die welt der lebenden und die welt der toten

5
E igentlich hätten die Ausgra- bungen im syrischen Palast von Qatna, einer der größten Palastanlagen der altorientalischen Welt, im Oktober 2002 zu Ende sein sollen. Doch dann gab es einen Auf- sehen erregenden Fund: das erste ungeplünderte Königsgrab in der Archäologie Syriens war entdeckt worden. Damit bot sich plötzlich eine Fülle an neuen Informationen über die Welt der Lebenden und die Welt der Toten im Königtum von Qatna. Qatna war eine Königsresidenz des zweiten Jahrtausends vor Christus. Sie liegt im heutigen Rui- nenhügel Tell Mishrife begraben. Der Ort befindet sich in der Nähe der modernen Großstadt Homs im westlichen Teil Syriens am Über- gang von den fruchtbaren Acker- ebenen zur großen Weite der sy- risch-arabischen Wüstensteppe. Qatna lag am Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrswege. Die Könige gründeten ihre Macht deshalb vor allem auf den Handel. Sie regierten über ein Reich, das seine größte Ausdehnung zwischen 1800 und 1600 vor Christus hatte. In dieser Periode konnte das König- tum seinen Einfluss bis weit in den Norden Syriens, nach Ebla, sowie in den Süden Syriens, bis nach Da- maskus, ausdehnen. Sogar Städte im Norden Palästinas standen zeit- weise unter Qatnas Vorherrschaft. In der Folgezeit, zwischen 1600 und 1340 vor Christus, waren die 8 forschung 1/ 2004 Geisteswissenschaften Die Welt der Lebenden und die Welt der Toten Das erste ungeplünderte Königsgrab Syriens entdeckten Archäologen bei Ausgrabungen der Palastanlage von Qatna. Die Grabkammern erlauben neuartige Einblicke in Ahnenkult und Bestattungs- praktiken des alten Orient

Upload: peter-pfaelzner

Post on 11-Jun-2016

229 views

Category:

Documents


6 download

TRANSCRIPT

Eigentlich hätten die Ausgra-bungen im syrischen Palast von Qatna, einer der größten

Palastanlagen der altorientalischenWelt, im Oktober 2002 zu Ende seinsollen. Doch dann gab es einen Auf-sehen erregenden Fund: das ersteungeplünderte Königsgrab in derArchäologie Syriens war entdecktworden. Damit bot sich plötzlicheine Fülle an neuen Informationenüber die Welt der Lebenden und dieWelt der Toten im Königtum vonQatna.

Qatna war eine Königsresidenzdes zweiten Jahrtausends vorChristus. Sie liegt im heutigen Rui-nenhügel Tell Mishrife begraben.Der Ort befindet sich in der Näheder modernen Großstadt Homs im

westlichen Teil Syriens am Über-gang von den fruchtbaren Acker-ebenen zur großen Weite der sy-risch-arabischen Wüstensteppe.Qatna lag am Kreuzungspunktwichtiger Verkehrswege.

Die Könige gründeten ihre Machtdeshalb vor allem auf den Handel.Sie regierten über ein Reich, dasseine größte Ausdehnung zwischen1800 und 1600 vor Christus hatte. Indieser Periode konnte das König-tum seinen Einfluss bis weit in denNorden Syriens, nach Ebla, sowie inden Süden Syriens, bis nach Da-maskus, ausdehnen. Sogar Städteim Norden Palästinas standen zeit-weise unter Qatnas Vorherrschaft.

In der Folgezeit, zwischen 1600und 1340 vor Christus, waren die8

forschung 1/2004

Geisteswissenschaften

Die Welt der Lebendenund die Welt der TotenDas erste ungeplünderte Königsgrab Syriens entdeckten Archäologen bei Ausgrabungen derPalastanlage von Qatna. Die Grabkammern erlaubenneuartige Einblicke in Ahnenkult und Bestattungs-praktiken des alten Orient

Könige von Qatna vom mächtigenMittani-Reich in Nordmesopota-mien abhängig. Die politische Be-deutung Qatnas wurde dadurchzwar stark reduziert, aber seinReichtum blieb in dieser Periode be-stehen, sicherlich dank der kontinu-ierlichen Bedeutung des Handels.Deshalb war Qatna auch eines derObjekte in den Auseinandersetzun-gen zwischen dem HethitischenReich Anatoliens und dem Ägypti-schen Pharaonenreich um die Vor-herrschaft in Syrien. Im Verlauf der

Feldzüge der Hethiter in Syrien,wahrscheinlich um 1340 vor Chris-tus, wurde Qatna zerstört, der Palastgeplündert und die Stadt in derFolge verlassen.

Dieses tragische Schicksal Qat-nas ist das Glück der Archäologen.Die Zerstörer hatten das Gebäudein Brand gesetzt, die schwerenDachbalken aus Zedernholz stürz-ten herab, die Wände des Gebäudesfielen darüber ein.

Der Palast wurde schon vor 80Jahren ausgegraben: Der französi-

der Universität Tübingen. Der mitt-lere und der westliche Teil der Pa-lastruine wird seit 2000 von dendeutschen, der östliche Teil von denitalienischen Archäologen ausge-graben. Die italienischen und diesyrischen Wissenschaftler untersu-chen ferner mit viel Erfolg weitereTeile des ausgedehnten Ruinenge-ländes der alten Stadt Qatna.

Allerdings war der erste Eindruckbei den neuen Grabungsarbeitenernüchternd. Du Mesnil du Buissonhatte in den größten Teilen des Ge-

sche Archäologe Comte Robert DuMesnil du Buisson führte zwischen1924 und 1929 Grabungen durch.Für die Erforschung mit modernenwissenschaftlichen Methoden botensich im Jahr 1999 neue Möglichkei-ten, als eine internationale Koope-ration zur Ausgrabung Qatnas insLeben gerufen wurde. An dieser be-teiligten sich die AntikendirektionSyriens, die italienische UniversitätUdine und ein Team von Archäolo-gen des Altorientalischen Seminars

bäudes bis auf die Fußböden derRäume hinab gegraben und dieFunde, soweit vorhanden, gebor-gen. Nach Beendigung der Ausgra-bungen hatten die Bewohner desauf den Ruinen entstehenden Dor-fes alle oberirdisch anstehendenMauerreste des Palastes abgetra-gen, neue Lehmziegel daraus ge-formt und ihre modernen Häuser direkt auf den alten Fußböden desPalastes errichtet. Was sollte nochan originalen Funden aus dem 9

forschung 1/2004

Links: In der Hauptkammer einer unterirdischen Grabanlagefanden Archäologen einenSarkophag aus Basalt. Hier sind die Gebeine der königlichenFamilie von Qatna bestattet. Die intensive Grabungsarbeit inSyrien ging stets mit ihrerbegleitenden Dokumentation(oben) einher. Darüber: Die Ruinen des neuzeitlichen DorfesMishrife, deren Bewohnerumgesiedelt wurden, um dieAusgrabung des bronzezeitlichenPalastes zu ermöglichen.

bronzezeitlichen Palast erhaltensein?

Die wichtigsten Anhaltspunktefür die Erforschung des Palastge-bäudes sind die Fundamente. Diesebestehen aus Lehmziegeln und sindvier bis fünf Meter tief eingelassen.Sie sind ein untrügliches Indiz fürden Verlauf des ehemaligen Mau-erwerks und damit für den gesam-ten Grundriss. Raum für Raum desPalastes lässt sich durch die Freile-gung der Fundamentmauern nach-zeichnen. Eine große Halle dientewahrscheinlich für Audienzen. IhrInnenmaß von 36 mal 36 Meternübersteigt alle Dimensionen desbisher bekannten bronzezeitlichen

Palastbaus. Die Überdachung die-ses Riesensaales gelang mit Hilfevon vier großen Säulen, die im Ab-stand von zwölf Metern zueinanderin Form eines Quadrates im Raum-inneren aufgestellt waren.

Im Innenbereich des Palastes lagauch eine Zisterne, die die Wasser-versorgung der Bewohner und Be-diensteten sicherstellte. Ihr großesSpeichervermögen ergibt sich ausdem Loch, das unter dem Palast inden Fels geschlagen wurde. Aufallen Seiten der Zisterne trugengroße Terrassenmauern die dahin-ter anschließenden Räume. Einerdieser Räume ist in die Tiefe ge-stürzt, nachdem die Terrassenmau-

er fast komplett umgefallen war.Dieses Ereignis fand wahrschein-lich im Zusammenhang mit derendgültigen Zerstörung des Palas-tes statt. Die Fußbodenplatten desRaumes, Reste seines Inventars undvor allem die in dem Raum ehemalsangebrachten Wandmalereien fan-den sich in einem Schuttkegel inder Zisterne.

Die Fragmente der Wandmale-reien erregen wissenschaftlichesAufsehen. Ihre Farben und Motiveerinnern an die minoische Malereider kretischen Paläste und der Häu-ser auf der Ägäis-Insel Thera ausder Zeit zwischen 1800 und 1550vor Christus. Ihre Technik verrät,dass sie eigenständige syrischeSchöpfungen und nicht etwa vonkretischen Künstlern ausgeführtwaren. Dennoch werden durch dieMalereien des Palastes von Qatnadie engen Beziehungen zwischender Ägäis und Syrien in der Mittedes zweiten vorchristlichen Jahr-tausends deutlich.10

forschung 1/2004

Prächtige Grabbeigaben wurden im Königsgrab von Qatna entdeckt, darunter zwei plastisch gearbeitete Goldenten, eine feingliedrige, ausGoldblech geformte Hand sowie eine künstlerisch gestalte kleine Dose in Form eines Löwenkopfes. Rechts: Zwei Basalt-Statuen, die verstorbene Könige darstellen, sitzen zu beiden Seiten einer Felstür, die zur Haupt- kammer der Grabanlage führt.

Die spektakulären Entdeckun-gen der Grabungskampagne 2002begannen, als ein mit Lehmziegelngemauerter Gang gefunden wurde,der aus dem Thronsaal des Palastesin die Tiefe, das heißt in den Bereichder Palastfundamente führte. Zu-nächst gelangte man über einelange Treppe aus Lehmziegelstufenmit Holzbohlenauflagen hinab. AmEnde der Treppe, etwa vier Meterunter dem Palastfußboden, befandsich eine Tür, deren Rahmen undWandverankerungen sich in Formvon verkohlten Hölzern noch deut-lich abzeichneten. Hinter dieser Türsetzte sich der Korridor zwischenengen Fundamentmauern nochrund 30 Meter weit fort.

Der Brandschutt aus dem Erdge-schoss des Palastes war hier herab-

gefallen. Darunter fanden sich 73Tontafeln, mit Keilschrift beschrie-ben und in einer aus akkadischenund hurritischen Worten zusammen-gesetzten Mischsprache. Alle dieseTexte gehörten zum Archiv des Kö-nigs Idanda, dem vermutlich letztenHerrscher von Qatna vor der Zer-störung des Palastes. Die Keil-schrifttafeln müssen ehemals überdem unterirdischen Korridor in fla-chen Keramikschalen aufbewahrtworden sein. Die Texte geben weit-reichende Einblicke in das politi-sche Geschehen und die Aktivitä-ten des Palastes in der Zeit kurz vor1340 vor Christus.

Die Keilschrifttafeln waren in denKorridor hineingefallen. Mit derehemaligen Funktion dieses unter-irdischen Ganges hatten sie aber

nichts zu tun. Die Überraschungwar: Der Korridor endete im Vor-raum der königlichen Grabkammer.

Mit großem Einsatz von Arbeits-kräften wurde der Brandschutt, derden Schacht füllte, herausgenom-men. Auf dem Fußboden zeigte sichdie erste große Überraschung: zweiStatuen aus Basalt, die Sitzbildervon verstorbenen Königen darstel-len. Sie waren als Ahnenbildnisseverehrt worden, vor ihnen lagennoch einige zerbrochene Opfer-schalen. Zwischen den beidennebeneinander aufgestellten Figu-ren öffnete sich eine Felstür, die denZugang in eine große rechteckigeFelskammer bildete. Von ihr gingendrei weitere Kammern auf verschie-denen Seiten ab. Der erste Blick indie Kammern war atemberaubend.

11

Sie waren nicht verfüllt, und es ließen sich zwei Sarkophage,Vasen, Keramikgefäße und goldeneSchmuckteile erkennen. Damit warsicher: Das Grab war nicht geplün-dert!

Bevor die Arbeiten im Innerender Kammern begonnen werdenkonnten, wurden Proben der Luftund von Pilzbefallstellen genom-men und mit Hilfe des Robert-Koch-Instituts in Berlin untersucht. Aus-zuschließen war die Gefahr von ge-fährlich erhöhten Pilzsporenkon-zentrationen, die vor 80 Jahren eini-gen der Entdecker des Tut-Anch-

musste. Es ließen sich Knochen vonErwachsenen und Kindern, vonFrauen und Männern unterschei-den. In den Sarkophagen warenaußerdem Kalzitgefäße, Keramik-schalen, eine Goldschale, ein Zep-ter aus Elfenbein und goldeneSchmuckscheiben deponiert.

In der Hauptkammer waren dieReste von hölzernen Bahren deut-lich zu erkennen. Darauf wareneinstmals weitere Bestattungen vor-genommen worden. Deren Kno-chen waren schlecht erhalten, dafüraber mit Grabbeigaben übersät: einkleines Elfenbeindöschen in Form

die auf die Bahren gestreut waren,Bündel von bronzenen Lanzenspit-zen, der goldene Beschlag einesebenfalls mit Reliefs verzierten Kö-chers, Rollsiegel und anderes mehr.

An den Rändern der Hauptkam-mer standen steinerne Bänke. Aufihnen konnte man sitzen, wenn kul-tische Feiern stattfanden. Achtlosunter die Bänke geworfene Tier-knochen sind Zeichen für kultischeMahlzeiten. Vorratsgefäße und Ess-schalen auf den Bänken zeigenebenfalls an, dass hier Lebensmittelaufbewahrt und verzehrt wordensein müssen. Die Lebenden und dieToten hielten sich zu gemeinsamenMahlzeiten in der Hauptkammerauf. Dies verbindet sich mit der als„Kispu“ bekannten altorientali-schen Vorstellung, dass die Totenüber einen langen Zeitraum regel-mäßig mit Speisen versorgt werdenmussten, um deren positive Kräftefür die Nachwelt zu erhalten. Nochnie in der Vorderasiatischen Archä-ologie ließ sich das Kispu-Ritual sodeutlich nachweisen wie hier.

In einer der Nebenkammern fandsich eine dichte Ablagerung vonKnochen. Hier war die endgültigeRuhestätte der Gebeine der könig-lichen Dynastie von Qatna. Auchhier wurden die Toten noch mitSpeisen versorgt, wie Opferschalenauf diesem Knochenberg nachwei-sen. Die Anhaltspunkte verdichtensich, dass das unterirdische Gewöl-be 400 Jahre durchgehend als kö-nigliche Grabstätte benutzt wurde.

Die Funde der Kampagne 2002,allein 1900 Einzelobjekte aus denGrabkammern, werden eine langePhase der Dokumentation, Auswer-tung und Interpretation nach sichziehen. Schon jetzt ist aber deutlich,dass zwei neue wissenschaftlicheKapitel der Erforschung altsyrischerKulturen aufgeschlagen werdenkonnten: das eine über die altorien-talischen Bestattungspraktiken undden damit verbundenen Ahnenkult,das andere über die Kunstgeschich-te Westsyriens im zweiten Jahrtau-send vor Christus.

Prof. Dr. Peter PfälznerUniversität Tübingen

Die Studien werden von der DFG im Normal-verfahren gefördert12

forschung 1/2004

Amun-Grabes in Ägypten zum Ver-hängnis geworden waren. Die Pro-ben zeigten keine erhöhten Werte.Dennoch wurde zusätzlich ein voll-ständiger Austausch der Luft vorge-nommen, bevor die Anlage zum er-sten Mal betreten wurde.

Im ersten großen Sarkophag ausBasalt konnte der Anthropologe desTübinger Teams die Knochen vonmindestens drei verschiedenen In-dividuen feststellen. Im zweitenSarkophag war die Situation ähn-lich. Dies wies darauf hin, dass essich nicht um das Grab eines einzel-nen Königs, sondern um die Grable-ge der königlichen Familie handeln

eines Löwenkopfes, eine rundeSchmuckrosette aus Gold mit Einla-gen aus Karneol und Elfenbein,kleine goldene Schmuckplatten mitfigürlichen Reliefs verziert, zahlrei-che Perlen aus Gold, Glas und Stein,

Die fünf Meter tiefe Vorkammer der unterirdischen Grabanlage von Qatna. Die Archäologen hatten im Herbst 2002 die entscheidende Spur gefunden, als sie auf einen Gang stießen, der aus dem Thronsaal des Palastes in die Tiefe und zu den Fundamenten führte. Mit Hilfe zahlreicher Arbeitskräfte wurde zunächst dieser Zugang, dann die Vorkammer frei gelegt.