gesellschaftliche transformationen und politisch-soziale krisen im frühen griechenland....

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SIGRID DEGER-JALKOTZY UND ARNOLD SUPPAN (Hg) KRISE UND TRANSFORMATION BEITRÄGE DES INTERNATIONALEN SYMPOSIUMS VOM 22. BIS 23. NOVEMBER 2010 AN DER ÖSTERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

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SIGRID DEGER-JALKOTZY UND ARNOLD SUPPAN (Hg)

KRISE UND TRANSFORMATION

Beiträge des internationalen symposiums vom 22. Bis 23. novemBer 2010 an der Österreichischen akademie der Wissenschaften

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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTENPHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

DENKSCHRIFTEN, 441. BAND

SIGRID DEGER-JALKOTZY UND ARNOLD SUPPAN (Hg)

KRISE UND TRANSFORMATION

Beiträge des internationalen Symposiums vom 22. bis 23. November 2010 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

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Vorgelegt von w. M. sigrid Jalkotzy-deger und w. M. arnold suppan

in der Sitzung am 15. Juni 2012

UmschlagbildJohannes Preiser-Kapeller:

Visualisation of the network of the dynatoi (the powerful), 1310-1341 (n = 187), with Emperor Andronikos II Palaiologos and Emperor Andronikos III Palaiologos as two centres of gravity

Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-7001-7230-7

Copyright © 2012 byÖsterreichische Akademie der Wissenschaften

Wien

Satz: Daniela BrendlerDruck und Bindung: Prime Rate kft., Budapest

http://hw.oeaw.ac.at/ 7230-7http://verlag.oeaw.ac.at

Die verwendeten Papiersorten sind aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff hergestellt,frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.

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INHALT

Vorwort der Herausgeber ............................................................................................................................... 7

Manfred Bietak

Die Zwischenzeiten Ägyptens: Eine vergleichende phänomenologische Studie .......................................... 9

Florian ruppenstein

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland. Überlegungen zur Entstehung der mykenischen Palaststaaten ...................................................................... 37

Johannes preiser-kapeller

Complex historical dynamics of crisis: the case of Byzantium ..................................................................... 69

Christian gastgeBer

Kultureller Transfer am Beispiel griechischer Handschriften und des griechischen Sprachzugangs außerhalb von Byzanz ........................................................................ 129

Roland steinacher

Die Umgestaltung der römischen Welt zwischen militärischer Kriseund der Durchsetzung des Christentums ........................................................................................................ 149

Florian schWarz

Politische Krisen und kulturelle Transformation im mongolenzeitlichen Iran .............................................. 169

Anna L. staudacher

Adler, Kelsen, Fleckeles,… Krise und Transformation: Religions- und Namenswechsel von Menschen aus dem Judentum .............................................................. 179

Andre gingrich

Krise des Weltkriegs und Transformation eines Wissenschaftsfeldes: Ethnographie und Anthropologie in Österreich-Ungarn und Deutschland bis 1914/1918 und danach ......... 209

Arnold suppan

Eine stille Revolution. Frauen im Ersten und Zweiten Weltkrieg ................................................................. 227

Ivan T. Berend

The Crisis of the 1970s-‘80s – the Grave Digger of Communism: a Comparative Approach ...................... 243

Wolfgang W. priglinger

Zusammenfassung .......................................................................................................................................... 247

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f l o r i a n r u p p e n s t e i n

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland1

Überlegungen zur Entstehung der mykenischen Palaststaaten

Die mykenischen Palaststaaten sind die ersten Staaten, die auf dem europäischen Festland entstanden sind. Nur die minoischen Palaststaaten auf der Insel Kreta gehen ihnen in dem geographischen Raum, der heute als Europa bezeichnet wird, zeitlich voraus. Wenn man die Entstehung von Staatlichkeit als eine wesentliche Zäsur in der menschlichen Gesellschaftsentwicklung ansieht, kommt den mykenischen Palästen schon aus dem genannten Grund eine weltgeschichtliche Bedeutung zu. Das kann man sagen, auch ohne sich den Vorwurf des Eurozentrismus gefallen lassen zu müssen. Die Staatsentstehung in Europa ist in komparativer welthistorischer Sicht nicht wichtiger als vergleichbare Prozesse in Mittel- und Südamerika, Ostasien und Mesopotamien, aber eben auch nicht von grundsätzlich geringerer Bedeutung. Dennoch spielen die mykenischen Palaststaaten bislang in der vergleichenden sozialhistorischen und kulturanthropologischen Diskussion zur Staatsentstehung nur eine sehr bescheidene Rolle2. Es ist zu hoffen, dass sich dies zukünftig ändern wird, denn die mykenische Staatswerdung fügt sich weniger leicht in gängige evolutionistische Vorstellungen als andere Fälle. Die stärkere Berücksichtigung der mykenischen Paläste könnte also zur Präzisierung oder Erweiterung bestehender Erklärungsmodelle zur Staatsentstehung beitragen.

Die um die mykenischen Paläste zentrierten Herrschaftsverbände können auch nach neuzeitlichen völkerrechtlichen Kriterien als Staaten bezeichnet werden. Sie verfügten nämlich über ein Staatsgebiet sowie ein Staatsvolk und übten Staatsgewalt aus. Diese beruhte auf einem auf Dauer angelegten Verwaltungsapparat und einer nach rationalen Kriterien durchgeführten Einteilung des Staatsgebiets. Als Hilfsmittel der Verwaltung wurden schriftliche Aufzeichnungen verwendet.

In vorliegender Abhandlung soll jedoch nicht die Funktionsweise, sondern die Entstehung der mykenischen Palaststaaten untersucht werden.

Um den Zugang zum Thema für grundsätzlich interessierte, aber mit dem engeren Fachgebiet nicht vertraute Forscher zu erleichtern, werden auch manche Dinge erklärt, die den Spezialisten geläufig sind. Dennoch ist die vorliegende Arbeit nicht als Forschungsbericht, sondern als Forschungsbeitrag konzipiert.

DER CHRONOLOGISCHE RAHMEN DER MYKENISCHEN KULTUR

Der Verlauf der mykenischen Kulturentwicklung kann nach sozialgeschichtlichen Kriterien in die präpalatiale Frühphase, die palatiale Mittelphase und die postpalatiale Spätphase gegliedert werden. In der archäologischen Forschung wird der Phaseneinteilung jedoch in der Regel die Abfolge der Keramikstile zugrunde gelegt. Diese werden als Späthelladisch (SH) bezeichnet. Es gibt die Stufen I-III, die ihrerseits in mehrere Subphasen untergliedert sind. Der Beginn und die Dauer der präpalatialen Phase sind nach wie vor umstritten. Nach Synchronismen mit der historischen Chronologie Ägyptens wird der Beginn

1 Für die Überlassung digitalisierter Fotografien (Abb. 2) aus den Beständen des Corpus der Minoischen und Mykenischen Siegel (CMS) in Marburg gilt mein Dank Walter Müller. Für die Anfertigung der beigegebenen Karte (Abb. 1) und die Gestaltung der Abb. 2 bedanke ich mich bei Marion Frauenglas.Verwendete fachspezifische Abkürzungen: SH = Späthelladisch; SM = Spätminoisch.

2 Eine Ausnahme in dieser Hinsicht ist die recht ausführliche Würdigung der mykenischen Kultur bei: Breuer, Stefan: Der archaische Staat. Zur Soziologie charismatischer Herrschaft, Berlin 1990, 207–219. Knappe Behandlung der ägäischen Palaststaaten auch bei: flannery, Kent V.: The Ground Plans of Archaic States, in: feinman, Gary M.; marcus, Joyce (Hg.): Archaic States (School of American Research, Advanced Seminar Series), Santa Fe 1998, 22. 31 f. 35 f. 43–45. 53 f.; marcus, Joyce: The Peaks and Valleys of Ancient States: An Extension of the Dynamic Model, in: Feinman u. a. (Hg.): Archaic States, 1998, 89–91.

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der mykenischen Kultur traditionell um 1600 v. Chr. datiert. Die präpalatiale Frühzeit hatte nach diesem Chronologieschema eine Länge von etwa 200 Jahren. Nach dem konkurrierenden, auf naturwissenschaftlichen Datierungsmethoden beruhenden Chronologiesystem ist der Beginn der mykenischen Zeit dagegen bereits um 1700 v. Chr. anzusetzen, wodurch sich eine Dauer von etwa 300 Jahren für die präpalatiale Frühzeit ergäbe, denn gegen 1400 v. Chr. befinden sich beide Chronologien wieder in Übereinstimmung. Die absolute Datierung der frühmykenischen Zeit ist in vorliegendem Zusammenhang nur von untergeordneter Bedeutung, so dass die angesprochene Kontroverse hier nicht diskutiert zu werden braucht3. Es sei lediglich angemerkt, dass sich fast alle der zahlreichen in jüngster Zeit veröffentlichten Radiokarbondaten problemlos mit einem Beginn der präpalatialen Frühphase um 1700 v. Chr. vereinbaren lassen4.

Die durch Palaststaaten geprägte mittlere Phase der mykenischen Kulturentwicklung lässt sich etwa in die Jahre zwischen 1400 und 1200 v. Chr. datieren. Dem gewaltsamen Ende der mykenischen Paläste um 1200 v. Chr. folgte die etwa 100 Jahre dauernde postpalatiale Spätphase der mykenischen Kultur. Danach lässt sich im 11. Jh. v. Chr. noch die sogenannte submykenische Phase ausmachen, die sich über einen Zeitraum von ca. 50 Jahren erstreckte und bereits zur nachmykenischen Epoche, der Frühen Eisenzeit, überleitete.

DER BEGINN DER PRÄPALATIALEN PHASE DER MYKENISCHEN KULTUR

Die Schachtgräberzeit (SH I)

Der Beginn der mykenischen Kulturentwicklung wird durch das 1876 von Heinrich Schliemann in Mykene aufgedeckte Schachgräberrund A markiert5. Vergleichbar reich ausgestattete mykenische Gräber sind bis heute kein zweites Mal entdeckt worden6. Der Reichtum der Schachtgräber von Mykene muss daher in seiner Zeit tatsächlich ganz außergewöhnlich gewesen sein und kann kaum noch mit einem Verweis auf die Zufälligkeiten archäologischer Entdeckungen relativiert werden7. Der am Rande der argivischen Ebene im Nordosten der Peloponnes gelegene Fundort Mykene wurde daher zu recht namengebend für die in ganz Mittel- und

3 Zur Chronologiediskussion s. die Beiträge in: Bietak, Manfred; czerny, Ernst (Hg.): The Synchronisation of Civilisations in the Eastern Mediterranean in the Second Millennium B.C. III. Proceedings of the SCIEM 2000 – 2nd EuroConference, Vienna 28th of May – 1st of June 2003 (Contributions to the Chronology of the Eastern Mediterranean 9), Wien 2007; WarBurton, David A. (Hg.): Time’s Up! Acts of the Minoan Eruption Chronology Workshop, Sandbjerg November 2007 initiated by Jan Heinemeier & Walter L. Friedrich (Monographs of the Danish Institute at Athens 10), Athen 2009. Zusammenfassend zu den naturwissenschaftlichen Datierungen: manning, Sturt W.: Chronology and Terminology, in: cline, Eric H. (Hg.): The Oxford Handbook of the Bronze Age Aegean, Oxford 2010, 20–24. Vgl. auch die Chronologietabelle in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, XXX.

4 Wichtig sind insbesondere die neuen Radiokarbondaten aus der Siedlung Kolonna auf der Insel Ägina, denn sie stammen alle aus gut stratifizierten Kontexten: Wild, E. M.; gauss, W.; forstenpointner, G.; lindBlom, M.; smetana, R.; steier, P.; thanheiser, U.; Weninger, F.: 14C Dating of the Early to Late Bronze Age Stratigraphic Sequence of Aegina Kolonna, Greece, in: Nuclear Instruments and Methods in Physics Research B 268, 2010, 1013–1021.

5 Publikation der Funde: karo, Georg: Die Schachtgräber von Mykenai, München 1930. Speziell zu den berühmten Goldmasken s. jetzt zavadil, Michaela: Die Gesichts- und Körperbedeckungen aus Mykene, in: meller, Harald; maraszek, Regine (Hg.): Masken der Vorzeit in Europa I. Internationale Tagung vom 20. bis 22. November 2009 in Halle (Saale) (Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle [Saale] 4), Halle (Saale) 2010, 189–202.

6 Im Jahre 1951 wurde das etwas ältere und etwas weniger reich ausgestattete Schachtgräberrund B entdeckt: mylonas, Georgios E.: Ο ταφικός Κύκλος Β των Μυκηνών (Βιβλιοθήκη της εν Αθήναις Αρχαιολογικής Εταιρείας 73), Athen 1972–1973. Durch seine Aufdeckung ist die herausragende Bedeutung Mykenes noch deutlicher geworden.

7 Dennoch wird in einem Teil der jüngeren Forschung versucht, den exzeptionellen Charakter der Schachtgräber von Mykene dadurch zu relativieren, dass sie mit herausgehobenen Gräbern anderer Fundorte in Beziehung gesetzt werden, obwohl deren Beigabenausstattung auch nicht im entferntesten mit dem Reichtum der Schachtgräber verglichen werden kann. S. etwa voutsaki, Sofia: Social and Political Processes in the Mycenaean Argolid: The Evidence from the Mortuary Practices, in: laffineur, Robert; niemeier, Wolf-Dietrich (Hg.): Politeia. Society and State in the Aegean Bronze Age. Proceedings of the 5th International Aegean Conference/5e Recontre égéenne international, University of Heidelberg, Archäologisches Institut, 10–13 April 1994 (Aegeum 12), Liège 1995, 59 f. mit Anm. 20; Wright, James C.: Early Mycenaean Greece, in: shelmerdine, Cynthia W. (Hg.): The Cambridge Companion to the Aegean Bronze Age, Cambridge 2008, 245. Dies geschieht vielleicht nicht zuletzt deswegen, um der Frage nach den Gründen für die völlig außergewöhnliche Reichtumsakkumulation in den Schachtgräbern von Mykene ausweichen zu können; s. dazu weiter unten. In einer seiner jüngsten Äußerungen zum Thema wird überraschenderweise auch von Wright auf den Ausnahmecharakter der Schachtgräber von Mykene hingewiesen: Wright, James: Approaches to the Study of Personhood in the Early Mycenaean Era, in: Archaeological Dialogues 17, 2010, 102–104.

Florian Ruppenstein

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Südgriechenland verbreitete Kultur. Mykene hat seine durch den Reichtum der Schachtgräber dokumentierte Vorrangstellung auf dem griechischen Festland bis zum Untergang der Paläste um 1200 v. Chr. behaupten können8.

Noch deutlicher als von anderen Gräbern der präpalatialen Phase heben sich die Schachtgräber von den weitgehend ärmlichen Verhältnissen der vorangehenden mittelhelladischen (ca. 2000–1700/1600 v. Chr.) Kultur ab. Um die Entstehung und die weitere gesellschaftliche Entwicklung der mykenischen Kultur verstehen zu können, müssen also die Gründe für das recht plötzliche Auftreten des Reichtums und seiner Konzentration in Mykene benannt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der wertvollen Schmuckstücke und wohl auch der zahlreichen Waffen, die in den Schachtgräbern gefunden wurden, aus dem minoischen Kreta importiert oder zumindest von kretischen Handwerkern hergestellt wurden. Die minoischen Paläste auf der Insel Kreta erlebten damals ihre Blütezeit und dominierten in kultureller wie in politischer Hinsicht weite Teile des ägäischen Raumes. Die Funde aus den Schachtgräbern verdeutlichen, dass die Herren von Mykene in einem Maße Zugang zu kretischen Handwerkserzeugnissen, Luxusartikeln und wohl auch Handwerkern erhalten hatten wie keine andere Bevölkerungsgruppe des griechischen Festlands. Die Frage ist demnach, was die minoischen Kreter dazu veranlasste, die führenden Familien von Mykene, und zunächst fast ausschließlich diese, mit ihren wertvollen Produkten zu beliefern. In der jüngeren Forschung weicht man der Beantwortung dieser zentralen Frage häufig dadurch aus, dass man das Hauptaugenmerk auf interne Entwicklungen der mittelhelladischen Gesellschaft richtet, in denen man nach den Gründen für die Entstehung des komplexeren mykenischen Gesellschaftssystems sucht9. So berechtigt die Untersuchung interner Entwicklungen auf dem griechischen Festland auch ist, so wenig kann sie zur Klärung der Frage beitragen, was die Minoer dazu bewogen hat, die herrschenden Familien von Mykene mit so zahlreichen Preziosen zu versorgen. Wenn man nur danach fragt, welche Bedeutung die wertvollen kretischen Importe für die Etablierung, die Selbstdarstellung und die Machtsicherung der entstehenden mykenischen Eliten10 hatten, zäumt man gewissermaßen das Pferd von hinten auf. Der Wunsch der festländischen Eliten, in den Besitz minoischer Luxusartikel zu gelangen, erklärt natürlich nicht die Bereitschaft der Minoer, diese auch zu liefern11.

Die wenigen reichen Bestattungen der vorangehenden mittelhelladischen Kultur machen deutlich, dass die festländische Aristokratie schon lange Interesse an minoischen Produkten und insbesondere auch an kostbaren Waffen hatte, diese aber nur höchst selten erwerben oder zumindest nicht in Gräbern deponieren konnte12.

8 Auf die herausragende Bedeutung Mykenes im spätbronzezeitlichen Griechenland ist jüngst nochmals eindrücklich hingewiesen worden: eder, Birgitta: Überlegungen zur politischen Geographie der mykenischen Welt, oder: Argumente für die überregionale Bedeutung Mykenes in der spätbronzezeitlichen Ägäis, in: Geographia Antiqua 18, 2009, 5–45.

9 kilian-dirlmeier, Imma: Das mittelbronzezeitliche Schachtgrab von Ägina (Alt-Ägina IV, 3), Mainz 1997, 122; voutsaki, Sofia: Mortuary Display, Prestige and Identity in the Shaft Grave Era, in: Eliten in der Bronzezeit. Ergebnisse zweier Kolloquien in Mainz und Athen (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte Monographien 43, 1), Mainz 1999, 103–117; Wright: Early Mycenaean Greece, 2008, 242–245; Wright, James C.: Towards a Social Archaeology of Middle Helladic Greece, in: philippa-touchais, Anna; touchais, Gilles; voutsaki, Sofia; Wright, James (Hg.): Mesohelladika. La Grèce continentale au Bronze Moyen. Actes du colloque international organisé par l’Ecole française d’Athènes, en collaboration avec l’American School of Classical Studies at Athens et le Netherlands Institute in Athens, 8–12 mars 2006 (Bulletin de Correspondance Hellénique Suppl. 52), Athen 2010, 814 f. Kilian-Dirlmeier, Voutsaki und Wright berücksichtigen auch die Bedeutung auswärtiger Kontakte für gesellschaftliche Veränderungen auf dem griechischen Festland. Sie gehen dabei allerdings kaum auf die entscheidende Frage ein, was die Minoer motiviert haben könnte, in eine so enge Beziehung zu Mykene zu treten.Zusammenfassende Diskussion jüngerer Erklärungsansätze bei: dickinson, Oliver: The “Third World” of the Aegean? Middle Helladic Greece revisited, in: Philippa-Touchais u. a. (Hg.): Mesohelladika, 2010, 15–27.

10 Die Begriffe „Elite“ und „Aristokratie“ werden hier als Synonyme verwendet. Dies erscheint berechtigt, weil es sich bei der frühmykenischen Elite wahrscheinlich um einen Erbadel, also eine Aristokratie, handelte. s. dazu weiter u.

11 Die Frage, welche Gegenleistungen die Mykener den Minoern anbieten konnten, wird in den jüngst erschienen Arbeiten von Schon und Burns völlig außer acht gelassen. Stattdessen bieten sie vor allem Altbekanntes zum Thema, warum die Mykener an Importen interessiert waren: schon, Robert: Think Locally, Act Globally: Mycenaean Elites and the Late Bronze Age World-System, in: parkinson, William A.; galaty, Michael L.: Archaic State Interaction. The Eastern Mediterranean in the Bronze Age (School for Advanced Research, Advanced Seminar Series), Santa Fe 2010, 215–221. 234; Burns, Bryan E.: Trade, in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, 296; Burns, Bryan E.: Mycenaean Greece, Mediterranean Commerce, and the Formation of Identity, Cambridge 2010, 73–100. Burns: Mycenaean Greece, 2010, 74 charakterisiert sein Interesse an den Importen aus den Schachtgräbern von Mykene folgendermaßen: „My presentation of the foreign goods in early Mycenaean tombs in this chapter aims to complicate the narrative of Shaft Grave treasures.” Das ist bemerkenswert, da Wissenschaft in der Regel an der Lösung von Problemen interessiert ist.

12 s. die zusammenfassende Darstellung bei Kilian-Dirlmeier: Schachtgrab von Ägina, 1997, 83–122. Zu nennen ist insbesondere das von Kilian-Dirlmeier publizierte, sogenannte Schachtgrab von Ägina-Kolonna.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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Die Herren von Mykene waren also die ersten, die sich gleichsam einen Traum erfüllen konnten, den schon ihre Vorfahren geträumt hatten. Es ist demnach nicht angezeigt, aus den reichen Beigaben der Schachtgräber von Mykene auf einen grundlegenden Mentalitätswandel der festländischen Eliten zu schließen13. Was sich geändert hatte, war die Bereitschaft der minoischen Kreter, ihre Luxusobjekte nach Mykene zu liefern bzw. die Fähigkeit der Mykener, diese zu erwerben.

Zur Erklärung des exzeptionellen Reichtums der Schachtgräber wird in der jüngeren Literatur auch wieder auf ein bereits vor Jahrzehnten entwickeltes Erklärungsmodell zurückgegriffen. Demnach hätten sich die Herren von Mykene als Söldner verdingt und seien so zu ihrem Reichtum gelangt. Auch wenn die neue Variante, nach der die Mykener den Minoern als Söldner gedient haben14, weniger unwahrscheinlich ist als die ursprüngliche Vermutung, nach der die Mykener von den Ägyptern im Kampf gegen die Hyksos eingesetzt wurden15, vermag sie dennoch nicht zu überzeugen. Es ist nämlich wenig wahrscheinlich ist, dass die Minoer ausschließlich aus der Siedlung Mykene stammende Krieger als Söldner angeworben haben sollten. Es kommt hinzu, dass es im Gegensatz zum nachfolgenden Zeitabschnitt für die Epoche der mykenischen Schachtgräber (SH I bzw. Spätminoisch [SM] IA) keine Hinweise auf die Präsenz festländischer Griechen auf Kreta gibt.

In jüngster Zeit sind noch weitere Vorschläge zur Erklärung des sogenannten Schachtgräberphänomens gemacht worden. O. Dickinson glaubt nun, dass viele wertvolle Gegenstände als diplomatische Geschenke in den Besitz der Mykener gelangt seien16. Warum zunächst nur die führenden Familien Mykenes kostbare Gaben erhielten und warum die Mykener so umworben wurden, bleibt bei diesem Erklärungsansatz allerdings unbeantwortet.

Dagegen vermeint S. Voutsaki jetzt, aus dem Reichtum der Schachtgräber auf listige (cunning) politische Manöver von Führungspersönlichkeiten schließen zu können, die günstige Gelegenheiten zu ihren Gunsten auszunutzen verstanden17. Positiv an diesem Erklärungsansatz ist, dass dem individuellen Handeln von Angehörigen der mykenischen Elite entscheidende Bedeutung beigemessen wird. Ohne die Tatkraft einiger Individuen, die uns leider immer unbekannt bleiben werden, wäre der Aufstieg Mykenes in der Tat kaum zu erklären, denn die Lage der Siedlung mag in gewisser Hinsicht nicht ungünstig sein, bietet aber gegenüber zahlreichen anderen Siedlungsplätzen keinerlei entscheidende Vorteile. Strukturhistorische Ansätze gelangen daher beim Versuch, den Reichtum der Schachtgräber von Mykene verständlich zu machen, an die Grenzen ihres Erklärungspotentials. Voutsakis These kann dennoch nicht vollständig überzeugen, weil es machthungrige und durchtriebene Führungspersönlichkeiten sicher auch in vielen anderen Orten gegeben haben wird.

Um zu einer überzeugenden Erklärung des Schachtgräberphänomens zu gelangen, ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Minoer die Mykener sicher nicht ohne Gegenleistung mit hochwertigen kretischen Produkten versorgt haben werden. Die führenden Familien von Mykene, und zwar zunächst fast ausschließlich diese, verfügten allem Anschein nach ab einem gewissen Zeitpunkt über etwas, was für die Minoer von besonderer Bedeutung war. Da die Minoer in der vorangehenden mittleren Bronzezeit (ca. 2000–1700/1600 v. Chr.) sich noch kaum veranlasst sahen, die festländischen Eliten mit ihren wertvollen Erzeugnissen zu beliefern, kann gefolgert werden, dass es sich dabei nicht um ein heimisches festländisches Produkt handelte, denn dieses hätte ja bereits in der Mittelbronzezeit das kretische Interesse erregen können. Den Möglichkeiten

13 Ähnlich bereits kilian-dirlmeier, Imma: Reiche Gräber der mittelhelladischen Zeit, in: Laffineur u. a. (Hg.): Politeia, 1995, 51. 14 Wright: Early Mycenaean Greece, 2008, 243. Wright bezieht sich allerdings nicht nur auf Mykene, sondern auf das griechische

Festland allgemein. Dies ist in Zusammenhang mit seinem Versuch zu sehen, den Reichtum der Schachtgräber zu relativieren. Bei Wright a. O. findet sich außerdem die Vermutung, auch Raubüberfälle der Mykener auf Kreta könnten eine Rolle gespielt haben. Diese kaum überzeugende Theorie ist insbesondere von Karo: Schachtgräber, 1930, 318. 337. 346 vertreten worden.

15 Diese These ist von Axel Persson formuliert worden, der sich seinerseits auf ähnliche Überlegungen Eduard Meyers stützen konnte: persson, Axel W.: New Tombs at Dendra near Midea (Skrifter utgivna av Kungl. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Lund 34), Lund 1942, 194–196. Perssons Vermutung stieß zunächst durchaus auf Zustimmung. Die ältere Forschungsdiskussion zu diesem Thema wird behandelt in: hooker, J. T.: The Mycenae Siege Rhyton and the Question of Egyptian Influence, in: American Journal of Archaeology 71, 1967, 269–281. Hooker und O. Dickinson haben sich mit überzeugenden Argumenten gegen diese These gewandt: dickinson, O. T. P. K.: The Origins of Mycenaean Civilization (Studies in Mediterranean Archaeology 49), Göteborg 1977, 54.

16 Dickinson: “Third World”, 2010, 27. 17 voutsaki, Sofia: Middle Bronze Age: Mainland Greece, in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, 108. Mit diesem Ansatz entfernt

sich Voutsaki von ihren älteren, prozessual ausgerichteten Erklärungsmodellen.

Florian Ruppenstein

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des griechischen Festlands und dem Charakter des bronzezeitlichen Handels entsprechend kann es sich dabei eigentlich nur um einen Rohstoff gehandelt haben. Besonders wertvoll war in der Bronzezeit Zinn, weil es zur Herstellung qualitätvoller Bronze benötigt wird und im europäisch-vorderasiatischen Raum nur an sehr wenigen Stellen vorhanden ist. Tatsächlich gibt es Indizien dafür, dass die Mykener über Zinn aus dem südenglischen Cornwall verfügten. Die Zinnlagerstätten in Cornwall und in der benachbarten Bretagne gehörten zu den wichtigsten in der Antiken Welt18. Einen Hinweis auf Kontakte zwischen Mykene und der südenglischen Wessex-Kultur bieten aus baltischem Bernstein gefertigte Schmuckperlen. Besonders aussagekräftig sind sogenannte Bernsteinschieber, die in charakteristischer Weise durchbohrt sind. Typengleiche Exemplare hat man sowohl im Süden Englands als auch auf dem griechischen Festland gefunden19. Reiche Bernsteinfunde datieren im mykenischen Griechenland vor allem in die präpalatiale Frühphase, während sich Bernstein zur Zeit der Palaststaaten nur noch in sehr geringen Mengen nachweisen lässt. Die mit Abstand reichsten Bernsteinfunde Griechenlands sind in den Schachtgräbern von Mykene gemacht worden. Es gibt noch einige weitere, wenn auch nicht besonders zahlreiche, Gegenstände, die den Bernsteinschiebern zur Seite gestellt werden können. Zu nennen sind insbesondere aus Mitteleuropa stammende Bronzenadeln mit einem Kopf in Form eines vierspeichigen Rades. Ein Exemplar der Gattung wurde im schachtgräberzeitlichen Mittelgriechenland, ein anderes in der Bretagne entdeckt20. Damit sind die Radkopfnadeln eine weitere Objektgruppe, die die zinnreichen atlantischen Kulturen mit Griechenland verbinden.

Die These, dass Zinn aus Cornwall in das mykenische Griechenland gelangte, ist nicht neu; sie wurde insbesondere von J. Muhly und zunächst auch von O. Dickinson vertreten21. Bald einsetzende Kritik an dieser Hypothese zielte vor allem auf den Mangel an unzweifelhaften mykenischen Importen in Kontinentaleuropa und in England22. Auch wenn es natürlich wünschenswert wäre, über weitere Kontaktfunde zu verfügen, ändert dies nicht das geringste am Aussagewert der Bernsteinschieber und nun auch der Radnadeln. Mit einer unzweifelhaft im ägäischen Raum gefertigten Bronzetasse, die in der zwischen Hamburg und Hannover gelegenen Ortschaft Dohnsen (Stadt Bergen, Ldkr. Celle) im Jahr 1955 gefunden wurde, verfügen wir zumindest über einen frühmykenischen Import in Mitteleuropa23. Die sorgfältigen Nachforschungen des Archäologen E. Sprockhoff haben gezeigt, dass an der Richtigkeit der Fundortangabe kaum zu zweifeln ist, auch wenn die Tasse nicht bei archäologischen Grabungen, sondern von spielenden Kindern entdeckt wurde24.

Letztlich ohne Aussagewert bleibt der relativierend gemeinte Hinweis, die Gesamtmenge des im mykenischen Griechenland gefundenen Bernsteins hätte mit einer einzigen Schiffsladung herangeschafft

18 muhly, James D.: Sources of Tin and the Beginnings of Bronze Metallurgy, in: American Journal of Archaeology 89, 1985, 287–291. 19 maran, Joseph: Wessex und Mykene. Zur Deutung des Bernsteins in der Schachtgräberzeit Südgriechenlands, in: hänsel,

Bernhard; studeníková, Etela (Hg.): Zwischen Karpaten und Ägäis. Neolithikum und ältere Bronzezeit. Gedenkschrift für Viera Nĕmejcová-Pavúková (Internationale Archäologie, Studia honoraria 21), Rahden/Westf. 2004, 50–54.

20 ruppenstein, Florian: Einfache Radnadeln als Indikatoren europaweiter Fernbeziehungen zur Zeit der Deponierung der Himmelsscheibe von Nebra, in: meller, H.; Bertemes, F. (Hg.): Der Griff nach den Sternen. Wie Europas Eliten zu Macht und Reichtum kamen. Internationales Symposium in Halle (Saale) 16.-21. Februar 2005 (Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle [Saale] 5), Halle (Saale) 2010, 641-655.

21 muhly, James D.: Copper and Tin. The Distribution of Mineral Resources and the Nature of the Metals Trade in the Bronze Age (Transactions of the Connecticut Academy of Arts and Sciences 43, 155–535), Hamden, Connecticut 1973, 271–279. 344–350; Muhly: Sources of Tin, 1985, 287; Dickinson: Origins, 1977, 55. 108. Angesichts der Kritik Hardings (s. folgende Anm.) hat sich Dickinson später von dieser These wieder distanziert: dickinson, Oliver: “The Origins of Mycenaean Civilization” Revisited, in: laffineur, Robert (Hg.): Transition. Le monde égéen du Bronze Moyen au Bronze Récent. Actes de la deuxième Recontre égéenne internationale de l’Université de Liège (18–20 avril 1988) (Aegaeum 3), Liège 1989, 136.DieTheorie, dass englisches und bretonisches Zinn in das schachtgräberzeitliche Griechenland gelangte, wurde jedoch auch in der Folgezeit weiterhin vertreten: gerloff, Sabine: Zur Frage mittelmeerländischer Kontakte und absoluter Chronologie der Frühbronzezeit in Mittel- und Westeuropa, in: Prähistorische Zeitschrift 68, 1993, 83–86; Maran: Wessex und Mykene, 2004, 58; Eder: Überlegungen zur politischen Geographie, 2009, 21; Ruppenstein: Radnadeln, 649f.

22 harding, A. F.: The Mycenaeans and Europe, London 1984, 280 f. Bezeichnenderweise geht Harding bei seiner Kritik der Aussagen Dickinsons weder auf die Bernsteinschieber noch auf Zinn aus Cornwall ein.

23 matthäus, Hartmut: Neues zur Bronzetasse aus Dohnsen, Kr. Celle, in: Die Kunde. Mitteilungen des Niedersächsischen Landesvereins für Urgeschichte 28/29, 1977/78, 51–69.Zu möglichen Kontaktfunden auf den Britischen Inseln s. Gerloff: Zur Frage mittelmeerländischer Kontakte, 1993, 79.

24 sprockhoff, Ernst: Eine mykenische Bronzetasse von Dohnsen, Kreis Celle, in: Germania 39, 1961, 11 ff.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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werden können25, denn dies gilt für die meisten antiken Importstücke aus kostbarem Material, ohne dass deswegen ernsthaft angenommen werden kann, dies sei auch tatsächlich der Fall gewesen. Nach allem was über bronzezeitlichen Seehandel bekannt ist, kann es sich beim Bernstein kaum um den Hauptbestandteil einer Ladung gehandelt haben.

Die These vom Zinnimport der Mykener ist allen anderen bislang vertretenen Erklärungsmodellen für den Reichtum der Schachtgräber deswegen überlegen, weil sie die einzige ist, die das Interesse der Minoer an engen Kontakten mit Mykene begründen kann. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass einige aus Mykene stammende Seefahrer die ersten waren, denen es gelang, südenglisches oder bretonisches Zinn einzutauschen. Dazu muss vorausgesetzt werden, dass die Herren von Mykene schon in der Schachtgräberzeit Zugang zu einem Hafen am Korinthischen Golf hatten, von dem aus sie in das lonische Meer und in die Adria segeln konnten26. Die Siedlung Korakou bei Korinth käme dafür in Frage. Diese Annahme ist keineswegs unwahrscheinlich, da in der Gegend um Korinth niemals ein palatiales Zentrum entstand, was man häufig damit erklärt, dass die Korinthia vom Palast von Mykene aus kontrolliert wurde. Beziehungen zwischen Mykene und der Korinthia haben sich aber möglicherweise bereits früher entwickelt27. Die Region, in der die Mykener das westeuropäische Zinn erwarben, lässt sich noch nicht mit Sicherheit benennen. Es bietet sich insbesondere der nördliche Adriaraum, das sogenannte Caput Adriae an28. Aber auch eine über das Ionische und das Tyrrhenische Meer nach Südfrankreich führende Handelsroute ist vorgeschlagen worden29.

Die hier vorgebrachte These findet ihre Bestätigung in dem Umstand, dass die neben Mykene reichsten Fundorte der präpalatialen Phase im Südwesten der Peloponnes direkt am lonischen Meer liegen. Zu nennen ist insbesondere ein Kuppelgrab in Kakovatos, in dem reiche Bernsteinfunde gemacht wurden (SH II A)30. Offenbar sind manche Anrainer des lonischen Meeres dem Vorbild der Mykener gefolgt und haben ebenfalls Handelsfahrten mit dem Ziel unternommen, kostbares europäisches Zinn zu erwerben.

DER ZWEITE ABSCHNITT DER PRÄPALATIALEN PHASE DER MYKENISCHEN KULTUR

„die zeit der tholosgräBer“ (sh ii)

Während sich im ersten Abschnitt der präpalatialen Phase (SH I) in vielen Regionen Griechenlands noch keine tiefgreifenden Veränderungen gegenüber der vorangehenden Mittelbronzezeit feststellen lassen31, zeichnet sich im zweiten Abschnitt der präpalatialen Phase (SH II) in weiten Teilen des süd- und mittelgriechischen Festlands eine zunehmende gesellschaftliche Stratifizierung ab.

25 Harding: Mycenaeans and Europe, 1984, 80. Dieses spekulative Gedankenspiel ist jetzt von Schon: Think Locally, 2010, 218 wieder aufgegriffen worden. Er verwendet es als Beweis für seine Vermutung, dass Handel außerhalb des ägäischen Raumes für das frühmykenische Griechenland ohne Bedeutung war und verdeutlicht damit die methodologische Anspruchslosigkeit seines Forschungsansatzes.

26 Vgl. Eder: Überlegungen zur politischen Geographie, 2009, 20–22. 27 Es wird sogar vermutet, dass die Korinthia bereits in der Phase SH II von Mykene aus kontrolliert wurde: cherry, John F.; davis,

Jack L.: ‘Under the Sceptre of Agamemnon’: The View from the Hinterlands of Mycenae, in: Branigan, Keith (Hg.): Urbanism in the Aegean Bronze Age (Sheffield Studies in Aegean Archaeology 4), London 2001, 156.

28 Ruppenstein: Radnadeln, 650. 29 Harding: Mycenaeans and Europe, 1984, 80; Gerloff: Zur Frage mittelmeerländischer Kontakte, 1993, 85; Maran: Wessex und

Mykene, 2004, 56. 60. 30 demakopoulou, Katie (Hg.): Das mykenische Hellas. Heimat der Helden Homers. Ausstellungskatalog Berlin, Athen 1988, 258

Nr. 283 (chatzipouliou, Elissaavet). Die Vermutung Schons, dass die reichen Beigaben und insbesondere der Bernsteinschmuck aus der Tholos A von Kakovatos aus älteren Gräbern stammen könnten, ist rein spekulativ und lässt sich mit unserer Kenntnis der mykenischen Bestattungssitten kaum vereinbaren. Die Frage, woher der Bernstein ursprünglich stammt, lässt Schon unbeantwortet: Schon: Think Locally, 2010, 223.

31 So z. B. in Attika: ruppenstein, Florian: Das Verhältnis zwischen Attika und Athen in mykenischer Zeit, in: lohmann, Hans; mattern, Torsten (Hg.): Attika ‒ Archäologie einer „zentralen“ Kulturlandschaft. Akten der internationalen Tagung vom 18.–20. Mai 2007 in Marburg (Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen 37), Wiesbaden 2010, 25 f.

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Die Bedeutung der Tholosgräber und ihrer Beigabenausstattung für die Rekonstruktion der frühmykenischen Gesellschaftsstruktur

Diese findet ihren archäologisch nachweisbaren Ausdruck hauptsächlich in den sogenannten Tholosgräbern. Es handelt sich bei diesem Grabtypus um aus Steinen erbaute Kuppelgräber, die in Berghänge eingetieft sind. Nur die obere Hälfte der Kuppel ist oberirdisch; sie wurde mit Erde überdeckt, so dass gewissermaßen ein Hügel oder Tumulus sichtbar war. Tholosgräber lassen sich von Thessalien bis zur Peloponnes im gesamten mykenischen Kulturraum nachweisen32. Sie unterscheiden sich von einfacheren Grabformen nicht nur durch ihre aufwendige Bauweise, sondern auch durch ihren Beigabenreichtum. Man sieht in ihnen daher zu recht die Grabstätten einer, im Vergleich zum vorangehenden Zeitraum, zu größerer Macht und größerem Reichtum gelangten gesellschaftlichen Elite33. In den meisten Siedlungen mit Tholosgräbern wurde nur ein solcher Grabbau errichtet. Man wird daraus schließen dürfen, dass in diesen Fällen eine einzelne Familie den betreffenden Siedlungsverband dominierte. Es gibt aber auch Orte mit mehreren Tholosgräbern. Hier lässt sich vermuten, dass mehrere Familienverbände, die deswegen aber nicht unbedingt gleichrangig gewesen sein müssen, an der Herrschaft partizipierten. Die Machtstrukturen waren im frühmykenischen Griechenland daher möglicherweise nicht in allen Siedlungen gleichartig aufgebaut und nicht grundsätzlich monarchisch organisiert34. Mehrere Tholosgräber finden sich vor allem in den bedeutenden Ortschaften. Auch hier ragt Mykene mit neun Tholosgräbern wieder deutlich hervor35. Man kann diesen Gedankengang auch umdrehen: Vielleicht waren die Siedlungen mit mehreren Tholosgräbern deswegen erfolgreich, weil dort mehrere einflussreiche Familienverbände ein Bündnis miteinander eingegangen waren.

Wie bereits angedeutet, scheint die Entwicklung hin zu einer stärkeren gesellschaftlichen Differenzierung insbesondere durch den Metallhandel angeregt worden zu sein. Ein reich ausgestattetes Tholosgrab im attischen Thorikos lässt vermuten, dass schon bald nicht nur Zinn, sondern auch andere Metalle verhandelt wurden. In der Gegend um Thorikos, der Laureotike, wurden nämlich schon seit der Frühbronzezeit Silber und Blei abgebaut36. Dem Handel mit diesen Metallen verdankte Thorikos aller Wahrscheinlichkeit nach seine führende Stellung im frühmykenischen Attika37. Der Fall von Thorikos macht darüber hinaus deutlich, dass der Metallhandel im zweiten Abschnitt der präpalatialen Phase (SH II) deutlich intensiviert worden sein muss, denn Silber und Blei wurden in Thorikos schon lange davor abgebaut, ohne dass dies zu archäologisch nachweisbarem Reichtum geführt hätte.

Die große Bedeutung des Metallhandels für die frühmykenischen Eliten lässt sich auch daran ablesen, dass Bronzewaagen und Bleigewichte zum Abwiegen von Metall und anderen wertvollen Stoffen auch als Grabbeigaben Verwendung fanden38. Bezeichnenderweise ist die Tholos in Thorikos einer von zwei

32 pelon, Olivier: Tholoi, tumuli et cercles funéraires. Recherches sur les monuments funéraires de plan circulaire dans l’Égée de l’âge du Bronze (IIIe et IIe millénaires av. J.-C.) (Bibliothèque des Écoles Françaises d’Athènes et de Rome 229), Athen 1976. In Theben, einem der bedeutendsten Zentren der mykenischen Kultur, scheint es bemerkenswerterweise kein Tholosgrab gegeben zu haben.

33 deger-Jalkotzy, Sigrid: «Near Eastern Economies» versus «Feudal Society»: Zum mykenischen Palaststaat, in: killen, John T.; melena, José L.; olivier, Jean-Pierre (Hg.): Studies in Mycenaean and Classical Greek Presented to John Chadwick (= Minos 20–22), Salamanca 1987, 149; Wright, James C.: From Chief to King in Mycenaean Society, in: rehak, Paul (Hg.): The Role of the Ruler in the Prehistoric Aegean. Proceedings of a Panel Discussion Presented at the Annual Meeting of the Archaeological Institute of America, New Orleans, Louisiana, 28 December 1992, with Additions (Aegaeum 11), Liège 1995; 69; shelmerdine, Cynthia W.: The Evolution of Administration at Pylos, in: voutsaki, Sofia; killen, John (Hg.): Economy and Politics in the Mycenaean Palace States. Proceedings of a Conference held on 1‒3 July 1999 in the Faculty of Classics, Cambridge (Cambridge Philological Society Suppl. 27), Cambridge 2001, 125; Eder: Überlegungen zur politischen Geographie, 2009, 13.

34 Zu diesem Thema s. u. den Abschnitt zu den Linear B-Tafeln. 35 Die beiden größten Tholosgräber in Mykene, das sog. Grab der Klytaimnestra und das sog. Schatzhaus des Atreus, sind allerdings

erst während der Palastzeit bzw. ganz zu Beginn derselben erbaut worden. Vgl. french, Elizabeth: Mycenae. Agamemnon’s Capital, Brimscombe Port Stroud, Gloucestershire 2002, 10.

36 Zusammenfassend zu Thorikos mit weiterführender Literatur: laffineur, Robert: Thorikos, in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, 712–721.

37 Vgl. Ruppenstein: Attika und Athen, 2010, 26 f. 38 Vollständige Liste der im ägäischen Raum in Gräbern gefundenen Waagen und Gewichte bei: pare, Christopher F. E.: Weights and

Weighing in Bronze Age Central Europe, in: Eliten in der Bronzezeit. Ergebnisse zweier Kolloquien in Mainz und Athen (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte Monographien 43, 2), Mainz 1999, 470–474.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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Grabbauten auf dem griechischen Festland, in dem sowohl Reste einer Waage als auch ein Bleigewicht gefunden wurden39. Das andere so ausgestattete Grab ist die Tholos von Vafeio in Lakonien. Hier wurden sogar Reste von fünf Waagen und dazu zahlreiche Bleigewichte, die sich zu vollständigen Garnituren rekonstruieren lassen, entdeckt40. Im Schachtgrab III von Mykene wurden drei nicht für den praktischen Gebrauch gedachte Goldwagen gefunden41. Sie können also nur rein symbolische Bedeutung gehabt haben42. Der Zugang und die Kontrolle über wertvolle Metalle ebenso wie der Handel mit ihnen scheinen demnach eine nicht unwichtige Rolle für die Selbstdefinition der frühmykenischen Aristokratie gespielt zu haben.

Die mykenischen Eliten standen in dieser Zeit wohl nicht nur in einem intensiven Kontakt mit dem minoischen Kreta, sondern pflegten anscheinend auch enge Beziehungen untereinander. Die Tholosgräber und ihre vergleichbaren reichen Ausstattungen zeigen, dass die gesellschaftlichen Eliten in ganz Süd- und Mittelgriechenland durch gemeinsame Ideale und Wertvorstellungen miteinander verbunden waren. Gleichzeitig deuten diese monumentalen Grabbauten und die in ihnen festzustellende Reichtumsakkumulation auf eine Konkurrenzsituation innerhalb der Aristokratie hin. Die Tholosgräber sollten offensichtlich nicht nur die Angehörigen der nicht-privilegierten sozialen Schichten, sondern auch die Standesgenossen in anderen Siedlungen und Regionen beeindrucken. Damit sind die Tholosgräber die wichtigsten Statussymbole des zweiten Abschnitts der präpalatialen Phase (SH II). Mit ihrer Errichtung tat man aller Welt seinen Anspruch kund, ein Angehöriger der obersten gesellschaftlichen Elite zu sein. Diese symbolische Bedeutung haben die Tholosgräber bis zum Ende der palatialen Phase der mykenischen Kultur behalten.

Die Beigabenausstattung der Tholosgräber ebenso wie mancher Kammergräber43 gibt noch weitere Auskunft über Herrschaftslegitimation und Selbstdefinition der frühmykenischen Aristokratie. Die zahlreichen, nicht selten aufwendig verzierten Waffen, die in diesen Gräbern gefunden wurden, lassen kaum einen Zweifel daran, dass sich die Angehörigen der präpalatialen Elite in erster Linie als Krieger verstanden haben. Dieser kriegerische Habitus ist ein weiterer Hinweis auf den kompetitiven Charakter der frühmykenischen Gesellschaft. Man wird dementsprechend vermuten dürfen, dass Konkurrenzkämpfe nicht immer friedlich ausgetragen wurden. Für die gegenteilige Vorstellung, dass sich eine herrschende gesellschaftliche Schicht nur mit Waffen schmückt, diese aber kaum einsetzt, werden sich unter vorstaatlichen Gesellschaften kaum aussagekräftige Beispiele anführen lassen.

Der vorherrschende Schwerttypus der frühmykenischen Zeit ist durch eine sehr lange und schmale Klinge charakterisiert44. Die meisten Exemplare haben bei einer Breite von nur etwa 5 cm eine Länge zwischen 70 cm

39 servais, Jean: Objets trouvés dans la tholos, in: Thorikos 5 – 1968. Rapport préliminaire sur la cinquième campagne de fouilles, Bruxelles 1971, 80 f. Abb. 42–43.

40 michailidou, Anna: Weight and Value in Pre-Coinage Societies II. Sidelights on Measurement from the Aegean and the Orient (ΜΕΛΕΤΗΜΑΤΑ 61), Athen 2008, 156–177.

41 Michailidou: Weight and Value II, 2008, 135–149. 42 Man hat daher auch eine religiöse Konnotation dieser Goldwaagen angenommen, etwa als Seelen- oder Schicksalswaagen. Auch

wenn es nicht möglich ist, diese Interpretation vollkommen auszuschließen, so ist sie doch wenig wahrscheinlich, wenn man die Goldwaagen aus Mykene im Kontext der zahlreichen Funde von Gewichten und Waagen aus anderen Gräbern sieht. Bei ihnen handelt sich nämlich ausschließlich um ursprünglich funktionsfähige, für den praktischen Gebrauch gefertigte Geräte. Die Goldwaagen aus Mykene sind demnach wahrscheinlich als den Metallhandel symbolisierende Objekte aufzufassen; s. dazu Pare: Weights and Weighing, 1999, 475 f.

43 Kammergräber sind in ihrer Konstruktionsweise insofern mit den Tholoi verwandt, als auch sie in Berghänge eingetieft wurden. Allerdings sind sie vollständig unterirdisch. Kammergräber wurden in manchen Fällen für elitäre Bestattungen – so etwa in Theben – verwendet, häufiger aber von der Gesellschaftsschicht unterhalb der höchsten Elite.

44 Es handelt sich um Schwerter vom Typ A nach der noch heute verwendeten Definition G. Karos: Schachtgräber, 1930, 97 f. 201–204; s. auch fortenBerry, Cheryl D.: Elements of Mycenaean Warfare, Diss. Uni. Cincinnati 1990 (Ann Arbor, UMI 9032620), 147 f. 353–366; kilian-dirlmeier, Imma: Die Schwerter in Griechenland (außerhalb der Peloponnes), Bulgarien und Albanien (Prähistorische Bronzefunde IV, 12), Stuttgart 1993, 17–37; molloy, Barry: Swords and Swordsmanship in the Aegean Bronze Age, in: American Journal of Archaeology 114, 2010, 404. 415 f. Molloys Untersuchung hat nochmals gezeigt, dass an der Einsatzfähigkeit der A-Schwerter nicht zu zweifeln ist. Er glaubt sogar, dass sie in begrenztem Maße auch als Hiebwaffen eingesetzt werden konnten. Er macht allerdings auch deutlich, dass die schmale Schneide im Zusammenspiel mit der kräftigen Mittelrippe das Zufügen tiefer Fleischwunden nicht zulässt. Es kommt hinzu, dass Molloy im Experiment zeigen konnte, dass sich sogar die stabileren C-Schwerter bei Hieben leicht verbiegen: Molloy: Swords and Swordsmanship, 2010, 417–419. Damit kann auch nach Molloys, für die mykenische Schwertkampftechnik grundlegenden, Untersuchung weiterhin davon ausgegangen werden, dass es sich bei den A-Schwertern in allererster Linie um Stichwaffen handelt.

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und 1 m. Dank einiger Kampfdarstellungen auf Siegeln sind wir darüber informiert, wie sie gehandhabt wurden45. Es waren Stichwaffen; man führte das Schwert über den Kopf und versuchte von oben in den Hals des Gegners zu stechen46. Es ist offensichtlich, dass es sich hierbei um eine sehr schwierige Technik handelt, die zweifellos lange geübt werden musste, um sie sicher zu beherrschen. Es ist natürlich durchaus möglich, dass daneben noch weitere, einfacher auszuführende Stichtechniken praktiziert wurden. Der Stich in den Hals war aber offenbar aufgrund seiner Schwierigkeit zur Verherrlichung der Kampfkünste der aristokratischen Krieger und damit zur bildlichen Darstellung besonders geeignet. Es kann gefolgert werden, dass Schwerter des beschriebenen Typs schon aus technischen Gründen nur von Männern geführt werden konnten, denen genügend Zeit zur Verfügung stand, die Kampftechnik zu erlernen47. Es muss sich demnach um Angehörige einer kriegerischen Elite gehandelt haben, die sich nicht um ihren täglichen Broterwerb zu sorgen brauchte. Die Angehörigen der frühmykenischen Aristokratie definierten sich also allem Anschein nach in erster Linie als Elitekrieger und leiteten daraus gleichzeitig ihren Herrschaftsanspruch ab48. Außer dem demonstrativ zur Schau getragenen Kriegertum gibt der archäologische Befund keine deutlichen Hinweise auf mögliche weitere Formen der Herrschaftslegitimation.

Der Aussagewert bildlicher Darstellungen für die Selbstdefinition der frühmykenischen Elite

Wie bereits angedeutet, helfen bildliche Darstellungen auf Siegeln dabei, das Selbstbild der präpalatialen Eliten zu rekonstruieren. Beispielhaft sollen hier drei Goldsiegel aus dem Schachtgräberrund A von Mykene besprochen werden. Auf dem ersten Beispiel (Abb. 2, obere Reihe) wird der besprochene Schwertstich in den Hals des Gegners von einem Krieger ausgeführt, der abgesehen von einem kurzen Schurz völlig unbekleidet ist49. Dies kann schwerlich der tatsächlichen Kampfpraxis entsprochen haben und dient vermutlich der Heroisierung des als siegreich dargestellten Kämpfers. Sein Gegner ist von einem mannshohen Schild und einem Helm geschützt; als Angriffswaffe trägt er eine lange Lanze. Die Darstellung gibt Anlass zur Vermutung, dass die Technik des Schwertstichs in den Hals entwickelt wurde, um von hohen Schilden geschützte Gegner überwinden zu können. Der Kontrast zwischen dem gut gerüsteten Verlierer und dem ungeschützten Sieger unterstreicht die Tapferkeit und die Kampfkunst des letzteren50. Anscheinend war der Schwertkampf mit höherem Sozialprestige verbunden als der Kampf mit der Lanze. Diese Darstellung macht die Selbstwahrnehmung der frühmykenischen Aristokratie besonders deutlich: Ihre Angehörigen sahen sich als heldenhafte Krieger, die sich durch ihren Mut und ihre Kampfkunst deutlich von anderen gesellschaftlichen Gruppen abhoben.

Das zweite Beispiel zeigt zwei Männer im Streitwagen auf der Jagd (Abb. 2, mittlere Reihe)51. Einer der beiden Männer spannt einen Bogen und richtet ihn auf einen Hirsch, der seinen Kopf in heftiger

45 Kilian-Dirlmeier: Schwerter in Griechenland, 1993, Taf. 69–70. 46 Molloy: Swords and Swordsmanship, 2010, 410 ist sich nicht sicher, ob die Darstellungen auf den Siegeln die Kampfesweise

tatsächlich realistisch wiedergeben. Der Stich in den Hals könne auch mit Opferszenen in einem Zusammenhang stehen. Derartige, auf den möglichen symbolischen Gehalt der Darstellungen abzielende Deutungen bleiben jedoch rein spekulativ. Das Darstellungsschema des auf den Hals gerichteten Schwertstoßes erscheint in der Schachgräberzeit ohne ikonographische Vorläufer. Es kann sich also nur an der Realität orientiert haben, wenn man keine ebenso grundlose wie phantasievolle Erfindung der Künstler postulieren möchte. Wenn man den Realitätsgehalt bildlicher Darstellungen bezweifelt, braucht man dazu konkrete Anhaltspunkte. Diese sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, denn die bronzenen A-Schwerter und die Kampfdarstellungen auf den Siegeln lassen sich problemlos miteinander verbinden.

47 Vgl. Molloy: Swords and Swordsmanship, 2010, 413 f. 48 Vgl. vonhoff, Christian: Darstellungen von Kampf und Krieg in der minoischen und mykenischen Kultur (Internationale

Archäologie 109), Rahden/Westf. 2008, 261. 49 sakellariou, Agnes: Die minoischen und mykenischen Siegel des Nationalmuseums in Athen (Corpus der Minoischen und

Mykenischen Siegel [CMS] I), Berlin 1964, 22 Nr. 11. Die Vermutung Vonhoffs, dass ein Zweikampf zwischen einem minoischen Schwertkämpfer und einem mykenischen Krieger mit Lanze dargestellt sei, ist ohne Grundlage. Es ist schon in der Schachtgräberzeit kaum möglich, Minoer und Mykener aufgrund von Tracht und Ausrüstung zu unterscheiden: Vonhoff: Darstellungen von Kampf und Krieg, 2008, 24. 283 Nr. 27.

50 Von Voutsaki ist zutreffend festgestellt worden, dass in den schachtgräberzeitlichen Kampfdarstellungen nicht der Sieg, sondern der Kampf als solcher verherrlicht wird. Daraus folgt aber nicht, wie von Voutsaki angenommen, dass die Gleichheit der Kombattanten betont werden soll: voutsaki, Sofia: Agency and Personhood at the Onset of the Mycenaean Period, in: Archaeological Dialogues 17, 2010, 86. Die hier besprochene Darstellung beweist auf subtile Weise das Gegenteil.

51 Sakellariou: CMS I, 1964, 26 f. Nr. 15.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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Bewegung zurückwendet. Auf diesem goldenen Siegelring sind mit der Jagd eine Beschäftigung und mit dem Streitwagen ein Objekt wiedergegeben, die für die mykenische Elite von großer Bedeutung gewesen sein müssen. Einfache Wagen könnten schon in der Mittelbronzezeit in Griechenland verwendet worden sein, der schnelle, zweirädrige Streitwagen scheint aber erst in der Schachtgräberzeit aufgekommen zu sein. Nicht zuletzt aufgrund seiner Kostspieligkeit blieb er für Jahrhunderte eines der wichtigsten Statussymbole der gesellschaftlichen Elite. Die Jagd ist in vielen Gesellschaften eine typische Beschäftigung einer kriegerisch gestimmten Aristokratie, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass durch sie kriegerische Fertigkeiten in Friedenszeiten geübt werden können. Die Jagd ist außerdem ein Ausdruck dafür, dass man über seine Zeit weitgehend frei verfügen kann und seine Arbeitskraft nicht wie die meisten Menschen fast ausschließlich für die landwirtschaftliche oder handwerkliche Produktion einzusetzen braucht. Die oben behandelte, technisch anspruchsvolle Schwertkampftechnik und die Begeisterung für die Jagd weisen beide darauf hin, dass die frühmykenischen Aristokraten nicht selbst an der Produktion von Nahrung oder handwerklichen Erzeugnissen beteiligt waren. Sie müssen demnach über Untergebene verfügt haben, die sie mit Lebensmitteln und anderen Gütern versorgten.

Auf dem dritten hier vorgestellten Goldsiegel (Abb. 2, untere Reihe) findet sich eine besondere Verbindung der beiden Elemente Kampf und Jagd52. Ein nur mit einem Schurz bekleideter Mann richtet einen Dolch oder ein Schwert in einer Weise gegen einen Löwen, als würde es sich um einen menschlichen Gegner handeln. Der Löwe scheint sich in die Schulter des Kämpfers verbissen zu haben. Dieser zeigt sich davon unbeeindruckt, und es besteht Hoffnung, dass sein Dolchstoß den Löwen im nächsten Moment zur Strecke bringen wird. Dass es sich hierbei nicht um die realistische Widergabe eines Jagdabenteuers handeln kann, braucht kaum erwähnt zu werden. Unrealistisch ist nicht die Jagd auf einen Löwen an sich, denn diese hat es im mykenischen Griechenland tatsächlich gegeben, wie durch verschiedene Knochenfunde mittlerweile nachgewiesen werden konnte53. Unrealistisch ist vielmehr die Art und Weise des Kampfes zwischen Tier und Mensch. Eine wirklichkeitsnahe Vorstellung von einer Löwenjagd in mykenischer Zeit vermittelt die Darstellung auf einem berühmten Dolch aus dem IV. Schachtgrab des Schachtgräberrundes A von Mykene54. Hier sind gleich fünf Männer, von denen einer bereits schwer verletzt oder tot am Boden liegt, zur Löwenjagd ausgezogen. Die Jäger sind mit Speeren und einer von ihnen mit einem Bogen bewaffnet; also mit Distanz- bzw. Fernwaffen. Sie sind durch hohe achtförmige und rechteckige Schilde geschützt.

Der auf dem goldenen Siegel abgebildete Kämpfer kann daher kaum ein gewöhnlicher Sterblicher sein, denn die mykenischen Aristokraten waren bei allem Kampfesmut gewiss keine Selbstmörder. Es muss sich um einen, vielleicht mythischen Helden handeln, gewissermaßen um einen Proto-Herakles. Im Gegensatz zum Heros des 1. Jts. v. Chr. verlässt er sich allerdings nicht nur auf die Kraft seiner Arme, sondern benötigt immerhin noch einen Dolch, um den Löwen zu bezwingen. Dennoch kann nicht daran gezweifelt werden, dass dies eine übermenschliche Leistung ist.

Dieses Goldsiegel führt das Interesse der frühmykenischen Aristokraten auch an heroisch übersteigerter Tapferkeit deutlich vor Augen. Möglicherweise gab es Heldendichtung schon zu diesem frühen Zeitpunkt.

Die vorangegangene Erörterung hat gezeigt, dass die Selbstdefinition der Angehörigen der frühmykenischen Elite auf ihrer Rolle als Krieger, Jäger und teilweise auch als Metallhändler beruhte. Ihre Herrschaftslegitimation gründete sich wahrscheinlich nahezu ausschließlich auf ihrem Kriegertum. Die Aristokraten konnten behaupten, dass ihre Kampfkraft zum Schutze der Gemeinschaft unentbehrlich sei. In der allem Anschein nach sehr kriegerischen präpalatialen Phase der mykenischen Kultur mag dieser so begründete Herrschaftsanspruch von den nicht-privilegierten und im Kampf ungeübten Gesellschaftsgruppen sogar akzeptiert worden sein, denn für Zeitgenossen ist es immer schwierig, strukturelle Gründe für gesellschaftliche Probleme zu erkennen.

52 Sakellariou: CMS I, 1964, 20 Nr. 9. 53 forstenpointer, Gerhard; galik, Alfred; WeissengruBer, Gerald E.; zohmann, Stephan; thanheiser, Ursula; gauss, Walter:

Subsistence and more in Middle Bronze Age Aegina Kolonna: Patterns of Husbandry, Hunting and Agriculture, in: Philippa-Touchais u. a. (Hg.): Mesohelladika, 2010, 738 f.

54 Karo: Schachtgräber, 1930, 95–97 Nr. 394; 295. 313; marinatos, Spyridon (Aufnahmen von hirmer, Max): Kreta, Thera und das mykenische Hellas, Sonderausgabe München 1986, 172 Taf. XLIX–L.

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Das heißt in diesem Fall, dass es die vorgeblichen Beschützer selbst waren, die aufgrund ihres Ehrgeizes für die kriegerischen Auseinandersetzungen verantwortlich waren.

Der Handel mit und die Kontrolle über wertvolle Metalle kann deswegen als Mittel der Herrschaftslegitimation keine große Bedeutung gehabt haben, weil die Elite die breite Masse der Bevölkerung an diesem Reichtum nicht partizipieren ließ. Die Versorgung mit wertvollen Metallobjekten, insbesondere mit Waffen, könnte allerdings im Verhältnis zwischen der höchsten und einer niederrangigen Elite eine Rolle gespielt haben.

Die Jagd kann für die Herrschaftslegitimation der Aristokratie überhaupt keine Bedeutung gehabt haben55, denn es ist nicht erkennbar, wie sie die gesellschaftliche Unterschicht dazu bewogen haben könnte, sich der Oberschicht gegenüber loyal zu verhalten.

Mit der Herausarbeitung des Selbstbildes und der Herrschaftslegitimation der frühmykenischen Elite liegt eine wichtige Voraussetzung für die Rekonstruktion von Herrschaftsform und Gesellschaftsstruktur in präpalatialer Zeit vor. Die Tholosgräber geben in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Hinweis, da es sich um Gemeinschaftsgräber handelt, die über längere Zeiträume hinweg immer wieder benutzt wurden. Man kann daher vermuten, dass die Tholoi Grablegen von Familienverbänden waren, auch wenn dies nicht im strengen Sinne zu beweisen ist. Daraus kann weiter gefolgert werden, dass sozialer Status erblich war. Die frühmykenische Elite kann demnach als Erbaristokratie oder Adel bezeichnet werden.

Der Aussagewert der Linear B-Tafeln für die Rekonstruktion der frühmykenischen Gesellschaftsstruktur

Gewisse Rückschlüsse auf die frühmykenische Sozialordnung können auch aus den in der sogenannten Linear B-Schrift verfassten Verwaltungstexten der mykenischen Paläste gezogen werden. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine als damos (da-mo) bezeichnete Personengruppe56. Die Verbindung mit dem aus dem 1. Jt. v. Chr. bekannten Wort demos, das mit Volk oder Gemeinde übersetzt werden kann, ist offensichtlich und unzweifelhaft. Aus den pylischen Linear B-Tontafeln lässt sich erkennen, dass es sich beim damos um eine Körperschaft handelte, die über Landbesitz verfügte und diesen Einzelpersonen zur Nutzung übergab. Mitglieder des Damos waren Landbesitzer oder, vorsichtiger ausgedrückt, Personen, die über Landnutzungsrechte verfügten. Ob noch weitere Personen oder sogar sämtliche freie Männer einer Siedlungsgemeinschaft zum damos gehörten, kann aufgrund der Linear B-Tafeln nicht sicher entschieden werden. Der damos war eine nur regional agierende Körperschaft, deren Existenz wohl für alle Siedlungsgemeinschaften vorauszusetzen ist. Es ist ganz unwahrscheinlich, dass die Institution des damos erst durch die Verwaltung der Palaststaaten geschaffen wurde, denn diese war insbesondere an direkter Kontrolle und nicht an der Förderung kommunaler Selbstverwaltung interessiert. Der damos ist dementsprechend wohl eine gesellschaftliche Institution der präpalatialen Phase, die in die Palaststaaten integriert wurde57. Vom Charakter der Palaststaaten ausgehend kann außerdem vermutet werden, dass der damos in der präpalatialen Frühphase der mykenischen Kultur noch eine größere Bedeutung besaß als die in den palastzeitlichen Linear B-Tafeln dokumentierte. Die Richtigkeit dieser Überlegungen vorausgesetzt ergibt sich, dass in frühmykenischer Zeit ein beträchtlicher Teil des Kulturlandes Gemeinschaftseigentum gewesen sein muss. Die Macht der obersten gesellschaftlichen Elite innerhalb der einzelnen Siedlungsverbände kann also bei weitem keine absolute gewesen sein. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass die Aristokraten schon in frühmykenischer Zeit in der Körperschaft des damos

55 Die Bedeutung der Jagd schon für die mittelhelladische Elite betont auch Wright: Early Mycenaean Greece, 2008, 239. Allerdings ist seine Vermutung, dass sich die Elite durch die Jagd Sozialprestige erworben haben könnte, wenig wahrscheinlich.

56 Zum damos s.: leJeune, Michel: Le damos dans le société mycénienne (Erstveröffentlichung: Revue des Études Greques 78, 1965, 1–22), in: ders.: Mémoires de Philologie Mycénienne. Troisième série (1964–1968) (Incunabula Graeca 43), Rom 1972, 135–154; Wundsam, Klaus: Die politische und soziale Struktur in den mykenischen Residenzen nach den Linear B Texten (Dissertationen der Universität Wien 7), Wien 1968, 153–169; besonders 156–158; deger-Jalkotzy, Sigrid: Zum Charakter und zur Herausbildung der mykenischen Sozialstruktur, in: heuBeck, Alfred; neumann, Günter (Hg.): Res Mycenaeae. Akten des VII. internationalen mykenologischen Colloquiums in Nürnberg vom 6.‒10. April 1981, Göttingen 1983, 90 f. 95–97.

57 Vgl. Wundsam: Politische und soziale Struktur, 1968, 158; shelmerdine, Cynthia W.: Mycenaean Palatial Administration, in: deger-Jalkotzy, Sigrid; lemos, Irene S. (Hg.): Ancient Greece: From the Mycenaean Palaces to the Age of Homer (Edinburgh Leventis Studies 3), Edinburgh 2006, 75.

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eine führende Rolle spielten und somit auch maßgeblich über die Aufteilung des Gemeindelandes entscheiden konnten. Dennoch zeigt das Beispiel der mykenischen Paläste, dass Staaten auch ohne vollständige Kontrolle der Elite über den Boden, des in vormoderner Zeit wichtigsten Produktionsmittels, entstehen konnten.

Auch die beiden höchsten Würdenträger der mykenischen Palaststaaten, der wanax (wa-na-ka) und der lawagetas (ra-wa-ke-ta), scheinen Vorläufer in der präpalatialen Phase gehabt zu haben58. Der wanax stand ohne Zweifel an der Spitze der mykenischen Palaststaaten. Der lawagetas nahm zwar eindeutig einen niedrigeren Rang ein als der wanax, stand aber als einzelner über allen anderen Funktionsträgern des Staates. Damit ist es herrschaftstypologisch nicht korrekt, das mykenische Staatssystem als Monarchie zu bezeichnen. Es handelt sich stattdessen um eine Variante der Doppelherrschaft oder Dyarchie, und zwar um eine Variante mit ungleicher Machtverteilung. Man kann diesen Zustand daher auch als Zwischenstadium zwischen echter Monarchie und kollegialer Doppelherrschaft bezeichnen59. Es ist bemerkenswert, dass dieser für das Verständnis des Herrschaftssystems der mykenischen Palaststaaten zentrale Punkt in der Forschungsdiskussion bisher kaum beachtet, bzw. nicht klar formuliert worden ist60.

Wenn man von der zwar abgestuften, aber doch prinzipiell geltenden Kollegialität zwischen wanax und lawagetas ausgeht, kann es auch nicht mehr überraschen, dass es bisher nicht gelungen ist, den Linear B-Tafeln eine eindeutige Aufgabenverteilung zwischen den beiden höchsten Funktionsträgern der mykenischen Staaten zu entnehmen, obwohl es an Versuchen daran nicht gemangelt hat61. Prinzipielle Funktionsgleichheit ist nämlich auch für die bekanntesten antiken Beispiele einer Doppelherrschaft bzw. kollegialer Amtsführung kennzeichnend: Sie galt sowohl für die römische Magistratur als auch für das spartanische Doppelkönigtum62.

Da Alleinherrscher danach streben, allein zu herrschen, kann das Amt des lawagetas schwerlich erst in der mykenischen Palastzeit eingeführt worden sein, da mit ihm eine eindeutige Machteinschränkung des Amtes des wanax verbunden ist. Dies gilt auch dann, wenn das Amt des lawagetas von einem Verwandten des wanax oder sogar vom Kronprinzen bekleidet worden sein sollte63. Für blutige Konflikte innerhalb von Herrscherhäusern kennt die Geschichte viele Beispiele. Demnach ist anzunehmen, dass die Doppelherrschaft von wanax und lawagetas ein Erbe der präpalatialen Zeit ist. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass die Rangunterschiede zwischen wanax und lawagetas in frühmykenischer Zeit noch deutlich schwächer ausgeprägt waren. Möglicherweise ist es den Inhabern des wanax-Amtes erst im Zusammenhang mit der Staatsbildung

58 Zu wanax und lawagetas noch immer grundlegend: Wundsam, Die politische und soziale Struktur, 1968, 16–65; carlier, Pierre: La royauté en Grèce avant Alexandre (Groupe de recherche d’histoire romaine de l’Université des Sciences Humaines de Strasbourg, Études et Travaux 6), Strasbourg 1984, 44–107. Knappe zusammenfassende Darstellungen: shelmerdine, Cynthia W.; Bennet, John: Mycenaean States: Economy and Administration, in: Shelmerdine (Hg.): Cambridge Companion, 2008, 292–294; shelmerdine, C. W.: Mycenaean Society, in: duhoux, Yves; morpurgo davies, Anna (Hg.): A Companion to Linear B. Mycenaean Greek Texts and their World I (Bibliothèque des Cahiers de l’Institut de Linguistique de Louvain 120), Louvain-la-Neuve 2008, 127–131.

59 Zur kollegialen Herrschaft s. WeBer, Max (Hg.: Winckelmann, Johannes): Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. (zahlreiche Nachdrucke) Tübingen 1972, 158–167. Kollegiale Herrschaftsformen werden in der kulturanthropologischen Forschung kaum beachtet, was vielleicht auf ihre große Seltenheit im Vergleich zu monokratischen Herrschaftsformen zurückzuführen ist.

60 Die weitgehende Funktionsgleichheit zwischen wanax und lawagetas ist von Wundsam deutlich herausgestellt worden. Er spricht in diesem Zusammenhang sogar von Doppelherrschaft: Wundsam, Politische und soziale Struktur, 1968, 57 f. Allerdings spricht kaum etwas für seine Vermutung, der lawagetas sei der Repräsentant des Adels gegenüber dem König gewesen.

61 Häufig werden dem wanax insbesondere religiöse und dem lawagetas insbesondere militärische Kompetenzen zugesprochen; s. z. B. palaima, Thomas G.: The Nature of the Mycenaean Wanax: Non-Indo-European Origins and Priestly Functions, in: Rehak (Hg.): Role of the Ruler, 1995, 129–133.Enttäuschend ist der jüngste Versuch, die Kompetenzen des lawagetas zu klären, weil er es dabei belässt, auf der Grundlage einer einzelnen Linear B-Tafel weitreichende Spekulationen anzustellen. Der lawagetas soll angeblich nicht nur militärischer Führer, sondern auch für die Integration von Außenseitern zuständig gewesen sein: nikoloudis, Stavroula: The Role of the RA-WA-KE-TA. Insights from PY Un 718, in: sacconi, A.; del freo M.; godart, L.; negri, M. (Hg.): Colloquium Romanum. Atti del XII Colloquio Internazionale di Micenologia, Roma, 20–25 Febbraio 2006 (Pasiphae 2, 2008), Pisa 2008, 587–594. Diese offensichtlich anachronistische These findet sich ähnlich auch bei palaima, Thomas G.: Linear B, in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, 366: „…a military leader and official in charge of overseeing the role of ‘aliens’ in a palatial territory;‟.

62 Carlier: Royauté en Grèce, 1984, 240–324. 63 Dies ist die Vermutung von Carlier: Royauté en Grèce, 1984, 107. Er glaubt, dass deswegen die Macht des wanax durch den

lawagetas nicht eingeschränkt gewesen sei. Er übersieht dabei, dass das Verhältnis zwischen König und Kronprinz keineswegs immer konfliktfrei ist.

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gelungen, ihre Macht auf Kosten des lawagetas-Amtes auszubauen. Dies wäre zumindest eine plausible Erklärung für die Tatsache, dass das mykenische Herrschaftssystem der Palastzeit zwischen Monarchie und kollegialer Doppelherrschaft einzuordnen ist. Eine mögliche Entwicklung der mykenischen Palaststaaten zu reinen Monarchien ist durch ihr gewaltsames Ende um 1200 v. Chr. verhindert worden. Während der etwa zweihundertjährigen Existenz der Palaststaaten ist es den Inhabern des wanax-Amtes jedenfalls nicht gelungen, das lawagetas-Amt zu beseitigen, auch wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass dies in ihrem Interesse lag.

Wenn sowohl wanax als auch lawagetas schon feste Bestandteile der frühmykenischen Sozialordnung waren, wird auch verständlich, warum diese beiden Ämter offenbar in allen mykenischen Palaststaaten existierten.

Weitere Bestätigung erfährt die These von der frühen Existenz von wanax und lawagetas in der mykenischen Gesellschaft durch neuere sprachwissenschaftliche Untersuchungen. Die Begriffe wanax und lawagetas sind nämlich in sehr ähnlicher Form im 1. Jt. v. Chr. auch in der phrygischen Sprache belegt. Zu nennen ist insbesondere eine Inschrift vom sogenannten Midasgrab bei Gordion, die möglicherweise noch in das 8. Jh. v. Chr. datiert. In dieser Inschrift wird Midas sowohl als wanax als auch als lawagetas bezeichnet64. Da kein Zeitraum wahrscheinlich gemacht werden kann, während dessen die Phryger die beiden Begriffe von den Griechen übernommen haben könnten, scheinen sie auf gemeinsames griechisch-phrygisches Erbe zurückzugehen65. Diese Annahme ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht auch deswegen nicht unwahrscheinlich, weil die griechische und die phrygische Sprache eng miteinander verwandt sind66. Wenn man von der Richtigkeit dieser sprachwissenschaftlichen Überlegungen ausgeht, ergibt sich, dass schon bei den Ende des 3. Jts. v. Chr. nach Griechenland eingewanderten Proto-Griechen die Begriffe wanax und lawagetas in Verwendung gewesen sein müssen. Auf die bedeutenden historischen Schlussfolgerungen, die sich aus diesem Resultat indogermanischer Sprachforschung ergeben, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden67. Die häufig vertretene These, das Wort wanax sei aus dem Minoischen oder einer anderen altmediterranen Sprache in das Griechische übernommen worden, lässt sich demnach nicht länger aufrechterhalten68. Das Wort wanax muss indogermanischer Herkunft sein, welche ursprüngliche Bedeutung es auch immer gehabt haben mag69.

Die erwähnte Midas-Inschrift ist auch deswegen von Interesse, weil sie zeigt, dass es den phrygischen Herrschern zu einem unbekannten Zeitpunkt gelang, die ursprünglich getrennten Ämter des wanax und des lawagetas zusammenzuführen und nur noch von einer einzigen Person ausüben zu lassen70. Dies kann als indirekte Bestätigung für die Vermutung gewertet werden, dass auch der mykenische wanax ein Interesse daran gehabt haben könnte, die Funktionen des lawagetas auf sich zu ziehen bzw. dieses Amt abzuschaffen.

Die Bedeutung kulturanthropologischer Konzepte für das Verständnis der frühmykenischen Gesellschaftsstruktur

Zumindest in der evolutionistisch ausgerichteten kulturanthropologischen Forschung wird vielfach bis heute angenommen, dass das Häuptlingstum (chiefdom) eine Herrschaftsform ist, die jede Gesellschaft

64 Brixhe, Claude: Achéens et Phrygiens en Asie Mineure: approche comparative de quelques données lexicales, in: fritz, Matthias; zeilfelder, Susanne (Hg.): Novalis Indogermanica. Festschrift für Günter Neumann zum 80. Geburtstag (Grazer Vergleichende Arbeiten 17), Graz 2002, 60.

65 haJnal, Ivo: Mykenisches und homerisches Lexikon. Übereinstimmungen, Divergenzen und der Versuch einer Typologie (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft, Vorträge und Kleinere Schriften 69), Innsbruck 1998, 64–69; Brixhe: Achéens et Phrygiens, 2002, 49–73; besonders 71. Noch für eine Übernahme aus dem Griechischen in das Phrygische: leJeune, Michel: À propos de la titulature de Midas (Erstveröffentlichung: Athenaeum 47, 1969, 179–192), in: Ders.: Mémoires 3, 1972, 344.

66 neumann, Günter: Phrygisch und Griechisch (Österr. Akad. Wiss., phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte 499), Wien 1988. 67 Es ist beabsichtigt, dies an anderer Stelle nachzuholen. Dabei soll auch nochmals ausführlich begründet werden, warum eine

Übernahme der beiden Begriffe aus dem Griechischen in das Phrygische aus historischen Gründen äußerst unwahrscheinlich ist. 68 Minoische Herkunft ist in der jüngeren Forschung insbesondere von Palaima vertreten worden: Nature of the Mycenaean Wanax,

1995, 127 f. Unter dem Eindruck der Untersuchung Hajnals hat Palaima diesen Standpunkt mittlerweile aufgegeben und vertritt nun auch eine indogermanische Herkunft, allerdings ohne Hajnals Etymologie zu akzeptieren: palaima, Thomas G.: Wanaks and Related Power Terms in Mycenaean and Later Greek, in: Deger-Jalkotzy u. a. (Hg.): Ancient Greece, 2006, 55–57.

69 Hajnal: Mykenisches und homerisches Lexikon, 1998, 66–68; Palaima: Wanaks and Related Power Terms, 2006, 57. 70 Auch Brixhe: Achéens et Phrygiens, 2002, 71 geht davon aus, dass die mykenische Situation, und nicht die phrygische, die

ursprüngliche ist. Vgl. Lejeune: Midas, 1972, 344.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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durchlaufen muss, damit es zur Staatsentstehung kommen kann. Dementsprechend ist auch für die frühmykenische Gesellschaft vorausgesetzt worden, sie sei in Häuptlingstümern organisiert gewesen71. Ob gemeinhin mit Häuptlingstümern verbundene Charakteristika tatsächlich auch für die präpalatiale mykenische Gesellschaft kennzeichnend waren, ist bislang noch nicht kritisch überprüft worden, was deswegen an dieser Stelle nachgeholt werden soll.

Es geht dabei keineswegs darum, den kulturanthropologischen Begriff des Häuptlingstums generell in Frage zu stellen. Wenn man Häuptlingstum als einen Idealtypus im Sinne Max Webers auffasst, hat er durchaus seine Berechtigung. Klassifikation und Typologie bleiben in Soziologie, Kulturanthropologie und Geschichtswissenschaft unverzichtbar, um vergleichende Studien betreiben zu können. Die Kritik, dass evolutionistische Konzepte das Individuelle nicht ausreichend berücksichtigen72, ist zwar in vielen Fällen berechtigt, geht jedoch prinzipiell ins Leere, wenn man von der Weberschen Definition des Idealtypus ausgeht. Dieser soll nämlich nie Selbstzweck sein, sondern gerade dabei helfen, die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls besser zu erkennen73.

Es darf nicht außer acht gelassen werden, dass das Konzept des Häuptlingstums Wandlungen unterworfen ist und nicht von allen Forschern in gleicher Weise verwendet wird. So wurden noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Häuptlingstümer als redistributiv organisierte Wirtschaftsverbände angesehen74. Von der nachfolgenden Forschung konnte jedoch aufgezeigt werden, dass das ursprüngliche Konzept, nach dem sich der chief als Manager einer redistributiven Güterumverteilung betätigt, auf einer sehr schwachen empirischen Grundlage beruht75. Auch für die präpalatiale Phase der mykenischen Kultur gibt es keinerlei Hinweise auf eine redistributive Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft. Der archäologische Befund lässt stattdessen auf eine immer stärkere Aneignung gesellschaftlicher Überschüsse durch die Elite schließen. Diese Beobachtung kann nach dem oben Gesagten heute aber kein ausreichender Grund mehr sein, um das Konzept des Häuptlingstums für die Beschreibung der frühmykenischen Gesellschaft abzulehnen.

Einige, für Häuptlingstümer allgemein als konstituierend angesehene Charakteristika sind jedoch verblieben und werden nach wie vor in der Forschungsdiskussion herangezogen. Sie sind von T. Earle in einem Überblicksartikel zusammengesellt worden76. Zu nennen ist insbesondere das Merkmal der Zentralität und der mit ihr verbundenen Siedlungshierarchie. Ein chiefdom verfügt über einen eindeutig erkennbaren Hauptort, der als Sitz einer für mehrere Dörfer zuständigen zentralen Entscheidungsinstanz fungiert. Im Hauptort und um dieses Zentrum herum lässt sich eine Bevölkerungskonzentration feststellen. Grenzen zwischen zwei Häuptlingstümern sind eventuell nur schwach besiedelt. Ein Häuptlingstum sollte eine Population von mindestens 1000 Personen umfassen. Es gibt aber auch Häuptlingstümer mit mehreren 10 000 Personen77.

Von einer klaren Siedlungshierarchie ist aber im frühmykenischen Griechenland nichts zu erkennen. Orte wie Mykene, Tiryns und Theben ragen zwar heraus, aber sie sind von keinem Kranz kleinerer Ortschaften umgeben, die ihnen eindeutig zuordenbar wären. Insbesondere die Lage vieler Tholosgräber lässt sich mit einem für Häuptlingstümer zu erwartenden Siedlungsbild oft nicht in Übereinstimmung bringen. So liegt die

71 Wright: From Chief to King, 1995, 69–75; Wright: Early Mycenaean Greece, 2008, 244 f. 72 z. B. hodder, Ian: Comment on: Agency, Ideology, and Power in Archaeological Theory, in: Current Anthropology 37, 1996, 57. 73 WeBer, Max: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (Erstveröffentlichung: Archiv

für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 19, 1904), in: ders. (Hg.: Winckelmann, Johannes): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Aufl. Tübingen 1988, 201–204. Vgl. Breuer, Stefan: Der Staat. Entstehung, Typen, Organisationsstadien, Reinbek bei Hamburg 1998, 12.

74 service, Elman R.: Origins of the State and Civilization. The Process of Cultural Evolution, New York 1975, 94: „…the most significant group activity in chiefdoms is redistribution, which not only enables a leader to become a permanent fixture but also requires that he do his job well.”

75 earle, Timothy: Chiefdoms in Archaeological and Ethnohistorical Perspectives, in: ders.: Bronze Age Economics. The Beginnings of Political Economies, Boulder, Colorado 2002, 58. Das hier herangezogene Kapitel der Monographie Earles beruht auf einem 1987 unter gleichem Titel publizierten Artikel: Annual Review of Anthropology 16, 1987, 279–308.Wright: From Chief to King, 1995, 66 ist noch 1995 von einer zentralen Bedeutung der Redistribution für Häuptlingstümer ausgegangen. Belege, die diese These für das frühmykenische Griechenland wahrscheinlich machen könnten, werden von ihm nicht angeführt.

76 Earle: Chiefdoms, 2002, 43–69. Vgl. auch Breuer: Der Staat, 1998, 26–32. 77 Earle: Chiefdoms, 2002, 54 f. S. 55: „…centrality is the clearest indicator of chiefdoms.”

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Tholos von Dendra78 etwa auf halbem Wege zwischen Mykene und Tiryns, also in einem Bereich, in dem eine schwache Besiedlung zu erwarten wäre, wenn man davon ausgeht, die späteren palatialen Zentren Mykene und Tiryns seien jeweils Hauptorte eines Häuptlingstums gewesen. Die erhebliche Bedeutung von Dendra zeigt sich nicht nur an der Tholos, sondern auch an vielen reich ausgestatteten Kammergräbern79. Andererseits war der Machtbereich des zwischen Mykene und Tiryns eingezwängten Dendra viel zu klein, um selbst als Zentrum eines Häuptlingstums aufgefasst werden zu können. Wenn man annimmt, die ganze Ebene von Argos sei ein Häuptlingstum unter der Führung von Mykene gewesen, ist die Lage von Tiryns problematisch und die Lage der Tholos von Kazarma80, östlich der Ebene, auf halbem Weg zwischen Tiryns und Epidauros, kaum mit einer für ein chiefdom zu erwartenden Siedlungsverteilung zu vereinbaren.

In anderen Landschaften des griechischen Festlandes gibt die Siedlungsstruktur noch weniger Hinweise auf die Existenz von Häuptlingstümern in frühmykenischer Zeit. Aufgrund der schon angesprochenen Tholos gibt sich Thorikos als wohlhabendste Siedlung Attikas im zweiten Abschnitt der präpalatialen Phase (SH II) zu erkennen. Dennoch kann Thorikos nicht als Zentrum eines Häuptlingstums angesprochen werden, weil untergeordnete Siedlungen in der Umgebung nicht auszumachen sind. Alle Ortschaften in der Umgebung von Thorikos existierten schon in der vorangehenden Mittleren Bronzezeit; während der Blütezeit von Thorikos zeichnen sich keine Veränderungen im Siedlungsbild ab.

Auch mit der sehr reich ausgestatteten Tholos von Kakovatos an der peloponnesischen Westküste können kaum mehrere abhängige Siedlungen in Verbindung gebracht werden.

In manchen Regionen des griechischen Festlandes scheint sich in der Schachtgräberzeit (Mittelhelladisch [MH] III – SH I) eine Siedlungszunahme abzuzeichnen81. Während des zweiten Abschnitts der präpalatialen Phase (SH II) findet diese Entwicklung jedoch keine Fortsetzung. Eine markante Siedlungszunahme lässt sich dann wieder in der Palastzeit konstatieren. Dass die Zeit des zunehmenden Reichtums der Eliten, der seinen archäologisch sichtbaren Ausdruck in den Beigaben der Tholosgräber fand, keine Zeit der Siedlungsexpansion war, hängt wohl mit der kompetitiven Situation innerhalb der Elite zusammen. Während der gesamten frühmykenischen Zeit liegen fast sämtliche Siedlungen auf gut zu verteidigenden Hügeln, die mit einem griechischen Ausdruck auch als Akropolen bezeichnet werden. Für ungeschützte Flachlandsiedlungen waren die Verhältnisse anscheinend zu unsicher. Dieses durch meist etwa gleichrangige Akropolen gekennzeichnete Siedlungsbild lässt sich mit den Erwartungen an die Siedlungsorganisation von Häuptlingstümern kaum vereinbaren. Es kommt hinzu, dass sich die Bevölkerungszahlen der frühmykenischen Siedlungsverbände in aller Regel am unteren Ende der für Häuptlingstümer typischen Größenordnungen bewegt haben dürften. Herrschaftsverbände, die mehrere 10 000 Personen umfassten, können für das frühmykenische Griechenland mit größter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Als ein weiteres Charakteristikum der Häuptlingstümer wird die starke Bedeutung der Religion für die Herrschaftslegitimation der chiefs angesehen82. Häuptlingstümer werden als theokratisch83 oder hierokratisch84 bezeichnet. Damit ist gemeint, dass die Bevölkerung dem Häuptling eine besondere Beziehung zu den Göttern oder den Ahnen zuspricht. Man glaubt, seinen Beistand und seine Fürbitte zu benötigen, um das Wohlwollen der überirdischen Kräfte erwirken zu können. Diese ideologische Basis

78 persson, Axel W.: The Royal Tombs at Dendra near Midea (Skrifter utgivna av Kungl. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Lund 15), Lund 1931, 8–70; Pelon: Tholoi, 1976, 178–180.

79 Persson: Royal Tombs, 1931, 73–117; Persson: New Tombs, 1942; ÅstrÖm, Paul: The Cuirass Tomb and other Finds at Dendra. Part I: The Chamber Tombs (Studies in Mediterranean Archaeology 4), Göteborg 1977.

80 Pelon: Tholoi, 1976, 181 f. 81 rutter, Jeremy B.: The Prepalatial Bronze Age of the Southern and Central Greek Mainland, in: cullen, Tracy (Hg.): Aegean

Prehistory: A Review (American Journal of Archaeology Suppl. 1), Boston 2001, 131; Wright: Early Mycenaean Greece, 2008, 244 f. Zu den Regionen mit einer möglichen Siedlungszunahme wird auch Attika gerechnet. Sie kann dort aber nur einen sehr bescheidenen Umfang gehabt haben. Tiefgreifende Veränderungen der attischen Siedlungsstruktur sind zu dieser Zeit jedenfalls nicht feststellbar. Vgl. Ruppenstein: Attika und Athen, 2010, 25 f.

82 Service: Origins of the State, 1975, 16; Breuer: Der archaische Staat, 1990, 50–52. 83 Earle: Chiefdoms, 2002, 65. 84 Breuer: Der Staat, 1998, 31.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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der Häuptlingstümer kann ihren archäologisch sichtbaren Ausdruck in bildlichen Darstellungen und in der architektonischen Ausgestaltung heiliger Stätten finden85.

Es ist bereits oben bemerkt worden, dass Kriegertum die einzige Form der Herrschaftslegitimation der Elite ist, für die der archäologische Befund im frühmykenischen Griechenland deutliche Hinweise bietet. Im Verlauf der präpalatialen Phase lässt sich eine Zunahme von Siegeldarstellungen religiösen Inhalts bei gleichzeitiger Abnahme von Darstellungen mit kriegerischen Themen beobachten. Da die religiös konnotierten Darstellungen entweder minoische Importe sind oder von minoischen Vorbildern abhängen, kann vermutet werden, dass die Angehörigen der mykenischen Elite zunehmend unter den Einfluss minoischer Religionsvorstellungen gerieten86. So wie die Siegelbilder mit Kampfdarstellungen erlauben auch die Siegel mit religiöser Thematik vor allem Rückschlüsse auf das Weltbild der Aristokratie. Eine neue Strategie der Herrschaftssicherung ist ihnen dagegen kaum zu entnehmen. Die zahlreichen Kriegergräber gerade des letzten Abschnittes der präpalatialen Phase (SH II B/SH III A 1) lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Aristokraten bis zur Entstehung der Palaststaaten in allererster Linie als Krieger verstanden und so auch ihre Herrschaft rechtfertigten. Erst während der palatialen Phase der mykenischen Kultur scheint die herrschende Elite Religion zur Herrschaftssicherung instrumentalisiert zu haben. Diese Entwicklung kann an dieser Stelle jedoch nicht behandelt werden. Besonders aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang das völlige Fehlen religiöser Architektur im frühmykenischen Griechenland. Die auffälligsten Bauten verherrlichen die Aristokratie selbst und nicht die Götter. Zu nennen sind natürlich insbesondere die Tholosgräber; dazu kommen einige herrschaftliche Gebäudekomplexe, deren Aufbau teilweise bereits an die späteren Paläste erinnert87. Die frühmykenische Elite hat es also offensichtlich nicht für nötig befunden, die Götter in größerem Umfang an gesellschaftlichen Überschüssen partizipieren zu lassen. Man wird daher vermuten dürfen, dass Religion in ihrem Konzept der Herrschaftssicherung zumindest keine wesentliche Rolle spielte88. Es kommt hinzu, dass Religion von einer Elite natürlich nur dann instrumentalisiert werden kann, wenn die nicht-privilegierten Schichten der Bevölkerung davon überzeugt sind, dass die Aristokraten aufgrund einer besonderen Nähe zu den Göttern nützliche religiöse Dienstleister sind. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass dies im präpalatialen Griechenland der Fall gewesen sein könnte. Im Sinne der Weberschen Herrschaftssoziologie kann man davon sprechen, dass die frühmykenische Aristokratie über kein religiöses Amtscharisma verfügte89.

Die vorangegangene Diskussion hat gezeigt, dass zwei wesentliche Merkmale von Häuptlingstümern im frühmykenischen Griechenland nicht nachgewiesen werden können: Es gibt weder unzweideutige Hinweise auf eine klare Siedlungshierarchie mit einem zentralen Hauptort noch für eine theokratisch geprägte Gesellschaftsordnung. Dementsprechend ist es nicht angezeigt, die präpalatialen Siedlungsverbände des griechischen Festlandes als Häuptlingstümer zu klassifizieren. Dies wäre höchstens dann möglich, wenn man alle nicht-egalitären, vorstaatlichen Herrschaftsverbände als Häuptlingstümer bezeichnen möchte. Damit verlöre das chiefdoms-Konzept jedoch seinen heuristischen Wert und wäre nur noch ein unscharfer Begriff der wissenschaftlichen Alltagssprache.

Die kulturanthropologisch ausgerichtete archäologische Forschung bietet aber durchaus Ansätze, die dazu geeignet sind, die frühmykenische Gesellschaftsstruktur sozialhistorisch einzuordnen. Es ist das Verdienst von A. Gilman auf prähistorische europäische Gesellschaften hingewiesen zu haben, die der allgemein verwendeten chiefdoms-Definition nicht entsprechen. Ihnen kann die frühmykenische Gesellschaft zur Seite gestellt werden.

85 Earle: Chiefdoms, 2002, 66. 86 S. dazu ruppenstein, Florian: Zu Bedeutung und Funktion der mykenischen und minoischen Terrakottafiguren mit erhobenen

Armen, in: Blakolmer, Fritz; reinholdt, Claus; Weilhartner, Jörg; nightingale, Georg (Hg.): Österreichische Forschungen zur Ägäischen Bronzezeit 2009. Akten der Tagung vom 6. bis 7. März 2009 am Fachbereich Altertumswissenschaften der Universität Salzburg, Wien 2011, 254 f.

87 Das besterhaltene Beispiel ist das Herrenhaus auf dem Menelaion-Hügel bei Sparta: catling, H. W.: Sparta: Menelaion I. The Bronze Age (Annual of the British School at Athens Suppl. 45), London 2009; s. auch die zusammenfassende Behandlung des Themas: BarBer, R. L. N.: The Origins of the Mycenaean Palace, in: sanders, Jan Motyka (Hg.): ΦΙΛΟΛΑΚΩΝ. Lakonian Studies in Honour of Hector Catling, London 1992, 11–23.

88 Wright: From Chief to King, 1995, 70 f. glaubt dagegen, dass die Durchführung von Ritualen für die Machtstellung der mykenischen Elite von Bedeutung war. Die von ihm in diesem Zusammenhang angeführten Funde können dies aber nicht belegen.

89 Vgl. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, 142–148.

Florian Ruppenstein

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Gilman geht von seinen Untersuchungen im südöstlichen Spanien aus. Das Siedlungsbild sowohl der El Argar-Kultur90 (ca. 2200–1500 v. Chr.) als auch der verwandten und benachbarten bronzezeitlichen Kultur in der La Mancha-Region91 zeichnet sich durch gut zu verteidigende und teilweise befestigte Siedlungen auf Hügeln aus. Eine klare Siedlungshierarchie ist nicht auszumachen92. Gilman wertet dies als Hinweise auf eine Gesellschaft, in der Kleinkriege und Fehden zum Alltag gehörten93. Eine ähnliche gesellschaftliche Situation kann auch für die bronzezeitliche Nuraghen-Kultur auf Sardinien angenommen werden94. Das mittelalterliche Island zur Zeit des Freistaates und das frühneuzeitliche Schottland werden von Gilman als Beispiele für vergleichbare gesellschaftliche Verhältnisse außerhalb des prähistorischen Mittelmeerraumes angeführt95. Gilman bezeichnet diesen gesellschaftlichen Zustand als „Germanische Gesellschaft“, womit er auf die Terminologie des Historischen Materialismus zurückgreift96. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob diese Bezeichnung den in Rede stehenden Gesellschaftstyp adäquat beschreibt, da für Marx die von Gilman beschriebene Siedlungsstruktur für seine Definition der Germanischen Gesellschaft nicht von Bedeutung war und ihr sogar entgegensteht. Marx ging nämlich von der, wie wir heute wissen, unhistorischen Vorstellung aus, dass die Germanen in isolierten Familienverbänden siedelten. Grundlage der germanischen Wirtschaftsweise war für ihn das individuelle Grundeigentum der Familien und nicht das Grundeigentum der Gemeinde. Die nicht unerhebliche Bedeutung des damos- oder Gemeindelandes in der mykenischen Gesellschaft ist mit der Marxschen Definition der Germanischen Gesellschaft nicht zu vereinbaren97.

Auch wenn man den hier interessierenden Gesellschaftstypus demnach nicht als germanisch bezeichnen sollte, ist dennoch hinreichend deutlich, dass die frühmykenische Gesellschaft insbesondere den angeführten prähistorischen mediterranen Kulturen in vieler Hinsicht nahesteht. Die entscheidenden Punkte sind die gut zu verteidigenden Siedlungen, die fehlende Siedlungshierarchie und der kriegerische Charakter der Elite. Über Gilman hinausgehend wird man noch anführen können, dass anscheinend keine dieser Gesellschaften bereit war, größere Investitionen in die architektonische Gestaltung heiliger Bezirke zu tätigen. Baumaßnahmen kamen in allererster Linie direkt dem Herrschaftsanspruch der Elite zugute. Wenn man nach einer übergreifenden Bezeichnung für diesen Gesellschaftstyp sucht, könnte man dementsprechend vielleicht von kompetitiven Kriegergesellschaften ohne Instrumentalisierung der Religion sprechen.

Eine Differenz zwischen den genannten archäologischen Kulturen besteht darin, dass die frühmykenische Aristokratie wesentlich erfolgreicher im Erwerb wertvoller Prestigeobjekte war als die Eliten der strukturell verwandten Gesellschaften. Dies steht aller Wahrscheinlichkeit mit ihrem Engagement im Fernhandel mit Metallen in einem Zusammenhang. Die Elite der Nuraghen-Kultur steht in dieser Beziehung zwischen den frühmykenischen Aristokraten und der Elite der südostspanischen El Argar-Kultur, die anscheinend kaum Fernkontakte unterhielt.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der frühmykenischen und den anderen genannten Kulturen besteht außerdem darin, dass nur in Griechenland die beschriebene gesellschaftliche Konstellation zu einer Staatsbildung führte.

90 gilman, Antonio: Assessing Political Development in Copper and Bronze Age Southeast Spain, in: haas, Jonathan (Hg.): From Leaders to Rulers (Fundamental Issues in Archaeology), New York 2001, 59–81.

91 gilman, Antonio: Prehistoric European Chiefdoms: Rethinking “Germanic” Societies, in: price, T. Douglas; feinman, Garry M. (Hg.): Foundations of Social Inequality (Fundamental Issues in Archaeology), New York 1995, 243–249.

92 Gilman: Assessing Political Development, 2001, 75 f. 93 Gilman: Assessing Political Development, 2001, 81. 94 WeBster, Gary S.: Social Archaeology and the Irrational, in: Current Anthropology 37, 1996, 612–616; gilman, Antonio: Comment

on: Webster: Social Archaeology, 1996, in: Current Anthropology 37, 1996, 619 f. 95 Gilman: Prehistoric European Chiefdoms, 1995, 238–240. 96 Gilman: Prehistoric European Chiefdoms, 1995, 239. 97 marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf 1857–1858), Berlin 1953, 383 f.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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DIE ENTSTEHUNG DER PALASTSTAATEN (SH III A 1)

Da kleinräumig organisierte, kompetitive Kriegergesellschaften gemeinhin nicht zur Staatsgründung tendieren, besteht für die Entstehung der mykenischen Palaststaaten ein besonderer Erklärungsbedarf98. Bei diesem Prozess haben die Nähe zu und der intensive Kontakt mit den minoischen Palaststaaten auf der Insel Kreta wahrscheinlich eine entscheidende Rolle gespielt.

der mykenische palast von knossos

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der erste mykenische Staat nicht auf dem griechischen Festland, sondern in Knossos auf Kreta entstanden ist. In der Forschung geht man mehrheitlich zu recht davon aus, dass Kreta am Ende der Phase SM I B (ca. 1500/1450 v. Chr.) von mykenischen Griechen erobert worden ist. Diese regierten dann in Knossos bis zur Zerstörung des Palastes zu Beginn der Phase SM III A 2 (etwa um die Wende vom ersten zum zweiten Viertel des 14. Jhs. v. Chr.)99. Dass Knossos während der letzten Phase seiner Existenz als palatiales Zentrum von Mykenern beherrscht wurde, kann aufgrund der zahlreichen Linear B-Tafeln, die im Zerstörungshorizont gefunden wurden, als sicher gelten, weil diese in griechischer Sprache abgefasst sind100. Diese letzte Phase des Palastes von Knossos kann als minoisch-mykenisch bezeichnet werden. Wie die Linear B-Tafeln zeigen, entsprachen das Verwaltungssystem und die Gesellschaftsstruktur bereits demjenigen der späteren festländischen Paläste, während andererseits der Baukörper des minoischen Palastes weitgehend unverändert beibehalten wurde. Der mykenische Palast von Knossos unterschied sich damit in seinem Aussehen und seiner Gliederung wesentlich von den späteren festländischen Palästen.

Obwohl die Machtübernahme in Knossos durch die Mykener weitgehend unbestritten ist, hat man sich bemerkenswerterweise bislang noch wenig mit der Frage beschäftigt, wie die Eroberung organisiert wurde und welche Regionen des griechischen Festlands in diese Vorgänge involviert waren. Zunächst muss festgehalten werden, dass es den noch nicht staatlich organisierten mykenischen Griechen gelang, die minoischen Palaststaaten zu besiegen. Dies mag überraschen, ist weltgeschichtlich betrachtet aber kein ganz ungewöhnlicher Vorgang. Staatlichkeit ist in vormodernen Gesellschaften nicht immer mit militärischer Überlegenheit gegenüber nicht-staatlich organisierten Herrschaftsverbänden verbunden. Ein offensichtliches Beispiel dafür ist das Römische Reich und sein Verhältnis zu den germanischen Völkerschaften zur Zeit der Völkerwanderung.

Wenn die Eroberung von Knossos von einer bestimmten Region oder einer bestimmten Siedlung des griechischen Festlandes aus organisiert und geleitet worden wäre, ließe sich eine Macht- und Reichtumszunahme der betreffenden Region seit dem Beginn der mykenischen Kontrolle über Knossos (SH II B = SM II) erwarten.

98 Dass die Grundlagen der Staatsbildung im mykenischen Griechenland nicht der evolutionistischen kulturanthropologischen Erwartungshaltung entsprechen, ist bereits von Breuer erkannt worden: Breuer: Der archaische Staat, 1990, 215.

99 Grundlegende Zusammenfassung zum mykenischen Knossos: popham, M. R.: Late Minoan II to the End of the Bronze Age, in: evely, Don; hughes-Brock, Helen; momigliano, Nicoletta (Hg.): Knossos. A Labyrinth of History. Papers Presented in Honour of Sinclair Hood, London 1994, 89–102.

100 Die Sprache der Minoer gehört aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur indogermanischen Sprachfamilie. Dies lässt sich vor allem aus der noch nicht entzifferten Linear A-Schrift folgern, die während der minoischen Palastzeit für das Abfassen von Verwaltungstexten auf Tontafeln verwendet wurde.Manche Forscher datieren die knossischen Linear B-Tafeln in die Phase SM III B. Sie glauben, dass der Palast von Knossos erst seit der Zerstörung zu Beginn der Phase SM III A 2 von den Mykenern kontrolliert wurde: hallager, Erik: The Mycenaean Palace at Knossos. Evidence for Final Destruction in the III B Period (Medelhavsmuseet, Memoir 1), Stockholm 1977; niemeier, Wolf-Dietrich: Die Palaststilkeramik von Knossos (Archäologische Forschungen 13), Berlin 1985, 139–231. Diese schon immer problematische These ist nach den jüngsten Forschungen in der Umgebung des Palastes ‒ insbesondere im sog. Little Palace ‒ und nach einer erneuten Untersuchung der knossischen Nekropolen kaum noch aufrechtzuerhalten. Der nun klar erkennbare Niedergang in der Phase SM III A 2 verdeutlicht, dass Knossos zu dieser Zeit kein palatiales Zentrum mehr gewesen sein kann: hatzaki, Eleni: Postpalatial Knossos: Town and Cemeteries from LM IIIA2 to LM IIIC, in: d’agata, Anna Lucia; moody, Jennifer; with Williams, Erin (Hg.): Ariadne’s Threads. Connections between Crete and the Greek Mainland in Late Minoan III (LM IIIA2 to LM IIIC). Proceedings of the International Workshop held at Athens, Scuola Archeologica Italiana, 5–6 April 2003 (Tripodes 3), Athen 2005, 65–95; hatzaki, Eleni M.: Knossos. The Little Palace (Annual of the British School at Athens Suppl. 38), London 2005.

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Dem archäologischen Befund ist eine derartige Entwicklung jedoch nicht abzulesen. Man kann daher vermuten, dass sich die mykenischen Eroberer von Knossos ihrem Herkunftsgebiet nicht in besonderer Weise verbunden fühlten. Sie errichteten ihre eigene, vom Festland gänzlich unabhängige Herrschaft und wollten diese mit niemandem teilen. Damit hatten sie zunächst auch Erfolg, denn der mykenische Palast von Knossos war bis zu seiner Zerstörung zu Beginn der Phase SM III A 2 das bedeutendste Machzentrum und für lange Zeit auch der einzige Palaststaat im Ägäisraum.

Die mykenischen Eroberer von Knossos haben sich also sehr schnell von ihren Herkunftsgebieten losgesagt und sich auf Kreta neu organisiert. Wie war die Eroberung eines gut organisierten Palaststaates wie dem minoischen Knossos ohne Unterstützung vom griechischen Festland aber überhaupt möglich? Eine zwar hypothetische, aber trotzdem nicht unwahrscheinliche Erklärung könnte darin liegen, dass mykenische Krieger den minoischen Herrschern von Knossos zunächst als Söldner dienten. Vielleicht durch die militärische Schwäche der Minoer ermuntert, kündigten sie ihren Herren schließlich die Treue auf und entmachteten sie. Diese Vermutung kann zwar nicht bewiesen werden, lässt sich mit den bekannten archäologischen Fakten aber problemlos vereinbaren101 und bietet eine nachvollziehbare Erklärung für einen ansonsten nur schwer verständlichen Vorgang102. Als historische Parallele bietet sich die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustus durch Odoaker und seine Soldaten im Jahr 476 n. Chr. an103.

umWälzungen auf dem griechischen festland

Gegen Ende der Existenz des mykenischen Palaststaates von Knossos (SH III A 1 = SM III A 1) lassen sich auf dem griechischen Festland einige gravierende Veränderungen feststellen104, bei denen es sich augenscheinlich um den archäologisch sichtbaren Ausdruck einer gesellschaftlichen Transformation handelt, die von einer politisch-sozialen Krise begleitet war. Damit ist insbesondere die Aufgabe der meisten Tholosgräber gemeint, deren Bedeutung für die frühmykenische Gesellschaft oben ausführlich dargelegt worden ist. Die Phase SH III A 1 (die Jahrzehnte um 1400 v. Chr.) ist der letzte Zeitabschnitt, in dem sich noch eine Reihe reicher Bestattungen in Tholosgräbern nachweisen lassen. Ab der Phase SH III A 2 (ca. 1375–1300 v. Chr.) werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Tholosgräber nur noch in den palatialen Zentren für Begräbnisse genutzt. Neue Tholoi wurden sogar in den palatialen Zentren zur Zeit der Palaststaaten kaum noch errichtet.

Das Verschwinden der Tholoi wird allgemein mit dem Niedergang kleinräumiger Herrschaftsstrukturen und der sie tragenden lokalen Eliten in Zusammenhang gebracht105. Schon allein die Betrachtung der Gräber legt demnach nahe, dass es in der Phase SH III A 1 zu einem politischen Zentralisierungsprozess gekommen sein muss.

Einen weiteren Hinweis auf diesen Vorgang bietet die architektonische Ausgestaltung der nachmaligen palatialen Zentren. Die ersten sogenannten Megara sind nämlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der Phase SH III A 1 erbaut worden. Mit dem Begriff Megaron wird ein rechteckiger Bau bezeichnet, der aus einer Vorhalle, einem Vorraum und einem Hauptraum besteht. Im Zentrum des Hauptraumes befand sich ein großer, von vier Säulen umgebener Rundherd. An der rechten Raumseite stand ein Thron, der nur für den wanax

101 Dies ist auch die Antwort auf die Frage Niemeiers, warum der Palast von Knossos von den Zerstörungen auf Kreta am Ende der Phase SM I B verschont blieb, wenn tatsächlich die Mykener für diese Zerstörungen verantwortlich waren: Einen Palast, den man in Besitz nehmen möchte, zerstört man nicht, wenn das möglich ist, wohl aber konkurrierende Zentren. Vgl. niemeier, W.-D.: Knossos in the New Palace Period (MM III‒LM IB), in: Evely u. a. (Hg.): Knossos. A Labyrinth, 1994, 88.

102 Es ist also keineswegs grundsätzlich unwahrscheinlich, dass die Minoer mykenische Söldner anwarben. Nur kann diese Vermutung nichts zur Erklärung des Reichtums der Schachtgräber von Mykene beitragen; s. dazu oben.

103 demandt, Alexander: Die Spätantike (Handbuch der Altertumswissenschaft III.6), 2. Aufl. München 2007, 211–213. 590 f. 104 Auf dieses Phänomen wurde etwa gleichzeitig von Doxey und Catling aufmerksam gemacht: doxey, Denise: Causes and Effects of

the Fall of Knossos in 1375 B.C., in: Oxford Journal of Archaeology 6, 1987, 304–306; catling, H. W.: Some Problems in Aegean Prehistory c. 1450–1380 B.C. (J. L. Myres Memorial Lecture 14), Oxford 1989, 10–13. Grundzüge dieses Gedankens bereits bei Dickinson: Origins, 1977, 109 f.

105 Dickinson: Origins, 1977, 109 f.; Deger-Jalkotzy: «Near Eastern Economies», 1987, 149; Catling: Some Problems, 1989, 15; Voutsaki: Social and Political Processes, 1995, 62; Shelmerdine: Evolution of Administration, 2001, 127; Eder: Überlegungen zur politischen Geographie, 2009, 13 f.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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bestimmt gewesen sein kann. Das Megaron kann somit als das architektonische Zentrum eines mykenischen Palastes bestimmt werden. Der Bautypus lässt sich auf mittelhelladische Vorläufer zurückführen106. Da im Verlauf der Palastzeit verschiedene Umbaumaßnahmen durchgeführt wurden, wird unsere Kenntnis der Megara durch den Zustand der Spätphase der palatialen Ära bestimmt. Megara dieser Spätphase haben sich in Mykene, Tiryns und Pylos erhalten107. Nur in Tiryns konnte ein Vorgängermegaron unterhalb des letzten palastzeitlichen Megaron nachgewiesen werden. Es datiert entweder noch in die Phase SH III A 1 oder bereits in den Beginn der Phase SH III A 2108. In Analogie zu Tiryns kann auch für die anderen Paläste angenommen werden, dass die ersten Megara zu dieser Zeit erbaut worden sind.

Da sich in der palatialen Phase der mykenischen Kultur auch in den Zentren kaum herausgehobene Gräber nachweisen lassen, die als die Grabstätten einer Elite unterhalb der herrschenden Familien aufgefasst werden könnten, ist es wohl kaum in nennenswertem Umfang zu einer Umsiedlung alter lokaler Eliten in die neu entstandenen palatialen Zentren gekommen. Man muss demnach davon ausgehen, dass ein Großteil der frühmykenischen Aristokratie den zur Staatsentstehung führenden Zentralisierungsprozess nicht überlebte oder zumindest eine drastische Herabminderung seiner sozialen Stellung erfuhr, die zum Verlust seiner archäologischen Sichtbarkeit führte. Von dieser Beobachtung ausgehend kann darüberhinaus vermutet werden, dass es in der Phase SH III A 1 zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist, deren Ausmaß und Intensität weit größer waren als in der vorangegangenen frühmykenischen Zeit.

In diese Richtung weisen auch einschneidende Veränderungen in manchen Siedlungen des griechischen Festlandes. So wurde das Herrenhaus auf dem Menelaion-Hügel bei Sparta während der Phase SH III A 1 entweder ganz aufgegeben oder in der Folgezeit zumindest nur noch in sehr eingeschränktem Umfang genutzt109. Mit der Machtstellung, die die Menelaion-Siedlung in der präpalatialen Zeit zweifellos besaß, war es in der Zeitstufe SH III A 2 jedenfalls vorbei.

Ein besonders deutlicher Niedergang von der Phase SH III A 1 zur Phase SH III A 2 kann in Athen konstatiert werden. Viele reich ausgestattete Kammergräber belegen, dass die SH III A 1-Phase eine ausgesprochene Blütezeit für Athen war. In die entwickelte palatiale Ära (SH III A 2 – SH III B) lassen sich dagegen nur noch sehr wenige, bescheiden ausgestattete Athener Gräber datieren110. Am Südhang der Athener Akropolis sind mehrere einheitlich mit SH II B/SH III A 1-Keramik verfüllte Brunnen entdeckt worden111. Diese sind vielleicht mit Aufräumarbeiten nach einer Zerstörung in Zusammenhang zu bringen112. Sicher ist jedenfalls, dass Athen nach seiner kurzen Blüte in der Phase SH III A 1 einen jähen Niedergang erlebte. Die Situation in Attika veranschaulicht besonders eindrücklich, dass die Phase SH III A 1 eine sehr turbulente Zeit gewesen sein muss, in der Auf- und Abstieg nahe beieinander liegen konnten: Am Übergang zwischen SH II B und SH III A 1 wurde die auf einem gut zu verteidigenden Hügel gelegene Siedlung von Kiapha Thiti im südwestlichen Attika aufgegeben. Von diesem Schicksal scheinen noch

106 Vgl. kilian, Klaus: Mycenaeans Up to Date, Trends and Changes in Recent Research, in: french, E. B.; Wardle, K. A. (Hg.): Problems in Greek Prehistory. Papers Presented at the Centenary Conference of the British School of Archaeology at Athens, Manchester April 1986, Bristol 1988, 134. 136. 138 Abb. 11. Die Existenz des von Kilian vermuteten mittelhelladischen „maison de chef“ in Tiryns ist nach neueren Untersuchungen allerdings sehr fragwürdig geworden: maran, Joseph: Tiryns, in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, 724. Das ändert allerdings nichts an der Beobachtung, dass der Bautypus in einer mittehelladischen Tradition steht.

107 Kilian: Mycenaeans Up to Date, 1988, 138 Abb. 11. 108 maran, Joseph: Zur Frage des Vorgängers des ersten Doppelpalastes von Tiryns, in: BÖhm, Stephanie; von eickstedt, Klaus-Valtin

(Hg.): ΙΘΑΚΗ. Festschrift für Jörg Schäfer, Würzburg 2001, 23. 28; s. auch Kilian: Mycenaeans Up to Date, 1988, 135 f.; kilian, Klaus: Die ›Thronfolge‹ in Tiryns, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 103, 1988, 3–5 mit Abb. 2; Maran: Tiryns, 2010, 725.

109 Catling: Some Problems, 1989, 9 f. Im Gegensatz zu seinem früheren Verständnis des Grabungsbefundes ist sich Catling in der Endpublikation nicht mehr sicher, ob das Herrenhaus auf dem Menelaion-Hügel am Ende der Phase SH III A 1 tatsächlich vollständig aufgegeben wurde: Catling, Menelaion I, 2009, 452. Da aber kaum aussagekräftige Funde der Phase SH III A 2 gemacht wurden, kann nach wie vor davon ausgegangen werden, dass die Menelaion-Siedlung zu dieser Zeit ihre einstige Bedeutung eingebüßt hatte.

110 Ruppenstein: Attika und Athen, 2010, 28–30. 111 mountJoy, P. A.: Four Early Mycenaean Wells from the South Slope of the Acropolis at Athens (Miscellanea Graeca 4), Gent 1981. 112 Doxey: Causes and Effects, 1987, 305; Catling: Some Problems, 1989, 12 f.

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andere Siedlungen in der weiteren Umgebung betroffen gewesen zu sein113. Die Gleichzeitigkeit des Niedergangs dieser lokalen Zentren der frühmykenischen Zeit mit dem Aufstieg Athens macht einen Kausalzusammenhang wahrscheinlich. Athen konnte sich aber nur wenige jahrzehntelang dieser Machtstellung in Attika erfreuen.

Dank neuer Grabungen kann auch die, in frühmykenischer Zeit noch sehr wichtige, Siedlung von Kolonna auf der Insel Ägina zu den Stätten gezählt werden, die in der Phase SH III A 1 anscheinend einen Bedeutungsverlust hinnehmen mussten. Wahrscheinlich zu dieser Zeit wurde in die Ruinen eines als Großsteinbau bezeichneten herrschaftlichen Gebäudes mitten im Zentrum der Siedlung ein Töpferofen gebaut114. Der Großsteinbau wurde schon zu Beginn der Mittelbronzezeit errichtet und erlebte in der Folgezeit mehrere Umbauten115. Das Gebäude wurde mindestens bis zur Phase SH I, wahrscheinlich jedoch bis in die Zeitstufe SH II hinein genutzt116. Es diente demnach wahrscheinlich jahrhundertelang als Sitz der örtlichen Elite. Dass ausgerechnet an dieser Stelle ein Töpferofen in Betrieb genommen wurde, ist ein deutlicher Ausdruck einer völlig veränderten Siedlungsstruktur. Das ehemalige Siedlungszentrum kann zu dieser Zeit zumindest nicht mehr dicht besiedelt gewesen sein, denn Brennöfen wurden wegen der mit ihnen verbundenen Rauchbelastung und Feuergefahr nicht in Siedlungszentren angelegt. Auch die Wohnstätten der Aristokratie befanden sich aus diesen Gründen gewöhnlich in einiger Entfernung von Töpferöfen und anderen Gewerbebetrieben. Man wird demnach annehmen können, dass die alte Elite zur Zeit der Errichtung des Töpferofens die Kontrolle über das Siedlungszentrum von Ägina-Kolonna verloren hatte. Es ist kaum anzunehmen, dass sie diese Kontrolle freiwillig aus den Händen gegeben hat.

Der Niedergang Äginas kann außerdem an dem Rückgang der ehemals sehr bedeutenden Keramikproduktion abgelesen werden117.

Es gibt auch einige Orte, in denen während der Phase SH III A 1 Veränderungen der Siedlungsstruktur oder sogar Zerstörungen stattgefunden haben könnten, ohne dass dies zu einer Regression in der nachfolgenden Palastzeit führte. Genannt werden in diesem Zusammenhang unter anderem Pylos und Nichoria in Messenien118. Der archäologische Befund ist allerdings nicht sehr deutlich.

die zerstÖrung des palastes von knossos und ihre folgen

Höhepunkt und Abschluss dieser kriegerischen Auseinandersetzungen war die Zerstörung des Palastes von Knossos zu Beginn der Phase SM III A 2. Danach, in der frühen und mittleren Phase der mykenischen Paläste (SH III A 2 – SH III B Früh), scheinen im gesamten ägäischen Raum weitgehend friedliche Verhältnisse geherrscht zu haben.

Das Verschwinden der Tholosgräber und der Niedergang einer Reihe von Siedlungen lassen sich demnach als Ausdruck desselben Phänomens verstehen: In weiten Teilen des mykenischen Kulturraumes sind lokale präpalatiale Zentren und die sie tragenden Eliten militärischer Gewalt zum Opfer gefallen. Der mächtigste Verlierer war der mykenische Palast von Knossos. Auf der anderen Seite gab es in diesem militärischen Konflikt auch Gewinner: Es sind die in dieser Zeit entstandenen palatialen Zentren mit Mykene an der Spitze. Das höchstwahrscheinlich in der Phase SH III A 1 erbaute119 „Schatzhaus des Atreus“ ist das größte sowie das am aufwendigsten und sorgfältigsten ausgeführte aller mykenischen Tholosgräber. Man geht

113 Ruppenstein: Attika und Athen, 2010, 27 f. mit weiterführender Lit. 114 gauss, Walter: Ägina Kolonna in frühmykenischer Zeit, in: alram-stern, Eva; nightingale, Georg (Hg.): Keimelion. Elitenbildung

und elitärer Konsum von der mykenischen Palastzeit bis zur homerischen Epoche. Akten des internationalen Kongresses vom 3. bis 5. Februar 2005 in Salzburg (Österr. Akad. Wiss., phil.-hist. Kl., Denkschriften 350; Veröffentlichungen der Mykenischen Kommission 27), Wien 2007, 166. Es ist noch nicht geklärt, ob der Töpferofen in der Phase SH III A 1 oder SH III A 2 erbaut wurde. Für Auskünfte danke ich W. Gauß.

115 felten, Florens; reinholdt, Claus; pollhammer, Eduard; gauss, Walter; smetana, Rudolfine: Ägina-Kolonna 2008, in: Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes 78, 2009, 98.

116 gauss, Walter: Aegina Kolonna, in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, 746. 117 Gauss: Ägina Kolonna, 2007, 165 f. 118 Catling: Some Problems, 1989, 10 f. 119 French: Mycenae, 2002, 10.

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kaum fehl in der Annahme, in diesem Bau ein Monument des militärischen Triumphes und ein Symbol der daraus erwachsenen Machtstellung Mykenes zu sehen120.

Wenn die ersten palatialen Megara bereits in der Phase SH III A 1 erbaut worden sein sollten, ließe sich daraus ableiten, dass sich die Palaststaaten des griechischen Festlandes schon wenige Jahrzehnte vor dem Untergang des Palastes von Knossos etabliert hatten. Falls der Datierungsspielraum des ersten Tirynther Megarons zwischen den Phasen SH III A 1 und SH III A 2 darauf zurückzuführen sein sollte, dass der Bau am Übergang zwischen diesen beiden Phasen ausgeführt wurde, wäre eine sehr enge zeitliche Nähe zwischen dem Entstehen der festländischen Paläste und der Zerstörung des Palastes von Knossos gegeben. In jedem Fall liegen der Untergang des knossischen Palastes und die Entstehung der festländischen Paläste zeitlich so nahe beieinander, dass an eine kausale Verknüpfung dieser beiden Ereignisse gedacht werden kann. Das heißt, dass der Palast von Knossos das Entstehen palatialer Zentren auf dem griechischen Festland solange verhindert hat, wie er machtpolitisch dazu in der Lage war. Sein Untergang oder zumindest sein Machtverlust war demnach eine notwendige Voraussetzung für die Bildung der festländischen Palaststaaten. Während der Existenz des Palastes von Knossos war es den festländischen Mykenern möglich, sich mit den Funktionsmechanismen und der Verwaltung eines Palaststaates vertraut zu machen. Es spricht einiges dafür, dass die festländischen Zentren nach der Zerstörung des Palastes von Knossos kretische Verwaltungsfachleute ebenso wie spezialisierte Handwerker in ihre Dienste nahmen. Der Untergang des Palastes von Knossos war also wahrscheinlich mit einem Transfer von Fachwissen von Kreta zum griechischen Festland verbunden. Einen klaren Beleg für diesen Vorgang bietet die Einführung der Linear B-Buchführung in den festländischen Palaststaaten. Nach Aussage der Linear B-Tafeln unterschieden sich kretische und festländische Verwaltungspraxis kaum voneinander.

Im Gegensatz zur Machtübernahme mykenischer Griechen in Knossos zu Beginn der Phase SM II (= SH II B) lassen sich nach der Zerstörung des knossischen Palastes am Anfang der Phase SM III A 2 ganz deutlich Profiteure dieses Vorganges auf dem griechischen Festland ausmachen. Die Eroberung wird dementsprechend vom Festland aus organisiert worden sein. Man wird von einem gegen Knossos gerichteten Bündnis zumindest einiger der nachmaligen Paläste unter der Führung von Mykene ausgehen dürfen.

Dass es in diesem Fall nicht darum ging, die Herrschaft in Knossos zu übernehmen, sondern ein rivalisierendes Machtzentrum auszuschalten, wird daran ersichtlich, dass Knossos nach der Zerstörung seinen Status als palatiales Zentrum verlor und seitdem nur noch eine Siedlung von bescheidener Bedeutung war.

Möglicherweise findet der Niedergang mancher präpalatialer Zentren auf dem griechischen Festland seine Erklärung darin, dass sie Verbündete des Palastes von Knossos waren. Dies könnte etwa auf die Menelaion-Siedlung in Lakonien und Athen zutreffen. Diese Stätten waren ja, ähnlich wie Knossos, nicht von einer Zerstörung betroffen, der ein sofortiger Wiederaufbau folgte, sondern von einem langandauernden Bedeutungsverlust. Sollte diese Vermutung zutreffen, wäre von einem sehr weiträumigen Krieg zweier Bündnissysteme auszugehen, in den große Teile des griechischen Festlands, die benachbarten Inseln und Kreta involviert waren. Bei den führenden Mächten dieser konkurrierenden Bündnisse kann es sich nur um Mykene und Knossos gehandelt haben. Die Bildung großräumig agierender Bündnissysteme erfordert ein hohes Maß an organisatorischer Kompetenz, die auf diesem Niveau für das griechische Festland in der älteren präpalatialen Zeit (SH I – SH II) nicht angenommen werden kann. Insofern könnte die Organisation und Durchführung des Krieges in der Phase SH III A 1 in entscheidender Weise zur Ausbildung organisatorischer Fähigkeiten beigetragen haben, die der Staatsbildung unmittelbar zugute kamen.

Natürlich muss nicht jede Aufgabe eines Tholosgrabes mit dem vermuteten Krieg zweier Bündnissysteme in einem Zusammenhang stehen. Es kann selbstverständlich daneben auch kleinere, lokal begrenzte Auseinandersetzungen gegeben haben. Dass die Phase SH III A 1 in ungewöhnlich starker Weise von militärischen Konflikten geprägt war, ist allerdings sehr wahrscheinlich. Warum es gerade in dieser Zeit zu einer Häufung militärisch ausgetragener Auseinandersetzungen kam, lässt sich nicht sicher beantworten. In der SH III A 1-Phase gibt es noch eine Reihe reich ausgestatteter Beisetzungen. Dem Charakter der Zeit

120 Zur politischen Funktion des „Schatzhauses des Atreus“ s. auch: mason, David J.: The Location of the Treasury of Atreus, in: Oxford Journal of Archaeology 26, 2007, 35–52.

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entsprechend fallen besonders die Kriegergräber auf. Der in den Schachtgräbern von Mykene und auch in der Tholos von Kakovatos (SH II A) noch so reichlich vorhandene baltische Bernstein findet sich aber kaum noch. Da man den Bernstein als Indikator für Kontakte zwischen Griechenland und Mitteleuropa ansehen kann, könnte seine Seltenheit in den Gräbern auf einen Rückgang der Handelsbeziehungen zwischen den beiden genannten Räumen zurückzuführen sein. Das heißt, dass es der mykenischen Elite möglicherweise kaum noch möglich war, das kostbare nordwesteuropäische Zinn zu erwerben und weiterzuverhandeln. Wenn diese Vermutung zutreffen sollte, dann wäre eine wesentliche Quelle des Reichtums der frühmykenischen Aristokratie versiegt gewesen. Verstärkte Auseinandersetzungen innerhalb der Elite um lokale Ressourcen, nicht zuletzt um Land, könnten eine Folge gewesen sein, um auf diese Weise weiterhin Reichtum erwerben und Sozialprestige erhalten zu können.

Den hier zur Entstehung der mykenischen Palaststaaten vorgebrachten Überlegungen entsprechende Erklärungsmodelle, in denen Krieg als ein wesentlicher Faktor für Staatsentstehung herausgestellt wird, werden auch in Teilen der kulturanthropologischen Forschung vertreten. So ist etwa für Robert Carneiro ein zur Staatsbildung führender Krieg letztlich eine Folge ungleich verteilter Ressourcen in ökologisch stark diversifizierten Landschaften wie etwa im mittelamerikanischen Maya-Tiefland und im Tal des Huanghe (Gelber Fluss) in Nordchina121. Dieser Ansatz ist sicher zu deterministisch, womit er dem vorherrschenden intellektuellen Klima seiner Entstehungszeit entspricht. Zur Erklärung der Entstehung von Staatlichkeit in Griechenland kann diese These kaum beitragen, da dort ganz andere Umweltbedingungen herrschen. Carneiros Theorie war aber für die nachfolgende Diskussion ein wichtiger Stimulus. In kritischer Auseinandersetzung mit Carneiro wurde Krieg auch von David Webster als ein wesentlicher Faktor für Staatsentstehung herausgestellt122. Webster ging dabei von kurzzeitigen Kriegsphasen aus, die zur Ausbildung staatlicher Institutionen beitragen, bis sich diese stabilisiert haben123. Dieser Gedanke lässt sich mit der beschriebenen Entwicklung im mykenischen Griechenland vereinbaren. Die kriegerischen Auseinandersetzungen scheinen dort gerade am Übergang von vorstaatlichen zu staatlichen Herrschaftsstrukturen am intensivsten gewesen zu sein. Nach der Etablierung der Palaststaaten wurden die Verhältnisse zunächst wieder deutlich friedlicher.

alternative erklärungsmodelle zur staatsentstehung im mykenischen griechenland

Zur Entstehung der mykenischen Staaten sind aber auch ganz andere Erklärungsmodelle vorgebracht worden, auf die abschließend noch kurz eingegangen werden soll, da sie nach wie vor in der Forschungsdiskussion präsent sind.

So wird immer wieder behauptet, der Fernhandel sei ein entscheidender Stimulus für die Entstehung des palatialen Systems gewesen124. Diese These hängt wohl nicht zuletzt mit der noch immer weitverbreiteten Annahme zusammen, die Paläste hätten den Fernhandel kontrolliert oder sogar monopolisiert125. Dagegen ist zu sagen, dass die zahlreichen wertvollen Importe in den frühmykenischen Elitegräbern keinen Zweifel daran lassen, dass Paläste zur Organisation des Fernhandels in keiner Weise benötigt wurden. Auch der Untergang der mykenischen Paläste um 1200 v. Chr. führte nicht zum Ende des Fernhandels.

Die These Susan Sherratts, dass die Paläste an Knotenpunkten von Handelsrouten entstanden seien126, scheitert daran, dass sie nicht mit den geographischen Gegebenheiten zu vereinbaren ist. Gerade die beiden bedeutendsten Paläste, Mykene und Theben, liegen an Orten, die für den Fernhandel keine besonderen Vorteile aufweisen. Tiryns und Pylos sind in dieser Hinsicht günstiger positioniert, aber auch ihre Lage ist keineswegs einzigartig. Das unweit von Tiryns gelegene Nauplia besitzt einen hervorragenden Hafen, hat sich aber

121 carneiro, Robert L.: A Theory of the Origin of the State, in: Science 169, 1970, 733–738. 122 WeBster, David: Warfare and the Evolution of the State, in: American Antiquity 40, 1975, 464–470. 123 Webster: Warfare, 1975, 470. 124 z. B. Breuer: Der archaische Staat, 1990, 215. 125 z. B. Bennet, John: The Aegean Bronze Age, in: scheidel, Walter; morris, Ian; saller, Richard (Hg.): The Cambridge Economic

History of the Greco-Roman World, Cambridge 2007, 191. Tatsächlich steht diese These auf sehr schwachen Beinen, worauf an dieser Stelle allerdings nicht eingegangen werden kann.

126 sherratt, Susan: Potemkin Palaces and Route-Based Economies, in: Voutsaki u. a. (Hg.): Economy and Politics, 2001, 238.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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trotzdem nicht zu einem palatialen Zentrum entwickelt. Geographischer Determinismus ist ganz allgemein eine problematische Grundlage, um politisch-soziale Veränderungen zu erklären.

Von W. Parkinson und M. Galaty ist der Versuch unternommen worden, eine jüngere kulturanthropologische Theorie zur Erklärung der Staatsentstehung auf den ägäischen Raum anzuwenden127. Kerngedanke dieser Theorie ist die Definition zweier grundsätzlich verschiedener sozialer Systeme, in denen unterschiedliche Strategien zur Erlangung und Aufrechterhaltung politisch-sozialer Macht praktiziert werden128. Das eine System basiert auf dem Zusammenhalt der Gemeinschaft und wird als korporativ bezeichnet. Den Zusammenhalt der Gesellschaft fördernde Rituale haben in Sozialsystemen dieses Typs eine große Bedeutung129. Im anderen Gesellschaftssystem stehen Individuen im Mittelpunkt, die danach streben, sich von der Gemeinschaft abzuheben und Macht zu erlangen. Der Erwerb und der Einsatz von Prestigegütern werden als eine grundlegende Strategie des Machterwerbs der Eliten in Gesellschaftssystemen dieser Art angesehen. Diese Vorgehensweise wird auch als Netzwerk-Strategie bezeichnet, weil Austauschbeziehungen außerhalb der eigenen Gemeinschaft als ein wesentliches Element elitärer Machterwerbsstrategie angesehen werden.

Auch wenn Erklärungsmodelle zuspitzen und damit vereinfachen müssen, stellt sich in diesem Fall dennoch die Frage, ob hier nicht ein künstlicher Gegensatz konstruiert wird. Korporative und individuelle Elemente finden sich in allen Gesellschaftssystemen, lediglich ihre Gewichtung ist verschieden.

Parkinson und Galaty glauben130, dass die minoischen Palaststaaten ihre Entstehung einer korporativen Strategie verdanken. Die minoischen Staaten seien korporativ-theokratisch organisiert gewesen. Demgegenüber sei von der mykenischen Elite eine Netzwerkstrategie betrieben worden. Fernhandel und der damit verbundene Erwerb von Prestigegütern sei für die mykenische Elite von großer Bedeutung gewesen. In diesem Zusammenhang soll minoischer Einfluss dazu beigetragen haben, die Autorität der frühmykenischen Elite zu legitimieren.

Dass die frühmykenische Gesellschaft in der Tat weit stärker der individuellen als der korporativen Gesellschaftsform entspricht, ist offensichtlich. Damit ist aber für das Verständnis der Staatsentstehung im mykenischen Griechenland noch nicht viel gewonnen. Es gab im Laufe der Geschichte viele kompetitive, individualistisch geprägte Gesellschaften, bei denen es niemals zu einer Staatsbildung kam. Auf die spanische El-Argar- und die sardische Nuraghen-Kultur wurde in diesem Zusammenhang bereits oben hingewiesen.

Der Besitz von Prestigegütern kann zur Entstehung der mykenischen Palaststaaten kaum etwas beigetragen haben, denn sonst hätten schon in der Schachtgräberzeit Staaten entstehen müssen. Die Schachtgräber von Mykene und andere reich ausgestattete frühmykenische Gräber zeigen in aller Deutlichkeit, dass selbst der massenhafte Besitz erlesenster Prestigeobjekte in keiner direkten Beziehung zur Staatsentstehung steht, denn der zeitliche Abstand zwischen den Schachtgräbern und dem Beginn des palatialen Systems beträgt je nach verwendetem Chronologiesystem etwa 200 oder 300 Jahre. Die Bedeutung von Prestigegütern für den Machterwerb gesellschaftlicher Eliten und in der Folge auch für Staatsentstehung wird in der kulturanthropologischen Forschung häufig weit überschätzt. Prestigegüter sind in den meisten Fällen für den Konkurrenzkampf innerhalb der Elite wichtiger als für die Herrschaftsbegründung der Elite über die restliche Bevölkerung. Nur wenn die Bevölkerung bestimmten Prestigeobjekten eine magische Kraft zuschreibt und diese Objekte sich im alleinigen Besitz der Elite befinden oder vermeintlich nur von dieser eingesetzt werden können, kommt Prestigeobjekten

127 parkinson, William A.; galaty, Michael L.: Secondary States in Perspective: An Integrated Approach to State Formation in the Prehistoric Aegean, in: American Anthropologist 109, 2007, 113–129. Zusammenfassend: galaty, Michael L.; parkinson, William A.: 2007 Introduction: Mycenaean Palaces Rethought, in: dies. (Hg.): Rethinking Mycenaean Palaces II. Revised and Expanded Second Edition (Cotsen Institute of Archaeology, University of California, Los Angeles, Monograph 60), Los Angeles 2007, 9–11; nakassis, Dimitri; galaty, Michael L.; parkinson, William A.: State and Society, in: Cline (Hg.): Oxford Handbook, 2010, 239–242.

128 Parkinson und Galaty beziehen sich vor allem auf folgende Arbeit: Blanton, Richard E.; feinman, Gary M.; koWaleWski, Stephen A.; peregrine, Peter N.: A Dual-Processual Theory for the Evolution of Mesoamerican Civilization, in: Current Anthropology 37, 1996, 1–7.

129 Zu den korporativen Systemen s. auch: Blanton, Richard E.: Beyond Centralization: Steps Toward a Theory of Egalitarian Behavior in Archaic States, in: Feinman u. a. (Hg.): Archaic States, 1998, 135–172.

130 Parkinson u. a.: Secondary States, 2007, 118–123.

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für die Entstehung und Verfestigung von Herrschaftsstrukturen eine bedeutsame Rolle zu131. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass dies im frühmykenischen Griechenland der Fall gewesen sein könnte.

Was im Allgemeinen gilt, trifft auch auf den konkreten Einzelfall zu: Der Besitz auch religiös konnotierter minoischer Objekte kann solange zur Herrschaftslegitimation und Herrschaftsfestigung der mykenischen Elite nichts beigetragen haben, wie minoische Religionsvorstellungen für die Masse der Bevölkerung ohne Bedeutung waren. Selbst wenn eine Beeinflussung auch der nicht-privilegierten Gesellschaftsschichten durch die minoische Religion schon in der frühmykenischen Zeit stattgefunden haben sollte132, ließe sich daraus nicht ableiten, dass der Besitz minoischer Prestigeobjekte mit religiöser Bedeutung zur Machtsteigerung der Elite beigetragen hat. Es gibt nämlich kaum Hinweise auf den Einsatz minoischer Kultobjekte, geschweige denn auf die Vorstellung, dass diese Objekte nur von der Elite verwendet werden konnten und für das Wohlergehen der Gemeinschaft von besonderer Bedeutung waren.

Die von Parkinson und Galaty zur Staatsentstehung im ägäischen Raum vorgebrachten Überlegungen haben also im besten Fall einen deskriptiven Charakter. Zur Erhellung der Ursachen der Staatsentstehung können sie dagegen nur wenig beitragen.

ERGEBNISSE

Der sich in den Schachtgräbern von Mykene zu Beginn der mykenischen Kulturentwicklung manifestierende Reichtum ist wahrscheinlich eine Folge der Verfügbarkeit von Zinn, das aus Cornwall und der Bretagne stammte. Durch diesen Rohstoff wurden die Mykener attraktive Handelspartner für die minoischen Paläste. Andere Erklärungsmodelle leiden darunter, dass sie das plötzliche Interesse der Minoer an intensiven Beziehungen zu den Mykenern nicht überzeugend erklären können.

Dem Vorbild von Mykene folgend beteiligten sich bald auch andere Siedlungen am Fernhandel mit Metallen. Zu nennen sind insbesondere einige am lonischen Meer gelegene Ortschaften. Auch andere Metalle wurden bald intensiver verhandelt. So etwa Silber und Blei aus der Gegend von Laurion in Attika. Der Metallhandel führte zu stärkeren Kontakten mit dem minoischen Kreta ebenso wie zu einer intensiveren Interaktion der frühmykenischen Eliten untereinander.

Für die Repräsentation der frühmykenischen Aristokratie waren Kuppelgräber, sogenannte Tholosgräber, von besonderer Bedeutung. Die reichen Beigaben dieser Gräber ermöglichen Rückschlüsse sowohl auf die Selbstdefinition als auch die Herrschaftslegitimation der Elite. Außerdem können bildliche Darstellungen auf kostbaren Siegeln in diesem Zusammenhang herangezogen werden. Die frühmykenischen Aristokraten definierten sich selbst in erster Linie als Krieger, daneben auch als Jäger und Metallhändler. Für ihre Herrschaftslegitimation scheint das Kriegertum die einzige Grundlage gewesen zu sein.

Aus den palastzeitlichen Linear B-Tafeln lassen sich gewisse Rückschlüsse auf die Sozialstruktur der frühmykenischen Gesellschaft ziehen. Noch ein erheblicher Teil des Bodens scheint sich im Gemeinschaftsbesitz befunden zu haben und wurde von der Körperschaft des damos kontrolliert. Die beiden wichtigsten Funktionsträger der mykenischen Palaststaaten, der wanax und der lawagetas, lassen sich wahrscheinlich auf frühmykenische Vorläufer zurückführen.

Die frühmykenische Gesellschaftsstruktur lässt sich nicht mit der üblichen kulturanthropologischen Definition von Häuptlingstümern (chiefdoms) in Übereinstimmung bringen. Die frühmykenische Gesellschaft unterscheidet sich von chiefdom-Gesellschaften hauptsächlich durch die weitgehend fehlende Siedlungshierarchie und die Bedeutungslosigkeit von Religion zur Herrschaftslegitimation der Elite. Es gab im prähistorischen Europa aber durchaus kompetitive Kriegergesellschaften mit schwach ausgeprägter Siedlungshierarchie, die mit der frühmykenischen Gesellschaft verglichen werden können. So etwa die spanische El Argar-Kultur und die sardische Nuraghen-Kultur.

131 Dazu s. Breuer: Der archaische Staat, 1990, 63–68. 132 Tatsächlich kann die Ablösung der Einzelbestattung durch den mehrfach genutzten Gemeinschaftsgrabbau möglicherweise

auf minoischen Einfluss zurückgeführt werden. Es ist aber nicht erkennbar, wie dieser Vorgang zu einer Machtsteigerung der mykenischen Elite beigetragen haben könnte.

Gesellschaftliche Transformationen und politisch-soziale Krisen im frühen Griechenland

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Ein für die Staatsentstehung auf dem griechischen Festland wichtiges Ereignis war die Machtübernahme durch mykenische Griechen im bis dahin minoischen Palast von Knossos am Ende der Phase SM I B. Der mykenisch dominierte Palast von Knossos war danach für längere Zeit der einzige Palaststaat im Ägäisraum. Der erste mykenische Palaststaat entstand also nicht auf dem griechischen Festland, sondern auf Kreta. Die Eroberung von Knossos am Ende der Phase SM I B wurde wahrscheinlich nicht vom griechischen Festland aus organisiert, denn dort lassen sich danach keine Profiteure dieses Vorganges ausmachen. Möglicherweise wurden die minoischen Herrscher von zunächst in ihren Diensten stehenden mykenischen Söldnern entmachtet. Die mykenischen Griechen des Festlandes konnten sich in der Folgezeit aber mit der Funktionsweise eines Palaststaates und seiner Verwaltung vertraut machen.

Der Niedergang mancher Siedlungen und die Aufgabe der meisten Tholosgräber sind Indizien für intensive kriegerische Auseinandersetzungen auf dem griechischen Festland in der Phase SH III A 1. Am Ende dieser Kämpfe wurde zu Beginn der Phase SM III A 2 der Palast von Knossos zerstört. In diesem Fall lassen sich Profiteure dieses Ereignisses auf dem griechischen Festland deutlich erkennen: Es sind die zu dieser Zeit entstandenen Palaststaaten mit Mykene an der Spitze. Solange der Palast von Knossos machtpolitisch dazu in der Lage war, hat er das Entstehen palatialer Zentren auf dem griechischen Festland verhindert. Der Untergang des Palastes von Knossos und die Entstehung der festländischen Paläste liegen zeitlich so nah beieinander, dass ein Kausalzusammenhang angenommen werden kann. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Phase SH III A 1, die in der Zerstörung des Palastes von Knossos gipfelten, wurden möglicherweise von zwei Bündnissystemen geführt, wobei Mykene und Knossos die jeweiligen Führungsmächte waren. Darauf könnte zumindest die Tatsache hindeuten, dass manche frühmykenische Zentren des Festlandes nicht nur zerstört wurden, sondern für lange Zeit in der Bedeutungslosigkeit versanken. Sie teilten damit das Schicksal des Palastes von Knossos.

Nach der Zerstörung des Palastes von Knossos konnten die festländischen Zentren kretische Verwaltungsfachleute in ihre Dienste stellen, die für die Organisation der neuen Palaststaaten möglicherweise von einiger Bedeutung waren. Der Vorbildcharakter des Palastes von Knossos für die Palaststaaten des griechischen Festlandes wird insbesondere an der Übernahme der Linear B-Buchhaltung deutlich.

Die Organisation eines weiträumig agierenden Bündnissystems ist eine anspruchsvolle logistische Leistung. Auch sie könnte demnach dazu beigetragen haben, die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen für die Staatsbildung auf dem griechischen Festland zu schaffen.

Die erkennbare Zunahme militärisch ausgetragener Konflikte in der Phase SH III A 1 könnte auch damit in einem Zusammenhang stehen, dass die mykenischen Eliten ihren Zugang zu nordwesteuropäischem Zinn verloren hatten und nun nach anderen Quellen des Reichtumserwerbs und der Reichtumssicherung Ausschau hielten.

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Abbildung 1: Karte Griechenlands mit wichtigen frühmykenischen Orten, die im Text erwähnt werden.

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Abbildung 2: Goldene Siegel aus dem Schachtgräberrund A von Mykene. Von links nach rechts: Umzeichnung, Abdruck, Original (obere Reihe: Corpus der Minoischen und Mykenischen Siegel [CMS] I Nr. 11; mittlere Reihe: CMS I Nr. 15; untere Reihe: CMS I Nr. 9).

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Florian Ruppenstein