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Die Ziiohtung und Verbreituiig der Angoraziege in der Tiirkei. Die Feinheitsbestimmungen und die airtschaftliche Bedeutung der 1IIohairwolle. Vasfi Samim. Von Aus dem Institut fiir Tierzucht und Haustiergenetik der Landwirtschaftl. Hochscliiile Berlin. Direlitor: Professor Dr. Dr. 11. c. K r o n a c he r. Mit ‘i Abbildungen, 1 graphischen Darstellung somie 1 Karte. Inhalt: 1. Einleitung. - 2. Allge~neines und Geschichtliches. - 3. Die Beschreibung und Haltung der Angoraziege. - 4. Die Verbreitung der Ziegenzucht. ins- besondere der Angoraziegenzucht in der Tiirlrei. Umfang und Bedeutung des Wollhandels. MaBnahmen zur Fiirderung der Angorazie,rrenzucht. - 3. Die Mohairwolle. a) Das Vlies der Angoraziege. b) die Verteilung der Mohairwolle nach der Feinheit. c) Eigene Untersuchungen. 1. Feinheitsuntersuchungen der Mohairwolle von einjahrigen, zweijahrigen und uber 2 Jahre alten Tieren. 2. Mikroskopische Untersuchungen der Mohairwolle. 3. Untersuchungen der niechanischen Eigenschaften der Mohairwolle. - 6. Zusaninienfassung und Ausblick. 1. Einleitung. Die zalilreicli vorliegenden Arbeiten uber turkische Viehzucht be- handeln meistens die groljen Haustiere (Pferde-, Rinder- und Schafzucht). Uber die weltberiihmte Angoraziege, die iiberall bekannt ist in Amerika, Afrika und Australien und die bei der Verbesserung der Landziege eine grolje Rolle gespielt hat und lientzutage von groljer wirtschaftlicher Be- deutung ist, sind noch keine neuen Spezialuntersucliungen aufgestellt worden. Auch uber die originellen Feinheitsbestimmungen der Mohair- wolle ist sehr wenig geschrieben. Die groSe wirtschaftliche Bedeutung und das steigende Interesse fiir die Mohairwolle - im letzten Jahre fulirte auch Deutschland gelbe Moliairwolle ein - rechtfertigten wohl eine ein- geliendere Bearbeitung der Angoraziegenzucht. Nach dem Welt- und nach dem Freilieitskriege hat sich das Ver- hreitungsgebiet der Angoraziege wesentlich verandert. Walirend des Welt- krieges sind die Einwoliner der Ostprovinzen nach Mittelkleinasien ver- trieben worden und haben nacli Beendigung des Krieges diese wertvollen Tiere nach Osten mitgenommen. Im Freiheitskriege sind durch die grie- chische Armee tausend und abertausende von Angoraziegen zugrunde ge- gangen. Icli hatte Gelegenheit, wahrend meiner TBtigkeit und auf Studien- reisen die Provinzen Ankara, Izmir, Balikesir, Eskischehir, Ismit, Samssun, Bafra, Terme, Scharschanba, Kastamonu, Bolu, Daday, Songuldak und Stambul zu besichtigen, von denen einige fur Angorazucht besonders ge- eignet waren.

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Page 1: Die Züchtung und Verbreitung der Angoraziege in der Türkei. : Die Feinheitsbestimmungen und die wirtschaftliche Bedeutung der Mohairwolle

Die Ziiohtung und Verbreituiig der Angoraziege in der Tiirkei.

Die Feinheitsbestimmungen und die airtschaftliche Bedeutung der 1IIohairwolle.

Vasfi Samim. Von

Aus dem Institut fiir Tierzucht und Haustiergenetik der Landwirtschaftl. Hochscliiile Berlin. Direlitor: Professor Dr. Dr. 11. c. K r o n a c he r.

Mit ‘i Abbildungen, 1 graphischen Darstellung somie 1 Karte.

Inhalt: 1. Einleitung. - 2. Allge~neines und Geschichtliches. - 3. Die Beschreibung und Haltung der Angoraziege. - 4. Die Verbreitung der Ziegenzucht. ins- besondere der Angoraziegenzucht in der Tiirlrei. Umfang und Bedeutung des Wollhandels. MaBnahmen zur Fiirderung der Angorazie,rrenzucht. - 3. Die Mohairwolle. a) Das Vlies der Angoraziege. b) die Verteilung der Mohairwolle nach der Feinheit. c) Eigene Untersuchungen. 1. Feinheitsuntersuchungen der Mohairwolle von einjahrigen, zweijahrigen und uber 2 Jahre alten Tieren. 2. Mikroskopische Untersuchungen der Mohairwolle. 3. Untersuchungen der niechanischen Eigenschaften der Mohairwolle. - 6. Zusaninienfassung und Ausblick.

1. Einleitung. Die zalilreicli vorliegenden Arbeiten uber turkische Viehzucht be-

handeln meistens die groljen Haustiere (Pferde-, Rinder- und Schafzucht). Uber die weltberiihmte Angoraziege, die iiberall bekannt ist in Amerika, Afrika und Australien und die bei der Verbesserung der Landziege eine grolje Rolle gespielt hat und lientzutage von groljer wirtschaftlicher Be- deutung ist, sind noch keine neuen Spezialuntersucliungen aufgestellt worden. Auch uber die originellen Feinheitsbestimmungen der Mohair- wolle ist sehr wenig geschrieben. Die groSe wirtschaftliche Bedeutung und das steigende Interesse fiir die Mohairwolle - im letzten Jahre fulirte auch Deutschland gelbe Moliairwolle ein - rechtfertigten wohl eine ein- geliendere Bearbeitung der Angoraziegenzucht.

Nach dem Welt- und nach dem Freilieitskriege hat sich das Ver- hreitungsgebiet der Angoraziege wesentlich verandert. Walirend des Welt- krieges sind die Einwoliner der Ostprovinzen nach Mittelkleinasien ver- trieben worden und haben nacli Beendigung des Krieges diese wertvollen Tiere nach Osten mitgenommen. Im Freiheitskriege sind durch die grie- chische Armee tausend und abertausende von Angoraziegen zugrunde ge- gangen. Icli hatte Gelegenheit, wahrend meiner TBtigkeit und auf Studien- reisen die Provinzen Ankara, Izmir, Balikesir, Eskischehir, Ismit, Samssun, Bafra, Terme, Scharschanba, Kastamonu, Bolu, Daday, Songuldak und Stambul zu besichtigen, von denen einige fur Angorazucht besonders ge- eignet waren.

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42 Samiin:

AUS den oben ernahnten Granden sali ich mich veranlafit, iiber die originelle Angoraziege und die Mohairwolle eingehend zu berichten.

2. dllgenieines und Geschichtliches. Schon vor alter Zeit x a r die Ziegenzucht in Kleinasien sehr beruhmt

(E d. H a h n und R ii t i m e y e Y). Assyrer, Perser, Juden uiid Griechen halsen sich schon im Xittelalter init dieser Zucht beschaftigt. Wir sehen hangeohrige Ziegenrassendarstellungen in assyrischen Reliefs, und K r o - n n c h e r nimint an, daI3 diese Erscheinungen der EinfluB einer langen Domestiliation sein mussen. Aus Ziegenhaar verfertigten die Griechen nach H o f f in a n n folgende Gegenstande: Zeltdeclien, Hate, Schirme, Stiicke, Segel, Schiffsseile, h t r a t z e n , Soldaten- uiid Matrosenmantel, Slilavenkit tel, Seile, Schniire, Bander, Vorhangstoffe, Polierlappen, Periicken, Socken uiid Schuhe. In der griechischen Mythologie hat die Ziege eine groDe Rolle gespielt. Sie wurde als Opfertier in Tempeln ge- schlachtet. Den aus der Ziegenmilch gewonneneii Kase und das Fleisch der Lammer haben die Griechen sehr geschatzt. Nach K r o n a c h e r lebten damals in Kleinasien Ziegenrassen mit Haar von weiclister und feinster Beschaffenheit, und andere Autoren erwahnen, daf3 in der Stadt Nillet die Wolle der Angoraziege Verwendung fand.

Die ju- dischen Frauen konnten die Haare der Ziegen sehr gut verarbeiten. Sogar illl heiligen Buche Talmud stehen sehr interessante technische Erklarungen iiber Ziegenzucht, und im Buch Moses 35, 21 kann man als Hebopfer neben Seide, Silber und Gold auch Ziegenhaar finden.

Von T h o m p s o n und anderen Autoren wird geschrieben, daB die Angoraziege schon als Haustier Verwendung fand, als Moses die Israeliten yon den Agyptern errettete.

Die erste wichtige Nachricht stammt von dem Venezianer J o s a f a B a r b a r 0. Er hat im Jahre 1471 eine Reise nach Persien gemacht, dort die wertvollen Tiere kennengelernt und gelobt. Er traf die Tiere aber nicht in Angora, sondern in der weit entlegenen Stadt Siirt; noch heute hpielt die Angoraziegenzucht in der Provinz Siirt eine groRe Rolle. In der Stadt selbst befinden sich 397 Landziegen und 3391 Angoraziegen, wogegen sich die Zahl der Angoraziegen in der Provinz auf 5724 belauft. Wie wir aus den Reisenotizen B a r b a r o s sehen, haben die Einwohner aus der Mohairwolle, ,,Camelot" genannte Stoffe verfertigt. Damals hatte die Kamelwolle ihren Wert verloren und die Mohairwolle trat an ihre Stelle. Das Wort Camelot ist aus damaliger Zeit noch zuriickgeblieben.

Die zweite Nachricht stammt von B e 1 o n i II 8. Er traf die Tiere in Mittelkleinasien in der Stadt Konya. Die Provinz Konya ist auch heute ein Hauptzuchtgebiet der Angoraziege. Aus Beschreibungen von B e - 1 o n i u s (1589) sehen wir, da13 die Tiere fruher nicht geschoren, sondern tlurch einfache Methode gerupft wurden.

In Europa hat ein Italiener, Nomusmatiker S e s t i n i , den Namen Angora zum erstenmal verbreitet. Er machte im Jahre 1794 eine Reise iiber Rom, Stambul und Bnkarest und gab hieriiber ein Buch heraus. Er schrieb darin iiber das seidenweiche, langwollige Haar der Ziege (Angora). E d. H a h n nimmt an, daf3 die ersten Nachrichten uber die Angoraziege von der Stadt Siirt stammen und daB S e s t i n i unter dem EinfluB des heriihmten Verfassers B II f f o n stand, so daI3 die Verallgemeinerung und Verbreitung des Angoranamen nicht richtig waren.

Auch die Juden waren beriihmt wegen ihrer Ziegenzucht.

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Die Ziichtuiig iund Verbreitwig der Angoraziejie in der Turkei. 43

Wenn man aber bedenkt, da13 das Hauptzuchtgebiet der Tiere heute iioch immer Angora ist, da13 der Idealtyp der Angoraziege am besten dort g'edeiht, wenn man ferner das von dieaer Provinz stammende Angora- material, das heute in Afrika, Amerika und Australien eine grofie okono- miache Bedeutung gewonnen hat, betrachtet und schliefilich iioch an die Feinheitsmutationen der in Angora lebenden Katzen, Raninchen nnd Hunde denkt, so mu13 man, wenn man alle diese Faktoren zusammennimmt, S e s t i n i rechtpehen.

In der ganzen Welt hat die Angoraziege bei der Verbesserung der Ziegenzucht eine gro13e Rolle gespielt. In alter Zeit waren die Mohairschals hehr I,eruhmt. Als im letzten halben Jahrhundert die Tuchfabriken im O!tzident, einen groI3en Aufschwung nahmen, herrschte groBe Nachfrage ii;icli roher Mohairwolle. In dieser Zeit versuchte man, die Angoraziege in Amerilta, Afrik:i nnd Australien bodenstandig zu machen.

In tlieser Epoche fuhrten Holland (1554-1725)) Schweden (1740), Kitfiland (1811) und Ostereich diese Tiere ein, haben aber keine guten Re? idtale erzielt. Spater versuchten es Frankreich, Italien, Spanien, Eng- land und Deutschland, ebenfalls mit negativem Erfolg. Die Angoraziege kocnl e sich in diesen Lnndern nicht altklimatisieren und bodenstandig T \ ~ r d e n , sondern ist in Parks und Hijfen der Prinzen und Grafen sowie in zoologischen Garten als Schautier geblieben. Heute findet man in Bul- gai-ien eine kleine Herde in dem Kaja-Burun-Gestut (30-40 Stuck). Diese Tiere sind aus verschiedenen Gebieten gesammelt, die zum erstenmal 1891 in die Stadt Panajir eingefuhrt u-orden sind. Sie sind heute in einer be- dauernswerten Verfassung. Die Wolle hat an Qualitat verloren, das Wachstum der Lammer ist fehlerhaft und die Tiere sind gegen Krankheit A i r empfindlich.

Rufiland. dessen liidustrie in den letzten Jaliren einen gewaltigen Aufschwung genommen hat, interessiert sich fur feine Wolle und deshalb auch fur die Zucht der Angoraziege. Zum zweiten Male (im Jahre 1880) iniportierte der Zar eine kleine Herde aus Anatolien und verpflanzte sie in verschiedene Gebiete SiidimSlands. Die neue Regieiung hat alle diese Tiere in Soholz gesammelt nnd in Sud-OstruBland ein Institut fur Mohair- wolle eingeiich te t .

Auch die syi-ische Regierung besitzt in den Nordgebieten Syriene ungefahr 5000 Angoraziegen, die heutzutage auch gut gedeihen und 1 his 3 k g Mohairwolle seben (Omar Termanini).

Seit 70-80 Jahren haben Afrika, Amerika und Australien zu ver- schiedenen Zeiten Angoraziegen importiert und auf Grund dieses Materials gro13e Zuchtgebiete aufgebaut. Zur Zeit des Sultans Abdulmedschitt und des Sultans Abdulhamit begann ein tragischer Abschnitt fur die Angoraziegen- zucht infolge starken aggressiven politischen Imports der Tiere nach uber- sceischen Landern. Da die Mohairwolle ein Hauptprodukt des Landes war, sind heute viele Dijrfer und tausende von Bauern in Mittelanatolien im Elend, ein Umstand, den ich hier nicht naher beschreiben kann.

In Afrika (Cap.) hat erstmalig H e n d e r s o n und spater, im Jahre 1875, Dr. W i h i t i die Angoraziege importiert. Fur Amerika kijnnen wir kcin Datum geben, weil die Meinungen in der auf diesem Gebiet vorhan- denen Literatur auseinandergehen. Allgemein ist aber bekannt, daB ini Jalire 1849 Dr. J a m e s B. D a w i s 9 Tiere einfuhrte und andere Zuchter hich spdter ebenfalls verdient gemacht haben. Heute ist der Bestand an Mohairn-olle so gro8, da13 Amerika seinen Bedarf im eigenen Lande decken kiIl]n, wenn auch die Qualitat der Wolle bei weitem nicht, an die der tiir-

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44 Samim:

kisclien heranreicht. Daruber schreibt T h o m p s o n in seinem beruhmten Buch uber die Turkei folgendes: ,,Hier hat sich diese beruhmte Ziege zur hiichsten Vollkommenheit entwickelt, die bis jetzt weder am Cap der guten Hoffnung, noch in den Vereinigten Staaten erreicht worden ist" (S. 5, Die Angoraziege, 1902). Dieser Satz hat noch heute Berechtigung, und die amerikanische sowie die afrikanische Mohairwolle kann sich an Glanz, Feinheit, Elastizitat und nach prozentualer Zusammensetzung der groben Haare (K e m p) mit der turkischen Mohairwolle immer noch nicht ver- gleichen, ebenso stehen die Preise in den verschiedenen internationalen Wollauktionen fur die turkische Wolle am hiichsten.

3. Die Beschreibung und Haltung der Angoraziege. Die Angoraziege ist mit eine der wertvollsten Ziegenarteii der Welt

(Abb. 1). Der Abstammung nach gehort sie zu dem Capra prisca-Typ, und

Abb. 1. Zwei priimiiertc Angora-ZiegenbOcke vcn Haymann (SchcrcflikOy).

sogar A d a m e t z schreibt, daI3 gerade der Typ ein Musterbeispiel dieser Gruppe ist. Alle Autoren sind sich daruber einig, daI3 die Angoraziege durch Mutation entstanden ist, (E. W u c h e r e r). Es ist nicht moglich festzustellen, in welcher Zeit diese Mutation entstanden und von welchem Volke sie erstmalig ausgeniitzt worden ist, aber man kann mit Bestimmt- heit annehmen, daI3 sie von Mittelkleinasien ausgegangen ist, denn solche Wollfeinheitsmutation konnen wir hier auch bei anderen Tieren wahr- nehmen (Angorakatze, Angorakaninchen). Es ist schwer, alle vorhandenen Angoraziegen in einem bestimmten Typ zu beschreiben, denn es gibt mehrere und verschiedene Unterschlage. Die Ursachen, die diese Unter- schlage geschaffen haben, kann man in 2 Gruppen zusammenfassen: in der naturlichen und in der kulturellen. Die naturliche erklart sich aus der Verschiedenartigkeit der geologischen Beschaffenheit anatolischen Bodens, den in verschiedenen Provinzen veranderten Vegetationsverhaltnissen und den verschiedenen, zwischen 2 Extremen schwankenden klimatischen Be- dingungen. Die kulturelle ist der gesteigerte Bedarf der Fabriken an Mohairwolle, der die Kreuzung zwischen reiner Angoraziege und gemeiner Landziege verursachte, um die jahrliche Produktion zu heben. Auf diese

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Die Ziichtung und Verbreitunp der Angoraziepe in cler Tiirkei. 45

150 9

.57 56 21 30 80

Weise hat die vollblutige Angoraziege in manchen Gebieten teilweise iliren 1'91) verloren. Man hat solche Kreuzungen in Ajasch, Mihaldschik und Eskischehir z. B. vorgenommen und diese Tiere nennt man ,,J a r i ni - Ankara" oder ,,Gewrem". AuBerdem hat man von Dortdivan-Daday Zucht- hocke, die wegen des Fettreichtums ihres Vlieses bekannt waren, in ver- schiedene Gebiete gebracht und mit Angoraziegen gekreuzt. Die Folge war, daB die Wolle an FettschweiB gewann, an Feinheit aber verlor.

Als der Preis der Mohairwolle sank, wollte inan sich nicht nur auf die Zuchtrichtung feiner Wolle einstellen, sondern auch die Milch ver- werten. Deshalb kreuzte man z. B. die Tiere init Terrosgebirgsziegen, die inehr Milch gaben. Die Kulturstufe des Zuchters war sehr primitiv und ea bestand kein Verband, der die Zuchter unter einem Ziel zusammen- schlieBen konnte. Leider sind bis heute noch keine tierzuchterischen Zeit- schriften und Biicher in der Turkei veroffentlicht, die sich direkt init dieseii Fragen befassen. Aus obig angefuhrten Grunden sind verschiedene Unter- schlage entstanden, auf Einzelheiten kann ich aber hier nicht naher ein- gehen, weil in der Tiirkei auf diesem Gebiet noch keine wissenschaftliche Literatur vorhanden ist.

Die anatomische Bescliaffenheit der verschiedenen Unterschlaige ist his jetzt noch nicht biometrisch bearbeitet und die physiologischen Eigen- schaften nicht untersucht worden. Alle Kenntnisse auf diesem Gebiet sind enipirisch und beruhen auf Erzahlungen von alten Zuchtern.

Die Vollblutangoraziege ist ein kleines Tier mit einem feinen kleineii Kopf (Abb. 1). Eine oft beobachtete etwas konkave Profillinie gilt als Zeichen voii Rassenreinheit (z. B. B e y p a s a r i). Der Kopf ist mit kurzen, glanzenden, ziemlich weichen Stichelhaaren bedeckt. Man legt auf diese Eigenschaft besonderen Wert bei Zuchtbocken. Bei den mannliclien Tieren sind die Homer, die meistens eine weiBe Farbe haben und am Rande eine schnurartig gefarbte Flache, welche bis zur Spitze lauft, lang, machtig und spiralenformig nach hinten gebogen. Die weiblichen Tiere haben kleinere Homer, die sogar manchmal ganz fehlen. Die Ohren sind 10 cm lang und stehen gespreizt. Bei Znchttieren wunscht man die obere Flache der Ohren mit feinen Haaren bedeckt. Der Hals ist ziemlich dunn, die Brust tief und hreit, das Becken ein wenig schmal und schrag und der Rucken breit, mit gnter Muskulatur bedeckt. Im allgemeinen haben die Tiere sehr gut und kraftig gebaute GliedmaBen. Die Widerristhohe schwankt zwischen 50 his 68 cm und das Korpergewicht betragt bei mannlichen Tieren 40-45 kq, bei weiblichen 30-36 kg (Tabelle 1). Die Angoraziegen haben im all-

146 9 4 3

57 56 21 29 75

T a b e l l e 1. N e s s n n g e n [cm) u n d W a g n n g e n ( S g ) a n K o r p e r n u n d M o h a i r d e r 10 A n g o r a -

z i e g e n v o n Es k i s c h e h i r [ M u s t e r f a r m).

66 65 21 33 83 17 72

Nr. Alter

62 62 22 32 87 16 75

Wideristhiihe . . . Kienzhohe . . . . Brustbreite. . . . Brusttiefe . . . . Bnistumfang . . '. Hiiftenbreite . . . Korperlange . . . BBhrbeinumfang . . Korpergen-icht . . Gewicht des Nohails

- - 4d 2

68 66 22 35 90 15 67 10 41

-

2,425

- - 8d 2

68 69 20 35 82 18 72 11 41

2,700

-

- -_ 15 c3

2

64 64 21 36 83 17 67 11 36

2,890

61 61 19 31 75 15 66 10 29

2:200

- ~

164 9 4

57 56 21 30 77 16 64 10 33

2,800

- __.

140 $2 3

57 57 20 28 75 16 63 9

33 2,700

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gemeinen eine gute Konstitution, die aher bei Herden, in denen eine sehr starke Inzucht getrieben wordeii ist, stark naclilafit. Die Angoraziegen sind am ganzen Korper mit feinen, langen, silberg!anzenden Haaren he- deckt, auBer im Gesicht und dem unteren Teil der GliedmaBen. Von Zucht- hocken verlangt man, dalj aucli der Bauch rnit Wolle bedeckt ist. Die Angoraziegeii hahen aucli eine gnte Fleischleistung. Geschmack und Qualitat sincl weit besser als hei der Landziege. Nur wenii man die Tier<> lange Zeit mit Laub ernahrt, qo nimmt das Fleisch den Geschmacl; des Wildes an (T h o m p s on).

In lieutiger Zeit werdeii in manchen Provinzen die Angoraziegen ge- schlachtet. In den Bezirkeii Ki1)ridscliik und Gerede in der Wilajet Bola z. B. werden jahrlich 3000-4000 Tiere von der besitzenden Klasse ver- zehrt. (Die Laiidziege dieiit der armen Beviilkerung z i ~ r Nalirung.) Die Angoraziegen geben taglicli 600-1000 g Milch. Die Ziegen werden alwr nicht geniolken, sondern die Milch wird zur Aufzucht der Lammer ver- w,:indt. Als die Krise die Wollpreise driickte, versuchte man die Rentahili- tiit durch den Verkauf der Milch zu steigern.

Die Angornziege ist sehr empfindlich fiir Feuchtigkeit und Sclimntz, fulilt sich aber wohl bei Trockenheit und Kalte. Das tropische Klima hat ciiien grol3en EinflitB aiif die Wiichsigkeit, Feinheit und anf den Glaiiz der Wolle. Die meisten und hesten Znchtgebiete Mittelanatoliens liege11 bOC)-l000 m iiber deni Meereuspiegel, wogegen die niedrigen, feuchten und warmen Gebiete sowie die IJfer des Meeres nicht fur die Zucht geeignet sind. Rei alkalischem Boden vermindert sich der Fettgehalt und das game Vlies sieht trocken, zottig und sprode Bus. Man hat Angoraziegen in die an der Siidkiiste liegende Provinz Adanach gebracht, wo die Ziegen ihre wertvolle Wolle verloren. Z. B. sind auf dem Gute Kostaki in Akdejirmeii die Tiere wie weil3e Laiidziegen geworden. Solche Beispiele kann man noch bei den in diesem Gebiet lehenden Nomaden finden (Bez. Jerdelen). Die Angoraziegen leben in proBen Herden, denen man aber 2-3 Land- ziegeii zugiht. Die Tiere haben eiii lebhaftes und gutmutiges Teinperameiit. D P ~ Gesamteindruck von einer vollbliitigen Angoraziegenlierde iht winder- T. 011, besonders hei einer durchgeziichteten Herde. Ich stimme vollkommen El e r m a n n zii, der vor 22 Jahren an dem tiirltischen laiidwirtscliaftlicheii BIjnibterium lange Zeit hindurch gearheitet lint, wenn er in seinein Bnch s:agt: ,,Eb ist ein reizender Augenhlick, diese Tiere in Herden, in 800 1)is 1000 Stiick, iilner die Weideflachen ziehen zii sehen, ein Tier \vie cia. andere, mit dem silherweiflen, Inngen, lockigen Haar uiid dem verh#ltnib- mMig kleinen, ansdrucksvollen Kopf." Die Angoraziegen werden in selu primitiveii Lehenhverhaltnissen gehalten. Als Nnhrung dienen liaupt$%ch- lich Gehiische und Weiden, deiin in den meisten Fallen werdeii die Tier(. nicht, anders a15 die gewohnliche Landziege heliandelt. In dem Gebiete Haymana 1aBt man sogar alle Tiere ziisaniinen lehen (Landziegen, Fet t- schwaiizschafe und Angoraziegen). In Balten Winterii und stiirmischen Nacliten ziehen die Tiere in einfache Hiirden und Holileii (Giiz, Tavla. Kisclilak) wid in manchen Gebieten fehlen sogar diese einfachen Unter- stande. Hier d r a n F x sich die Tiere zusammen, die Schafer ziehen ihre groben Filztiiclier uber die Schulterii und iihernachten so im Freieii. Maiichmal ist die Nahrung SO karglicli vorhanden, daB die Tiere gezwungen sind, sich die sparlichen Graserreste mit, den FiiBen unter dem Schnee her- vorznsnchen. In dem strengen Winter 1926/27 sind 50 '/<, der Tiere in den meisten Bestanden zugrunde gegaiigea. Allgeineiii sclineidet man die feineii Aste voii den Gebiisclieii imd Banmen und strent hie den Tieren

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Die Ziiclituiig und Verbreituiig der Angoraziege in cler Tiirkei. 47

als Hauptiialiruiigsmittel liin. Es gibt aber Gebiete, wo die Tiere Gerste, Hnfer, Spreu und Heu, die ZuclitMclie dagegeii in der Deckzeit taglich 70-90 g Hafer und Gerste bekommen. Die Angoraziegen lieben das juiigc! Laub und junge Gebiisclie (Zwergeichen, Lorbeerbaume, wilde Apfel, Pflaumen uiid Rosen, wilcle Brom- und Himbeeren und verscliedene Laub- b aiu me).

Wenii maii bith voii den l'ferii Mittelanatolieiis der Mitte Z U bewegt, S(J verschwinden langsam die Wiilder, die Reilien licliten sicli, bis nian zu- letzt nur nocli CSehiische sielit. Hier zeigt, d a s Plateau Mittelanatolieiis ein g m z anderes T'egetationsgesiclit, welclies fiir extensive Tierzucht, he- sonders Ziegen- uiid demnach aucli Angorazuclit, besonders giinstig iht.

- - - 4. Die Verbreitung cler Ziegenzucht, iiisbesoiirlere der Aiigorazicpen-

dlalbnahmen zur Fiirderung der Zucht. zueht in der Tiirkei. Urnfang uncl Bedeutung cles Wollhantlels.

In Mittelamtolien ist die Bedeutung der Ziegenzuclit groDer als n i ~ n aiiniriimt. Der ganze Bestand belauft sich auf 10 Millionen, wovoii 3 Mil- lionen hngoraziegen sind. Zur Erklarung der Schwankungen in den Be- standen hringe icli eine Tabelle, welclie aber nicht unbedingt zuverlashig ist, (la die sozialen Bedingungen in der Tiirkei lreine genaue Statistik zii- lassen. Der Bestand ist aber bedeutend holier.

It&\.< Jnliigaiig l ' l5 Jnliignnl l!Qb Jdiigairg 1'13 Landziegen . . . . . 790GGOS s 115 ss0 6 753 356 Aiigoiuiegen . . . . 2 713 940 2 760 502 2 571 576

Die Ziegenznclit ist fiir die meisten armen tiirkisclieii Bauern un- entbelirlicli, weil die Ziege die Iiuli ersetzt. In steinigen, felsigeii untl trockeiien Gebieten, wo die anderen Tiere den Bauer verlassen miissen, hleibt die Ziege als t r a m Haustier zuriick. Sie klettert mit iliren ge- lenkigeii Gliedeni und stalilliarten Klauen in die unglaubliclisten Gebiete, 5ucht sehr fleihig ihre Nalirung und bringt jeden Abend 'I2-l 1 Milch in h e m Euter zuriick. Die ganze tiirkische Flache setzt sich heute aus 30 "I,, Odland, 36 "/" Weiden wid Wiesen, 12 o/i, Waldern und das iibrige aus Acker und den verdiiedenen Kulturbauten zuhainmen. Deshalb ist e5 leiclit ver- standlich, claD hei solclier Verteilung des Bodens die Ziegenzuclit selir billig ist. Die Dichtigkeit cler Bevolkerung erreiclit in Mittelkleinasieii den tierten und im Osten den fiiiiften Grad. Darum hat hier die Kleinvieli- znclit die groDte Bedeutung, melir als alle anderen wirtschaftlichen Zweige. Dn,i einzige Eigentum der in den Siidprovinzen lebendeii Nomaden ist die Scliaf- und Ziegenznclit, z. B. in Adam, Aiiamu, Alaije, Manaugat, Antalia. Meiitesclie, Vzunjajla. Die Zelte, in tienen die Nomaden leben, sind a u ~ Ziegenlianr verfertigt. Die wichtigsten Einrichtungsgegenstande sind Decken und Teppiche, denii die Hauptbescliafiigung der Frauen bestelit im Wehen von Ziegen- und Scliafwolle. In der Gegend 17011 Vilajet Merabch ist der Ziegenbestand weit groDer als der der Scliafe. Die Einwoliner er- niilireii sich bib z u 96 "/, von Ziegenfleiscli. Die Westlsroviiizen hind die Lidtiviertesten Gel)iete, trotzdem haben sic cine groDe Landziegenzucht, weil es liier unendliclie Flachen mit Dornengebiisclien und Gestriipp gibt (Ismir, Denisli, Alagnisn, Mugla, Isparta, Jaluwatsch).

Neben den genanaten gibt es in der Tiirkei nocli syrisclie Ziegenarteii init 90 cni Widerri~tliiilie, welclie an der Siidlriiste lekjeii, und im Westeii die ntaltamilcliziegeii.

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48 Samim:

Um auf die Verbreitung der Angoraziegenzucht zuruckzukommen, so sind aus der folgenden Tabelle die Hauptzuchtgebiete der Angoraziege mit ihrem Bestande zu ersehen:

Proriiiz Lnndziege Angoraziegc Angora . . . . . . 54 690 695 242 Konia. . . . . . . 690000 546 000 Esliischehir . . . . . 27 000 210 000 .Tazgad . . . . . . 134753 164 888 Kastamoiiia . . . . . 46 740 185 145 Kirchehir . . . . . 13076 142 920 Dschornm . . . . . 110030 127 325 Dsclianlieri . . . . . 8 797 124 492 Eola . . . . . . . 133617 114 501 Kutahija . . . . . . 201 745 50 918 Ginou . . . . . . . 40000 29 072 Eill&schik . . . . . 63 2 2 17 815 Knyseni . . . . . . 123052 1 7 398 Givas . . . . . . . 370947 6 607 Siirt . . . . . . . 63 884 5 724

In den aiideren Provinzeii spielt die Angoraziege so gut wie keiiie wirtschaftliche Rolle.

Nach dem Weltkrieg haben die Osteinwohner von Mittelkleinasien die Angoraziegen in ihre Heimat niitgenonimeii und dort bodenstandig ge- macht, und zwar in Hasankala, RIetschledi, Malikon, Hakird, Dudi, Haneke, Hadik, Rabat. AuSerdem sind die Angoraziegen bei den Nomaden Dak- schuri und Hawerki in der Provinz Mardin vorlianden. Der ganze Bestand der Angoraziegen hat durch die giiechische Armee im Freiheitskriege sehr gelitten, denn im Hauptzuchtgebiet Haymana haben die Griechen die Halfte der Bestande vernichtet und in Eskischehir, Ziwiihisar, Mihaldschik und Sejidgazi haben sie sogar Angoraziegen, die wegen ihres Glanzes und ihrer Feinheit beruhmt waren, massenhaft geschlachtet. Die ubrigen Bestande hat man durch Fortschaffen in Berge und Walder gerettet.

Die Bedeutung der Angoraziegenzucht liegt in dein Handel mit der Wolle. Die Mohairwolle ist ein Hauptexportmittel der turkischen Land- wirtschaft. Der Gesanitwert der turkischen Ausfuhr betrug im Jahre 1928 die Summe von 178 537 489 turkischen Pfund, davon entfallen allein auf Mohairwolle 18 500 063 turkische Pfund. Der Export der Wolle stelit iiacli Tabak, Fruchten, Gemuse u. a. Waren an dritter Stelle. Fisher hat die Tiirkei den Wollmarkt der Welt init 50 '/" beliefert, aber nach dem Jahre 1900 trat Amerika an diese Stelle uiid heute deckt es seinen Bedarf an Wolle im eigeneii Lande. Im turkischen Woll- und Mohairwollhandel sind die wichtigsteii Provinzen Stambul, Ismir, Smyrna und die im Suden ge- legene Provinz Mersin, die aber weniger Bedeutung hat. Die jahrliche Hauptproduktion Anatoliens komint nach Stambul und Smyrna, wo die Wolle nach Qualitat eingeteilt uiid d s 90-100 kg scliwere Ballen ver- schickt wird. Der ganze jahrliclie Bestand an tiirkischer Mohairwolle ist folgender:

1928=3600 t 1929 = 2700 ,, 1930=4100 ,, 1931=3800 ,, 1932 = 4000 ,,

Die Tiirkei exportiert ungefalir 2 Mill. kg jahrlich, davon gehen 75 "lo nach England, 10 "/,, nach Frankreich, dann nach RuBland, Syrien, Deutsch- land und anderen Landern. Aus Statistiken geht liervor, daIj England

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Die Ziichtung uiid Verbreitul~g cler Angoraziege in cler Tiirkei.

2. Zuchtg. : B Tierziichtg. n. Ziichtgsbiol. Bd. 28 Heft 1.

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50 Samim:

55 O/,, von Sudafrika und 20 "/" von der Turkei importierte. Die Absatz- verhaltnisse verschlechtern sich voii Jahr zu Jahr, denn vor dem Kriege exportierte die Turkei 7,8 Mill. kg jahrlicli und heute erreicht der Bestand von Mohairwolle nach den von der Esport Office Stambul bekannt ge- gebenen Zahlen in den letzten 8 Monaten die Hohe von l 896 867 kg. Die Preise sind rapide gesunken. Die Anpahen der Rohwollpreise von Fred. Huth & Co., London, fiir 1 Libre fiir Tiirkisch-Mohair (gute Mittel) waren im Jahre :

1895 = 27l/, 1916 = 26 1918 = 43 1929 = 161/2 1930 = 11 1931 = 9

Die esportierenden Lander sind nach englischen Wollauktionen in den letzten 3 Jahren:

LiiJtF Litire Librc 1029 1930 l%dl

Janoar- Dczeni her Januar-Dczcnibcr Januar-Dczenihcr Sudafrika . . . . . 8 176000 6 910 200 5 605 200 Tiirkei . . . . . . 4285200 G 606 800 4 026 100 dndere E n d e r . . . 259200 532 005 886 GO8

Aus den wieder von der Export Office angegebenen Preisen kann man den standigen Ruckgang beobachten. Im Jahre 1931 erzielten 1 764 785 kg rohe Mohairwolle den Preis von 1 262 708 turkischen Pfund und in den letzten 8 Monaten des Jahres 1896 867 kg nur 707 104 turkische Pfund. Man sieht daraus, daI3 die Preise um die Halfte gefallen sind. Die Zuchter haben schon die Hoffnung aufgegeben, mit der Angorazucht etwas zu verdienen und fangen an, die Tiere in groI3en Mengen zu schlachten. In Konstantinopel horte man von diesem Beginnen und furchtet eine katastrophale -4uswirkung auf dem Wollmarkt. Die Tiirkei will sicli aus der verzwickten Lage retten und will versuchen, die Mohairwolle bis z u 30 und 40 mit anderer Wolle zu mischen, um sie dann so in eigenen Fabriken zu verarbeiten. Die turkische Industrie hat einen groljen Bedarf an feiner Wolle und die in der Tiirkei vorhandenen groljen Schafherden liefern nur das fur Teppiche und grobe Stoffe geeignete Material; deshalb miissen grolje Mengen von aus feiner Garnwolle verfertigtsr Artikel ein- gefiihrt werden. Zur Erklarung gebe ich eine Tabelle, welche die Summen der cingefiihrten Artikel in den Jahren 1927, 1928 und 1929 angibt:

1927 = 18 749 646 tiirkische Pfund

1929 = 17 905 795 ,, 7,

Wenn man an die Not und Armut der anatolischen Bauern denkt, so kann man verstehen, welchen ungeheuren Verlust die Turkei allein durcli diesen Import erleidet ; man versucht nun, durch den Verbrauch der feinen Mohairwolle im eigenen Lande dieses Manko etwas auszugleichen. Wie dor Direktor Ingenieur S c h e w k e t T II r g u t B e y aus der Fabrik Feshane (Stambul) schreibt, ist die tiirkische Industrie heute in der Lage, wenn sie 30-50 der Mohairwolle mit anderer einheimischer Wolle mischt, 720 000-1 200 000 kg jahrlich zu verwenden. Eine reine und hoch- wertige Mohairwolle kann sich die Turkei nicht leisten, weil die daraus verfertigten Artikel von der armen Bevolkernng als Lususgegenstande an- gesehen werden miissen, auI3erdem Spezialarbeiter fur feine Qualitatswaren

1928 = 15 767 238 ,, 77

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Die Ziichtunp iind Verbreitung der Angoraziepe in der Tiirkei. 51

noch fehlen. Auch konnen die vorhandenen Maschinen und Facharbeiter Arbeiten wie Gardinen, Vorhange, Decken, Kleiderfutter, Kammgarnstoffe fur Damenmantel, Schals und gute Herrenkleidung, die aus Mohair ge- arbeitet werden sollen, nicht leisten. Dafur verfertigen sie aber Militar- stoffe, Khaki, Stoffe fur Institute und Schulen, fur Herrenpaletots, mit Baumwolle gemischte Schals und wollene Decken (Battaniye). Das alles bedingt naturlich einen groBen Verbrauch im eigenen Lande. In der Fabrili Feshane in Stambul hat man Herbstmantel hergestellt, welche genau wie die englischen und schottischen aussehen, die englischen aber an Dauer- haftigkeit ubertreffen.

Die Turkei verfugt uber mehr als 25 Fabriken und Spinnereien. Nach den letzten Verhandlungen zwischen I s m e 1 P a s c h a und der russischen Regierung sind Fachleute von RuBland nach der Turkei gekommen, um den Bau von 7 Fabriken in Angriff zu nehmen, und zwar in verschiedenen Stadten. In der Stadt Konia, Kayseri und Eskischehir werden Webfabriken, in Saraykbj, Bordu, Malatoja und Kastamonic einige Zentralfabriken und in Stambul eine Musselinfabrik eingerichtet. Die grol3ten Fabriken sind irn Wilayet Stambul: (Defterdar, Karamursal, Hereke, Sureyapascha und Altinyildiz). An zweiter Stelle stehen Malatya, Brussa, Samsum, Ismir, Uschak, Konia und Kula. Die groaten Hauptteppichgebiete befinden sich im Wilayet Ismir in Uschak, Zimauv, Dermirdschi, Kula, Isparta, Ulu- burum, Bordu und Tschaldir. In Isparta leben z. B. 20 000-25 000 Teppich- weber und -spinner. Unter normalen Verhaltnissen werden im Bezirlc Isparta (Egidir, Uluburlu, Kedschiburlu, Atabey) 2500-3000 m Teppiche gesponnen und ernahren dadurch 700 000 Arbeiter. Leider importiert man auch in dieser Gegend aus England fur bestimmte Teppiche fertige Garne und die aus Deutschland eingefuhrten chemischen Stoffarten erfreuen sich allgemeiner Beliebtheit. Demnach ist das Absatzgebiet sehr groD. Man hofft, durch groBeren Verbrauch von Mohairwolle in der einheimischen Industrie die Absatzmijglichkeiten zu heben und die Preise der Mohairwolle in vernunftige Bahnen zu lenken, so daD die armen Bauern fur ihre Muhe belohnt werden.

Im Jahre 1930 ist ein Verband fur Angorazucht gegrundet, welcher unter dem Protektorat des Landwirtschafts-Ministeriums steht (Tiir- kiye tiftik Cemiyeti). Dieser Verband hat seinen Sitz in Angora und wird von dem Deputierten S u l e y m a n S i r r i B e y geleitet. Die Haupt- bestrebungen des Verbandes sind, fur jede Herde eine Reihe von passenden Bocken zu beschaffen, die Bestande auf Feinheit der Wolle zu selektionieren und die Haltung sowie Futterung der Tiere zu verbessern. In der Turkei haben die veroffentlichten MaDnahmen einen grol3en Erfolg bei den Zuchtern gefunden, denn die beteiligten Tiere sind, wie man aus unten- stehenden Zahlen sieht, in 5 Jahren ungefahr um das Zwanzigfache ange- wachsen. Die Tabelle stammt aus der Provinz Angora nach der vom 1. Oktober 1932 stattgefundenen Korung:

Art der Tiere 19'27 1932 Ziegen . . . . . . . . . 12 195 Schafe . . . . . . . . . 16 198 Rinder . . . . . . . . . 12 107 Pferde . . . . . . . . . 58 241

Man hat heute an einer von Angora 27 km entfernten Lalahanstation eine Farm mit einem Flacheninhalt von 4000 Donurn (1 Donum = 1210 qm) errichtet. Die ganze Flache wird kultiviert und mit Zwergeichen sowie anderen Baumen, welche die Tiere gern fressen, bebaut. Diese Farm wird

4 4

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52 Samim:

in Iiiirze fertig werden, und das vom Volk gekaufte Vollblutzuchtmaterial wird hier vermehrt und rationell gefiittert werden. Auch versucht man die verschiedenen Heimarbeiten, die friiher sehr beriihmt waren und aus Handgeweben von Mohairw olle bestanden, wieder zu beleben.

Die beriihmten Sofustoffe aus Angora werden protektioniert und zii diesem Zweck Webstiihle angeschafft. Auch hat man einen Wettbewerb iin Hiiteweben zwischen Filzarbeitern veranstaltet; der von dem Sieger Mehemed Ali Bay (Belikissir) angefertigte Hut war tadellos. In der Nahe von Angora in Bendere hat man eine 1600 clm groDe Flache gekauft, welche zum Farben der verschiedenen Wollarten eingerichtet ist. Der Verband hat sich bemiiht, die dteuer auf 10 Groschen = 20 Rpf pro Kopf herabzusetzen und hat in Aussicht, mit den Handlern eine Korporativ- gemeinschaft zu bilden. Die Ttirkische Tierzuchtabteilung des Landwirt- schafts-Ministeriums iht bis jetzt in seinen Bestrebungen stets erfolg- reicli gewesen.

5. Die Nobairwolle. a) Das Vlies der Angoraziege.

Das Vlies der Angoraziege besteht aus 2 Arten von Haaren, und zwar ails den langen, feinen und glanzenden (Mohair) und den kurzen und

a b c Abl). 2 . Einjlihrige a, z\~eij81irigc b iind iiher a ~ ~ c i j l h r i g c Haarziipfo V V I I ~~ngornz ic~c i i -~ l i c s

(vun linls nach rechtn).

groben (Kemp) (Abb. 3). Die langen feinen Haare hangen vom Korper zur Erde herab. Unter diesen Haaren steht das Kemp, heht das ganze Vlies vom Korper und gibt ihm ein lockeres und iippiges Aussehen. Man kann aber beim Angoravlies nicht von einer einheitlichen Stapelbildung sprechen. Die aus der Haut herauskommendeii Haare laufen eine Weile frei, kleben dann durch den FettschwreiB an der Spitze zusammen und bilden dann lange, spiralformige Haarzopfe. Diese Zopfe iiennen die tiirkischen Ziichter Lula, Salkim, Satschak, Siirgiin, Thura, Chahkul. Die

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Die Ziiclitunp und Verbreitung der Angoraziege in der Turkei. 53

Lange der Haarzopfe schwankt zwischen 30 und 50 cm, bei Ausnahmen werden sie sogar 80 cin lang. Man findet sie hauptsachlich an Hnls, dchulterblatt und Keule. Bei deli guten Herden schleifen die Zopfe den Boden und aul3er den Kopfeii sehen die Tiere wie in eiiien Mohairschnl verpaclct, am. Bei jungen und edlen Tieren sind die Zopfe lang, glatt und wellig. Mit zunehmendem Alter gehen diese Eigenschaften aber verloren. Lange und Glanz vermindern sich, das Haar sieht matt aus, die Zopfe liiseii hich auf, und schlieI3licli sehen die alteren Tiere, besonders die Kreuzungs- produkte, genau wie weil3e Landziegen aus. Im 3. und 4. Jahre erreicht die Vergroberung des Vlieses ihren hochsten Grad, die Tiere werden nur zu Zucht- und Deckzwecken gebraucht. und im 7. Jahre iiberhaupt gc- schlachtet. Die Tiere hahen aufierlich ein sehr unterschiedliches Aussehen (lurch die Menge der langen, feinen Haare, des prozentualen Gehaltes an Kemp uiid der Bescliaffenheit des Fettschweifira. Die in dem Bezirk Ajasch leheiiden Angoraziegen z. B. haben eiii kurzes Vlies, vie1 FettschweiB, die

Ahh. 3. Rww Mohaii-\Tolle und IVIIIL' I<eiiip-Hciaic (G2iiinl vci~'iij0cit).

IIaare kleben deshalb zusammen, liegen demnach dicht am Korper und es entsteht dadurch eiii glattes Aussehen. Dies neiint man Tschakmakli- Tiftik. Im Gegensatz dazu hat der Bezirk Beypazari Tiere mit weniger FettschweiB, langen freihangenden Zopfen und das Vlies ist deshalb wellig und locker. Die Einwohner nennen das Salkimli-Tiftik. Die Farbe der Mohairwolle ist meistens weiB. Es gibt aber auch Tiere mit silberweihen, hochglanzenden Fellen. Das kommt daher, wenn man die Landziege mit Angorabocken kreuzt (G e w r e m). An zweiter Stelle steht die gelbe Mohairwolle.

In den Gebirgsgegenden der Provinz Konia haben die Ziegen ein gelbes Vlies. Hin und wieder trifft man aber auch Tiere mit rotem und schwarzem Fell. Berichte vom Jahre 1796 besagen, daI3 in der Nahe von Konia ganz schwarze und sehr feine Wolle vorhanden war. Noch heute trifft man manchmal im Handel diese Art von Mohairwolle unter dem Namen Ocken gelli an. Den schwarzen Ziegen begegnet man besonders in der Provinz Siirt. Die Nomaden atis der Gegend Keschkuli, Muhamedi und Selufaii haben tausende von solchen schwarzen Tieren.

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54 Samini:

b) Die Verteilung der Mohairwolle nach der Feinheit. Die anatolischen Angorazuchtgebiete teilt man nach der Feinheit der

Mohairwolle ein. J e nach der Qualitat der Wolle hat man im turkischen Wollhandel folgende Gruppen:

1. Parlak = glanzend, 2. Usun bejas =we%, lang, 3. Esmer = braun, 4. Jagli = fettig, 5. Kaba = grob, 6. Sari = gelb.

Die Qualitat der Wolle wird auch nach ihrer Herkunft beurteilt. An crster Stelle steht die Provinz Angora und hier sind besonders die Herden von den Dorfern Bereketler, Avschar und Karadschaweren geschatzt. Auch die Wolle der Tiere aus dem Gebiet Ajarch gehort zur ersten Qualitat. Beypasari ist ein Mittelpunkt der verschiedenen Feinheitsgebiete. Hier findet man die reinsten und feinsten Angoraziegen. I h s a n A b i d i n teilt die Wolle von Beypasari in folgende Feinheitsgruppen:

1. Cymaagatsch, Tadscheddin, Kellekir, Gendschtli, Mahmutlar, Sarioba, Kapulu, Schehler.

2. Madchun, Kosaveren, Dibekoeren, Kosalan, Mikael. 3. Beschgiil, Hamzalar, Tutasin, Dadsakiloba.

Der Bezirk Eskischehir ist allgemein bekannt fur den Glanz seiner Wolle, aber auch die Mehaldschikwolle wird gelobt.

Die oben genannte Teilung trifft man aber nicht im Handel. Dort wird jede Wolle mit anderen Dorfwaren gemischt und als ein- und zwei- jahrige Mohairwolle verkauft.

Im groBen Zuchtgebiet Haymana, wo die Angoraziegen eine absolute Mehrheit einnehmen, sind die meisten Herden reinblutig. Seidenglanzende, freihangende Haarzopfe sind charakteristisch fur diese Gegend und be- sonders in der Katranh-Jayla trifft man sehr schone Herden von Angora- ziegen. Bezuglich der Feinheit der Wolle erreichen diese Tiere aber nicht den Grad der von Baypasari-Jabanabad. In dieser Provinz kommen nach- stehende Bezirke an erster Stelle: Polatli, Malkoy, Dinlikatrandschi, Sche- halmetli und Japidchi.

In der Provinz Kastamonu, wo die Zwergwalder und Gebusche gunstig fur die Entwicklung der Angoraziege sind, erreicht die Mohairwolle wegen ihres Glanzes, der Lange und Drehung der Haarzopfe einen hohen Wert. Sie ist besonders beriihmt wegen ihrer Krimpkraft und wird von russischen Handlern gern gekauft. Dieses Material gehort zu der Klasse Good-average wie das der Provinz Konia. Die Mohairwolle der Proviny Dschankiri ist reich an FettschweiB und die Zuchter kreuzen ihre Tiere mit von Dortdivan-Daday stammenden Zuchtbocken, welche ihre Eigen- schaft des Fettschweifies auf die Lammer vererben. Dadurch ist heute dieser Charakter auf den ganzen Bestand von Kin und Ilgaz ubergegangen. Dieses Material wird auf Wollauktionen als dritte Qualitat gewertet. Be- kannt ist auch die Wolle aus der Provinz Bolu. Auch Kibridschik und Gerede verfugen uber grofie Herden, aber hier ist die Wolle ziemlich grob und wird nicht gern gekauft. Die Ostprovinz Siirt, die in der Geschichte der Angoraziegenzucht sehr beruhmt ist, verfugt uber eine sehr feine Wolle und hier erzielt die Mohairwolle im Bezirk Schirwan ihren hochsten Grad. Die Herden befinden sich im Besitz der Nomaden und werden ie nach Fein- heit in 3 Gruppen geteilt:

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Die Ziichtung und Verbreitung der Angoraziege in der Tiirkei. 55

1. Ustiirikan, Keschkiili, Muhammedi, Slufan. 2. Harutan, Butan. 3. Aschinan 11. a. m.

In der ersten Gruppe ist vie1 feine und schwaixe Wolle vorhanden. Die zweite Gruppe hat kurze und dicke Wolle und die dritte Gruppe be- hteht aus gemischter Wolle (Ihsan Ahidin).

Auf Wollauktionen in Stambul teilt man die Wolle nach der Her- kunft in folgende Qualitatsgruppen:

1. Angora, Eskischehir, Siwrihisar, Kutachja, Karahisar, Jozgat. 2. Ilgin, Akschehir (Konia-Dagmali), Maden, Kirschehir, Baypazari. :3. Konia (Ovamallari = Produkt der Ebene). 4. Kastamonu (lang, glanzend, wellig). 5 . Oglak (einjahrig). ti. Tschebisch (Vlies der zweijahrigen). i . Sari = gelb, Kaba = grob, Karinalti = Bauchwolle, Badschakwe

Saire = Vliesmassen u. a.

c) Eigene Untersuchungen. 1. Peialieitsiintersnchnngen der Nolidr~volle von ein,jjiihrigen, zweijlhrigen

und iiber 2 Jdire alteii Tieren.

Die folgenden Untersuchungen habe ich im Institut fur Tierzucht und Haustiergenetik der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin durch-

Abb. 4. genip-~aar-Bocrscbnitte (l2Oma1 vergrijlicrt).

gefiihrt. Auch an dieser Stelle mochte ich Herrn Professor Dr. Dr. h. c. I< r o n a c h e r fur seine giitige Erlaubnis, an seinem Institut arbeiten zu d'lirfen und fur seine wertvollen Anregungen meinen verbindlichsten Dank zum Ausdruck bringen.

An Untersuchungsmaterial standen mir 8 Proben von einjahrigen, 8 Proben von zweijahrigen und 13 Proben von iiber 2 Jahre alten Angora- ziegen zur Verfugung. Von den ganzen 29 Proben habe ich 8700 Haar- querschnitte gemessen. Leider konnte ich nicht die Feinheitsunterschiede der Haare von Schulter, Yeite und Keule untersuchen, weil die mir ge-

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5G Samim:

schickteii Proben niclit fiir diesen Zweck geeignet waren. Meine Resultate bezielien sich also niir auf einjahrige, zweijahripe und iiber 2 Jahre alte Tiere. Diese Unterschiede diirften aucli den praktischen Handel inter- essieren und ich fand es fiir zweckmafiig, obige allgemeine Unterschiede festzustellen. Meine ganzen Untersuchungen habe ich nach der neueii hannoverschen Metliode durchgefiihrt, und den im obigen Institut zur Ver- fugung stehenden Mikro-Projel~tions~Dparat nach E d 1 i n g e r benutzt.

Abh. G. Haarqnorschoitt ron zweijiihriyem Angora-\-lies (2201nal vcrgriiliert).

D i e e i n j i i h r i g e I I o l i a i r w o l l e (Oglnk) (Abb. 2 a mid Abb. 5). Diese Wolle ist die allerfeinste, sie kann sogar mit Negretti- und

Rambouilletvlies konkurrieren. Die Feinheitskurve hat, die Form von der der ausgeglichenen Kulturschafe (s. Hurve). Es variiert zwischen 5 A -C, Mittelwert 24,52 p mit f 0,636 mittl. Fehler. Die Wolle dieser jungen Tiere ist auDerordentlicli weich und wenn man sie mit der Hand beruhrt, so fuhlt sie sich glatt und glitschig an. Dazwischen findet man - aller- dings selten - sehr grobe und markhaltige Stichelhaare, wo der Quer- schnitt eine ovale oder eingebuchtete Ellipsenform hat (Abb. 5) . Die

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Die Ziiclitung und Verbreitung der Angoraziege i n der Tiirkei. 57

Stapellange ist 14-15 em lang uncl die Spiraldrehung sowie die ganze Haarzopfform int noch nicht vollstandig zusammengekommen. Die Dicke ist nicht so pol3 \vie hei den zweijahrigen und den uber 2 Jahre alten Ziegen und die Teilung hei einem Zopf ist geringer als bei den alteren Tieren. Deshalb sehen die Zopfe schmal, dunn und am Ende spitz am. Der Glaiiz erstreckt sich his zu "1, der Lange, das Viertel, welches in der Nahe der Haut liegt, ist matt und glanzlos.

D i e zwei j i i l i r ige N o l i a i r w o l l e (Tscliebisch) (Abb. 2 b und Abb. 6). Das Vlies der zweijahrigen Aiigoraziege rangiert, am Feinheitsgrad

gemessen, an zweiter dtelle. Die Feinlieitsvariation schwankt zwischen 17 f 51 Mikra, also von 3 A-E. Der Mittelwert ist 34,40 p mit k 0,588 mittl. Fehler. Die Haarzopfe bei den zweijahrigen Tieren sind noch bessere und cliarakteiistiscliere Gebilde als bei den einjiihrigen, die Zopfe sind dicker und breiter. Die Glanzstrecke ist ungefahr dieselbe.

Abb. i. Hasrquerschnitt r o i l iibcr zwcijithrigcm Angora-Vlirs (EOnial rcrgriikrt).

Wenn man mit der Hand iiber das Vlies streicht, so merkt man, dal3 die Feinheit und Weichlieit, nicht so grol3 ist als bei der ersten Klasse. Die Lange der Haarzopfe schwankt zwischen 16-18 cm. Das ganze Vlies hat einen ausgeglichenen Charakter, weil im allgemeinen sehr wenig dicke Haare vorhanden sind.

D i e M o h a i r w o l l e d e r i i be r 2 J a l i r e a l t e i i Z i e g e n (Ergetsch) (Abb. 2 c nnd Ahb. 7).

Diese Tiere haben die grobste Wolle. Der Mittelwert ist 35,99 p mit - 4- 0,878 mittl. Fehler. Die von 13 Proben gemessenen 3900 Haarquer- schnitte ergeben eine Feinheitskurve, welche sehr interessant ist. Sie hat dasselbe Aussehen wie die Kurve eines Mischwollschafes (6. Kurve). Die Ursache ist leicht zu erklaren. Wie in der Praxis allgemein bekannt ist, vermehren sich die groben Haare (Kemp) mit zunehmendem Alter und dadurch entsteht diese mischwollschafahnliche, zweigipflige Feinheits- kurve. Die Haarzopfe unterscheiden sich wesentlich von denen der jungeren Tiere. Der Glanz hat sich hier sehr vermindert, die Haarzopfe sind dick und lose und wenn man sie mit den Fingern beruhrt, so hat man dasselbe Empfinden wie bei dem Vlies der Landziege. Nur die Haarzopfe werden bei diesen Tieren am langsten (20-24 cm).

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Samim: 58

In der europaischen Industrie teilt man die Mohairwolle allgemein in 2 Gruppen, und zwar nennt man das gekammte Angoravlies Mohair (Kammzug) und die iibrig gebliebene Wolle Kemp (Kempling). Das Mohair ist eine aufierordentlich ausgeglichene marklose Wolle und das Kemp be- steht aus groben, glanzlosen und steifen Haaren, mit denen das Mohair durchsetzt ist. Die Lange des Kemps betragt 6-8 em. Das Kemp ist bci alteren Tieren und Mischlingen am dichtesten am Riicken und an der Keule. Bei reinen Vollblutangoraziegen tritt es nicht so stark in Erschei- nung. Trotzdem sol1 es gem gesehen werden, weil es eine gute Konstitution bedeutet. Die prozentuale Zusammensetzung des Kemps am Vlies ist bei iiberseeischer Wolle grofier. Deshalb wird die ameiikanische Wolle um ‘ I , weniger gewertet als die tiirkische, die weniger mit Kemp durchsetzt ist. Die Farbung dieser Haare ist sehr schwer. Bei dem tiirkischen Mohair betragt der Abfall 15-20 und bei dem fehlerhaften ameiikanischen bis 40 O / , , (T h o m p s o n).

350 -

30a - 325 -

275 - 250 - 225 - zoo - I75 - f50 - 125 -

IDD -

75 - 50 -

25 -

0-

I A € f

I I I I i I

Einjiihrig (Oglalr) I 8 24.00 I 2432 I 0,636 j 6,234 25,425 Zweijahrig (Cebis) . . . 8 I 24,OO I 34-42 1 0,588 1 5,760 16,736 dber 2 Jahre (Ergel.) : 1 13 I 39,OO , 35,99 018i8 10,9@2 I 30,460

Abb. 8.

2. JIiki*oskopiscbe Uutersucliungeii der Jlohainvolle.

Die reine Mohairwole ist eine ausgeglichene, treue Wolle und hat im allgemeinen kein Mark. Das Fehlen dieses Marks ist der Hauptunter- schied von anderen Ziegenarten. Die Haare sind an der Spitze gebrochen. Bei nieinen Untersuchungen von 8700 Haarquerschnitten habe ich sehr selten Narkreste gefunden. E u g e n W u c h e r e r schreibt, dafi die Angoraziege gerade durch das Fehlen dieses Markes eine Ausnahmestelle unter den anderen Saugetieren mit langem Haar einnimmt.

Bei Kreuzungs- produkten vermehrt sich der Markinhalt. Die Querschnittoberflache des Kemps hat eine ovale, ellipsenformige und manchmal kreisformige Gestalt (Abl~. 4). Die Kutikulazellen sind so grofi, dafi sie fast die ganze Breite der Haaroberflache einnehmen. Durch diese mikroskopische Eigenttimlich-

Das Kemp besitzt im ganzen Haarverlauf Mark.

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Die Ziichtung uncl Verbreitung der Angoraziege in der Tiirkei. 59

keit hat die Mohairwolle im praktischen Leben einen Vorteil gegenuber der Pchafwolle, denn sie ist weniger staubempfindlich und im Gebrauch sehr sauber. Man zieht deshalb die Mohairwolle zur Bearbeitung von Beziigen fiir Sitze in Eisenbahnen, YtraSenbahnen, Autos, Theatern und Kinos der Schafwolle vor. Da die Kutikulazellen sehr hart und widerstandsfahig sind, erklart sich auch die Dauerhaftigkeit der Mohairwolle.

3. Ui~tersiiohniigen der niecliriiisclieii Eigensohnfteii der Molinirwolle. EY wurden die Dehnbarkeit und die Tragkraft der Mohairwolle ge-

priift. Zu diesen Unteisuchungen habe ich den Apparat ,,D e f o r d e n" henutzt. Die Haare wurden mit Lacktropfen in die Quadratrahmchen ge- klebt, was oft Schwierigkeiten bot, weil die Kutikulazellen sehr gro8 und glatt sind und das Haar oft rutschte. Besonders kam dies bei den Kemp- haaren zum Ausdruck. Ich muBte daher die Lacktropfen rnit etwas feinem Sand mischen und ein Rahmchen von nicht zu glattem Papier wahlen. Auf diese Weise war es moglich, die Untersuchungen von feiner Mohair- wolle durchzufuhren. Zur Untersuchung der Kemphaare benutzte ich statt der Lacktropfen Tischlerleim und konnte so erreichen, da8 80 o/o der Resul- tate brauchbar waren. Bei der feinen Mohairwolle waren die gewohnlichen Verlaufsperioden (Anfangs-, Mittel- und Enddehnung) sehr charakteristisch. Die relative Tragkraft war gut, wahrend die stichelhaarigen, groben Kemphaare eine sehr geringe relative Tragkraft zeigten. Das Ergebnis meiner Untersuchungen war folgendes:

Mohair . . von 32,4 his 49,27 von 17,3 bis 41 von 55 his 70 von 20,993 his 21.576 Kemp. . . ,, 75,5 ,, 96,6 34,2 ,, 40 ,, 50 ,, 60 ,, 7,582 ,, 5,460

Art dcr Mame Fetnheit In p Tragkraft in g Elastizitit in yo Itclative Traghratt

6. Zasammenftlssniig nnd Ausblick. Fassen wir nunmehr die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Be-

schreibungen und die der eigenen Untersuchungen zusammen, so kommen wir zu folgenden Ergebnissen:

1. D i e A n g o r a z i e g e zahlt wegen ihrer Mohairwolle mit zu den wichtigsten Tieren in der Weltindustrie. Das Hauptgebiet, in dem der Idealtyp gut gedeiht, ist die 800-1000 m iiber dem Meeresspiegel gelegene Gegend Mittelanatoliens. Die Angoraziege ist durch eine Mutation ent- stnnden. Der ganze Bestand betragt in Mittelasien %her 2,5 Millionen. Das Vliesgewicht betragt bei mannlichen Tieren 2l/,-3 kg und bei weiblichen 11/2-21/2 kg. Die ganze jahrliche turkische Produktion an roher Mohair- wolle schwankt zwischen 3000 und 4000 t, aber die Absatzverhaltnisse und Preise sind heute derartig schlecht, daS es fur die armen mittelanatolischen Bauern eine Wirtschaftskatastrophe bedeutet. Die Regierung und der Ver- hand Turkiye Tiftik Dschemiyeti bemuhen sich aber, durch Mischung von Mohairwolle mit 30-50 anderer Wolle den Verbrauch im eigenen Lande auf 720 000-1 200 000 kg zu steigern.

2 . D i e l a n g e n , s e i d e n g l a n z e n d e n f e i n e n u n d m a r k - 1 o s e n H a a r e haben einerseits allein, andererseits durch Mischung groSe Verbrauchsmoglichkeiten. Von Mohairwolle verfertigt man Handstickereien, verschiedene Kammgarnstoffe, Hute, Schirme, Strumpfe, Schals, Perucken, Bander, Handschuhe, Vorhange, Gardinen, Bettbezuge, Kleiderfutter, gute h'errenkleidung, Decken, Militarstoffe, Khaki usw. Das Kemp verarbeitet man zu verschiedenen groben Filzwaren. Die Mohairwolle wird auch rnit

Page 20: Die Züchtung und Verbreitung der Angoraziege in der Türkei. : Die Feinheitsbestimmungen und die wirtschaftliche Bedeutung der Mohairwolle

60 Samim: Die Ziichtung und Verbreitung der Angoraziege in der Turkei.

Schafwolle und Kaninchenhaaren gemischt und dadurch werden die Ver- brauchsmoglichkeiten noch vermehrt.

3. I m t u r k i s c h e n W o 11 h a n d e 1 teilt man die Feinheit der Wolle nach Herkunf t und allgemeinen Eigenschaften ein.

Die von mir untersuchten 29 Vliesproben und 8700 Haarquerschnitte haben gezeigt, daD die einjahrigen Ziegen die allerfeinste Wolle mit 24,52 p und An zweiter Stelle kommen die zweijahrigen Tiere rnit 34,40 p und +0,588 mittl. Fehler und an dritter Stelle die uber 2 Jahre alten Tiere mit 35,99 p und k 0,878 mittl. Fehler. Mit zunehmendem Alter wird das ganze Vlies mit groben Haaren (Kemp) durchsetzt, so daD es bei 4 Jahre alten Tieren fur Mohairzwecke unbrauchbar ist. Mit 7 Jahren werden die Tiere ge- schlachtet.

4. D i e m i k r o s k o p i s c h e n U n t e r s u c h u n g e n haben ge- zeigt, daD die feinen Haare so gut wie kein Mark enthalten, bei Kemp die Marksubstanz aber desto groDer ist und ' I I I der Haarquerschnittflache ein- nimmt. Die Kutikulazellen sind glatt, hart und groD, und daraus erklart sich auch die Sauberkeit und Dauerhaftigkeit gegenuber der Schafwolle. Die Pigmentkorner fehlen bei den weiDen Angoraziegen, jedoch sind sie bei den schwarzen und den roten Tieren sehr leicht zu erkennen.

5. B e i d e n U n t e r s u c h u n g e n r e i n e r M o h a i r w o l l e h i n - s i c h t l i c h d e r D e h n b a r k e i t , E l a s t i z i t a t u n d T r a g k r a f t schwanken die Ergebnisse bei:

Feinheit zwischen . . . . . . . 32,4-49,2 p Dehnbarkeit zwischen . . . . . 55 -70 'lo Tragkraft zwischen . . . . . . 17,3-41 g Relative Tragkraft zwischen . . 20,993--21,576

Bei den K e m p h a a r e n schwankt das Ergebnis bei: Feinheit zwischen . . . . . . . 75,O-96,6 p Dehnbarkeit zwischen . . . . . 50 -60 Tragkraft zwischen . . . . . . 34,2-40 g Relative Tragkraft zwischen . . . 7,582-5,460

Wie aus obigen Resultaten klar z u ersehen ist, ist die relative Trag- kraf t reiner Mohairwolle sehr gut, wahrend die der Kemphaare sehr niedrig ist. Bei prozentualer Zunahme dieser Haare (bei Kreuzungstieren z. B.: Angoraziege mit Landziege) vermindert sich der Wert des Vlieses.

Am SchluB meiner Arbeit ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h. c. K r o n a c h e r , der rnir bei den vorliegenden Untersuchungen bereitwilligst seinen Rat zur Verfugung stellte und rnir die Benutzung der Einrichtungen seines Instituts gestattete, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.

Ebenso danke ich Herrn Dr. L o d e m a n n fur die freundliche Unter- stutzung bei meiner Arbeit sowie dem Vorsitzenden des Angoraziegen- zuchtverbandes, Deputierten Suleyman Sirri Bey, der rnir rnit seinem Rat und dem Untersuchungsmaterial weitreichend half.

0,636 mittl. Fehler haben und somit an erster Stelle stehen.

Eingegangen am 13. Dezemher 1932.