes ging und zugleich erfolgreich die Epi-skopalisierung, die Zentrierung seiner Diözese auf den Bischofbetrieb, auch darin wegweisend für den deutschen Katholizis-mus. Auch seine Gegner und Opfer wie die Rottenburger Ex-Se-minaristen Hermann Hefele und Philipp Funk schwenkten

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11 Paul Wilhelm von Keppler, Die Armenseelenpredigt (Freiburg i. Br. 1913,6 –71919), 203f.

Reformkatholizismus und Amerikanismus

nach 1918 wenigstens teilweise auf seinen Kurs ein, als sich ihrneuer »modernistischer« Antisubjektivismus mit dem antimo-dernistisch-ultramontanen Antiliberalismus verband. Kepplerselbst blieb übrigens auch politisch beweglich, engagierte sichin der theologischen Kriegsarbeit genauso, wie er es nach 1918schaffte, die Wende zur Republik besser zu vollziehen als anderedeutsche Bischöfe. Schließlich installierten seine Nepoten – seinSekretärsneffe und sein Künstlerneffe – im Zentrum der Rotten-burger Bischofsgrablege in Sülchen ein monumentales Grab-mal, das eine neue Qualität schwäbischen Totenkultes markier-te. Es dominierte lange Zeit den Raum, bis es nach Jahrzehntenpietätvoll an die Seite gerückt wurde. Während der Modernis-muskrise reichte Kepplers Ruf aber über Deutschland hinaus:Seine »Reform«-Rede wurde von dem Schell- und Loisy-ZensorLaurentius Janssens 1903 in der Revue Bénédictine gefeiert12,und im selben Jahr richtete Keppler ein ausführliches Memo-randum über die Gefahren des Reformkatholizismus an LeoXIII. Dessen Nachfolger Pius X. wollte ihn 1907 ausdrücklichals Mitglied des neuen internationalen katholischen Instituts se-hen, das in der Enzyklika »Pascendi« angekündigt wurde unddie wahre, also neuscholastisch fundierte Wissenschaft beför-dern sollte. Aus dem Plan wurde zwar nichts, weil sich die ge-mäßigten und die radikal antimodernistischen Kräfte in der rö-mischen Kurie gegenseitig lähmten, doch in der schwäbischenHeimat leuchtete der Name von »Rottenburgs großem Bischof«noch lange nach seinem Tode um so heller.

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12 Laurent Janssens, Le Conciliabule de Munich [Zur Isarlustversammlung undzu Kepplers Rede], in: Revue Bénédictine 20 (1903), 195 –202; unmittelbar imAnschluss (ebd. 203 –209) erschien Janssens vernichtende Rezension von LoisysL’Évangile et l’Église.

Der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler

3. Alfred Loisy – historische Kritikund Apologie der Kirche

»Christi Braut, Lehrerin der Völker, katholische Kirche! […] Du immerwährende Schieds-richterin der Wahrheit […] Wir, deine Schüler, bringen dir unsere Arbeit dar, zwar alsschwache Knechte, doch als immer gelehrige Söhne. […] Dir haben wir gegeben,was wir können, dich verkünden wir, Dich erhöhen wir; denn dein Joch ist sanft unddeine Last ist leicht; du unterdrückst nicht die Geister, sondern lenkst sie, hebst sieempor und schützest sie. So ist die Wohnstätte aller Freudigen in dir, du eine, heilige,katholische, apostolische, römische Kirche.«1

Mit dieser Huldigung beschloss Alfred Loisy im Jahr 1884seine theologische Dissertation über die altkirchliche Lehrevon der göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift. Loisys Le-ben, in seinem täglichen Verlauf eine asketische Gelehrtenexis-tenz, wurde dann wesentlich von der Tatsache geprägt, dass dierömische Kirche die Früchte verschmähte, die er ihr darbrach-te, und ihn als Modernisten verurteilte beziehungsweise an-hand seines »Falles« überhaupt erst den »Modernismus« alsHäresie definierte. Loisys Biographie ist deshalb schon fürsich genommen eine kleine Geschichte der Modernismuskrise,in der die exegetische wie die apologetisch-dogmatische Di-mension, aber auch die gesellschaftliche Situierung der Aus-einandersetzung sichtbar wird. Sein deutscher Biograph Fried-rich Heiler nannte ihn deshalb nicht ganz zu Unrecht den»Vater des katholischen Modernismus«.

Im Jahr 1884 ließen sich die späteren Konflikte freilich

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1 Zit. nach Heiler, Loisy, 30; vgl. Alfred Loisy, Mémoires pour servir à l’histoirereligieuse de notre temps, 3 Bde., Paris 1930–31, hier Bd. 1, 131f. n. 2. – Das vor-liegende Kapitel ist eine überarbeitete Fassung meines Beitrags in: Friedrich Wil-helm Graf (Hg.), Die Klassiker der Theologie, Bd. 2: Von Richard Simon bis KarlRahner, München 2005, 155 –170.

noch nicht absehen, denn die Laufbahn des jungen Klerikers be-rechtigte zu den schönsten Hoffnungen. Loisy entstammte einerBauernfamilie der Haute Marne, wo er am 28. Februar 1857 inAmbrières geboren wurde. Im Dorf lebte man einen nüchtern-traditionalen Katholizismus, der noch nicht von der ultramon-tanen Mobilisierung unter Pius IX. geprägt war. Diese erreichteden physisch fragilen, aber begabten Jungen, der nicht zurÜbernahme des väterlichen Hofs geeignet schien, erst im Kna-benseminar von Saint Dizier, in das er 1872 eintrat, nachdemder Krieg von 1870/71 und die deutsche Besatzung seine Erfolgeam öffentlichen Gymnasium von Vitry-le-François für zweiJahre unterbrochen und ihn auf den Unterricht beim Ortspfar-rer zurückgeworfen hatten. Noch vor dem Baccalauréat, das nurfür profane Karrieren relevant war, wechselte Loisy 1874 in dasPriesterseminar von Châlons-sur-Marne. Spirituell ordnete ersich hingebungsvoll in den strengkirchlichen Rahmen des Semi-nars ein, intellektuell schloss er sich aber an den letzten »Galli-kaner« an, den Philosophen Abbé Onésime Ludot, der wenigeJahre zuvor während des I. Vaticanums als einziger Seminarpro-fessor den Diözesanbischof in seiner Gegnerschaft zur Defini-tion der päpstlichen Unfehlbarkeit unterstützt hatte. Da dieneuscholastische Theologie ihn rational nicht befriedigte, ver-legte sich Loisy auf das Selbststudium des Hebräischen. Nachder Subdiakonatsweihe schickte ihn der Bischof 1878 zu wei-teren Studien an das neugegründete Institut Catholique inParis, eine katholische Privatuniversität, die der republikanisch-säkularisierten Sorbonne Paroli bieten sollte. Aus gesundheitli-chen Gründen kehrte Loisy schon nach zwei Monaten zurückund trat einen Krankheitsurlaub an, auf den die weiteren Wei-hen und eine Seelsorgstätigkeit in kleinen Landpfarreien folg-ten, bis er 1881 auf Initiative des Kirchenhistorikers Louis Du-chesne an das Institut Catholique de Paris zurückkehrenkonnte.

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Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

3.1 »Die christliche Wissenschaft«

Der Name Duchesnes, der später als Direktor der »École françai-se« in Rom wirkte, stand für historisch-kritische Forschung, diekeine Rücksicht auf liebgewordene Traditionen nahm, gleichgül-tig ob sie die Anfänge des römischen Papsttums oder die Grün-dungslegenden französischer Diözesen betrafen. Darüber spanntesich aber der programmatische Bogen der »christlichen Wissen-schaft«, ein katholischer Kulturoptimismus, der den Gründerund Leiter des Instituts, Mgr. Maurice d’Hulst antrieb. Fürd’Hulst konnte es letztlich keinen Widerspruch zwischen Wissen-schaft und Dogma geben, und Loisy wurde von ihm und Du-chesne gezielt als Exeget des Instituts aufgebaut. Dabei war inder polarisierten Situation nach dem I. Vaticanum, auf dem sichder größere Teil des französischen Episkopats ursprünglich gegeneine Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit gewandt hatte,Vorsicht geboten. Auf Anraten d’Hulsts zog Loisy seine Disser-tation über die Lehre von der Inspiration der Heiligen Schriftzurück und promovierte erst 1890 mit einer Arbeit über die Ge-schichte des alttestamentlichen Kanons, um offiziell die freige-wordene Professur für Exegese übernehmen zu können.

In Loisys geistiger Entwicklung vollzog sich in dieser Zeitder Bruch mit der hergebrachten schultheologischen Auffassungvon der absoluten Wahrheit der Heiligen Schrift, die er nur nochals »relative Wahrheit« im historischen Kontext akzeptierenkonnte. Er beanspruchte später für sich, diesen Schritt nicht be-einflusst durch die deutsche liberal-protestantische Exegese, son-dern aufgrund eines Selbststudiums vollzogen zu haben, näm-lich durch die kritisch vergleichende Lektüre der Evangelien inder großen Ausgabe des Neuen Testaments von Tischendorf,die ihm Duchesne geliehen hatte. Zugleich hörte Loisy aber dieVorlesungen des konservativen Exegeten Fulcran Vigouroux amPriesterseminar Saint-Sulpice, der die deutschen protestanti-schen »Rationalisten« zu widerlegen suchte. Doch was Loisy

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Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

von diesen hier ex negativo erfuhr, überzeugte ihn mehr als dieApologetik Vigouroux’. Eine neue historische Apologetik der ka-tholischen Kirche war vonnöten, und für sie rüstete sich Loisydurch Studien der Assyriologie und Ägyptologie an der staatli-chen École des hautes études und – mit Genehmigung desBeichtvaters – durch den Besuch der Vorlesungen Ernest Renansam Collège de France, dem akademischen Olymp der Republik.Der »Apostat« Renan hatte in seinem literarisch erfolgreichen»Leben Jesu« die Ansätze protestantischer deutscher Exegeten re-zipiert. Loisy fand bei ihm aber vor allem »den besten Hebrä-isch-Kurs, den es damals in Paris gab«, denn Renan vollzog inseiner Psalmenvorlesung gleichsam in »öffentlicher Arbeit« vers-weise alle exegetischen Arbeitsschritte von der Textkritik über dieÜbersetzung bis hin zur Interpretation. Doch Loisy wollte kein»kleiner Renan« werden (wie ihn d’Hulst einmal scherzhaftnannte), obwohl er in diesen Jahren eine religiöse Krise durchlitt,die ihn schließlich zur Einsicht in den für ihn nun illusionärenCharakter eines übernatürlichen Ursprungs des Christentumsund der Glaubenssätze der Kirche führte. Sein neues Lebenspro-gramm formulierte er in einer privaten Notiz von 1886 so:»Mein Schicksal gibt kaum zu Hoffnungen Anlass. Ich bin ent-schlossen zu arbeiten und der Kirche zu dienen, welche die Er-ziehung der Menschheit vollbracht hat und der sie auch zusteht.Ohne ihre Überlieferung zu verneinen und unter der Bedingung,dass sie dem Geist den Vorzug gibt vor dem Buchstaben, bleibtsie eine notwendige Institution und das Göttlichste, was es aufErden geben mag. Sie hat zwar die Spitzfindigkeiten der Theo-logen kapitalisiert, aber sie hat auch die Prinzipien der Ordnung,der Hingabe und der Tugend konzentriert, die der Familie dasGlück und der Gesellschaft den Frieden garantieren. Heute dasgeistig-sittliche Leben ohne Christus und die Kirche organisierenzu wollen, wäre eine Utopie.«2

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2 Alfred Loisy, Choses passées, Paris 1913, 76; vgl. Heiler, Loisy, 32.

»Die christliche Wissenschaft«

Loisys wissenschaftliches Programm richtete sich nun aufdie Modernisierung und Selbstaufklärung dieser »notwendigenInstitution« katholische Kirche. Er plante einerseits eine ehr-geizige kritische Geschichte der Bibel, die sich unter anderemmit der Inspirationslehre, dem Kanon, der Religion Israelsund des Urchristentums befassen sollte, und andererseits einenkritischen Kommentar zur ganzen Hl. Schrift. Als Foren fürseine ersten Arbeiten dienten ihm das »Bulletin critique«Duchesnes, die »Revue critique« und schließlich sein eigenesOrgan »L’Enseignement biblique«, das 1892 und 1893 erschei-nen konnte. Dann verlor Loisy im November 1893 seine Pro-fessur. Man hat diese Maßregelung gerne auf die »Ungeschick-lichkeit« von d’Hulst zurückgeführt, der sich in einemGrundsatzartikel zur »question biblique« geäußert und vor al-lem das virulente Problem der göttlichen Inspiration angespro-chen hatte. D’Hulst unterschied die »enge« und die »weite«Schule innerhalb der katholischen Exegese; Bezeichnungen,die sich in den exegetischen Kontroversen der 1880er Jahre he-rausgebildet hatten. Ohne Loisy explizit zu nennen, ordneteihn d’Hulst der progressiven »weiten« Schule zu und favori-sierte deren Auffassung von der Inspiration, die sich vor allemauf die wesentlichen Gegenstände der Offenbarung als Heils-wahrheiten beziehe und damit nicht die volle (von den Konser-vativen postulierte) Irrtumslosigkeit in historischer oder natur-wissenschaftlicher Hinsicht beinhalte. D’Hulst löste mit seinemArtikel eine Kontroverse aus, die aber wohl unvermeidlich war.Denn nachdem 1892 den Seminaristen von Saint-Sulpice derBesuch der Vorlesungen Loisys verboten worden war, trat er sodie Flucht nach vorne an, um die Freiheit der »christlichenWissenschaft« zu verteidigen. Angesichts der heftigen Reaktionkonservativer Exegeten wie des P. Josef Brucker SJ sah er sichnach einer Romreise im Frühjahr 1893 trotzdem gezwungen,Loisy aus dem eigentlichen exegetischen Unterricht zurück-zuziehen und sein Lehrgebiet auf die orientalischen Sprachen

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Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

zu beschränken. Doch damit sollte es nicht getan sein, denn ge-gen d’Hulst und Loisy war nun ein Verfahren bei der römischenIndexkongregation anhängig. Neben d’Hulsts Artikel ging esdabei um die eingeleitete Übersetzung des Ijob-Buches (»Le li-vre de Job«), die Loisy 1892 vorgelegt hatte. Die Index-Gutach-ter ordneten Loisys Arbeit in den Kontext einer rationalisti-schen Bibeldeutung ein, die in Deutschland, Frankreich undEngland einen »Krieg« gegen die Heilige Schrift führe. Nurgebe sich Loisy katholisch, um als Wolf im Schafspelz im Schoßder Kirche Unheil stiften zu können. Durch seine textkritischeAnalyse des Ijob-Buches, bei der unter anderem der locus clas-sicus zur Auferstehung in Ijob 19,25 (»Ich weiß, dass meinErlöser lebt und dass ich am jüngsten Tag von der Erde auf-erstehen werde«) als bloße Vulgata-Variante erwiesen wird, un-tergrabe Loisy die Autorität der Schrift und des Lehramtes. BeiLoisy lösten sich die Texte der Heiligen Schrift in ein Geflechtaus Interpolationen und Veränderungen auf, aus historischerWahrheit würden erbauliche Legenden. Trotz dieser Vorwürfe,die nicht ohne einen gewissen intransigenten Scharfsinn for-muliert waren, kam es aber nicht zu einer Indizierung Loisys.Papst Leo XIII., der die Förderung der thomistischen Neuscho-lastik mit einer gewissen Offenheit für die historisch-biblischenStudien verband (vgl. die Öffnung des Vatikanischen Geheim-archivs 1881), wollte sein wissenschaftsfreundliches Imagenicht durch eine Maßnahme beschädigen, die das ganze Insti-tut Catholique von Paris getroffen hätte, zumal zugleich die In-dizierung von d’Hulst zur Debatte stand. Unter dem Druck desKardinalpräfekten der Indexkongregation, des Jesuiten CamilloMazzella, versuchte der Papst stattdessen mit der Bibelenzy-klika »Providentissimus Deus« von 1893 eine grundsätzlicheKlärung der Dinge. Dieses Dokument sollte die katholischenExegeten zwar ermutigen, traf aber insofern eine schwerwie-gende Entscheidung, als es die Inspiration und Irrtumslosigkeitder Heiligen Schrift ausdrücklich nicht auf Glaubens- und Sit-

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»Die christliche Wissenschaft«

tenfragen beschränkte. Für die Gegner Loisys schloss diese Irr-tumslosigkeit natürlich auch die volle Historizität der bib-lischen Geschichten ein. Damit war ein folgenschweres Präju-diz für die weitere Entwicklung gegeben.

Als die Enzyklika im November 1893 erschien, war Loisyseiner Professur bereits seit ein paar Tagen ledig. Er hatte sichdurch den Artikel d’Hulsts fehlrepräsentiert gesehen und im»Enseignement biblique« dargelegt, dass er die Inspirationdurchaus auf die ganze Heilige Schrift beziehe, bei deren Inter-pretation aber ihr historisch-kontingenter Charakter als Pro-dukt einer göttlich-menschlichen Kooperation in einer be-stimmten Epoche zu berücksichtigen sei. Die Bibel sei deshalbwahr, aber die Kirche (die sie aktuell auslege) unfehlbar. Loisyfügte ein paar provozierende Wahrheiten der progressiven Exe-gese hinzu (etwa, dass der Pentateuch nicht Mose zum Autorhabe oder dass die ersten Kapitel der Genesis nicht historischzu nehmen seien). D’Hulst war entsetzt und denunzierte denArtikel selbst beim Pariser Erzbischof Kardinal Richard. Das Bi-schofskuratorium des Institut catholique verlangte wenige Tagespäter Loisys Rücktritt. Um sein »Enseignement biblique« zuretten, richtete er nach dem Erscheinen der Enzyklika ein Me-morandum an Leo XIII., auf das er die freundlich-bestimmte,von Mazzella inspirierte Antwort erhielt, man freue sich zwarüber seine Unterwerfung unter »Providentissimus«, er mögeseine Talente zur Ehre Gottes aber lieber einem »anderen Zweigder Wissenschaft« zuwenden.

3.2 Die neue Apologetik

Im September 1894 trat Loisy eine neue Stelle als Hausgeist-licher und Religionslehrer an einem von Dominikanerinnendes Dritten Ordens geleiteten Mädchenpensionat im PariserVorort Neuilly an. Kardinal Richard hatte ihm den Versor-

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Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

gungsposten zugewiesen. Loisys katechetische Aufgabe im Re-ligionsunterricht ließ ihm sein historisch-kritisches Projekt,das er weiterverfolgte, in einem neuen Licht erscheinen. Nebendie Einsicht in die Relativität der Objektivierungsgestalten deschristlichen Dogmas trat die Frage nach seiner beständigenAktualisierung und seiner lebenspraktischen Relevanz. »Diearmen alten Glaubensgeheimnisse, über welche die Lehrer derJahrhunderte Blut und Wasser geschwitzt haben, erregen nichtdas mindeste neugierige Interesse in den jungen Köpfen. […]Das was hier gilt, ist das Gefühl des Guten, das Gefühl derPflicht, Jesus, verstanden als Muster der Hingabe und sitt-lichen Vollkommenheit. Aber wenn die abstrakten Dogmennichts sind, so sind die religiösen Übungen etwas als Quellewohltätiger Regungen. Das christliche Ideal lebt und wirkt inden Zeremonien des Kultes.«3 In diesem Zusammenhang in-teressierte sich Loisy zunehmend für die Konzepte der Dog-menentwicklung und des Glaubensaktes bei John HenryNewman, in dessen kirchlichen Schwierigkeiten er sich wieder-erkannte und dessen Geist ihm besser gefiel als der der protes-tantischen Exegeten Heinrich Holtzmann und Julius Wellhau-sen, in die er sich gleichzeitig vertiefte. Ergebnis all dessen wardas umfangreiche sogenannte Manuskript von Neuilly, ausdem spätere Veröffentlichungen Loisys schöpften. Er selbsthat diese historisch-theologisch-reformerische Synthese rück-blickend »eine wirkliche Summa dessen […], was der katho-lische Modernismus werden sollte«, genannt.

In den relativ ruhigen Jahren zwischen 1894 und 1899formierte sich auch langsam das, was später von integralisti-scher Seite als »modernistische Verschwörung« wahrgenom-men wurde. Entscheidend war hier der intensive Kontakt Loi-sys zu dem deutsch-englischen Privatgelehrten Friedrich vonHügel, der gleichermaßen religionsphilosophische wie exegeti-

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3 Loisy, Mémoires, Bd. 1, 364f; zit. nach Heiler, 40.

Die neue Apologetik

sche Interessen pflegte. Der finanziell unabhängige Baron hieltdurch Reisen und Korrespondenz tatsächlich ein relativ dichtgeknüpftes Netzwerk gelehrter und reformerischer Kontaktein England, Frankreich, Italien, Deutschland und Nordame-rika aufrecht. Loisy brachte er insbesondere mit den beidenjungen Jesuiten Henri Bremond und George Tyrrell in Verbin-dung; letzterer sollte neben Loisy zum zweiten »Erzketzer« des»Modernismus« avancieren. Zum wichtigsten französischenKontakt avancierte Loisys Verbindung mit Eudoxe-Irénée Mi-gnot, der 1900 Erzbischof von Albi wurde und auch öffentlichfür die Anliegen der »école large«, der weiten Schule der Exe-gese, eintrat. Loisy selbst initiierte 1896 eine neues rein his-torisch-kritisches Organ, die »Revue d’histoire et de littératurereligieuses«, an der Kirchen- und Dogmenhistoriker wie Reli-gionswissenschaftler mitarbeiteten. Hier entfaltete er auch einereiche Rezensionstätigkeit und begeisterte sich dabei vor allemfür den Genesiskommentar Heinrich Gunkels, Adolf JülichersWerk über die Gleichnisreden und Johannes Weiß’ bahnbre-chende Studie zum eschatologischen Charakter der PredigtJesu vom Reich Gottes.

Nach einer gesundheitlichen Krise gab Loisy 1899 denPosten in Neuilly auf und etablierte sich mit GenehmigungKardinal Richards als (immer noch priesterlicher) Privatge-lehrter in Bellevue bei Versailles. Ab 1900 wirkte er als libreconférencier an der École pratique des hautes études, die alsreligionswissenschaftliches Institut an die Stelle der alten theo-logischen Fakultät der Sorbonne getreten war – eine Etappeder intellektuellen Migration hin zum reformierten Univer-sitätswesen der III. Republik, der Loisy im Gegensatz zu weitenTeilen des Klerus positiv gegenüberstand. Zu diesem Zeitpunkthatte ihn schon eine weitere kirchliche Maßregelung getroffen,denn Kardinal Richard hatte die Fortsetzung von Loisys Auf-satz über »La religion d’Israël« in der »Revue du clergé fran-çais« verboten und betrieb in Rom die Indizierung dieses und

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Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

weiterer, teilweise pseudonymer Aufsätze Loisys – vorerst ohneErfolg. Loisy war weiterhin entschlossen, im kirchlichen Kon-text zu wirken. Um seine Position zu stärken, ließ er sich –freilich vergeblich – vom Fürsten von Monaco und auch vomfranzösischen Kultusministerium als Bischofskandidat nomi-nieren. Insgesamt standen in dieser Zeit die Chancen für einemodernisierte katholische Exegese auf der Kippe, und PapstLeo XIII. setzte 1901 eine päpstliche Bibelkommission ein, diezunächst zu liberalen Hoffnungen berechtigte.

3.3 Evangelium und Kirche

In diese Situation hinein publizierte Loisy 1902 ein Werk, dasdie wohl größte historisch-theologische Debatte im Katholizis-mus seit dem I. Vaticanum auslöste. Sie wurde wie kaum eineandere auch in die gesamte europäisch-nordamerikanische Öf-fentlichkeit hineingetragen. »L’Évangile et l’Église«, das erstevon Loisys »kleinen roten Büchern«, gerierte sich äußerlich alsAntwort auf die berühmten Berliner Vorlesungen Adolf Har-nacks über »Das Wesen des Christentums« (1900). Tatsächlichschöpfte Loisy dafür aus dem Manuskript von Neuilly, das sicheher kritisch mit der großen Dogmengeschichte des liberalenProtestanten befasste. Gegen Harnacks »individualistische«Auffassung des Evangeliums als Botschaft von Gott als dem gü-tigen Vater und der Gotteskindschaft des einzelnen rückte Loisyentschieden die konsequent eschatologisch aufgefasste Verkün-digung Jesu vom überindividuellen Reich Gottes, auf das er (ge-gen Wrede) auch wesentlich Jesu Messianität beziehungsweiseGottessohnschaft bezog. Loisy wollte so zu einer Rechtfertigungder (katholischen) Kirche kommen, ohne die historisch gesehenkein Christentum denkbar sei. Er tat dies im Kern mit den be-rühmten Sätzen: »Einwände, die vom Standpunkt einer gewis-sen Theologie aus sehr ins Gewicht zu fallen scheinen, haben

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Evangelium und Kirche

für den Historiker fast keine Bedeutung. Es ist beispielsweise si-cher, dass Jesus nicht im voraus die Verfassung der Kirche, wieeines auf Erden begründeten und zur Fortdauer auf eine langeReihe von Jahrhunderten bestimmten Staates geregelt hat.Aber etwas, das seinem Gedanken und seiner authentischenLehre noch viel ferner liegt, ist die Idee einer unsichtbaren Ge-meinde, gebildet für alle Zeiten durch jene, die in ihrem Herzenden Glauben an die Güte Gottes trugen. Man hat gezeigt, dasssich im Evangelium Jesu schon ein Ansatz sozialer Gliederungvorfand und dass auch das Reich Gesellschaftsform annehmensollte. Jesus hatte das Reich angekündigt, und dafür ist die Kir-che gekommen. Sie kam und erweiterte die Form des Evangeli-ums, die unmöglich erhalten werden konnte, wie sie war, seit-dem Jesu Aufgabe mit der Passion abgeschlossen war. Wennman das Prinzip aufstellt, dass alles nur in seinem ursprüng-lichen Zustand Existenzberechtigung hat, so gibt es keine Ein-richtung auf der Erde und in der menschlichen Geschichte, de-ren Legitimität und Wert nicht bestritten werden könnte. Einsolches Prinzip läuft dem Gesetz des Lebens zuwider, welcheseine Bewegung und ein beständiges Streben nach Anpassungan ewig wechselnde und neue Bedingungen ist. Das Christen-tum hat sich diesem Gesetz nicht entzogen, und es darf nichtgetadelt werden, weil es sich ihm gefügt hat. Es konnte nicht an-ders handeln.«4

Diese sich rein historisch gebende, evolutionistische Recht-fertigung der Kirche stand freilich im krassen Gegensatz zurSchultheologie, die sich dogmatische »Entwicklung« nur als lo-gische Deduktion vorstellen konnte und im übrigen vom gött-lichen Vorauswissen des Heilands ausging, der selbstverständ-lich selbst die hierarchisch gegliederte Kirche gegründet hatte.Irritierend war hier auch, dass Loisy die Auferstehung nicht alsFaktum der historischen Ordnung darstellte. Insofern war die

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4 Alfred Loisy, Evangelium und Kirche, München 1904, 112f.

Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

Ablehnung konservativer Kritiker vorhersagbar; gleichzeitig gabes in Frankreich, Italien und Deutschland viele begeisterte ka-tholische Stimmen, die betonten, dass Loisy im Sinne einer his-torischen Apologetik nur vom historisch Rekonstruierbarenausgehen könne, ohne dadurch den Wahrheitsgehalt des tradi-tionellen Dogmas schmälern zu wollen. Harnack hieß das Buchzum einen als Ergänzung seiner eigenen Darlegungen willkom-men, fühlte sich teils auch missverstanden, hielt aber doch einenwesentlichen Gegensatz fest: »Der Verfasser ist an die Kirche –wie immer sie ihm vorschwebt – stärker gebunden, als wir esuns vorzustellen vermögen, und eben diese Bindung schwächtsein Interesse, ein festes Urteil über die ursprüngliche Erschei-nung der christlichen Religion und ihr Wesen zu gewinnen, ab.Er ist in dieser Hinsicht von einem gleichmütigeren Skeptizis-mus, als ihn der Protestant aufzubringen vermag; denn er decktdas Manko im Geheimen durch das Vertrauen auf die Kirche,die war, ist und sein wird.«5

Am vielleicht bis heute wirkmächtigsten war aber die Kri-tik, die der Philosoph Maurice Blondel Anfang 1904 in seinerArtikelserie »Histoire et Dogme« an Loisy übte. Blondel, derselbst wegen seiner nicht-scholastischen Religionsphilosophieunter Modernismusverdacht geraten sollte, diagnostizierte inseiner Gegenwart zwei unverträgliche katholische Mentalitäten:auf der einen Seite den »Extrinsezismus« der traditionellenApologetik, die versuchte, die Wahrheit des Glaubens anhandbloß »äußerer« Beweise (unter anderem der Wunder und derim Neuen Testament erfüllten Weissagungen des Alten Testa-ments) darzulegen, auf der anderen Seite den »Historizismus«Loisys, der Gefahr lief, den Glauben auf das historisch Rekons-truierbare zu reduzieren. Dabei hatte Blondel vor allem dieChristologie im Auge, denn Loisy konnte seiner Ansicht nachin den Evangelien bestenfalls den vergöttlichten Menschen Je-

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5 Theologische Literaturzeitung 29 (1904), 59; zit. nach Heiler, Loisy, 54.

Evangelium und Kirche

sus, nie aber das göttliche Selbstbewusstsein des fleischgeworde-nen Logos finden. Als Vermittlungsgestalt schlug Blondel des-halb die »Tradition« als wahrhaften Prozess einer Glaubens-geschichte vor, die mit einer reinen Historie inkommensurabelsei. Der lebendige Traditionsprozess, die von vielen Individuendurch die Geschichte getragene Glaubenspraxis der Kirchekönne auch Dogmen stützen, die keine rein historisch fassbareBasis hätten. Blondel setzte sich mit diesem Ansatz gekonnt zwi-schen alle Stühle: Loisy und von Hügel (der ansonsten Blondelsnicht-neuscholastische Lebensphilosophie hochschätzte) warender Meinung, dass damit von einer vermeintlich höheren phi-losophischen Warte den »Ergebnissen« historisch-kritischerForschung nur ausgewichen werde. In den Augen konservativerTheologen, die selbstverständlich an einer festen historischenBasis aller Dogmen festhalten wollten, öffnete Blondel dagegendem Subjektivismus Tür und Tor.

Die Reaktion auf »L’Évangile et l’Église« machte zudemdie Bandbreite unter den katholischen Exegeten deutlich.Auch progressivere Fachvertreter zeigten sich mehr als skep-tisch. Der Dominikanerpater Marie-Joseph Lagrange, Grün-der der Ecôle pratique des études bibliques in Jerusalemund Herausgeber der angesehenen »Revue biblique« bemän-gelte, es sei paradox, die katholische Tradition durch einehistorische Kritik verteidigen zu wollen, die noch verwegenersei als die eines liberalen Protestanten wie Harnack. Loisylöse auch noch den festen Kern des Christentums auf, denHarnack in der Botschaft Jesu vom gütigen Vater erblicke.Eine solche Verteidigung der Kirche sei nur auf Treibsand ge-gründet. Obwohl Loisy vorgeblich bloße Historie betreibenwolle, seien die dogmatischen Implikationen seiner Apologieunverkennbar: Die Gottheit Christi wie die Autorität derEvangelien werde gänzlich untergraben. Lagrange hatte da-mals selbst schon genug kirchliche Schwierigkeiten wegen sei-ner kritischen Arbeiten zum Pentateuch gehabt und sollte

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Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

noch weitere haben. Insgesamt verkörperte er aber – trotz al-ler Maßregelung und in Absetzung von Loisy – bis zu seinemTode erfolgreich die Möglichkeit eines »orthodoxen« Typusvon moderner Exegese.

Loisy ließ sich von den heftigen Diskussionen um»L’Évangile et L’Église« nicht abschrecken, in »Autour d’un pe-tit livre« (1903) eine volkstümlichere, nun nicht antiprotestan-tisch, sondern innerkatholisch-reformerisch zugespitzte Darle-gung seiner exegetischen und dogmenhistorischen Ansichtenzu bieten. Im selben Jahr erschien auch sein monumentalerKommentar zum Johannesevangelium (»Le quatrième Évangi-le«), in dem er ganz auf den mystisch-symbolischen Charakterdes Evangeliums abhob, dessen theologische Vision er pries,dem er aber keinen besonderen Geschichtswert ergänzend zuden Synoptikern zusprach.

Parallel zu all dem lief in Rom das Indexverfahren gegenLoisy, das sich um die je neu erscheinenden Werke erweiterteund sich schließlich auf »La religion d’Israël«, die »Étudesévangéliques«, »L’Évangile et l’Église«, »Autour d’un petitlivre« und »Le quatrième Évangile« bezog. Loisy hatte auch imIndex seine Verteidiger: Der designierte Sekretär der Bibelkom-mission, David Fleming OFM, der in einer Art institutionellemKompromiss als außerordentlicher Indexgutachter beauftragtworden war, wollte eine Einzelentscheidung zu Loisy auf jedenFall verhindern und zog sich auf eine exegetische Grundlagen-diskussion zurück. Sehr freimütig legte er der Indexkongrega-tion dar, dass die Bibel nicht ein empirisch-historisches Hand-buch sei, sondern – so wörtlich – Literatur, in der sich auchnicht direkt die eine oder andere dogmatische Tradition wie-derfinden lasse. Fleming unterfütterte dies argumentativ ganzmodern mit der Unterscheidung von Inspiration und Offen-barung. Trotzdem war er kein Freund Loisys. In einem internenGutachten für das Heilige Offizium vom Vorjahr hatte er ihnals Rationalisten gekennzeichnet und geraten, ihn durch dis-

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Evangelium und Kirche

ziplinäre Maßnahmen ganz zum Schweigen zu bringen. Nunging es Fleming aber weniger um Loisy als um die Frage, obdurch eine Indizierung die Spielräume der ganzen neueren ka-tholischen Exegese und der Bibelkommission eingeschränktwerden sollten. Der zweite Verteidiger Loisys im Index, der Je-suit Enrico Gismondi, machte vor allem die Differenzierungzwischen Loisys historisch-exegetischer und der üblichentheologischen Sichtweise stark, die nicht aufeinander reduziertwerden dürften. Außerdem betonte er den apologetischenCharakter der Exegese Loisys, der in »L’Évangile et l’Église« ge-gen die liberalprotestantische Position Adolf Harnacks die ka-tholische Kirche als legitime Entwicklung aus der Reich-Got-tes-Verkündigung Jesu erwiesen habe. Den entscheidendenWendepunkt markierte aber das brillant-missgünstige Gutach-ten des Jesuiten Louis Billot zu »L’Évangile et l’Église«, in demmeisterhaft der Widerspruch zur Schultheologie dargelegtwurde. Billot versäumte nicht, sein Votum mit einem Schre-ckensszenario zu beschließen, das eine »modernistische« Ge-samtbedrohung durch Loisy und seine vermeintliche Schuleevozierte: »Dieser Autor ist Legion. Er ist das Idol und dasHaupt einer Schule, deren Kühnheit von Tag zu Tag wächst,und umso mehr, als dass sie vorgeben, die schweigende Zu-stimmung des Hl. Stuhles für sich zu haben. Alle hier vor-gestellten Häresien können seit mehreren Jahren – vielleichtnicht ganz so krude formuliert – ungestraft um sich greifen,und werden in den Zeitschriften Frankreichs, Englands undauch Italiens täglich vorgesetzt. Sie korrumpieren den jünge-ren Klerus, der schon an vielen Orten nach einem neuen Zu-stand lechzt, wo alles in welcher Reihenfolge auch immer aufund ab verändert werden wird. Die guten Katholiken sind ver-wirrt. Sie sind deprimiert und fragen ängstlich, ob und wanndie Repression kommt. Ich räume ein, dass niemals in der Kir-che Gottes die Gefahr so ins Äußerste ging. Um sie abzuwen-den, scheint mir eine simple Aufnahme dieses Werkes in den

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Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

Index der verbotenen Bücher viel zu wenig zu sein.«6 Im Be-reich des Alten Testaments wurde Loisy vorgehalten, er leugnedie Uroffenbarung, weil er festgestellt hatte, dass vor Mosekomplettes historisches Dunkel herrsche, und der später füh-rende Antimodernist Merry del Val hielt aggressiv und treffendfest, dass Loisy jedes übernatürliche Moment aus der alttesta-mentarischen Geschichte ausschließe. Zwar fiel bis zum TodeLeos XIII. im Sommer 1903 keine Entscheidung; der neuePapst Pius X. übergab auf Drängen Kardinal Richards dieSache aber an die übergeordnete Inquisition, welche die ge-nannten fünf Werke vor Weihnachten 1903 auf den Index derverbotenen Bücher setzen ließ. In der langwierigen Auseinan-dersetzung um die Unterwerfung unter das Indizierungsdekretvollzog sich der psychologische Bruch Loisys mit der römi-schen Kirche. Er hatte sich in einem Schreiben direkt an das»Herz« des Papstes gewandt und ihm seinen Willen, in derKirche leben und sterben zu wollen, bekundet. Seine wissen-schaftliche Arbeit könne er aber nicht zerstören. Pius X. ver-langte genau das, beharrte auf der vollen Unterwerfung undbestritt, dass Loisys Brief »mit dem Herzen« geschrieben sei.Der Exeget unterwarf sich schließlich in einfacher Form; seineKirche hielt er freilich von da an für irreformabel.

Aufgrund interner Differenzen dauerte es noch über dreiJahre, bis im Dekret »Lamentabili« vom Juli 1907 ein Syllabusmit den Irrtümern Loisys vorgelegt werden konnte (s.u. 5.1).Die Enzyklika »Pascendi« vom September desselben Jahresbaute Loisys Ansätze in ein Gesamtsystem des häretischen»Modernismus« ein. Loisy verweigerte dieses Mal eine Unter-werfung, publizierte vielmehr in seinen »Simples réflexions«

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6 Zit. nach Claus Arnold, Die Römische Indexkongregation und Alfred Loisy amAnfang der Modernismuskrise (1893 –1903). Mit besonderer Berücksichtigungvon P. Thomas Esser O.P. und einem Gutachten von P. Louis Billot S.J., in: Rö-mische Quartalschrift 96 (2002), 290 –332, hier 310f.

Evangelium und Kirche

eine sarkastische Beleuchtung der beiden lehramtlichen Doku-mente. Am 7. März 1908 traf ihn die persönliche Exkommuni-kation; Katholiken wurde der Verkehr mit ihm – dem»vitandus« – verboten (Loisy befolgte diese Maßnahme inso-fern, als er sich später sogar vom Begräbnis enger Verwandterfernhielt, um einen Skandal zu vermeiden). Die Jahre der Po-larisation nach 1903/07 zeigten freilich, dass Loisy innerhalbdes breiten Spektrums progressiver katholischer Historikerund Theologen eine mittlere Position einnahm. Anders alsetwa dem Dogmenhistoriker Joseph Turmel (und später inDeutschland Hugo Koch) ging es ihm nicht darum, ein his-torisch vermeintlich nicht mehr haltbares dogmatischesSystem als Betrug zu entlarven. Konservativere Gesinnungs-genossen wie von Hügel warfen ihm dagegen vor, in einen»Immanentismus« verfallen zu sein und die Transzendenzganz zu leugnen. Loisy selbst vermerkte bereits 1904 in seinemTagebuch: »Monsieur von Hügel, der mich so mutig verteidigt,glaubt im Gegensatz zu mir an die Gottheit Jesu Christi. Dasist zwar teilweise eine metaphysische Logomachie, doch glaubeich tatsächlich nicht mehr an die Gottheit Jesu als Harnackoder Jean Réville [ein protestantischer Religionshistoriker],und ich betrachte die Inkarnation als eine philosophische My-the. Christus nimmt in meiner Religion sogar einen geringerenPlatz ein als bei den liberalen Protestanten; denn ich messe derOffenbarung des Vater-Gottes, mit der sie Jesus beehren, weni-ger Bedeutung zu als sie. Wenn ich etwas in religiöser Hinsichtbin, dann eher pantheistisch-positivistisch-humanitär alschristlich.«7

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7 Loisy, Mémoires, Bd. 2, 397.

Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

3.4 Der Religionshistoriker

Mit der Exkommunikation endete Loisys Laufbahn als katho-lischer Theologe – objektiv, was den Wirkungszusammenhangangeht, aber auch subjektiv, und zwar zu Loisys eigener Er-leichterung. Loisy setzte sein historisch-kritisches Programmbruchlos fort, nun aber unter religionswissenschaftlichen Vor-zeichen. In religionsvergleichender Perspektive befasste er sichweiterhin mit den altorientalischen Religionen, dem Judentumund dem frühen Christentum. Zu höchsten akademischen Eh-ren stieg er 1909 auf, als er am Collège de France den ehemali-gen Lehrstuhl Renans übernehmen konnte. Im Jahr 1927 fandanlässlich des 70. Geburtstages von Loisy in Paris ein großerinternationaler Kongress zur Geschichte des Christentumsstatt, dessen Komitee auch Adolf von Harnack beitrat. Die»reine Wissenschaft« war freilich nie das einzige Ziel Loisys.Parallel dazu suchte er in vielen Veröffentlichungen sein Idealder Humanität zu verkünden, etwa in »La guerre et la religion«(1916), in dem er das Versagen von Religion und Kirchen be-klagte und insbesondere deutschen Theologennationalismuskritisierte, oder auch in »La Crise morale du temps présent etl’éducation humaine« (1937), das die Herausforderungendurch Faschismus und Nationalsozialismus aufnahm. Loisy er-hoffte sich nicht nur einen »neuen Glauben« im Sinne idealerHumanität, sondern zeigte in seinen späten Jahren – zur Be-geisterung »modernistischer« Theologen wie Friedrich Hei-lers – auch ein erneutes Interesse an der Mystik, wobei zweifel-haft bleibt, ob sein »mysticisme moral« in die Transzendenzhinüberzielte. Nach dem Abschied vom Collège de France zoger sich ganz in seine ländliche Heimat zurück, wo er seineFreude am Garten und der Hühnerzucht hatte und asketischseiner Arbeit lebte. In den dreißiger Jahren kamen alle seineweiteren Werke, insbesondere auch die autobiographischenRückblicke auf die Modernismuskrise, auf den Index der ver-

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Der Religionshistoriker

botenen Bücher. Mehr beunruhigte Loisy die allgemeine Welt-lage. Am 1. Juni 1940 starb er in Ceffonds (Haute-Marne) mit-ten in den Wirren der deutschen Invasion – der dritten, die ererlebte.

Durch seine biographischen Selbstdeutungen nimmtLoisy bis heute Einfluss auf den Gang der Modernismusfor-schung. Zu nennen sind hier v.a. »Quelques lettres« (1908),»Choses passées« (1913), die »Mémoires« (1930 –31) und»George Tyrrell et Henri Bremond« (1936), mit denen Loisynicht nur seinen konservativen Gegnern, sondern auch der sei-ner Meinung nach verzerrenden Darstellung seines enttäusch-ten Anhängers Albert Houtin entgegentrat. Die kirchliche Re-aktion auf Loisy bestimmte vierzig bis sechzig Jahre lang dieArbeitsbedingungen der katholischen Exegese, sein Schicksalbeziehungsweise sein Weg der Säkularisierung blieb eine beun-ruhigende Möglichkeit für viele. Vor dem Hintergrund derkonfessionsübergreifenden anti-historistischen Wende nach1918 urteilte das »Times Literary Supplement« 1940 in derdem Todesjahr Loisys angemessenen kriegerischen Sprache,dass dieser unterschätzt habe, »wie erfolgreich Orthodoxieund Autorität, nicht nur in der Römischen Kirche, es schaffenwürden, panzerartig über die Fragen des zwanzigsten Jahrhun-derts hinwegzugehen, ohne sich überhaupt zu einem Antwort-versuch zu bequemen.«8

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8 Times Literary Supplement, 22. Juni 1940.

Alfred Loisy – historische Kritik und Apologie der Kirche

4. Theologie und religiöse Erfahrung

»Die Christenheit sieht in Jesus den göttlichen Geist, der sich in menschlicher Form of-fenbart; sie sieht in ihm die Offenbarung Gottes, nicht den Übermittler von Ideen undLehren. Gott selbst teilt vielmehr in Jesus sich, seinen Geist und sein persönliches Lebender Seele mit durch die sakramentale Gestalt des Evangeliums und der Kirche. Er ver-wirklicht durch sein persönliches Innewohnen die Erlösung der Seele, ihre Vereinigungmit Gott, ihr ewiges Lebens.« George Tyrrell, Christianity at the Cross-Roads (1909) 1

In der Modernismuskrise verband sich die Auseinanderset-zung um eine historisch-distanzierende und relativierende,gleichwohl apologetische Deutung der Heiligen Schriften undTraditionen der Kirche, wie wir sie bei Loisy kennengelernt ha-ben, mit der Suche nach einer neuen Unmittelbarkeit im Glau-ben. Die Einsicht in die historische Bedingtheit von Bibel undDogmen ging einher mit der Betonung der persönlichen reli-giösen Erfahrung. Insofern hatte der »Modernismus« einestarke mystische Komponente, die sich vor allem in der intel-lektuellen Weggemeinschaft der beiden (Ex-) Jesuiten GeorgeTyrrell und Henri Bremond sowie des adligen LaientheologenFriedrich von Hügel niedergeschlagen hat.

4.1 George Tyrrell

Mit dem Anglo-Iren George Tyrrell (1861–1909) begegnet unswohl der Theologe mit der bewegtesten Lebensgeschichte inner-halb der Modernismuskrise. Sie verdeutlicht beispielhaft, wel-che intellektuellen Gemengelagen diese Krise prägten. Tyrrell

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1 George Tyrrell, Das Christentum am Scheideweg, eingeleitet und übersetzt vonErnst Erasmi [Oskar Schroeder], hg. von Friedrich Heiler, München 1959, 178.

entstammte einer konservativen protestantischen Familie vonDubliner Bildungsbürgern. Sein Vater, ein Journalist, starb vorGeorges Geburt, sein körperlich behinderter älterer Bruder Wil-liam während des Studiums. »Wohin die Flamme geht, wenndie Kerze erlischt«, war Williams Antwort gewesen, als Georgeihn kurz zuvor fragte, wohin die Seele nach dem Tod entschwin-de. Religiöse Begeisterung erweckte in dem Heranwachsendenein sozial engagierter Dubliner Anglo-Katholik. Doch bald ge-nügte Tyrrell die katholisierende anglikanische High-Church-Richtung nicht mehr. Er konvertierte 1880 bei den Jesuiten inder Londoner Farm Street und trat im gleichen Jahr in das No-viziat des Ordens ein. Nach der Priesterweihe 1891 und demTerziat wirkte er kurz als Landpfarrer, um dann im Jesuitenkol-leg Stonyhurst Philosophie zu lehren. Tyrrell geriet dabei bald inschwere Konflikte, weil er nicht die ordensübliche Spielart derNeuscholastik, den frühneuzeitlichen Suarezianismus, zu-grunde legte, sondern einen reinen, direkt an Thomas vonAquin orientierten Thomismus lehrte. Das war zwar ganz imSinne Papst Leos XIII., führte aber zu Tyrrells Versetzung nachLondon, wo er nach dem Wunsch seiner Oberen von der Or-densniederlassung in der Farm Street aus an der jesuitischenZeitschrift »The Month« mitarbeiten sollte. Zugleich wirkteTyrrell, wie für die damaligen Jesuiten und speziell die FarmStreet-Niederlassung im exklusiven Stadtteil Mayfair selbstver-ständlich, als Eliten-Seelsorger für gebildete und wohlhabendeLondoner Katholiken. In diesem Zusammenhang lernte Tyrrellden Freiherrn (Baron) Friedrich von Hügel kennen, einendeutsch-englischen Privatgelehrten, der uns schon als FördererLoisys begegnet ist. Tyrrell befreite von Hügels Tochter Gertrudeaus der religiösen Krise, in die sie ihr Vater durch »Überfütte-rung« mit exegetischen und religionsphilosophischen Proble-men geführt hatte, begann nun aber seinerseits von den Anre-gungen des Barons und seinen weitreichenden Kontakten zueuropäischen Reformtheologen und Philosophen zu profitie-

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Theologie und religiöse Erfahrung

ren. Von Hügel versorgte ihn mit der neuesten philosophischenwie bibelwissenschaftlichen Literatur, und Tyrrell lernte sogarDeutsch, um die führenden protestantischen Autoren im Origi-nal lesen zu können.

Durch die Lektüre von Maurice Blondel und besonders des-sen Schüler Lucien Laberthonnière gewann Tyrrell damals Ein-blick in die sogenannte »Immanenzapologetik«. Blondel hattein seinem Hauptwerk »L’Action« (1893) durch eine phänome-nologische Analyse des menschlichen Wollens und Tuns gezeigt,dass dieses letztlich nur durch ein göttliches Gnadengeschenk ge-lingen kann. Der Oratorianer Laberthonnière vertiefte dies zu ei-nem »dogmatisme moral«, einem »geistig-sittlichen Dogmatis-mus«, bei dem im Sinne eines christlichen Personalismus dieinnere Gotteserfahrung und die konkrete christliche Liebe denabstrakten Idealismus der Neuscholastik ablösen sollte. Damitwar auch eine neue Plausibilisierung, eine neue Apologetik desChristentums begründet, die nicht »extrinsezistisch« bei äußerenBeweisen wie den Wundern, sondern »immanent« bei der indivi-duellen religiösen Erfahrung ansetzte, ohne dabei deren Ermög-lichung durch die Transzendenz zu leugnen. Tyrrell leuchtetedieser Ansatz schon deshalb ein, weil er in ihm das mystischeGrundanliegen der Exerzitien des Ignatius von Loyola verwirk-licht sah. (Darin ähnelte er Karl Rahner SJ, der fünfzig Jahre spä-ter den von Blondel inspirierten transzendentalphilosophischenAnsatz erfolgreich in die Neuscholastik einführen und diese sovon innen heraus »aufheben« konnte.) Weitere Anregungenfand Tyrrell bei einem anderen angelsächsischen Konvertiten,mit dem von Hügel noch persönlichen Kontakt gepflegt hatte:John Henry Newmans »Grammar of assent« (1870) bot Tyrrelleine nicht scholastisch-abstrakte, sondern eher empirisch-kon-krete Analyse des Glaubensaktes, bei der Newman die »wirk-liche« von der bloß intellektuellen Glaubenszustimmung unter-schied (»real« und »notional assent«).

Angefangen mit seiner Trilogie »Nova et Vetera«, »Hard

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George Tyrrell

Sayings« und »External Religion« (1897–1899) begann Tyrrellnun, seine theologischen Folgerungen zu ziehen und sich vonder Neuscholastik, die er ja gründlich kannte, abzuwenden:Aus dem Vorrang der religiösen Erfahrung der Individuen, des-sen Betonung ihm angesichts der fortschreitenden und von ihmselbst schmerzlich erfahrenen historisch-kritischen Auflösungder traditionellen Vorstellungen von der Offenbarungsgeschich-te immer dringlicher wurde, leitete Tyrrell den bloß sekundärenCharakter dogmatischer Festlegungen im neuscholastischenStile ab: Heilige, nicht Theologen, waren für ihn die Glaubens-experten. Glaubensnormen konnten zwar nützlich sein, bargenaber in sich die Gefahr der Verabsolutierung, durch die sie ihreDienlichkeit für das Glaubensleben, ihre Offenheit für den GeistChristi verloren. Aus der immanenten Anwesenheit Gottes inden Gläubigen ergaben sich für Tyrrell auch ekklesiologischeKonsequenzen: Wenn Gott kein bloß transzendent Abwesenderwar, der gewissermaßen durch eine hierarchische Befehlsstruk-tur seine Weisungen an die Gläubigen »telegraphisch« übermit-teln ließ, dann müssten diese auch mehr Partizipationsrechteinnerhalb der Kirche haben. Von daher kritisierte Tyrrell auchdie Ausübung des päpstlichen Primats. Die Kirche war ihm frei-lich nach wie vor mehr als die Summe der gläubigen Individu-en. Tyrrell nahm in dieser Hinsicht geradezu erleichtert die his-torische Rechtfertigung der Kirche durch Loisys »Evangeliumund Kirche« auf. Für ihn war die Kirche dabei nicht nur einenotwendige soziale Organisationsform des Christentums, son-dern ein »Mysterium«: die sakramentale VergegenwärtigungChristi durch die Zeiten.

Tyrrells Position radikalisierte sich unter dem Druck derantimodernistischen Repression: Bereits 1899/1900 nahm sichdie ordensinterne Zensur in Rom seiner an. Tyrrell musste Lon-don verlassen und zog sich nach Richmond in Yorkshire zurück.Der englische Jesuitenprovinzial John Gerard, der persönlichfür Tyrrell gehaftet hatte, wurde 1901 abberufen. In der Folge

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Theologie und religiöse Erfahrung

erschienen viele seiner Schriften nur als Privatdrucke oder unterPseudonym. Für die Verteilung sorgte von Hügel, der sie mitEmpfehlungsbriefen beispielsweise an Alfred Loisy, Albert Hou-tin, Joseph Turmel und Ernst Troeltsch versandte. Das Erschei-nen von Zitaten aus seinem bereits 1903 anonym gedruckten»Letter to a University Professor« im »Corriere della Sera« zogdie Aufdeckung seiner Autorschaft und im Februar 1906 dieEntlassung aus der Gesellschaft Jesu nach sich, die er allerdingsschon zuvor selbst gesucht hatte. Der »Letter« hatte den Ver-sucht unternommen, mit Harnack die fundamentale Einfach-heit des christlichen Glaubens und zugleich mit Loisy seine ka-tholische Fülle festzuhalten. Im selben Jahr 1906 fühlte sichTyrrell durch die Indizierung von Laberthonnière getroffen,der in einer Schrift den »christlichen Realismus« dem »grie-chischen Idealismus« der Neuscholastik gegenübergestellt hatte.Er protestierte dann 1907 öffentlich in der »Times« gegen dieEnzyklika »Pascendi«, weil sie den römischen Katholizismuseinfachhin mit der Scholastik gleichsetze. Daraufhin wurde eram 22. Oktober 1907 durch den zuständigen Ortsbischofexkommuniziert – im Hintergrund zog allerdings Kardinal-staatssekretär Merry del Val die Fäden: Merry war als Sohn desspanischen Botschafters in England aufgewachsen und zeigtedeshalb ein besonderes Interesse am dortigen Katholizismus.Den Fall Tyrrell erledigte er ganz auf der disziplinären Schiene,um nicht langwierige dogmatische Erörterungen wie bei Loisyeingehen zu müssen. Nach der Exkommunikation zog sich Tyr-rell in das Gartenhaus seiner Gönnerin und Freundin MaudePetre nach Storrington (Sussex) zurück. Petre, die prominen-teste »Modernistin«, stammte aus einer vornehmen katho-lischen Familie und hatte Tyrrell als Provinzialoberin der Kon-gregation der Marientöchter in London kennengelernt, als siedie Exerzitien für ihre Mitschwestern organisierte. Neben Tyrrellübte auch von Hügel einen starken Einfluß auf sie aus. Nach zu-nehmenden kirchlichen Schwierigkeiten – unter anderem

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George Tyrrell

wurde ihrem Buch »Catholicism and Independence« 1907 dasImprimatur verweigert – erneuerte sie im Februar 1908 die Ge-lübde nicht und verließ ihre Kongregation. Sie nahm sich nunder Pflege des zunehmend unter einer Nierenkrankheit leiden-den Tyrrell an. Mit ihm und seinem Freund Henri Bremond,der bereits 1904 den Orden verlassen hatte, verband sie ein pla-tonisches Dreiecksverhältnis.

Tyrrell starb am 15. Juli 1909. Um sein Begräbnis entfal-tete sich ein reger Telegramm- und Briefverkehr zwischen demzuständigen Bischof Amigo von Southwark und Kardinal-staatssekretär Merry del Val. Tyrrell hatte auf Vermittlung vonHügels durch einen befreundeten Priester bedingungsweise die(dem Papst vorbehaltene) Absolution und die Letzte Ölung er-halten. Das Viaticum, die letzte Heilige Kommunion, erhieltder Kranke nicht, weil er nicht mehr schlucken konnte. DaTyrrell nur die Bitterkeit seiner Polemik bereute, sich aber ge-weigert hatte, förmlich seine Schriften zu widerrufen, ließMerry del Val durch Amigo das kirchliche Begräbnis verwei-gern. Bremond ging dem Leichenzug daraufhin ohne liturgi-sche Kleidung voraus und sprach für sich die Gebete; er seg-nete Grab und Sarg und hielt eine Grabrede vor Freundenund Verwandten, in der er sie daran erinnerte, dass das Wort»katholisch« stets Musik in Tyrrells Ohren gewesen sei und vorseinem geistigen Auge die ausgestreckten Arme dessen erschei-nen ließ, der für den ganzen Erdkreis gestorben war. Bremondwurde wegen dieser »Assistenz« beim Begräbnis zeitweilig vonseinem priesterlichen Amt suspendiert. Maude Petre solltespäter als einzige Frau weltweit den Antimodernisteneid ab-leisten. Sie verweigerte ihn und wurde daraufhin von BischofAmigo für den Bereich seiner Diözese von den Sakramentenausgeschlossen. Als literarische Nachlassverwalterin Tyrrellsgab sie 1912 dessen »Autobiography and Life« in zwei Bändenheraus; ihren eigenen Lebensrückblick »My Way of Faith« ver-öffentlichte sie 1937.

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Im Jahr vor seinem Tod hatte Tyrrell noch seine wohl glän-zendste theologische Polemik abgeliefert. In »Medievalism«(1908) antwortete er dem Mechelner Erzbischof Kardinal Dé-siré Mercier, der ihn in seinem Fastenhirtenschreiben als her-vorragendsten Vertreter des von »Pascendi« verurteilten »Mo-dernismus« angegriffen hatte. Mercier hatte sich noch 1906bei Merry del Val für Tyrrell verwendet und galt als Vertretereiner sich vorsichtig modernisierenden Neuscholastik. Hinterseinem Hirtenbrief stand nun deutlich das Bemühen, sich undseine Diözese samt der Löwener Katholischen Universität, ander er zuvor gewirkt hatte, aus der Schusslinie zu bringen. Mer-cier entdeckte in Tyrrells »Methode der Immanenz« den Ein-fluss des Protestantismus, in dem der Konvertit großgewordenwar, und insbesondere der Philosophie Kants. Hier hatte Mer-cier nicht ganz unrecht: Die meist nicht offen thematisierteÜberwindung des ultramontanen Anti-Kantianismus machtetatsächlich einen Gutteil der philosophischen Agenda der Mo-dernismuskrise aus. Tyrrell verwies dagegen auf seine genuinkatholische Motivation und bemerkte ironisch, dass Augusti-nus, Pascal, die großen katholischen Mystiker oder das Johan-nes-Evangelium wohl kaum von Kant abhingen. Er verteidigteaußerdem das Andenken des Unfehlbarkeitsgegners Ignaz vonDöllinger, mit dessen »Apostasie« Mercier Tyrrells Verhaltenparallelisiert hatte und in dem sich Tyrrell tatsächlich zuneh-mend wiedererkannte. Im Gegenzug zu »Pascendi« kritisierteTyrrell den absoluten Systembegriff des »Modernismus«, dersinnvollerweise nur eine relative Bezeichnung für die vielfälti-gen und sich verändernden Bemühungen liberaler Christenum eine zeitgemäße Religion sein könne, während die neu-scholastische »Mittelalterlichkeit« tatsächlich ein unveränderli-ches System darstelle. Tyrrell entfaltete aber auch mit pole-mischer Verve noch einmal seine (anti-)theologische Vision:»Die Theologie, gegen die ich mich wende, ist jene, die ihreIdeen aus Ideen und nicht aus der Erfahrung schöpft; die uns

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Schatten von Schatten gibt statt Schatten von Wirklichkeiten;die sich immer mehr von den Tatsachen entfernt, den Pfad son-derbarer und unbeglaubigter Schlüsse entlang; die sich zum Ty-rannen statt zum Diener des religiösen Lebens macht; die ihreErgebnisse als von Gott geoffenbart und ›unter Strafe ewigerVerdammnis‹ auferlegt. Der Abscheu vor solch einer Theologiekostete Christus das Leben in den Händen der ›Kurialisten‹ vonJerusalem. Meine Behauptung geht dahin, dass alle, welcheChristus als dem Wege und Leben nachfolgen, und ›das Sitten-gesetz, welches er verkündigt hat‹ annehmen und leben, damitauch das Vollmaß der für das Heil nötigen Theologie empfan-gen. Diese Theologie weiter ausführen, ihre verstandesmäßigenFolgerungen ziehen, mag für die Gesamtheit im allgemeinenganz ersprießlich sein; aber diese ausdrückliche Theologie je-dermann zur Gewissenspflicht machen, mehr verlangen als dieAnnahme, die in einem christlichen Leben und Wandel liegt,heißt, einen Stein des Anstoßes auf den Pfad des Heils legen.Wäre diese Tyrannei nicht, die ganze Welt wäre heutzutagechristlich. Der heilige Markus hielt schließlich dafür, sein klei-nes Buch enthalte alles, was einem Christen zu seinem Heile zuwissen nötig sei. Er war sich nicht bewusst, an dem Werke mit-zuarbeiten, das man das Neue Testament nennt, oder sich aufdie Zusätze zu verlassen, die der heilige Paulus oder die anderenEvangelisten machen würden. Und doch wird man in seinemEvangelium vergeblich eine ausdrückliche Theologie suchen.Wenn nun eine solche damals nicht nötig war, wann ward sienötig? Und wer hatte die Vollmacht, das Heil mehr, als esChristus getan, zu erschweren?«2

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2 George Tyrrell, Medievalism. A Reply to Cardinal Mercier, London 1908, 47f.Deutsche Übersetzung zit. nach Schnitzer, Modernismus, 162f.

Theologie und religiöse Erfahrung

4.2 Das Interesse an der Heiligkeit

Nicht nur für George Tyrrell waren die Heiligen die eigentlichenExperten des Christentums. In dieser Hinsicht ist ein übergrei-fendes »modernistisches« Interesse an der Hagiographie zu ver-zeichnen, das wiederum ein typisches Doppelgesicht zeigte:Zum einen wurden die Heiligenlegenden Gegenstand einermehr oder weniger entmythologisierenden historisch-kritischenBetrachtung, in gemäßigter Weise bei dem prominenten Bollan-disten Hippolyte Delehaye SJ, radikaler bei Albert Houtin inFrankreich, in Deutschland vor allem bei dem Tübinger katho-lischen Historiker Heinrich Günter, dessen Ergebnisse derMünchener Dogmatiker Joseph Schnitzer in einer Rezensionauf die Evangelien übertrug, worauf er suspendiert wurde.Zum anderen fanden die Heiligen im Kontext des erneuertenInteresses an Mystik und einer an der religiösen Erfahrung ori-entierten Dogmenhermeneutik (neben Laberthonnière undTyrrell vor allem bei Edouard Le Roy) größte positive Aufmerk-samkeit. In diesen Kontext gehört auch der protestantischeTheologe Paul Sabatier3, der neben Friedrich von Hügel dasumfangreichste »modernistische« Netzwerk brieflicher und per-sönlicher Kontakte unterhielt und bereits 1909 mit »Les Moder-nistes« eine rückblickende Synthese ihrer Anliegen vorlegte. Sa-batiers Interesse galt vor allem dem heiligen Franz von Assisi,dessen ursprüngliche charismatische Gestalt er mit Hilfe his-torischer Kritik aus dem Traditionsgeflecht der Vereinnahmun-gen durch eine hierarchische Kirche und einen zunehmend in-stitutionalisierten und klerikalisierten Orden herauslösenwollte. Sein »Vie de saint François d’Assise« von 1893 wurdeentsprechend bereits 1894 indiziert. Die von Sabatier aufgewor-fene »franziskanische Frage« beschäftigt noch heute die For-

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3 Über Sabatier: Friedrich Wilhelm Graf, in: Theologische Realenzyklopädie 29(1998), 514 – 518.

Das Interesse an der Heiligkeit

schung, auch wenn seine Rekonstruktion des »historischenFranziskus« in vielem eher eine Rückprojektion neuprotestanti-scher Innerlichkeit ins Mittelalter darstellte. Die Parallele zurSuche nach dem »historischen Jesus« ist unverkennbar. Im Fol-genden sollen aber zwei Protagonisten der Modernismuskriseein wenig stärker beleuchtet werden, bei denen neben der Frageder Heiligkeit noch andere Fäden zusammenliefen: Henri Bre-mond (1865–1933), der bei den Heiligen einfühlsam eine reli-giöse Erfahrung suchte, die ihm selbst nicht immer selbstver-ständlich war, und Friedrich von Hügel (1852–1925), der sichund anderen eine Integration von historischer Kritik und Spiri-tualität ermöglichen wollte.

Henri Bremond

Bremonds Rolle im Umkreis der Modernismuskrise und seineFreundschaft mit George Tyrrell wurde von keinem Geringe-ren als Alfred Loisy selbst gewürdigt (»George Tyrrell et HenriBremond«, Paris 1936). Die beiden Jesuiten – Bremond tratmit 17 Jahren in den Orden ein – lernten sich bereits 1898 inEngland kennen; seit 1899 bestand auch eine Verbindung zuvon Hügel. Zuvor war Bremond schon durch den Kontakt zuMaurice Blondel geprägt worden, der in seiner HeimatstadtAix-en-Provence Philosophie lehrte. Von 1900 bis 1904 arbei-tete Bremond an den »Études«, der Kulturzeitschrift der fran-zösischen Jesuiten mit, wo er für den literarischen Sektor zu-ständig war. In dieser Zeit besuchte er auch die Vorlesungenvon Loisy an der École pratique des hautes études und über-setzte während der Auseinandersetzung um Blondels »Histoireet Dogme« den Aufsatz von Hügels »Vom ewigen Christus undunseren aufeinanderfolgenden Christologien« (Du Christ éter-nel et de nos christologies successives), mit dem der Baron zu-gunsten Loisys in die Debatte eingriff. Bremond brach 1904

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Theologie und religiöse Erfahrung

mit dem Jesuitenorden, wurde in den Klerus seiner Heimat-diözese Aix aufgenommen und lebte als freier Schriftsteller.Durch einen Akt der Unterwerfung erreichte er zwar, dassseine Suspendierung nach Tyrrells Begräbnis wieder aufgeho-ben wurde. Seine unter dem Pseudonym »Sylvain Leblanc«im Jahr 1931 erschienene Verteidigungsschrift für Loisy, »denKleriker, der keinen Verrat begangen hat«, zeigt aber, wie un-gebrochen er zumindest innerlich auch in späteren Jahren zuseinem »modernistischen« Engagement stand.

Während seiner Studien in England – in Frankreich durf-ten die Jesuiten nicht ausbilden, 1901 wurden die Orden zu-dem enteignet – hatte sich Bremond für das anglo-katholische»Oxford Movement« und insbesondere für John HenryNewman begeistert. Newman faszinierte ihn nicht nur durchseine nicht-neuscholastische Theologie (unter anderem durchsein Modell der Dogmenentwicklung) sondern vor allemdurch seinen modernen, »psychologisch«-analytischen Blickauf das eigene religiöse Innenleben und dessen intellektuelleBewältigung. Durch einen »Essai de biographie psychologi-que« und eine dreiteilige Anthologie (»Le développement dudogme chrétien«; »Psychologie de la foi«; »La vie chrétienne«,1905 – 06) machte er die Gestalt des Kardinals beziehungsweiseseine identifikatorische Deutung desselben in Frankreich be-kannt. Wie wir nun durch die Forschungen von François Tré-molières wissen4, verzichtete die Indexkongregation 1907 nurum des Ansehens Newmans willen auf eine Indizierung dieser»modernistischen« Arbeiten. Die Sorge um die postume Or-thodoxie des Kardinals machte sich 1908 Pius X. selbst zu ei-gen, als er den Bischof von Limerick öffentlich für ein Buch

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4 Vgl. seinen Vortrag beim internationalen Modernismus-Symposium 2006 inder Villa Vigoni; erscheint in Wolf / Schepers, Modernismus (2008). Vgl. auchden Beitrag Trémolières’ beim Kolloquium »Modernisme, modernité et les déca-des de Pontigny« (2006), hg. von François Chaubet (Publikation in Vorberei-tung).

Das Interesse an der Heiligkeit

belobigte, in dem dieser darlegte, dass Newman selbst nichtdurch die Enzyklika »Pascendi« getroffen sei. Eine römischeSanktionierung seiner literarischen Bemühungen traf Bre-mond schließlich doch noch im Jahr 1913, als seine Vita derOrdensgründerin Jeanne de Chantal († 1641) trotz internerWiderstände in der Indexkongregation auf die Liste der ver-botenen Bücher kam. Im selben Dekret wurden die »Annalesde philosophie chrétienne« von Laberthonnière und Blondel,zu denen auch Bremond beitrug, indiziert5. Maßgeblich warbei Bremond das Gutachten von Joseph Lémius, des Mitverfas-sers von »Pascendi«, der in der Darstellung der geistlichenFreundschaft zwischen »Sainte Chantal« und dem hl. Franzvon Sales genau jenen Naturalismus, jene »vitale Immanenz«entdeckte, die »Pascendi« verurteilt hatte. Bremond betontein seiner »Sainte Chantal« auch die Kontinuität zwischen denHeiligen und der religiösen Erfahrung der normalen Gläubi-gen: »Schließlich ist die Heilige Chantal, so geheimnisvoll sieuns auch erscheinen will, kein Engel […] Auch unsere Seele,die gewöhnlich, schwerfällig und verworren ist, hat ihre Spitze,ihr Zentrum, ihren entlegenen Brennpunkt. Poesie, Zartheit,Hingabe, Frömmigkeit, all unsere Strahlen, all unser ich weißnicht was kommt ohne Zweifel von dort und führt uns dorthinzurück.«6 Im Rahmen seiner monumentalen »Histoire litté-raire du sentiment religieux en France« (12 Bde., Paris1916 –367) konnte Bremond aber sein »modernistisches« Un-ternehmen unter literarischen statt hagiographischen Vorzei-chen doch noch erfolgreich fortsetzen; 1923 wurde er in dieAcadémie française aufgenommen.

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5 Vgl. dazu die große Untersuchung von Giacomo Losito, La mise à l’Index deLucien Laberthonnière en 1906: le choc de l’apologétique et de la modernité,Diss. masch. Universität Paris IV 2001.6 Zit. nach Goichot, Historien, 284 (meine Übersetzung).7 Neuausgabe mit einleitenden Studien, hg. von François Trémolières, Grenoble2006.

Theologie und religiöse Erfahrung

Der geistig offene Bremond pflegte während der Moder-nismuskrise auch Beziehungen nach Italien, dort besonders zuAntonio Fogazzaro, für dessen »Santo« er sich begeisterte, undnach Deutschland, wo er zusammen mit Tyrrell 1905/06 Erho-lungsaufenthalte im Schwarzwald und bei dem Kraus-SchülerJoseph Sauer, dem wichtigsten deutschen VerbindungsmannFriedrich von Hügels, verbrachte. Hier entdeckte er in der ka-tholischen Autorin Enrica von Handel-Mazzetti, die aufgrundihres nicht-konfessionalistischen Romans »Jesse und Maria«nach 1907 in den Verdacht des »literarischen Modernismus«kommen sollte, eine »George Eliot allemande« und in dem ka-tholischen Philosophen Martin Deutinger († 1864) fand er ei-nen »Blondel avant la lettre«. Joseph Sauer musste den freund-schaftlichen Spott Bremonds und Tyrrells ertragen, als er 1905den Titel »außerordentlicher Professor« erhielt, der den beidenbesonders deutsch vorkam. Bremond gratulierte auch im Na-men von Tyrrell, der »noch germanisierter« sei als Sauer, undzeigte sich wegen der Ernennung »für immer versöhnt« mitdem Badischen Großherzog, der sich im Deutsch-Französi-schen Krieg von 1870/71 militärische Verdienste erworben hat-te. Bremond warnte scherzhaft vor einem Besuch in England:Die »metaphysischen Spaziergänge« mit dem Baron – von Hü-gel selbst sprach vom »Herumtrampeln im regsten Ideenaus-tausch« – seien genauso anstrengend wie die dreistündige Frei-burger Fronleichnamsprozession, die Sauer nun schwitzend imProfessorentalar durchstehen müsse. Die erneute nationalisti-sche Verengung im Ersten Weltkrieg setzte der Freundschaftein Ende.

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Das Interesse an der Heiligkeit

Friedrich von Hügel und »die tiefere und freierekatholische Sache«

»Ich habe nun für Sie eine bestimmte Tätigkeit im Auge, […]denn sehr für die Anderen, für die tiefere und freiere katho-lische Sache, und doch auch für Sie selber nützlich wäre sie je-denfalls. Es hängt das mit der neuen katholischen Wochen-schrift ›Demain‹ zusammen, von welcher Ihnen der Gründer,Herr Jay aus und in Lyon, wohl, auf meinen Vorschlag hin,die doch hocherfreulichen Prospekte geschickt hat. Nunschreibt mir der von Paul Sabatier wärmstens empfohleneMann – er ist ein 37jähriger, auch im politischen und sozialenLeben seiner Vaterstadt bewanderter Journalist, der aber fühlt,als ob er ersticken müsse, wenn er nicht aus dem öden Klein-geist und Routineleben oder eher Sterben des durchschnitt-lichen ›katholischen‹ und ›klerikalen‹ Lebens und Geistes,aber ebenso aus dem Indifferentismus und Materialismus die-ser und der anderen Kreise heraus und hinauf zu weiteren, rei-neren, edleren, schöpferischeren Auffassungen und Überzeu-gungen für sich und andere vordringen kann. Er hat, ich bindavon überzeugt, Mignot und andere, ähnlich Gesinnte hinterihm [sic]: und er scheint wirklich gute Chance zu haben, in garvielen Köpfen unter der jüngeren Geistlichkeit wirken zu kön-nen. Nun hat er bereits Korrespondenten unter Eingeborenenin Belgien, Schweiz, Italien, Canada. Ich suche ihm augen-blicklich einen tüchtigen für England; vielleicht nimmt Tyrrellan (das, natürlich ein strenges Geheimnis!). Warum sollten Sienicht für Deutschland annehmen? […] Ich denke sie mir alssehr systematisch sich durchaus nicht nur mit speziell katho-lischen, sondern mit allen großen kulturellen, geistig-sittlichenBewegungen und Problemen und Erzeugnissen sich beschäfti-gend, und dabei stets auf reinliche Ausarbeitung und auf Bei-spielsammlung zielend. […] Nicht wahr, nichts von allemObigen nehmen Sie als gleichbedeutend mit einem Mangel an

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Theologie und religiöse Erfahrung

Mitgefühl für Ihre Leiden, – physische und seelische. Ich glau-be, dass ich sie alle gründlich verstehe, weil ich ja so viele da-von, und für wohl ein Vierteljahrhundert länger als Sie, der Sieja den großen Vorzug der Jugend über mich haben, habedurchmachen, habe überwinden müssen. Eigentlich ist es ge-rade deshalb, dass ich, für mich selbst und meine Freunde,mir stets die Schaffenskraft und -lust erflehe, die dann, wennauch in noch so geringem Maße, das Gewünschte nicht sucht,sondern produziert.«8

Diese in unverwechselbarem Stil formulierte »Arbeitsthe-rapie« für einen schwermütigen jungen Kirchenhistoriker zeigtuns den »Netzwerker« Friedrich von Hügel in voller Aktion: alsVermittler und Anreger internationaler reformkatholischer Be-strebungen, als Seelenführer und »Laienbischof der Modernis-ten« (P. Sabatier) und schließlich als religiöse Persönlichkeit,deren Werk nur nach einer schweren gesundheitlichen und re-ligiösen Krise in jungen Jahren und im Ringen mit bleibendenphysischen Handicaps, unter anderem einer starken Schwer-hörigkeit, entstehen konnte. Von Hügel war daneben auchder hervorragende Repräsentant des salonkatholischen »Un-terstützer-Milieus« der »Modernisten«, der aufgrund seinerherausgehobenen und unabhängigen sozialen Stellung zuguns-ten gefährdeter Theologen wie Loisy direkt bei der römischenKurie intervenieren konnte und zugleich selbst einer Zensurie-rung entging. Der weltläufige Adlige, der lange Zeit seine Win-ter in Rom zu verbringen pflegte und dort mit »tutti quanti«(unter anderen mit Duchesne und Kraus) verkehrte, kanntedie ganze Bandbreite katholischer Positionen des 19. Jahrhun-derts aus eigener Anschauung: Mit dem Konvertiten und ul-tramontanen Laientheologen William George Ward († 1882),der bekannte, dass er sich zu jedem Frühstück mit der »Times«

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8 Friedrich von Hügel an Joseph Sauer, 10. Januar 1905; zit. nach Arnold, Kultur-macht, 228f.

Das Interesse an der Heiligkeit

eine neue päpstliche Bulle wünsche und von zwei katholischenAnsichten stets die bigottere wähle, unternahm er lange »phi-losophische« Spaziergänge über den Hampstead Heath. JohnHenry Newman, den er theologisch anregender, aber persön-lich deprimierender fand, traf er bereits 1876 persönlich.

Newman unterschied einmal in der römischen Kirche dieAspekte von »polity« (etwa: Kirchenregiment), »philosophy«(Glaubenslehre) und »devotion« (Glaubensleben) und inspi-rierte damit von Hügel zu einer komplexen Religionstheorie,die er in seinem umfangreichen Werk »The Mystical Elementof Religion as studied in Saint Catherine of Genoa and herFriends« (1908) entwickelte. Am Beispiel der heiligen Katha-rina Fieschi von Genua († 1510), deren Leben er zunächst his-torisch-kritisch rekonstruierte, trennte er nicht nur pathologi-sche und genuine Formen der Mystik – sein Ideal war hierbeifür ihn (wie für Bremond) der »pur amour«, die »reine Gottes-liebe« des französischen Erzbischofs Fénelon († 1715). Erreflektierte auch auf die grundsätzliche Bedeutung des mysti-schen Elements in der Religion, das für ihn in einem beständi-gen, aber notwendigen Konflikt mit den beiden anderen Ele-menten steht: dem institutionellen Element, das die historischgewordene, äußere Seite der Religion sowie die Amtsautoritätgerne verabsolutiert, und dem wissenschaftlichen Element, daszur kritischen Auflösung der beiden anderen Elemente neigt.Nur eine Religion, die diese Spannung (verkörpert in den Ty-pen Prophet, Priester und Professor) aushält, kann wirklichfruchtbringend sein. Von Hügel formulierte damit zugleicheine Analyse, wenn auch keine Lösung, der Problemlagen derModernismuskrise. Wenn er auch Blondels Kritik an Loisy zu-rückgewiesen hatte, beschäftigte ihn intensiv das Problem, wieeine historisch-kontingent erfolgte Offenbarung absolute Gel-tung beanspruchen könne. Er suchte hier über das bloße Aus-halten von »Reibung« hinausgehende Lösungen und stand da-bei im Austausch mit dem liberalprotestantischen Theologen

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Theologie und religiöse Erfahrung

Ernst Troeltsch. Von Hügel, der im Ersten Weltkrieg die eng-lische Staatsbürgerschaft annahm, knüpfte 1920 den Kontaktmit Troeltsch wieder an und plante mit ihm eine Vorlesungs-reihe in England. Troeltschs früher Tod kam dem zuvor; vonHügel gab die vorbereiteten Vorträge 1923 unter dem Titel»Der Historismus und seine Überwindung« heraus.

4.3 Von Hügel und die innere Polarisierung des»Modernismus« nach »Pascendi«

Das internationale Netzwerk des Barons hatte schon vor demKrieg große Lücken bekommen. In seiner Wahrnehmung lagdas nicht nur an der antimodernistischen Repression, sondernauch an einer inneren Polarisierung. Nach dem Erscheinen desDekrets »Lamentabili« traf er sich im August 1907 in Molveno(Südtirol) mit der Gruppe junger Mailänder Laien, die hinterder neuen Zeitschrift »Il Rinnovamento« stand und auf dievon Hügel große Hoffnungen setzte. Anwesend waren bei die-sem »Modernistenkonzil« unter anderen auch Antonio Fogaz-zaro, der römische Armenseelsorger Don Brizio Casciola (Vor-bild für den »Santo«) und der junge römische KirchenhistorikerErnesto Buonaiuti; Abschiedsstimmung lag in der Luft. Nachdem Erscheinen von »Pascendi« im folgenden Monat wandtesich die Gruppe junger römischer Priester um die Zeitschrift»Nova et Vetera« beziehungsweise um Buonaiuti gegen den »ge-mäßigten Pseudo-Modernismus« der mit von Hügel befreunde-ten Theologen Giovanni Semeria und Giovanni Genocchi sowiegegen den »sentimentalen und aristokratischen Modernismus«der »Rinnovamentisti«. Auch Tyrrells heftige Reaktion auf »Pas-cendi« erschreckte von Hügel. Zugleich beunruhigten ihn »im-manentistische« Tendenzen, etwa bei dem Loisy-Anhänger Al-bert Houtin, der den christlichen Glauben schließlich ganzaufgab, oder dem Philosophen und ehemaligen Priester Marcel

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Hébert, der für eine »symbolistische« Deutung der Dogmeneintrat und einen persönlichen Gott ablehnte, oder bei demExegeten Salvatore Minocchi, der 1909 für eine Auflösung derKirche zugunsten einer umfassenden sozialen Demokratie op-tierte. Von Hügel kommentierte diese Entwicklung im Oktober1908 so: »Ich muss sagen, gegen Rinnovamento stach doch dasjetzt schon tote ›Nova et Vetera‹ recht zu des letzteren Unguns-ten ab, obwohl man seinen Mut bewunderte, seine Beschwerdenvollauf verstand und Tyrrells und einige andere Aufsätze da-selbst recht bewunderte. Es ist eben ja für einen seminaristischoder auch jesuitisch gebildeten Menschen sehr schwer über dieseerste Schablone wirklich hinweg zu kommen; meistens bleibt erdoch an ihr hangen, indem er dann empörter Seminarist oderJesuit wird, aber dennoch, dass [er] in nichts Tieferes und Wei-teres recht hineinkommt. […] wir brauchen so sehr ein tieferes,deshalb zugleich freieres Christentum und Kirchentum, aberweder den trockenen deistischen Zynismus eines Houtin nochden verschwommenen, agnostischen Abstraktionstanz einesHébert, noch […] ein direkt anti-römisches, schismatischesAuftreten. Und schmerzen tut es mich, wenn ich in so ernstenZeiten, die mehr als je die Selbstverleugnung, die Askese imedelsten Sinne des Wortes, das hehre Kreuz Jesu erfordern, jün-gere Priester, wie einige der ›Nova et vetera‹-Gruppe oder auchein wenig Minocchi schreiben [sehe], als sei das alles veraltetund vorbei. Veraltet! Vorbei! Sie sollten sagen, es soll jetzt nochtiefer und voller hergehen, denn die Substanz dieser Dinge istewig.«9 Die Scheidelinie, die hier gezogen wurde, war klar: keineAuflösung des transzendentalen Charakters der Religion in rei-nen »Immanentismus«, keine »protestantische« Revolution ge-gen die römische Zentrale, kein Infragestellen der christlichenAskese, das heißt der zölibatären Lebensform der Priester. Dass

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9 Friedrich von Hügel an Joseph Sauer, 29. Oktober 1908; zit. nach Arnold, Kul-turmacht, 246f.

Theologie und religiöse Erfahrung

gerade letzterer Punkt in dieser Phase der Modernismuskrise inden Vordergrund trat, darauf hat Thomas Michael Loome inpolemischer Zuspitzung hingewiesen. Tatsächlich hörte fürvon Hügel beim Zölibat die Diskussionsbereitschaft auf. SeinBrief weist auf das Signum einer neuen Epoche hin, in der jün-gere Priester, vor allem in Italien, begannen, sich das negativeCredo von »Pascendi« zu eigen zu machen, um wirkliche »Mo-dernisten« zu werden. Auch Tyrrell lehnte dies als Radikalisie-rung und »Banalisierung« ab und verglich es mit dem Übergangguter »Ideen« auf den »Mob« der französischen Revolution.Hier zeigte sich tatsächlich die Bandbreite der »Bewegung« von»links« nach »rechts«, auf die Émile Poulat und Thomas Mi-chael Loome hingewiesen haben. Diese »Bandbreite« bringt al-lerdings auch die Gefahr mit sich, einen »Modernisten« aufKosten des anderen erklären zu wollen. In der Optik der »radi-kalen Modernisten« nach »Pascendi« wichen die »gemäßigten«wie von Hügel nur den intellektuellen Konsequenzen ihrer eige-nen Arbeit aus. Ob »Pascendi« und die anderen antimodernisti-schen Maßnahmen insofern eine notwendige Scheidung derGeister gebracht oder vielmehr eine ruhigere Diskussion derProblemlagen durch Repression und Polarisierung verhinderthaben, ist historisch gesehen letztlich nicht zu beantworten. Ne-ben den prominenten »Dissidenten« und »Fällen« nach »Pas-cendi« steht allerdings die stille Masse der Theologen und gebil-deten Gläubigen, die sich so gut wie eben möglich mit denVerhältnissen arrangierten. Zu nennen sind hier etwa LouisDuchesne, dessen Ideal das historische Arbeiten in Frieden unddie Geborgenheit im Kreise einer »petite Église« war, oder derjunge deutsche Kirchenhistoriker Franz Dölger, der seine Plänefür eine katholische Dogmengeschichte aufgab und sich statt-dessen einer eher kulturgeschichtlichen Untersuchung desSpannungsfeldes von Antike und Christentum zuwandte. ImFalle Friedrich von Hügels erleichterte seine Distanzierung vonden »Immanentisten« und deren Betonung durch seinen Nach-

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lassverwalter und Biographen Bernard Holland jedenfalls seinepostume Rezeption. Im katholischen Deutschland etwa konn-ten er und Bremond bereits ab den 1930er Jahren im »Hoch-land« und in der Reihe »Zeugen des Wortes« als Meister der Spi-ritualität präsentiert werden.

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5. Antimodernismus undkirchliches Lehramt

Der Problematik der Bandbreite »modernistischer« Positionenentspricht die Frage nach einer differenzierten Wahrnehmungdes Antimodernismus. Verurteilte »Modernisten« sprachengerne von einem monolithischen Block namens »Rom«, wenndie primäre antimodernistische Instanz gemeint war. In derneueren Modernismusforschung treten demgegenüber die kir-chenpolitischen und theologischen Konturen innerhalb der rö-mischen Kurie, ihrer einzelnen Institutionen wie auch der zen-tralen Personen, an erster Stelle Papst Pius X., deutlicherhervor. Auch die Rolle der intellektuellen Anreger des antimo-dernistischen Kampfes innerhalb und außerhalb der Kurie kannheute genauer bestimmt werden. In theologischer Hinsicht stelltsich dabei die spannende Frage, mit welchen internen Diskussio-nen und Intentionen die lehramtlichen Maßnahmen in den Jah-ren 1903 bis 1914 verbunden waren. Diese erschließen sich vorallem aus der Entstehungsgeschichte zentraler antimodernisti-scher Dokumente, nämlich des Dekretes »Lamentabili«, der En-zyklika »Pascendi« sowie des Antimodernisteneides. Zugleichweitet sich die Perspektive auf die möglichen gesellschaftlichenund politischen Implikationen der antimodernistischen Agenda.

5.1 Das Heilige Offizium und das Dekret»Lamentabili« (1903–1907)

Die »Glaubensbehörde« par excellence und damit die eigent-lich primär zuständige Stelle für den »Modernismus« als Häre-sie war das Heilige Offizium (Sanctum Officium), bis 1908 of-

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fiziell »Römische und Universale Inquisition« genannt, dessenGründung im Zeichen der Gegenreformation 1542 erfolgt warund dessen Nachfolge-Dikasterium die heutige Kongregationfür die Glaubenslehre ist. Ihm bei- beziehungsweise unterge-ordnet war bis 1917 die Indexkongregation, die sich mit dergrößeren Zahl der Bücherverbote befasste und in diesem Rah-men auch in begrenzter Weise theologische Fragen traktierte.Seit der Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation imJahr 1998 und der generellen Freigabe der Akten bis 1922 imJahr 2002 haben Index und Inquisition vollends aufgehört,eine historische »black box« zu sein, bei der die theologischenStreitigkeiten als »input« hineingehen und später die lehramt-lichen Lösungen als »output« herauskommen, ohne dass manetwas über die internen Vorgänge wüsste. Und dies gilt in be-sonderer Weise für die Geschichte von Antimodernismus undLehramt.

Das Dekret »Lamentabili« vom 3. Juli 1907 gilt gemeinhinals die erste große antimodernistische Maßnahme Papst Pius’ X.Es verwarf 65 Sätze und unterstellte die historisch-kritischeBibelauslegung nicht nur ganz der lehramtlichen Kontrolle,sondern griff auch in exegetische Einzelfragen ein. Das Dekretnahm die virulenten theologischen Themenkreise der Inspira-tion und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift, des Offen-barungs- und Dogmenbegriffs, der Christologie, der Sakra-mentenlehre und Ekklesiologie sowie der Kirchenverfassungund der grundsätzlichen Problematik einer »evolutionären«Sichtweise von Glaube und Kirche auf. Dabei kam es zu durch-aus deutlichen, betont traditionellen Festlegungen in den strit-tigen Fragen von Inspirationslehre, Dogmenhermeneutik,Christologie und Ekklesiologie, wie eine kleine Auswahl derverurteilten Sätze belegt (vgl. DH 3401–3466):

»11. Die göttliche Inspiration erstreckt sich nicht so aufdie ganze heilige Schrift, dass sie alle ihre einzelnen Teilevor jedem Irrtum bewahrt.«

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

»21. Lehrsätze, die die Kirche als geoffenbart anführt, sindkeine vom Himmel gefallenen Wahrheiten, sondern sindeine Auslegung religiöser Tatbestände, die sich dermenschliche Geist in mühevollem Unterfangen zusam-mengestellt hat.«»35. Christus hatte nicht immer das Bewusstsein seinermessianischen Würde.«»44. Nichts beweist, dass der Ritus des Sakramentes derFirmung von den Aposteln verwendet wurde: die formelleUnterscheidung der beiden Sakramente aber, nämlich derTaufe und der Firmung, bezieht sich nicht auf die Ge-schichte des Urchristentums.«»52. Es war der Absicht Christi fremd, die Kirche als eineGemeinschaft zu gründen, die auf Erden eine lange Reihevon Jahrhunderten dauern werde: ja, Christus war sogarder Meinung, das Himmelreich werde zugleich mit demEnde der Welt alsbald anbrechen.«

Die theologische Rezeption dieses Dokuments stellt ein Problemfür sich dar. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde esoft für eine quasi-definitive Äußerung des Lehramts gehalten;heute ist es in weiten Teilen (vor allem denen, die exegetischeEinzelfragen betrafen, aber auch in der Inspirationslehre) ob-solet geworden. Eine gewisse Unklarheit herrschte von Anfangan darüber, wessen Ansichten denn im einzelnen hinter denverurteilten Sätzen stünden. Die umfangreichen Akten zu »La-mentabili« enthüllen nun, dass das Dekret direkt aus dem FallLoisy erwachsen ist, dessen Verhandlung in der Indexkongre-gation in den Jahren 1893 bis 1903 schon oben skizziert wurde.Der kuriale Fortgang dieses Falles nach dem Tod Papst LeosXIII. enthüllt nun auch die widerstreitenden Intentionen, diehinter »Lamentabili« standen.

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Das Heilige Offizium und das Dekret »Lamentabili« (1903–1907)

Ein »Syllabus« entsteht

Der Anstoß für das spätere Dekret »Lamentabili« kam »vonaußen«: Am 1. November 1903 überreichte der Pariser Erz-bischof Kardinal Richard dem neuen Papst, also Pius X., eineAufstellung von zusammenfassenden Sätzen (Propositionen)zu den Werken Loisys, an der auch Loisys Gegner Louis BillotSJ während seiner Pariser Sommerferien als Korrektor mit-gewirkt hatte. Nachdem die Indizierung Loisys durch die In-dexkongregation unter Leo XIII. so lange ausgeblieben war,wollte man über das Heilige Offizium nun schneller zum Zielgelangen und gleichzeitig durch die Verurteilung der Loisy-schen Propositionen zu einer dogmatisch relevanten Äuße-rung kommen. Kurz darauf entzog Pius X. tatsächlich denFall der Indexkongregation und überwies ihn an die »SupremaCongregatio«, an die Inquisition. Mit dem zusammenfassen-den Bericht (der »Relatio«) über die angezeigten Werke Loisyswurde ein Mann betraut, der auf der internen Diskussions-ebene der Konsultoren, der theologischen Spezialisten des Hei-ligen Offiziums, bis 1908 die entscheidende Rolle spielen soll-te: der Kapuziner Pie de Langogne (bürgerlich: Pierre-ArmandSabadel). Père Pie war seinem Ordensbruder, dem später füh-renden Antimodernisten Kardinal José Calasanz Vives y Tutó,freundschaftlich verbunden, ja dessen engster Mitarbeiter. PiusX., der ihn auch mit anderen Arbeiten betraute, nannte ihnmit Kosenamen »Piosino«. Seine Relatio zu Loisy beschwor,wie schon zuvor im Indexverfahren das Gutachten Billots, einSchreckensszenario, und die Bedeutung der innerkurialen An-timodernisten liegt vielleicht vor allem darin, dass sie effektvolleine Krisenstimmung erzeugten, die unter anderen Pius X.ganz erfasste: »Lasst nicht zu, erhabenste Fürsten [der Kirche],dass in diesem armen Frankreich ein Autor, der durch diepriesterliche Würde empfohlen, und deshalb umso wenigerentschuldbar ist [Loisy], den Kleinen des Heiligtums, die das

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

lebensspendende Brot erbitten, weiterhin und ungestraftSteine gibt, oder statt des göttlichen Fisches die todbringendeSchlange darreicht.«1 Die Kardinäle des Heiligen Offiziumsentsprachen am 16. Dezember 1903 dieser Bitte und verbotendie fünf Hauptwerke Loisys, die Indexkongregation durftediese Entscheidung dann wie üblich publizieren. Gleichzeitigwurde Pie de Langogne zusammen mit dem Jesuiten Dome-nico Palmieri, einem öffentlichen Gegner Loisys, mit der Er-stellung einer Liste der Loisyschen Irrtümer beauftragt. DieSätze dieses »Elenchus« sollten nur sinngemäß, nicht als wört-liche Zitate Loisys, formuliert werden. Doch nun setzte ein äu-ßerst mühsamer Diskussionsprozess ein, dessen genaue akten-mäßige Dokumentation uns einen faszinierenden Einblick indie interne Arbeitsweise des Heiligen Offiziums erlaubt.

Interne Diskussionen

Domenico Palmieri legte bereits im April 1904 sein Gutachtenmit dem Titel »Osservazioni sulle opere di Alfredo Loisy« vor,das schon vom Titel her an seine öffentliche Streitschrift gegenLoisy anklang. In der Einleitung stellte er neben dem theologi-schen Evolutionismus (der Lehre von der dynamischen Ent-wicklung von Glaube und Kirche) vor allem Loisys Unterschei-dung von Glaube und Geschichte heraus und behauptete, Loisywolle nun das Zerstörungswerk, das Kant mit der Kritik der rei-nen Vernunft begonnen habe, auf exegetischem Gebiet fortset-zen. Palmieri hatte den Sätzen jeweils auch eine theologische»Qualifikation« (eine Angabe des »Sicherheitsgrades«), diemeist auf häretisch lautete, beigegeben. Sein Gutachten waralso von einer Gegnerschaft zu den neuzeitlichen Denkrevolu-tionen gezeichnet, die aus der kirchlichen Intransigenz des

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1 Zit. nach Arnold, Lamentabili, 33; vgl. Mt 7,9 –10.

Das Heilige Offizium und das Dekret »Lamentabili« (1903–1907)

19. Jahrhunderts schöpfte. Dies galt auch in zentralen theologi-schen Einzelfragen: Palmieri strebte z. B. eine lehramtlicheFestlegung auf den vollkommen historischen Charakter derersten Kapitel der Genesis an. Darüber hinaus wollte er aus-drücklich den Satz verworfen wissen, dass die Vulgata, die altelateinische Bibelübersetzung, nur dogmatisch beweiskräftigund nicht auch im engeren Sinne textlich authentisch sei. Da-mit knüpfte er an die Zeiten der akuten Gegenreformation an.Beide Versuche liefen aber ins Leere: die absolute Historizitätder ersten Genesis-Kapitel wurde im Juni 1905 in der zweitenEntscheidung (»Responsum«) der Bibelkommission unter Da-vid Fleming OFM wenigstens ein ganz klein wenig einge-schränkt und tauchte entsprechend auch nicht in den weiterenVorentwürfen zu »Lamentabili« auf. Und die textliche Vulgata-Authentizität ließ man schon im nächsten Verfahrensschrittstillschweigend fallen. Tatsächlich wäre durch eine solche Fest-legung die Wende durch die Enzyklika »Divino afflante spiritu«von 1943 fast unmöglich gemacht worden, denn hier formu-lierte Papst Pius XII. genau diese bloß »juridische« Authentizi-tät der Vulgata und öffnete damit der textkritischen Arbeit undauch der direkten Interpretation der griechischen und hebräi-schen Texte endgültig die Tür.

Palmieris Eifer muss auch in die richtige lebensgeschicht-liche Perspektive gerückt werden: Der Jesuit hatte unterLeo XIII. Rom verlassen müssen, weil er nicht dem strengenThomismus huldigte, den der Pecci-Papst zur gesamtkirchli-chen Norm machen wollte. Nun konnte sich Palmieri unterPius X. gegen Loisy als Hüter der Orthodoxie profilieren. Esist eine vielleicht zu wenig beachtete Funktion des beginnen-den Antimodernismus, dass er auch interne neuscholastischeGegensätze überdecken half.

Während Palmieris Arbeit auf einer selbständigen Lektüreder Werke Loisys beruhte, präsentierte sich der »Elenchus« vonPie de Langogne, der im Januar 1905 gedruckt vorlag, eher als

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ein Potpourri aus den Ausstellungen der Index-Gutachten (vorallem von Louis Billot und Laurentius Janssens OSB) sowie deröffentlichen Kritik an Loisy (etwa von Bischof Émile-Paul LeCamus oder Kardinal Adolphe Perraud). Pie verwertete nebendem Syllabus Richards und den Index-Gutachten auch einenkurzen Elenchus des Antimodernisten P. Albert Maria WeißOP, der das Sanctum Officium auf Umwegen erreicht hatte. Zu-gleich suchte Pie seinen Elenchus als Antidot nicht nur gegenLoisy, sondern gegen die ganze »école large«, die progressiveSchule der französischen Exegese, darzustellen. Er bezog des-halb unter anderen Albert Houtin und Eudoxe-Irénée Mignot,den Erzbischof von Albi, in seine Dokumentation mit ein. DieAusweitung des Anti-Loisy-Projektes entsprach der SichtweiseLoisys als »Schulhaupt«, wie sie zuvor Billot vertreten hatte. AlsAufgabe seiner Propositionen sah Pie de Langogne es, den anti-dogmatischen Sinn zu explizieren, den Loisy nur insinuiere.Auch hierin folgte er dem Verfahren Billots. Interessant ist diehäresiologische Langzeitperspektive, die Pie einnimmt: Loisyund seine »Schule« sind »Neoterici«, also Neuerer wie die Refor-matoren, ihr Rationalismus gemahnt an das 19. Jahrhundert,und das Gespenst der autonomen Philosophie und der auto-nomen Theologie, wie es damals bei Ignaz von Döllinger auf-getaucht war, wird genauso beschworen. Entsprechend liefertePie de Langogne auch mehr oder weniger alleine die einleiten-den Verurteilungen des späteren Dekrets »Lamentabili«, welchedie Abhängigkeit der historisch-kritischen Exegese vom kirchli-chen Lehramt betonten. Pie verfehlte auch nicht, die anfänglichnoch eher »liberal« besetzte päpstliche Bibelkommission alsmögliche Konkurrenz indirekt zu attackieren, indem er aus deritalienischen Presse zitierte, die einige ihrer Mitglieder als pro-gressiv eingestuft hatte.

Nach dieser programmatischen Einleitung bot Pie 119 Pro-positionen, die er im Gegensatz zu Palmieri aber nicht qualifi-zierte. Die Belegstellen aus Loisy bezogen sich, sofern angege-

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ben, meist auf »Autour d’un petit livre«, seltener auf »L’Évangileet l’Église«. Pies Elenchus ist gewissermaßen die Grundschriftvon »Lamentabili« und deshalb keinesfalls zu unterschätzen.Auf Pie geht etwa die Proposition 25 von »Lamentabili« zurück,nach der die Glaubenszustimmung sich letztlich auf eine Kumu-lation von Wahrscheinlichkeiten stütze. Loisy selbst sah damitdie entsprechende Lehre Kardinal Newmans verurteilt, denn erselbst habe diese Ansicht nur in einem abgelegenen Artikel ge-äußert, den die Inquisition wohl kaum gekannt habe. Genau aufdiesen abgelegenen Artikel aus der »Revue du Clergé« bezogsich Pie aber in seinem Gutachten ausdrücklich. Seine Intentionwar dabei nicht, Newman selbst, sondern dessen angeblich fal-sche Rezeption bei Loisy zu verurteilen. Pie wollte dabei bewei-sen, dass Newman die Lehre von der Glaubenszustimmung auf-grund konvergierender Wahrscheinlichkeiten nicht prinzipiellgemeint, sondern nur auf seine persönliche Glaubensgeschichtebezogen habe.

Die beiden Elenchi von Palmieri und Pie de Langognescheinen nicht ausführlich diskutiert worden zu sein; vielmehrbeschlossen die Kardinäle des Sanctum Officium am 5. April1905, dass nunmehr ein einziger Elenchus hergestellt werdensollte, und zwar von Palmieri, Pie de Langogne und dem Kon-sultor Willem van Rossum aus dem Redemptoristenorden, derLoisy schon 1901 denunziert hatte. Im Frühsommer 1905 lagder »Elenchus unicus« mit 96 Sätzen gedruckt vor. Seine Glie-derung entsprach in der Abfolge der Hauptthemen schon imwesentlichen dem späteren Dekret »Lamentabili«: Lehramtund Exegese, Schriftauslegung, Offenbarungsverständnis,Dogma und Glaube, Christologie, Sakramentenlehre, Ekklesio-logie und schließlich »theologischer Evolutionismus« (imSinne einer dynamischen Dogmenentwicklung). Inhaltlichstand er eher dem Entwurf Pie de Langognes nahe. Wenn der»Elenchus unicus« auch schon ein wenig abgemildert war,stellte er doch ein ausgesprochen intransigentes Projekt dar.

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Von 96 Propositionen wurden 66 ganz oder teilweise mit derQualifikation »häretisch« versehen, und es blieb abzuwarten,was aus dieser Inflationierung dogmatischer Sicherheit auf exe-getischem Gebiet werden würde.

Tatsächlich kam das Projekt schon bei der Vorbespre-chung des Elenchus in der Konsultorenversammlung, amMontag, dem 19. Juni 1905, ins Stocken. Das Gremium vonmeist um die zwölf anwesenden theologischen Experten, dasim Regelfall den Kardinälen die Grundrichtung für die Ent-scheidungen des ordentlichen römischen Lehramtes vorgab,war mit der Vorarbeit seiner Kollegen nicht zufrieden. DieKonsultoren hatten als Beschluss »dilata«, also Vertagung, ge-fasst, weil die Sache an sich noch nicht reif sei. Frappant ist dasinstitutionelle historische Bewusstsein, das sich in der Begrün-dung zeigt: Verwiesen wurde auf die sehr respekterheischendenTraditionen des Sanctum Officium, das in vergleichbaren Fäl-len nur mit äußerster Sorgfalt vorgegangen sei: so viele Theo-logen, so viele Schriften, so viele Gutachten seien vor den ent-sprechenden Syllabi erstellt worden, was eine sehr gründlichePrüfung erlaubt habe, während man hier quasi nur ein Votumhabe. Als ein Negativbeispiel für solch frühreife Verurteilungenauf ungenügender Basis nannte man die 1887 verurteilten Pro-positionen des Philosophen Antonio Rosmini (der unter Jo-hannes Paul II. rehabilitiert worden ist). Weiterhin wurde ander Qualifikation der Sätze Anstoß genommen: Wenn eineProposition als häretisch qualifiziert werde, werde das Gegen-teil quasi als Glaubenslehre definiert. Das stehe aber nur demPapst selbst zu. Schließlich seien Deutschland und die Ver-einigten Staaten ebenfalls von ähnlichen Lehren infiziert, undman müsse die Prüfung der Sache auf Bücher aus diesen Län-dern ausweiten. Mit dieser Ausweitung wäre ein Abschluss desProjekts wohl auf unabsehbare Zeit verschoben worden.

Langogne war von dieser »Strangulierung« der Diskus-sion des Elenchus, wie er es formulierte, völlig überrascht

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und verteidigte sich nachträglich beim Kardinalsekretär derInquisition: Er betonte, dass er selbst die Qualifikation derSätze ursprünglich nicht gewollt habe. Weiterhin sei dasSanctum Officium doch gerade das Sprachrohr des Papstes.Dieser wiederum habe nicht einen allumfassenden, sonderneben nur einen Elenchus gegen Loisy befohlen. Außerdem hät-ten nur die französischen Bischöfe, und nicht etwa die deut-schen, Rom um Hilfe gebeten. Damit schränkte Pie selbst dieReichweite seines Projektes ganz auf Frankreich und auch wie-der mehr auf Loisy ein. Ein wichtiger Anhaltspunkt für die In-terpretation des späteren Dekrets »Lamentabili«.

Die Lösung des Problems sah so aus, dass die Konsultorenmit einer gewissen Verzögerung die Diskussion des Elenchusdoch aufnahmen, dabei aber die Qualifikation der Sätze gestri-chen wurde. Damit war eine theologiegeschichtlich bedeut-same Entwicklung eingeleitet. Tatsächlich hatte Pie de Lango-gne im Gegensatz zu Palmieri und van Rossum von Anfang anauch für den internen Gebrauch nur eine summarische Quali-fikation der Sätze am Ende des Elenchus gewünscht und fürden Fall der Veröffentlichung vorgesehen, dass man die Pro-positionen insgesamt mit der ganzen Bandbreite von Qualifi-kationen, also von häretisch bis bloß kühn oder den frommenOhren anstößig, verwerfen sollte. Entsprechend hatte er sicham Ende seines Elenchus auf den berühmten antiliberalen Syl-labus Pius’ IX. von 1864 berufen, der ebenfalls auf die Angabeder theologischen Sicherheitsgrade verzichtet hatte und zu-gleich Pies kirchenpolitischen Vorstellungen entsprach. DieEinsicht in die Problematik, dass man durch die Qualifikation»häretisch« gewissermaßen auch neue Glaubenssätze schaffenkönnte, führte im Endergebnis dazu, dass in der päpstlichenBestätigung von »Lamentabili« nur noch davon die Rede war,dass die Propositionen verworfen seien, ohne dass irgendeinSicherheitsgrad benannt wurde. Damit ergab sich die paradoxeSituation, dass zumindest in dieser formalen Hinsicht die Be-

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denkenträger, die vorschnelle dogmatische Festlegungen ver-meiden wollten, mit dem Kopf der Intransigenten in der Kon-gregation übereinkamen, der ein undifferenziert verurteilendesDokument im Stile des Syllabus von 1864 anstrebte, um eineeffektive und umfassende Repression einzuleiten.

Das Ergebnis der Einzeldiskussion des Elenchus auf derKonsultorenebene lag erst im März 1906 gedruckt vor. DiesesDokument offenbart auch, wer der Gegenspieler Pie de Lango-gnes im Konsult war: kein Geringerer als der Magister SacriPalatii, der päpstliche Hoftheologe Alberto Lepidi OP, rang-höchster Konsultor und ex officio Mitglied von Inquisitionund Index. Lepidi ist bekannt für seine relative Mäßigung inantimodernistischer Hinsicht. Er hatte zwar während des In-dexverfahrens gegen Loisy angeregt, dass man einen Elenchuserrorum aus seinem Hauptwerk »L’Évangile et l’Église« erstel-len solle, nun aber missfiel ihm offensichtlich die Richtung, diedas Verfahren unter den Händen von Pie, Palmieri und vanRossum nahm. Da Lepidi selbst in Belgien und Frankreich ge-lehrt hatte, konnte er auch dem vermeintlichen »Frankreich-Spezialisten« Pie entgegentreten.

So wurde das Votum der Konsultoren an die Kardinälemit einer bemerkenswerten Polemik eingeleitet. Lepidi formu-lierte eine Fundamentalkritik am Elenchus: Man brauche nochviel Zeit für die Diskussion, die Propositionen seien ungenü-gend belegt und berücksichtigten nicht die Unterscheidungvon »Kritik« und »Glaube« bei den Neuerern. Diese würdenden Syllabus einfach dadurch umgehen, dass sie ihn als Gläu-bige akzeptierten, aber als Historiker ignorieren würden.Schließlich sei es besser, nur drei oder vier grundlegende Pro-positionen zu verurteilen. Deutlich wird Lepidis Bemühen,durch formale und inhaltliche Bedenken den Syllabus abzu-bremsen. Offen bleibt, ob er die Loisysche Unterscheidungvon historischer Kritik und glaubensmäßiger Darlegung nichtsogar teilweise akzeptieren wollte.

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Gleich im Anschluss erhielten die Kardinäle die Antwortvon Pie de Langogne, die im Ton sehr scharf gehalten war. Pieverwies auf die langwierige Vorbereitung des Elenchus durchdie verschiedenen Vorlagen aus Paris, aus dem Index unddem Sanctum Officium. Überreiche Zitatbelege seien dabei ge-fallen, die man aber nicht alle in ein Votum aufnehmen könne,wenn dieses nicht 600 Seiten umfassen solle. Solle man denndie ganzen Bücher Loisys abschreiben, um den P. Lepidi zu be-friedigen? Weiterhin sei genau die verhängnisvolle Differenzie-rung von Glaube und Geschichte die sophistische Unterschei-dung, die man am meisten verurteilen müsse. Sicher könneman auch nur eine einzige Proposition verurteilen, den theo-logischen Evolutionismus nämlich, aber was wäre das für eineAntwort auf die Flut der neuerischen Exegese! Schließlich seidie Reaktion der Neuerer selbst egal; wenn nur ein einzigerjunger Kleriker vor ihnen gerettet werde, habe sich das Unter-nehmen schon gelohnt.

Die mühsame und zeitraubende Einzeldiskussion der Pro-positionen führte insgesamt zu einer gewissen Abmilderung.Durch Streichung und Zusammenziehung verringerte sich de-ren Zahl. Vor allem Lepidi scheint eine Art Ermüdungskampfdurch Einzelkritik geführt zu haben. In einem Appendix, eben-falls gedruckt im März 1906, gab Pie de Langogne eine Art »up-date« der aktuellen Diskussion um die Dogmenhermeneutik inFrankreich und formulierte eine weitere Proposition aus Edou-ard Le Roys Schrift »Qu’est-ce qu’un dogme?«, die in modifi-zierter Weise von den Konsultoren angenommen wurde. Sieverurteilte den angeblich nur praktischen, nicht theoretischenCharakter der Dogmen, und ging als Nr. 26 in das Dekret »La-mentabili« ein (»Die Lehrsätze des Glaubens sind lediglich dempraktischen Sinn nach festzuhalten, das heißt, als verpflichtendeNorm des Handelns, nicht aber als Norm des Glaubens.«)

Nunmehr mussten sich die Kardinäle des Sanctum Offi-cium der Dokumente annehmen, und genau in diesem Moment

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intervenierte das Staatssekretariat. Kardinal Rafael Merry del Valteilte dem Assessor des Heiligen Offiziums am 26. März 1906mit, dass Pius X. eine Beschleunigung der Arbeit der Inquisitionwünsche, da so viele Klagen aus Frankreich einliefen. Die Kardi-näle ließen sich dadurch jedoch nicht allzusehr aus der Ruhebringen. Bei ihrer Mittwochs-Sitzung am 25. April 1906 be-schlossen sie, nunmehr jeden Mittwoch die erste Sitzungsstundeauf den Elenchus zu verwenden. Tatsächlich diskutierten sie biszum 22. August 1906 alle Propositionen durch, brachten Ver-änderungswünsche und Streichungen an, bestätigten aber meistdas Ergebnis der Abstimmung der Konsultoren. Pius X. appro-bierte seinerseits jeweils am folgenden Tag den Beschluss derKardinäle. Das Ergebnis der Kardinalsdiskussion wurde im Sep-tember 1906 wiederum in gedruckter Form den Konsultorenvorgelegt, die nun noch Feinkorrekturen anbringen sollten. Le-pidi nutzte diesen Korrekturgang für eine letzte Intervention:Der Syllabus solle auch der Bibelkommission vorgelegt werden,denn: »Critici a Criticis sunt iudicandi« – historisch-kritisch ar-beitende Exegeten sollten also von ihresgleichen gerichtet wer-den. Der vorliegende Syllabus sei auf eine Weise komponiert,die zu Missverständnissen führe: Die nur ungefähr aus LoisysWerken exzerpierten Propositionen würden absolut und inlehrmäßiger Hinsicht verurteilt, während sie bei Loisy – bei Bei-behaltung des Glaubens – strikt historisch gemeint seien undhypothetisch vorgetragen würden. In einer Fußnote versetzteLepidi Pie de Langogne den Seitenhieb, dass man sich im vor-liegenden Falle nicht auf den Syllabus Pius’ IX. berufen könne,weil dieser ja nur bereits publizierte päpstliche Lehrmeinungenzusammengefasst habe. Der mittlerweile als Vorsitzender derBibelkommission de facto abgelöste Franziskaner Fleming for-derte, die Zahl der Propositionen möglichst noch zu verringernund etwa die Punkte zu Inspiration und Irrtumslosigkeit der Bi-bel unter Verweis auf die Enzyklika »Providentissimus« weg-zulassen. Die grundsätzliche Kritik der Konsultoren wie auch

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die Feinkorrekturen an den einzelnen Propositionen wurdenwiederum in gedruckter Form den Kardinälen vorgelegt. Einewichtige Rolle spielte hier der Assessor des Sanctum OfficiumGiovanni Battista Lugari, dem jeweils die Zusammenfassungder Diskussion und die Erstellung neuer Entscheidungsvorlagenoblag und der eher der Seite Pie de Langognes zuneigte. LepidisEinwände fanden bei der anschließenden neuen Diskussion derKardinäle kein Gehör, kleinere Korrekturen wurden eingearbei-tet und das Ergebnis als »Propositiones damnandae« gedruckt.Die Kardinäle der Inquisition betrauten dann noch einen grei-sen Theologen aus ihrer Mitte, den Jesuiten Steinhuber, mit ei-ner weiteren, letzten Bearbeitung des Syllabus. Steinhuber steu-erte nicht nur die Einleitung des Dekrets »Lamentabili« bei,sondern strich auch noch einige Propositionen. Am 3. Juli1907 bestätigten die Kardinäle die Arbeit Steinhubers, am Tagdarauf auch der Papst. Das Dekret »Lamentabili« war damit –bis auf wenige latinistische Korrekturen – fertig.

Inhaltliche Abmilderung

Schauen wir noch ein wenig auf die inhaltliche Seite dieserDiskussion. »Lamentabili« ist zwar keineswegs vom instransi-genten zum liberalen Dokument umgearbeitet worden – daszeigt etwa die Tatsache, dass die Formulierung der einschrän-kungslosen Irrtumsfreiheit der ganzen Heiligen Schrift und allihrer Teile ohne jede Diskussion durchging. Dennoch hat diejahrelange Beratung im Sanctum Officium zu mancherlei Ab-milderungen und Schlupflöchern für historisches Arbeiten ge-führt. Zwei Beispiele:

Die Proposition 18 des Elenchus unicus lautete ursprüng-lich: »Die Erzählungen des Johannesevangeliums sind nichtGeschichte, sondern mystische Betrachtung des Evangeliums;seine Reden sind theologische Betrachtungen über das Heils-

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geheimnis.« Diese Ansicht wurde verurteilt. Auf LepidisWunsch wurde hier ein zweifaches »tantum«, also »nur« einge-fügt, das im Umkehrschluss zumindest nicht mehr ausschloss,dass sich mystische und theologische Betrachtungen bei Jo-hannes finden. Also: Das Evangelium ist nicht nur mystischeBetrachtung des Heilsgeheimnisses, aber es ist es doch auch –und damit auch nicht bloße Historie. Die Kardinäle der Inqui-sition formulierten später die Proposition noch um, wahrtendabei aber die Sinnspitze gegen den völligen Ausschluss his-torischer Wahrheit und des mystischen Charakters zugleich.

Eine ähnliche Lösung fand man auch für den Satz desElenchus unicus, dass die römische Kirche nicht nach demWillen Christi, sondern aus politischen Umständen herauszum Haupt aller Kirchen gemacht worden sei. Der Dominika-ner Giovanni Lottini wollte hier vorsichtiger formulieren undnicht Christus selbst, sondern nur das göttliche Recht im all-gemeinen bemühen. Er sprach deshalb nur von der Einsetzungaus göttlicher Vollmacht beziehungsweise durch eine göttlicheeingesetzte Gewalt, also etwa den Apostelfürsten Petrus. Au-ßerdem ergänzte er das kleine Wörtchen »mere« (»bloß«), sodass nur die Behauptung verurteilt wäre, die römische Kirchesei ausschließlich aus politischen Gründen aufgestiegen. DreiKonsultoren, unter ihnen van Rossum, wollten den Primatder römischen Kirche aber weiterhin direkt auf Christus zu-rückführen. Lepidi wollte die Proposition natürlich streichen,weil sie zweideutig sei: Man könne nämlich nicht bestreiten,dass die historisch-politischen Rahmenbedingungen in dieserSache eine Rolle gespielt hätten. Wenn das (primatiale) Lehr-amt der Kirche in der Proposition gemeint sei, sei sie zu ver-urteilen, wenn es aber nur um die Cathedra, also den römi-schen Stuhl, gehe, dann sei es nicht so. Die Kardinäle wähltenhier die mittlere Lösung und bewiesen historisches Verständ-nis, indem sie der Lösung Lottinis folgten und neutral vongöttlicher Anordnung und »bloß politischen Umständen«

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sprachen. Steinhubers Endredaktion brachte dann noch dieNuance an, dass die römische Kirche durch Anordnung dergöttlichen Vorsehung zum Haupt der Kirchen geworden sei.

Die Endredaktion des Dokumentes lag in der Hand des grei-sen Kardinals Steinhuber SJ, der wenig später verstarb. Steinhu-ber war ein gewiegter Neuscholastiker und nicht unbedingt fürtheologische Liberalität bekannt. Er drückte »Lamentabili« den-noch einen spezifischen Stempel auf. Seine Einleitung evoziertedie Bedrohung des Glaubens durch nicht wenige Exegeten, diedie von der Kirche gesetzten Grenzen überschritten und zumaldem schädlichen Gedanken des Dogmenfortschritts huldigten.Interessanterweise vermied Steinhuber aber den häresiologischenBegriff des »Modernismus«, der im »Osservatore Romano«schon 1903 bei der Indizierung Loisys gebraucht worden warund wenig später in der Enzyklika »Pascendi« zum Systembegrifferweitert werden sollte. In seiner konkreten Redaktionsarbeitzeigte er übrigens durchaus historisches Bewusstsein. Souveränstrich er zwei dogmengeschichtliche Aussagen der »Propositionesdamnandae«: Sie betrafen die Feststellung, dass man in der Trini-tätstheologie lange zwischen Modalismus und Subordinatianis-mus geschwankt habe (Prop. 65), genau wie in der Christologieder Mittelweg zwischen Nestorianismus und des Monophysitis-mus nicht leicht gefunden worden sei (Prop. 66). Für die Zeitder Alten Kirche wich Steinhuber – wohl vor dem Hintergrundseines historischen Wissens – also zumindest in konkreten Fällender Verurteilung der Dogmenentwicklung aus, die er zuvor sostrikt gefordert hatte.

»Lamentabili« – ein antimodernistisches Dokument?

Die Entstehungsgeschichte des Dekrets zeigt deutlich, dass esursprünglich initiiert wurde, um die katholische Kirche vor ei-ner vermeintlichen rationalistischen Gesamtbedrohung zu

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

schützen. Letztlich blieb das Interesse aber merkwürdig aufFrankreich beschränkt. Loisy und seine angebliche »Schule«der Exegese sind im Blick, der Dogmenhermeneutik Le Royswird nur eine Proposition gewidmet, der Name des zweiten gro-ßen »Modernisten« George Tyrrell taucht im ganzen Verfahrennicht ein einziges Mal auf. Loisy ist der alleinige Mittler anderenmodernistischen Gedankengutes, insofern es in »Lamentabili«vorkommt. Das Ziel des Dekrets war es vor allem, Loisy zu stop-pen und eine bestimmte Diskussion in Frankreich zu unterbin-den. Über den theologischen Sicherheitsgrad der Lehren, mitdenen dies bewerkstelligt wurde, war man sich selbst imSanctum Officium nicht ganz im Klaren. Der Verzicht auf dieQualifikation der Propositionen, die Opposition Lepidis undanderer, die Verzögerung des Gesamtprojekts belegen dies. DieArt der Abmilderung des Syllabus legt vielmehr nahe, dass mansich nicht auf eine konsequente Lösung für das Problem vonDogma und Geschichte einigen konnte (was von der Sache herwenig überraschend ist). »Lamentabili« blieb natürlich weit da-von entfernt, ein »liberales« Dokument zu sein. Doch trägt seineGenese in gewisser Weise die Geschichte seiner späteren Über-windung schon in sich. »Lamentabili« entpuppt sich auch nachden internen Diskussionen als eine »Notmaßnahme«, die späterzurecht nicht in jeder Hinsicht als letztes Wort des Lehramtesbetrachtet wurde. Die Antimodernisten um Pius X., hier vor al-lem Merry del Val und Vives y Tutó (und Pie de Langogne mitihm), hatten nach den Erfahrungen mit »Lamentabili« wohl er-kennen müssen, dass die Verfahrensordnung von Index und In-quisition und das theologische Langzeitgedächtnis dieser Insti-tutionen aufs Ganze gesehen die Verurteilung einer neuenGesamthäresie, des »Modernismus«, behindern würde. Von derVorbereitung »Pascendis« finden sich denn auch keinerlei Spu-ren im Sanctum Officium.

Aufgrund dieser internen Aktenlage muss man GabrielDaly zustimmen, der bereits 1980 konstatierte: »Lamentabili

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Das Heilige Offizium und das Dekret »Lamentabili« (1903–1907)

war ein bemerkenswert ungeeignetes Instrument zur Erfüllungder Zwecke, die Papst und Kurie eigentlich anstrebten [näm-lich den »Modernismus« auf breiter Front zu verurteilen].Nachdem sich der Rauch der Explosion verzogen und sichder Schutt gesetzt hatte, war nur Loisy direkt getroffen wor-den.«2 Dies und auch die offenkundigen Überschneidungender Ausführungsbestimmungen zum Inquisitions-Dekret »La-mentabili« vom Juli 1907 mit dem disziplinären Teil der Enzy-klika »Pascendi« von September 1907 lassen es deshalb als sehrwahrscheinlich erscheinen, dass die beiden Dokumente nichteinfach auf einer Linie lagen, sondern dass das zweite zumin-dest teilweise aus der Unzufriedenheit mit dem ersten er-wuchs. Anders formuliert: »Pascendi« ist das umfassend anti-modernistische Projekt, das sich im Sanctum Officium nichtverwirklichen ließ.

5.2 Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis«Pius’ X. (1907)

Die Enzyklika »Pascendi« stellte insofern ein theologie-geschichtliches Novum dar, als hier vom Lehramt selbst eineneue Gesamthäresie, der »Modernismus« eben, erst »entdeckt«und in ihrem inneren strukturellen Zusammenhang dargelegtwurde. In ihrem lehrhaften Hauptteil beschrieb die Enzyklikaden »Modernismus« als Sammelbecken aller Häresien und ty-pisierte den Modernisten in sieben Rollen: als Philosophen,der nur im Rahmen der Immanenz, also innerweltlich, denkt;als Gläubigen, der sich nur auf die subjektive religiöse Erfah-rung stützt; als Theologen, der deshalb das Dogma nur sym-bolistisch verstehen kann; als Historiker und Bibelkritiker, derdie göttliche Offenbarung durch Anwendung der historisch-

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2 Daly, Transcendence, 194.

Antimodernismus und kirchliches Lehramt

kritischen Methode in innerweltliche Entwicklungsprozesseauflöst; als Apologeten, der die christliche Wahrheit nur vomStandpunkt der Immanenz her rechtfertigt; und schließlichals Reformer, der die Kirche grundstürzend verändern will.Agnostizismus, Immanentismus, Evolutionismus und Refor-mismus sind damit die Stichworte, die das philosophisch-theologische System des »Modernismus« kennzeichnen. DerModernist leiste Widerstand gegen die hergebrachte Schul-theologie und das kirchliche Lehramt, seine moralischenKennzeichen seien falsche intellektuelle Neugier, Hochmut,Ignoranz und Täuschungsabsicht. Dies beweise unter anderemdie Tatsache, dass kein Modernist das ganze modernistischeSystem offen vertrete, sondern immer nur einzelne Lehren da-raus. In einem disziplinarischen Schlussteil traf die Enzyklikaganz praktische Maßnahmen zur Einschärfung der scholasti-schen Philosophie und Theologie, zur Maßregelung verdächti-ger Dozenten und Priesteramtskandidaten, zur Buchzensurund zur Schaffung antimodernistischer Kontrollgremien inden einzelnen Diözesen.

Pius X. als Antimodernist

Die Akten zur Enzyklika »Pascendi« eröffnet ein anderthalbsei-tiger, handschriftlicher Entwurf Pius’ X. Der Papst entwirft eindramatisches Bild in biblischer und modern-militärischer Me-taphorik: Der Feind des Menschengeschlechts (also der Satan)schlafe nie, sondern ändere je nach dem Lauf der Zeiten tak-tisch geschickt seine Sprache; immer bereit zum Kampfe,bringe er, selbst wenn die Wahrheit ihn verfolge, seine Batte-rien stets neu in Stellung. Deshalb könne man sich nie in fal-scher Sicherheit wiegen, ohne die biblische Verurteilung derfalschen Propheten auf sich zu ziehen, die den Frieden verkün-deten, wo kein Friede sei, und den Sieg dort, wo alles zur

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Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« Pius’ X. (1907)

Schlacht rufe. Und deshalb sei es zu allen Zeiten, und beson-ders heute, wo die große Verschwörung gegen den Herrn JesusChristus, gegen seine übernatürliche Religion, gegen seine Kir-che und sein Priestertum durch die falschen Lehrer, die dieFinsternis Licht nennen und das Licht Finsternis, zum Höhe-punkt gelangt sei, nötig – was nötig ist, das verrät Pius X. nichtmehr, denn er ist vor Erregung aus der Konstruktion gefallenund bietet nur noch den abschließenden Satz, dass nun dieZeit zum Reden gekommen sei.

Die Emotionalität des Papstes beweist, wie stark auch ihndas Schreckensszenario ergriffen hatte, das Antimodernisten inseiner Umgebung beschworen. Obwohl der Redakteur von»Pascendi«, der für die wichtigeren lateinischen Schreiben(»Epistulae ad Principes«) zuständige Sekretär Vincenzo Sardi,nur einige Wortgruppen aus dem Entwurf des Papstes in dieEinleitung der Enzyklika einbauen konnte, war Pius X. dochnicht bloßer Rezipient antimodernistischer Einflüsterungen,wie man früher zuweilen angenommen hat. Die Korrespon-denz in seinem nun archivarisch bestens erschlossenen Privat-sekretariat beweist, welch beeindruckendes Arbeitspensum derSarto-Papst Tag für Tag am Schreibtisch absolvierte und wie ermit seiner bezwingenden wie religiös beeindruckenden Per-sönlichkeit die Fäden selbst in der Hand zu behalten verstand.Der Papst entwarf selbst handschriftlich die Antworten aufeine Unzahl von Anfragen; sein Sekretär Gianbattista Bressanfertigte sie dann allerdings oft aus, was ihm nach außen dieAura besonderen Einflusses auf den Papst verlieh.

Der persönlich schlichte und tieffromme »konservative Re-formpapst« (Roger Aubert) machte sich getreu seinem Wahl-spruch daran, »alles in Christus zu erneuern« (Omnia instau-rare in Christo; Eph 1,10): Reform der Priesterausbildung, derLiturgie, der Kirchenmusik, des Kirchenrechts und nicht zuletztder römischen Kurie standen auf dem Programm. Die Kirchesollte durch stärkere innere Reglementierung und Effizienz ge-

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

wissermaßen »fit« für die Herausforderungen der (feindlichen)Moderne gemacht werden. Dazu gehörte auch die Stärkung derhergebrachten Schultheologie, die als Instrument der Wahrungder Tradition und der Identität der Kirche verstanden wurde.Die neueren Strömungen in Theologie und Philosophie, wiePius X. sie unter anderem im Fall Loisy erlebte, lehnte er deswe-gen instinktiv ab; sein Maßstab war der Glaube des einfachenVolkes. Der reformkatholische Roman »Il Santo« von AntonioFogazzaro wurde 1906 auf seinen persönlichen Wunsch hin in-diziert. Tendenziell unabhängiger gesellschaftlicher Laientätig-keit wie in der christdemokratischen Azione popolare des (an-sonsten neuscholastisch denkenden) italienischen PriestersRomolo Murri oder der sozialkatholischen Bewegung derOpera dei Congressi stand der Papst, der an hierarchische Kon-trolle glaubte und von Demokratie wenig hielt, ebenfalls kritischgegenüber. Damit waren die Grundlagen für eine integralisti-sche Agenda gelegt. Pius scheute sich später auch nicht, die an-timodernistische Geheimorganisation des Prälaten UmbertoBenigni mitzufinanzieren und zu belobigen (s.u. 5.5). Die Anre-gung für die Enzyklika »Pascendi« und die Decouvrierung des»Modernismus« bekam der antimodernistisch disponiertePapst aber dennoch von »außen«.

Albert Maria Weiß als Anreger von »Pascendi«

Die große Antimodernismus-Enzyklika Pius’ X. unterscheidetsich schon von ihrer Entstehung her von dem mühsam aus-gefeilten Dekret »Lamentabili«. Sie ist relativ schnell in einemkleinen Beraterkreis um den Papst entworfen worden. Es warein konservativer katholischer Intellektueller aus Deutschland,der Pius X. im Frühjahr 1907 die Augen dafür öffnete, was ei-gentlich im Kampf gegen die Neuerer in der Kirche zu tun sei.Pius X. bekam damals folgende Gedanken des Dominikaners

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Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« Pius’ X. (1907)

Albert Maria Weiß OP zu Gesicht: »Zunächst ist die Häresie,die nun die Geister zu beherrschen bedroht, keine Häresie,wie es die alten Häresien waren, also eine Ansammlung einigerPropositionen, sondern sie ist ein Kompendium, mehr nochder Extrakt und der Geist aller Häresien, quasi das letzteWort von all dem, was die einzelnen Häresien bis jetzt durchihre eigenen Irrtümer als letztes Ziel erstrebten.«3 Deshalb rei-che es nicht mehr aus, einzelne Irrtümer festzuhalten, sondernman müsse den allgemeinen Geist und den Habitus benennen,aus dem all das hervorkomme. Das sei aber sehr schwierig,weil die modernen Ideen aus sich heraus zwiespältig seienund weil ihre Vertreter sie absichtlich einnebelten. Die neueHäresie des »Modernismus« greife darüber hinaus die Fun-damente des Glaubens und der Theologie selbst an, und soweitseien nicht einmal der Protestantismus und dessen Anhängerinnerhalb (!) und außerhalb der Kirche gegangen. In vierzehnweiteren Punkten entwarf Weiß daraufhin eine Gesamtsichtdes »Modernismus« und benannte seinen historischen Positi-vismus und Relativismus in der Exegese und Patristik, derjede übernatürliche Offenbarung zunichte mache, seinen dog-matischen Minimalismus, seine Gegnerschaft zur scholasti-schen Philosophie, seine zersetzende Wirkung auf die Aszesein den Seminarien und Klöstern. Weiß verlangte abschließendeine theoretische und praktische Abwehr, und man erkenntunschwer schon hier Kerngedanken der Enzyklika »Pascendi«,die gut sieben Monate später erschien.

Pius X. hatte sich zwar schon länger mit dem Gedankeneiner Verurteilung der gefährlichen neuen Ideen in Exegeseund Religionsphilosophie befasst, und die Gefahr der »novità«wurde bereits 1906 auch von Mitgliedern des italienischenEpiskopats beschworen. Der Weg, den die römische Kurie un-ter ihm bisher dazu beschritten hatte, war aber ein traditionel-

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3 Zit. nach Arnold, Absage, 207.

Antimodernismus und kirchliches Lehramt

ler: Indizierung Loisys und anderer Reformtheologen sowieErstellung eines Syllabus mit Irrtümern. Im Januar 1907 warenes aber bereits geschlagene drei Jahre, dass man im SanctumOfficium an dem späteren Dekret »Lamentabili« arbeitete.Dieses erschien endlich im Juli 1907, sprach aber, wie oben ge-zeigt, nicht explizit vom »Modernismus« als neuer Gesamt-häresie. Pius X. war ein ungeduldiger Papst, der Ergebnisse se-hen wollte, und man wird in der Annahme nicht fehlgehen,dass ihm Pater Weiß schon vorher die Augen dafür geöffnethatte, was eigentlich not tat: die erstmalige Offenlegung eineshäretischen Systems durch das Lehramt selbst und effektiveKontrollmaßnahmen.

Die eklatante Bedeutung des Exposés von P. Weiß läßtsich auch direkt belegen: Am 17. April 1907 hielt Pius X. eineKonsistorial-Ansprache »gegen den religiösen Neo-Reformis-mus«, die der jüngst verstorbene Nestor der italienischen Mo-dernismusforschung, Lorenzo Bedeschi, »eine erste theoreti-sche Skizze des Antimodernismus« genannt hat. In dieserAnsprache an die Kardinäle übernahm Pius X. direkt Formu-lierungen aus dem Exposé von Weiß, unter anderem: Die»modernen Häretiker« verbreiteten nicht einfach eine Häresie,sondern »die Zusammenfassung und das Gift aus allen bishe-rigen Häresien«. Sie beschränkten die Inspiration der Hl.Schrift auf dogmatische Gegenstände und unterschieden sienicht von der poetischen Inspiration »eines Aischylos oderHomer«. Sie relativierten die Tradition und unterhöhlten dieAutorität der Kirche. Die Enzyklika »Pascendi« war dann dieAusarbeitung dieser ersten »Skizze«; sie erschien im September1907 und überbot bewusst das Dekret »Lamentabili«, wie manin den offiziösen Fußnoten in den »Acta Sanctae Sedis« zugab.Nicht mehr das alte scholastische Verfahren des Herausschä-lens von zu verurteilenden Propositionen, sondern die Enttar-nung einer falschen modernen Weltanschauung wurde hier ge-boten.

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Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« Pius’ X. (1907)

Weiß – der Erfinder der Gesamthäresie der Moderne

Blicken wir noch ein wenig auf den Mann, der einen entschei-denden Anstoß zur Enzyklika »Pascendi« gegeben hat. AlbertMaria Weiß war nicht einfachhin ein typischer Vertreter desDominikanerordens, der seit über achthundert Jahren nebenschöpferischen Theologen auch Wächter der Orthodoxie her-vorgebracht hat, sondern vielmehr ein antimodern-moderner»Gegenintellektueller«. Weiß verfocht nicht einen naiven Kon-servatismus, sondern verstand sich als bewusster Erneuerer deskatholischen Antiliberalismus und Ultramontanismus ausdem 19. Jahrhundert. Sein biographisches Schlüsselerlebniswar die Nachfolge und dann die bewusste Distanzierung vonseinem Münchener Lehrer Ignaz von Döllinger, bei dem er alsbayerischer Priesteramtskandidat studiert hatte. Das SchicksalDöllingers, der wegen seiner historisch-theologisch motivier-ten Gegnerschaft zur Unfehlbarkeitsdefinition des I. Vati-canums exkommuniziert wurde, blieb Weiß ein warnendesBeispiel, und er meinte damit selbst in die Abgründe des Libe-ralismus geschaut zu haben. Er bewahrte sich deshalb einefeine Witterung für alle Tendenzen der innerkatholischen Plu-ralisierung, für Historismus und Subjektivismus. Obwohl ihmseine Position als Freisinger Seminarprofessor Freiräume bot,wählte Weiß dann den Dominikanerorden als transnationalegeistige Heimat, deren erneuerter Thomismus ihn anzog. Indiesem Orden führte Weiß nun keineswegs eine anonyme Or-densexistenz, die sich selbstverleugnend in das große Ganzeeinordnete. Eine gewisse Flamboyanz kennzeichnete vielmehrsein ganzes Wirken; er selbst stilisierte sich zu einem moder-nen Propheten, zu einem zweiten Jeremias und Eliasjünger.

Auch Weiß’ sozial- und kirchenpolitisches Engagement er-folgte aus intellektueller Überzeugung. In schöpferischer Auf-nahme der alten jesuitisch-dominikanischen Kontroverse umdie Zuordnung von Natur und Übernatur arbeitete er scharf

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den Vorrang des übernatürlichen Zieles heraus und entwickeltedaraus eine tendenziell autoritäre Ekklesiologie und Gesell-schaftslehre: »Wenn aber alles auf das übernatürliche Ziel derübernatürlichen Ordnung bezogen werden soll, dann mussjene Anstalt, in der die übernatürliche Ordnung nach ChristiGesetz verkörpert ist, […] dann muss die Kirche, muss dasPapsttum ein Recht haben, zu überwachen und zu beurteilen,was der Erreichung des übernatürlichen Zieles dienlich undwas hinderlich ist.«4 Darin war für Weiß der Sinn des Ultramon-tanismus zusammengefasst, und seine größte Sorge war, dassviele Katholiken um 1900 nicht mehr ultramontan sein wollten.Das war für ihn die »religiöse Gefahr«: »In religiösen Kreisenund Zeiten, besser gesagt dort, wo die Dogmatik die Herrschafthat, da sind die Katholiken ultramontan oder kirchlich gesinntohne alle weitere Rücksicht. Wo die Politik die Oberhoheit ge-winnt, in Zeiten, da man alles Gewicht darauf legt, die Welt zuverstehen und mit der Welt in Frieden zu leben, da siegt der Op-portunismus auf Kosten des Friedens und der Einheit unter denKatholiken.«5 Weiß kannte dabei den Gegner. In seinem Buch»Die religiöse Gefahr« von 1904 ordnete er den Reformkatholi-zismus in die modern-religiösen Zeitströmungen ein. Sein wei-ter, überkonfessioneller und internationaler Blick ist dabei inmancher Hinsicht umfassender als manche heutige Darstellungdes »Modernismus« und lohnt deshalb immer noch die Lektü-re. Weiß setzte gegen die modernen Gefahren auf konservativeIdentitätssicherung, auf klare Innen-Außen-Unterscheidungen,auf eine eindeutige Positionierung des Katholizismus, nämlichals Antiliberalismus und Antimodernismus. Nicht die individu-elle Persönlichkeit war im Kontext der Moderne primär zu ret-ten, sondern die seelenrettende Autorität der Kirche zu bewah-

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4 Albert Maria Weiß, Lebensweg und Lebenswerk. Ein modernes Prophetenle-ben, Freiburg i. Br. 1925, 125f.5 Ebd. 126.

Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« Pius’ X. (1907)

ren. Dabei richtete sich Weiß’ Zeitkritik auch auf die blindenFlecken in der Wahrnehmung liberalkatholischer Geister: Na-tionalismus, Herrenmenschentum und die antijudaistische Ten-denz der protestantischen und reformerischen Kritik an der»Gesetzeskirche« wurden von ihm diagnostiziert, aber zu plaka-tiv angeprangert, als dass eine tatsächliche Nachdenklichkeit beiden Betroffenen erreicht werden konnte. So setzte er sich schon1897 kritisch mit der obskuren französischen reformkatho-lischen Schrift des »Rosenkreuzlers« Sar Péladan auseinander,die die Kirche von der »unseligen semitischen Schnur« ab-schneiden wollte. Weiß explizierte empört die Konsequenz einessolchen Ansatzes: »Ohne Antisemitismus bis aufs Messer keinKatholizismus der Zukunft!« Im übrigen huldigte aber auchWeiß einem katholisch-antikapitalistischen (nicht rassisti-schen!) Antisemitismus, der Teil seiner konservativen Visionwar, die »soziale Frage« durch die Rückkehr zu einer mittelalter-lich-ständischen Gesellschaftsidylle zu lösen.

Allen Bemühungen um konfessionelle Annäherung –nicht nur im theologischen, sondern auch im gesellschaftlich-politischen Bereich – stellte Weiß seinen radikalen Antiprotes-tantismus entgegen: Das ursprüngliche Luthertum, das er vomspäteren staatskirchlichen protestantischen »Byzantinismus«schied, war für ihn der Vater des modernen subjektiven Geis-tes. Als Fortsetzer seines plötzlich verstorbenen Ordensbrudersund Vorbildes Heinrich Suso Denifle suchte er »Luther unddas Luthertum in seiner frühesten Entwicklung« (Bd. 2, 1909)historisch zu desavouieren. Reformation und Gegenreforma-tion bildeten die historische Folie, auf der Weiß auch seine Ge-genwart verstand, übrigens auch in seinem Modernismus-Me-morandum für Pius X. Und dies ist nicht nur eine isolierteFrage der historisch motivierten persönlichen Identitätsbil-dung von Weiß allein: Bei der Suche nach strukturell verwand-ten Typen intransigenter Intellektualität wird man neben demUltramontanismus des 19. Jahrhunderts wohl erst wieder im

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16. Jahrhundert bei den humanistisch gebildeten Kontroversis-ten und Ketzerjägern vom Schlage eines Johannes Eck, einesAmbrosius Catharinus oder eines Alphons von Castro fündigwerden.

Im Kontext des deutschen Katholizismus wurde Weiß’Position als dysfunktional für die eigene gesellschaftliche Posi-tionierung empfunden und Weiß’ Warnungen vor der »religiö-sen Gefahr« mit Spott überzogen. Hinter Weiß standen wederder deutsche Episkopat noch der deutsche Katholizismus poli-tischer und verbandlicher Art; neben dem Wohlwollen Pius’ X.stand hinter ihm aber die Medienmacht des Herder-Verlags.Nicht als kirchlicher Funktionär, sondern als theologischer Au-tor trat Weiß seinen Kampf an: Bei Herder wurden fast allseine zahlreichen Werke aufgelegt, die Apologie des Christen-tums in fünf Bänden viermal, die noch populäreren Werke»Die Kunst zu leben« und »Lebensweisheit in der Tasche« er-reichten Auflagen über 30.000 Exemplaren. Hier erschienenauch sein autobiographischer Rückblick »Lebensweg und Le-benswerk. Ein modernes Prophetenleben« und die »Lebens-und Gewissensfragen der Gegenwart«, die aus seinen monatli-chen zeitkritischen Beiträgen in der Linzer »Theologisch-prak-tischen Quartalschrift« hervorgingen. Der Rückblick »Lebens-arbeit gegen den Liberalismus« von 1914 musste allerdings imhochkonservativen Trierer Petrus-Verlag erscheinen, da Weißauf dem Höhepunkt des Gewerkschaftsstreits in Deutschlandselbst für Herder als Autor nicht mehr tragbar war. Es bliebdann freilich bei dieser Ausnahme. Noch in der fünften Auf-lage des Herderschen Staatslexikons von 1932 ist Weiß auf ei-nem Schmuckblatt mit Portrait und großen Worten aus seinerFeder verewigt.

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Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« Pius’ X. (1907)

Joseph Lémius – der geistige Vater des lehrhaften Teilsvon »Pascendi«

Abgesehen von der bisher unbekannten Anreger-Rolle des P.Weiß hatte die Forschung schon länger vermutet, dass in »Pas-cendi« im wesentlichen zwei Vorlagen unterschiedlicher Auto-ren, ein lehrhafter und ein praktischer Teil, zusammengefügtworden sind. Als Autor des lehrhaften Teiles nannte man seit1946 mit einiger Sicherheit den römischen Prokurator derOblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria, P. Joseph Lémius.Der Franzose Lémius beschäftigte sich schon länger mit denSchriften seines Landsmannes Alfred Loisy und suchte in ih-nen ein häretisches System zu entdecken. Dies war in derkirchlichen Öffentlichkeit Roms bekannt, weil er auch Vor-träge zu diesem Thema hielt. Gabriel Daly entdeckte Ende der1970er Jahre im Nachlass von Lémius ein 62seitiges italie-nisches Typoskript, das große Ähnlichkeit, allerdings keinewörtliche Übereinstimmung mit dem lehrhaften Teil von »Pas-cendi« aufwies. In den neu entdeckten Akten zu »Pascendi«findet sich nun eine ausführliche, fünfseitige italienische Glie-derung dieses Typoskripts von der Hand Lémius’. VincenzoSardi, der Sekretär der »Epistulae ad Principes« und Redakteurvon »Pascendi«, hat anscheinend diese Gliederung für seinenlateinischen Text benutzt und sie stellenweise mit dem Mate-rial von Weiß und aus einer anderen, kürzeren Zusammenstel-lung von modernistischen Propositionen angereichert. Dieseanonyme Zusammenstellung betonte, dass mit dem »Moder-nismus« nun die intellektuellen und sozialen Irrtümer des 19.Jahrhunderts, z. B. Kantianismus und Liberalismus, im Schoßeder Kirche angekommen seien und ohne Eingreifen zu einerReligion ohne Dogmen und einer Gesellschaft ohne Gott füh-ren würden. Der Grundgedanke von den sieben Rollen desModernisten und ihre inhaltliche Füllung stammte aber we-sentlich von Lémius, wobei dieser die ersten drei Rollen, den

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Philosophen, den Gläubigen und den Theologen, in einemPunkt gemeinsam behandelte. Lémius’ Gliederung trägt diebedeutsame Überschrift: »Zusammenfassung des Systems derModernisten, genauerhin von Loisy«. Der lehrhafte Teil von»Pascendi« setzte sich also eigentlich nur mit Loisy auseinan-der. Ähnlich wie schon bei »Lamentabili« war der andere großeErzmodernist George Tyrrell nur indirekt im Blick.

Über Lémius selbst wussten wir bisher nicht allzu viel. Erhatte im Scholastikat seines Ordens gelehrt, war Mitglied derAccademia S. Tommaso in Rom und seit 1894 Konsultor derStudienkongregation. Er erschien als ein typischer Neuscholas-tiker, dem Gabriel Daly sogar eine ehrliche antimodernistischeEntrüstung in relativ gemäßigtem Tone zubilligte. Die Aktendes Privatsekretariats von Pius X. werfen nun allerdings einhärteres, integralistisches Licht auf den Hauptverfasser von»Pascendi«, wie wir unten im Kontext des Falles Maurras se-hen werden.

Kardinal Vives y Tuto und der disziplinäre Teil von»Pascendi«

Hinter dem praktischen Teil der Enzyklika, der ein striktes an-timodernistisches Überwachungssystem anordnete, hat manals Autor seit längerem den spanischen beziehungsweise kata-lanischen Kapuziner und Kurienkardinal José Calasanz Vives yTuto vermutet. Vives y Tuto hatte in Lateinamerika undFrankreich als Ordensmann diverse Vertreibungen erlebenmüssen und war entsprechend antiliberal geprägt. Sein kuria-ler Aufstieg begann unter Leo XIII., wo er unter anderem fürdie Nichtigkeit der anglikanischen Weihen eintrat, und voll-endete sich unter Pius X., der ihn mehr als jeden anderen Kar-dinal schätzte. Wegen seiner vielseitigen Aufgaben unter die-sem Papst gab man ihm den Spitznamen: Vives fa tutto

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Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« Pius’ X. (1907)

(Vives macht alles); er selbst scherzte darüber auf dem Sterbe-bett: Vives è tutto (Vives ist alle). Bemerkenswert für die anti-modernistische Vernetzung ist, dass Vives bereits im Frühsom-mer 1907 in Kontakt mit Albert Maria Weiß wegen einergeplanten italienischen Übersetzung von dessen Buch »Die re-ligiöse Gefahr« stand, die allerdings im Gegensatz zur spa-nischen und französischen nicht zustande kam.

Die 35 Seiten umfassende, in italienisch abgefasste Vor-lage für den zweiten Teil der Enzyklika stammt tatsächlichvon der Hand des Kardinals. Die Vorlage wurde in ihrer Sub-stanz in die Enzyklika übernommen, allerdings stilistisch starkaufgebessert – wahrscheinlich von Vincenzo Sardi. Vives’ Ela-borat bietet zum einen die konkreten disziplinären Maßnah-men gegen den »Modernismus«, zum anderen lieferte er durchein Florileg päpstlicher Maßnahmen gewissermaßen den Tra-ditionsbeweis für die antimodernistische Aktion. Dazu ginger bis in die Zeiten der späten Gegenreformation, nämlich zuden pro-scholastischen Maßnahmen Sixtus’ V. in der Bulle»Triumphantis« von 1588, zurück, setzte den Schwerpunktfreilich bei den intransigenten Päpsten des 19. Jahrhunderts,bei Gregor XVI. und Pius IX., und versuchte vor allem, denPontifikat Leos XIII. ausschließlich antiliberal zu deuten. Diekirchenhistorische Forschung hat schon länger bemerkt, dassPius X. wieder zur theologisch-kirchenpolitischen AgendaPius’ IX. zurückgekehrt ist. Vives y Tuto stellte diesen Wandelals Kontinuität dar, indem er einseitig die pro-scholastischenund antireformerischen Maßnahmen Leos XIII. betonte unddessen Bemühen um Wissenschaftsfreundlichkeit auch denhistorischen Disziplinen gegenüber völlig ausblendete. Auchwenn dieses Florileg nicht ganz übernommen wurde, ergabsich für den Endtext der Enzyklika die Behauptung einer lehr-amtlichen Kontinuität vom Antiliberalismus des 19. zum An-timodernismus des 20. Jahrhunderts.

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Kardinalstaatssekretär Merry del Val und die modernePressearbeit

Als Überraschung muss die eher marginale Rolle gelten, dieder Kardinalstaatssekretär Raffaele Merry del Val bei der Ent-stehung der Enzyklika »Pascendi« spielte. Merry del Val gilt alseiner der führenden Antimodernisten um Pius X. und hat z. B.zielstrebig die Exkommunikation Alfred Loisys und die Sus-pendierung George Tyrrells betrieben. Zudem gibt es dieNachricht, dass Merry del Val durch einen Mitarbeiter denKontakt zu Joseph Lémius hergestellt habe. Merry kümmertesich nach der Aktenlage aber vor allem um die formale Präzi-sion der Enzyklika, um genaue Zitationen und Quellenanga-ben, um korrekte kanonistische Bezeichnungen und um Mil-derung von allzu harten Ausdrücken oder unpraktischendisziplinären Maßnahmen. Vor allem lag Merry aber eine per-fekte, moderne Pressearbeit am Herzen: Mit dem lateinischenOriginal sollte gleichzeitig die italienische und französischeÜbersetzung an die Presse gehen, zusammen mit entsprechen-den Kurzfassungen. Seine ziemlich lapidar vorgebrachten Än-derungsvorschläge betrafen vor allem den auf Vives zurück-gehenden zweiten Teil und lassen damit wenigstens in dieserHinsicht eine implizite Distanzierung erkennen. An einerStelle bat er etwa darum, nicht gegen jede moderne Methode,sondern nur gegen die Methode der Modernisten zu protestie-ren, oder den Ausdruck »mit größter Strenge« durch »mit klu-ger Strenge« zu ersetzen, um »nicht allzu viel Geschrei zu ma-chen«. Im Ganzen zeichnete sich eine sachliche Haltung ab, diespäter tatsächlich mit dem radikalen Antimodernismus kon-trastierte. Umberto Benigni, selbst einmal Mitarbeiter Merrysund Leiter des von Pius X. unterstützten antimodernistischenNachrichten- und Geheimdienstes Sodalitium Pianum (s.u.5.5), fand für ihn 1913 dann auch den Spitznamen »La Peur«(etwa: der Angsthase).

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Die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« Pius’ X. (1907)

5.3 Der Antimodernisteneid

Trotz der umfangreichen disziplinären Maßnahmen, die mit»Pascendi« verbunden waren, sah sich Pius X. zu weiterer anti-modernistischer Repression gezwungen. Er schärfte im No-vember 1907 im Motu proprio »Praestantia Scripturae« denverpflichtenden Charakter der Entscheidungen der Bibelkom-mission ein. Diese steuerte unter ihrem neuen »zweiten Sekre-tär« Laurentius Janssens OSB einen härteren Kurs und stelltebeispielsweise am 30. Juni 1909 ausdrücklich den wörtlich-his-torischen Sinn der Genesis-Erzählungen etwa über die beson-dere Erschaffung des Menschen, die Bildung der ersten Frauaus dem ersten Menschen und die Übertretung des göttlichenGebotes aufgrund der Einflüsterung des Teufels unter der Ge-stalt der Schlange fest. Ähnlich wie die großen Päpste der Ge-genreformation (Paul IV., Pius V.), die im Kampf gegen den»Feind innerhalb der Mauern« nicht zögerten, sogar vermeint-lich »kryptoprotestantische« Kardinäle über die Klinge sprin-gen zu lassen, fürchtete Pius X., dass das Gift der Häresie trotzäußerer Konformität des Klerus im Inneren der Kirche weiter-wirken könnte. So wie Pius IV. 1564 die Essentials des Konzilsvon Trient im verpflichtenden Trienter Glaubensbekenntnis zu-sammenfassen ließ, legte auch Pius X. im Motu proprio »Sa-crorum Antistitum« vom 1. September 1910 dem Klerus densogenannten »Antimodernisteneid« auf. Jeder einzelne solltein den »status confessionis« gezwungen und Abweichler so ent-deckt werden. Der Eid bekräftigte die natürliche Gottes-erkenntnis bis hin zur Beweisbarkeit der Existenz Gottes, woriner über die entsprechenden Aussagen des I. Vaticanums hinaus-ging. Er zementierte die traditionelle »extrinsezistische« Apolo-getik, die den übernatürlichen Charakter des Christentums mitden »äußeren« Beweisen der Wunder Jesu und der Weissagun-gen aus dem Alten Testament darlegen wollte. Er behauptetedie direkte und unmittelbare Einsetzung von Kirche und Hie-

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rarchie durch den geschichtlichen Jesus und lehnte die Lehrevon einer Dogmenentwicklung, in deren Verlauf die Glaubens-lehren ihren Sinn geändert hätten, ab. Er betonte gegen einepsychologistisch-gefühlsmäßige Auffassung des Glaubens dieZustimmung des Verstandes zur Offenbarung als zentrales Mo-ment des Glaubensaktes. Schließlich verpflichtete er auf dieVerurteilungen von »Pascendi« und »Lamentabili« und lehnteinsbesondere die säuberliche Scheidung von Glaube und ge-schichtlicher Forschung ab, die sich in einer rein immanenten,von der kirchlichen Auslegungstradition absehenden Methodeder Exegese und Dogmengeschichte manifestiere.

Die Entstehungs- und vor allem die äußerst aufschlussrei-che Auslegungsgeschichte des Antimodernisteneides innerhalbdes Heiligen Offiziums ist jüngst erstmals von der Münsteri-schen Kirchenhistorikerin Judith Schepers rekonstruiert wor-den6 und soll hier nur angedeutet werden. Der Text des Eidesstammte von den prominenten Loisy-Gegnern und Antimo-dernisten Louis Billot SJ und Willem van Rossum CSsR. Baldwar das Sanctum Officium mit dem Problem der (insgesamtnicht zahlreichen) Eidverweigerer in den einzelnen Diözesenund deren Maßregelung konfrontiert. Billot und van Rossumvertraten intern vehement die Ansicht, der Eid sei ein Glau-bensbekenntnis und seine Verweigerung ziehe die Exkom-munikation nach sich. Die Kardinäle des Sanctum Officiumstellten dagegen ausdrücklich fest, der Eid sei nur eine Gehor-samserklärung gegenüber dem Lehramt. Entsprechend wurdenEidverweigerer nur noch suspendiert beziehungsweise von derSeelsorge ausgeschlossen. Diese dogmatische Depotenzierungeiner antimodernistischen Maßnahme durch das Sanctum Of-ficium lag ganz auf der Linie der früheren internen Diskussio-nen zu »Lamentabili«. Die radikalen Antimodernisten schei-

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6 Vortrag bei der internationalen Modernismustagung in der Villa Vigoni, Co-mer See, 25.–28. Oktober 2006; vgl. Wolf/Schepers (Hg.), Modernismus.

Der Antimodernisteneid

terten auch hier mit ihren Instrumentalisierungsversuchen ander institutionellen Härte der Glaubensbehörde. Die Kardinäledes Sanctum Officium konnten sich dabei auch durch denPapst selbst bestärkt sehen: Pius X. erlaubte den beiden ihmpersönlich unverdächtigen, aber relativ progressiven Theo-logen Giovanni Semeria und Giovanni Genocchi, den Eid mitVorbehalten abzuleisten. Durch die Jahrzehnte haben dannviele Spirituale und Seminarregenten zumal in Deutschlandden Weihekandidaten mit diversen Erläuterungen die Ableis-tung des Eides erleichtert und lagen damit unbewusst auf derLinie des Sanctum Officium. Die Eidesverpflichtung wurdenach dem II. Vaticanum im Jahr 1967 abgeschafft.

5.4 Die Rezeption von »Pascendi« und »SacrorumAntistitum«

Die unmittelbare Aufnahme der Enzyklika »Pascendi« und desAntimodernisteneides war keineswegs einheitlich. Einerseits sahsich die liberale europäische Öffentlichkeit in ihrer Einschätzungder Rückständigkeit der römischen Kirche bestätigt, andererseitsfinden sich im Vatikanischen Geheimarchiv ganze Faszikel mitbischöflichen Gratulationen und laikalen Bekundungen der An-hänglichkeit samt langer Unterschriftenlisten, die den Dank anPius X., den Retter der Kirche vor den modernen Irrtümern,zum Ausdruck bringen sollten. Auch wenn solche Loyalitäts-bekundungen nach päpstlichen Verlautbarungen rituellen Cha-rakter hatten, lässt sich nicht verkennen, dass viele Katholikendie Befürchtungen des Papstes teilten. Bei näherem Hinschauenoffenbart sich jedoch eine komplexere innerkirchliche Rezeptionvon »Pascendi«. In der US-amerikanischen Kirche führte diestrikte Umsetzung der Enzyklika durch die Hierarchie, deren»amerikanistischer« Impetus doch eher kirchenpolitisch alstheologisch motiviert gewesen war, mehr oder weniger zu einer

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

Lähmung des theologisch-intellektuellen Lebens auf Jahrzehntehin. Auch in weiten Teilen Italiens verbreitete sich ein Klimader Denunziation und Angst, das sich im Rahmen der großenVisitation der italienischen Diözesen durch die Konsistorialkon-gregation unter dem antimodernistischen Kardinal Gaetano DeLai noch verstärkte. Hier kam es zu etlichen Absetzungen vonDozenten und sogar Regenten sowie zur Entlassung von Alum-nen. Ein prominentes Exempel dafür ist Angelo Roncalli, derspätere Papst Johannes XXIII. Er wurde 1911 als Seminarprofes-sor für Kirchengeschichte in Bergamo von einem Domkapitularals Propagator der »modernistischen« Geschichte der Alten Kir-che von Louis Duchesne denunziert – und zwar direkt bei Kardi-nal De Lai. Dies hatte zwar keine unmittelbaren Folgen, aber alsRoncalli 1914 als Begleiter des Seminarregens von Bergamo vonDe Lai in Audienz empfangen wurde, sagte ihm der Kardinalganz nebenbei, er solle zukünftig vorsichtiger sein bei der Aus-legung der Heiligen Schrift. Roncalli war sprachlos und erschüt-tert. Nachdem er am Grab des Heiligen Ignatius von Loyola ge-betet hatte, schrieb er noch in Rom an de Lai und legte ihm dar,dass er nicht Exegese, sondern Kirchengeschichte lehre, und diesin ganz kirchlichen Bahnen. De Lai antwortete freundlich, erhabe ihn nicht tadeln oder verstören, sondern ihm nur einenheilsamen Hinweis geben wollen, und verwies nun darauf, dassihm Roncalli als »ergebener Leser« von Duchesne und ähnlichenAutoren bekannt sei. Roncalli erwiderte, er habe in seinem Le-ben nur »15 oder 20 Seiten« des ersten Bandes der »Histoire an-cienne de l’Église« gelesen. Als Beispiel für seine Orthodoxielegte er dem Kardinal seine Abhandlung über den Kardinal Ba-ronius, den Kirchenhistoriker par excellence der Gegenreforma-tion/katholischen Reform (der gleichwohl quellenmäßig arbeite-te), bei. Als Papst ließ sich Roncalli, der immer auch Anteil amSchicksal seines exkommunizierten »modernistischen« römi-schen Studienkollegen Ernesto Buonaiuti genommen hatte, dieBriefwechsel übrigens 1961 vorlegen.

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Die Rezeption von »Pascendi« und »Sacrorum Antistitum«

Die glimpflich verlaufene Roncalli-Anekdote sollte abernicht darüber hinwegtäuschen, dass Kardinal De Lai in Italienund darüber hinaus eine antimodernistische Langzeitwirkungerreichte. Seine Kongregation nahm sich dabei auch heraus,die Arbeit der zuweilen »zu langsamen« Indexkongregationzu »ergänzen«: 1911 verbot sie Duchesnes Geschichte der Al-ten Kirche für den Gebrauch in den italienischen Seminaren(die Indexkongregation zog hier 1912 mit einem Gesamtver-bot nach), 1912 beziehungsweise 1913 traten die »Revue bibli-que« von Marie-Joseph Lagrange und das ins Italienische über-setzte Kirchengeschichtslehrbuch des schon verstorbenenTübinger Theologen Franz Xaver Funk hinzu. Das Verbot vonLagranges Arbeiten wurde auch nicht zurückgezogen, alsPius X. im folgenden Jahr Lagrange zur Wiederaufnahme sei-ner Arbeit an der École biblique in Jerusalem ermunterte.

Im Gegensatz zu vielen ihrer europäisch-nordamerikani-schen Kollegen versuchte die Majorität des deutschen Episko-pats eher, die Effekte von Enzyklika und Eid abzumildern, underlangte dafür angesichts der besonderen konfessionellen undpolitischen Situation in Deutschland letztlich auch die DuldungPius’ X. Schon das im Januar 1908 veröffentlichte Pastoral-schreiben der deutschen Bischöfe an den Klerus stellte die Sys-temlogik von »Pascendi« auf den Kopf, wenn es ausführte:»Wohl dürfen wir uns dessen getrösten, dass das im Rundschrei-ben gezeichnete und gerichtete System von keinem katholischenLaien oder Geistlichen in Deutschland in allen Teilen und bis inseine letzten Konsequenzen vertreten oder verfochten wird.«7

Denn darin bestand ja nach Ansicht der Enzyklika die ganzeTäuschung der »Modernisten«. Die deutschen Bischöfe bliebenaber bei dieser Linie und setzten auch nicht das von »Pascendi«vorgeschriebene spezielle antimodernistische Überwachungs-gremium ein. Dessen Aufgabe wurde den bestehenden General-

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7 Zit. nach Trippen, Theologie, 106.

Antimodernismus und kirchliches Lehramt

vikariaten und Ordinariaten, also der normalen kirchlichenVerwaltung, zugewiesen. Der bischöflichen Mäßigung, dieeventuell auch durch die peinlichen Erfahrungen nach demI. Vaticanum (altkatholisches Schisma) inspiriert war, ent-spricht die relative äußerliche »Ruhe« unter den Theologenund Geistlichen. Zwar wurde der Münchener Dogmenhistori-ker Joseph Schnitzer, der in seinen Vorlesungen den SpurenHarnacks und Loisys folgte, von seinem priesterlichen Amt sus-pendiert, und der Straßburger Kirchenhistoriker Albert Ehr-hard verlor wegen seiner Kritik am wissenschaftsfeindlichenCharakter des disziplinären (nicht des doktrinären) Teils von»Pascendi« seinen Titel als päpstlicher Hausprälat, doch hieltsich die Zahl der »Fälle« (etwa des Dogmenhistorikers HugoKoch oder des Exegeten Thaddäus Engert) insgesamt in Gren-zen. Der Antimodernisteneid löste zwar einen »AkademischenKulturkampf« aus – die »geschworenen« katholischen Theo-logen sollten inneruniversitär nicht mehr als wissenschaftlicheKollegen anerkannt werden, einzelne deutsche Landesregierun-gen wollten keine »geschworenen« Kandidaten mehr berufen,was auf Dauer zum Aussterben der katholisch-theologischenFakultäten an staatlichen Universitäten geführt hätte –, dochkonnte auch hier eine »Lösung« gefunden werden, die eigentlichdas antimodernistische Anliegen konterkarierte: Die deutschenTheologieprofessoren wurden, allerdings um den Preis des Aus-schlusses von der Seelsorge, vom Papst vom Eid befreit – wofürsich die Fakultäten artig bedankten. Wenig später verstandensich die Regierungen darauf, auch Eidesleister neu zu berufen.

Doch sagt diese äußere Abpufferung von Enzyklika undEid noch wenig aus über die intellektuellen und theologischenLangzeitfolgen der antimodernistischen Maßnahmen inDeutschland. Gerade Kirchenhistoriker und Exegeten zogensich oft auf die »positive Arbeit« zurück und mieden die ei-gentlich theologisch relevanten Themen. Karl Rahner konsta-tierte in einem Gutachten noch 1943 die Konzentration der

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Die Rezeption von »Pascendi« und »Sacrorum Antistitum«

Kirchenhistorie auf Editionsleistungen und positivistische Ein-zelforschungen und klagte: »[…] die Patrologie ist überhauptungefähr das einzige Gebiet, auf dem wir von den Protestantenunabhängig sein können – aber damit sind wir eigentlich auchschon ungefähr mit solchen größeren synthetischen Leistun-gen am Ende. Seit dem längst überholten Schwane [† 1892]hat kein deutscher Theologe mehr eine Dogmengeschichte ge-schrieben. […] Was soll der machen, der nun doch eine Dog-mengeschichte lesen will? Bleibt ihm etwas anderes übrig, alszu Harnack oder besser zu [dem ebenfalls protestantischen,aber »positiveren« Erich] Seeberg zu greifen?«8 Die Gründefür diese Entwicklung benannte Rahner, der selbst noch 1950vor »modernistischen« Tendenzen in der deutschen Theologiewarnte und doch maßgeblich zur (Selbst-)Überwindung destheologischen Antimodernismus beitrug, freilich nicht.

Teilweise erlitt die kirchliche Existenz junger, nachmalsbekannter Theologen durch das zunehmend antimodernisti-sche Klima geradezu einen Bruch: Anders als sein Lehrer Jo-seph Schnitzer hatte sich zum Beispiel der spätere TübingerDogmatiker Karl Adam noch mit der Enzyklika »Pascendi«und dem Antimodernisteneid arrangieren können. Auch nach1918 verschrieb er sich eher einer vitalistischen Überwindungdes »modernistischen« Historismus, und sein objektivitäts-,autoritäts- und gemeinschaftsfreudiges »Wesen des Katholizis-mus« (1924) avancierte zum jungkatholischen Kultbuch. Zu-vor hatte er aber im Jahr 1911 peinliche Schwierigkeiten mitdem Münchener erzbischöflichen Ordinariat wegen seiner»modernistischen« Christologie bekommen. Er musste sichunter anderem dafür rechtfertigen, dass er im Religionsunter-richt eine menschliche Entwicklung des Knaben Jesu gelehrthabe: »Meine Anschauung, der kleine Jesus habe schreiben

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8 Hubert Wolf (Hg.), Karl Rahner. Theologische und philosophische Zeitfragenim katholischen deutschen Raum (1943), Ostfildern 1994, 95.

Antimodernismus und kirchliches Lehramt

und lesen gelernt, wurde mit Entrüstung protokolliert.« Adamgab dem, wie er sagte, »Bonzentribunal« nicht nach, eine In-tervention des bayerischen Königshauses rettete ihn. Adam re-sümierte trotzdem: »Meine innerliche Loslösung von der jetzi-gen empirischen Kirche ist jetzt so ziemlich perfekt. Lieber einStiefelputzer sein, als mit dieser Gesellschaft Hand in Hand ge-hen.«9 Mit seinem »Christus unser Bruder«, das 1926 erstmalsauf Deutsch erschien und vielfach übersetzt wurde, erreichteAdams Christologie dann doch noch eine internationale kirch-liche Wirksamkeit.

5.5 Der Integralismus

Die politisch-soziale Dimension des Antimodernismus lässtsich in historischer Perspektive nicht von seiner theologischenAgenda trennen. Die Schärfe der Kontroversen um AlfredLoisy und andere französische Reformtheologen wird nur vordem Hintergrund der Dreyfus-Affäre und vor allem der erbit-terten Auseinandersetzungen um die 1905 vollzogene Tren-nung von Staat und Kirche in Frankreich verständlich, in de-ren Verlauf Pius X. und sein Kardinalstaatssekretär Merry delVal ähnlich kompromisslos agierten wie die laizistischen, so-zialistischen und liberalen Kulturkämpfer im französischenParlament. In der Optik Pius’ X. korrespondierte der liberaleund sozialistische Angriff von außen mit der modernistischenVerschwörung im Inneren der Kirche. Das manchmal fast un-merkliche Zusammenfließen von Theologie und Gesellschafts-politik belegt ein aufschlussreiches Detail aus dem Indexgut-achten von Louis Billot zu Loisys »L’Évangile et l’Église«:Billot fasste die Aussagen Loisys zum Apostelkollegium, in

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9 Zit. nach Scherzberg, Kirchenreform, 151, 153; vgl. Weiß, Modernismus inDeutschland, 496f.

Der Integralismus

dem dieser noch keine Anzeichen für eine petrinische »Monar-chie« zu erkennen vermochte, so zusammen, dass die FrüheKirche »demokratisch« gewesen sei – obwohl sich dieser Aus-druck bei Loisy nicht findet10. Tatsächlich war aber sowohlLoisys theologische Agenda wie auch die seiner Gegner in einGesamtkonzept eingebettet, in dem die Stellung zur Republikeine zentrale Rolle spielte.

Umberto Benigni und das »Sodalitium Pianum«

»Wir sind integrale Römische Katholiken. Wie es dieser Begriff anzeigt, akzeptiert derintegrale Römische Katholik vollständig (integral) die Lehre, die disziplinäre Ordnungund die Anweisungen des Heiligen Stuhles sowie alle ihre legitimen Konsequenzenfür das Individuum und die Gesellschaft. Er ist ›papal‹, ›klerikal‹, antimodernistisch, an-tiliberal und antisektiererisch. Also ist er völlig (integral) konterrevolutionär, weil er nichtnur der Feind der jakobinischen Revolution und des sektiererischen Radikalismus ist,sondern auch des religiösen und sozialen Liberalismus.« Programm des SodalitiumPianum 11

Mit Monsignor Umberto Benigni begegnet uns der prominen-teste und vielleicht einflussreichste Antimodernist unter Pius X.Es war wiederum kein naiver Konservatismus, der diesen be-kennenden »Integralisten« umtrieb, sondern eine dezidiert anti-moderne Vision der Gesellschaft. Benigni war von Hause ausein durchaus auf der Höhe der Zeit stehender Kirchenhistoriker,der in Rom beispielsweise regelmäßig an einer Sozietät vonLouis Duchesne, dem modernismusverdächtigen Meister derAlten Kirchengeschichte, teilnahm. Benignis Interesse galt aberweniger der Theologie, sondern den gesellschaftspolitischen

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10 Text bei Arnold, Römisches Lehramt, 327. Der Hinweis auf diese »Interpreta-tion« Billots ergab sich aus der Kommentierungsarbeit von Herrn Dr. GiacomoLosito im Rahmen des Frankfurter DFG-Projekts »Antimodernismus und Römi-sches Lehramt«.11 Deutsche Übersetzung nach dem französischen Original bei Poulat, Intégris-me, 119.

Antimodernismus und kirchliches Lehramt

Fragen: Seine kritische Zeitanalyse sagte ihm, dass die Kirchenur im Rahmen einer autoritären politischen Ordnung ihrenEinfluss bewahren könnte und alle Vermittlungsversuche vonKirche und »moderner Kultur« zur Marginalisierung der Ca-tholica führen mussten. Konsequenterweise engagierte er sichspäter für den Faschismus Mussolinis. Wenn wir dem »Moder-nisten« Ernesto Buonaiuti, der die Vorlesungen Benignis amCollegio Romano hörte, glauben dürfen, bekannte Benigni ge-sprächsweise, dass die Geschichte ein fortwährender »verzwei-felter Versuch des Erbrechens« sei und dass diese Menschheitnur die Inquisition verdiene12. Benigni kämpfte dementspre-chend vor allem gegen den »sozialen Modernismus«, der fürihn nur ein Teilphänomen einer größeren liberal-jüdisch-frei-maurerischen Verschwörung gegen die katholische Kirche war.Der Einfluss von Benignis antimodernistischer »Gegenver-schwörung« lässt sich mittlerweile realistisch einschätzen: Überdie 1915 im Rahmen einer gezielten Hausdurchsuchung derdeutschen Besatzungsmacht bei dem belgischen Rechtsanwaltund Benigni-Mitarbeiter Adolphe Jonckx entdeckten und vonÉmile Poulat 1969 edierten Geheimdokumente hinaus stehtheute der (unter anderen von Otto Weiß ausgewertete) Teil-nachlass Benignis im Vatikanischen Geheimarchiv zur Ver-fügung.

Unter Pius X. war Benigni im »Hauptberuf« im päpst-lichen Staatssekretariat tätig, das er 1911 wohl aufgrund vonSpannungen mit Kardinalstaatssekretär Merry del Val verließ.Benigni genoss aber weiterhin die Gunst des Papstes, der ihnumgehend mit dem Ehrenposten eines Apostolischen Pro-tonotars versah. Es spricht für die »Modernität« des Sarto-Papstes, dass er sich weiterhin des internationalen Presse- undInformationswesens bedienen wollte, das Benigni aufgebauthatte. Dieses beruhte wesentlich auf dem 1909 begründeten

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12 Zit. nach Götz, Tannenwald, 399.

Der Integralismus

»Sodalitium Pianum«, einer konspirativen Gruppe von maxi-mal 50, meist wenig prominenten europäischen Antimoder-nisten, die als »Cousins« unter Decknamen miteinander kor-respondierten. Das Sodalitium trug den schönen Codenamen»La Sapinière« (das Tannenwäldchen). Seine Arbeit hatte einedoppelte Richtung: Zum einen wurden gezielte Pressekam-pagnen gegen den »politischen und sozialen Modernismus«in Europa gestartet, bei denen neben geheimen Zirkularschrei-ben Benignis eigenes Blatt, die »Correspondance de Rome«, alsLeitorgan fungierte, das die angeschlossenen Blätter mit(Des-)Informationen versorgte. Dieses Netzwerk umspanntedie Organe »La Vigie« (Frankreich), »Mysl Katolicka« (Der Ka-tholische Gedanke, Polen), die Trierer »Petrus-Blätter«, das»Österreichische katholische Sonntagsblatt« und die Wochen-schrift »Klarheit und Wahrheit« des rechten Zentrumsabge-ordneten Hans Georg Graf von Oppersdorff13. Zum anderensammelten die »Cousins« Informationen beziehungsweise De-nunziationen, die Benigni an das Staatssekretariat sowie anPius X. beziehungsweise seinen Sekretär Gianbattista Bressanweitergab.

Ins Visier des Sodalitiums gerieten insbesondere katho-lische Politiker und Gewerkschafter, die sich für eine von derHierarchie relativ unabhängige, tendenziell interkonfessionellechristdemokratische Ausrichtung bemühten. Im einzelnen wa-ren dies die 1910 von Pius X. verbotene christdemokratischeBewegung »Le Sillon« des Laien Marc Sangnier in Frankreich,die »Lega democratica nazionale« des 1907 suspendierten und1909 exkommunizierten Priesters Romolo Murri in Italien, diekatholisch-soziale Bewegung in Polen, die österreichischenChristlich-Sozialen und die sogenannte »Kölner« beziehungs-weise »Mönchengladbacher« Richtung im deutschen Gewerk-

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13 Über Oppersdorff: Gunnar Anger, in Biographisch-Bibliographisches Kir-chenlexikon 21 (2003), 1095–1112.

Antimodernismus und kirchliches Lehramt

schafts- und Zentrumsstreit. Gerade letzterem galt Benignisbesondere Aufmerksamkeit.

Der nach dem Zentrumsblatt »Kölnische Volkszeitung«beziehungsweise nach dem Sitz des »Volksvereins für das ka-tholische Deutschland« benannte sozialkatholische Flügel derdeutschen Zentrumspartei trat für die interkonfessionellen(gleichwohl mehrheitlich katholischen) Christlichen Gewerk-schaften ein, während die »Berliner« beziehungsweise »Trierer«Richtung (unterstützt vom zuständigen Breslauer FürstbischofGeorg Kardinal Kopp und dem Trierer Bischof Michael FelixKorum) für die »Fachabteilungen« in den strikt katholischenArbeitervereinen optierte. Die Sympathien von Pius X. lagenentschieden bei den letzteren, und Benigni startete zusammenmit dem Grafen Oppersdorff mehrere Pressekampagnen gegenden »Gladbachismo« beziehungsweise den »Bachemismo«(nach dem Herausgeber der Kölnischen Volkszeitung Karl Ba-chem). Letztlich erlitt Benigni hier aber eine Niederlage: Nacheiner Verteidigung von P. Albert Maria Weiß in der »Corres-pondance de Rome« vom 4. Juli 1911, die mit einer besondersheftigen Attacke auf den »Bachemismo« verbunden war, er-reichte der Münchener Nuntius Andreas Frühwirth OP, derzuvor schon die Publikation der Indizierung von Karl MuthsKulturzeitschrift »Hochland« (als vermeintliche Vertreterin ei-nes »Modernismus litterarius«) verhindert hatte, dass sich dieKurie öffentlich von Benigni distanzierte. Merry del Val ließverlauten, die »Correspondance« besitze weder offiziösennoch halboffiziösen, sondern rein privaten Charakter. Auch inder Sache scheiterte Benigni am Widerstand der mehrheitlich»Kölnisch« gesonnenen deutschen Bischöfe: Die an KardinalKopp und die anderen deutschen Bischöfe gerichtete päpst-liche Enzyklika »Singulari quadam« vom 24. September 1912favorisierte zwar eindeutig die Arbeitervereine, erlaubte demdeutschen Episkopat aber, das Engagement von Katholiken inden Christlichen Gewerkschaften zu dulden. Der deutsche So-

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Der Integralismus

zialkatholizismus und die Zentrumspartei kamen damit imVergleich zu Italien und Frankreich glimpflich davon undkonnten dann auch in der Zwischenkriegszeit eine größere po-litische Rolle spielen.

Benigni belieferte bis zum Tode Pius’ X. im August 1914den Papst mit »Informationen«. Im Staatssekretariat war Beni-gnis Ansprechpartner sein früherer Mitarbeiter und NachfolgerEugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Dieser holte bei-spielsweise 1912 bei Benigni Informationen über den Münsteri-schen Bischof Felix von Hartmann ein, der dann aufgrund sei-ner vermeintlichen »Berliner« Ausrichtung den Kölner Stuhlbesteigen konnte. Der karrierebewusste Pacelli wahrte allerdingsim Ganzen die nötige Distanz zum »Sodalitium«, denn unterBenedikt XV. sank Benignis Stern rapide, die Konzilskongrega-tion löste sein »Sodalitium« 1921 förmlich auf.

Pius X. und die Action française

Die innerkurialen Spielräume für Integralisten werden an derRolle führender Loisy-Gegner im Kontext der kurialen Aus-einandersetzung um die »Action française« des Charles Maur-ras im Jahr 1914 noch einmal exemplarisch erkennbar. DerAgnostiker Maurras sah die Katholische Kirche als objektivenOrdnungsfaktor und als Stütze in seinem Kampf gegen die lai-zistische französische Republik und den Liberalismus. SeinePolitik trug chauvinistische Züge, fand aber in weiten Teilendes monarchistisch und integralistisch gesinnten französischenKatholizismus und nicht zuletzt bei Umberto Benignis »Soda-litium Pianum« Unterstützung, weil man dort ähnliche Feind-bilder hatte. Die Geschichte der verzögerten öffentlichenpäpstlichen Verurteilung der »Action française«, die erst 1926unter Pius XI. (1922–1939) vollzogen wurde, ist unlängst vonJacques Prévotat in beeindruckender Weise rekonstruiert wor-

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

den. Sie führt uns in die römische Indexkongregation, die mitihrem deutschen Sekretär Thomas Esser OP insgesamt eineden kurialen Antimodernismus eher »begleitende« Rolle spiel-te. Aufgrund seines persönlichen preußischen Kulturkampf-traumas engagierte sich Esser allerdings aktiv zusammen mitUmberto Benigni gegen die Kölner Richtung im Gewerk-schaftsstreit sowie gegen den »literarischen Modernismus«von Carl Muths Kulturzeitschrift »Hochland«. Otto Weiß hatden strengen Thomisten Esser, der die Schell’sche Aktualisie-rung der Scholastik ablehnte, zudem als den eigentlichen Hin-termann des »Commer-Briefes« von 1907 (s.o. 2.1) aus-gemacht14. Insgesamt traf die antimodernistische Agenda aberauf gewisse theologische Reserven im »Index«, denn umge-kehrt wollte die Kongregation schon im Jahr 1914 Schriftenvon Charles Maurras sowie die Zeitung »Action française« aufden Index der verbotenen Bücher setzen, obwohl zu den kuria-len Fürsprechern von Maurras prominente Antimodernistengehörten: Pie de Langogne, der seit 1911 als Titularerzbischofvon Korinth wieder unter seinem bürgerlichen Namen Pierre-Armand Sabadel firmierte, wandte sich vor der Index-Konsul-torenversammlung am 15. Januar 1914 direkt an Pius X., weilabzusehen war, dass seine Meinung zum Fall Maurras im Kreisder Index-Konsultoren wohl minoritär bleiben würde. Sabadeldisqualifizierte insbesondere seinen Kollegen und Maurras-Gegner, den heute zur Seligsprechung heranstehenden Ordens-gründer Léon Gustave Dehon, nicht nur als »Republikaner«und »Abbé démocrate«, dessen Ernennung zum Konsultor um-stritten gewesen sei; er unterstellte auch, dass sich die Kritikvon Dehon und von Laurentius Janssens OSB an der aufreizen-

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14 Eine grundlegende Würdigung Essers durch Otto Weiß wird in Wolf/Schepers(Hg.), Modernismus (2008) erscheinen. Ebd. auch ein Beitrag von Jan DirkBusemann mit neuen Erkenntnissen zur Rolle der Indexkongregation im Litera-turstreit.

Der Integralismus

den Erotik der frühen Romane Maurras’ eigentlich gegen denPolitiker und Philosophen von heute richte, der – wenn auchvon einem naturalistischen Standpunkt aus – den SyllabusPius’ IX. und die Enzykliken Pius’ X. verteidige. Eine Indizie-rung Maurras’ sei inopportun, weil dadurch der Eindruck einerindirekten Unterstützung der 1910 von Pius X. verbotenenchristdemokratischen Laienbewegung »Sillon« entstehe. Fürdie Bandbreite antimodernistischer Positionen ist hier die un-terschiedliche Position von Sabadel und Janssens aufschluss-reich. Letzterer vertrat im Ganzen einen eher theologischen,nicht einen »sozialen« Antimodernismus.

In die gleiche Kerbe wie Sabadel hieb dagegen Joseph Lé-mius, der Mitautor von »Pascendi«, der 1913 Konsultor derIndexkongregation geworden war und ebenfalls unmittelbarvor den entscheidenden Sitzungen der Indexkongregationbrieflich bei Pius X. intervenierte. Lémius unterschied die »we-sentliche« von der »sekundären« Seite der »Action française«.Wesentlich sei ihre antirevolutionäre politische Philosophie,die für Einheit, Kontinuität, Ordnung, Autorität und die Fa-milie eintrete. Wesentlich sei im theologischen Bereich ihr an-tiliberaler, antimodernistischer und antisillonistischer Charak-ter, auf Grund dessen sie die Kirche in ihrer Unabhängigkeitund Superiorität dem Staat gegenüber verteidige und als »echtkatholisch« anzusehen sei. Bezeichnend ist Lémius’ Haltungzum persönlichen Positivismus Maurras’, den er zur sekundä-ren Seite der »Action française« zählte. Hier bewies der Kon-sultor, der den Immanentismus der Modernisten in »Pascendi«schonungslos entlarvt hatte, sehr viel Verständnis: Man findeheute in der Zeitung »Action française« vor allem einen »sehrguten« sozialen und historischen Positivismus. Sein persönli-cher philosophischer Positivismus stelle für Maurras eher einProblem dar und sei »im übrigen immun gegen den modernis-tischen Agnostizismus«. Im Gegensatz zu den Modernistenversuche Maurras nicht, den Positivismus in die Theologie

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

einzuführen, wogegen sich – hier winkte Lémius mit demZaunpfahl – die Enzyklika »Pascendi« ausgesprochen habe.Eine Zensur der Action française würde insgesamt den »Tri-umph der Liberalen, Modernisten und Sillonisten« bedeuten,deren Siegesschrei man dann hören könnte, und würde sokurz vor den Wahlen in Frankreich die Reihen der Katholikenerschüttern. Lémius schlug dem Papst vor, sich wie 1912 imFall des ultrakonservativen, der »Action française« nahestehen-den französischen Theologen Joseph Lahitton über die Verfah-rensordnung des Index hinwegzusetzen (Sekretär der damalsvom Papst eingesetzten Sonderkommission war bezeichnen-derweise Pierre-Armand Sabadel gewesen).

Autoritativ abgerundet und resümiert wurde die Argu-mentation der beiden Konsultoren durch Willem van Rossum,der zum Kardinalsmitglied der Indexkongregation aufgestie-gen war. Van Rossum oblag bei der Plenarsitzung der Index-kongregation am Montag, dem 26. Januar 1914, im Vatikandie Aufgabe, als Relator den Stand des Falles Maurras seinenKardinalskollegen vorzutragen. Auch van Rossum hatte sichschon vor der Sitzung mit Pius X. verständigt, der ihm dabeidie Briefe französischer Bischöfe zugunsten Maurras’ anver-traut hatte. Pius X. wollte der Indexkongregation zwar volleEntscheidungsfreiheit gewähren – darin folgte er Lémiusnicht –, er behielt sich aber die Entscheidung über die Publika-tion einer eventuellen Zensur vor. Bei der Sitzung bedauerteman die Politisierung der französischen Kirche. Kardinal Bene-detto Lorenzelli ging sogar so weit, an die kaum mit der Actionfrançaise zu vereinbarenden politischen Direktiven Leos XIII.für Frankreich zu erinnern (»ralliement«). Lorenzelli wandtesich explizit gegen die Argumentation, eine Indizierung derZeitung »Action française« würde einen Sieg des demokrati-schen Sillon darstellen. Denn dann wäre die Nicht-Indizierungquasi eine Approbation der »Action française«, und manmüsste hinter der tatsächlich erfolgten päpstlichen Verurtei-

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Der Integralismus

lung des Sillon die Hand der »Action« erblicken. Van Rossummusste dem Papst nach der Sitzung berichten, er habe als ein-ziger für die Inopportunität einer Indizierung gestimmt. Erbedauerte dies und nahm dabei fast wörtlich die Argumenta-tion von Lémius wieder auf. Pius X. wählte daraufhin den vor-gezeichneten Weg: Er bestätigte die Entscheidung der Kongre-gation, schob aber ihre Veröffentlichung auf, wodurch dieVerurteilung wirkungslos blieb. Sie wurde erst 1926 durchPius XI. vollzogen.

5.6 Resümee: Lehramt und Antimodernismus

Das Verhältnis des römischen Lehramts zum Antimodernismusgestaltet sich komplex: Während sich das Dekret »Lamentabili«nach seiner Redaktionsgeschichte als mühsamer, institutionellgeregelter Kompromiss mit begrenzter theologischer Reichweitecharakterisieren lässt, erweisen sich die geistigen Väter der En-zyklika »Pascendi« als Vertreter eines Integralismus, der überrein theologische Interessen hinausging und ein im Grunde an-timodernes und antidemokratisches, also autoritäres Gesell-schaftskonzept implizierte. Die Enzyklika »Pascendi« ist das ur-eigene Projekt Pius’ X., der dazu die Anregungen konservativerkirchlicher Intellektueller aufnahm, die vielleicht genauer alsder Papst das angepeilte Ziel erkannten. Albert Maria Weiß, Jo-seph Lémius und Umberto Benigni sind nur Protagonisten ei-ner größeren transnationalen Gruppe, die auf der theologischenSeite ein feines Gespür für die kirchlichen Folgen von Historis-mus, Anthropozentrik und Ökumenismus hatte. Sie leitete mitHilfe der kirchlichen Autorität eine Wende ein, die – mutatismutandis – für den Katholizismus die antihistoristische Revolu-tion im Protestantismus der 1920er Jahre vorwegnahm.

Die Diskussionen um den Fall Loisy, um »Lamentabili«,um die Auslegung des Antimodernisteneides, den Gewerk-

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Antimodernismus und kirchliches Lehramt

schaftsstreit und den Fall Maurras beweisen zugleich, dass dierömische Kurie keineswegs einen monolithischen antimoder-nistischen Block darstellte, sondern eine ganze Bandbreitevon theologischen und kirchenpolitischen Positionen bot.Nicht zuletzt deshalb konnte der Antimodernismus der radi-kalen Ideengeber bald nach Pius X. und teilweise schon unterihm beziehungsweise gegen ihn gemildert werden. Dennochwar das geistige Klima in der Kirche insgesamt auf lange Zeithin erfolgreich beeinflusst worden. Benedikt XV. wandte sichzwar von Benignis Integralismus ab, bestätigte aber den theo-logischen Antimodernismus. Merry del Val wachte als neuerKardinalsekretär des Heiligen Offiziums von 1914 bis zu sei-nem Tode 1930 über dieses theologische Erbe Pius’ X. Unterihm avancierte das Heilige Offizium erst zur wirklichen kuria-len Zentrale antimodernistischer Repression, die es bis hinzum II. Vaticanum bleiben sollte. Merrys enger MitarbeiterNicola Canali († 1961), den Pius XII. 1941 mit dem politischwenig einflussreichen Posten des Kardinalgroßpönitentiarsversah, war dann der Motor der Selig- und Heiligsprechungs-verfahren für Pius X. und Merry del Val15. Gaetano De Laiblieb in der Konsistorialkongregation bis 1928 für einen gro-ßen Teil der Bischofsernennungen in aller Welt zuständig.

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15 Vgl. die Beiträge von Johan Ickx und Herman H. Schwedt auf dem Modernis-mus-Symposium in der Villa Vigoni; demnächst in: Wolf/Schepers (Hg.), Mo-dernismus.

Resümee: Lehramt und Antimodernismus

6. Die Nachwirkung vonAntimodernismus und »Modernismus«:ein Ausblick

Trotz des unübersehbaren Einflusses des Antimodernismus wärees zu einfach, der römisch-katholischen Kirche für die Zeit zwi-schen 1907 und dem II. Vaticanum eine durchgängig antimo-derne Agenda zu bescheinigen. Die durch den Antimodernismusgeförderte Neuscholastik schaffte es nach 1918 sogar, wie es derfranzösische Historiker Claude Langlois formuliert, Modelle derZeitgenossenschaft (contemporanéité) zu entwickeln. Dazu ge-hörte die Umformung des traditionellen Antiliberalismus in ei-nen naturrechtlich fundierten Antitotalitarismus unter Pius XI.und Pius XII., dazu gehörte auch die Menschenrechtslehre desNeuthomisten Jacques Maritain, die nach 1945 maßgebend fürdie Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen wurde.Damit diese »gelungene Zeitgenossenschaft« aber erreicht wurde,war es notwendig, dass die Kirche sich zumindest teilweise wie-der vom Erbe Pius’ X. freimachte und die umfassend antimoder-nen Intentionen, die hinter »Pascendi« standen, überwand. Ei-nen wichtigen Schritt dazu hat Pius XI. 1926 unternommen:Die schließliche öffentliche Verurteilung von Charles Maurraslöste eine nachhaltige geistige Wende im französischen Katholi-zismus aus, auch wenn Pius XII. die Verurteilung der Actionfrançaise 1939 wieder suspendierte. Ohne sie hätte Jacques Mari-tain nicht zu seiner Menschenrechtsphilosophie gefunden.Pius XI. vollzog damit wenigstens politisch die offene Abkehrvom radikalen Antimodernismus, die dann nach und nach bishin zum II. Vaticanum auch theologisch eingelöst wurde.

Anteil an der theologischen Überwindung des Antimo-dernismus hatte dann auch Papst Pius XII., der in der ersten

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Hälfte seines Pontifikates vor allem mit der Bibelenzyklika»Divino afflante spiritu« von 1943 den katholischen Exegetenneue Freiräume eröffnete, indem er die Authentizität der Vul-gata als »juridische«, also nicht (text-)»kritische«, definierteund die Unterscheidung der literarischen Gattungen in der Bi-bel erlaubte. Hierbei war insbesondere der Einfluss dominika-nischer Theologen ausschlaggebend, die indirekt eine späteRechtfertigung der Arbeit ihres »orthodoxen«, aber kritischenExegeten Marie-Joseph Lagrange erreichten. Als Reaktion aufdie »Nouvelle Théologie« in Frankreich beschwor der Papstaber 1950 in seiner Enzyklika »Humani generis« wieder dieGefahren der theologischen Neuerung, ohne allerdings explizitden Begriff »Modernismus« zu verwenden. In diesen Kontextgehören auch die Selig- und Heiligsprechung Pius’ X. im Jahr1951 beziehungsweise 1954. Pius XII. pries dabei den »Adler-blick« seines Vorgängers für die Irrtümer der Zeit und für dieGefahr der »Ansteckung« der Kirche. Im unmittelbaren Vor-feld des II. Vaticanums wurde in konservativen theologischenKreisen Roms sogar versucht, wieder hinter »Divino afflantespiritu« zurückzugehen. Das Konzil hat unter Johannes XXIII.und Paul VI. (1963 –1978) das Thema »Modernismus« dannerfolgreich beschwiegen und zumal mit der Offenbarungskon-stitution »Dei Verbum« und der Erklärung über die Religions-freiheit »Dignitatis humanae« antimodernistische Rest-bestände beseitigt, indem zum einen der Heilscharakter der inder Bibel enthaltenen Wahrheit festgestellt und zum anderendie moderne Freiheitsgeschichte in einem zentralen Punkt ak-zeptiert wurde. Auch wenn hier theologische Problemüber-hänge der Modernismuskrise abgearbeitet wurden, bestandbei den handelnden Personen keine theologische Kontinuitätzum »Modernismus« von vor 1914: Die Überwindung des An-timodernismus erfolgte vielmehr aus dem neuscholastisch-strengkirchlichen Mainstream heraus, den er selbst hervor-gebracht hatte.

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Die Nachwirkung von Antimodernismus und »Modernismus«: ein Ausblick

Der allmählich schwindenden Persistenz des Antimoder-nismus stand auch keine vergleichbare »modernistische« Kon-tinuität gegenüber: Der katholische »Modernismus« und seineeuropäischen Netzwerke waren zur Konzilszeit schon längstzerbrochen. Obwohl Zirkel wie der »Rheinische Reformkreis«in Deutschland (1942–1955) sich in manchen Punkten von Al-fred Loisy und George Tyrrell inspirieren ließen und ein ent-sprechendes reformkatholisches Geschichtsbild konstruierten,das nach dem II. Vaticanum einen gewissen Aufschwung erleb-te, hatten sich viele Problemstellungen nach der Katastrophedes Ersten Weltkriegs deutlich verschoben. An der intellektuel-len Wasserscheide von 1918 müssen alle »modernistischen«Teleologien letztlich scheitern, auch diejenige, die grundsätz-lich eine besondere Anfälligkeit ehemaliger deutscher »Moder-nisten« für den Nationalsozialismus (die es in Einzelfällendurchaus gab) insinuieren will. Nationales Denken war imdeutschen Katholizismus vor 1914 selbstverständlich gewor-den und keine Domäne der Reformtheologen mehr. Entschei-dend für die mögliche NS-Affinität ist deshalb in theologischerHinsicht die Haltung nach dem deutschen Kultur-Trauma von1918: Wer sich in der damaligen »Krise der Wirklichkeit«(O. G. Oexle) dem Vitalismus, Antiintellektualismus, Antilibe-ralismus und dem Primat des »Wollens« verschrieb – und dastaten, von den Integralisten à la Benigni einmal ganz abge-sehen, manche »ultramontane« genauso wie manche ehemals»modernistische« Theologen – war in der Tat gefährdet, wäh-rend der nüchterne »modernistische« Historismus genausowie eine universalistisch-naturrechtliche, »antimodernistische«Neuscholastik immunisierend wirken konnten. Daneben hatauf einer mehr biographischen Ebene die durch den Antimo-dernismus bedingte innere Desolidarisierung mit der konkre-ten Kirche und die Hoffnung auf die Hilfe eines »starken«Staates bei einigen »Reformtheologen« der dreißiger und vier-ziger Jahre durchaus eine Rolle gespielt.

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Die Nachwirkung von Antimodernismus und »Modernismus«: ein Ausblick

Auch die Begegnung »der Kirche« mit »der Kultur« der1960er und 1970er Jahre war angesichts veränderter gesamt-gesellschaftlicher Trends nicht mehr dieselbe wie die mit »derKultur« um 1900. Binnentheologisch gesehen mussten sich ka-tholische Kirche und Konzil damals aber immer noch mit ei-nem antimodernistisch induzierten Reformstau auseinander-setzen – oder anders gesagt: Die in der Modernismuskriseaufgebrochene Problematik hatte ihre eigene Konstanz undkonnte in neuen Kontexten neu formuliert werden. Der italie-nische Modernismusforscher Guido Verucci resümiert deshalbtreffend: »Die Probleme zwischen Kirche und Moderne lösensich oft nicht auf, sondern verschieben sich nur.«1

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1 So die abschließende Bemerkung von Guido Verucci im Rahmen der »TavolaRotonda« des internationalen Modernismus-Kongresses von Urbino (1997);Botti/Cerrato (Hg.), Il modernismo, 891.

Die Nachwirkung von Antimodernismus und »Modernismus«: ein Ausblick

Anhang

Zeittafel: Die Modernismuskrise (1893–1914)

1893 Maurice d’Hulst, Artikel »La question biblique«18. November: Leo XIII., Enzyklika »Providentissimus Deus« (Inspirationund Irrtumslosigkeit der Hl. Schrift)Maurice Blondel, »L’Action«

1896 13. September: Breve »Apostolicae curae et caritatis« (Ungültigkeit derAnglikanischen Weihen)Die »Spectator-Briefe« von Franz Xaver Kraus erscheinen in der »All-gemeinen Zeitung«.Loisy gründet die »Revue d’histoire et de littérature religieuses«.

1897 25. Januar: Apostolische Konstitution »Officiorum ac munerum« (Richt-linien für die Buchzensur).Herman Schell, »Der Katholizismus als Prinzip des Fortschritts«George Tyrrell, »Nova et Vetera: Informal Meditations for Times of Spiri-tual Dryness«

1898 15. Dezember: Indizierung der Hauptwerke von Herman SchellVeremundus [Carl Muth], »Steht die katholische Belletristik auf der Höheder Zeit?«Romolo Murri bringt die Zeitschrift »Cultura sociale« heraus.

1899 22. Januar: Breve »Testem benevolentiae« an den Erzbischof von Baltimore(Verurteilung des »Amerikanismus«)George Tyrrell, »External Religion: Its Use and Abuse«

1900 29. Dezember: Gemeinsamer Hirtenbrief der englischen Bischöfe »DieKirche und der katholische Liberalismus«

1901 Albert Ehrhard, »Der Katholizismus und das 20. Jahrhundert im Licht derkirchlichen Entwicklung der Neuzeit«Die reformkatholische Zeitschrift »Freie Deutsche Blätter« kommt heraus(ab 1902: »Das 20. Jahrhundert«; ab 1909: »Das Neue Jahrhundert. Organder deutschen Modernisten«).Salvatore Minocchi gründet die Zeitschrift »Studi religiosi«.

1902 Albert Ehrhard, »Liberaler Katholizismus? Ein Wort an meine Kritiker«.30. Oktober: offizielle Konstituierung der päpstlichen BibelkommissionNovember: Alfred Loisy, »L’Évangile et l’Église«1. Dezember: Bischof Paul Wilhelm Keppler von Rottenburg, Vortrag»Über wahre und falsche Reform«

1903 Alfred Loisy, »Autour d’un petit livre«Louis Billot, »De inspiratione Sacrae Scripturae theologica disquisitio«Marie-Joseph Lagrange, »La méthode historique sourtout à propos del’Ancien Testament«; »Études Bibliques«

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Anhang

Lucien Laberthonnière, »Essais de philosophie religieuse«Hilaire Bourdon [George Tyrrell], »The Church and the Future«Carl Muth bringt die Kulturzeitschrift »Hochland« heraus.20. Juli: Tod Leos XIII.4. August: Wahl Giuseppe Sartos zum Papst: Pius X.16. Dezember: Indizierung der Hauptwerke Loisys

1904 2. Februar: Enzyklika »Ad diem illum« (Unbefleckte Empfängnis Mariens)Im Herbst werden die Exegeten P. Giovanni Genocchi MSC vom Semina-rio Romano und P. Enrico Gismondi SJ von der Gregoriana als Professo-ren abgelöst.Lucien Laberthonnière, »Le réalisme chrétien et l’idéalisme grec«Gründung der Krausgesellschaft in MünchenAufhebung der katholischen Laienbewegung »Opera dei Congressi« durchPius X.

1905 11. Juni: Enzyklika »Il fermo proposito«: Gründung der »Katholischen Ak-tion« der Laien in Italien unter hierarchischer Kontrolle3. Juli: Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich28. September: Laurentius Janssens OSB wird »zweiter Sekretär« der Bibel-kommission und ersetzt de facto P. David Fleming OFM.Lucien Laberthonnière übernimmt in Zusammenarbeit mit Maurice Blon-del die Herausgabe der »Annales de philosophie chrétienne« und gründetdie »Association d’études religieuses«.Ernesto Buonaiuti bringt die Zeitschrift »Rivista storico-critica delle scienzeteologiche« heraus.Antonio Fogazzaros Roman »Il Santo« wird veröffentlicht.

1906 Februar: Tyrrell wird aus der Gesellschaft Jesu ausgestoßen.4. April: Indizierung von Lucien Laberthonnière (»Essais« und »Réalismechrétien«) und Antonio Fogazzaro (»Il Santo«)31. Mai: Tod Herman Schells; Aufruf zur Errichtung eines Grabmals27. Juni: Antwort der Bibelkommission (Urheberschaft des Mose am Pen-tateuch)Gründung der »Anti-Index-Liga« in Münster

1907 17. April: Konsistorialansprache Pius’ X. gegen den religiösen Neo-Refor-mismus4. Mai: Kardinal Steinhuber, Präfekt der Indexkongregation, veröffentlichteine Warnung an die Mailänder Gruppe des »Rinnovamento«.29. Mai: Antwort der Bibelkommission (Evangelium des Johannes: Autor-schaft des Apostels Johannes, Authentizität der Reden Jesu)14. Juni: Belobigungsschreiben Pius’ X. für den Schell-Gegner Ernst Com-mer mit scharfer Kritik am Grabmalsprojekt3. Juli: Dekret des Hl. Offiziums »Lamentabili«8. September: Enzyklika »Pascendi dominici gregis«

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Zeittafel: Die Modernismuskrise (1893–1914)

Der ehemalige Dominikanergeneral Andreas Frühwirth wird Nuntius inMünchen.22. Oktober: Tyrrell wird exkommuniziert.28. Oktober: Die Broschüre »Il programma dei modernisti – Ripostaall’enciclica di Pio X.« wird veröffentlicht.Romolo Murri wird vom Priesteramt suspendiert.18. November: Motu Proprio »Praestantia Scripturae« (Autorität der Bi-belkommission)

1908 George Tyrrell, »Medievalism«6. Februar: Joseph Schnitzer wird vom Priesteramt suspendiert.7. März: Alfred Loisy wird exkommuniziert und zum »vitandus« erklärt.29. Juni: Antwort der Bibelkommission (Buch Jesaja: Authentizität derWeissagungen, Autorschaft des Propheten)

1909 30. Juni: Antwort der Bibelkommission (Historizität der ersten Kapitel derGenesis)Gründung des »Sodalitium Pianum«Romolo Murri wird exkommuniziert.Gründung des Päpstlichen Bibelinstituts: Rektor Leopold Fonck SJ

1910 1. Mai: Antwort der Bibelkommission (Psalmen: hauptsächliche Autor-schaft Davids)25. August: Apostolischer Brief »Notre charge apostolique«: Verurteilungund Auflösung des christdemokratischen »Sillon« in Frankreich1. September: Motu proprio »Sacrorum Antistitum« (Antimodernisteneid)Der Exeget Thaddäus Engert tritt zum Protestantismus über.

1911 19. Juni: Antwort der Bibelkommission (Evangelium des Matthäus: Autor-schaft des Apostels, ursprünglich in Aramäisch, Ablehnung der Zwei-Quellen-Theorie)

1912 22. Januar: Indizierung von Louis Duchesne, »Histoire ancienne de l’Église«26. Juni: Antwort der Bibelkommission (Evangelium des Markus und Lukas,Synoptische Frage)24. September: Enzyklika »Singulari quadam« zum Gewerkschaftsstreit

1913 12. Juni: Antwort der Bibelkommission (Apostelgeschichte/Pastoralbriefe)5. Mai 1913: Indizierung der »Annales de philosophie chrétienne« sowievon Henri Bremonds »Sainte Chantal«

1914 24. Juni: Antwort der Bibelkommission (Hebräer-Brief paulinisch).29. Juni: Motu proprio »Doctoris Angelici«: Mahnung zum Studium derPhilosophie des Heiligen Thomas im Kampf gegen den Modernismus27. Juli: Dekret der Studienkongregation: 24 »Approbierte Thesen der tho-mistischen Philosophie«1.– 4. August: Beginn des Ersten Weltkriegs20. August: Tod Pius’ X.

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Anhang

Literaturhinweise in Auswahl

1. Quellen

Lehramtliche Texte:

Heinrich Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und derkirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch – Deutsch / Enchiridionsymbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et mo-rum, unter Mitarbeit von Helmut Hoping hg. von Peter Hünermann,Freiburg i. Br. 402005 (= DH).

Texte von »Modernisten« in Auswahl:

Joseph Schnitzer (Hg.), Der katholische Modernismus (Die Klassiker derReligion 3), Berlin-Schöneberg 1912.Trotz der klaren Tendenz immer noch nützlich, vor allem wegen derdeutschen Übersetzung italienischer, französischer und englischer Texte(z. B. »Il programma dei Modernisti«)

2. Sammelbände und Forschungsüberblicke (chronologisch)

Weinzierl, Erika (Hg.), Der Modernismus. Beiträge zu seiner Erforschung,Graz 1974.

Schwaiger, Georg (Hg.), Aufbruch ins 20. Jahrhundert. Zum Streit um Re-formkatholizismus und Modernismus (Studien zur Theologie undGeistesgeschichte des 19. Jahrhunderts 23), Göttingen 1976.Die beiden Sammelbände markieren den Beginn der neueren deutsch-sprachigen Modernismusforschung.

Wolf, Hubert (Hg.), Antimodernismus und Modernismus in der katholischenKirche. Beiträge zum theologiegeschichtlichen Vorfeld des II. Vatika-nums (Programm und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanums 2), Pa-derborn 1998.Hermeneutische Grundfragen, Forschungsüberblick und exemplarischeEinzelstudien.

Jodock, Darrell (Hg.), Catholicism Contending with Modernity. RomanCatholic Modernism and Anti-Modernism in Historical Context,Cambridge 2000.

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Literaturhinweise in Auswahl

Summe von zwanzig Jahren Modernismusforschung der Roman Catho-lic Modernism Working Group der American Academy of Religion.

Botti, Alfonso / Cerrato, Rocco (Hg.), Il modernismo tra cristianità e seco-larizzazione. Atti del convegno internazionale di Urbino (1– 4 ottobre1997) [Fondazione Romolo Murri Urbino; Centro studi per la storiadel modernismo] (Studi e testi 6), Urbino 2000.Grundfragen der historischen Einordnung, umfassendster internationa-ler Forschungsüberblick sowie breite Dokumentation der thematisch wieregional differenzierten italienischen Forschung.

Arnold, Claus, Neuere Forschungen zur Modernismuskrise in der katho-lischen Kirche, in: Theologische Revue 99 (2003), 91–104.

Weiß, Otto, Der Modernismus in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, in:Laurentianum 46 (2005), 29 – 65.

Fleckenstein, Gisela / Schmiedl, Joachim (Hg.), Ultramontanismus: Ten-denzen der Forschung, Paderborn 2005.Notwendige »Folie« für das Verständnis der Modernismuskrise.

Wolf, Hubert / Schepers, Judith (Hg.), »In wilder, zügelloser Jagd nachNeuem«. 100 Jahre Modernismus und Antimodernismus in der ka-tholischen Kirche (Römische Inquisition und Indexkongregation),Paderborn 2008 (in Vorbereitung).Dokumentation der jüngsten internationalen Modernismustagung (VillaVigoni, Oktober 2006); Rückblick auf die Arbeit der verschiedenen For-schergruppen; neue Einzelstudien zum kurialen Antimodernismus.

3. Überblicksdarstellungen, Einführungen, übergreifendeMonographien

Poulat, Émile, Histoire, dogme et critique dans la crise moderniste, Paris1962, 31996.Grundlegendes Werk des Doyen der französischen Modernismusfor-schung mit kritischer Bibliographie. Zu benutzen ist die aktualisiertedritte Auflage.

Aubert, Roger, Die modernistische Krise, in: Hubert Jedin (Hg.), Hand-buch der Kirchengeschichte, Bd. 6/2, Freiburg i. Br. 1973/1985,435 – 500.Nach wie vor die beste lehrbuchartige Synthese in deutscher Sprache.

Trippen, Norbert, Theologie und Lehramt im Konflikt. Die kirchlichenMaßnahmen gegen den Modernismus im Jahre 1907 und ihre Aus-wirkungen in Deutschland, Freiburg i. Br. 1977.Pionierarbeit für den deutschsprachigen Raum; Rezeption von Pascendi,

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Anhang

»Fälle« Albert Ehrhard und Joseph Schnitzer. Zur Gesamtdeutung vgl.kritisch die Rez. von Herman H. Schwedt, in: Römische Quartalschrift73 (1978), 271–275.

Loome, Thomas Michael, Liberal Catholicism – Reform Catholicism – Mo-dernism. A Contribution to a New Orientation in Modernist Re-search (Tübinger Theologische Studien 14), Mainz 1979.Mit Bibliographien und Quellenverzeichnissen. Grundlegend für dieneuere deutsche Modernismusforschung; vgl. Manfred Weitlauff, »Mo-dernismus« als Forschungsproblem. Ein Bericht, in: Zeitschrift für Kir-chengeschichte 93 (1982), 312–344. In Frankreich (É. Poulat) und denUSA sehr kritisch rezipiert: Rollmann, Hans / Burke, Ronald (Hg.), ACritical Discussion of Thomas Michael Loome’s Agenda for a New Ori-entation in Modernist Research, in: Downside Review 100 (1982),157–202.

Daly, Gabriel, Transcendence and Immanence. A Study in Catholic Moder-nism and Integralism, Oxford 1980.Klassische Synthese der theologisch-philosophischen Agenda der Moder-nismuskrise.

Zorzi, Giuseppe, Auf der Suche nach der verlorenen Katholizität. Die BriefeFriedrich von Hügels an Giovanni Semeria, 2 Bde. (Tübinger Studienzur Theologie und Philosophie 3), Mainz 1991.Gewinnt durch die reiche Kommentierung handbuchartigen Charakter.

O’Connell, Marvin R., Critics on Trial. An Introduction to the CatholicModernist Crisis, Washington D.C. 1994.Sehr gut lesbare Gesamtdarstellung mit angelsächsisch-französischerSchwerpunktsetzung.

Weiß, Otto, Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theologie-geschichte, Regensburg 1995.Umfassende neue Gesamtdarstellung für Deutschland mit vielen inter-nationalen Perspektiven.

Bedeschi, Lorenzo, Il Modernismo italiano. Voci e volti, Cinisello Balsamo1995.Synthese des Altmeisters der italienischen Modernismusforschung.

Guasco, Maurilio, Modernismo. I fatti, le idee, i personaggi, Cinisello Bal-samo 1995.

Colin, Pierre, L’audace et le soupçon. La crise moderniste dans le catholi-cisme français (1893 –1914), Paris 1997.Über Frankreich hinausreichende Gesamtdeutung der Modernismus-krise mit Akzent auf der philosophischen Agenda.

Arnold, Claus, Katholizismus als Kulturmacht. Der Freiburger Theologe

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Literaturhinweise in Auswahl

Joseph Sauer (1872–1949) und das Erbe des Franz Xaver Kraus (Ver-öffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 86), Paderborn1999.Deutscher Reformkatholizismus, internationale »modernistische« Ver-netzungen und Nachwirkung des Antimodernismus in einer biographi-schen Brechung.

Schatz, Klaus, Die Modernismus-Krise als historisches Phänomen, in: PeterReifenberg / Anton van Hooff (Hg.), Tradition – Dynamik von Be-wegtheit und ständiger Bewegung. 100 Jahre Maurice Blondels »His-toire et Dogme« (1904 –2004), Würzburg 2005, 11–31.Differenzierte, konzise und aktuelle Einführung in die Problematik.

4. Literaturhinweise zu den einzelnen Kapiteln (alphabetisch)

1. Einleitung: Begriffsgeschichte und Deutungsansätze

Arndt, M. / Schäffler, Richard, Art. Modernismus, in: Historisches Wörter-buch der Philosophie, Bd. 6, Darmstadt 1984, 62– 66.

Graf, Friedrich Wilhelm, Moderne Modernisierer, modernitätskritischeTraditionalisten oder reaktionäre Modernisten? Kritische Erwägun-gen zu Deutungsmustern der Modernismusforschung, in: Wolf(Hg.), Antimodernismus (1998), 67–106.

Lash, Nicholas, The modernist minefield, in: The Month 241 (1980), 16–19.

Menozzi, Daniele, Antimodernismo, secolarizzazione e cristianità, in:Botti / Cerrato (Hg.), Il modernismo, 53 – 82.

Weiß, Otto, Der Katholische Modernismus. Begriff – Selbstverständnis –Ausprägungen – Weiterwirken, in: Wolf (Hg.), Antimodernismus,107–139.

2. Reformkatholizismus und Amerikanismus

Herman Schell

Hausberger, Karl, Herman Schell (1850 –1906). Ein Theologenschicksal imBannkreis der Modernismuskrise (Quellen und Studien zur neuerenTheologiegeschichte 3), Regensburg 1999.

Hausberger, Karl, Franz Xaver Kiefl (1869 –1928). Schell-Verteidiger, Anti-modernist und Rechtskatholik (Quellen und Studien zur neuerenTheologiegeschichte 6), Regensburg 2003.

Schell, Herman, Die neue Zeit und der alte Glaube. Vier theologische Pro-grammschriften, hg. und eingeleitet von Thomas Franz, Würzburg2006.

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Anhang

Weiß, Wolfgang, Modernismuskontroverse und Theologenstreit. Die Ka-tholisch-Theologische Fakultät Würzburg in den kirchenpolitischenund theologischen Auseinandersetzungen zu Beginn des 20. Jahrhun-derts (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums undHochstifts Würzburg 56), Würzburg 2000.

Reformkatholizismus

Arnold, Claus, Kulturmacht, 113 –179.Dowe, Christopher, Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und

Akademiker im Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissen-schaft 171), Göttingen 2006.

Haustein, Jörg, Liberal-katholische Publizistik im späten Kaiserreich. »DasNeue Jahrhundert« und die Krausgesellschaft (Forschungen zur Kir-chen- und Dogmengeschichte, 80), Göttingen 2001.

Hürten, Heinz, Karl Muths »Hochland« in der Vorkriegszeit – oder derPreis der Integration, in: Martin Huber / Gerhard Lauer (Hg.), Bil-dung und Konfession. Politik, Religion und literarische Identitätsbil-dung 1850 –1918 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Litera-tur 59), Tübingen 1996, 133 –146.

Integration oder Gegengesellschaft? Der deutsche Katholizismus um 1900:Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 21 (2002), 1–239 (The-menband).

Weber, Christoph (Hg.), Liberaler Katholizismus. Biographische und kir-chenhistorische Essays von Franz Xaver Kraus (Bibliothek des Deut-schen Historischen Instituts in Rom 57), Tübingen 1983.

Weber, Christoph, Der »Fall Spahn« (1901), Rom 1980.Weiß, Otto, Modernismus in Deutschland.

Amerikanismus

Schultenover, David G., A View from Rome. On the Eve of the ModernistCrisis, New York 1993.

Schwedt, Herman H., Alte Welt gegen neue Welt. Der Papst und der katho-lische Amerikanismus (1899), in: Wolf (Hg.), Antimodernismus(1998), 143–161; wieder in: Tobias Lagatz / Sabine Schratz (Hg.), Cen-sor Censorum. Gesammelte Aufsätze von Herman H. Schwedt (Römi-sche Inquisition und Indexkongregation 7), Paderborn 2006, 255–278.

Paul Wilhelm von Keppler

Hausberger, Karl, Der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler(1898 –1926) – ein Exponent des Antimodernismus im deutschen

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Literaturhinweise in Auswahl

Episkopat, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 21(2002), 163 –177.

Hausberger, Karl, Eine Denkschrift des Rottenburger Bischofs Paul Wil-helm von Keppler über den Reformkatholizismus aus dem Jahr 1903,in: ebd., 321–340.

Rentschler, Elke, Paul Wilhelm von Keppler (1852–1926). Der sechste Bi-schof von Rottenburg im Urteil seiner Zeitgenossen, in: RottenburgerJahrbuch für Kirchengeschichte 12 (1993), 247–255.

Wolf, Hubert, »Hätte ich Stenogramme lesen können …«. Keppler-Briefeaus den Jahren 1911–1913 zum »Fall Wilhelm Koch«, in: Volker Schä-fer (Hg.), Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte 6, Tübingen1992, 91–108.

3. Alfred Loisy – Question biblique

Beretta, Francesco, Monseigneur d’Hulst et la science chrétienne. Portraitd’un intellectuel, Paris 1996.

Goichot, Émile, Alfred Loisy et ses amis, Paris 2002.Heiler, Friedrich, Alfred Loisy. Der Vater des katholischen Modernismus,

München 1947.Nach wie vor die maßgebliche deutsche Gesamtdarstellung von Lebenund Werk.

Hill, Harvey, The Politics of Modernism. Alfred Loisy and the ScientificStudy of Religion, Washington D.C. 2002.

Montagnes, Bernard, Marie-Joseph Lagrange. Une biographie critique, Paris2004.

Neuner, Peter, Art. Loisy, in: Theologische Realenzyklopädie 21 (1991),453 – 456.

Poulat, Émile (Hg.), Alfred Loisy. Sa vie – son œuvre, par Albert Houtin etFélix Sartiaux. Manuscrit annoté et publié avec une BibliographieLoisy et un Index Bio-Bibliographique, Paris 1960.

Poulat, Émile, Critique et mystique. Autour de Loisy ou la conscience ca-tholique et l’esprit moderne, Paris 1984.

Sardella, Louis-Pierre, Mgr Eudoxe Irénée Mignot (1842–1918). Un évêquefrançais au temps du modernisme, Paris 2004.

Sorrel, Christian, Libéralisme et modernisme: Mgr Lacroix (1855 –1922),enquête sur un suspect, Paris 2003.

Weiß, Otto, Das wechselvolle Geschick des Alfred Loisy in Deutschland, in:ders.: Kulturen – Mentalitäten – Mythen. Zur Theologie- und Kultur-geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. von Manfred Weitlauff,Hubert Wolf und Claus Arnold, Paderborn 2004, 385 – 437.

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Anhang

4. Theologie und religiöse Erfahrung

Barmann, Lawrence / Talar C. J. T. (Hg.), Sanctity and Secularity during theModernist Period. Six perspectives on hagiography around 1900,Brüssel 1999.

Joassart, Bernard, Hippolyte Delehaye. Hagiographie critique et moder-nisme (Subsidia hagiographica 81), Brüssel 2000.

Losito, Giacomo, Cristianesimo e Modernità. Studio sulla formazione delpersonalismo di Laberthonnière – 1880 –1893, Neapel 1999.

George Tyrrell

Daly, Gabriel, Transcendence, 140 –166Daly, Gabriel, Art. Tyrrell, in: Dictionnaire de Spiritualité 15 (1991),

1372–1383.Faupel, Bruno, Die Religionsphilosophie George Tyrrells (Freiburger Theo-

logische Studien 29), Freiburg i. Br. 1975.Graf, Friedrich Wilhelm, George Tyrrell über seinen Ausschluß aus dem Je-

suitenorden. Vier unveröffentlichte Briefe George Tyrrells an RudolfEucken, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte 5 (1998),228 –247.

Livingston, James C. (Hg.), Tradition and the Critical Spirit. Catholic Mo-dernist Writings by George Tyrrell (Fortress Texts in Modern Theo-logy), Minneapolis 1991.

Sagovsky, Nicholas, »On God’s side«. A Life of George Tyrrell, Oxford 1990.Schultenover, David G., A View from Rome.Schultenover, David G., George Tyrrell. In Search of Catholicism, She-

perdstown 1981.

Maude Petre

Crews, Clyde F., English Catholic Modernism. Maude Petre’s Way of Faith,Notre Dame 1984.

Leonard, Ellen, Unresting Transformation. The Theology and Spiritualityof Maude Petre, Lanham 1991.

Kelly, James J. (Hg.), The letters of Baron Friedrich von Hügel and MaudeD. Petre. The Modernist Movement in England, Löwen 2003.

Henri Bremond

Blanchet, André (Hg.), Henri Bremond et Maurice Blondel. Correspon-dance, 3 Bde. (Études Bremondiennes 2), Paris 1970 –71.

Goichot, Émile, Henri Bremond. Historien de la »Faim de Dieu«, hg. vonFrançois Trémolières, Grenoble 2006.

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Literaturhinweise in Auswahl

Jenkins, Arthur Hilary (Hg.), John Henry Newman and Modernism (Inter-nationale Cardinal-Newman-Studien 14), Sigmaringendorf 1990.

Poulat, Émile (Hg.), Une Œuvre clandestine d’Henri Bremond: SylvainLeblanc, Un clerc qui n’a pas trahi. Alfred Loisy d’après ses mémoires(1931) (Uomini e dottrine 18), Rom 1972.

Friedrich von Hügel

Barmann, Lawrence F., Baron Friedrich von Hügel and the Modernist Crisisin England, Cambridge 1972.

Barmann, Lawrence F., The Modernist as Mystic: Baron Friedrich von Hü-gel, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte 4 (1997), 221–250.

Loome, Liberal Catholicism.

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Neuner, Peter, Religiöse Erfahrung und geschichtliche Offenbarung. Fried-rich von Hügels Grundlegung der Theologie (Beiträge zur Ökume-nischen Theologie 15), München 1977.

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154

Anhang

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157

Literaturhinweise in Auswahl

Personenregister

158

Adam, Karl 126f.Aischylos 111Albert der Große 11Alphons von Castro 115Ambrosius Catharinus (Lancellotto de’

Politi) 115Amigo, Peter 74Aubert, Roger 108Augustinus 75Bachem, Karl 131Baronius, Caesar 123Barth, Karl 16Baumgartner, Alexander 30Baur, Ferdinand Christian 12Bedeschi, Lorenzo 111Benedikt XV. (Giacomo della Chiesa),

Papst 132, 137Benigni, Umberto 14, 109, 119,

128 –133, 136f., 140Billot, Louis 64, 92, 95, 121, 127, 144Blondel, Maurice 61, 62, 71, 78, 80f., 84,

144f.Braig, Carl 14Bremond, Henri 58, 68f., 74, 78 – 81, 84,

88, 146Brentano, Franz von 25Bressan, Gianbattista 108, 130Brucker, Josef 54Brugier, Gustav 30Buonaiuti, Ernesto 85, 123, 129, 145Canali, Nicola 137Casciola, Brizio 85Chamberlain, Houston Stewart 31Chantal, Jeanne de 80, 146Commer, Ernst 24, 133, 145d’Hulst, Maurice 52– 56, 144Daly, Gabriel 105, 116f.Dante Alighieri 29De Lai, Gaetano 123f., 137Dehon, Léon Gustave 133Delehaye, Hippolyte 77Denifle, Heinrich Suso 30, 114

Deutinger, Martin 81Dölger, Franz 87Döllinger, Ignaz von 75, 95, 112Dowe, Christopher 32Dreyfus, Alfred 127Duchesne, Louis 39, 51f., 54, 83, 87,

123f., 128, 146Eck, Johannes 115Ehrhard, Albert 30, 33, 125, 144Eichthal, Auguste von 23Eliot, George (Mary Ann Evans) 81Engert, Thaddäus 125, 146Esser, Thomas 133Faber, William 43Fénelon, François de Salignac de la

Motte-F. 84Fleming, David 63f., 94, 101, 145Fogazzaro, Antonio 32, 81, 85, 109, 145Fonck, Leopold 146Franz von Assisi 77Franz von Sales 80Frühwirth, Andreas 131, 145Funk, Franz Xaver 41, 124Funk, Philipp 48Genocchi, Giovanni 85, 122, 145George, Stefan 31Gerard, John 72Gerstfeldt, Olga von 20Gibbons, James 40, 42, 144Girodon, Paul 44Gismondi, Enrico 64, 145Gobineau, Arthur de 46Graf, Friedrich Wilhelm 17, 33Gregor XVI. (Mauro Cappellari), Papst

118Gunkel, Heinrich 58Günter, Heinrich 48, 77Haffner, Paul Leopold 41Handel-Mazzetti, Enrica von 81Harnack, Adolf (von) 16, 59, 61f., 64,

66f., 73, 125f.Hartmann, Eduard von 25

Anhang

159

Hartmann, Felix von 132Hausberger, Karl 40Hauviller, Ernst 31Hébert, Marcel 85f.Hecker, Isaac Thomas 38Hefele, Hermann 48Heiler, Friedrich 50, 67Hofmannsthal, Hugo von 31Höhler, Matthias 41Holland, Bernard 88Holtzmann, Heinrich 57Homer 111Houtin, Albert 68, 73, 77, 85f., 95Hügel, Friedrich von 57, 62, 66, 69 –71,

73f., 77f., 81– 88Hügel, Gertrude von 70Ignatius von Loyola 71, 123Ireland, John 35 –37Isenbiehl, Lorenz 18Janssens, Laurentius 43f., 49, 95, 120,

133f., 145Jay, Pierre 82Johannes Paul II. (Karol Wojtyła), Papst

97Johannes XXIII. (Angelo Giuseppe

Roncalli), Papst 123f., 139Jonckx, Adolphe 129Jülicher, Adolf 58Kant, Immanuel 18, 75, 93, 116Katharina Fieschi von Genua 84Katzer, Franz Xaver 40Keppler, Paul Wilhelm (von) 26, 44 – 49,

144Klein, Félix 38, 40Koch, Hugo 66, 125Koch, Wilhelm 48Kopp, Georg 131Korum, Michael Felix 131Kraus, Franz Xaver 28f., 31–33, 38, 42f.,

46, 48, 81, 83, 144Kuyper, Abraham 12La Mennais, Félicité de 13Laberthonnière, Lucien 71, 73, 77, 80,

144f.Lagarde, Paul de 31f., 46Lagrange, Marie-Joseph 43, 62, 124,

139, 144Lahitton, Joseph 135

Langbehn, Julius 46Langlois, Claude 138Langogne, Pie de (Pierre-Armand Sa-

badel) 92–102, 105, 133 –135Lash, Nicolas 10Le Camus, Émile-Paul 95Le Roy, Édouard 77, 100, 105Lémius, Joseph 80, 116f., 119, 134 –136Leo XIII. (Vincenzo Gioacchino Pecci),

Papst 18, 21–23, 26, 35, 39f., 42, 49,55f., 59, 65, 70, 91f., 94, 117f., 135,144f.

Lepidi, Alberto 39, 99, 100 –103, 105Loisy, Alfred 14, 43, 49 – 68, 69, 72f.,

78f., 83 – 85, 91–106, 111, 116f., 119,121, 125, 127f., 132, 136, 140,144 –146

Loome, Thomas Michael 87Lorenzelli, Benedetto 40 – 42, 135Lottini, Giovanni 103Ludot, Onésime 51Lugari, Giovanni Battista 102Luther, Martin 11, 30, 114Maignen, Charles 38f.Maritain, Jacques 138Maurras, Charles 117, 132–138Mazzella, Camillo 39, 55f.McKinley, William 35Mercier, Désiré 75Merkle, Sebastian 24, 30Merry del Val, Rafael 65, 73 –75, 101,

105, 119, 127, 129, 131, 137Mignot, Eudoxe-Irénée 58, 82, 95Minocchi, Salvatore 19, 86, 144Mivart, St. George Jackson 44Müller, Josef 26f., 33Murri, Romolo 109, 130, 144, 146Mussolini, Benito 129Muth, Carl 30, 31, 33, 131, 133, 144f.Newman, John Henry 57, 71, 79f., 84,

96Nörber, Thomas 45O’Connell, Denis 36, 37, 38O’Dwyer, Edward Thomas 79Oexle, Otto Gerhard 140Oppersdorff, Hans Georg Graf von

130f.Palmieri, Domenico 93 – 96, 98f.

Personenregister

160

Pascal, Blaise 75Paul IV. (Gianpietro Carafa), Papst 120Paul VI. (Giovanni Battista Montini),

Papst 139Péladan, Joséphin, «Sar» 114Périn, Charles 12, 13Perraud, Adolphe 95Petre, Maude 73f.Pius IX. (Giovanni Maria Mastai-Fer-

retti), Papst 13, 51, 98, 101, 118, 120,134

Pius V. (Michele Ghislieri), Papst 120Pius VI. (Giovanni Angelo Graf Bra-

schi), Papst 18Pius X. (Giuseppe Sarto), Papst 10f.,

14f., 21, 23, 32, 39, 49, 65, 79, 89f.,92, 94, 101, 105 –112, 114f.,117–120, 122, 124, 127–139, 145f.

Pius XI. (Achille Ratti), Papst 132, 136,138

Pius XII. (Eugenio Pacelli), Papst 16, 94,132, 137–139

Poulat, Émile 87, 129Prévotat, Jacques 132Rahner, Karl 71, 125f.Rampolla del Tindaro, Mariano 41f.Renan, Ernest 12, 53, 67Réville, Jean 66Richard de la Vergne, François 56, 58,

65, 92, 95Ritschl, Albrecht 16Rosmini, Antonio 97Rottmanner, Odilo 26Sabadel, Pierre-Armand → Langogne,

Pie deSabatier, Paul 77, 82f.Sangnier, Marc 130Sardi, Vincenzo 108, 116, 118Sauer, Joseph 23, 29, 81Schäzler, Constantin von 25Schell, Herman 23 –26, 31, 33f., 38, 40f.,

47, 49, 133, 145Schemann, Ludwig 46Schepers, Judith 121Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst

14, 16Schlör, Ferdinand von 41fSchnitzer, Joseph 77, 125f., 146

Schnitzler, Arthur 31Schröder, Joseph 38Schwane, Joseph Anton 126Schwedt, Herman H. 27Seeberg, Erich 126Semeria, Giovanni 85, 122Sinsheimer, Hermann 24Sixtus V. (Felice Peretti di Montalto),

Papst 118Spahn, Martin 25Steinhuber, Andreas 41f., 102, 104, 145Steinmann, Ernst 20Stöck, Anton 28Strauß, David Friedrich 12Taxil, Leo (Pseudonym für Gabriel-An-

toine Jogand-Pagès) 26Thomas von Aquin 11, 70, 146Tischendorf, Konstantin von 52Trémolières, François 79Troeltsch, Ernst 19f., 73, 85Turmel, Joseph 66, 73Tyrrell, George 10, 16, 44, 58, 68 – 82,

85, 87, 105, 117, 119, 140, 144 –146Tyrrell, William 70Underhill, Evelyn 20van Rossum, Willem 96, 98f., 103, 121,

135f.Verucci, Guido 141Vigouroux, Fulcran 52fVives y Tutó, José Calasanz 92, 105,

117f.Ward, William George 83Weiß, Albert Maria 14, 27, 41, 95,

109 –116, 118, 131, 136Weiß, Johannes 58Weiß, Otto 129, 133Wellhausen, Julius 57Wilhelm I., deutscher Kaiser 34Wilhelm von Ockham 11Wrede, William 59Zahm, John 43

Anhang