die villen- und landhauskolonie neubabelsberg, jörg limberg, 1993

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PotsdamDie Villen- und LandhauskolonieNeubabelsbergJörg Limberg

»Die Nachbarschaft der Gärten von Babelsberg und Glienickemusste auch die Berliner locken, und so wurde die bevorste-hende Eröffnung der Wannseebahn der Anlaß zur Gründungder Societät Neubabelsberg. Sie erfolgte Ende des Jahres 1871durch ein Consortium, dem neben dem jetzt verstorbenen Con-sul J. Müller als Hauptbeteiligte die Architekten Ende un.'Böckmann angehörten. Das Land, das angekauft wurde, warzum grössten Theil Eigenthum des Herrn von Türk, dazuwurde forstfiskalisches Terrain erworben. In den Jahren1872-73 wurden die ersten Strassen angeschüttet und regu-liert, Bäume gepflanzt und das Wasserwerk gebaut, das 1874in Betrieb genommen wurde. Die ersten Villen wurden im Jak-1874 gebaut. Im selben Jahre wurde die Dampferlinie auf demGriebnitzsee vom Kaiser genehmigt, welche dann im Sommer1876 eröffnet wurde.« 1

Mit den Vorzügen der landschaftlichen Lage und der zuerwartenden günstigen Verkehrsanbindung nach Berlinwirbt 1897 die »Societät Neubabelsberg« in einer Werbe-schrift um potentielle Interessenten für eine Ansiedlung inder Kolonie. Fast 25 Jahre nach ihrer Gründung hatte dieGesellschaft offensichtlich noch nicht den gewünschten wirt-schaftlichen Erfolg. Erfahrungen hatten die beiden Archi-tekten und Unternehmer bereits 1857 gemacht, als siegemeinsam mit Peter Joseph Lenne vor dem Halleschen Torin Berlin die Kolonie Wilhelmshöhe gründeten. 2

43 Potsdam-Neubabelsberg, Karl-Marx-Straße 3 (ehemals Kaiser-straße); 1874, »Ende & Böckmann« (1919-20 Umbau durch MaxLandsberg); Aufnahme 3. 2. 1993.

44 Potsdam-Neubabelsberg, Karl-Marx-Straße 3 (ehemals Kaiser-straße; vgl. Abb. 43); Aufnahme 3. 2. 1993.

Obwohl bereits in den sechziger Jahren an der Stelle des Neu-babelsberger Bahnhofs 3 ein Haltepunkt der Berlin-Potsda-mer-Eisenbahn existierte, fuhr Kaiser Wilhelm 1. regelmäßigbis zum Neuendorfer Haltepunkt' und von dort mit der Kut-sche zum Schloß Babelsberg. Die Planung einer ansprechendgestalteten Villenkolonie entlang des Griebnitzsees schienden Königlichen Bauräten Hermann Ende (1829-1907) undWilhelm Böckmann (1832-1902) geeignet, den Kaiser zumVerkauf forstfiskalischen Terrains für die Kolonie zu bewe-gen und damit einen kürzeren Weg zum Schloß Babelsbergzu ermöglichen. Mit Kabinettsorder vom B. 9. 1872 stimmteer diesem Anliegen auch zu.1873 erließen »Ende & Böckmann« nach örtlicher Zustim-mung »Allgemeine Vorschriften für die Bebauung des Terrainsder Societät Ende und Böckmann und Genossen am Griebnitz-see bei Babelsberg«. Diese erlaubten nur die Errichtung vonzweigeschossigen Gebäuden mit »allseitigen Fassaden« undGesimsausbildung; Neben- und Gartengebäude waren alszusätzliche Bauten gestattet. Ebenso wurde Wert auf einequalitätvolle Gestaltung der Vorgärten gelegt. Wie allge-mein üblich wurden die gestalterischen Forderungen durchkonkrete Baufluchten und Abstandsflächen ergänzt.Im selben Jahr erlangten sie die Zustimmung zu der vonihnen vorgesehenen Parzellierung. »Zu dieser ist zu sagen,daß die Parzellen 2 bis 50 Wasserparzellen in einer Breite von20-25 Metern und einer Tiefe von 80-110 Metern sind, alsodie teuersten waren. In der Kaiserstraße zur Landseite sind sie

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wohl als Ausgleich 40 Meter breit und 90 Meter tief. Eine Aus-nahme bildete das alte von Türksche Grundstück mit einerStraßenfront von 140 Metern und einer Grundstückstiefe von90 Metern. Die gesamte Fläche zwischen Park Babelsberg undder heutigen Rudolf-Breitscheid-Straße haben Ende und Böck-mann in 176 Parzellen aufgeteilt. Innerhalb der Ringstraße(Virchowstraße) war keine Bebauung vorgesehen. Die dortliegende Gaststätte wurde ausgekauft. Aus dem Parzellie-rungsplan ist auch zu ersehen, daß der Teltowkanal noch nichtvorhanden war.«' Er zeigt auch, daß die ursprünglich bisnach Kohlhasenbrück gedachte Bebauung nicht mehr Zielder Realisierung war. In diesem Gebiet hinter dem BahnhofGriebnitzsee lag Böckmanns eigenes Anwesen, der soge-nannte »Böckmannshof«. Zwischen der Rudolf-Breitscheid-Straße und der Stubenrauchstraße hatten »Ende & Böck-mann« Ende der siebziger Jahre inmitten einer riesigen Park-anlage eine große zweigeschossige Villa errichtet, offensicht-lich aus sichtbarem Ziegelmauerwerk, mit Werksteingliede-rungen der Fenster und Gesimse und einem weitauskragen-den flachen Dach.

6Seitlich angelagert, verdeckte eine Log-

gia die dahinter liegenden Stall- und Remisengebäude. DieReste der Einfriedung (Tor mit Initialen »WB« und »EB«)und ein Portierhaus geben heute in der Rudolf-Breitscheid-Straße die ungefähre Lage der Villa an. Der »Böckmanns-hof« ist vermutlich später durch einen Turmbau ergänzt wor-den, um die besondere Lage mit Blick auf den Griebnitzseeund zum Park Babelsberg auszunutzen.'Von den oben erwähnten ersten Bauten ist heute nur noch dieVilla Karl-Marx-Straße 3 erhalten. Das zweigeschossigeGebäude wurde 1874 von »Ende & Böckmann« auf der Par-zelle 5 des Planes vom selben Jahr errichtet. Besonders derPalmettenfries über dem Erdgeschoß und die den Erker glie-dernden korinthischen Säulen kennzeichnen noch den Ein-fluß des Klassizismus auf die Villenarchitektur. In den neun-

45 Potsdam-Neubabelsberg, Karl-Marx-Straße 3 (ehemals Kaiser-straße), Gartenseite (vgl. Abb. 43); Aufnahme 3. 2. 1993.

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ziger Jahren bewohnte es der Königliche Tänzer FranzSchackwitz, 1919-20 wurde es von dem Berliner Architek-ten Max Landsberg für den Kaufmann Siegbert Stern umge-baut und erweitert. Dabei ist die ursprüngliche Villa zu gro-ßen Teilen in Struktur und Gestalt erhalten geblieben.' Ausder Größe und ihrer funktionellen Ordnung ist erkennbar,daß die ersten Häuser der Kolonie ausschließlich für einesommerliche Nutzung gedacht waren, zum Beispiel das 1880für Helene Ende in der Luisenstraße 9 gebaute Sommerhaus.»Ende & Böckmann« entwarfen hier ein zweigeschossigesGebäude mit Untergeschoß und einer vorgelagerten rund-bogigen Loggia. Ähnlich in der Anlage war das Haus für denKunstgärtner Grieben in der Luisenstraße 1. Das zweige-schossige Landhaus war aus sichtbarem Ziegelmauerwerk,hatte ein flaches, weit überstehendes Dach und zahlreicheshölzernes Schnitzwerk an Giebel und Loggia. Auch dasHaus für Wilhelmine von Türk, ebenfalls von »Ende &Böckmann« entworfen und später zum Bau der Villa Moslerabgerissen, entsprach diesem gestalterischen und funktionel-len Grundmuster.Bedingt durch die Lage des Griebnitzsees im Nordostenwurden die Häuser, oft auf rechteckigem Grundriß, ortho-gonal zur Straße angeordnet, so daß sie ihre Längsseite dersonnigen Südostlage zuwandten. Auch in späteren Jahrenwurde dies durch die Lage der Haupträume im Gebäudeoder durch winkelförmige Grundrisse mit nach Südosteneingefaßter Terrasse berücksichtigt.Wie langsam die Bebauung in den Jahren voranschritt, zeigtein Lageplan aus dem Jahr 1882, in dem lediglich 17Gebäude auf den 176 Parzellen verzeichnet sind.'Die zweite Bebauungsphase setzt mit der Eröffnung derWannseebahn in den neunziger Jahren ein und zeigt, daß dasProblem der Erschließung für den Verkehr offensichtlichunterschätzt wurde.Der Haltepunkt bekam mit der Wiedererrichtung eines von»Kyllmann & Heiden« 1 0 für die Wiener Weltausstellung1873 gebauten Pavillons ein würdiges Empfangsgebäude,das erst für den Bau des neuen, 1931 von Richard Brade-mann entworfenen Bahnhofsgebäudes abgerissen wurde.Einen besonderen Reiz übte die Kolonie auf führende Archi-tekten der wilhelminischen Ära aus.Zu den heute noch am stärksten vertretenen Architektengehören Heinrich Kayser (1842-1917) und Karl von Groß-heim (1841-1911). Für Kayser entstand ein Landhaus, dasdem Bahnhof Neubabelsberg schräg gegenüber lag und ver-mutlich im Zuge der Befestigung der Grenze abgerissenwurde. »Das Landhaus Kayser [...1 entstammt den Jahren1890/91. Es ist auf einem steil abfallenden, schmalen Geländeam Ufer des Griebnitzsees errichtet, der die Hinterwand desGebäudes bespült, während die Vorderseite fast unmittelbar ander Straße liegt; ein Garten hat mit Hülfe von Stützmauernangelegt werden können. Infolge dessen steigt die Zahl derGeschosse, welche einschließlich des Dachgeschosses an derStraße drei beträgt, am hinteren Theile des Hauses auf fünf.Die Haupträume liegen in dem von der Straße unmittelbarzugänglichen Erdgeschoss; an den die ganze Breite des Hauseseinnehmenden hinteren Speisesaal schliesst die grosse miteinem Holzpavillon überbaute Terrasse sich an, die einen rei-zcnden Ausblick über die hier im Winkel zusammen laufendenbeiden Theile des Sees gewährt. Unter ihr liegt ein Bootshafen,unter dem Speisesaale ein Angelzimmer. Die in den Formender deutschen Spätrenaissance gestaltete Faaade ist im Unter-bau mit Ziegeln verblendet, in den oberen Geschossen geputzt;

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die steilen Dächer sind mit lebhaft gefärbten Falzziegelngedeckt.«"Stark verändert ist das Landhaus für Matthias von Holst(1839-1905) in der Karl-Marx-Straße 15. Mit Carl Zaar(1849-1924) hatte er zwischen 1882 und 1887 eine gemein-same Firma.` »Das (mittlerweile in anderen Besitz überge-gangene) Landhaus v. Holst [...], in den Jahren 1891192 durchM. v. Holst unter Mitwirkung von R. Bislich erbaut, ist imUnterbau aus gefugtem, im Erdgeschoss aus geputztem Zie-gelmauerwerk, darüber aus Fachwerk hergestellt und mit bun-ten Falzziegeln eingedeckt. Die kleine Anlage, deren Grundrissschon andeutet, daßsie vorwiegend als Sommersitz dienen soll,erfreut ebenso durch ihre malerische an die Leistungen ältererdeutscher Volksbaukunst sich anschließende Erscheinung wiedurch ihre liebevolle Anpassung an das individuelle Bedürfnisder Familie.« 13

1880 hat auch Oskar Titz (1845-87), Sohn des bekanntenfrühen Privatbaumeisters Eduard Titz (1819-90) 14 , auf derParzelle 143 a zwischen der Kaiser- und der Domstraße eineVilla errichtet; sie wurde mehrfach verändert und 1922 fürden Bankier Ernst Wallach durch Moritz E. Lesser entschei-dend umgestaltet.' 5Zu den erhalten gebliebenen Architektenhäusern gehört dasHaus von Carl Zaarlb in der Karl-Marx-Straße 33. Das 1902in Partnerschaft mit Vahl gebaute Haus liegt mit den Haupt-räumen und einer ehemals turmbekrönten Loggia recht-winklig zur Straße und damit nach Südosten. Sein architek-tonisches Erscheinungsbild orientiert sich an den Formender deutschen Renaissance. 1925 wurde es für den »Kame-radschaftsbund Deutscher Polizeibeamter e.V.« umgestaltetund später durch einen Verbindungsbau mit der benachbar-ten Villa Karl-Marx-Straße 34 verbunden. Der Nachbar, derspätere Charlottenburger Baustadtrat Heinrich Seeling(1852-1932), hatte sein Landhaus bereits 1901 errichtet undmit einem von Fritz Encke gestalteten Garten versehen.'Zu den zahlreichen von »Kayser & von Großheim« entwor-fenen Landhäusern und Villen gehört die große Villa Karl-Marx-Straße 2, die 1892 für den Verlagsbuchhändler CarlMüller-Grote gebaut wurde. Sie bildet den Auftakt derBebauung entlang des Griebnitzsees und dominiert den vorihr liegenden Platz. Der zweigeschossige Putzbau wird durchNatursteingewände und -gesimse aus rotem Sandsteingegliedert; in der Mitte hebt sich durch große Fenster diezweigeschossige Halle ab. Anders stellt sich die Fassade ander Seeseite dar. Zwei große, symmetrisch angeordneteSchildgiebel und die in der Mitte eingezogene Loggia bestim-men den repräsentativen Eindruck der Villa.Müller-Grotes hatten ein sehr offenes Haus, zu den ständi-gen Gästen gehörten unter anderen der in der Nähe woh-nende Reichskunstwart Edwin Redslob und der Architektund Designer Peter Behrens. Letzterer war auch durch dieEhe seines Sohnes Josef mit Gabriele Müller-Grote mit derFamilie verbunden. Peter Behrens wohnte damals jenseitsdes Bahnhofs in der Teltower Straße (heute StahnsdorferStraße Ecke Rot-Kreuz-Straße). Er hatte sich im »Erd-mannshof«, der Villa des Kaiserlichen Hofbildhauers Erd-mann Encke, eingemietet. Im Atelier des Bildhauers hatteBehrens sein Büro eingerichtet, hier arbeiteten die großenArchitekten des 20. Jahrhunderts, Walter Gropius, LudwigMies van der Rohe und zeitweise Le Corbusier.1 sGrößter Auftraggeber für »Kayser & von Großheim« warElise Wentzel-Heckmann, die Tochter des Industriellen C. J.Heckmann aus Berlin und Ehefrau von Heinrich Wentzel,

dem engsten Mitarbeiter August Stülers. Wegen ihrer finan-ziellen Unterstützung wurde sie 1900 als erste Frau Mitgliedder Akademie der Wissenschaften und 1910 Ehrenmitglieddes Architektenvereins. Ein Lageplan der »Terraingesell-schaft Neubabelsberg«, Nachfolgerin der »Societät« nachdem Tod von Ende und Böckmann, weist sie als Eigentüme-rin mehrerer Parzellen aus. 19 Kurz nach der Jahrhundert-wende entstand aus der Hand von »Kayser & von Groß-heim« ihr eigenes Anwesen. »Das lang gelagerte Gebäudeerstreckt seine Hauptachse nach der Tiefe des Geländes undbesteht aus Portierflügel mit Haupteingang, Zwischenbau mit> Kreuzgang< und Gartenhalle, Wirtschaftsflügel mit Küchennebst Nebenräumen, Fremdenzimmern, Wohnungen für dasPersonal, und aus dem Wohnhause der Besitzerin mit Veranda.Diese Dreiteilung der Bestimmung kommt im Aufbau deutlichzum Ausdruck. [...] Das Aeussere, bei welchem in Formgebungund Gruppierung mit Glück eine malerische Wirkung erstrebtwurde, ist, unter sparsamster Verwendung von Sandsteinhauptsächlich für die Stützen, in Ziegelfügenbau und Putzerrichtet. Das Dach ist in der lebhafteren Flächenwirkung desKronendaches mit Ziegeln gedeckt.« 21 Auf dem gegenüberlie-genden Grundstück Virchowstraße 22 befindet sich das ehe-malige Wirtschaftsgebäude mit Remise, Stall und Kutscher-wohnung. Die dahinter liegenden Gewächshäuser sind inden achtziger Jahren abgerissen worden.Etwa 1904 entstand im Auftrag von Frau Wentzel-Heck-mann das schlichte Landhaus Karl-Marx-Straße 12 2 ' ,1907-08 das Haus Virchowstraße 20. 22 Auch die Virchow-straße 27 gelangte 1912 in ihren Besitz. Sie wurde 1890 von»Ende & Böckmann« für den Marinemaler Carl Saltzmann(1847-1923) gebaut. Saltzmann begleitete häufig die kaiser-liche Familie auf ihren Seereisen und wurde 1896 Professorfür Marinemalerei an der Berliner Akademie. Der rechteseitliche Anbau, ursprünglich durch einen Pavillon gekrönt,beherbergte das Atelier des Malers.Zu den besonders auffälligen Landhäusern und Villengehört die Karl-Marx-Straße 66. Die an der Straßenseite ein-gefaßte Jahreszahl 1895 gibt das Baujahr an. Architekt warGustav Lilienthal (1849-1933), der Bruder des FlugpioniersOtto Lilienthal. Nach anfänglichem gemeinsamen Experi-mentieren mit dem Bruder folgte eine Zeit vielfältiger Betäti-gung. Aus dieser Zeit stammt der weltberühmte »Anker-Steinbaukasten«. Erst in den neunziger Jahren begann fürLilienthal die intensive Phase des Bauens. Der BauherrLademann, General an der Kadettenanstalt in Lichterfelde,hatte seinen Architekten über die vielen von Lilienthal dortgebauten Häuser gefunden.Vielgestaltigkeit der Dach- und Fensterformen prägt dasLandhaus Domstraße 8, das 1900 von den Borsig-Architek-ten »Reimer & Körte« für den Direktor der MitteldeutschenKreditbank Karl Mommsen gebaut wurde. Es ist in seinerGesamtauffassung eher den neunziger Jahren des vergange-nen Jahrhunderts zuzuordnen, ebenso wie das Haus Dom-straße 14, dessen Gestaltungsmittel allerdings reduzierterund vereinfachter sind. Den Auftakt dieser Straße bildenLandhaus und Remise Domstraße 1/3, 1903 für den RentierAlfred Volpi von Emanuel Heimann entworfen. Heimannhat jahrelang für die » Societät Neubabelsberg« gearbeitetund sich später offensichtlich selbständig gemacht. Sein Wir-ken begann in den achtziger Jahren, seine Spuren verlierensich zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Er muß als der wich-tigste Architekt für die Kolonie Neubabelsberg betrachtetwerden.

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46 Potsdam-Neubabelsberg, Domstraße l/3, Landhaus und Remise;1 903, Emanuel Heimamt; Aufnahme 1990.

47 Potsdam-Neubabelsberg, Spitzweggasse 6 (ehemals Bergstraße: diefrühere Adresse von der anderen Seite des Grundstücks: Kaiserstraße39), »Villa Sarre«; um 1905, Otto Sior (heute Hochschule für Film undFernsehen): Aufnahme 3. 2. 1993.

48 Potsdam-Neubabelsberg, Spitzweggasse 6, Gartenseite (vgl. Abb.47); Aufnahme 3. 2. 1993.

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Der fast englisch anmutende Landhausbau Domstraße 1/3wird durch große tiefgezogene Dachflächen geprägt; fili-grane Schornsteine, Erker und Gitter, verschiedene Dachzie-gel in grünen und braunen Tönen geben ihm einen maleri-schen Gesamteindruck. Eine 1934 von Johannes Niemeyer(1889-1980) geplante Teilung des Hauses blieb unrealisiertund so ist das Landhaus Volpi als eines der schönsten Land-häuser der Kolonie fast unverändert erhalten geblieben.Ebenso malerisch stellt sich das Landhaus für den Landratdes Kreises Teltow und späteren Regierungspräsidenten Dr.Adolph von Achenbach dar. Der Sohn des preußischenStaatsministers für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbei-ten Heinrich von Achenbach hatte sich nach dem Jurastu-dium in vielen Positionen bewährt. Frühzeitig war er zurUnterstützung des erkrankten Teltower Landrates Ernst vonStubenrauch abgestellt worden und trat später seine Nach-folge an. Das Landhaus in der Karl-Marx-Straße 30-31erbaute der Baumeister und Architekt Achilles Rappo ausWannsee.»Die auf einer Anhöhe inmitten eines Gartens gelegene VillaSarre in Neubabelsberg, Kaiserstraße 39, ein Werk des Archi-tekten Reg.-Baumeisters O. Sior, verrät sowohl in der Grup-penbildung wie in den Einzelformen den Einfluß der italieni-schen Frührenaissance. Der einen Front ist im Erdgeschoß einegeräumige, rundbogige, auf Säulen ruhende, mit einer Altaneabschließende Halle vorgelegt, die mit einer Terrasse in Ver-bindungsteht. Die rundbogiggeschlossenen zn.'eigeteilten Fen-ster des Erdgeschosses erinnern an florentinische Muster, dieFenster des Obergeschosses sind dagegen gradlinig überdeckt.Der eine Flügel des Gebäudes trägt ein zweites, von einer offe-nen, architravierten Säulenstellung umzogenes Geschoß, wel-ches von einem flach abgewalmten Dach überdeckt ist. Ebensoist der höher geführte viereckige Aussichtsturm mit einer obe-ren offenen architravierten Säulenhalle und einem darüberabschließenden flachen Zeltdach ausgestattet. Das Unterge-schoß, die Gebäude ecken und einige Fensterstürze sind ausrauh bearbeiteten Quadern, während die Mauerflächen imErd- und Obergeschoß verputzt sind.« 23

Bauherr dieser Villa war der Direktor der Islamischen Abtei-lung des Kaiser-Friedrich-Museums, Prof. Dr. FriedrichSarre. Für die Wiedererrichtung der Prozessionsstraße vonBabylon durch die »Deutsche Orient-Gesellschaft« wurdentausende Ergänzungsziegel gebraucht und von BerlinerKeramikfirmen nachgebrannt. Vermutlich sind Teile davonauch für den Löwenfries in der umlaufenden Säulenhalleverwendet worden.'' Von den vielen Reisen hatte Sarre zahl-reiche Teppiche, Keramik und andere kunsthandwerklicheGegenstände mitgebracht und davon eine umfangreicheSammlung angelegt. Die Villa war nicht nur Sammlungsort,sondern zugleich ein gastfreudiges Haus. Zu den Gästengehörten unter anderen Walther Rathenau und der Attachean der Türkischen Botschaft, Enver Pascha. Nach ihm ist dieBrückenverbindung zwischen Neubabelsberg und Klein-Glienicke benannt.In unmittelbarer Nachbarschaft, in der Spitzweggasse 3,steht das Erstlingswerk von Ludwig Mies van der Rohe,1907 für den Philosophen Alois Riehl erbaut. »Hinter deroffensichtlichen Biederkeit des Hauses Riehl, die Jaumann somusterschülerhaft erscheinen mußte, verbirgt sich jedoch eineeigene, neuartige Auffassung, deren Absicht erst jenseits derMittel, die lediglich die Oberfläche des Baus betreffen, gefun-den werden kann. In der Schichtung der Volumen, der Geo-metrisierung der Form und den straffgespannten Wandflächen,

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49 Potsdam-Neubabelsberg, Johann-Strauß-Platz 11 (ehemals Rat-

50 Potsdam-Neubabelsberg, Jot ran-Strauß-Platz 11, Ansicht vonhausplatz); »Haus Gugenheim«; 1921-22, Hermann Muthesius (später

Südosten (vgl. Abb. 49); Aufnahme 3. 2. 1993.umgebaut); Aufnahme 3. 2. 1993.

die durch das präzise und knappe Relief einer Pilaster-Gebälk-Struktur tektonisiert werden, deutet sich eine Grammatik derarchitektonischen Komposition an, deren innere Ordnung sichin der Oberfläche als massives Relief abzeichnet. Es stellt einenGerüstbau dar, der die Funktion der Wand in schirmende undtragende aufspaltet und erst in der konstruktiven Pfeilerstel-lung, die den Baukörper an der Schmalseite mit einer Loggia involler Breite auflöst, wirklich, d. h. architektonisch und räum-lich in Erscheinung tritt.«" Im Bewußtsein der Betrachter hatsich vermutlich das Bild der breit gelagerten Stützwand mitden aufsteigenden Pfeilern und dem abschließenden Giebel-dreieck, gleich einem klassischen Portikus, fest eingeprägt.Diese erhabene Situation ist durch den stark gewachsenenBaumbestand kaum noch erlebbar. Die große Halle ist heutegeteilt, jedoch sind alle sonstigen Raumstrukturen erhalten.Der programmatische Reiz ist auch durch die Verglasung derLoggia gestört, aber nicht verloren. Da sie dieselbe Profilie-rung wie alle übrigen Fenster aufweist, bleibt zu vermuten,daß aufgrund der offenen und ungeschützten Lage der Bau-herr selbst sie verglasen ließ.Die 1915 in der Virchowstraße 23 errichtete Villa für denBankier Franz Urbig ist ein weiteres Werk Mies van derRohes. Sie steht an Stelle des 1880 für Helene Ende gebautenSommerhauses. »Renate Petras zufolge zeigte sein ursprüng-licher Entwurf eine eingeschossige, neoklassizistische Villa,die den ebenfalls nicht verwirklichten Plänen zu seinem Wohn-haus in Werder bei Potsdam nahe kam<.«" Elisabeth Urbig,Tochter des Bauherrn, bestätigt die Tatsache, daß ursprüng-lich ein Flachdach vorgesehen war. Die Bauunterlagen zumHaus Urbig kennen jedoch nur den von Karl-Heinz Hüterangesprochenen Entwurf mit kräftig kannelierten Pilasternin ganzer Wandhöhe, Fenstertüren im Erdgeschoß undstrenger Axialität der Fassaden.` Allerdings weist derLageplan ein rechteckiges Gebäude mit einem seitlichen, inder Breite schmaleren Altan aus und nicht die im Grundrißvorzufindende winkelförmige Lösung. Die Grundrißdispo-sition des Hauses zeigt wesentliche Parallelitäten zum HausWiegand von Peter Behrens.zs Abgesehen von dem vorgela-gerten Peristyl des Behrens-Hauses weisen beide Grundrisseim Erdgeschoß deutliche Gemeinsamkeiten in Funktion undZuordnung der Räume auf. Die Parallelen setzen sich in der

Gestaltung bis ins Detail fort. Der eher neobarocke Habitusdes Hauses im Inneren und teilweise im Äußeren geht ver-mutlich sehr stark auf die Initiative der Hausherrin zurück,die konkrete Vorstellungen zu Details hatte und diese wäh-rend Mies van der Rohes kriegsbedingter Abwesenheit durchden Architekten Werner von Walthausen realisieren ließ.Dazu gehört auch das ungewöhnliche quadratische, zur Ter-rasse hin orientierte Fenster des Eßzimmers. Hier kehrtparadoxerweise die Dreiachsigkeit des Bauantrages wiederund stellt den Bezug zum Entwurf für Werder her. Zu denschmückenden Details im Inneren gehören große wandglie-dernde Landschaftsgemälde im Empfangsraum und Supra-porten des Potsdamer Malers Fritz Rumpf. 21 Sie zeigen zum

51 Potsdam-Neubabelsberg, Johann-Strauß-Platz 11 (ehemals Rat-hausplatz), schmiedeeisernes Gartentor mit den Initialen HG (= HansGugenheim) des Bauherrn (vgl. Abb. 49-50).

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einen die Silhouette von Potsdam im Hintergrund und zumanderen Allegorien zum Thema »Krieg und Frieden«.Mitten im Ersten Weltkrieg baute sich Franz Urbig, einebedeutende Persönlichkeit des deutschen Bank- und Finanz-wesens, eine repräsentative Villa und nannte sie »Haus See-fried«. Während der Potsdamer Konferenz war sie Wohnsitzdes britischen Premierministers Winston Churchill.Bereits 1911 entwarf der in Berlin durch seine Tätigkeit fürdie U-Bahn bekannte Architekt Alfred Grenander(1863-1931) für Paul Herpich, Mitinhaber des bekanntenBerliner Kaufhauses »C. A. Herpich Söhne« eine zweige-schossige Villa in der Kaiserstraße (heute Karl-Marx-Straße27). Sie diente ebenfalls als Quartier für einen der »großenDrei« anläßlich der Potsdamer Konferenz, Josef Stalin. Die»Villa Herpich« ist aufgrund dieses Tatbestandes und derUnterschutzstellung in einem sehr guten Erhaltungszu-stand.Die 1924-26 entstandene Villa Mosler ist das drittebekannte Werk Mies van der Rohes in der Kolonie Neuba-belsberg. Georg Mosler hatte vermutlich schon eherBekanntschaft mit Mies gemacht, denn bereits 1923 sollte erfür ihn ein Nebengebäude in der Großen Weinmeisterstraße60 in Potsdam zu Wohnzwecken umbauen.

30»1924, nachdem

bereits seine berühmten als Prototyp des Neuen Bauensgelten-den Landhausentwürfe [...] entstanden waren, kehrte er mitdem Haus Mosler [...] noch einmal zu seinem neoklassizisti-schen Stil der Vorkriegszeit zurück. Der Baukörper in Back-stein wurde nun jedoch stark vereinfctcht.« 31 Dabei erinnert dieDachausbildung und -gestaltung sehr an die historischenBauten seiner Heimatstadt Aachen.Im Jahre 1921 kaufte der jüdische Bankier und alleinhaf-tende Gesellschafter der »Darmstädter und Nationalbank«Jacob Goldschmidt das Anwesen Virchowstraße 43 von demMitbegründer des »Deutschen Theaters« Adolph L'Ar-ronge. Letzterer hatte sich 1881 von »Ende & Böckmann«eine Villa errichten lassen, die eher dem klassischen Villen-verständnis entsprach und unter den frühen Bauten derKolonie eine Ausnahme darstellt. Alfred Breslauer, SchülerAlfred Messels, begann 1921 die Villa für Goldschmidtumzubauen, nachdem er bereits 1918-19 die Inneneinrich-tung für Goldschmidts Wohnung in der Hitzigstraße 7 inBerlin entworfen hatte. »Die Materialknappheit bei Baube-ginn (1921) verlangte die Ausnutzung eines an gleicher Stellestehenden älteren Gebäudes, das zum Teil erhalten, zum Teil indie Baumasse einbezogen werden mußte. Hierdurch wurdeauch die Grundrißplanung mitbestimmt. Im Erdgeschoß zeigtder Grundriß die organische Gruppierung von Wohn- und Wirt-schaftsräumen, wie sie ein vornehmes Wohnbedürfnis und diegegebene Orientierung erheischen. Das Obergeschoß umfaßtdie Schlaf- und Ankleideräume, wobei zur zweckmäßigenZusammenfassung der Zimmer die Anlage einer Diele, für not-wendig erachtet wurde. Bei der Ausgestaltung des ovalenEßzimmers wurden alte holländische gemalte Panneauxbenutzt und teilweise sinngemäß ergänzt. Für das Herrenzim-mer, das auch in der Möbelierung auf alte Renaissancestückezugeschnitten war, fand eine bemalte italienische Holzdeckedes 17. Jahrhunderts Verwendung. In der Außenarchitekturzeigt die Straßenfront eine schlichte Reihung von Fenster- undMauerflächen; das Hauptmotiv bildet die in der Mitte der Gar-tenfront gelegene, von massiven Sandsteinsäulen gebildeteLoggia mit Giebelbekrönung.«

32Nach dem Zusammenbruch

der Danat-Bank konnte Jacob Goldschmidt 1932 noch insschweizerische Exil gehen. Die Villa und zugehörige Neben-

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52 Potsdam-Neubabelsberg, Rosa-Luxemburg-Straße 21 (ehemalsAugustastraße), Wohnhaus Gebser; 1922-25, Hermann Muthesius (?);Aufnahme 3. 2. 1993.

gebäude auf dem gegenüberliegenden Grundstück wurden1938-39 für die »Reichsführerinnenschule 2« des »BDM«umgebaut. Dabei gingen neben der Halle und der wertvollenInnenausstattung vor allem das für Breslauer typische ovaleEßzimmer und die zum See vorgelagerte Loggia verloren.Auch über das weitere Schicksal des aus Potsdam stammen-den jüdischen Architekten Alfred Breslauer ist nichtsbekannt."Der für die Landhausbewegung wichtigste Architekt Her-mann Muthesius (1861-1927) ist in Neubabelsberg nur mitseinem Spätwerk vertreten. Am Johann-Strauß-Platz 11steht das im Winter 1921-22 erbaute Haus Gugenheim. DerMuthesius-Katalog der Berliner Akademie der Künstebeschreibt das Haus kurz: »Eingeschossiges Haus mit ausge-bautem Mansarddach. Im Wohngeschoß ein großer Raum; derEßteil kann durch eine Faltwand abgetrennt werden. IniSchlafzimmergeschoß Vorkriegskomfort: zwei Bäder, >An-kleidezimn2er<; allerdings fehlen die Wandschränke. Die bei-den Mädchenkammern sind reichlich klein, dabei ist diejenigefür die Köchin nur über die Anrichte zu erreichen. Es ist der einegroße Wohnraum, der das Haus als typisches Haus der Nach-kriegszeit zu erkennen gibt.« 34

Das ursprünglich auf rechteckigem Grundriß stehende Hausist heute winkelförmig, und auch der ehemals halbkreisför-mige Altan ist verändert. Möglicherweise hat die spätereBesitzerin, die Schauspielerin Brigitte Horney, es für ihreZwecke umgebaut. Eigentlicher Bauherr war Hans Gugen-heim, Mitinhaber und Vorstandsmitglied der Seidenweberei»Michels & Cie.«. Die Eingangspforte der Einfriedung istnoch erhalten und trägt die Initialen des Bauherrn. 35

Vermutlich ebenfalls von Hermann Muthesius stammt dasLandhaus Rosa-Luxemburg-Straße 21. Es erinnert inGestalt und Anlage an die Häuser Bredow in Dahlem,Schindler in Innsbruck und auch an das Haus Gugenheim. 36

Zu den erhaltenen Originalteilen gehören offensichtlich derVorgartenzaun und die Reste einer Gartenanlage im seitli-chen und hinteren Teil des Grundstücks. Die Grundbuchun-terlagen weisen mehrere wechselnde Eigentümer und eineBauzeit zwischen 1922 und 1925 aus." Nicht aufgefundenwerden konnte bisher das im Werkverzeichnis der Akademieaufgeführte »Haus Michels« von 1914. 3 "

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Jörg Limberg

Das an die vorgenannten Bauten von Muthesius erinnerndeLandhaus Virchowstraße 19-21 stellt einen Umbau einer1890 für den Regierungsrat Dr. Anton Heyroth errichtetenVilla dar. Ernst L. Freud (1892-1970), der Sohn SiegmundFreuds, hat 1927 die Villa für Frau Schade van Westrumgrundlegend umgestaltet. Der rote Backsteinbau mit hohemMansarddach wird in der Literatur als Umbau Dr. W ittgen-steiner bezeichnet. Dieser hat das Haus im selben Jahr erwor-ben und den Umbau fertigstellen lassen. 39 »Auffillig ist, daßalle bisher bekannten Häuser sich sehr stark voneinanderunterscheiden. Die beiden frühen Villen aus dem Jahr 1921sind traditionelle Putz- bzw. Klinkermauerwerksbauten mitkleinteiligen Fenstern.« 40 Letzteres gilt auch für diesenUmbau von 1927. Der Berliner Architekt Jürgen Schweitzerhat das Haus 1939 abermals leicht verändert.Ebenfalls einen Umbau stellt die Villa Karl-Marx-Straße 52dar. Eine aus den frühen achtziger Jahren des vergangenenJahrhunderts stammende Villa wurde 1921-22 von MaxWerner (1877-?) für den Schriftsteller Karl Erdmann grund-legend umgebaut. 1924 bescheinigt er, daß der Umbau einfast vollständiger (90 %) Neubau ist. Für das riesige Eck-grundstück und angrenzende Parzellen, die heute zum Teilmit Einfamilienhäusern bebaut sind, hat 1921 Ludwig Les-ser auch einen Garten gestaltet. Im Jahre 1924 ging dasAnwesen in den Besitz des Berliner Schuhgrossisten Rein-hold Stiller über.Zu den qualitätvollen Klinkerbauten der zwanziger Jahregehört das Haus August-Bier-Straße 4 der Architekten Kuh-nert und Pfeiffer. Zu DDR-Zeiten wurde es von dem »Doku-mentaristen«-Ehepaar Thorndike bewohnt.Ein konstruktives Novum stellt das Dach des Hauses Rosa-Luxemburg-Straße 29 dar. Hinter der gebogenen Dachhautverbirgt sich ein Bohlensparrendach, eine holzsparendeKonstruktion. Sie ist jedoch nicht im Sinne David Gillys aus-

53 Potsdam-Neubabelsberg, Rosa-Luxemburg-Straße 21 (ehemalsAugustastraße), Gartenseite (vgl. Abb. 52); Aufnahme 3. 2. 1993.

geführt, sondern als lamellenartiges Raumtragwerk ausBrettern und winkelartigen Metallverbindungen. 41

Das Haus Rosa-Luxemburg-Straße 40 ist ein Werk desArchitekten Jean Krämer, etwa 1924 für den jüdischenKaufmann Norbert Wiener gebaut. Konrad Adenauer fandhier mit seiner Familie vom 3. 5. 1934 bis zum 25. 4. 1935Unterschlupf, nachdem er 1933 als Oberbürgermeister vonKöln abgesetzt worden war. 42

In den dreißiger Jahren sind nur noch vereinzelt Landhäusererrichtet worden. Das bedeutendste unter ihnen ist das 1936gebaute Haus für Anna Heine in der Sauerbruchstraße15-17. Die Bauherrin gehörte zur Familie Wissinger, dieeine der größten Samen- und Getreidehandlungen Europas,die »Fa. J. & P. Wissinger«, Berlin, besaß. 43 Der ArchitektPaul Bonatz (1877-1956) baute hier vor seiner Emigrationi n die Türkei 1943 sein letztes Wohnhaus, ganz in der Tradi-tion seiner Stuttgarter und Kölner Häuser. Das eingeschos-sige und traufständige Haus mit dem für Bonatz typischeneinbündigen Grundriß steht an der Nordseite eines etwa4.000-qm-Grundstücks und nimmt durch das Wechselspielvon eingezogener Loggia und hervorspringendem Eßzim-mererker im Erdgeschoß die im Freien diagonal angelegteGartenlandschaft auf. Der zugehörige Vorgartenzaun weistnoch auf den von Emanuel Heimann entworfenen Vorgän-gerbau hin, der zum Bau des Hauses Heine abgerissenwurde. 44

Das kleine eingeschossige Landhaus an der Ecke Sauer-bruchstraße/Rosa-Luxemburg-Straße ist vermutlich einWerk der wichtigsten Potsdamer Architekten der dreißigerJahre, Otto von Estorff und Gerhard Winkler. Das weit aus-ladende Walmdach mit einem Aufschiebling findet sich auchhier als typisches Zeichen ihrer Bauten aus den frühen dreißi-ger Jahren. Die Straßenfassade zur Rosa-Luxemburg-Straßeist besonders originell gestaltet, nur eine verglaste Eingangs-

Page 9: Die Villen- und Landhauskolonie Neubabelsberg, Jörg Limberg, 1993

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Jörg Limberg

Das an die vorgenannten Bauten von Muthesius erinnerndeLandhaus Virchowstraße 19-21 stellt einen Umbau einer1890 für den Regierungsrat Dr. Anton Heyroth errichtetenVilla dar. Ernst L. Freud (1892-1970), der Sohn SiegmundFreuds, hat 1927 die Villa für Frau Schade van Westrumgrundlegend umgestaltet. Der rote Backsteinbau mit hohemMansarddach wird in der Literatur als Umbau Dr. Wittgen-steiner bezeichnet. Dieser hat das Haus im selben Jahr erwor-ben und den Umbau fertigstellen lassen. 39 »Auffällig ist, daßalle bisher bekannten Häuser sich sehr stark voneinanderunterscheiden. Die beiden frühen Villen aus dem Jahr 1921sind traditionelle Putz- bzw. Klinkermauerwerksbauten mitkleinteiligen Fenstern.«` Letzteres gilt auch für diesenUmbau von 1927. Der Berliner Architekt Jürgen Schweitzerhat das Haus 1939 abermals leicht verändert.Ebenfalls einen Umbau stellt die Villa Karl-Marx-Straße 52dar. Eine aus den frühen achtziger Jahren des vergangenenJahrhunderts stammende Villa wurde 1921-22 von MaxWerner (1877-?) für den Schriftsteller Karl Erdmann grund-legend umgebaut. 1924 bescheinigt er, daß der Umbau einfast vollständiger (90%) Neubau ist. Für das riesige Eck-grundstück und angrenzende Parzellen, die heute zum Teilmit Einfamilienhäusern bebaut sind, hat 1921 Ludwig Les-ser auch einen Garten gestaltet. Im Jahre 1924 ging dasAnwesen in den Besitz des Berliner Schuhgrossisten Rein-hold Stiller über.Zu den qualitätvollen Klinkerbauten der zwanziger Jahregehört das Haus August-Bier-Straße 4 der Architekten Kuh-nert und Pfeiffer. Zu DDR-Zeiten wurde es von dem »Doku-mentaristen«-Ehepaar Thorndike bewohnt.Ein konstruktives Novum stellt das Dach des Hauses Rosa-Luxemburg-Straße 29 dar. Hinter der gebogenen Dachhautverbirgt sich ein Bohlensparrendach, eine holzsparendeKonstruktion. Sie ist jedoch nicht im Sinne David Gillys aus-

53 Potsdam-Neubabelsberg, Rosa-Luxemburg-Straße 21 (ehemalsAugustastraße), Gartenseite (vgl. Abb. 52); Aufnahme 3. 2. 1993.

geführt, sondern als lamellenartiges Raumtragwerk ausBrettern und winkelartigen Metallverbindungen.

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Das Haus Rosa-Luxemburg-Straße 40 ist ein Werk desArchitekten Jean Krämer, etwa 1924 für den jüdischenKaufmann Norbert Wiener gebaut. Konrad Adenauer fandhier mit seiner Familie vom 3. 5. 1934 bis zum 25. 4. 1935Unterschlupf, nachdem er 1933 als Oberbürgermeister vonKöln abgesetzt worden war. 42

In den dreißiger Jahren sind nur noch vereinzelt Landhäusererrichtet worden. Das bedeutendste unter ihnen ist das 1936gebaute Haus für Anna Heine in der Sauerbruchstraße15-17. Die Bauherrin gehörte zur Familie Wissinger, dieeine der größten Samen- und Getreidehandlungen Europas,die »Fa. J. & P. Wissinger«, Berlin, besaß.` Der ArchitektPaul Bonatz (1877-1956) baute hier vor seiner Emigrationin die Türkei 1943 sein letztes Wohnhaus, ganz in der Tradi-tion seiner Stuttgarter und Kölner Häuser. Das eingeschos-sige und traufständige Haus mit dem für Bonatz typischeneinbündigen Grundriß steht an der Nordseite eines etwa4.000-qm-Grundstücks und nimmt durch das Wechselspielvon eingezogener Loggia und hervorspringendem Eßzim-mererker im Erdgeschoß die im Freien diagonal angelegteGartenlandschaft auf. Der zugehörige Vorgartenzaun weistnoch auf den von Emanuel Heimann entworfenen Vorgän-gerbau hin, der zum Bau des Hauses Heine abgerissenwurde.

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Das kleine eingeschossige Landhaus an der Ecke Sauer-bruchstraße/Rosa-Luxemburg-Straße ist vermutlich einWerk der wichtigsten Potsdamer Architekten der dreißigerJahre, Otto von Estorff und Gerhard Winkler. Das weit aus-ladende Walmdach mit einem Aufschiebling findet sich auchhier als typisches Zeichen ihrer Bauten aus den frühen dreißi-ger Jahren. Die Straßenfassade zur Rosa-Luxemburg-Straßeist besonders originell gestaltet, nur eine verglaste Eingangs-

Page 10: Die Villen- und Landhauskolonie Neubabelsberg, Jörg Limberg, 1993

54 Giebelseite von der Straße.54-55 Potsdam-Neubabelsberg, Rosa-Luxemburg-Straße 40 (ehe-mals Augustastraße); 1924, Jean Krämer; Aufnahmen 3. 2. 1993.

tür mit Klappläden gliedert symmetrisch die Wandfläche.Die Potsdamer Landhäuser von Otto von Estorff und Ger-hard Winkler zeigen häufig ein interessantes und spannungs-volles Spiel der Öffnungs- und Wandflächen und stellenunter den vergleichbaren Bauten dieser Zeit eine eigenstän-dige und qualitätvolle Leistung dar.Zu dem über das übliche Maß dieser Zeit Hinausreichendegehört auch das »Haus Ande«, Dornstraße 24, 1937 von demBerliner Architekten Dr. Christian Gellinek errichtet, dersich auch am Wettbewerb für die Berliner Bauausstellung1930 beteiligt hatte.Vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhundertssind neben den Remisen- und Stallgebäuden zahlreicheGewächshäuser und auf den Wassergrundstücken Boots-häuser entstanden, die das Bild der Kolonie vom Wasser undvorn Lande entscheidend mitgeprägt haben. Letztere sindden Grenzbefestigungsanlagen zum Opfer gefallen. Hier hatdie Villen- und Landhauskolonie Neubabelsberg ihren deut-lichsten Einschnitt erfahren, hier sind auch die schönstenGartenanlagen verloren gegangen. Ebenso ist heute kaumnoch ein historisches Gewächshaus vorhanden. Nur wenigeder Remisen- und Stallgebäude haben überlebt, das beein-druckendste ist zweifelsohne das in der Karl-Marx-Straße 18.

Wie die Zusammenstellung zeigt, hat sich in Neubabelsbergeine große Anzahl berühmter Architekten betätigt. DasBemerkenswerte daran ist zum einen, daß die Kolonie hierauf engerem Raum als in vergleichbaren Gegenden Berlinseine solche »Revue« der Villen- und Landhausarchitekturbietet, zum anderen, daß ein Großteil der Baumeister derKaiserzeit mit eigenen Villen vertreten ist. Die Kolonie Neu-babelsberg läßt sich demnach auch als ein Almanach des Vil-len- und Landhausbaus nach den Wunschvorstellungenbedeutender Berlin-Potsdamer Architekten werten.Neben den vielen baugeschichtlichen Zeugnissen wird dar-überhinaus Geschichte im Leben der Bewohner lebendig, diewichtige Kapitel der Film-, Kunst- und Kultur-, der Wissen-schafts-, Wirtschafts- und Zeitgeschichte mitgeschriebenhaben.

Potsdam • Die Villen- und Landhauskolonie Neubabelsberg

55 Ansicht von Südwesten. Gartenseite.

Die Villen- und Landhauskolonie Neubabelsberg ist weiter-hin ein äußerst interessanter Arbeitsgegenstand und bedarfintensiver Suche nach neuen Quellen. Zugleich muß gemein-sam mit den Stadtplanern versucht werden, die künstlerischeQualität und städtebauliche Eigenart als Teil urbaner Viel-falt einer Stadt und somit auch als Dokument städtischerEntwicklung zwischen Berlin und Potsdam zu erhalten.

Anmerkungen

1 O.V., Neubabelsberg, Verlag der Societät Neubabelsberg, 1897,S.lOf. - Weitere Lit.: Klein=Glicnicke und Neubabelsberg, in:Willy Spatz, Der Teltow, 3. Teil, Geschichte der einzelnen Ortschaf-ten, Berlin 1912, S. 132-37. - Kurt Weiden, Historische, gesellschaft-liche. kommunalpolitische Entwicklung der Villen-Colonie Neuba-belsberg und »Stadt des Films« Babelsberg, 1875 bis 1945, 1983/84,Amt für Denkmalpflege Potsdam (Typoskript). - Jörg Umberg. DieVillenkolonie Neubabelsberg, in: Kulturbauten und Denkmale, Heft2, Potsdam - ein Kunst- und Kulturdenkmal, Berlin 1991, S. 13-17.Ausgewählte Straßennamen nach Weiden, S. 329:vor 1933

heuteRingstr.jLuisenstraße

VirchowstraßeKaiserstraße

Karl-Marx-StraßeAugustastraße

Rosa-Luxemburg-StraßeFriedrich-Wilhelm-Straße

SauerbruchstraßeViktoriastraße

August-Bier-StraßeDomstraße

DomstraßeRathausplatz

Johann-Strauß-PlatzBergstraße

SpitzweggasseBerliner Straße

Rudolf-Breitscheid-Straße2 Karl-Robert Schütze, 1848-1888, Auf dem Weg zur Weltstadt, in:

750 Jahre Architektur und Städtebau in Berlin, Internationale Bau-ausstellung Berlin 1987 im Kontext der Baugeschichte Berlins, Stutt-gart 1987, S. 103f.

3 Der Bahnhof heißt heute » Griebnitzsee«, in den dreißiger Jahrentrug er den Namen »Ufa-Stadt«.

4 Vgl. Stefan Handke, Die Eisenbahn Berlin-Potsdam. Die Wannsee-bahn, Berlin 1988, S. 33.

5 Weiden (wie Anm. 1), S. 160 f.6 Vgl. Architektonisches Skizzenbuch, Jg. 1879, Heft 1, Bl. 2f.7 Neubabelsberg (wie Ann. 1), S. 5.8 Magistrat der Stadt Potsdam, Bauaufsichtsamt, Acta specialia Karl-

Marx-Straße 3.9 Vgl. Karte für Touren nach der Umgegend von Potsdam über Neu-

babelsberg, 1882 (Reprint: Kartographischer Dienst Potsdam, Pots-

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