der durchgang des menschen irgendwohin (zusammen mit saskia reither)

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Labyrinthe

Philosophische und literarische Modelle

herausgegeben von Kurt Röttgers und Monika Schmitz-Emans unter Mitarbeit von Uwe Lindemann

©

Pll]llOs:oplrllS~:l1e und literarische Modelle / und Monika Schmitz-Emans.

Unter Mitarb. von Lindemann.- Essen: Verl. Die Blaue Eule, 2000

(Philo!iOplilis(:!1-liter'afl;;che Reflexionen; Bd. 2)

ISBN 3-89206-998-0

DIE BLAUE AUe Rechte vorbehalten

Printed in

Essen 2000

INHALT

Monika Schmitz-Emans Labyrinthe: Zur Einleitung 7

Kurt Röttgers Die Welt, der Tanz, das Buch, das Haus, das Bild, die Liebe, die Welt 33

Steffen Dietzsch DAS LABYRINTH DENKEN - more geometrico demonstrata? 63

Winfried Eckel Odysseus im Labyrinth Zum Konzept der unendlichen Irrfahrt in James Joyces Ulysses 74

Uwe Lindemann Im Labyrinth der Intertexte Neuer Kommentar zu EI inmortal von Jorge Luis Borges 92

Jürgen Nelles Zwischen Hören und Sehen: Vom Lesen im Wörterlabyrinth Ein Streifzug durch Paul Wührs Gegenmünchen 117

Monika Schmitz-Emans Text-Labyrinthe Das Labyrinth als Beschreibungsmodell für Texte 135

Ho/ger Steinmann »[ ... ] daß im halben Wald für die entscheidenden Winke kein Platz mehr ist« Labyrinth, Ekphrasis, Amnestonik und der Widerstand gegen die Interpretation in den Texten Bruno Steigers 167

Petra (;0"",,,,,, Das unsichtbare m Christensens Das ;:t:',mü'HI?

Saskia Reither/Jens Schröter Der des Menschen Zur Machtfunktion der Tür im

Christiane Leiteritz Tod: "",,, .. "o1"h und Paradies

180

der Modeme 198

224

238

Saskia Reitherl.lens Schrätel'

durch das Kreuz5 das sie andeutet, in­den Zugang und die Abgeschiossellheit durchkreuzt.«l Lacan)

Was ist ein

»a system cf intricate passageways and blind alleys~ allcient Greeks and Romans to buikHngs, entirely ntunber of chambers and passages that

tlle liame given by the subterraneaJl, contaü1ing a

2

B,;stil11il1lU'n.1l! ein konstitutives Mer:KH131

then nur erwähnt: die Tür hzw~ der Ein-erscheint außerdem der

die doch auch sehr gut zu einer Universität amt passen könnte~ Ahstrakter noch fällt die Be:griim:oestilnU1U!lg nicht mehr konkret räumliche sondern in der bezeichnet3

Tradition

Das scheint eine treffende 1\1et"pl:ler es verweist auf die

Jacques Lacan: Das Ich in der Theorie Freuds Seminar von Jacgues Lacan Buch H (1954~55). Olten, Freiburg 1980, So 2

y=L Zur historischen Ausformuug von Labyrinthen und ihren Funk!tiolLlen Labyrinthe. Erscheinungsformen und 5000 ehen 1999.

l'sl'ch:oa;nalyse Das

Siehe dazu die Beiträge von Kurt Rötlgers und (S~ 33-62 und S. 63-73). VgL auch Johann Amos Comeniu;l: Das Paradies des Herzens. Jena 1908; Kar! Kerellyi: Labyrinth-Studieno~ Linienrejlex einer mythologischen Idee~ Zürich 1950 Gustav Hocke: Die fflelt als Labyrinth" Manieris­mus in der europäischen Kunst und Literatur. Hamburg

200 Saskia Reither/Jens Schröter

den immer wieder aufgegriffen wird: Alle Ordnungen lassen sich als Labyrinthe beschreiben, insofern sie Wege vorgeben,4 es dem VOn diesen Wegen geleiteten Subjekt aber keineswegs bewußt sein muß, wie sie genau angeordnet sind.

Aber: Wird mit einer solchen Ausweitung der Labyrinthdefinition die Frage nach Ein- oder Ausgängen nicht unbeantwortbar? War nach der christlich geprägten Interpretation der Welt als einem Labyrinth dem herumirrenden Subjekt zwar nicht bewußt, wo genau im göttlichen Plan dieses Welt-Labyrinths es sich befand (was so manchen in Zweifel gestürzt haben dürfte), so ist seit dem Verblassen des theozentrischen Weltbildes nicht einmal mehr garantiert, daß das Weltlabyrinth einen sinnvollen Plan, geschweige denn einen Ausgang hätte.s Wenn der Aus­druck »Welt« die Gesamtheit aller möglichen Gegenstände der Erfahrung be­zeichnet, so hat diese Welt natürlich keinen Aus- und Eingang.6 Die Behauptung, Labyrinthe hätten notwendigerweise Türen, läßt sich dann nicht halten. Und den­noch wirft die Beschreibung der Welt als Labyrinth die Frage nach Türen oder Schwellen sehr wohl wieder auf.

Verzweigung 1: Architektur

Vorausgesetzt sei, daß die Metapher von der Welt als Labyrinth nur unter Bezug auf wirkliche Labyrinthe möglich ist. Insofern diese sehr wohl einen Eingang und einen (mit diesem identischen oder von ihm verschiedenen) Ausgang haben müs­sen7 - denn Irrgärten ebenso wie Ein-Weg-Labyrinthe haben ein definierbares

4 Und diese Vorgabe von Wegen kann man durchaus ganz buchstäblich verstehen: Straßen und Gänge bahnen Wege durch unsere Städte und Ämter ...

Demgegenüber müßte das christliche, dem göttlichen Heilsplan unterliegende Labyrinth, immerhin Geburt und Tod als Ein- und Ausgang besitzen. Der Tod verliert jenseits des Un­sterblichkeitsglaubens seinen Charakter als Ausgang, da ein Ausgang nur im Rückblick als solcher erscheinen kann und folglich das Fortbestehen des »hinausgegangenen« Subjekts impli­ziert. Der Tod in der Moderne erscheint eher als ein abrupter Filmriß, auf den nichts folgt. Zur ModelIierung des Bewußtseins nach dem Vorbild des Kinos in der Moderne vgl. Henri Bergson: Schöpferische Entwicklung. Jena 1921, insb. S. 309 u. S. 330. Vgl. dazu Gilles Deleu­ze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt/M. 1989, 13-26 u. S. 84-102. Vgl. auch grundsätz­lich Iris Därmann: Tod und Bild. Eine phänomenologische Mediengeschichte. FrankfurtlM. 1995, insb. Teil n, in welchem Därmann durch genaue Husserl-Lektüren die Gründung der transzendentalen Phänomenologie im historisch-medialen Apriori von Fotografie und Film nachzeichnet. Vgl. Jens Schröter: Das Film-Ich. Anmerkungen zu Telephonen und Plattenspie­lern in Maya Derens >Meshes ofthe Afternoon< (1943). In: Der Schnitt 11/3 (1998), S. 16f. 6 Bemerkenswert ist allerdings, daß das Phantasma, die Welt verlassen zu können, Kunst, Literatur und auch das populäre Kino unaufhörlich durchzieht. Ein Beispiel aus dem Kino der letzten Zeit wäre u.a. The Truman Show (R: Peter Weir, USA 1998).

7 Beides kann selbstredend als materielle Struktur identisch sein. Die Funktion ändert sichje nachdem, ob das Subjekt von innen oder von außen kommt. Labyrinthe ohne jeden Ein- oder Ausgang kann es unserer Auffassung nach prinzipiell nicht geben. Selbst ein Labyrinth, wel-

Der Dllfchg,arlg des Menschen JrQ"CndVm!1m 201

Außerhalb -, ist an:llllleth'TIefl, daß auch die ml~taptJ"orlSC'he H,"Q"h,."ü"nn

von den dieser direkt oder indirekt fast alle

setzl:on lassen nicht beschreibbar als die von wodurch differente Zonen entstehen?8 Im

Ofi1COH:lgI.SCrICn Sinn mnCI1-'Uf-lP()SIIlCill zwischen zwei nur durch diese Differenz be-

stimmten Zonen wieder als re-entry in das wird.

Walter Seitter unternimmt in seinem Aufsatz Zur Architektur den zu was eine elementare d.h. was ein architektonischer Raum

ist. Die elementare Bauform eines auf der Erde stehenden Kubus besteht aus sechs von denen eine, die schon ist. Die anderen fünf müssen also errichtet wenn etwa ein Zimmer entstehen soll.

»Architektur ist die Aneinandem:ihung Stein \lnd Stein und so weiteL Sowie die An-Stein und Nichts. Das Nichts dazwischen ist ganz wichtig. Wenn man

Nichts macht, wird es kein Haus, sondern. eille Statue. Architektur ist die Parallelsetzung von Stein und Stein sowie von Stein und Nichts. Nur so gibt es einen Bo-den und eine Decke, eine linke Wand und eine rechte Wand, nur kaml es eine Tür oder ein Fenster in der Wand gebell.« 9

tvIehr noch als die von Stem und Nichts« scheint uns das Strukturelement der Tür konstitutiv für Räumlichkeit zu sein, Die Tür ist es, die das das von Steinen umbaut als Raum indem sie einen zum Irmeren Nicht ihre Massivität l.lJlterscheidet eine Statue von einem Haus -- es ließe sich darüber ob eine Statue hohl oder massiv ist -, sondern die der die dem

eine Funktion erteilt. Anders formuliert: Ein Haus olme Tür unterscheidet sich zunächst nicht von einem V!"'~"~"jll<O' man keinen zu seinem Inneren hat. Erst werm ein

der mittels einer Tür karm man von räumli·

ches auf Papier gemalt ist und eine geschlossene Allßel1iinie aufweist, muß doch von oben rUf den Betrachter zugänglich sein. Labyrinthe olme jeden Zugang sind prinzipiell unertlli'1rbar.

8 Träge Barrieren dem ebenso schlichten wie materiellen daß ihre UL""'WHmI.U'"

erheblich mehl' Aunvand bedeutet, Ist es nicht bezeichllend, die DDR als Zone bezeichnet \vurde ulld schließlich diese ZOlle ihre Innen/ Außen- oder Schwelle mit materiellen Mitteln Eine Mauer, die selbst wieder hoch,;ensible und Ausgänge enthielt, vornehmlich eine Richtung durchlässig waren? Zum Begriff der Zone vgl. Scott Bukatman: Terminal Identity. The virtl/al subject in postmodern science fletion. Durham, London 1993, S. i63-165 l.l. 168f. 9 Walter Seitter: Zur Architektur. In: Bildstörung. Gedanlren zu einer Ethik mungo Hg. VOll Jeall-Pierre Duhost Leipzig 1994, S. 96.

Wahmeh·

202 Saskia Reither/Jens Schröter

cher Architektur sprechen.l° Allerdings wäre zu fragen, ob es Eingänge gibt, die fiir Labyrinthe spezifisch sind. Zudem gibt es sehr verschiedene Typen von Laby­rinthen, und es ist keineswegs sicher, daß alle dieselbe Sorte Eingang aufweisen.

Um diese Frage zu beantworten, könnte man historisch (und mehr oder minder additiv) verschiedene Typen von Labyrinthen untersuchen, sie mit anderen be­gehbaren räumlichen Strukturen vergleichen und auf diese Weise eine Taxono­mie des Labyrinths und der mit ihm verbundenen Ein- und Ausgänge zu entwik­keIn suchen.11 Dabei wäre unter anderem daran zu erinnern, daß mittelalterliche Kirchenlabyrinthe die Funktion hatten, Geister, von denen man annahm, daß sie nicht um die Ecke fliegen könnten, vom Eintritt in den inneren Kirchenraum ab­zuhalten. Schon dies ist ein Hinweis darauf, daß Labyrinthe unter Umständen funktional etwas mit Ein- oder Ausschließung zu tun haben können. Hierisoll je­doch nicht historisch oder taxonomisch verfahren werden, sondern es geht im Sinne der Diskursanalyse um die strukturale oder genauer: diagrammatische Funktion der Tür.

Verzweigung 2: Die Welt als Poly-Labyrinth

Die Modeme ist seit dem Tod Gottes von Kontingenz geprägt. Es gibt viele ver­schiedene, große und kleine, globale und lokale Weltentwürfe, die behaupten, den Plan des Labyrinths zu spiegeln, doch es gibt Gedenfalls bis jetzt) keinen, der sich als konkurrenzlose Meta-Ordnung etablieren konnte. Die Beschreibung der Welt als ein Labyrinth ist ebenfalls zu stark homogenisierend. Der Idee eines göttlichen Heilsplans verbunden, suggeriert sie, daß es eine einzige oder auch mehrere Ordnungen in diesem Welt-»Labyrinth« gibt. Ein solches Labyrinth mit mehreren Ordnungen würde, um als solch übergreifende Struktur gedacht zu werden, jedoch wiederum die Existenz einer Meta-Ordnung voraussetzen, die sich wiederum nur von einem absoluten Außen her (das es aber bekanntlich nicht gibt) gleichsam metapositional beschreiben ließe.

10 Und diese Tür-Funktion sondert natürlich wieder Außen und Innen voneinander ab. Zeigt sich dies nicht an den vielen, wohl allzubekannten und manchmal geradezu paranoiden Diskus­sionen zwischen Vermietern und Mietern (oder zwischen verschiedenen Mietern) darüber. wer wann den Hausflur putzen (d.h. von Spuren des Außen befreien) soll? Ist der so besetzte Haus­flur nicht als Übergangszone (vom Hausflur zu den Wohnungen erfolgt eine weitere Zonierung) zwischen Außen (definiert als Unordnung; das Laub, der Schmutz ... ) und Innen (defmiert als Ordnung: saubere Treppen; saubere Wohnungen) so traumatisch? Zu solchen Übergangszonen und ihrer hochgradigen semiotischen Überdeterminiertheit weiß John Fiske, der den Strand als solche Zone (zwischen StadtlKultur und MeerlNatur) analysiert hat, Aufschlußreiches zu be­richten. Vgl. John Fiske: Reading the popular. New York 1989, S. 43-76.

11 Ein guter Ausgangspunkt dafllr wäre Kern (Amn. 2).

Der Durchgang des Menschen irgendwohin ... 203

Die Gedankenfigur von der Welt als Labyrinth muß sich im Zeichen der moder­nespezifischen Kontingenzerfahrungen wandeln. Wie bereits gesagt, impliziert die Erfahrung von realen Labyrinthen sehr wohl die Benutzung von Ein- und Ausgängen. Diese Erfahrung, die mit dem Verständnis der ganzen Welt als einem Universal-Labyrinth nicht vereinbar ist (oder doch allenfalls auf Geburt und Tod beziehbar wäre), muß sich in der Modeme - im Sinne eines re-entry - in das In­nere des Labyrinths verlagernl2 - und zwar aus folgenden Gründen:

a) Wenn es in der Modeme als der Epoche der Erfahrung von Kontingenz an­stelle einer einzigen Ordnung nunmehr eine Vielfalt von Ordnungen gibt, dann impliziert dies zwingend die Existenz von Grenzen zwischen den Ord­nungen, die sie in ihrer Verschiedenheit erfahrbar machen (gäbe es keirte sol­chen Grenzen, so könnte man nicht von mehr als einer Ordnung sprechen).

b) Die Annahme verschiedener Ordnungen impliziert zwingend die Existenz von Übergängen, also die einer Tür im übertragenen (abstrakteren) Sinn. Denn gäbe es solche Übergänge nicht, so wären die anderen Ordnungen vom Terrain einer bestimmten Ordnung her nicht zugänglich, nicht erfahrbar -und es gäbe fi1r den einzelnen wiederum nur eine einzige Ordnung, nämlich die, in die er eingeschlossen wäre. 13

c) Schließlich sind Erfahrung und Praxis - vorausgesetzt, daß auch alles anders sein könnte - dann nur möglich, wenn bestimmte Möglichkeiten realisiert und andere ausgesondert werden. Die Komplexitätsreduktion der Welt durch die Ziehung von Grenzen14 und durch die Produktion von In- und Exklusio­nen ist gerade in einer multi-labyrinthischen Welt ohne Meta-Plan eine über­lebensnotwendige Strategie; sie dient dabei stets auch der Produktion von Macht, was gleich noch eingehender ausgeführt werden soll.

Ein erstes Fazit: Die Welt ist nicht mehr als ein Labyrinth beschreibbar, sondern sie besteht aus vielflUtigen kleinsten, kleinen und großen Labyrinthen im Sinne von Ordnungen, die aneinander angrenzen oder über- und untereinanderliegen;

12 Damit soll nicht bestritten werden, daß Türen, Schwellen etc. schon in vonnodernen Kul­turen wichtige Funktionen hatten (etwa in der Initiation und anderen rites de passage). Sie än­dern aber in der Modeme ihre Funktionen und treten - so würden wir mutmaßen - vennehrt auf.

13 Ist Nordkorea nicht das beste Beispiel filr einen solchen Versuch, durch die Abschließung aller materiellen und immateriellen Übergänge (Kommunikationskanäle ) die eigene Ordnung als die einzige Ordnung zu legitimieren? Allerdings kann es natürlich auch Fenster in den Grenzen geben, die eine Erfahrung auf Distanz ohne direkte Erfahrung ennöglichen. (Hier sei nur auf den Fernsehapparat als symptomatischsten Ausdruck dieser Fenster-Funktion verwie­sen.)

14 Vgl. Georges Bataille: Der verfemte Teil. In: Die Aufhebung der Ökonomie. München 1985, S. 42.

204 Saskia Reither/Jells Schröter

sie bildet ein }}Patc}nvork Minderheiten«l) wäre: auch der Mehrheiten. Sie erscheint ein Zonen versehiede~

Ufollungeltl, die sich diskursiv und materiell entweder voneinander vel'sul:he:l1, sich ge~;en:senlg eltfiZILIge:!11<::mcten.

Diese Vl,um'H~;"H oder Zonen können sehr unters\:hiedlicher Art sein. Es kann sich um verschiedene reale url111ungen, handeln, Es können auch einer oder mehreren realen UI'(\l1lUl1lgC:11

fiktive geJ~erlütl<mlteji1en

Grenzen und Türen aber keine p"uu."""".tl haben auch die fiktiven Welten der 1-"','-""''''." Comrmtt:;rsllJlele eie. Auch diese haben

der bis

oder übereinanderstehen. 17

welches eine

seinem Invasion von

., eindmcksvoll

für totalitärer daß reale und virtuelle Zonen einfach neben-

uuw,.ua.,w.H1S ge,gellüi)er einem fiktiven Haw;;;,,,,,~," Beim Fehlen einer

wie Orson WeHes mit Worlds vom 30. 10, 1938 - einem über die

das als Dokumentarbericht durch den hat: Es brach Panik unter den Zuhörern aus.

daß die Tür oder Schwelle selbst kein Teil der Fiktion und doch als

1.5 Jean-Fnmcois Lyotard: Das Patch-wol"k der l'vfinderheiten. Borlin

16 VgL dazu Monika Schmitz-Emal1s: Spiegelt sich in der Wirklichkeit? Crbel'ie-gungen und Thesen zu einer Poetik der Göttil1gen 1994. auch Georg-Christoph Tholen: Die Zäsur der Medien.. In: 2. Medientheorie Medien, Kassel 1998, S, 77 zum Begriff Wirklichkeitsverlust: »Denn wenn das Fiktive das Wirkliche aufzulösen imstande ist, muß dieser gemäß eben solcher wil'kmilchtigen Fiktion ein Wirklichkeitsstatus zugeschrieben werden, doch andererseits nur der der Fiktion vorherge-henden und opponierenden Wirklichkeit eigen sein soH,\\

17 Zur Unterscheidung von fiktiv virtuell Elena Esposito: Fiktion und Virtualität, In: Medien- Computer _. Realität. Hg. von Sibylle Kräme;r. 1998, S, 269-296, Zum Ver .. hältnis realer und virtueller Städte und Räume vgl. W. J. Mitellell: 01 Bits. Place and the lnlobahn, Cambridgel1vfass" LO!ldon 199B und F'lorian Rötrer: Die

digitalen Zeitalter. o. 0, 1997,

205

deren Möglichk.eH.sbedinF~UIlg von ihr untreru'1bar iSL Sie nach ein Bil.deJrraJhmen, der nicht zum Bild und doch eine unab-

lösbare .u.,"'U5U.H5

bemerkt lnvISH"H"'~H der Biidlichkeit des Bildes ist lß Zizek

)}In der Sciellce-Fiction-Literatur und im Kino dient ein ein Fenster oder eine Tür häufig als eine Passage in eine andere phmtasmatische [ ... ] Und ist es nicht dieses Dispositiv -- der Rahmen, durGh den man einen Blick auf den Schauplatz des Ande­ren werfen kmm -- elemelltare Dispositiv des phal1tasmatischen Raums von den prähi­storischen Höhlenmalereien LasGaux zur computergell!Jl'ierte,n Virtua! Reality

'.>""-'1 "'''''_1 sich gegel!lSt:1tljl; beobachten,2Ü Und natürlich führen solche schlüssen.

also die fundalllentaiste

und Hierin besteht

die man nicht frei wollen oder ablehnen karm.

der '~V""UE.~HWU WI:gbl&'lJtl.llilge:n und ihrer Pro-duktionsfomlcn von Macht,21

nach der Tür auch und insbesondere eine p'-"Hl.'''';';.u

ist: Welche Tür ist in welche So wie schon auf der Ebene der materiellen Realität Macht zwischen zwei realen durch Ein- und durch das von Türen oder

H.""i9," .. ,,,,~,",,,,H, Türen zu öffnen und zu schlie-so auch ruf die Grenzen Z'Nischen dem Realen

und Fiktiven bzw. dem Realen und Virtuellen, diese letzteren Wer hat die kulturelle fiktionale

wie -- wieder verlassen? Wenn die Modeme einer radikalen U~'~"H",""U!<.UlJl;t, aus-

18 VgL Jacques Derridll: Die Wahrheit in der Malerei, Berlin, Wien 1992, S, 77-88,

19 Slavoj Zizek: Die Pest der Phantasmen. Die Effizienz des Phantasmatischen den neuen Medien, Betlin, Wien 1997, S. 88f. Es sei allerdings als problematisch benannt, daß Zizek in sehr ahistorischer Weise das Tür-Dispositiv von La,caux bis zur VR verlängert,

20 Gerade politische Utopiell dienen oft dazu, die reale Welt als außerordentlich ungeordnet zu beobaGhtell.

21 Insofern eben Labyrinth-Metapher dazu dient, Wege durch vOl'ge:gel:~en,e, aber nicht vollständig durchschallte und d.h, teilweise unbewußte Ordnungen

206 Saskia Reither/Jens Schröter

die sich u.a. in der immer rascheren immer neuer tech­Pfl,>"1I'IT'" virtueller Zonen die als Parallel- oder Altemativwel-

ten zur ohnehin schon in verschiedene Zonen zerfallenen Welt da\'ll1 O"F",,,,,,nt die nach »Türen« und ihren Machtfunktionen auf diese Räume äußerste Brisanz. Wer hat welchen zum Internet? Wer pro-duziert die 'n'!TI"",." die welche

3: Die Tür als

Der oben erwähnte Cllrlwan,a. daß natürlich auch andere räumliche Strukturen UH""",.'<V,"" der hier vorge-

gej~eJ:]istll[ldslos. Denn es nicht

'""'/','-''''"'''''''''''-'''' Wenn wir den Aus­in der sich ein Sub-

jekt auf einem Parcours die zwischen verschiedenen Ordnungen als Ein- und beschreibbar. Davon

51'AU'"'''<L''''''' zu unterscheiden sind funktio-nieren. Offensichtlich resultiert dieser Unterschied aus einer unter-schiedlichen Verfaßtheit der Türen selbst Jede welcher materiel-len oder immateriellen kann so oder so je nachdem

'J""""4.UE,"H ~<"'''''''';;H und verschieben.22 Die Tür im aHjgerneinel:en Sinn ist ein M)il1l.e7aJ.UITH<

Diesen Begriff benutzt Foucault in des Panopticons, also architektonischen von Je-remy die ausfiihrlieh vorzusteHen hier kein Raum i51.23 Genauer benutzt Foucault diesen um die von dem konkreten Bau Benthams selbst

PmlOIJ,tiC!Dns als Struk-tur von lVt'''AI'''''.1''''iUUH;S in den Di:sZj lpüllarge1;ellscllatiten

ist hier die Differenz zwischen sichtbaren tleOb;actitet:en,

»ist das Diagramm eines auf seine ideale Form reduzierten Machtmechanismus; sein Funktionieren, das von jedem Hemmnis, von jedem Widerstand und jeder Reihung abstra­hiert, kann zwar als ein rein architektonisehes und optisches System vorgestellt werden:

22 Wobei sich noch darüber diskutieren ließe, ob diese Differenz nicht als graduelle verstall­den werden muß. 23 V gl. Michel Foucauit: Oberwachen und Strofen. FrankfurtiM. 1994, S. 251-292.

Der Durchgang des Menschen irgendwohin ... 207

tatsächlich ist es eine Gestalt politischer Technologie, die man von ihrer spezifischen Verwendung ablösen kann und muß.«24

Anläßlich dieser Beschreibung fällt auf, daß die beiden oben skizzierten Vor­stellungen, die Metapher von der Welt als Labyrinth (oder als Ensemble aus vie­len Labyrinthen) sowie der verallgemeinerte Begriff der Tür, ebenfalls von archi­tektonischen Vorbildern abgeleitet sind, um als abstrakte Schemata zu funktionie­ren, welche »vielseitig einsetzbar«25 sind. Diese Analogie sollte jedoch nicht überbewertet werden. Das Panopticon ist eine spezifische Struktur einer spezifi­schen Epoche, während Labyrinthe eine sehr viel längere Geschichte haben.

Entsprechend der oben entwickelten These, daß die Türfunktion gerade in der Modeme mit ihrer Vervielfältigung von kontingenten Ordnungen zentral wird, ist es jedoch wiederum bemerkenswert, daß dieses (angenommene) Erstarken des Tür-Diagramms zeitlich ungefahr simultan zur Ausbreitung des Panopticon­Diagramms stattfindet.26 Das Tür-Diagramm ist ebenso wie letzteres im Poly­Labyrinth der Modeme »koextensiv zur Gesamtheit des sozialen Feldes.«27 Und sehr verschiedene »Materien«, u.a. »Schotte, Dichtungen und formelle Diskonti-

24 Ebd., S. 264.

25 Ebd. Die Manifestation des panoptischen Diagramms im Bereich der Datennetze (und auch die sich dort ergebenden Verschiebungen) hat Stefan Wunderlich: Vom digitalen Panopti­cum zur elektrischen Heterotopie. Foucaultsche Topographien der Macht. In: Kommunikation Medien Macht. Hg. von Rudolf Maresch und Niels Werber. FrankfurtlM. 1999, S.342-367 untersucht.

26 Kann es in einer gegebenen Gesellschaft verschiedene Diagramme nebeneinander geben? Deleuze legt in seiner Diskussion von Foucaults Begriff des Diagramms diese Möglichkeit zumindest nahe, vgl. Gilles Deleuze: Foucault. FrankfurtIM. 1987, S. 54. Es besteht tatsächlich eine enge Verbindung zwischen dem Panopticon- und dem Tür-Diagramm: Im Panopticon ist nämlich entscheidend, daß jede Zelle zwar zwei Fenster hat (eines zum Turm, wo der Beob­achter ist, und eines nach außen, damit Licht die Zelle durchflutet), die Zellen untereinander aber nicht mit Türen verbunden sind, damit es keine Kommunikation zwischen den Häftlingen gibt (und jede Zelle muß natürlich eine, nur von außen zu öffnende Tür haben, die den Häftling unentrinnbar in diese Situation der Sichtbarkeit einschließt). Aber auch in dem zentralen Beob­achtungsturm spielen Türen oder genauer: ihre signifikante Abwesenheit eine wichtige Rolle. Im »zentralen Überwachungssaal« gibt es »fiir den Durchgang von einem Abteil ins andere keine Türen: denn das geringste Schlagen, jeder Lichtschein durch eine angelehnte Tür hin­durch könnten die Anwesenheit des Aufsehers verraten.« (Foucault, Anm. 23, S. 259) Türen spielen natürlich auch im »Kerkersystem«, welches Foucault beschreibt, eine zentrale Rolle (ebd., S. 380-397).

27 Deleuze (Anm. 26), S. 52.

208 Saskia Reither/Jens Schröter

können vom beschrieben und so als Türen der rinthe« velrst,mdlen als Zonen differenter betrachtet werden.29

Zwischenxaum: Methode

Wir wollen in der nun diese diEigrarrlln:!l.tü;ct!e also die » Tür« im

im realen wie im fiktiven Sinne: Diese Funktion keine

damentale .ulOU'''",UUo. Deleuze genauer als "H"''''','', bezeichnet hat32 DaJ3 wir dabei selbst einen iaiJ'Yrlnnusl~l1<:n

durch verschiedene :tvlaterialien schaft des »das unaufhörlich die Materien und Funktionen [ ... ]

Wir können hier keinen umfassenden wäre es

es in der Form einer sich als U"'}',"l"H,~' .'" .. ",.,'""", . .,; ausJ~etlerlde:n Addition darzusteHen. Statt dessen werden von uns im '''''14'''''-'''"' erachtete einer ebenso Lektüre unterzogen. Im Zen-trum unserer werden insbesondere solche Texte die sich mit neu auftretenden Zonen im Raum neuer Medien da sich

LlJm',l""H~;"H der Tür-Funktionen noch im d.h. im Prozeß der ge-befinden und mithin noch deutlicher sichtbar sind,

28 Ebd.,8.61.

29 Ebd., 8.60, wo Deleuze untersucht, wie liWerkzeuge, [ ... j materielle Maschinen zuerst von einem Diagramm ausgewählt« werden,

30 Ebd., S. 52: »Das Diagramm [".] ist eine abstrakte Maschine. Indem sie sich durch infor-melle Funktionen und Materien definiert, ignoriert sie Formul1terscheidung zwischen ei-nem Inhalt und einem Ausdruck, zwischen einer Formation und einer nicht-diskursiven Formation«. 3i Ebd., S.53.

32 GiHes Delellze: Was ist ein Dispositiv? In: (Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken. Hg. von Francois Ewald und Bernhard Waldenfels. FrankfuniM., S. 159. Zum intermedialen Status des enance bei Foucault vgl.: Hubert L Dreyfus und Pali! Rabinow: Michel Faucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Weinheim 1994, S. 70.

33 Delew:e (Anm. 26), S. 53.

34 Ebd., S. 52. Der Kontext dieser wichtigen Bemerkung lautet: »Es ist eine unbe-stimmte Liste, die stets nicht-formierte, nicht organisierte Materien und nicht formali-sierte, nicht finalisierte Funktionen betrifft, wobei heide Variablen unauflöslich miteinander verknüpft sind.«

Links

In Der stellt Katka

209

hel:en>genes Geflecht ''''''deH''", an einem ganz anderen

deren Anein-keiner höhe-

ganze Ralhll des Rmnans von Türen gramnli:ltisct!e Funktion der Tür und

noch etwas mehr: Als stehen in der Pensi­

on, die er alle Türen und Fenster offen. Durch vereinzelte Hinweise im weiteren Verlauf der sich tur den Leser der Eindruck eines von­

und totalitärer Blick die Wände zu (lUl:Ch;dfUtlge:n

»Sofort klopfte es lffid ein Manl1, den er in dieser Wohnung noch nie gesehen hat, trat ein. [ . .,J Durch das offene Fenster erblickte mall wieder die alte Frau, die mit wahrhaft ","",""",11",_ ter Neugierde zu dem jetzt gegenüberliegenden Fenster getreten war, um alles zu sehen. [ ... ] Als er vollständig angezogen WM, mußte er knapp vor Willem durch das leere Nebenzim" mer in das folgende Zimmer gehen, dessen Tür mit beiden Flügeln bereits WM.

[ ... ] Drüben waX" noch die Gesellschaft beim Fenster und schien nur jetzt dadurch, daß ans Fenster herangetreten WM, in der Ruhe des Zuschauens ein wenig gestört."

K. hat keine Kontrolle über die die seine Räume von der Außenwelt ab" schirmen. Dies auch rur Vor dem Gesetz: Zwar könnte K. durch die Tür ge-

wenn er wollte scheint es sich ganz im Siune der Foucau!tschen .u,-."""u<.""u,1'.

schaft: Er einfach nicht U!H,UU',",",

hindern. Kafka inszeniert so eine die schon im

Türen entscheidet.

Und er illustriert mit den a1l1Fgeri~~erlen Türen den Sündenfall der Moderne: Dort wo kein Meta-Plan das mehr zusammenhalten kann und die Welt in

treten die komp,en:,leI totalitärer H"",'Jl'U~'"\OU

Gottes. Totalitarismen lassen sich so

Einheitsillusionen und vorüb~:rge:her!d an die SteHe beschreiben: Entvveder man

schließt alle Türen und erzeugt die Illusion der Existenz einer ell1iZ1ß;en oder man aUe Türen zu anderen Zonen mit Gewalt aufzureißen und die

35 FnlrlZ Kafka: Der Prozeß. FrankfurJM. 1979, S. 7, 8, 14, 16f. An dieser SteHe zeigt sich übrigens die schon oben angesprochene Koexistenz VOll Tür und Fenster, auf die hier leider nicht weiter eingegangen werden kann.

210 Saskia Reither/Jens Schröter

eigene Ordnung langfristig auf alle Ordnungen auszudehnen - was wieder zur Etablierung einer General-Ordnung fiihren soll. Diese Expansionsaggression kann sowohl gegen andere Staaten als auch gegen die eigene Bevölkerung ge­richtet werden. Diese, mit Virilios Ausdruck, »totalitäre Begierde nach Erhel­lung«36, die sich in den aufgerissenen Türen und Fenstern zeigt, hat Orson WeHes in seiner Verfilmung von Kafkas Der Prozeß (FIIID 1967) anschaulich zu insze­nieren gewußt.

Abb.1

Abb.2

36 Paul Virilio: Die Sehmaschine. Berlin 1989, S. 85.

Der Durchgang des Menschen irgendwohin ... 211

Welles' Inszenierung ist deswegen kongenial zu Katkas Text, weil sie auch über die Möglichkeiten des kinematographischen Schnitts den Zerfall der Welt in he­terogene Zonen zeigt. Es gibt einige Sequenzen, in denen das klassische Verfah­ren des match on action verwendet wird. Räumliche Kontinuität wird hier durch den Gang der Figur über den Bildrand hinaus erzeugt (so wird etwa links das Bild verlassen und in der nächsten Einstellung von rechts wieder betreten): Die Räume der beiden Bilder liegen also wie »plan« nebeneinander.37 Doch Welles nutzt die­ses Verfahren noch weiter und verkettet Einstellungen, die an ganz verschiedenen Orten gedreht sind: Trotz der durch die Figur gegebenen Kontinuität ist der Raum von einer radikalen Dissoziation geprägt.

Diese knappen Bemerkungen zur Tür bei Kafka und in WeHes' Katka-Verfil­mung bieten nun eine Folie, vor der sich andere symptomatische Manifestationen des Tür-Diagramms abheben lassen.

In Steven Spielbergs Jurassic Park findet sich ein treffendes Beispiel: Die mu­sterhafte bürgerliche Kleinfamilie befindet sich in der hier analysierten Szene auf der Flucht vor den Kräften des Naturchaos, diesmal symbolisiert durch die Dino­saurier - es könnten aber ebensogut Tornados, Überschwemmungen, Erdbeben, Viren, das Unbewußte, Außerirdische oder (neudeutsch) auch die Asylanten-, Bilder- oder Datenflut sein, die die zivilisatorische Ordnung zu zerstören drohen. Jedenfalls gilt, was fiir alle Ordnungen gilt, auch hier: Eine Grenze muß gezogen werden, um das katastrophische Außen, den Wahnsinn, das Rauschen auszu­schließen. Folglich muß als erster Akt unbedingt die Tür geschlossen werden.

Die Erwachsenen als Vertreter des Industriezeitalters versuchen, mit physischer Kraft eine schwere Metalltür zuzudrücken (Abb. 3), doch der technische Fort­schritt hat derartig hölzerne Bemühungen längst überholt. Den Kindern als den Vertretern des elektronischen Zeitalters gelingt der Zugang zum Computersy­stem, das als Tür zu allen Türen38 die vollständige Kontrolle über alle Ein- und Ausschließungen im Jurassic Park innehat (Abb. 4).

Die Verbindung zwischen Tür und Macht, die wir schon bei Kafkas totalitari­stisch aufgerissenen Türen beobachten konnten, zeigt sic4 hier in einer anderen

37 Vgl. David BordweIl und Kristin Thompson: Film Art. An Introduction. New York u.a. 1990, S. 223.

38 Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrol/gesel/schajten. In: Ders.: Unterhandlungen. Frankfurt/M. 1992, S.261 hat das Szenario einer durch Computertechnologien realisierten Kontrollgesellschaft beschrieben: »Felix Guattari malte sich eine Stadt aus, in der jeder seine Wohnung, seine Straße, sein Viertel dank seiner elektronischen (individuellen) Karte verlassen kann, durch die diese oder jene Schranke sich öffnet; aber die Karte könnte auch an einem be­stimmten Tag oder für bestimmte Stunden ungültig sein; was zählt, ist nicht die Barriere, son­dern der Computer, der die - erlaubte oder unerlaubte - Position jedes Einzelnen erfaßt und eine universelle Modulation durchfUhrt«.

212 Saskia Reither/Jens Schröter

wo der Raum von Türen stmkturiert deren '--"LHeUl;'; lliid '>\A,aH,M'"'U;'; UUJ."';<,'-H, sind es bei SplelibcI'g

durchaus die die die Tür schließen und das Chaos aus~chließen kön­nen. Wo Kafka die Ohnmacht des ,"!VI"''''''' ge~&enübt;:r den sinn- und ziellosen

im lm;Zem'!lt, modelliert Jurassie Park ein souveränes, HaUUlU·"O"'H"'U!,,'''' jV'.'J'''.''''IOHJlU'''. des sollte im

Abb.3

Abb.4

Die

nicht vemrteilt werden: Unser daß wir souverih'1 handeln nOl'NenaH!e Illusion .- auch wenn es vielleicht nur eine

des Innenraums der hiir'''''''''Ii~h",n Kleinfamilie mithilfe von Com-

Der Durchgang des Menschen irgendwohin ... 213

schen Klage über die schädlichen Folgen der Rezeption von Fernseh- oder Com­puterwelten. Durch die sich rasend verändernden Medienkompetenzen haben Kinder plötzlich Eintrittsmöglichkeiten durch Türen, für die ihre Eltern oder Leh­rer niemals den Schlüssel finden werden. Gerade mit neuen Technologien treten immer auch neue Zonen zu einer gegebenen Kultur hinzu, und die Kompetenzen des Zutritts zu solchen fiktiven (oder virtuellen) Zonen verschieben sich stän­dig.39 In Jurassie Park wird das Auftreten neuer Technologien - hier des Com­puters - positiv gewertet: Der Computer stabilisiert die bürgerliche Kleinfamilie und hilft bei der Verdrängung des Chaos.

Ganz anders jedoch werden eine neue Technologie, die von ihr geschaffene spe­zifische Ordnung und die mit ihr verbundene »Tür«-Funktion in einer frühen Sei­ence Fiction-Kurzgeschichte dargestellt. Am 23. September 1950 erscheint in der Saturday Evening Post Ray Bradburys Kurzgeschichte The Veldt (auch: The World the Children made). Die Geschichte spielt in der Zukunft und erzählt über das Leben einer Familie, die in einem technologisch hochgerüsteten (heute würde man sagen »intelligenten«) Haus lebt, das »sie ankleidete und flitterte, sie in den Schlaf wiegte und sang und gut zu ihnen war [ ... ].«40 Die wichtige Besonderheit des Hauses besteht in seinem Kinderzimmer, welches eine Art Simulator ist, der vollkommen real erscheinende Illusionen generieren kann:

»Das Kinderzimmer war stumm. Es war leer wie eine Lichtung im Dschungel an einem heißen Tag. Die Wände waren massiv und zweidimensional. Doch jetzt, während George und Lydia Hadley in der Mitte des Raumes standen, begannen die Wände zu surren und sich scheinbar in kristallklare Weite aufzulösen, und langsam erschien vor ihren Augen ei­ne afrikanische Steppe, dreidimensional nach allen Seiten, farbig und vollkommen natür­lich bis zum letzten Kieselstein und Grashalm. Die Decke über ihnen wurde zu einem un­endlichen Himmel mit einer heißen gelben Soune. [ ... ] Die verborgenen Odorophone be­gannen jetzt den beiden in der Mitte der ausgedörrten Steppe stehenden Menschen Gerü­che entgegenzublasen: den heißen, strohigen Geruch trockenen Grases, den Duft nach kühlem Grün vor dem versteckten Wasserloch, die strenge, harte, Ausdünstung von Tieren - und der Geruch nach Staub, wie von rotem Paprika, hing in der hitzeflimmernden Luft. Und dann die Geräusche: Das dumpfe Dröhnen von Antilopenhufen in der Feme, das pa­pierartige Rauschen von Geierschwingen. [ ... ] Und hier waren jetzt die Löwen, etwa fünf Meter entfernt und so wirklich, so beängstigend und erstaunlich wirklich, daß man ihr Fell an den Händen prickeln zu spUren glaubte und die Kehle von dem staubigen Raubtierge­ruch ihrer erhitzten Pelze wie verstopft war. [ ... ] Die Löwen standen da und starrten Geor­ge und Lydia Hadley aus furchterregenden grüngelben Augen an. >Paß aufl< schrie Lydia. Die Löwen kamen auf sie zugelaufen. Lydia fuhr herum und rannte. George sprang in­stinktiv hinter ihr her. Draußen im Korridor, als sie die Tür hinter sich zugeschlagen hat­ten, stand sie weinend und er lachend da, und beide waren entsetzt über die Reaktion des anderen.« 41

39 Vgl. John Fiske: Understanding Popular Cufture. London, New York 1989, S. 155-158.

40 Ray Bradbury: Das Kinderzimmer. In: Ders.: Der illustrierte Mann. Zürich 1977, S. 15. 41 Ebd., S. 16-18 (Hervorhebung d. Verf.).

214 Saskia Reither/Jens Schröter

Zunächst verwundert eine solche Simulation in einem Raum, der als Kinderzim­mer doch eigentlich dazu bestimmt sein sollte, Kindern die freie Entwicklung ihrer Phantasietätigkeit zu ermöglichen. Normalerweise haben sich die Kinder -Wendy und Peter - dort aber auch immer »im Wunderland befunden, mit Alice und der Falschen Schildkröte« - oder bei »Aladin mit seiner Wunderlampe, oder [bei] Jack Pumpkinhead aus Oz, oder Doktor Doolittle, oder [sie haben] die Kuh, die über einen äußerst echt aussehenden Mond sprang«42 erzeugt. Das Problem liegt in einer innerfamiliären Krise: Die Kinder sind es, die, durch das intelligente Haus und den Simulator von ihren Eltern entfremdet, diesen den Tod wünschen, nachdem sich ihr Vater einmal erdreistet hat, ihnen etwas nicht zu gestatten. Am Ende der Geschichte sperren sie ihre Eltern mit einem Trick im Kinderzimmer ein, wo diese von den virtuellen Löwen zerrissen werden... Die Einspq:rung in den illusionistischen Raum inszeniert Bradbury an der Tür:

»Die Tür schlug zu. >Wendy, Peter!< George Hadley und seine Frau wirbelten hetum und liefen zur Tür zurück. )Macht auf!< schrie George Hadley und versuchte den Türknopf zu drehen. )Ha, sie haben von außen abgeschlossen! Peter!< Er schlug gegen die Tür. )Aufma­ehen!< [ ... ] Mr. und Mrs. George Hadley trommelten gegen die Tür [ ... ]. George Hadley blickte seine Frau an, und dann drehten sie sich beide um und sahen, wie die Bestien ge­duckt und mit steifen Schwänzen langsam auf sie zuschlichen. George und Lydia Hadley schrien. Und plötzlich erkannten sie, warum jene anderen Schreie ihnen so vertraut vorge­kommen waren [ ... ].«43

Bradburys kurze Erzählung ist in vielerlei Hinsicht wegweisend:44 Nicht nur malt er schon 1950 das Bild eines total-illusionistischen Raumes, welcher ohne sperri­ge Datenbrillen funktioniert und dabei interaktiv bis hin zur körperlichen Geflihr­dung ist, sondern er inszeniert auch das mit neuen Technologien zumindest ten­denziell einhergehende Kompetenzgefalle zwischen Kindern und Eltern auf be­sonders drastische Weise (insofern die Kinder das Zimmer umprogrammiert ha­ben und es den Eltern nicht gelingt, die tödliche Simulation zu beenden).

Die gegenwärtig am stärksten phantasmatisch aufgeladenen neuen Technologien sind das Internet und die Virtual Reality: zwei Technologien zur Generierung paralleler oder alternativer virtueller Zonen. In elektronischen Netzwelten ist das Log In das Äquivalent zu einer Tür, durch die man tritt und filr die man gegebe­nenfalls einen Schlüssel benötigt. Durch ein password, ein Sesam-öffne-dich, erhält man Zugang zu anderen Räumen, seien dies nun Chatrooms, an deren Ge-

42 Ebd., S. 21. Man beachte bitte, daß schon hier Lewis Carrolls Alice im Zusammenhang mit dem Phantasma eines vollendeten Illusionismus auftaucht.

43 Ebd., S. 33f.

44 Howard Rheingold: Virtuelle Welten, Reisen im Cyberspace. Reinbek 1992, S. 206f. weist daraufhin, daß viele der Entwickler und Mitarbeiter an VR-Projekten in den 80er Jahren Brad­burys Geschichte (und auch andere Science Fiction) sehr wohl kannten und sich von diesen Texten anregen ließen.

Der Durchgang des Menschen irgendwohin ... 215

sprächen man sich beteiligen kann, Hypertexte, deren Internetadresse als Buch­deckel fungiert, oder Abenteuergeschichten, in die man sich gar als eine der Per­sonen einschleichen kann. Der elektronische Verlag Eastgate Systems vertreibt Hypertexte via Internet und hat sich dafiir bezeichnenderweise ein steinernes Tor als Firmenlogo gewählt:

Abb.5

11" ~', - ~' -: . Iastgate Systems, Inc. ~ .. 134 Main Slreet, VJ atertovvn MA 021 n -. "..... (600) 562-1636 (517) 924-9044

Mit einer Textdiskette kann man sich also einen Durchgang zu einer fiktiven Li­teraturwelt verschaffen. Der berühmt gewordene und vielzitierte Text Afternoon, a story von Michael Joyce ist solch ein Hypertext, in den man eintreten kann, wenn man mittels Computer die Datei Afternoon, a story aufruft; man hat dann die erste Seite oder Karte des Hypertextes vor sich. Hypertexte leben von ihrer permanenten Transformation; auf jeweils einen möglichen Textverlauf folgt der nächste. Unter Umständen trifft man innerhalb der labyrinthischen Link-Struktur ein zweites Mal auf eine bereits gelesene Textpassage, die nun anders erscheint als bei der ersten Lektüre. Und diese Textpassage wird auch nicht dieselbe Ent­wicklung im narrativen Fortgang auslösen wie bei ihrer ersten Lektüre. Im Ge­gensatz zu einem Buch hat Afternoon, a story zwanzig potentielle Anfange, zwanzig Türen, durch die man in die fiktive Welt eintreten kann. Die Frage nach dem Ausgang ist noch weniger zu beantworten als die nach dem Anfang, weil es kein physikalisches Buchende mit letzter Seite gibt, an der man sich als Leser orientieren könnte. Mit der letzten Seite endet konventionellerweise eine Erzäh­lung oder ein Roman in Buchform, unabhängig davon, ob sich damit fiir den Le­ser nun ein evidenter (oder wie man sagt »schlüssiger«) Sinn ergibt oder nicht.

»In other words, we tend to consider the physicallimits of books as being intrinsically part of narration. These mies do not apply to hypertexts.« 45

45 Jean Clement: Afternoon, a story. From Narration to Poetry in Hypertextual Books. In: A:lLitterature..J. Hg. von Philippe Bootz. Colloque Nord Poesie et Ordinateur. Villeneuve D'Ascq 1994, S. 65.

216 Saskia Reither/Jens Schröter

I'-h."·,p'rl",,t endei bei aktiven Verlassen der Datei im U)m,Dtlter: dies

.5""""""'" entweder durch die Befehle oder mit der

zu ob man den Text nun verlassen möchte oder nicht. Im Vorwort

a story heißt es:

"C!osure 18, as in any fictioll, a Sllspect ql.lality, althol.lgh heFe it is made manifest. Vihen the story HO longer cr when it cyc!es, when yau tire of the paths, the experi, enGe of reading

In den Diskursen tiber VR47 wird immer wieder der Eintritt in den Bildraum be· tont. So schreiben etwa Aukstakalnis und Blatner in zum Kino:

»'Wenn sie sich zum Beispiel einen Füm allsehen, drum betrachten Sie die Bilder dieser Filmwelt - wie durch ein Fenster von außen. [ ... ] Im Cyberspace haben Sie aber nicht mehr das Geruhl, in eine Welt hineinzuschauen, sondern in dieser drinzusteckeu. Sie sind gewissernmßen durch das Fenster !W!I:a"!.\'"l'''''''.,,,

Und betont:

46

»Mit dem Kino und dem Fernsehen steHten wir uns die Welt noch durch Bilder vor, nun aber durch das also durch Bilder, die zu Welten werden. In Zukunft können wir in die Bilder "n"",,''' .. ,<

Mk,hael Joyce: AfternoolI, a story. Watertownll'v'lA 1987.

47 Ist die Erscheinung einer virtuellen Realität nicht ein besonders symptomatischer Aus­druck der Kontingenzerfahrung der Modeme? Jetzt tritt zur Wirklichkeit gleich noch eine linde­re Wirklichkeit, in der auel! alles anders seill könnte, hinzu. Aber zugleich ist die Fommlierung Virtual Reality alleh deshalb symptomatisch, weil sie eine reale Wirklichkeit verspricht, der gegenüber die VR eben als nur virtuelle prädizierbar ist. V gL dazu Stefun Münker: Was heißt eigentlich »virtuelle .Realität«? Ein philosophischer Kommentar zum neuesten Versuch der V",-d,,"n,!unt7 der Welt. In: lvfythos Internet, Hg. von Stefan Münker und Alexander Roesler.

1997, S. 108-130.

48 Steve Au."tcstakalnis und David Blatnel': Cyberspace" Die Entdeckung künstlicher Welten. Köln 1994, S. 35. Selbstverständlich gab es immersive Räume in der bildenden Kunst oder der Architektur schon lange vor den Räumen der VR (s, dazu OliVer Grau: Into the Image. Historical Aspects 0/ Virtual Reality; html 1999; vgL dazu aueh den Beitrag von Petra Gehring in diesem Band, S. 180-197). Aller­dings sind die Räume der VR nicht nur immersiv, sondern auch interaktiv (was in der Herkunft der VR aus der Flugsimulation begründet ist). Die Illteraktion mit Räumen, deren Stmkll1f ich verändern kaun, ist eine Erweiterung des Konzepts des immersiven Raums. Erst durch den mit der Interaktion evtL Einschluß (kr in die Simulation wird eine voll· ständige Immersion Prinzip) möglich. StaIlislaw Lern: und Futurologie 1. Frank-furt/M. 1984, S. 183: »Der wichtigste Unterschied zwischen der Phantomatik [d.i. Lerns Begriff für eine vollendete Simulation] und den anderen uns bekannten Formen der Illusion liegt dem Feedback zwischen Gehirn und der Informationsquelle, d.h. der Kreis der fiktiven Realität ist nicht zu unterbrechen<<.

49 Philippe Queau: Die virtuelle Simulation: Illusion oder Allusion? Für eine Phänomenolo, gie des Virtuellen. In: Illusion und Simulation. Begegnung mit der Realität. Hg. von Stefan Iglhal1t, Florian Rötzer und Elisabet.h Schweeger. Ostfildem 1995, S. 61.

Der DtlrclJg~mg des Menschen iro"",'lwnh"l1 217

K()flJ1:erltU.8.H.si'''llug findet sich auch in audiovisueHen Ke~präst:ntatj,on:en: die halbstündlichen Nachrichten auf Euronews einen

über eine l1nnische die ein enhvicke1t um Gemälde als dreidimensionale Simulation darstellen zu kön-

nen, )}Wie Alke im Wunderland in einem Gemälde zu R"UU''''',

der Traum Stimme dazu.

so lautete der Kommentar der Voice-Over-

niemals aber in einem Gemälde H<O,LlUU"lJ"'<C«;B.

Besondere des Eintretens in den Bild-raum mit dem Eintreten in einen Raum hinter dem den wieder auf Lewis CarroHs Hinter den

verwiesen wo Alice eine andere durch betritt. Pimentel und Teixeira nennen ihr Buch über VR the LaD··

ebenso nennt auch John Walker einen Aufsatz.52 Viele weitere Au-toren bemühen immer wieder die rumJV5'" zum :Splef;cllclUlt'clllstleg:

»Zieht man noch einmal das Bild des Spiegels heran, könnte man sagen, daß das Operieren in der virtuellen WirkHchkeit den der Kommunikation nicht zer­brkht, sondern in einem gewissen Sinne den

Oder Baudrillard formuliert:

)Der Andere, der Gesprächspartner, ist bei dieser n,'.,.pl'm,,~n'''n des Bildschirms, die an die Durchquerung des Spiegels erinnert, nie wirklich g<;llmllm.':C

:Suth!:rl,;m(l, En1:Nickler der ersten .u<m .. '.Wi.U" .. , bezeichnete schon 1965 seine eines das virtuelle Räume men gar nicht mehr unterscheidbar als !lA\lU'''''/<,

die von Realräu­into a mathematical

wonderland«55 und verweist in diesem kurzen Text dreimal auf Alices durch den Bei earroll selbst heißt es:

50 Lewis Carro!l: Hinter den Spiegeln. Mit Illustrationen von Jolm Tenniel. Übersetzt und mit einem Nachwort von Christian Enzensberger. Frankfurt/l\1. 1998.

51 Ken Pimentel und Kevin Teixeira: Virtual Realily. Through the new Looking (Hass. New York u.a 1993.

52 John Walker: Through the Looking glass. In: The Art 0/ Human-Computer blter/ace De­sign. Hg. von Brenda Laure!. Menlo Park 1990, 439-447,

53 Elena Esposito: Interaktion, L'?teraktivität und die Personalisierung der Massenmedien. In: Soziale Systeme. Zeitschrift/ür soziologische Theorie 2 (1995), S. 254.

54 Jean Baudril!ard: 11'ansparenz des Bösen .. Ein Essay über extreme Phänomene. BerUn 1992, S. 63,

55 Ivan Slltherland: The ultimate displtrj. In: Proceedings 0/ the International Federation 0/ Information Processing Congress 1965. Hg, von Wayne Kalenich, Washington, London 1966, Ba. 2, S, 506.

218 Saskia Reither/Jens Schröter

»>Wie schön das wäre, wenn wir in das Spiegelhaus hinüber könnten! Sicherlich gibt es dort, ach!, so herrliche Dinge zu sehen! Tun wir doch so, als ob aus dem Glas ein weicher Schleier geworden wäre, daß man hindurchsteigen könnte. Aber es wird ja tatsächlich zu einer Art Nebel! Da kann man ja mit Leichtigkeit durch<, und während sie das sagte, war sie schon auf dem Kaminsims, sie wußte selbst nicht wie, und wirklich schmolz das Glas dahin, ganz wie ein hellsilbriger Schleier.«56

Der Spiegel verbindet mit dieser Verdoppelung der Welt das Versprechen einer anderen Welt, die zur ersten hinzutritt, Schon die schlichte Tatsache, daß der Blick in den Spiegel zuvor Unsichtbares, aber fiir die Subjektwerdung Essentiel­les57 wie etwa das eigene Gesicht zeigen kann, erinnert an dieses Versprechen. Alice muß nach ihrem Gang durch den Spiegel bemerken, daß das Wohnzimmer auf der anderen Seite völlig anderen Gesetzmäßigkeiten gehorcht.

Der Spiegel ist in vielen Kulturen Symbol des rituellen Übergangs in 'andere Welten oder andere Bewußtseinszustände, in denen auch andere Identität~n an­genommen werden können, wie MacDonald und seine Mitarbeiter aus dem Blickwinkel der Ethnologie und Anthropologie zu berichten wissen.58

In Jean Cocteaus Film Orphee (F 1949) ist es der Spiegel, der den Übergang zum Totenreich eröffuet (Abb. 6), und in dem populären Film The Matrix (Larry und Andy Wachowski, USA 1999) verheißt ein ebensolcher, zerfließender Spiegel den Zugang zu einer anderen Wirklichkeitsdimension. Hier zeigen sich fast buch­stäblich der »fließend[e]«59 Charakter des Tür-Diagramms und seine sich wan­delnden Funktionen: Bei Cocteau vollzieht sich ein noch vor-modern anmutender Ausgang aus der Welt im Tod, während der Spiegel in The Matrix dazu dient, aus einer gänzlich simulierten Welt in die reale Welt zurückzukommen. In diesem letzten Beispiel macht sich eine Grunderfahrung der Moderne geltend: Alles, was wir fiir die Welt halten, könnte auch anders sein.60

56 Carroll (Anm. 50), S. 21f.

57 Vgl. dazu Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. In: Ders.: Schriften l. Hg. von Norbert Haas. 01-ten 1973, S. 61-70.

58 Vgl. George F. MacDonald, John L. Cove, Charles D. Laughlin, Jr. und John McManus: Mirrors, portals and multiple realities. In: Zygon. Journal of Religion and Science. 24/1 (1989), S. 39-64.

59 Deleuze (Anm. 26), S. 53.

60 Wobei in The Matrix dann wieder doch eine reale Welt sichergestellt wird. Vgl. dazu Sla­voj Zizek: The Matrix, or the /wo Sides of Perversion. Vortrag, gehalten am 28. 10. 1999 auf dem Internationalen Symposium >Inside the Matrix< am ZKM, Karlsruhe.

Der Durchgang des Menschen irgendwohin ... 219

Abb.6

Ein außerordentlich populäres Beispiel, an welchem sich die Funktion der Tür, der Schwelle oder Öffnung als Ort des Übergangs in eine andere Ordnungs-Zone deutlich zeigt, ist das Holodeck aus der Fernsehserie StarTrek - The Next Gene­ration. Das sogenannte Holodeck ist eine fiktionale Figuration fiir eine vollendete Virtual Reality. Es handelt sich in den schon 1965 geäußerten Worten des VR­Vordenkers Ivan Sutherland um einen Raum, in welchem der Computer die Exi­stenz der Materie kontrolliert. Jede Fiktion kann täuschend echt vergegenständ­licht werden. Die Unterscheidung zwischen der wirklichen Welt und der Fiktion ist phänomenal gar nicht mehr möglich. Das Einzige, was zur Markierung der Fiktion noch taugt. ist eben das Wissen um ihre Fiktionalität. Und dieses Wissen wird durch die Tür markiert, durch die man das Holodeck betritt. Wichtig ist, daß sich die andere Zone noch nicht einmal inhaltlich von unserer Zone unterscheiden muß, außer eben durch die Eigenschaft, auf der anderen Seite der Tür zu sein. Eine Episode von StarTrek - The Next Generation sei hier näher betrachtet. Es handelt sich um die Folge Der lange Abschied (Joseph L. Scanlan, USA 1987). Zur Handlung der Episode: Der Captain der Enterprise, Jean-Luc Picard, bereitet sich auf einen diplomatischen Kontakt mir der fremdartigen Zivilisation der Charrada vor. Seine Begrüßungsrede muß ohne jeden Fehler in der Aussprache gelingen, sonst kann es zu einem ernsten Konflikt mit den Charrada kommen. Müde vom Lernen der Sprache, erholt er sich bei einem kleinen Spiel im Holo­deck und mimt dabei Dixon HilI, einen Privatdetektiv. Man achte besonders auf das Verschwinden der Tür im Inneren des Holodecks:

220 Saskia Reither/Jens Schröter

Abb.7

Abb.8

Abb.9

Der Durchgang des Menschen irgendwohin ... 221

Während einer laufenden Simulation ist die Tür vom Inneren des Holodecks her unsichtbar und tritt erst bei der Erteilung des Befehls »Ausgang« in Erscheinung, während sie von außen stets sichtbar ist. Die Außenseite des Holodecks (und da­mit die Kontrollposition der Techniker gegenüber dem Holodeck) auf dem Raum­schiff besitzt also jene Konstanz, die den Illusionen im Holodeck fehlt. Dies be­deutet, daß die Grenze zwischen den beiden ununterscheidbaren Welten (der realen und der simulierten) durchaus klar und asymmetrisch markiert ist, wodurch die Simulation kontrollierbar bleibt. Die größte Katastrophe, die in diesen Räu­men eintreten kann, ist der Verlust der Tür. Denn dann verschwindet jede Mar­kierung der Differenz, und die fiktionalen Räume werden zu wirklichen Räumen. Hier droht das einzutreten, was Sutherland über seine Vision einer totalen Simu­lation bemerkte, die er das ultimative Display nannte:

»[A] buHet displayed in such a room would be fatal«61.

Und genau so etwas passiert der sich im Holodeck vergnügenden Besatzung der Enterprise. Zunächst noch sehen sie in dem virtuellen Gangster, der ihnen gegen­übertritt eine amüsante Unterhaltung. Doch plötzlich (durch einen Computerfeh­ler) wird aus dem Spiel tödlicher Ernst...

Ausgang

Wir hätten noch viele andere Abzweigungen nehmen, hätten in noch ganz andere Räume und Gänge vorstoßen können, doch wollen wir uns jetzt zum Ausgang hin orientieren. In einer Szene des Films Playtime des französischen Regisseurs Jacques Tati existiert keine Tür im materiellen Sinne, doch etwas anderes erfüllt Tür-Funktion als Grenze zwischen zwei Räumen, von denen einer, nämlich der Innenraum des Restaurants, zunehmend in Unordnung übergeht. Tati zeigt somit das relative Gefälle der Beziehung von Ordnung und Unordnung zwischen ver­schiedenen Zonen. In Abb. 10 sehen wir, wie Monsieur Hulot bei Eintritt in ein Restaurant die Glastür versehentlich mit dem Kopf zerschlägt. Geistesgegenwär­tig aber hält er den Türknauf an die entsprechende Stelle der gerade zersprunge­nen Glastür, was den eintretenden Besuchern des Restaurants signalisiert, daß sich hier der Eingang befindet. In diesem Augenblick ist es für die Gäste irrele­vant, ob sich hier tatsächlich eine materielle Tür befindet (Abb. 11 und 12).

61 Sutherland (Anm. 55), S. 508

222 Saskia R.either/Jens Schröter

Abb.lD

Abb.11

Abb.12

Der Durchgarlg des Menschen H';J,en!1IWI1,i11n 223

Damit inszeniert Tati auf verblüffend einfache und unsere hier abschlie-ßend illustrierende Weise die Funktion der die Lacan zu-sätzlich in Sinn wenn er sagt, daß eine »Tür nicht etwas

Wie wir zu besitzt das '-'''415''''''''-'''' der Tür erhebliche Rele-vanz: Die von der Welt als beschreibt schon in der Vormo,· deme sehr gut die daß die sich einen durch die Welt balmen müssen, ohne doch dabei Zll welchen die

gerlon:m. Differente aneinandersto­merapinOlrlS(m giesp,ro(:hen, Lab11r1l1lthe mit verschiedenen

Bauplämm - müssen durch Schwellen miteinander verbunden sein. Zu erörtern wäre die hier diskutierte Thematik unter anderem im Sinne einer dezidiert

Abb.1: Abh.2: Abb.3: Abb.4: Abb.5: Abb.6: Abb.7:

Abb.8:

Abb.9:

Abb.lO: Abb.11: Abb.12:

Durch- und Un­Ul,igramlIm:n in verschiedenen »Funktionen und Materi-

orliege:ndllll Lektüre Bei-an~(ed'eut!et werden konnten.

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Star Trek -- nie Next 1be seph L. USA 1987. Star Trek - The Next seph L USA 1987. Star Trek - The Next Ep. 12, The seph L. USA 1987. Playtime, R: F/I 1967.

R: FII 1967. FlI 1967.

Goodbye, R: Jo-

R: Jo-

R: Jo-

62 Lacan (Anm. 1), S. 381.

63 Deleuze (Anm. 26), S. 52.