hirnstimulation — physiologische grundlagen

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3 Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen Hartwig Roman Siebner, Ulf Ziemann ZUM THEMA Dieses Kapitel behandelt die elektrophysiologischen Grundlagen der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) am Beispiel der Stimulation des primären mo- torischen Kortex. Die neurophysiologsichen Mecha- nismen der TMS sind im Vergleich zur Elektrostimulati- on des peripheren Nervs ungleich komplexer und viele Fragen sind aktuell noch unbeantwortet. Selbst wenn eine »fokale« achtförmige Reizspule verwendet wird, ist die TMS nicht umschrieben genug, um einzelne Neu- ronenpopulationen im Kortex selektiv zu stimulieren. Wird die Reizspule tangential auf die Schädeloberflä- che aufgesetzt, induziert der Magnetreiz ein relativ ho- mogenes, horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld in dem unter der Spule liegenden Kortex. Aufgrund the- oretischer Erwägungen wird angenommen, dass die TMS bevorzugt Aktionspotenziale in solchen Axonen auslöst, die parallel zum induzierten elektrischen Feld verlaufen und einen gebogenen Verlauf haben. Die durch das elektromagnetische Wechselfeld induzierten Aktionspotenziale breiten sich über synaptische Ver- bindungen im stimulierten Kortex aus und verursachen ein komplexes Muster an exzitato- rischen und inhibitorischen postysnaptischen Aktions- potenzialen. Diese indirekten, »transsynaptischen« Ef- fekte tragen wahrscheinlich wesentlich zur kortikalen Neurostimulation bei. Neben technischen Variablen wie der Reizintensität oder der Reizkonfiguration be- einflussen intrinsische Variablen wie die Ausrichtung der Axone im stimulierten Kortex relativ zur Orientie- rung des induzierten elektrischen Feldes, der Abstand des zu stimulierenden Kortex von der Schädeloberflä- che oder das aktuelle Erregbarkeitsniveau der korti- kalen Neurone zum Zeitpunkt der TMS wesentlich die Effizienz der transkraniellen Neurostimulation. Die Aus- lösung von Aktionspotenzialen in kortikokortikalen oder kortikosubkortikalen Projektionsneuronen führt zur transsynaptischen Ausbreitung der Neurostimulati- on in mit dem kortikalen Zielareal verbundene Hirnre- gionen. Dieser Mechanismus ist vermutlich für funkti- onelle »Netzwerkeffekte« der TMS von entscheidender Bedeutung. 3.1 Einführung – 28 3.2 Allgemeine Betrachtungen – 28 3.2.1 Die periphere elektrische Neurostimulation – 28 3.2.2 Neuroanatomische Grundlagen – 31 3.2.3 Ankopplung des elektrischen Feldes an die kortikale neuronale Aktivität – 33 3.3 Transkranielle Stimulation des primären motorischen Kortex – 35 3.3.1 Transkranielle elektrische Stimulation des primären motorischen Handareals – 37 3.3.2 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Handareals – 38 3.3.3 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Beinareals – 42 3.3.4 Kortikospinale Aktivierung der spinalen Motoneurone – 42 Literatur – 44

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Hirnstimulation – Physiologische GrundlagenHartwig Roman Siebner, Ulf Ziemann

Z U M T H E M A

Dieses Kapitel behandelt die elektrophysiologischen Grundlagen der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) am Beispiel der Stimulation des primären mo-torischen Kortex. Die neurophysiologsichen Mecha-nismen der TMS sind im Vergleich zur Elektrostimulati-on des peripheren Nervs ungleich komplexer und viele Fragen sind aktuell noch unbeantwortet. Selbst wenn eine »fokale« achtförmige Reizspule verwendet wird, ist die TMS nicht umschrieben genug, um einzelne Neu-ronenpopulationen im Kortex selektiv zu stimulieren. Wird die Reizspule tangential auf die Schädeloberfl ä-che aufgesetzt, induziert der Magnetreiz ein relativ ho-mogenes, horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld in dem unter der Spule liegenden Kortex. Aufgrund the-oretischer Erwägungen wird angenommen, dass die TMS bevorzugt Aktionspotenziale in solchen Axonen auslöst, die parallel zum induzierten elektrischen Feld verlaufen und einen gebogenen Verlauf haben. Die durch das elektromagnetische Wechselfeld induzierten Aktionspotenziale breiten sich über synaptische Ver-bindungen im stimulierten Kortex aus

und verursachen ein komplexes Muster an exzitato-rischen und inhibitorischen postysnaptischen Aktions-potenzialen. Diese indirekten, »transsynaptischen« Ef-fekte tragen wahrscheinlich wesentlich zur kortikalen Neurostimulation bei. Neben technischen Variablen wie der Reizintensität oder der Reizkonfi guration be-einfl ussen intrinsische Variablen wie die Ausrichtung der Axone im stimulierten Kortex relativ zur Orientie-rung des induzierten elektrischen Feldes, der Abstand des zu stimulierenden Kortex von der Schädeloberfl ä-che oder das aktuelle Erregbarkeitsniveau der korti-kalen Neurone zum Zeitpunkt der TMS wesentlich die Effi zienz der transkraniellen Neurostimulation. Die Aus-lösung von Aktionspotenzialen in kortikokortikalen oder kortikosubkortikalen Projektionsneuronen führt zur transsynaptischen Ausbreitung der Neurostimulati-on in mit dem kortikalen Zielareal verbundene Hirnre-gionen. Dieser Mechanismus ist vermutlich für funkti-onelle »Netzwerkeff ekte« der TMS von entscheidender Bedeutung.

3.1 Einführung – 28

3.2 Allgemeine Betrachtungen – 283.2.1 Die periphere elektrische

Neurostimulation – 28

3.2.2 Neuroanatomische Grundlagen – 31

3.2.3 Ankopplung des elektrischen Feldes an

die kortikale neuronale Aktivität – 33

3.3 Transkranielle Stimulation des primären motorischen Kortex – 35

3.3.1 Transkranielle elektrische Stimulation des

primären motorischen Handareals – 37

3.3.2 Transkranielle Magnetstimulation des

primären motorischen Handareals – 38

3.3.3 Transkranielle Magnetstimulation des

primären motorischen Beinareals – 42

3.3.4 Kortikospinale Aktivierung der spinalen

Motoneurone – 42

Literatur – 44

28 Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

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3.1 Einführung

Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) wird über ein zei tlich veränderliches Magnetfeld im Hirn-gewebe ein elek trisches F eld ind uziert, um N erven-zellen zu r eizen (7 Kap. 2). Hierfür wird in der Reg el eine Reizspule tangential zur SchädeloberĀ äche aufge-legt und mit einem zeitveränderlichen Strom gespeist. Bei ho mogener L eitfähigkeit des G ewebes f ührt ein transkranieller M agnetimpuls zu einem S tromĀ uss im G ewebe, der pa rallel zum S trom in der S timula-tionsspule verläuft und eine en tgegengesetzte Strom-richtung h at (7 Kap. 2). S eit ihr er Einf ührung d urch Barker et al . (1985) wur de die T MS in zahlr eichen Untersuchungen w eltweit ein gesetzt, um die k orti-kale Erregbarkeit und Konnektivität insbesondere des motorischen Systems zu un tersuchen oder um H irn-funktionen passager zu bee inĀ ussen (7 Kap. 1). Trotz der breiten Anwendung der TMS sind wichtige Fragen zur Ank opplung des ind uzierten elek trischen F eldes an die kortikalen Neurone bislang unbeantwortet:

Welche Anteile des Kortex werden präferenzi-ell erregt?Werden auch Axonbündel im subkortikalen Mar-klager von der TMS eff ektiv stimuliert?Welche Neuronenpopulationen haben die nied-rigste Reizschwelle?An welcher Stelle werden die Neurone erregt?

Am besten sind die Mechanismen der transkraniellen Neurostimulation f ür die T MS des p rimären mo to-rischen Kortex untersucht (Übersicht bei Amassian et al. 1987; Di L azzaro et al . 200 4). Im Folgenden wird der derzeitige neurophysiologische Kenntnisstand zur Wirkweise t ranskranieller elek trischer und mag ne-tischer S timuli un ter b esonderer B erücksichtigung der T MS des p rimären mo torischen K ortex zus am-mengefasst.

3.2 Allgemeine Betrachtungen

3.2.1 Die periphere elektrische Neurostimulation

Bei der TMS handelt es sich um eine induktive (elek-tromagnetoelektrische) N ervenstimulation, w obei über den »U mweg« eines zei tlich veränderlichen Magnetfeldes im Gewebe e in e lektrisches Feld indu-ziert wird. D a das magnetis che Feld nur dazu dien t, ein elektrisches F eld im Gehirn a ufzubauen, ist der Begriff »M agnetstimulation« ir reführend, ha t s ich aber in der P raxis d urchgesetzt. D a das im G ehirn

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induzierte, elektrische Feld die tra nskranielle Neuro-stimulation bewirkt, basiert die Nervenreizung durch die TMS prinzipiell auf denselben Mechanismen wie bei der k onventionellen E lektrostimulation. W ie b ei der Elektrostimulation ist für die Depolarisation eines Axons der rä umliche Gradient des ind uzierten elek-trischen Feldes (d. h. die Änderungsrate der Feldstärke entlang einer bestimmten Raumrichtung) im Verhält-nis zum Verlauf des Axons entscheidend (7 Kap. 2). Überschreitet d ie d urch d en e lektrischen G radien-ten induzierte Membrandepolarisation eine kr itische Schwelle, kommt es zu einer drastischen Zunahme der Durchlässigkeit dep olarisierender I onenkanäle (v . a. Natrium-Kanäle). Diese Permeabilitätsänderung der Ionenkanäle bewirkt einen ak uten Einstrom von Na-Ionen von extra- nach intrazellulär und löst ein Akti-onspotenzial a us ( 7 Exkursbox »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«).

Die TMS beruht also auf einer elektrischen Stimu-lation kortikaler Neurone. Es i st daher s innvoll, s ich zunächst die w esentlichen Prinzipien der p eripheren elektrischen und magnetischen Nervenstimulation zu vergegenwärtigen, um die Wirkweise der TMS zu ver-stehen. Bei der konventionellen elektrischen Nerven-stimulation ist die S ituation r elativ üb ersichtlich, da ein B ündel v on im N erv pa rallel v erlaufenden Ax o-nen stim uliert wir d. H ierzu wir d eine b ipolare S ti-mulationselektrode p arallel z um N ervenverlauf a uf der H aut platziert und ein r echteckförmiger I mpuls mit einer Dauer von wenigen hundert Millisekunden verabreicht. Verursacht der elektrische Gewebsstrom im Ax on einen a uswärtsgerichteten tra nsmembra-nösen Strom, wird an dies er Stelle das M embranpo-tenzial depolarisiert. Ist die D epolarisation des Ax o-ns überschwellig, entsteht ein Ak tionspotenzial , dass orthodrom u nd antidrom e ntlang d es A xons fortge-leitet wir d. B ei der b ipolaren elek trischen S timulati-on eines lang gestreckten, peripheren Nervs Ā ießt der Gewebsstrom zunäc hst in alle Ric htungen v on der Anode weg. Im Nervenabschnitt zwischen den beiden Elektroden verläuft der ind uzierte Gewebsstrom vor-wiegend in horizontaler Richtung, um dann unter der Kathode wie der eine v orwiegend v ertikale A usrich-tung a nzunehmen. An dies er um schriebenen S telle unter der K athode er folgt die N ervenstimulation, da sich dort die Stromlinien vom Nervenverlauf weg hin zur Kathode »biegen« und einen a uswärtsgerichteten transmembranösen S tromĀ uss ind uzieren ( 7 Kap. 2, . Abb. 2.2). An dies er Stelle wird die Ax onmembran depolarisiert. Üb erschreitet die M embrandepolarisa-tion eine kr itische Schwelle, kommt es zu einer ak u-ten P ermeabilitätsänderung der spa nnungsabhän-gigen Ionenkanäle und es wir d ein Ak tionspotenzial

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ausgelöst (7 Exkurs »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«).

Exkurs

Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung

Unter einem Aktionspotenzial versteht man eine kurzzeitige, in ganz charakteristischer Form ablau-fende Auslenkung des Ruhemembranpotenzials ei-ner Nervenzelle (Neuron) oder Muskelzelle. Das Ru-hemembranpotenzial liegt typischerweise zwischen –90 und –70 mV. Eine anfängliche Depolarisation der Membran triggert, sobald ein Schwellenpotenzial er-reicht wird, eine Kaskade von Öff nungs- und Schlie-ßungsvorgängen an spannungsabhängigen Ionenka-nälen. Die Öff nung der spannungsaktivierten Kanä-le verursacht transmembranöse Ionenströme, welche das Membranpotenzial akut verändern. Hierbei rea-giert die Zellmembran nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Bleibt ein depolarisierender Reiz unterschwel-lig, wird kein Aktionspotenzial ausgelöst. Ist der de-polarisierende Reiz überschwellig, wird ein gleichför-miges Aktionspotenzial induziert, egal wie stark der auslösende überschwellige Reiz ist. Die Dauer eines neuronalen Aktionspotenzials beträgt ca. 1–2 ms.Das Aktionspotenzial ist auf die Eigenschaften ver-schiedener Gruppen von Ionenkanälen in der Plas-mamembran der Zelle zurückzuführen. Es lassen sich 4 Phasen des Aktionspotenzials beschreiben (. Abb. 3.1): In der Initiationsphase wird durch einen passenden Reiz das Membranpotenzial bis zum Schwellenpo-tenzial angehoben. Der auslösende Reiz kann ein Ak-tionspotenzial am benachbarten Membranabschnitt (im Rahmen der elektrotonischen Weiterleitung des Aktionspotenzials entlang der Zellmembran) oder die Öff nung von Ionenkanälen (Na+, Ca2+) an der post-synaptischen Membran (im Rahmen der synaptischen Neurotransmission) sein.Die Depolarisationsphase bezeichnet den steilen An-stieg des Potenzials bis in den positiven Bereich. Den ersten sehr steilen Abschnitt bezeichnet man als Auf-strich, die Potenzialumkehr bis zu einem Bereich zwi-schen +20 und +30 mV ins Positive als »overshoot« Die Depolarisation entspricht also einem Anstieg des Potenzials von negativeren hin zu positiveren Werten. Der anschließende Abfall in Richtung des Ruhepoten-zials wird als Repolarisationsphase beschrieben. Wird das Potenzial noch ein Stück unter das Niveau des Ruhepotenzials ausgelenkt, um dann langsam wie-der das Ruhemembranpotenzial zu erreichen, spricht man von der Nachhyperpolarisation .

Die Neurone verfügen über eine Reihe von Ionen-kanälen . In der Ausgangslage befi ndet sich die Zel-le in Ruhe. Im Ruhezustand liegt an der Zellmem-bran ein negatives Ruhemembranpotenzial an. Das Ruhemembranpotenzial wird von der Durchlässig-keit bestimmter Kaliumkanäle und dem transmem-branösen Konzentrationsgefälle der Kaliumionen be-stimmt. Die spannungsaktivierten Natriumkanäle sind im Ruhezustand geschlossen. Für das Aktionspotenzial sind vor allem bestimmte für Natrium- bzw. Kaliumionen spezifi sche Ionenka-näle verantwortlich, die sich in Abhängigkeit vom Membranpotenzial öff nen. Bei Depolarisation über einen kanalspezifi schen Wert erfolgt eine Konforma-tionsänderung spannungsabhängiger Natriumkanä-le. Der Kanal wird dadurch durchlässig für Ionen und geht für wenige Millisekunden in den geöff neten Zu-stand über. Natriumionen, deren Konzentration sehr weit von ihrem Gleichgewichtspotenzial entfernt ist, strömen in die Zelle ein und depolarisieren die Zell-membran. Hierdurch werden weitere Kanäle geöff -net, noch mehr Ionen können in das Neuron einströ-men.Aber noch bevor das Potenzialmaximum erreicht ist, beginnen die spannungsabhängigen Natriumka-näle zu inaktivieren. Gleichzeitig werden die span-nungsabhängigen Kaliumkanäle aktiviert und Kalium strömt aus der Zelle aus. Im Vergleich zu den schnell öff nenden Natriumkanälen brauchen die Kalium-kanäle wesentlich länger für die Öff nung der Kanä-le. Während die Natriumleitfähigkeit bereits ihr Maxi-mum erreicht hat, sind die Kaliumkanäle gerade erst zur Hälfte geöff net. Die spannungsaktivierten Ka-liumkanäle erreichen ihr Maximum erst, wenn fast alle Natriumkanäle schon inaktiviert sind. Dadurch liegt der maximale Natriumeinstrom in die Zelle et-was vor dem Spannungsmaximum des Aktionspoten-zials, während der Zeitpunkt des maximalen Kalium-ausstroms aus der Zelle in die Phase der steilsten Re-polarisation fällt. Während der Repolarisation nähert sich das Potenzial wieder dem Ruhepo tenzial an. Die spannungsabhängigen Kaliumkanäle schließen, die spannungsabhängigen Natriumkanäle werden lang-sam wieder aktivierbar. In vielen Neuronen ist noch

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eine Nachhyperpolarisation zu beobachten. Sie er-klärt sich durch eine auch weiterhin noch erhöhte Ka-liumleitfähigkeit, wodurch das Potenzial noch näher am Kaliumgleichgewichtspotenzial liegt. Die Leitfä-higkeit ist höher, weil während des Aktionspotenzi-als eingeströmte Kalziumionen entsprechende Kali-umkanäle öff nen und normalisiert sich erst, wenn der Kalziumspiegel wieder absinkt. Auch eine erhöhte Pumprate der Natrium-Kalium-ATPase kann einen Beitrag zur Nachhyperpolarisation leisten.Nach dem Abklingen des Aktionspotenzials ist das Axon für eine kurze Zeit nicht mehr erregbar. Diese Refraktärzeit wird bestimmt durch die Zeit, welche die spannungsabhängigen Natriumkanäle zur Wie-deraktivierung benötigen. Während der absoluten Refraktärzeit (<1 ms), wenn die Repolarisation noch im Gange ist, können sich diese Kanäle überhaupt nicht wieder öff nen. Während der relativen Refrak-tärzeit (wenige Millisekunden) benötigt man stärkere Reize und erhält schwächere Aktionspotenziale.Das Auslösen eines Aktionspotenzials wird im Jargon auch als »Feuern« bezeichnet. Aktionspotenziale kön-nen verlustfrei entlang der Zellmembran fortgeleitet werden und ermöglichen so die Erregungsfortleitung im Nervensystem und die Kontraktion der Muskula-tur. Die umschriebene Änderung des Plasmamem-branpotenzials kann an der nächsten Stelle der Mem-bran wieder als Reiz dienen, was die Grundlage der Reizfortleitung ist. Bei myelinisierten Axonen springt die Erregungsfortleitung von einer Einschnürung der Myelinscheide (Ranvierscher Schnürring ) zur näch-sten Einschnürung. Diese »springende« (saltatorische) Erregungsausbreitung ermöglicht eine besonders schnelle Erregungsfortleitung entlang des Axons.Die Erregungsfortleitung von einem Neuron auf ein benachbartes Neuron erfolgt über die synaptische

Neurotransmission . Erreicht ein Aktionspotenzial die Synapse, wird eine Überträgersubstanz, die auch als Botenstoff oder Neurotransmitter (z. B. Glutamat) be-zeichnet wird, »explosionsartig« in den synaptischen Spalt abgegeben. Je mehr Aktionspotenziale hinter-einander die Synapse erreichen, desto mehr Trans-mitterstoff e werden ausgeschüttet. Im Gegensatz zum Aktionspotenzial ist das postsynaptische Po-tenzial also keine »Alles-oder-Nichts-Antwort«, son-dern es hängt von der präsynaptischen Erregung ab. Die Neurotransmitter aktivieren über Rezeptoren Io-nenkanäle (Na+, Ca2+) an der postsynaptischen Mem-bran. Der hierdurch ausgelöste Einstrom von Ionen generiert ein exzitatorisches postsynaptisches Poten-zial (EPSP). Ein einzelnes postsynaptisches Potenzi-al reicht nicht aus, um in der postsynaptischen Zelle ein fortgeleitetes Aktionspotenzial auszulösen. Dazu müssen im postsynaptischen Neuron mehrere post-synaptische Potenziale gleichzeitig generiert werden. Zudem kann an inhibitorischen Synapsen über inhi-bitorische Botenstoff e (z. B. GABA) an der postsynap-tischen Membran durch Aktivierung von Chloridka-nälen ein hyperpolarisierender Strom und somit ein inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP) ge-neriert werden. EPSP und IPSP können über eine Viel-zahl an Synapsen gleichzeitig im postsynaptischen Neuron generiert werden. Die Summe aller zeitgleich generierten EPSP und IPSP bestimmt, ob in der post-synaptischen Zelle ein fortgeleitetes Aktionspoten-zial ausgelöst wird oder nicht. Die Erregung wird so-mit an den Synapsen immer nur in eine Richtung – vom präsynaptischen auf das postsynaptische Neu-ron fortgeleitet.

Innerhalb des Nervensystems wird die neuronale Erre-gung innerhalb eines Neurons als fortgeleitete Auslen-kung des Ruhemembranpotenzials weitergeleitet (7 Exkurs »Aktionspotenzial und neur onale Er regungs-fortleitung«). Z wischen z wei N euronen e rfolgt d ie neuronale Erregung über ein chemisches Signal an der Synapse (7 Exkurs »Aktionspotenzial und neur onale Erregungsfortleitung«). Neurone lassen sich auch von »außen« elektrisch reizen. Die künstliche Reizung der Axone peripherer Nerven kann durch die intakte Haut hindurch mit der k onventionellen elektrischen Neu-rostimulation erfolgen. Die Effi zienz der Stimulation

hängt von der Intensität und der Dauer des rechteck-förmigen Stromimpulses ab (. Abb. 3.1). Im Ruhezu-stand wirken hyperpolarisierende zellauswärts gerich-tete, transmembranöse Ionenströme (Kalium-Kanäle) dem dep olarisierenden elektrischen Strom entgegen. Daher müssen Reizstärke und Reizdauer ausreichend sein, um eine überschwellige Depolarisation der Zell-membran zu er reichen. Die Reizst ärke, die b ei einer festgelegten R eizdauer e rforderlich i st, u m e in A kti-onspotenzial im Axon zu induzieren, kann elektro-physiologisch b estimmt werden. D ie K urve, w el-che die B eziehung zwis chen minimal er forderlicher

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Reiz intensität und Reizdauer darstellt, beschreibt die elektrische Erregbarkeit der N ervenzelle. Diese Reiz-zeit-Reizstrom-Kurve lässt sich durch R heobase und Chronaxie b eschreiben ( . Abb. 3.1). Die S tromstär-ke, die bei sehr langer Stimulationsdauer gerade noch ausreicht, um ein Ak tionspotenzial auszulösen, wird als R heobase beze ichnet. Die Chr onaxie b eschreibt die minimal er forderliche Reizda uer b ei S timulati-on mit zweifacher Rheobase und ist ein Maß für die elektrische Er regbarkeit der N ervenfaser. Stark mye-linisierte Ax one ha ben eine k ürzere Chr onaxie und eine niedrigere Rheobase als schwach oder unmyeli-nisierte Axone. Aufgrund der niedrigeren Reizschwel-le sind gut myeliniserte Axone daher bei gleicher Sti-mulationsdauer mit einer wesentlich geringeren Reiz-intensität zu er regen als s chlecht oder nicht myelini-serte Axone.

Auch mit der p eripheren Magnetstimulation las-sen sich die Axone peripherer N erven stimulieren (7 Kap. 12). Maccabee e t a l. (1988) untersuchten den Eff ekt un terschiedlicher S pulenorientierungen einer kleinen R undspule, um mi t der T MS eine o ptima-le N ervenstimulation z u e rzielen. D ie M essung d er Amplitude d es d urch d en M agnetstimulus a usgelö-sten Muskelsummenaktionspotenzials (MSAP) zeigte, dass die Ax one immer da nn optimal stimuliert wur-den, wenn eine Spulenorientierung verwendet wur-de, die einen parallel zum Nerv verlaufenden Gewebs-strom induzierte. Analog zur peripheren elektrischen

Nervenstimulation mit OberĀ ächenelektroden erfolgt die Nervenstimulation bei der peripheren Magnetsti-mulation an dem Ort, wo die Richtung des induzierten elektrischen Feldes vom Verlauf des Nervs zu divergie-ren beginnt. An dies er Stelle führt das »g ekrümmte« elektrische Feld zu einem a uswärtsgerichteten, depo-larisierenden Ionenstrom durch die Zellmembran der Axone (7 Kap. 2, . Abb. 2.2). Dagegen lösen Spuleno-rientierungen, die ein elektrisches Feld quer zum Ver-lauf der Nerven induzieren, eine minimale Erregung der Axone und somit nur ein sehr kleines MSAP aus.

3.2.2 Neuroanatomische Grundlagen

Bei der transkraniellen Neurostimulation der mensch-lichen H irnrinde ist die Si tuation un gleich k ompli-zierter, da hier nich t wie b eim p eripheren N erv ein wohlgeordnetes F aserbündel a us pa rallel a ngeord-neten Ax onen stim uliert wir d. Die H irnrinde is t eine hochkomplexe neuronale Struktur, die a us einer Vielzahl u nterschiedlicher N euronenpopulationen besteht, d ie e ine u nterschiedliche r äumliche A us-richtung und Erregbarkeit aufweisen. Werden bei der peripheren Neurografi e ausschließlich Axone stimu-liert, sind bei der Stimulation der Hirnrinde die korti-kalen Neurone mit ihren Dendriten, Soma und Axon dem induzierten elektrischen Feld ausgesetzt und des-halb ist der Or t, an dem die Er regung initiiert wird,

Abb. .a,b. a Schematische Darstellung eines Aktions-potenzials: Die dicke, durchgezogene Linie zeigt die Auslen-kung des Membranpotenzials, während die zwei grau gestri-chelten Linien den Öff nungszustand der transmembranösen Na+- und K+-Kanäle während des Aktionspotenzials darstellen. b Reizschwellenkurve für die elektrische Nervenstimulation mit einem rechteckförmigen elektrischen Reizstrom. Die

. dicke durchgezogene Reizschwellenkurve gibt an, welche Rei-zintensität bei einer gegebenen Reizdauer gerade noch aus-reicht, um in einem Axon ein Aktionspotenzial auszulösen. Aus dieser Kurve lassen sich Rheobase und Chronaxie berech-nen, welche die neuronale Erregbarkeit des Axons charakteri-sieren. (Nähere Erläuterungen 7 Abschn. 3.2.1 und Exkursbox »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«)

a b

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weniger off ensichtlich als bei der elek trischen Sti-mulation p eripherer A xone e ines N ervs. D ennoch gilt auch f ür kortikale Neurone, dass der elek trische Strom dann Aktionspotenziale auslöst, wenn das elek-trische F eld einen a uswärtsgerichteten I onenstrom im Ax on ind uziert, der die Z ellmembran dep olari-siert. In kortikalen Neuronen lassen sich a m ehesten Aktionspotenziale auslösen, wenn das induzierte elek-trische Feld von den Dendriten zum Axon Ā ießt und dort an der Zellmembran des Somas oder proximalen Axons im Bereich des initialen Axonhügels einen aus-wärtsgerichteten S trom ind uziert (Ro th 1994). M ög-liche F aktoren, die die Effi zienz der Neurostimula-tion b estimmen, sind die r elative Diff erenz im L ei-tungswiderstand zwischen Dendritenbaum und Axon und eine Biegung des Axons beim Eintritt in die wei-ße Substanz. Der relativ hohe elektrische Widerstand des Dendritenbaums favorisiert bei einer S tromrich-tung v om D endritenbaum zum Ax on einen Ein tritt des Stroms in das Neuron im Bereich des Somas. Eine Biegung des Ax ons führt zu einem a uswärtsgerichte-ten depolarisierendem Strom bei einem g leichförmig ausgerichteten elektrischen Feld.

Die k ortikale M ikroarchitektur ist k omplex und weist in jedem Kortexareal spezifi sche Besonderheiten auf. Als mög liche neur onale Z ielstrukturen f ür die TMS k ommen v or allem die in L ängsrichtung (als o senkrecht zur KortexoberĀ äche) verlaufenden Axone der Pyramidenzellen sowie die in Querrichtung (also parallel zur K ortexoberĀ äche) verlaufenden horizon-talen Faserbündel in Betracht. Die kortikalen Neurone eines Kortexareals sind vielfältig über Synapsen mit-einander v erknüpft . D aneben s ind d ie i ntrinsischen Neurone des Kortex (Interneurone) mit anderen Kor-texarealen üb er k ortikokortikale Ax one syna ptisch verbunden. Z udem v erbinden k ortikosubkortikale und sub kortikokortikale N eurone jedes K ortexareal mit subkortikalen Strukturen wie den B asalganglien, dem Th alamus, Zerebellum und Rückenmark. Daraus folgt, dass eine lokale, kortikale Neurostimulation sich transsynaptisch a usbreiten ka nn, w enn in den en t-sprechenden Ax onen ein Ak tionspotenzial a usgelöst wurde.

Dies hat zwei wichtige Implikationen für die Wirk-weise der TMS:

Zum einen können die Neurone, in denen der transkranielle Stimulus Aktionspotenziale aus-gelöst hat, über synaptische Verbindungen ande-re, primär nicht überschwellig stimulierte Neu-ronenpopulationen, erregen. Die transsynap-tische Erregungsausbreitung im stimulierten Kortex löst eine Mischung aus exzitatorischen (exzitatorisches postsynaptisches Potenzi-

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al, EPSP) und inhibitorischen postsynaptischen Potenzialen (IPSP) aus, welche das Ausmaß an neuronaler Erregung im stimulierten Kor-tex modulieren (Verstärkung durch EPSP/Hem-mung durch IPSP). In der Tat führt die TMS des primären motorischen Kortex zu einer Erre-gung unterschiedlicher bahnender und hem-mender Interneuronenpopulationen. Die Erreg-barkeit dieser intrakortikalen Interneuronen-systeme kann mit transkranieller Einzelreizung unter tonischer Vorinnervation (7 Kap. 15) oder in Konditionierungs-Test-Protokollen mittels Doppelpuls-TMS untersucht werden (7 Kap. 16–17). Diese Modulation des direkten Reizeff ektes durch transsynaptische Auslösung sekundär-er Aktionspotenziale in neuronalen Netzwerken hat vermutlich einen wesentlichen Anteil an dem neuronalen Nettoeff ekt der TMS. Die transsynap-tische Aktivierungskomponente der TMS erklärt, warum im Gegensatz zur peripheren Nervensti-mulation die aktuelle Erregbarkeit der kortikalen Neuronenverbände zum Zeitpunkt der TMS einen ausgeprägten EinĀ uss auf die Effi zienz der transkraniellen Neurostimulation hat. Das augen-fälligste Beispiel ist die Steigerung der kortikospi-nalen Erregbarkeit und damit der Amplitude des motorische evozierten Potenzials (MEP) durch willkürmotorische Aktivierung (7 Kap. 5–11).Zum anderen kann sich die durch TMS indu-zierte Erregung eines Kortexareals über die Gene-rierung von kortikokortikalen und kortikosub-kortikalen Aktionspotenzialen in Regionen des Zentralnervensystems ausbreiten, die mit dem direkt stimulierten Kortex neuronal verbunden sind. Diese transsynaptische Erregungsausbrei-tung wird in der klinischen Diagnostik genutzt, um die kortikomuskuläre Überleitung mithil-fe der Aufzeichnung von MEP zu bestimmen (7 Kap. 5–11). Sie kann aber auch genutzt werden, um kortikokortikale Interaktionen zwischen zwei Kortexarealen zu untersuchen (7 Kap. 18 und 33).

Auch die k ortikale M akrostruktur ist im V ergleich zum peripheren Nerv viel komplexer. Einzelne Kor-texregionen s ind i n i hrer L age u nd A usdehnung starken in terindividuellen U nterschieden un terwor-fen und die Üb ergänge häufi g nicht k lar abgrenzbar. Zudem hat der K ortex keine eb ene Ob erĀ äche, son-dern besteht aus Hirnfurchen (Sulci) und Hirnwin-dungen (G yri). Dur ch die a usgeprägte F altung der Hirnrinde ist die rä umliche A usrichtung der g lei-chen neuronalen Elemente im Gyrus- oder Sulcusbe-reich des Kortex interindividuell unterschiedlich. Dies

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kann erhebliche Auswirkungen darauf haben, welche neuronalen Elemente durch die T MS stimuliert wer-den (7 Abschn. 3.2.3).

Im o berĀ ächlichen Anteil einer Hirnwindung sind die Ax one der P yramidenzellen g egenüber der Schädel- und HemisphärenoberĀ äche senkrecht bzw. radiär ausgerichtet, während die ho rizontalen Axon-bündel des K ortex parallel zur S chädel- bzw. Hirno-berĀ äche verlaufen. In der Wand eines S ulcus ist die Situation um gekehrt. H ier v erlaufen die Ax one der Pyramidenzellen p arallel und die ho rizontalen Ax o-nbündel senkrecht zur S chädel- bzw. Hemisphäreno-berĀ äche. Am Sulcusgrund ist dagegen die Ausrich-tung der Ax one wie der v ergleichbar zur K rone des Gyrus. Am Üb ergang von der K rone des G yrus zum Sulcus (und v on der W and zum G rund des S ulcus) sind die Ax one der P yramidenzellen und die ho ri-zontalen Ax onbündel s chräg zur H emisphärenober-Ā äche a usgerichtet. Gleiches g ilt, w enn der S ulcus nicht s enkrecht, s ondern s chräg zur H emisphäreno-berĀ äche verläuft . Entsprechende Üb erlegungen gel-ten für die p räferenzielle Ausrichtung der k ortikofu-galen und kortikopetalen Axone in der subkortikalen weißen Substanz.

3.2.3 Ankopplung des elektrischen Feldes an die kortikale neuronale Aktivität

Die Effi zienz der TMS hängt von der Stärke des indu-zierten elektrischen Feldes im Hirngewebe ab. Je kür-zer die Anstiegszeit des magnetischen Feldes desto effi -zienter ist die ener getische Ank opplung des magne-tischen F eldes a n d as G ewebe (7 Kap. 2). D as ind u-zierte elektrische Feld ist proportional zur Anstiegszeit (zum G radienten) des ind uzierten magnetis chen Feldes. Diese sollte unter 100 µs liegen, um eine mög-lichst effi ziente Neurostimulation zu erzielen.

Entsprechend der A bnahme des magnetis chen Feldes mit der En tfernung von der S pule nimmt die Stärke des induzierten elektrischen Feldes im Gewe-be mit zunehmender Eindr ingtiefe ab (7 Kap. 2). Mit einer Standardrundspule mit einem Spulendurchmes-ser von 12 cm fällt das induzierte Magnetfeld ca. 2 cm unterhalb der S pulenoberĀ äche auf 50% a b. Die ein-geschränkte Tiefenwirkung erklärt, warum die direkte Reizwirkung der T MS auf oberĀ ächliche Anteile des Gehirns begrenzt bleibt und tiefe Hirnstrukturen wie der Th a lamus o der d ie B asalganglien n icht d irekt gereizt werden können.

Die begrenzte Tiefenwirkung erk lärt auch die Zunahme der k ortikalen mo torischen Reizs chwel-le mit zunehmendem Abstand zwischen Reizspu-

le und p rimärem mo torischen Kortex. B ei der T MS des p rimären mo torischen H andareals ist w eiterhin zu berücksichtigen, dass der in der Krone des prä-zentralen Gyrus gelegene kaudale Anteil des dorsalen prämotorischen K ortex nä her der S timulationsspule anliegt als der in der vorderen Wand des Sulcus cen-tralis gelegene primäre motorische Kortex selbst. Eine analoge Überlegung gilt z. B. für die S timulation des supplementären mo torischen K ortexareals im I nter-hemisphärenspalt. Wird dieses Areal mit der TMS sti-muliert, s o ist g leichzeitig mi t einer eff ektiveren Sti-mulation der oberĀ ächlich g elegenen medialen p rä-motorischen Rindenareale zu rechnen.

In e inem sphärischen Volumenleiter mit h omo-gener L eitfähigkeit ind uziert eine t angential a uf-liegende S pule ein ho mogenes elek trisches F eld im Gehirn, das pa rallel zur S pulenebene a usgerichtet ist. Dies e Annahme wur de a uch auf die t ranskrani-elle Kortexstimulation übertragen. Es wird angenom-men, dass eine t angential der S chädeloberĀ äche auf-liegenden S pule im G ehirngewebe ein pa rallel zur OberĀ äche ausgerichtetes, homogenes Feld induziert (7 Kap. 2, . Abb. 2.2). Dies ist ein wesentlicher Unter-schied zur elek trischen K ortexstimulation, b ei der das elek trische F eld im K ortex un ter der Ano de im Wesentlichen in alle Ric htungen von der Ano de weg verläuft und somit ein elektrisches Feld induziert, das z. T. s enkrecht o der horizontal zur K ortexoberĀ äche verläuft .

Die Annahme , dass die T MS ein ho mogenes, horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld im Gehirn induziert, gilt nur da nn unein geschränkt, wenn das stimulierte Gewebe eine ho mogene Leitfähigkeit hat. Nun is t die L eitfähigkeit der S trukturen im S chä-delinnenraum a ber u nterschiedlich. D ie i nhomo-gene L eitfähigkeit d er v erschiedenen G ewebsanteile kann s owohl die H omogenität a ls auch die Ausrich-tung des induzierten elektrischen Feldes beeinĀ ussen. Der Liquor cerebrospinalis hat die hö chste Leitfähig-keit und der ind uzierte Gewebsstrom kann sich hier sehr g ut a usbreiten. D ie s ich i m L iquor a usbreiten-den Wirbelströme sind z. B. eine Voraussetzung dafür, dass eine transkranielle Stimulation zu einer direkten peripheren Erregung des N. facialis an der Schädelba-sis führen kann, obwohl der Nerv mehr als 10 cm vom eigentlichen Reizort entfernt ist (7 Kap. 9).

Aber a uch die elek trische L eitfähigkeit der a us Liquor und Pia mater bestehenden Grenzschicht, wel-che die a neinanderliegenden K ortexareale der S ul-cuswände v oneinander t rennt, k önnte d ie A usrich-tung des induzierten elektrischen Feldes beeinĀ ussen. So ist unk lar, ob das ind uzierte elektrische Feld par-allel zur Ob erĀ äche der G roßhirnhemisphäre (b zw.

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Spulenebene) v erläuft o der pa rallel zur p ialen K ort-exoberĀ äche verläuft und s omit dem W indungsver-lauf des K ortex folgt. Wenn die d urch die P ia mater und L iquor c erebrospinalis g ebildete S chicht z wi-schen den g egenüberliegenden »Wänden« eines S ul-cus im V ergleich zur H irnrinde einen r elativ ho hen Leitungswiderstand hätten, wäre zu erwarten, dass die horizontale Ausrichtung des induzierten elektrischen Feldes eher dem W indungsverlauf der G yri und S ul-ci folgt. Hätte die p iale Grenzschicht einen L eitungs-widerstand, der dem der benachbarten Hirnrinde ver-gleichbar ist, wäre ein Verlauf des induzierten elek-trischen Feldes parallel zur H irnoberĀ äche anzuneh-men. In diesem Fall erregt das induzierte elektrische Feld an der Krone des Gyrus und in der Wand des Sul-cus unterschiedliche neuronale Elemente, da sic h die Ausrichtung der Pyramidenzellen und der horizonta-len Ax onenbündel zwis chen K rone und S ulcuswand um ca. 90° ändert (7 Abschn. 3.2.2).

Aber a uch die gra ue und w eiße S ubstanz un ter-scheiden sich in i hrer elek trischen L eitfähigkeit. D a der Gewebswiderstand der weißen Substanz höher ist als der der grauen Substanz, wird angenommen, dass die ind uzierten G ewebsströme in der w eißen S ub-stanz vergleichsweise niedriger sind als in der g rauen Substanz. In der Tat belegen am Aff en durchgeführte TMS-Experimente, dass die Erregung der kortikospi-nalen Neurone selbst bei maximaler Stimulusintensi-tät auf den Kortex begrenzt bleibt (Edgley et al. 1997). Nach Amassian et al. (1987) leitet die subkortikale wei-ße Substanz unter der Krone des Gyrus aufgrund der vorwiegend radial ausgerichteten Axone der P yrami-denzellen (Amassi an et a l. 1987) p räferenziell S trö-me, die s enkrecht zur K ortexoberĀ äche ausgerichtet sind. Dagegen hat die G ehirnrinde aufgrund der vie-len horizontal und vertikal ausgerichteten Axone auch eine gute Leitfähigkeit für horizontal zur Kortexober-Ā äche ausgerichtete Gewebsströme.

Es b esteht a llenfalls b ruchstückhaft es Wissen darüber, w elche k ortikalen Neurone d urch die T MS am einfachsten erregbar sind und w o genau die Aus-lösung eines Ak tionspotenzials er folgt. A ufgrund der elek trischen Eig enschaft en des N eurons ist die Schwelle für eine elektrische Erregung am niedrigsten im Bereich des Z ellsomas oder des p roximalen Axo-ns, wo der Gewebsstrom bei ausreichender Depolari-sation des M embranpotenzials ein Ak tionspotenzial auslösen kann. Dagegen sind die Eff ekte der E lektro-stimulation auf den D endritenbaum aufgrund seines höheren elektrischen Widerstandes relativ vernachläs-sigbar. Die Empfänglichkeit gegenüber der TMS hängt sicherlich auch vom Zelltyp ab. Obwohl hier systema-tische U ntersuchungen f ehlen, w ird a ngenommen,

dass P yramidenzellen, in trakortikale, k ortikokorti-kale o der t halamokortikale P rojektionsneurone mi t langen Axonen sich durch das ind uzierte elektrische Feld besser stimulieren lassen als intrakortikale Inter-neurone mit einer starken dendritischen Verästelung, aber einem kurzen Axon.

Neben der S tärke des ind uzierten elek trischen Feldes b estimmen die A usrichtung des N eurons im elektrischen F eld, die G röße des N eurons und die Erregbarkeit der Membran des Neurons den Eff ekt der TMS (Amassian et al. 1987). Präferenziell werden sol-che kortikalen Neurone erregt, deren Axone parallel zum ind uzierten elek trischen Feld ausgerichtet sind . Innerhalb des ho mogenen elek trischen F eldes wer -den allerdings nur diejenigen Axone erregt, die einen gebogenen Verlauf haben (7 Kap. 2). Dies liegt daran, dass der elektrische Strom eine Potenzialdiff erenz im Verlauf des Axons induzieren muss, um eine Nerven-stimulation zu b ewirken. Nur durch die B iegung des Axons e ntsteht e in a uswärtsgerichteter, d epolarisie-render M embranstrom, der b ei a usreichender S tär-ke und D auer ein Ak tionspotenzial auslöst (7 Kap. 2, . Abb. 2.2). Die k omplexen rä umlichen Z usammen-hänge zwis chen dem ind uzierten elek trischen F eld und dem V erlauf der k ortikalen Neuronen erk lären, warum eine Dr ehung oder Verkippung der Reizsp u-le unterschiedliche Neuronenpopulationen im stimu-lierten Kortex anregen kann.

Inwieweit gebogene Axone im subkortikalen Mar-klager von der TMS eff ektiv erregt werden können, ist unklar. Subkortikale, horizontal verlaufende kortiko-kortikale Neurone, die benachbarte Kortexareale ver-binden (z. B. U-Fasern) oder Axone von Pyramiden-zellen im Sulcusbereich, die zunächst eine horizonta-le Verlaufsrichtung haben und dann subkortikal eine Biegung in die T iefe mac hen, sind t heoretisch o pti-mal geeignet, um von einem gleichförmigen horizon-talen F eld er regt zu w erden. D a dies e Ax one myeli-nisiert sind, könnten die damit verbundene Abnahme der axonalen Erregbarkeitsschwelle und der gebogene Verlauf den erhö hten Gewebswiderstand der w eißen Substanz gegen horizontale Ströme mehr als a usglei-chen.

Eine b esondere S ituation b esteht do rt, w o Ax o-ne durch knöcherne Austrittspforten hindurchziehen, z. B. durch die N euroforamina der W irbelsäule o der den Canalis facialis an der Schädelbasis. Aufgrund der besseren L eitfähigkeit g egenüber dem um gebenden Knochen w erden die elek trischen Feldlinien in den Foramina g ebündelt, um a n der A ustrittsstelle des Nervs aus dem knöchernen Kanal zu divergieren. Die divergierenden elek trischen F eldlinien v erursachen einen auswärtsgerichteten, transmembranösen Strom,

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der zu einer um schriebenen Depolarisation der Axo-ne und zur Ausbildung eines Aktionspotenzials führt. Diese »Bündelung« des elektrischen Feldes in knö-chernen K anälen wir d in der k linischen Ro utinedi-agnostik, z. B . b ei der f oraminalen S timulation des Spinalnerven zur B estimmung der p eripheren moto-rischen Leitungszeit (7 Kap. 6) oder zur Funktionsdi-agnostik des N. facialis (7 Kap. 9) genutzt.

3.3 Transkranielle Stimulation des primären motorischen Kortex

Die T MS ü ber d em p rimären m otorischen H anda-real ind uziert üb er ein elek tromagnetisches W ech-selfeld ein G ewebsstrom im K ortex. Dies er löst in Abhängigkeit v on der Reizin tensität, Reizk onfi gu-ration und der S pulenausrichtung eine un terschied-liche Anza hl v on deszendier enden Er regungswellen in den schnell lei tenden kortikospinalen Neuronen aus, die monosynaptische Verbindungen mit den spi-nalen Motoneuronen haben (Übersicht bei Amassian et al. 1987; Ziemann u. Rothwell 2000; Di Lazzaro et al.

2004). Jede deszendierende Erregungswelle entspricht hierbei zeitlich-räumlich synchronisierten Aktions-potenzialen.

Diese E rregungswellen d epolarisieren ü ber e xzi-tatorische mo nosynaptische V erbindungen die zer -vikalen sp inalen M otoneurone. H ierbei summier en sich die EPSP der einzelnen Wellen an den Motoneu-ronen auf. Wenn die Depolarisation einen Schwellen-wert überschreitet, wird im Motoneuron ein Aktions-potenzial generiert, das über das periphere motorische Axon zum Z ielmuskel f ortgeleitet wir d. Die S umme aller p eripheren motorischen Aktionspotenziale ver-ursacht im Z ielmuskel ein MEP ( . Abb. 3.2). D a die durch die T MS her vorgerufene k ortikomuskuläre Erregung über kortikale, spinale und neuromuskuläre Synapsen fortgeleitet wird, ergibt sich, dass das Erreg-barkeitsniveau des stimulierten motorischen Kortex, der spinalen Motoneurone und der neuromuskulären Strukturen das MEP beeinĀ ussen.

Bei der Er regungsausbreitung v om K ortex zum Muskel kommt es zu einer Chr onodispersion , die zu einer async hronen Er regung der mo torischen Ein-heiten eines Muskels führt. Diese Dispersion bedingt

Abb. .a–c. Erregung der schnell leitenden, kortikomus-kulären Bahnen mit der TMS. a Multiple deszendierende kor-tikospinale Erregungswellen: Ein überschwelliger transkrani-eller Einzelreiz verursacht in den schnell leitenden Neuronen des kortikospinalen Trakts eine Serie von deszendierenden Er-regungswellen (hier: I1-, I2- und I3-Welle). b Auslösung eines Aktionspotenzials (AP) in der spinalen motorischen Vorder-hornzelle: Die deszendierenden Erregungswellen lösen trans-synaptisch im spinalen Motoneuron kurz hintereinander ex-zitatorische postsynaptische Potenziale (EPSP) aus. Die depo-

. larisierende Wirkung der EPSP summiert sich auf und löst bei Überschreiten der Reizschwelle ein Aktionspotenzial (AP) aus. Dieses wird entlang des peripheren motorischen Axons zum Muskel fortgeleitet. c Motorisches evoziertes Potenzial: Am Zielmuskel kann über Oberfl ächenelektroden ein motorisch evoziertes Potenzial (MEP) aufgezeichnet werden. Das MEP ist ein Muskelsummenaktionspotenzial (MSAP). Alle durch den transkraniellen Einzelreiz ausgelösten Potenziale einzelner motorischer Einheiten tragen zum MEP bei. (Nähere Erläute-rungen 7 Abschn. 3.3)

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eine p artielle Phas enauslöschung der Ak tionspoten-ziale der einzelnen mo torischen Einhei ten, was sic h auf die F orm und Am plitude des mi t Ob erĀ ächene-lektroden a bgeleiteten MEP a uswirkt (7 Kap. 5 und 11). Insbesondere sind die MEP kleiner, länger andau-ernd und polyphasischer als das MSAP, welches durch supramaximale elektrische Stimulation des peripheren Nervs ausgelöst wird (7 Kap. 5).

Im Folgenden wird die durch transkraniellen Sti-mulation des primären motorischen Handareals aus-gelöste Er regung der deszendier enden k ortikospi-nalen B ahnen ex emplarisch nä her b eschrieben, da diese besonders gut untersucht wurde. Auf die p rak-tische Dur chführung der T MS des p rimären mo to-rischen H andareals wir d nic ht näher ein gegangen (vgl. hierzu 7 Kap. 7).

Exkurs

Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen

Bei anästhesierten Katzen oder Aff en wurde die frei-gelegte Kortexoberfl äche elektrisch stimuliert und die Reizantwort direkt vom kortikospinalen Trakt ab-geleitet (Übersicht bei Amassian et al. 1987). Die-se Untersuchungen zeigten, dass ein oberfl ächlicher elektrischer Einzelreiz eine Serie von schnell fortge-leiteten (60–70 m/s), deszendierenden Erregungswel-len (engl. descending waves oder descending volleys) im kortikospinalen Trakt auslösen kann. Diese de-szendierenden Erregungswellen werden durch syn-chronisierte orthodrome Aktionspotenziale in den schnell leitenden, kortikospinalen Axonen der groß-en Pyramidenzellen generiert, die monosynaptische exzitatorische Verbindungen mit den spinalen Mo-toneuronen eingehen. Zwar können auch langsam leitende kortikospinale Pyramidenzellen zumindest teilweise durch die bipolare Kortexstimulation er-regt werden, diese tragen jedoch nicht nennenswert zur Generierung der deszendierenden Erregungswel-len bei.Die erste Welle wird direkte Welle oder auch D-Wel-le (engl. D-wave) genannt, da die kurze Latenz der D-Welle eine direkte Erregung des kortikospinalen Neu-rons auf Höhe der subkortikalen weißen Substanz be-legt. Bei anodaler Stimulation der Kortexoberfl äche hat die D-Welle eine niedrigere Reizschwelle als indi-rekte Wellen (s. unten) und lässt sich daher bei gerade überschwel-liger Reizintensität isoliert auslösen. Die D-Welle per-sistiert als einzige der deszendierenden Wellen nach Ablation des motorischen Kortex. Aufgrund des ho-hen Leitungswiderstandes der Dendriten wird an-genommen, dass der Strom im Bereich des Zellso-mas in das Neuron eintritt und am ersten oder zwei-ten Ranvierschen Schnürring des Axons austritt und dort über eine Depolarisation des Axons ein Aktions-potenzial auslöst.

Wird die Intensität der anodalen elektrischen Kortex-stimulation erhöht, lassen sich zusätzlich zur D-Wel-le weitere deszendierende Wellen auslösen. Diese fol-gen der D-Welle in einem regelmäßigen Abstand von ~1,5 ms. Im Gegensatz zu der D-Welle werden die-se Wellen durch eine synchrone transsynaptische Er-regung (EPSP) der schnell leitenden Pyramidenbahn-zellen ausgelöst und spiegeln somit eine indirekte Er-regung der schnell leitenden kortikospinalen Axo-ne wider. Diese indirekte Wellen oder I-Wellen (engl. I-waves) haben eine Periodizität von ~600 Hz. Die erste nach der D-Welle auftretende I-Welle wird als I1-Welle bezeichnet, die späteren I-Wellen entsprechend der zeitlichen Reihenfolge ihres Auftretens als I2-, I3- oder I4-Welle. Mikroableitungen von einzelnen, schnell lei-tenden Axonen zeigten, dass bei Stimulation des pri-mären motorischen Kortex in manchen kortikospi-nalen Axonen die I-Wellen auf die D-Wellen folgten, während in anderen Axonen die I-Wellen ohne vo-rausgehende D-Welle auftraten. Die hochgradige Pe-riodizität der I-Wellen wurde mit einer Serie aufeinan-der abgestimmter EPSP, die in unterschiedlichen, mit-einander verschalteten Interneuronenpopulationen generiert werden, erklärt. Dies schließt nicht aus, dass hochfrequente intrakortikale Oszillationen oder spe-zifi sche Antworteigenschaften der neuronalen Zell-membran bestimmter kortikaler Neurone zur Ampli-tude und Periodizität der I-Wellen beitragen.Wie eff ektiv der kortikale elektrische Reiz D- oder I-Wellen auslöst, hängt von der Anordnung der Stimu-lationselektroden und der Reizintensität ab. Bei mo-nopolarer anodaler Stimulation über eine kleine, dem motorischen Kortex aufl iegende Anode und eine ent-fernte, großfl ächige Kathode wird bei leicht über-schwelliger Reizstärke zunächst selektiv eine D-Welle

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ausgelöst und erst mit steigender Reizintensität wer-den I-Wellen generiert. Eine monopolare kathodale Stimulation (über eine kleine, dem motorischen Kor-tex aufl iegende Kathode und eine entfernte, groß-fl ä-chige Anode) oder eine bipolare Stimulation (über zwei eng benachbarte Oberfl ächenelektroden) löst bereits bei Intensitäten an der Reizschwelle eine Mi-schung aus D- und I-Wellen aus.Intrazelluläre Ableitungen von großen Pyramidenzel-len konnten ein monosynaptisches exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP) als Ursache für die erste I-Welle identifi zieren. Amassian et al. (1987) un-terscheiden ein tiefes und oberfl ächliches System von horizontal ausgerichteten Axonenbündeln im primären motorischen Kortex (engl. superfi cial and deep tangential system). Die oberfl ächlichen horizon-talen Axone liegt in Lamina I der Hirnrinde, während die tiefen horizontalen Axone etwas unterhalb der Somata der großen Betz-Pyramidenzellen in Lami-na V anzutreff en sind. Eine selektive monopolare Sti-mulation des oberfl ächlichen oder tiefen horizonta-len Axonennetzes zeigte, dass nur die Stimulation der tiefen horizontalen Neuronenverbände in der Lami-na V eine monosynaptisch generierte I-Welle auslö-sen konnte. Somit scheinen die in der Lamina V ho-rizontal verlaufenden intrinsischen Axone des mo-torischen Kortex nicht jedoch die horizontalen Axo-ne in der Lamina I wesentlich zur Generierung der de-szendierenden kortikospinalen Wellen beizutragen. Die antidrome Stimulation der schnell leitenden Pyra-midenzellen löste keine I-Wellen aus, so dass eine re-kurrente, transsynaptische Erregung des Kortex über Axonkollateralen als Mechanismus für die Generie-rung der I-Wellen nicht wahrscheinlich ist. Einen weiteren wichtigen Baustein im Verständnis der Mechanismen der Kortexstimulation lieferte die pas-sagere Funktionsunterbrechung des primären moto-rischen Kortex durch Kühlung der pialen Kortexober-fl äche: Die Kühlung oberfl ächlicher Rindenschichten führte zunächst zum Verschwinden der späten I-Wel-len. Im weiteren Verlauf wurden auch tiefere Kortex-

schichten eff ektiv gekühlt. Dies führte dazu, dass nu-nauch die frühen I-Wellen verschwanden. Basierend auf diesem Befund wurde die Hypothese formuliert, dass die I-Wellen durch die Anregung einer Kette von exzitatorischen Interneuronen ausgelöst werden, wo-bei die späten I-Wellen durch EPSP in weiter ober-fl ächlich gelegenen und die frühen I-Wellen durch EPSP in tiefer gelegenen Interneuronenpopulationen generiert werden. Dabei sind die Neuronenpopulati-onen, welche die erste, zweite und dritte I-Welle her-vorrufen, jeweils eine, zwei und drei Synapsen von der transsynaptisch aktivierten kortikospinalen Pyra-midenzelle entfernt. Nach diesem Modell, haben die späten I-Wellen somit eine größere funktionelle »Dis-tanz« zu den einzelnen Pyramidenzellen, da mehr Neurone (Synapsen) zwischengeschaltet sind.Da eine Läsion des Thalamus keinen Einfl uss auf die Auslösbarkeit der deszendierenden Erregungswellen im kortikospinalen Trakt hatte, wurde geschlossen, dass die thalamokortikalen Projektionen keine Rol-le bei der Generierung der D- und I-Wellen spielen. Dagegen konnten sowohl nach bipolarer oberfl äch-licher Stimulation des benachbarten primären soma-tosensorischen Kortex oder des prämotorischen Kor-tex hochamplitudige, deszendierende Wellen im kor-tikospinalen Trakt ausgelöst werden. Hierbei handelte es sich ganz überwiegend um I-Wellen, was eine Erre-gungsausbreitung als Ursache ausschließt. Nach Re-sektion des primären motorischen Kortex ließen sich durch Stimulation über dem primären sensorischen oder prämotorischen Kortex keine deszendierenden Erregungswellen mehr evozieren. Hieraus wurde ge-folgert, dass die Oberfl ächenstimulation benachbar-ter Kortexareale zu einer Erregung kortikokortikaler Projektionen vom prämotorischen und somatosen-sorischen Kortex zum primären motorischen Kortex führt. Nach dieser Hypothese kommt es über die Ak-tivierung kortikokortikaler Eingänge zu einer indi-rekten, transsynaptischen Erregung der schnell lei-tenden kortikospinalen Axone und zur Auslösung des-zendierender I-Wellen.

3.3.1 Transkranielle elektrische Stimulation des primären motorischen Handareals

Die p hysiologischen G rundlagen der dir ekten elek-trischen Kortexstimulation wurden t ierexperimen-tell insbesondere von der Arb eitsgruppe um Vahe E.

Amassian erforscht (7 Exkurs »Physiologie der k or-tikospinalen deszendierenden Erregungswellen«). Im Jahr 1980 demo nstrierten M erton u . M orton (1980) erstmals, dass es möglich ist den menschlichen moto-rischen K ortex mi t elek trischen S timuli nich tinvasiv durch die in takte S chädeldecke hind urch (tra nskra-niell) zu stimulieren (7 Kap. 1 und 20). Bei der trans-

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kraniellen elek trischen S timulation (TES) wir d ein StromĀ uss zwischen auf der K opfh aut aufgebrachten Elektroden ind uziert und s o das neur onalen G ewe-be im da runter lieg enden K ortex er regt (7 Kap. 20). Der k urze Rec hteckpuls (5 0‒100 µs I mpulsbreite) mit k onstanter S pannung (ca. 200–4 40 V) ind uziert einen k urzzeitigen Z usammenbruch des G ewebewi-derstandes und führt bei ausreichender Reizstärke zu einer üb erschwelligen D epolarisation des M embra-npotenzials neuronaler Z ellen und löst in k ortikalen Axonen ein Aktionspotenzial aus.

Die meisten Studien zur TES des primären moto-rischen Handareals nutzten ein b ipolare la teromedi-ale Elektrodenanordnung (TESl.-m.) mit Plazierung der Anode über dem primären motorischen Handareal (6 oder 7 cm lateral vom Vertex) und die K athode über dem Vertex, was der direkten anodalen Kortexstimula-tion im Tierexperiment sehr nahe kommt (7 Exkurs-box »Physiologie der kortikospinalen deszendieren-den Erregungswellen«). Trotz der geringeren Fokalität entfaltet die a nodale TES l.-m. des men schlichen K or-tex sehr ähnliche Erregungseff ekte im kortikospinalen Trakt wie die dir ekte mo nopolare a nodale K ortex-stimulation im T ierexperiment am f reigelegten Kor-tex ( 7 Exkursbox »Physiologie der k ortikospinalen deszendierenden Erregungswellen«). Intra- oder peri-operative Ableitungen der deszendierenden Er re-gungswellen v om zer vikalen E piduralraum b ei P ati-enten, die an der Wirbelsäule operiert wurden, konn-ten zeig en, dass ein tra nskranieller a nodaler Einzel-reiz (TESl.-m.) sowohl eine D-Welle als auch eine Serie von I-W ellen a uslösen ka nn ( . Abb. 3.3; 7 Exkurs-box »Physiologie der kortikospinalen deszendieren-den Er regungswellen«). Die dir ekte A bleitung der deszendierenden Erregungswellen bestätigte somit die Hypothese, dass die TES des p rimären mo torischen Kortex D- und I-Wellen im kortikospinalen Trakt aus-löst (Day et al. 1989). Die »D- und I-Wellen-Hypothe-se« der tra nskraniellen Stimulation basierte zunächst auf indir ekten U ntersuchungen der k ortikospinalen Überleitung. Hierbei wurden durch die transkranielle Stimulation des mo torischen H andareals a usgelöste Veränderungen der En tladungsrate einzelner mo to-rischer Einhei ten (engl. single motor units) in einem willkürmotorisch ak tivierten M uskel d er k ontralate-ralen Hand erfasst.

Wie bei der invasiven monopolaren anodalen Sti-mulaton des freigelegten Kortex rekrutiert die anodale TESl.-m. knapp über der Reizschwelle zunächst selektiv eine D-Welle. Wird die Stimulusintensität schrittwei-se gesteigert, lassen sich zunächst die I - und I -Wel-le bei höherer Intensität auch eine I -Welle auslösen. Die durch die anodale TESl.-m. evozierte D-Welle wird

durch eine dir ekte D epolarisation des p roximalen kortikospinalen Ax ons 2‒3 Ranviersche S chnürringe vom Zellsoma entfernt ausgelöst. Auch eine kathoda-le TESl.-m. kann eine D-Welle auslösen, die a llerdings eine 0,2 ms lä ngere L atenz ha t als die d urch eine anodale TES ind uzierte D-W elle. I m G egensatz zu den I-Wellen wird die Reizschwelle der durch anoda-le TES l.-m. a usgelösten D-Welle nic ht d urch Fl uktua-tionen des M embranpotenzials des k ortikospinalen Neurons beeinĀ usst. So hat eine willkürliche Vorakti-vierung keinen EinĀ uss. Die I-Wellen werden dagegen über eine t ranssynaptische Er regung der k ortikospi-nalen N eurone g eneriert ( 7 Exkursbox »Physiologie der k ortikospinalen deszendier enden Er regungswel-len«). D aher ha ben hier Fl uktuationen der in trin-sischen Erregbareit der kortikalen Neurone, die an der Generierung der I-Wellen beteiligt sind, einen erheb-lichen EinĀ uss auf die Auslösbarkeit der I-Wellen.

3.3.2 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Handareals

Auch nach einer T MS des p rimären mo torischen Handareals wurden die deszendier enden k ortikospi-nalen Er regungswellen a uf H öhe des H alsmarks abgeleitet (Edgley et al. 1997; Di Lazzaro et al. 2004). Besonders aussagekräft ig sind perioperative, epidurale Ableitungen b ei wachen P atienten, denen a ufgrund chronischer S chmerzen im B ereich der H alswirbel-säule e in System z ur c hronischen e piduralen S timu-lation implantiert wurde (Di Lazzaro et al. 2004). In den meist en U ntersuchungen wur de ein mo nopha-sischer Stimulus mit einer achtförmigen Reizspu-le über dem primären motorischen Handareal verab-reicht (. Abb. 3.2). Je nach Spulenorientierung indu-zierte der monophasische Puls im stimulierten Kortex ein ho rizontales elek trisches F eld mi t einer Fl uss-richtung v on hin ten nac h vorne (T MSp.-a.), v on v or-ne nach hinten (TMSa.-p.) oder von lateral nach medi-al (TMSl.- m.).

Abhängigkeit der kortikospinalen Erregung von der Richtung des induzierten GewebsstromsVergleiche zwischen verschiedenen Elektrodenanord-nungen b ei TES o der der S pulenform und S puleno-rientierung b ei T MS zeig en, dass die Ar t und A us-richtung der elek trischen Felder den S timulationsort und da mit a uch die ind uzierten S timulationseff ekte defi nieren (. Abb. 3.3; Di L azzaro et al . 1998a). Eine TMSl.-m. ind uziert a nalog zur TES l.-m. b ei der M ehr-

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zahl der Probanden präferenziell eine D-Welle. I-Wel-len lassen sich mit der TMSl.-m. nur mit höheren Reiz-intensitäten auslösen. Das durch eine anodale TESl.-m. ausgelöste MEP kann durch eine TMSl.-m. deutlich ver-stärkt werden, wenn die T MSl.-m. ca. 100 µs nach der TESl.-m. g egeben wir d (Rothwell et al . 1992). D araus wurde g eschlossen, d ass d ie T MSl.-m. u nd d ie T ESl.-m. bei der Generierung der D-Welle überlappende Neu-ronenpopulation stimulieren.

Die A bleitungen der deszendier enden Er re-gungswellen n ach e iner E inzelreiz-TMS z eigen, d ass die TMSp.-a. mit einer f okalen achtförmigen Reizspu-le b ei leic ht überschwelliger Reizin tensität zunächst präferenziell eine I -Welle auslöst. Wird die S timulu-sintensität s chrittweise erhö ht, e voziert die T MSp.- a. späte I-Wellen und zuletzt auch eine D-W elle. P as-send zur H ypothese einer p räferenziellen Auslösung von I-Wellen durch posterior-anteriore Gewebsströ-me ( 7 Exkursbox »Physiologie der k ortikospinalen deszendierenden Er regungswellen«) löst eine g erade überschwellige T MSp.-a. in der k ontralateralen H and MEP aus, die eine um 1‒2 ms längere kortikomusku-läre Latenz haben als die MEP, die mit einer anodalen TESl.-m. oder einer TMSl.-m. ausgelöst werden (Day et al. 1989; Werhahn et al. 1994).

Bei einem pa rallel zur Sagi ttallinie v erlaufenden Gewebsstrom ha t die Ric htung des S troms (a nteri-or-posterior oder posterior-anterior) einen wichtigen EinĀ uss auf die durch die monophasische TMS indu-zierten deszendierenden Erregungswellen. Bei TMSa.-p. sind im Vergleich zur TMSp.-a. höhere Stimulusintensi-täten erforderlich, um deszendierende Erregungswel-len auszulösen (Di L azzaro et al . 200 2a). Im G egen-satz zur T MSp.-a. induziert eine g erade überschwellige TMSa.-p. a ls erste Er regungswelle meist eine sp äte I -Welle und er st bei höheren Stimulusintensitäten eine frühe I-Welle (Di Lazzaro et al. 2002a). Aufgrund der Richtungsselektivität der T MS-induzierten Ak tivie-rung von D- und I-Wellen wurde vorgeschlagen, dass die kortikospinalen Axone, welche die D-Welle gene-rieren, eine la teromediale A usrichtung ha ben, wäh-rend die Ax one, welche die I-Wellen generieren eine posteroanteriore Orientierung (I-Welle) oder antero-posteriore Orientierung (I-Welle) haben.

Eine Abhängigkeit der kortikospinalen Erregung von der Ric htung des ind uzierten G ewebsstroms zeigte sic h a uch in der M odulation des En tladungs-verhaltens (»Feuerungsrate«, engl. Ā ring rate) einzel-ner motorischer Einheiten durch die Einzelr eiz-TMS des kontralateralen Handareals (Werhahn et al . 1994; Sakai et al. 1997). Sakai et al. (1997) leiteten mit Nadel-elektroden von einzelnen motorischen Einheiten des M. interosseus do rsalis ma nus I. (I OD 1) die mo to-

rischen P otenziale a b, währ end g esunde P roban-den die mo torische Einhei t mi t einer En tladungsra-te von ~10 Hz willkürlich voraktivierten. Die M odu-lation der Entladungsrate der jeweiligen motorischen Einheit durch eine gerade überschwellige, transkrani-elle Stimulation des kontralateralen Handareals wur-de üb er die Er stellung eines P oststimulus-Zeithisto-gramms (engl. post-stimulus t ime h istogram, PS TH) erfasst. Sowohl die a nodale TESl.-m. als a uch die T MS mit einer f okalen achtförmigen Reizspule führten zu einer Zunahme der Entladungswahrscheinlichkeit ca. 23‒28 ms nac h dem tra nskraniellen S timulus. H äu-fi g zeigt en sic h ein o der zw ei a bgrenzbare S pitzen (engl. peak) in der En tladungswahrscheinlichkeit mit fi xer L atenz und k urzer D auer (1‒2 ms) ‒ v ereinbar mit einer mo nosynaptischen Er regung des sp inalen Motoneurons durch die deszendierenden Erregungs-wellen (. Abb. 3.3). Der Zeitpunkt der stimulationsbe-dingten Zunahme in der En tladungswahrscheinlich-keit hin g v on der Ric htung des k ortikal-induzierten Gewebsstroms ab. Induzierte die TMS medial oder anterior ausgerichtete Gewebsströme im motorischen Kortex, so trat der früheste Anstieg in der Entladungs-wahrscheinlichkeit etwa 1,5 ms nach dem d urch eine anodale TESl.-m. ausgelösten, frühen »Peak« auf. Dage-gen führte eine TMS, die Gewebsströme mit lateraler oder posteriorer Ausrichtung induzierte, zu einem späteren Anstieg der Entladungswahrscheinlichkeit ca. 4,5 ms nach dem durch die anodale TESl.-m. ausge-lösten »P eak«. Dies e Resu ltate sind b emerkenswert, da sic h im G egensatz zu den in vasiven A bleitungen der D- und I-Wellen kein wesentlicher Unterschied in der Erregung der spinalen Motoneurone zwischen der TMSl.-m. und der TMSp.-a. zeigt. Im Kontext der D- und I-Wellenhypothese lässt sich dies es B efundmuster wie folgt deuten: Eine g erade überschwellige, mono-phasische TMS bewirkt eine präferenzielle Aktivie-rung der I -Welle, wenn der ind uzierte Gewebsstrom eine posterior-anteriore oder lateral-mediale Ausrich-tung hat (TMSp.-a. o der TMSl.-m.). D agegen kommt es zu einer p räferenziellen Aktivierung der I -Welle bei einem a nterior-posterior o der me dial-lateral a usge-richteten Gewebsstrom (TMSa.-p. oder TMSm.-l.).

In früheren Arbeiten wurde hervorgehoben, dass bei der TES der induzierte Strom in alle Richtungen radiär von der E lektrode wegläuft und daher v ertikal als a uch pa rallel zur K ortexoberĀ äche ausgerichtete Gewebsströme induziert. Im Gegensatz dazu induziert die T MS mi t einer t angential a uĀ iegenden Reizspu-le ein rein horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld. Diese Unterschiede im ind uzierten elektrischen Feld wurden für die diff erenziellen Reizeff ekte der TES und TMS verantwortlich gemacht. Eine rezente Studie legt

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jedoch nahe, dass keine prinzipiellen Unterschiede im Wirkmechanismus z wischen d er T ES u nd d er T MS bestehen (Brocke et al. 2005; 7 Kap. 20). Sowohl eine TMSp.-a. als auch eine TES p.-a. führten in der k ontrala-teralen Hand zu MEP mi t einer v ergleichbaren k or-tikomuskulären Latenz, wobei die indirekten, tra ns-synaptischen Reizeff ekte mi t einer g egenüber der TESl.- m. um ca. 2 ms v erlängerten MEP -Latenz üb er-wogen (7 Kap. 20, . Abb. 20.1). Dies er B efund st ützt die Hypothese, dass sowohl bei der TMS als auch bei der TES die Ausrichtung der parallel zur Kortexober-Ā äche v erlaufenden horizontalen K omponente des induzierten elektrischen Feldes für die S timulations-eff ekte entscheidend ist.

Unklar ist b islang, welche deszendierenden Wel-len d urch einen »s chräg« a usgerichteten G ewebs-strom, der von posterolateral nach anteromedial senk-recht zum Sulcus centralis verläuft , ausgelöst werden. Diese T MSp.l.-a.m. mit einer A usrichtung im 45 °-Win-kel zur Sagi ttallinie benötigt die geringste Reizstärke,

um ein MEP in Muskeln der kontralateralen Hand zu induzieren (Mills et al . 1992) und wir d daher in den meisten T MS-Untersuchungen des p rimären mo to-rischen Handareals verwendet. Dennoch liegt bislang keine S tudie v or, in der die deszendier enden Er re-gungswellen nach einer T MSp.l.-a.m. ep idural a bgelei-tet wurden. S omit is t b islang off en, ob e ine p ostero-laterale-anteromediale A usrichtung des ind uzierten Gewebsstroms p räferenziell I-W ellen o der eine D-Welle auslöst. Denkbar is t, dass dies e Stromrichtung D- und I-Wellen gleich gut auslösen kann und deshalb mit den nie drigsten kortikalen Reizschwellen assozi-iert ist.

Die durch die anodale TESl.-m. oder die TMSl.-m. aus-gelöste D-Welle wird durch eine direkte Depolarisati-on des proximalen kortikospinalen Axons 2‒3 Schnür-ringe vom Z ellsoma entfernt ausgelöst. Daraus folgt, dass die D-Welle v on Fluktuationen in der korti-kalen Er regbarkeit nicht wesentlich b eeinĀ usst wird. So wird die Amplitude dieser »frühen« D-Welle nicht

Abb. .. Einfl uss der im Gewebe induzierten Stromrich-tung auf die Erregung der schnell leitenden, kortikospinalen Bahnen. Schematische Darstellung der evozierten deszendie-renden Wellen im kortikospinalen Trakt und der Poststimulus-Zeithistogramme (engl. post stimulus time histogram, PSTH) für die bipolare TESl.-m. und die fokale monophasische TMS. Für die TMS sind 3 Spulenorientierungen (TMSl.-m., TMSp.-a. und die TMSa.-p.) dargestellt, die jeweils im Gewebe eine unterschied-liche Richtung des induzierten Stromes bewirken (Pfeil). In der Mitte sind die gemittelten epiduralen Ableitungen der aus-gelösten deszendierenden kortikospinalen Erregungswellen dargestellt. Die Spitzenlatenzen der D-Welle, der ersten I-Wel-

. le (I1) und der späteren I-Wellen (I2 und I3) sind als vertikale gepunktete Linien dargestellt. Die Auslenkung vor der D-Wel-le entspricht dem Stimulusartefakt. Die unterschiedlichen Sti-mulationsformen lösen unterschiedliche deszendierende Er-regungswellen aus. Rechts sind die PSTH einer einzelnen mo-torischen Einheit dargestellt. TES und TMS führen zu einem kurzzeitigen Anstieg in der Feuerungsrate der motorischen Einheit, wobei das zeitliche Auftreten der Entladungsgipfel sich analog zu den ausgelösten, deszendierenden Erregungs-wellen verhält. A Anode; K Kathode. (Weitere Erläuterungen 7 Abschn. 3.3.2)

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durch e ine willk ürliche K ontraktion k ontralateraler Handmuskeln verst ärkt. D agegen sind die I-W ellen aufgrund ihr er tra nssynaptischen En tstehung em p-fi ndlich gegenüber S chwankungen i n d er k ortikalen Erregbarkeit. Deshalb lassen sich alle I-Wellen durch eine willkürliche Kontraktion fazilitieren (Di Lazzaro et al. 1998b) oder durch eine »er müdende« Kontrak-tion für 2‒3 min nac h Ende der K ontraktion suppri-mieren (Di Lazzaro et al. 2003). Als praktische Konse-quenz ergibt sich, dass U ntersuchungen, welche eine Änderung der kortikalen Erregbarkeit mit der mono-phasischen TMS erfassen wollen, eher eine S puleno-rientierung und Reizintensität verwenden sollten, die präferenziell I-Wellen auslösen.

Einfl uss von Spulentyp und Stimuluskonfi guration auf die deszendierende kortikospinale ErregungAuch der verwendete Spulentyp ha t einen EinĀ uss auf die präferenzielle Aktivierung von D- oder I-Wel-len (Übersicht bei Di L azzaro et al . 200 4). Wird mit einer über dem Vertex zentrierten Rundspule im pri-mären mo torischen Handareal ein p osteroanteriorer Gewebsstrom induziert, kann zervikal eine »verzöger-te« D-Welle epidural abgeleitet werden (Di Lazzaro et al. 2002a). Die Latenz dieser D-Welle ist im Vergleich zu der »f rühen« D- Welle, die mi t einer a nodalen TESl.- m. oder mit einer TMSl.-m. (achtförmige Reizspu-le) ausgelöst wird, um ca. 0,2 ms verzögert. Im Gegen-satz zur »frühen« D-Welle wird diese »verzögerte« D-Welle durch willkürliche Voraktivierung verstärkt. Die längere Latenz und die Modulierbarkeit durch Vorak-tivierung sp rechen da für, dass der d urch die R und-spule induzierte posterior-anteriore Gewebsstrom die Axone der P yamidenzellen am initialen Segment des Axons erregt (. Abb. 3.3).

Neben der monophasischen Stimuluskonfi gurati-on wird insbesondere für die r epetitive TMS (rTMS) eine b iphasische Pu lsform ver wendet (7 Kap. 2). Die verwendete Pulsform wirkt sich auf das präferenzielle Aktivierungsmuster von D- oder I-Wellen aus (Über-sicht b ei Di L azzaro et a l. 200 4) I m V ergleich zur monophasischen TMS führt biphasische TMS zu einer komplexeren A ktivierung d er k ortikospinalen N eu-rone. Dies wir d dadurch erk lärt, dass b eide Phas en des biphasischen Stimulus in der Lage sind deszendie-rende Erregungswellen auszulösen, was zu einer vari-ablen Generierung von D-Wellen und I-Wellen führt.

Doppelpuls-TMS und deszendierende kortikospinale ErregungswellenDie A ufzeichnung der deszendier enden Er regungs-wellen erbrachten auch wesentliche Aufschlüsse über

die neur ophysiologischen G rundlagen der v erschie-denen D oppelpulsprotokolle, die zur U ntersuchung der Erregbarkeit des primären motorischen Kortex eingesetzt werden (Übersicht bei Di Lazzaro et al. 2004; 7 Kap. 16–18). Diese Doppelpulsprotokolle nut-zen einen k onditionierenden Stimulus um eine a ku-te Veränderung der k ortikalen Erregbarkeit zu ind u-zieren. Der konditionierende Eff ekt auf die k ortikale Erregbarkeit äußert sich in einer Hemmung (Doppel-pulshemmung) oder Bahnung (Doppelpulsbahnung) des durch einen nachfolgenden überschwelligen Test-stimulus e rzeugten M EP. M ehrere D oppelpulspro-tokolle sind mittlerweile etabliert, welche die Erreg-barkeit v erschiedener hemmender I nterneurone im primären m otorischen K ortex t esten ( 7 Kap. 16–18). Zwei Doppelpulsprotokolle verabreichen den konditi-onierenden Stimulus und den T eststimulus über die-selbe Spule über dem p rimären motorischen Kortex. Der U nterschied zwis chen den P rotokollen b esteht in der Intensität des konditionierenden Stimulus und dem zeitlichen Abstand zwischen den beiden Reizen. Die r esultierende H emmung wir d al s in trakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, S ICI) o der als intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusin-tervallen (engl. lo ng-interval i ntracortical i nhibition, LICI) bezeichnet (7 Kap. 16). Andere Doppelpulspro-tokolle verabreichen den konditionierenden Stimulus in einer anderen Struktur des Nervensystems. Um die interhemisphärische Hemmung (engl. interhemisphe-ric inhibition, IHI) zu testen, wird der konditionieren-de Stimulus im k ontralateralen motorischen Handa-real v erabreicht (7 Kap. 18). U m die a ff erente Hem-mung des mo torischen K ortex zu un tersuchen wir d der konditionierende Stimulus, z. B. über einem kon-tralateralen gemischten Nerv verabreicht bei Testung der aff erenten Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency aff erent inhibition, SAI; 7 Kap. 17). Die sp ina-le epidurale Aufzeichnung der deszendierenden Erre-gungswellen zeigte, dass b ei a llen F ormen der I nhi-bition (S ICI, LI CI, IHI und SAI) die spä ten I-Wel-len unterdrückt werden, während die I-Welle (und in einem gewissen Ausmaß auch die I-Welle) unbeein-Ā usst blieben. Auch die einmalig e Gabe von Loraze-pam , einem p ositiven Modulator am GABAA-Rezep-tor führte zu einer selektiven Suppression der späteren I-Wellen ohne die I -Welle o der die S chwelle für die Auslösung der I-W ellen zu b eeinĀ ussen (Di L azzaro et al. 2000).

Diese B efunde b estätigen zum einen den in tra-kortikalen U rsprung der mi t den D oppelpulsproto-kollen gemessenen Hemmung. Sie identifi zieren zum anderen die Suppression der Neuronenpopulationen,

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die an der G enerierung der spä ten I-Wellen beteiligt sind, als wichtigen Mechanismus der intrakortikalen Hemmung. Die divergierenden Eff ekte intrakortikaler Hemmung auf die frühen und späten I-Wellen machen es s chließlich s ehr w ahrscheinlich, dass die f rühen und späten I-Wellen unterschiedliche neuronale Sub-strate im primären motorischen Kortex haben.

Die A ufzeichnung der deszendier enden Er re-gungswellen wurde auch verwendet, um die intrakorti-kale Doppelpulsbahnung zu untersuchen. Von beson-derem Interesse ist hier die intrakortikale Bahnung bei k urzen I nterstimulusintervallen (en gl. short-interval intracortical facilitation, S ICF), da hier die Bahnung der MEP auf eine fazilitatorische Interakti-on zwischen I-Wellen zurückgeführt wird (7 Kap. 16). Transkranielle D oppelpulse mi t einem I nterstimulu-sintervall v on 1,2 ms f ührten zu einer k laren F azili-tierung der I- und I-Welle nicht jedoch der I -Welle (Di Lazzaro et al. 1999). Dagegen führt die intrakorti-kale Fazilitierung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16) a usgelöst d urch einen un terschwelligen konditionierenden Stimulus zu keiner Modulation der deszendierenden Er regungswellen t rotz einer k laren Bahnung der MEP (Di Lazzaro et al. 2006). Diese Dis-krepanz zeigt die G renzen der Ableitung der deszen-dierenden Erregungswellen zur Aufk lärung der Ph y-siologie der TMS auf. Eine Limitation dieser Methode besteht darin, dass die deszendier enden Wellen nicht muskelspezifi sch sind und s omit zwar mit dem p eri-pher aufgezeichneten MEP in einem Z ielmuskel kor-relieren können, aber nicht notwendigerweise kausal verknüpft sind. Z udem b asiert die ep idurale sp ina-le Ableitung auf der rä umlich-zeitlich synchronisier-ten Ak tivität in vielen k ortikospinalen Ax onen. Alle asynchron deszendier enden Ak tionspotenziale w er-den nicht er fasst, s ondern f ühren s ogar zur P hasen-auslöschung und damit zu einer Amplitudenabnahme der aufgezeichneten Erregungswellen.

3.3.3 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Beinareals

Perioperative Ableitungen der deszendier enden k or-tikospinalen Er regungswellen auf Höhe des R ücken-marks k onnten nac hweisen, dass im W achzustand sowohl die anodale TES über dem Vertex als auch die TMS des primären motorischen Beinareals eine Serie von deszendierenden Wellen mit einer Periodizität von ~1,5 ms (~600 Hz) induziert (Di L azzaro et al . 2001). Im Gegensatz zum p rimären motorischen Handareal haben die d urch die TES und T MS ausgelösten MEP

die gleiche L atenz. Dies liegt daran, dass beide Sti-mulusmodalitäten v ermutlich b ei leich t überschwel-liger Stimulation präferenziell eine I -Welle auslösen. Bei höherer Reizintensität treten spätere I-Wellen hin-zu. Eine D-Welle wird am ehesten durch eine anoda-le TES mit Positionierung der Anode 2 cm lateral vom Vertex e voziert. Die M odulierbarkeit der deszendie-renden Wellen zeigt Analogien zur TMS des primären motorischen H andareals. Eine w illkürliche Vorakti-vierung fazilitiert die I-Wellen nicht aber die D-Welle. Die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimu-lusintervallen (SICI) supprimiert die s päten I-Wellen ohne die frühen I-Wellen zu beeinĀ ussen.

3.3.4 Kortikospinale Aktivierung der spinalen Motoneurone

Wie in 7 Abschn. 3.3.2 ausgeführt, löst ein überschwel-liger transkranieller Stimulus in den schnell leitenden, kortikospinalen Ax onen eine S erie v on synchr oni-sierten Aktionspotenzialen aus, die als deszendier en-de Er regungswellen üb er dem k ortikospinalen Trakt abgeleitet werden können. Über exzitatorische mono-synaptische V erbindungen l öst j ede d ieser d eszen-dierenden Er regungswellen ein EPS P in den sp i-nalen Motoneuronen aus. Die in k urzer Abfolge ent-stehenden EPS P summier en sic h in ihr er W irkung auf das p ostsynaptische N euron auf und f ühren zu einer z unehmenden D epolarisation der p ostsynap-tischen Membran. Üb erschreitet die p ostsynaptische Depolarisation eine kr itische S chwelle, wir d im s pi-nalen M otoneuron ein Ak tionspotenzial g eneriert, das zu der en tsprechenden mo torischen Einhei t des Zielmuskels weitergeleitet wird. Entsprechend zeigen EMG-Ableitungen v on einzelnen mo torischen Ein-heiten eine deu tliche, kurzzeitige Zunahme der En t-ladungswahrscheinlichkeit nac h der T MS. Die k on-stante Latenz und das en ge Zeitfenster des Anstiegs im Entladungsverhalten sprechen für eine E xzitation der Motoneurone im Wesentlichen über eine mo no-synaptische k ortikospinale V erbindung, a uch w enn ein zus ätzlicher B eitrag einer p olysynaptischen k or-tikospinalen Reizüb ertragung nic ht gä nzlich a usge-schlossen werden kann.

Die t ranssynaptische Er regung der sp inalen Motoneurone hä ngt v om Ak tivierungszustand des Zielmuskels ab. Im entspannten Zustand ist das Mem-branpotenzial der sp inalen M otoneurone »w eit en t-fernt« v on der S chwelle und deshalb m üssen sic h mehrere EPSP aufsummieren, um ein Ak tionspoten-zial im s pinalen Motoneuron auszulösen. Die Reizü-bertragung vom kortikospinalen Neuron auf das spi-

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nale Motoneuron ist dagegen viel eff ektiver, wenn die TMS während einer willkürlichen Voraktivierung des Muskels v erabreicht wir d. Die V oraktivierung f ührt dazu, dass immer ein Teil des Motoneuronpools mit seinem Membranpotenzial nahe a n der S chwelle zur Auslösung eines Ak tionspotenzials ist und dann ein einzelnes EPSP (getriggert durch eine deszendierende Erregungswelle) a usreicht, in dies en M otoneuronen ein Aktionspotenzial auszulösen.

Dies hat f ür das a m Z ielmuskel abgeleitete MEP mehrere Konsequenzen:

Zum einen ist die kortikomotorische MEP-Latenz im v oraktivierten M uskel um einig e M illisekunden kürzer als im Ruhezustand, da die deszendier enden Erregungswellen weniger Zeit brauchen, um die spi-nalen Motoneurone b is zur Ak tionspotenzialschwel-le zu dep olarisieren (7 Kap. 6). Die effi zientere korti-kospinale Erregungsüberleitung erklärt auch, warum die k ortikale Reizs chwelle im v oraktivierten M uskel deutlich niedriger ist als in M uskelruhe (7 Kap. 14). Auch die Bahnung der MEP Amplitude während einer willkürlichen M uskelaktivierung wir d zum gr oß-en Teil auf der Eb ene des spinalen Motoneurons ver-mittelt, da wä hrend Voraktivierung eine v ergleichbar starke deszendierende Erregung eine g rößere Anzahl spinaler Motoneurone aktiviert als in Muskelruhe.

Die L atenzverkürzung und Am plitudenfazilitie-rung des MEP b ei zun ehmender W illkürkontrakti-on wur de auch mi t dem v on Hennemann beschrie-benen Rekrutierungsverhalten der spinalen Motoneu-rone erklärt (Henneman et al. 1965). Demnach werden zunächst kleine motorische Einheiten im Zielmuskel über kleine und langsam leitende kortikospinale Pyra-midenzellen und spinale Motoneurone rekrutiert. Mit zunehmendem Kraft grad wer den zunehmend g roße kortikospinale N eurone, sp inale M otoneurone und motorische Einhei ten mi t hö heren L eitgeschwindig-keiten rekrutiert.

In vielen TMS-Studien wird mittels Einzelreiz ein MEP a usgelöst und die r elative Änder ung der Reiz-schwelle o der der mi ttleren MEP -Amplitude v or, während und nac h einer I ntervention (z. B. Lernen, aff erente s ensorische S timulation, Ga be eines Pha r-makons o der A pplikation einer k onditionierenden rTMS) untersucht. Da das MEP auf einer vorwiegend transsynaptischen Ak tivierung der k ortikospinalen Motoneurone u nd e iner t ranssynaptischen E rregung der spinalen Motoneurone beruht, können Erregbar-keitsänderungen s owohl auf kortikaler als auch spi-naler Ebene zu den Eff ekten der Intervention auf die kortikale Reizs chwelle und die MEP -Amplitude b ei-tragen.

Vier k omplementäre elek trophysiologische Methoden stehen zur Verfügung, um zwischen Erreg-barkeitsveränderungen a uf k ortikaler o der sp inaler Ebene zu diff erenzieren:

Die erste, direkteste Methode basiert auf der peri-operativen Ableitung der durch die TMS ausge-lösten deszendierenden Erregungswellen. Neh-men nach einer Intervention eine oder mehre-re der deszendierenden I-Wellen in der Ampli-tude zu oder ab, kann geschlossen werden, dass die Intervention die transsynaptische Erregbar-keit der kortikospinalen Neurone auf kortikaler Ebene moduliert hat. Diese Methode ist invasiv und kann nur an wenigen ausgesuchten Patienten durchgeführt werden.Die zweite Methode nutzt den Vergleich zwi-schen monophasischer TMSp.-a. und anodaler TESl.-m.. Da die gerade überschwellige TMSp.-a. die kortikospinalen Neurone vorwiegend transsynap-tisch erregt und I-Wellen induziert, werden die durch die monophasische TMSp.-a. ausgelösten MEP durch eine Änderung der kortikalen Erreg-barkeit beeinĀ usst. Dagegen stimuliert die gera-de überschwellige anodale TESl.-m. direkt das pro-ximale kortikospinale Axon und generiert eine relativ reine D-Welle, welche nicht durch kor-tikale Erregbarkeitsschwankungen beeinĀ usst wird. Da eine einzelne D-Welle im entspan-nten Zustand nicht ausreicht, um im spinalen Motoneuron ein Aktionspotenzial und somit ein MEP auszulösen, muss die Untersuchung im leicht voraktivierten Zielmuskel erfolgen. Die Notwendigkeit der willkürlichen Vorinnervati-on limitiert diesen methodischen Ansatz, da die willkürliche Voraktivierung eine Erregbarkeitsän-derung, die ausschließlich im Ruhezustand vor-handen ist, verdecken kann. Um dieses Problem zu umgehen, kann die TES mit der peripheren Auslösung eines H-ReĀ exes kombiniert werden. Hierbei wird das Intervall zwischen transkrani-eller und peripherer Stimulation so gewählt, dass der periphere aff erente Eingang (H-ReĀ exbogen) und die kortikospinale deszendierende D-Welle am spinalen Motoneuron etwa zeitgleich eintref-fen. In Motoneuronen, die überlappende synap-tische Eingänge haben, fazilitieren sich die EPSP des H-ReĀ exbogens und der deszendierenden D-Welle, so dass die Untersuchung in Muskelruhe durchgeführt werden kann. Eine dritte Methode stimuliert den kortikospi-nalen Trakt auf Höhe des Foramen magnum (Ugawa et al. 1991). Hierzu werden zwei OberĀ ä-chenelektroden 2‒3 cm rechts und links vom Ini-

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on platziert. Da auch hier nur eine deszendieren-de Welle ausgelöst wird, kann die Hirnstamm-stimulation in der Regel nur während leich-ter tonischer Vorinnervation ein MEP auslösen. Zudem ist unklar, inwieweit diese Art der Stimu-lation selektiv die schnell leitenden, kortikospi-nalen Axone stimuliert oder nicht auch Aktions-potenziale in anderen deszendierenden Bahnen auslöst.Eine vierte Methode nutzt eine periphere Sti-mulation, um über die Aufzeichnung der F-Wel-le oder des H-ReĀ exes Änderungen der Erreg-barkeit spinaler Motoneurone zu erfassen. Die Annahme ist, dass eine Änderung des durch die TMS ausgelösten MEP bei fehlender Modulati-on der F-Welle oder des H-ReĀ exes eine selektive Änderung der kortikalen Erregbarkeit anzeigt. Das Problem dieses Ansatzes besteht darin, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die TMS und die periphere elektrische Stimulation dieselbe Population spinaler Motoneurone erre-gen. Wenn z. B. eine Intervention zu einer selek-tiven Erregbarkeitsänderung in der Neuronen-population führt, die durch die deszendieren-den kortikospinalen Wellen erregt werden, kann die Amplitude der F-Welle oder des H-ReĀ exes unverändert bleiben und somit ein falsch nega-tives Ergebnis liefern. Um dieses Problem zu umgehen, kann eine schwellennahe TMS (oder besser TES) mit dem H-ReĀ ex so kombiniert werden, dass die kortikospinale Erregung die durch den H-ReĀ ex induzierte Erregung am spi-nalen Motoneuronpool monosynaptisch fazili-tiert. Eine nach Intervention gefundene Ände-rung der MEP-Amplitude zeigt bei unverän-derter H-ReĀ ex-Fazilitierung (und unveränderter Amplitude des nichtkonditionierten H-ReĀ exes) mit hoher Wahrscheinlichkeit an, dass die Modu-lation der MEP-Amplitude wesentlich durch intrakortikale Mechanismen bedingt ist (Modug-no et al. 2001).

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine Dif-ferenzierung zwis chen einem sp inalen und k orti-kalen B eitrag zu einer Änder ung der MEP -Amplitu-de eine met hodische H erausforderung da rstellt. Es sollten möglichst mehrere komplementäre Methoden verwendet w erden, w enn es da rum g eht eine sp ina-le Erregbarkeitsänderung nach einer Intervention mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

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