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Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Studi Linguistici e Filologici Online ISSN 1724-5230 Volume 9 (2011) – pagg. 171-199 T. Kiryakova-Dineva – “Die Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf als eine intertextuelle Novelle zur Bibel” DIE NOVELLE “DIE SCHWARZE SPINNEˮ VON JEREMIAS GOTTHELF ALS EINE INTERTEXTUELLE NOVELLE ZUR BIBEL TEODORA KIRYAKOVA-DINEVA 0. Einführende Gedanken Die vorliegende Arbeit untersucht die Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf unter dem Blickwinkel der Intertextualität, die anhand von biblischen Motiven und biblischen Zwillingsformeln erlangt wird. Die Verwendung der biblischen Verweise hat zum Ziel, die Handlung und die Personen in einem sozialen Kontext darzustellen, und als er die guten Traditionen und die feste Glaube an Gott bedroht sieht. Um daran zu erinnern, dass man auf Sitten und Moral, auf Religion und Menschlickheit achten sollte, greift Gotthelf auf die Bibel zurück. Dass sich biblische Verweise und biblische Zwillingsformeln als besonders angemessen für die Narrative von Gotthelf eignen, hängt mit der Tatsache zusammen, dass der Autor sie als vorgeformte Wortkomplexe zur Festlegung einer Art Metasprache mit klar bestimmten Zielen gebraucht und damit einige existenzielle Probleme der Bauerngesellschaft aus dem 18. Jahrhundert akzentuiert. Neben der sagenhaften Erzählung, der gefühlsbetonten Beschreibung der Seelenwelt der Personen und dem kunstvoll verfassten Sprachstil richtet der Autor die Aufmerksamkeit des Lesers auf sittlich-religiöse Themen wie Ehrfurcht und Glaube an Gott. Der theologischen Richtungslinie fügt Gotthelf noch eigene kritische Absichten hinzu. Erzieherische Zwecke lassen sich durch die

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Studi Linguistici e Filologici Online ISSN 1724-5230 Volume 9 (2011) – pagg. 171-199 T. Kiryakova-Dineva – “Die Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf als eine intertextuelle Novelle zur Bibel”

DIE NOVELLE “DIE SCHWARZE SPINNEˮ VON JEREMIAS

GOTTHELF ALS EINE INTERTEXTUELLE NOVELLE ZUR BIBEL TEODORA KIRYAKOVA-DINEVA

0. Einführende Gedanken

Die vorliegende Arbeit untersucht die Novelle „Die schwarze

Spinne“ von Jeremias Gotthelf unter dem Blickwinkel der

Intertextualität, die anhand von biblischen Motiven und biblischen

Zwillingsformeln erlangt wird. Die Verwendung der biblischen

Verweise hat zum Ziel, die Handlung und die Personen in einem

sozialen Kontext darzustellen, und als er die guten Traditionen und die

feste Glaube an Gott bedroht sieht. Um daran zu erinnern, dass man

auf Sitten und Moral, auf Religion und Menschlickheit achten sollte,

greift Gotthelf auf die Bibel zurück. Dass sich biblische Verweise und

biblische Zwillingsformeln als besonders angemessen für die

Narrative von Gotthelf eignen, hängt mit der Tatsache zusammen,

dass der Autor sie als vorgeformte Wortkomplexe zur Festlegung

einer Art Metasprache mit klar bestimmten Zielen gebraucht und

damit einige existenzielle Probleme der Bauerngesellschaft aus dem

18. Jahrhundert akzentuiert. Neben der sagenhaften Erzählung, der

gefühlsbetonten Beschreibung der Seelenwelt der Personen und dem

kunstvoll verfassten Sprachstil richtet der Autor die Aufmerksamkeit

des Lesers auf sittlich-religiöse Themen wie Ehrfurcht und Glaube an

Gott. Der theologischen Richtungslinie fügt Gotthelf noch eigene

kritische Absichten hinzu. Erzieherische Zwecke lassen sich durch die

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Vorstellung der Hauptfiguren der beiden Rahmenerzählungen der

Novelle aufspüren. Die fromme Gestalt des Großvaters, die

zahlreichen Aufopferungstaten führen zu einem guten Ende der

Novelle und sind als Bestätigung des Guten zu verstehen.

Zur Bekräftigung dieses Zieles bedient sich Gotthelf von Absatz

zu Absatz biblischen Stoffes und verweist auf biblische Motive und

Themen. Durch den Rückgriff auf Bilder aus der Apokalypse gelingt

es Gotthelf, dadurch eine klare Bildsprache zu schaffen. Bis zum Ende

der Rahmenerzählung lassen sich folgende Zentralmotive mit

Bibelverweis aufzeigen: Das idyllische Leben im Einklang mit Gott,

das Motiv der Nächstenliebe, das Motiv des Kampfes zwischen Gut

und Böse, zwischen Gott und Teufel, das Motiv des Sündenfalls und

Erlösung, das Motiv der Taufe, das Motiv der Aufopferung. Dieses

Vorgehen ist folglich als bewusste Intertextualität zu der Heiligen

Schrift zu deuten. Die intertextuelle Verschlüsselung wird nicht nur

durch die Verwendung biblischer Motive, aber auch von biblischer

Sprache in der Form von Satz- und Wortkonstruktionen weiter

unterstützt. Inhaltlich zeigen alle Arten sprachlicher Bezüge auf die

Bibel keinen besonderen Unterschied zum Originaltext in der Bibel,

wie in den folgenden Beispielsätzen:

Beispielsatz 1: „Ja, wer blind ist, sieht auch die Sonne nicht,

und taub ist, hört auch den Donner nicht.“1

Bibelverweis zu Beispielsatz 1

1 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, Norderstedt: Grin Verlag 2008, S. 78

: „und nun siehe, die Hand des

HERRN kommt über dich, und du sollst blind sein und die Sonne

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eine Zeitlang nicht sehen! Und von Stund an fiel auf ihn Dunkelheit

und Finsternis, und er ging umher und suchte Handleiter.“2

Die zahlreichen biblischen Verweise, die durch sprachliche

Zwillingsformeln wie an Leib und Seele, durch Mark und Bein, durch

Fleisch und Blut, mit Beten und Fasten, Kind und Kindeskinder, alt

und jung, Mann und Weib, usw., aber auch das bewusste Anknüpfen

an biblische Motive sind dem schriftstellerischen Zweck unterstellt,

den Lesenden den Nachvollzug seiner Novelle zu ermöglichen.

Außerdem sind die Verweise auf die Bibel, sowohl in der Form von

biblischen Motiven als auch von biblischen Zwillingsformeln für

Gotthelf notwendig, damit er in jeden Höhepunkt seiner Novelle den

Mensch, seine Seele und das Verhältnis zwischen Gut und Böse als

gedanklichen Hintergrund stellen kann. Als zentrale Begriffe

bestätigen sich Not, Angst und Aberglaube, Gottesfurcht und

Nächstenliebe, daneben auch Opfertat und Buße, die in allen

Momenten der Novelle als Hauptthemen zu spüren sind. Weil die

Bibelverweise von grundlegender Bedeutung für die Handlung von

Gotthelfs Novelle sind, widmet sich die vorliegende Untersuchung

genau dem Problem der Intertextualität. Sie wird zuerst einige

biblische Motive, und zweitens die biblische Sprache, die durch

biblische Zwillingsformeln vertreten wird, behandeln. Gegenstand der

Arbeit soll die Feststellung der Art und Weise, auf die Intertextualität

als Hauptverfahren in der Novelle verwurzelt ist.

2 Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Apostel 13,11

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Intertexualität durch biblische Verweise und biblische

Zwillingsformeln befähigen den Autor, seine Ideen in einem

besonders erhabenen Stil zu präsentieren. Beispiele solcher

Stilisierung sind in der konkreten theologischen Lexik zu bemerken,

wie: „sie hielten fest an Gott“, „Und gemeinsam beteten sie zu Gott“,

„Darum ward er auch gesegnet mit zeitlichem Gut und vergass Gott

nie“, „zum Aushalten gab Gott die Kraft“, „er kam und wollte

ausziehen mit heiligem Wasser und heiligen Sprüchen gegen den

bösen Feind, dass Strafe die Schuldigen treffe, wenn Gottes Hand

vernichtend über sie komme“, „taufte der Priester das Kind im Namen

Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, „wie sie nur

die Engel im Himmel kennen“.

Die Vorliebe für die Anknüpfung vorwiegend von Substantiven

und die offensichtliche Haltung an biblischen Stoffen könnte noch als

eine Art Stilisierung durch Wortklang und Rhythmus dank der

Zwillingsformeln wie „mit Leib und Leben“, „Kind und

Kindeskinder“, „oben und unten“ angesehen werden. Die bipolare

Form der Konstruktion „S und S“ stellt ein universelles Modell dar,

das oft auf Vorstellungen und Weltbildern nicht nur aus der Bibel

sondern auch aus vorangegangener Kulturen und Religionen beruht,

wie zum Beispiel Gott und Teufel, Angst um das Leben und Angst vor

dem Tod, Allmacht des Guten oder des Bösen, Aberglaube in

Gegenstände, Kult zur Rettung der Neugeborenen und Selbstopferung

als Zivilisationsrettung. Ein solches literarische Herangehen lässt sich

durch die Feststellung von L. Gielkens begründen:

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„Diese elementaren Symbole waren schon vor der Bibel da und

verbinden in heutiger Verwendung mit den früheren Zeiten.

Christliches Profil gewinnen die Symbole aus ihrer Verbindung mit

der Geschichte Israels und der Person Jesu. In der

Symbolauseinandersetzung geht es dann darum, die geschichtliche

Konkretisierung der christlichen Botschaft in die jetzige Zeit zu

realisieren.“3

Die universalen Zwillingsformeln wie: Leib und Seele, Brot und

Wasser, Wüste und Weg, Fleisch und Blut enthalten dementsprechend

einen Beziehungsaspekt, der Jahrzehnte hindurch in der

Menschengeschichte erhalten bleibt und auch heute noch seine

theologische Vielfalt weiter entwickeln kann. Biblische Motive und

biblische Phraseologismen scheinen auch für die Novelle von Gotthelf

über eine schöpferisch bildende Kraft in Bezug auf Vermittlung von

religiösem Sinn und Symbolwelten zu verfügen. Um zu verfolgen,

was für einen Platz solche Motive und Phraseologismen aus der Bibel

in der Novelle einnehmen, wird die nachfolgende Untersuchung in

zwei Abschnitte aufgeteilt: Im ersten Abschnitt soll die Intertextualität

anhand von biblischen Motiven auf die Luther-Bibel behandelt

werden. Diese Intertextualität wird als literarische Intertextualität

betrachtet. Der zweite Abschnitt behandelt die Intertextualität, erlangt

durch biblische Zwillingsformeln. Die zweite Art Intertextualität wird

als sprachliche Intertextualität angesehen.

3 Gielkens, Leo: Mehr als Sieg und Niederlage. Berlin LIT Verlag 2007, S. 126/127

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1. Literarische Intertextualität durch biblische Motive in der

Novelle „Die schwarze Spinne“

Die enge Beziehung des Autors der Novelle „Die schwarze

Spinne“ zur Bibel begann damit, dass sein Vater Pfarrer war. Später

studierte er Theologie und sein Leben lang war mit Religion eng

verbunden. Die Frage ist jedoch zu welchem Zweck der Novelist so

häufig auf biblische Motive und Verweise auf biblischen Stoff oder

auf biblische Sprache in der Form von Zwillingsformeln zurückgreift.

Im Grunde genommen kann man davon ausgehen, dass sich Gotthelf

der biblischen Sprache in zweierlei Hinsicht bedient. Erstens kann sie

mit demjenigen Zweck verbunden sein, einen erhabenen literarischen

Stil und Ästhetik des Ausdrucks zu erreichen. Zweitens können die

biblischen Verweise auf sozialer Kritik beruhen und mit religiös-

erzieherischen Absichten gefüllt sein. Vermutlich besteht noch ein

dritter Zusammenhang, und zwar der, dass der Autor durch die

biblische Sprache dem Volksbewusstsein näher kommen wollte. Zu

seiner Zeit kannten die einfachen Leute die biblischen Stoffe wie die

Schöpfungsgeschichte, den Sündenfall, die Vertreibung aus dem

Paradies, die Sprüche Salomon und andere Stoffe, mit denen sie gut

durch den Gottesdienst und die kirchliche Predigt vertraut waren. Um

seine Ideen zu unterstützen, stellt der Novelist nämlich sittlich-

religiöse Probleme in das Zentrum der Handlung.

In der Novelle von Gotthelft lässt sich die intertextuelle Tendenz

zur Bibel besonders spürbar feststellen. In der vorliegenden Arbeit

spielt Intertextualität in der Bedeutung von „Einlagerung fremder

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Texte in einen Text“4

„In der Mitte der sonnenreichen Halde hatte die Natur einen

fruchtbaren, beschirmten Boden eingegraben; mittendrin stand

stattlich und blank ein schönes Haus, eingefasst von einem prächtigen

Baumgarten, in welchem noch einige Hochäpfelbäume prangten in

ihrem späten Blumenkleide; (...) Nicht umsonst glänzte die durch

Gottes Hand erbaute Erde und das von Menschenhänden erbaute Haus

im reinsten Schmucke;“

eine Rolle. In diesem Sinne kann man das

Vorkommen von Intertextualität im weitesten Sinne voraussetzen,

indem man die Einbettung von biblischen Motiven und biblischen

Zwillingsformeln als Fragmente aus dem Hypertext Bibel in

Betrachtung zieht. Obwohl der Autor nicht direkt aus dem Bibel

zitiert, spielt Intertextualität in der Novelle „Die schwarze Spinne“

eine besonders wichtige Rolle. Es lässt sich in diesem Sinne

behaupten, dass die vom Novelisten verwendeten biblischen Motive

und Zwillingsformeln nicht vor dem Problem der Narrative stehen.

Der Autor zielt auf den Wiedererkennungseffekt biblischer Inhalte ab.

Ein Beispiel für Erkennungsforderung und intertextuelle biblische

Reminiszenz findet sich in dem folgenden Abschnitt:

5

Das gewählte Zitat, das gleich aus der ersten Seite der Novelle

entnommen ist, erinnert an die Vorstellung im Garten Eden. Diese

Retrospektive wird durch die Symbole des prächtigen Gartens, der

Fruchtbarkeit, des Baumes, des Apfels unterstützt. Die Gleichsetzung

4 Renate Lachmann: Ebenen des Intertextualitätbegriffes. In: Stierle/Warning (Hrsg.)

Poetik und Hermeneutik (1984), S. 133 – 138, hier S. 134. 5 Gotthelf, Jeremias - Die schwarze Spinne, S. 1

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mit der paradiesischen Idylle in der Anfangsszene ist dem Erzähler

deswegen wichtig, damit er später die harmonische Ordnung im

Paradies auf die Realität der Bauerngesellschaft aufeinander beziehen

kann. Dann werden „die Geschöpfe, die geschaffen sind, sich an der

Sonne ihres Lebens zu freuen“ Angst und Entsetzen ausgesetzt; dann

geht das Sonnenreich, das „in klarer Majestät“ leuchtet, verloren.

Gleich nach der Darstellung der Natur führt der Autor die Idee

für das lauernde Böse ein, das die Seele des Menschen von seinem

Leibe trennt und das den Menschen entweder nach oben in den

Himmel oder nach unten in die Hölle führt. Dafür benutzt Gotthelf

intertextuelle Bezüge und gebraucht religiöse Vorstellungen – der

Gottessohn geht zum Vater, wie die Seele des Menschen zum Gott in

den Himmel geht:

„Es war der Tag, an welchem der Sohn wieder zum Vater

gegangen war zum Zeugnis, dass die Leiter noch am Himmel stehe,

auf welcher Engel auf- und niedersteigen und die Seele des Menschen,

wenn sie dem Leibe sich entwindet, und ihr Heil und Augenmerk

beim Vater droben war und nicht hier auf Erden;“6

Offenbar scheinen die ersten Beispiele aus der Novelle Gotthelfs

genug Grund zu geben, die Novelle auf intertextuelle Verweise und

Motive weiter zu untersuchen. Gegenstand soll folglich sein, ob sich

Intertextualität als Hauptverfahren bis zum Ende der Novelle

bestätigen kann. Die zu verteidigende These ist folglich, dass Gotthelf

intertextuelle Bezüge mit Absicht in verschiedenen Momenten der

6 Gottgelf, Jeremias - Die schwarze Spinne, S. 2

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Handlung einfügt. Eine Bestätigung der angenommenen These würde

bedeuten, dass sowohl die literarischen als auch die rein sprachlichen

intertextuellen Bezüge auf die Bibel dem Zweck des Autors unterstellt

sind, dadurch die Bauerngesellschaft in einem Kontext von

psychischen Zuständen, religiöser Hingabe und sozialen Konflikten

thematisieren zu können. Die biblischen Verweise dienen dem Autor

auch als erzieherisches Ausdrucksmittel, weil neben dem Hauptthema

von Gut und Böse noch einige Akzente gesetzt werden, wie:

freiwillige Opfertaten, Gottes- und Nächstenliebe. Die Haltung von

Traditionen und vor allem aber Achtung der Religiosität führen zur

Überwindung des Bösen am Ende der Novelle. Deswegen stehen

Gotthelfs Figuren in enger Verbindung zur Religion, dabei auch zu

Moral, Traditionen und zu guten Sitten. Ihr Handeln ist auf Gott

bezogen, wobei sie durch ihre Position gegenüber Gott selbst den

eigenen Lebensweg beeinflussen.

Den intertextuellen Bezügen zu inhaltlichen und formellen

Bezügen aus der Bibel liegt kein direktes Zitieren von biblischen

Stoffen zugrunde. Die sachlich abhängigen biblischen Bezüge werden

vom Autor bewusst in der Art einer Sprach-Motiv-Montage

dargestellt. Nachdem Gotthelf die Anfangsszene vom idyllischen

Leben eines reichen Bauernhauses im Emmental vorgestellt hat, fügt

es das nächte Bibelmotiv ein – die Feier der Taufe des Enkelkindes.

Beim Essen fällt einem der Gäste ein alter Fensterpfosten auf, der in

dem neuen Familienhaus eingebaut war. Dann erzählt der Großvater

die Sage, die sich auf die ganze Dorfgemeinschaft bezieht. Die

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Geschichte stammt aus der Zeit, als die Ritter des Deutschen Ordens

über die Bauern im Tal herrschten. Obwohl sie gewaltige Frondienste

leisteten, waren die Grundherren ständig unzufrieden. Ohne Erfolg

blieben die Versuche, ihre Forderungen zu erfüllen. In so einem

Augenblick der Verzweiflung bot der Teufel seine Hilfe an, wofür er

ein ungetauftes Kind verlangte. Die Bäuerin, die diesen Pakt schloss,

hieß Christine. Der Teufel besiegelte den Pakt mit einem Kuss auf die

Wange von Christine, erfüllte bald sein Versprechen und erwartete

dagegen seinen Lohn. Vielmals hatte Christine versucht, an ein

ungetauftes Kind heranzukommen, doch jedesmal besprengte der

Pfarrer das Neugeborene mit Weihwasser, womit er auch der heilige

Akt der Taufe ausübte. Unerwartet wuchs auf Christines Wange ein

schwarzer Fleck in der Gestalt einer schwarzen Spinne. Als erstes

Anzeichen des teuflischen Ärgers kam ein großes Menschen- und

Viehsterben über das ganze Tal.

Bis zu dem Moment der Herausbildung der schwarzen Spinne

lassen sich einige Bibelmotive aufdecken – das Motiv des Hauses als

Schutz vor dem Bösen und das Motiv der Taufe. Bevor der Novelist

die Dorfbewohner ins Verderben schickt, leitet Gotthelf seine Idee an,

dass dem Menschen Üppigkeit und Wohlhaben vorbehalten sind, nur

wenn er im Einklag mit Gottes Gesetzen lebt. So kontrastiert die

feierliche Stimmung im reichen Bauernhaus mit der grausamen

Geschichte der schwarzen Spinne. Das symbolische Haus und der

hölzerne Fensterpfosten, in dem die tödliche Spinne eingesperrt ist,

sollen als ein Ausdruck der konservativen Haltung gegenüber der

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Angstvorstellung vom Leser verstanden werden. Das Haus als

Sinnbild erscheint weiter in der Rolle einer kleinen Welt, in dem

durch Ordnungshaltung, gottgefälliges Leben und gepflegte

Sittlichkeit das drohende Böse fern gehalten wird. Das Ideal der

Bewahrung von Tradition, Moral und Gottesfurcht ergänzt der Autor

mit dem biblischen Motiv der Taufe. Um diese Idee hervorzuheben,

lässt Gotthelf den Teufel für seine Hilfe ein ungetauftes Kind

verlangen. Die Gegenüberstellung der Taufe und des Teufels stellt der

Versuch des Autors dar, auf die dörflichen Verhältnisse in der

Schweiz aufmerksam zu machen, und zwar aus der Perspektive eines

gläubigen Christen, der um Aufrechterhaltung der religiösen Bräuche

besorgt ist. Es ist auffallend, dass mit der Taufe nur ein neugeborenes

Kind gerettet werden kann. Vielleicht hängt dieser Einfall des Autors

damit zusammen, dass der Taufe in der christlichen Welt eine

symbolische Bedeutung beigemessen wird.

Den hohen Stellenwert der Taufe gibt es in der kirchlichen

Tradition heute noch. In der Taufe sieht man leider meistens bloß

Namensgebung, Segnung und Eintritt in die christliche Gemeinschaft.

Die Taufe ist in erster Linie die Zusage der Liebe und des Segens

Gottes. Vielmehr soll in der Taufe die Hoffnung auf

Sündenvergebung, Auferstehung von den Toten und das kommende

Reich Gottes gesehen werden. Es ist deswegen sehr wahrscheinlich,

dass Gotthelf genau diesen Sinn der Taufe gemeint hat. Der Verfall

des Menschen, die Todesstrafe der schwarzen Spinne, und vor allem

die Rettung jedes Neugeborenen durch Bespritzen mit Weihwasser,

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womit durch Aussprechen der heiligen Worte die Taufe ausgeführt

wird, stehen in engem Zusammenhang mit der Errettung der Seele.

Wie dramatisch der Autor die Angst um die Seele des Kindes darstellt

und die erzielte Spannung mit dem Bibelverweis verbindet, lässt sich

am folgenden Beispiel bemerken:

„... und auf der Mutter Armen taufte der Priester das Kind im

Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und

jetzt war es entrissen des Teufels Gewalt auf immer, bis es sich ihm

freiwillig übergeben wollte.“7

und dementsprechend noch die Bibelstelle dazu:

„Wer glaubt und getauft wird, soll errettet werden; wer aber

nicht glaubt, der wird verdammt werden.“8

Das gleiche biblische Motiv wiederholt sich in jeder Situation,

wo sich Erwachsene (Mütter, Väter oder Priester) für Kinder opfern.

Diese Opferung als Motiv wird vom Autor mit der Selbstofperung

Jesus Christi für die Menschheit gleichgestellt.

Die tödlichen Taten der Spinne, wenn sie mit der Unschuld

eines neugeborenen Kindes ergänzt wird, erzeugen den Höhepunkt der

dramaturgischen Handlung in den beiden Rahmenerzählungen. Um

die Spannung zu steigern, fügt der Novelist den Horrorgeschichten

mehrere Mordszenen und damit noch apokalyptische Verweise auf die

Bibel hinzu, was einen erheblichen Teil der Schilderung ausmacht.

Dabei genügt es dem Erzähler nicht, sich nur auf Bibelmotive zu

7 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 60 8 Bibelverweis - Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Mark 16:16

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konzentrieren. Gotthelf bedient sich einer anschaulichen biblischen

Sprache, die durch zahlreiche Zwillingsformeln aus der Bibel zum

Ausdruck kommt. Ihr Effekt auf den Leser lässt sich durch die

folgenden Belege in der Novelle verfolgen, die Gegenstand des

anschließenden Abschnitts sind.

2. Sprachliche Intertextualität durch biblische

Zwillingsformeln in der Novelle „Die schwarze Spinne“

Die ganze Novelle „Die schwarze Spinne“ zeichnet sich durch

eine eigentümliche Erzählweise aus. Zu ihrer Stilisierung trägt der

sagenhafte Stoff bei, der vom Autor in einer erzählerischen Manier

dargestellt wird. Gleich zu bemerken ist die vorbedachte Wortwahl –

die Sonne leuchtet in „klarer Majestät“, das Haus ist „stattlich und

blank“, um das Haus liegt „ein sonntäglicher Glanz“. Der Novelist

schafft einen besonderen Rhythmus und Klang des Ausdrucks, indem

er zahlreiche Kombinationen und Verdoppelungen verwendet. Einen

stilisierenden Einfluss üben in dieser Hinsicht die zweigliedrigen

Verdoppelungen von Substantiven, aber noch die Anhäufung von

Adjektiven. An Beispielen wie: „Langsam und gebeugt ging an einem

Hakenstock der Grossvater“, „Glück war in Feld und Stall und Friede

unter den Menschen“, „Scheu und verstohlen blickten die Augen“, „in

Gottesfurcht und Rechttun“, „in der gleichen Gottesfurcht und

Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch die Söhne“, „von irdischer Not

und Plage“, „und ihre Töchter waren berühmt landauf, landab und

ihre Söhne gerne gesehen überall“ merkt der Leser gleich, dass der

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Autor die Technik der lebendigen und erzählerisch packenden

Schilderung im Griff hat. Diese typische Erzählweise verwendet

Gotthelf zur Unterstützung seiner durch theologische Sinnbilder

gekennzeichneten Narrative. Er stellt die paarigen Bezeichnungen den

dem Leser bereits bekannten Motiven aus der Bibel gegenüber:

„Sie fühlten erst jetzt in ihren bebenden Seelen so recht, was es

heiße, von irdischer Not und Plage mit einer unsterblichen Seele sich

loskaufen zu wollen, fühlten, dass ein Gott im Himmel sei, der alles

Unrecht (...) fürchterlich räche.“9

In diesem Zitat verstärkt das Wortpaar Not und Plage das

biblische Motiv des rächenden Gottes, das im Zitat auch durch den

Gegensatz von ewigem Leben im Himmel und irdischer Qual ergänzt

wird. Dieses Wortpaar verstärkt die oben dargestellten Motive wie

Kampf von Gut und Böse, Kampf zwischen Materiellem und

Geistigem. Die freien Wortkombinationen wie Not und Plage, aber

auch der Gebrauch von fixierten Zwillingsformeln wie Kind und

Kindeskinder, Tag und Nacht, Leib und Leben, durch Mark und Bein,

angst und bange, hie und da, usw. sind gezielt in die Handlung der

Novelle eingeführt.

Gotthelf verwendet zahlreiche paarige Konstruktionen, die

durch die Konjunktion „und“ verbunden sind und den

Zwillingsformeln ähneln. Solche Wortpaare sind zum Beispiel kurz

und deutlich, einsam und verlassen, in Hand und Arm, Schutz und

Wache, Zagen und Grauen, Zank und Streit. Solche Konstruktionen

9 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 62

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sind im Gegensatz zu Wortpaaren wie mit Kind und Kindeskindern,

Leib und Leben, an Leib und Seele, angst und bange, durch Mark und

Bein, usw. keine

Bibelbezug der Zwillingsformel Schutz und Wache: „Ich aber

will von deiner Macht singen und des Morgens rühmen deine Güte;

denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not.“

Zwillingsformeln. Doch ihre paarige Form wird nach

dem Modell „S und S“ aufgebaut und kann somit die intertextuelle

Bezogenheit auf die biblische Ausdrucksweise verstärken. Solche

Bezogenheit lässt sich bei zwei der obigen Beispielen leicht

bemerken. Die Wortpaare Schutz und Wache und Zagen und Grauen

erinnern an den biblischen Stoff in den Psalmen und in der

Apostelgeschichte von der Bekehrung des Saulus:

10

Bibelbezug der Zwillingsformel Zagen und Grauen:

,

„Und er sprach mit Zittern und Zagen: HERR, was willst du,

daß ich tun soll? Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die

Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.“11

Aus diesen Beispielen wird klar, dass Gotthelf sowohl freie

Wortkomplexe, als auch feste Verbindungen in der Form von

phraseologische Zwillingsformeln gebraucht, um einen Bezug auf den

biblischen Stoff zu nehmen. Wie schon erwähnt, wird das Verfahren

der Verwendung biblischer Zwillingsformeln für die Zwecke der

folgenden Arbeit als sprachliche Intertextualität bezeichnet. Bereits in

der Anfangsszene, in der Gotthelf die äußerst realistischen Bilder des

10 Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Psalmen 59, 17 11 Ebd. Apostel 9,6

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dörflichen Lebens enthüllt, lässt sich die Tendenz zu Gebrauch von

biblischen Zwillingsformeln erkennen:

„Um das Haus lag ein sonntäglicher Glanz, den man mit einigen

Besenstrichen, angebracht Samstag abends zwischen Tag und Nacht,

nicht zu erzeugen vermag, der ein Zeugnis ist des köstlichen Erbgutes

angestammter Reinlichkeit, die alle Tage gepflegt werden muss, der

Familienehre gleich, welcher eine einzige unbewachte Stunde Flecken

bringen kann, die, Blutflecken gleich, unauslöschlich bleiben von

Geschlecht zu Geschlecht, jeder Tünche spottend.“12

In diesem einzigen Abschnitt kommen zwei Zwillingsformeln

vor: zwischen Tag und Nacht und von Geschlecht zu Geschlecht, die

ein wichtiges Sinnbild leicht erkennbar machen - in biblischer

Tradition ist unter ihrer Vorstellung nämlich die Ewigkeit Gottes zu

verstehen. Genau einen solchen Anfang der Novelle braucht der

Autor, um durch die beiden Zwillingsformeln die integrative Nähe

zum biblischen Stoff anzudeuten. Der Gedanke über die Sorge um

Reinlichkeit und über das Bewahren der Familienehre wird vom Autor

zuzüglich realisiert. Die beiden Zwillingsformeln verkörpern auch

den Kreislauf der Natur. Im weiteren Sinne kann die Zwillingsformel

von Geschlecht zu Geschlecht in der Bedeutung von Fortdauer

verstanden werden. Das „Erbgut“, die „Familienehre“ soll man laut

Gotthelf „Tag und Nacht“ bewachen und verweist auf den ewigen

12 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 2

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Bestand von Gott, weil Gottes Herrschaft währt „von Geschlecht zu

Geschlecht“13

„Denn der Herr ist gut; seine Gnade währt ewiglich und seine

Treue von Geschlecht zu Geschlecht.“ [alle weiteren Hervorhebungen

sind von mir/ T.K./]

:

14

„O Herr, dein Name währt ewig; Herr, dein Gedenken bleibt

von Geschlecht zu Geschlecht! “

15

In diesem Sinne hebt der Autor die Familienehre hervor, die er

mit Aufrechterhaltung der guten Traditionen und Glaube an Gott

verbindet. Sollte dies nicht geschehen, wird Gottesungläubigkeit

Unglück bringen, und Gottesgläubigkeit Segen und Rettung.

Ein weiterer interessanter Charakterzug der Zwillingsformeln

aus der Bibel muss noch vorgestellt werden, und zwar, dass sie als

Wortverbindungen nicht so stark idiomatisiert auftreten und kein

Entschlüsselungsproblem mit sich bringen. So zeichnet sich die

Zwillingsformel Alt und Jung durch einen geringeren Grad an

Idiomatizität aus. Alt und Jung bedeutet etwa jedermann, und wird in

dieser Bedeutung als fester Wortkomplex schon in der Heiligen

Schrift verwendet:

„Mose sprach: Wir wollen hinziehen mit jung und alt, mit

Söhnen und Töchtern, mit Schafen und Rindern; denn wir haben ein

Fest des HERRN“16

13 Bibelbeleg: Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985, 1.

Mose 17:7, weiter in: 1. Mose 17:9 und 2. Mose 3:15

14 Ebd. Psalmen 100, 5 15 Ebd, Psalmen 135, 13 16 Ebd., 2. Mosse 10, 9

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Der Kontext, in dem Gotthelf die Zwillingsformel verwendet, ist

der Folgende:

„Am folgenden Morgen lange vor der Sonne waren alt und

jung auf den Beinen, in allen regte sich die gleiche neugierige

Angst…“17

Durch das nachfolgende Zitat kann veranschaulicht werden, wie

der Idiomatizitätsgrad einer Zwillingsformel von dem einer paarigen

Wortkombination abweicht:

„Sie hörten, wie Christine nicht von der Türe wich; es fühlte das

arme Weib seiner wilden Schwägerin feurige Augen durch die Türe

hindurch, und sie brannten es durch Leib und Seele. […] Zagen und

Grauen ergriff die Männer, als Christine mit dem geraubten Kinde

herauskam.“18

Die Zwillingsformel durch Leib und Seele kann in Bezug auf die

biblische Deutung als idiomatisiert betrachtet werden, dagegen aber

ist die Wortkombination Zagen und Grauen bloß ein freies Wortpaar.

Die Zwillingsformel durch/mit Leib und Seele kann nicht nur als ein

Lexem fungieren, sondern Leib und Seele hat in Bezug auf Gottes

Schöpfung eine eigene Bedeutung. Leib und Seele meint eine

Einigkeit, die nicht nur in Bezug auf den menschlichen Körper gilt,

sondern die Angst vor dem Tod wird mit der Zuversicht in Gott

korreliert. Leib und Seele sind zentrale Begriffe des christlich-

religiösen Bezugsrahmens. Besonders wenn Gotthelfs Figuren

17 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 41 18 Ebd., S. 55

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Todesgefahr droht, wird Bezug auf Leben, Leib und Seele genommen.

Ein Beispiel dafür ist das folgende Zitat:

„Je näher die verhängnisvolle Stunde kam, um so näher drängte

das arme Weibchen sich zu Gott, umklammerte nicht mit den Armen

allein, sondern mit dem Leibe und der Seele und aus ganzem

Gemüte die Heilige Mutter, bittend um Schutz um ihres gebenedeiten

Sohnes willen. Und ihr ward immer klarer, dass im Leben und Sterben

in jeder Not der grösste Trost bei Gott sei, denn, wo der sei, da dürfe

der Böse nicht sein und hätte keine Macht.“19

Bei einer ähnlichen Beschreibung des Zustandes, wo die

Personen der Novelle große Angst erleben, verweist die

Zwillingsfomel Leib und Seele auf den Inhalt der Psalmen in der

Heiligen Schrift, wo neben Grundproblemen auch Alltagserfahrungen

thematisiert werden:

„HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst; meine Gestalt ist

verfallen vor Trauern, dazu meine Seele und mein Leib.“20

„Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du

doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“

21

An dem Beispiel der biblischen Zwillingsformel Leib und Seele

wird noch eine sprachliche Besonderheit offensichtlich. Sie betrifft die

Umwandlung des Ausdrucks „mit Leib und Seele“ und das

Hinzufügen von Nebenbedeutungen. Diese formelhafte Wendung, die

auf die Heilige Schrift zurückgeführt werden kann, ist im

19 Ebd., S. 42 20 Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985, Psalmen 31, 10 21 Ebd., Psalmen 73, 26

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Gegenwartsdeutschen im Sinne von „völlig, ganz und gar“22

Neben dem Idiomatizitätsgrad scheinen die Zwillingsformeln

noch durch ihre phono-stilistische Eigenschaften wie Alliteration,

End- und Stabreim für die Narrative von Gotthelf von Bedeutung zu

sein. Gotthelf benutzt ihren Rhythmus und Wortklang absichtlich, um

an mehreren Stellen auf biblische Motive wie Sündenfall und

Erlösung, Verfall von Sitten und Moral wie in den Städten Sodom und

Gomorra, Selbstopferung und Egozentrismus, Gottesfurcht und

Gottlosigkeit, Nächstenliebe und Menschenliebe, usw. zu verweisen.

zu

verstehen. In diesem Fall ist ein Idiomatisierungsprozess eingetreten.

In seiner Novelle stützt sich Gotthelf oft auf

Gegenüberstellungen, die als Oppositionen in der Heiligen Schrift

gefungen werden können. Einer der zentralen Gegensätze ist der

ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Dieser Kampf wird von dem

Autor mit Gottes Herrschaft verbunden, welche für die Novelle

grundliegend ist. Diesem Kampf sind auch die Personen der

Erzählung unterworfen. Gut und Böse bestimmen ihr Leben im Alltag

und falls sie sich auf die Traditionen stützen, treffen sie die richtige

Wahl und leben im Einklang mit Gott ihr ganzes Leben lang. Der

Widerspruch von Gut und Böse ist auch eine zentrale Opposition in

der biblischen Auslegung. Dieser Gegensatz wird als grundlegend

bereits in der Schöpfungsgeschichte vorgestellt:

22 Laut Duden – Wörterbuch der Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten

(1992, S. 446) hat die Zwilingsformel „mit Leib und Seele“ zwei Nebenbedeutungen, die heutzutage relevant sind: 1. mit Begeisterung für etwas oder 2. ganz und gar.

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„Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie

unsereiner und weiß, was gut und böse ist.“23

Laut dieser Ansicht zählt die Fähigkeit, Gut und Böse

unterscheiden zu können, zu einer der höchsten Tugenden des

gottgefälligen Menschen. Gotthelfs Personen vermögen deswegen

auch, Gut und Böse abzugrenzen. Wenn die Hauptfiguren den

Gottesgesetzen und guten Sitten und Moral folgen, so werden sie in

ihrem Leben belohnt. Solcher Überzeugung ist auch der Autor der

Novellle, und weil er die guten Charaktere als Vorbild bestätigen

möchte, lässt er sie am Ende triumphieren. Damit setzt sich die

Übermacht des Positiven durch:

„Es wurden rechtschaffene, gottesfürchtige Menschen, die

Gnade bei Gott hatten und Wohlgefallen bei den Menschen, die Segen

im Leben fanden und im Himmel noch mehr. Und so blieb es in der

Familie, und man fürchtete die Spinne nicht, denn man fürchtete

Gott...24

Die Konstruktion Gnade bei Gott und Wohlgefallen bei den

Menschen ähnelt der Konstruktion der Zwillingsformeln. Sie erinnert

wiederum an den biblischen Stoff. Die Gnade ermöglicht laut

theologischer Deutung ein christliches Leben (vgl. 2. Brief des Paulus

an Titus, 11-13). Weiter wird die Gnade Gottes mit der Gottesfurcht

als Tugenden angesehen:

23 Die Bibel 1985, 1. Mose 3, 22 24 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 89

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„Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, läßt er seine

Gnade walten über denen, die ihn fürchten.“25

Gnade bei Gott und Wohlgefallen bei den Menschen werden oft

mit der biblischen Figur von Hiob verbunden. Hiobsgestalt wird oft

zum Symbol des leidenden Menschen, der in all seinem Leiden, seiner

Trauer und materiellem Verlust seinem Gott treu blieb. Gnade bei

Gott und Wohlgefallen bei den Menschen werden von Gotthelf

vielleicht deswegen kombiniert, um an Gott - Mensch - Beziehung zu

erinnern. In dieser Hinsicht wird die ethisch aufgefasste Idee über das

Leben eines gottgefälligen Christen expliziert.

Da für Gotthelf christliche Moralvorstellung und Tugenden wie

Gottesfurcht und -liebe einen besonderen Akzent darstellen, bedient er

sich zuzüglicher biblischer Zwillingsformeln, die auf die Relation

Gott-Mensch beruhen. In dieser Hinsicht lässt sich die Hingabe zu

Gott im Gegensatz zur Furcht vor dem Teufel auch als Hingabe zur

Familie auffassen. Die Zwillingsformel, die die Selbstopferung der

Eltern für ihre Kinder versinnbildlicht, lautet mit Weib und Kind. Wie

dieses Wortpaar die erzählerische Technik von Gotthelf unterstützen

können, lässt sich am folgenden Beispiel erkennen:

„es war etwas in ihm, das ihn trieb, das ihm die Haare auf dem

Kopfe emportrieb: es war das Gewissen, das ihm sagte, was ein Vater

verdiene, der Weib und Kind verrate, es war die Liebe, die er doch

noch hatte zu seinem Weibe und seiner Leibesfrucht. Aber dann hielt

ihn wieder ein anderes, und das war stärker als das erste, es war die

25 Die Bibel 1985, Psalmen, 103, 17

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Furcht vor den Menschen, die Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu

dem, was dieser ihm nehmen konnte..“26

In dieser Hinsicht erinnert der Inhalt der Zwillingsformel Kind

und Weib wieder an die Worte Moses, wo die Kraft und Macht der

Liebe zu Gott mit der Familienliebe einen unzertrennlichen Bund

bilden:

„Spricht aber der Knecht: Ich habe meinen Herren lieb und mein

Weib und Kind“27

Um darzulegen, wie wichtig Gottes- und Familienliebe sind,

benutzt Gotthelf die Methode der Gegenüberstellung. So vergleicht er

die positiven Gefühle mit den negativen wie Angst und Schrecken vor

der schwarzen Spinne. An die Beschreibungen über Angst und

Schrecken lässt sich die Absicht Gotthelfs ablesen, die schrecklichen

Szenen als eine Strafe Gottes darzustellen. Um diesen Gedanken zu

bekräftigen, gebraucht der Novelist wieder Zwillingsformeln, die

direkt auf den Inhalt der Heiligen Schrift verweisen:

„ … und ihr war, als ob von spitzigem Eisen aus Feuer durch

Mark und Bein fahre, durch Leib und Seele“28

oder auch wie im Beispiel:

,

„Da zuckte zweischneidend der Schmerz ihm durch Mark und

Bein, es dunkelte vor seinen Augen, es fühlte das Nahen seiner Stunde

und war allein.“ 29

26 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 55-56

27 Die Bibel 1985, 2. Mose 21, 5 28 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 33 29 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 53

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Durch die Zwillingsformel „durch Mark und Bein“ verkörpert

Gotthelf den Schmerz, der die Personen in der Novelle überfällt. Trotz

des Leidens konnte im ersten Fall die treue Mutter und im zweiten

Fall der treue Vater die Schmerzen heldenhaft überwinden. Was bei

der Bekämpfung der Leiden half, war der Gedanke an das eigene Kind

und die Kraft ihres Geistes. Man kann in diesem Kontext vermuten,

dass der Autor den starken Geist und die reine Seele, die der Familie

und Gott treu sind, durch die Zwillingsformel „durch Mark und Bein“

den biblischen Stoff anspricht, wie im Buch der Häbraeer über das

Wesen und Wirken des Wortes Gottes:

„Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer

denn kein zweischneidig Schwert, und dringt durch, bis daß es

scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der

Gedanken und Sinne des Herzens.“ 30

Der Glaube an Gott, die Hingabe an Weib und Kind werden

vom Autor als höchste Tugenden dargestellt. Diese Eigenschaften

verleihen den Personen der Novelle die Kraft, sich vom Bösen zu

retten. Das Böse verbindet der Autor mit dem Verlust an Sitten und

Moral, aber vor allem an Gottesfurcht. Diesbezüglich erleben die

negativen Figuren von Gotthelf Schrecken, Rache und sterben sogar

in höllischen Quallen. All dieses Leiden wurde eigentlich nicht von

der schwarzen Spinne zugefügt, sondern von der verfallenen

menschlichen Natur. Dadurch lässt sich eine letzte Anspielung

Gotthelfs aufdecken, und zwar, dass solange man das Wort Gottes

30 Die Bibel 1985, Häbraeer 4, 12

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befolge, würde der gottesgefällige Mensch wie der Mensch in der

Novelle „Die schwarze Spinne“ genug Grund zum üppigen Feiern

haben, wie in der Anfangsszene mit der Tauffeier. Um dies zu

akzentuieren, verweist der Autor an mehreren Stellen auf die Heilige

Schrift. Wie sich am Ende der Novelle herausstellt, besteht die

höchste menschliche Tugend im Befolgen der Gesetze Gottes.

Die abschließenden Gedanken des dargestellten Beitrags zur

Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf widmen sich

der Rolle der ihnertextuellen Bezügen, die dieses lieterarische

Verfahren auf die Auslegung der Narrative ausübt. Die in den beiden

Teilen der Arbeit genannten Beispiele veranschaulichen eine tiefere

schriftstellerische Intention von Gotthelf bezüglich der intertextuellen

Verweise auf die Bibel. Besondes wichtig für das Zusammenspiel von

biblischer Bezogenheit und erzählerischer Technik ist die

Verwendung von biblischen Motiven. Die Arbeit behandelte die

folgenden Motive: Das Motiv der Taufe, die Märtyrertaten einer

Mutter in der ersten Rahmenerzählung und eines Vaters in der

zweiten. Das Pakt-Motiv zwischen Christine und dem Teufel wurde

auch als intertextueller Bezug zur Bibel angesehen. Biblische

Verweise werden vom Autor textimmanent genutzt, um dadurch den

Verlauf der Novelle gestalterisch steigern zu können. Gotthelf malt

Naturphänomene, beschreibt menschliche Zustände und verweist

gleichzeitig auf biblischen Stoff.

3. Schlusswort

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Weil Gotthelf sehr oft auf die Bücher Moses und auf die

Angstvorstellungen aus der Apokalypse greift, können die

Handlungen seiner Personen als eine Handlungen mit Bibelverweis

gedeutet werden. Dabei lassen sich sozialkritische Züge bemerken. Ob

er seine Figuren verbannt, sie ins Verderben schickt oder anpreist,

hängt davon ab, ob sie im Einklag mit dem Wort Gottes, mit Gottes

Gesetzen und mit den Gesetzen der erhabenen menschlichen Natur

leben. Wegen Nichtbeauchtung Gottes und seines Willens werden die

Bauern aus dem Sumiswald für ihren Unglauben mit der

Spinnenseuche bestraft. Damit richtet sich die Kritik Gotthelfs an den

Hang zum Unglauben, den er in seiner Zeit als Pfarrer und

Schriftsteller leider erkennen kann.

Gotthelf benutzt demzufolge den biblischen Stoff, um die

religiösen Schwächen der Gesellschaft brandzumarken. Er bedient

sich dabei inhaltlicher und sprachlicher Intertextualität zur Bibel. In

der vorliegenden Arbeit wurden beide Verfahren thematisiert. Durch

die zahlreichen Verweise auf die Bibel konnte festgestellt werden,

dass sich die Novelle durch eine spürbar kritische Absicht

auszeichnet. Wie in der Arbeit behauptet wurde, sind die beiden

Aspekte der Intertextualität in der Novelle von Gotthelf in dem Maße

für die Narrative ausschlaggebend, damit er sie mehrmals als

surrealistische Provokation aufnimmt und sie in die Handlung durch

poetische Ausdrucksweise einfügt. Die Bibelanspielungen erscheinen

in einer so einprägsamen Art, dass man die Novelle „Die Schwarze

Spinne“ als eine intertextuelle Novelle betrachten kann. Letzendlich

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könnte noch festgestellt werden, dass sowohl das Repertoire des

biblischen Sprachgutes, als auch die zahlreichen Zwillingsformeln aus

der Bibel vom Autor als sozialkritisches Instrument verwendet

werden. Der Appell von Gotthelf ist ein Aufruf zur Achtung von guten

Sitten und Moral, aber auch zur Gottesfurcht und Hingabe zu Gottes

Wort.

Teodora Kiryakova-Dineva

Southwestern University Neofit Rilski,

Blagoevgrad, Bulgaria

[email protected]

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

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Deutsche Bibelgesellschaft 1985.

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Verlag, 2008.

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Bochum: Brockmeyer, 1998.

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In: Proverbium 7, 1990, S. 57– 75.

Gielkens, Leo: Mehr als Sieg und Niederlage. Berlin: LIT

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Stierle/ Warning: Poetik und Hermeneutik XI: Das Gespräch.

München: Wilhelm Fink Verlag (1984). S. 133 - 138.

Mahlmann, Barbara (Hrsg.): Jeremias Gotthelf, der Querdenker

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Schmelzer, Kirsten: Zu Jeremias Gotthelf „Die Schwarze

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Mieder, Wolfgang: Jeremias Gotthelf. Die schwarze Spinne.

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Mieder, Wolfgang: Sprichwort. Redensart. Zitat. Bern/Frankfurt

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Mieder, Wolfgang (Hrsg.): Deutsche Sprichwörter in Literatur,

Politik, Presse und Werbung. Hamburg: Helmut Buske Verlag 1983.