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Die verschiedene Szenenfolge des Fragments „Woyzeck“ von G. Büchner
in den Ausgaben von F. Bergemann und O.C.A. zur Nedden
Masaharu Oba
1. VorbemerkungZunächst muss bemerkt werden, dass die folgenden Auseinandersetzungen mit
den beiden Texten „Woyzeck“ in den Ausgaben von F. Bergemann und O.C.A. zur
Nedden keineswegs einen neuesten Forschungsbericht bezüglich der Probleme um
Georg Büchner darstellen. Sie stellen lediglich einen Abschnitt der G. Büchner-
Forschung dar, die sich mit den „Woyzeck“-Fragmenten in den Jahren um 1970
des letzten Jahrhunderts beschäftigt haben, insbesondere unter dem Aspekt, welche
Fragment-Texte sich den aristotelischen oder nichtaristotelischen Dramen annähern
würden, indem man die Reihenfolge der verschiedenen Szenen der Woyzeck-Frag-
mente ins Auge fasste. Eine solche Untersuchung ist jedoch, so scheint es mir,
insofern wichtig, als sie uns heute noch die exemplarischen Formen vorzuzeigen
imstande ist, was ein aristotelisches bzw. nichtaristotelisches Drama sein kann.
Das „Woyzeck“-Fragment hat nun viele Unklarheiten hervorgebracht, die unver-
meidlich dem Wesen des Fragments nach bei der Untersuchung des Stückes auf-
tauchen: die Bearbeitungen der verschiedenen Entwürfe des Woyzeck, daher die
Umstellungen der Szenenfolge, Textauffüllungen, Textveränderungen, Szenenergän-
zungen in verschiedenen Ausgaben durch die offen gebliebenen Manuskripte.
Was hier also untersucht wird, ist die verschiedene Szenenfolge von zwei Texten,
erstens F. Bergemanns1 und zweitens O.C.A. zur Neddens2, obwohl dies sicherlich
sehr fragwürdig bleiben mag, ohne die ganzen kritischen Betrachtungen miteinzu-
beziehen3.
Dank der kritischen Betrachtung zu der Edition F. Bergemanns von Ursula Paulus4
ist indes klargeworden, mit welcher Absicht F. Bergemann seine Woyzeck-Ausgabe
bearbeiten wollte. U. Paulus schreibt folgendermaßen: „Damit zeigt sich deutlich,
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dass Bergemann für eine Szenenordnung des Woyzeck von Formvorstellungen
ausgeht, die am klassischen Drama gewonnen sind.“5 Darüber soll im Folgenden
reflektiert werden.
Zugleich muss darüber hinaus eine grundlegende Betrachtung angestellt werden,
zu welcher Art des Dramas dieses Stück „Woyzeck“ gehört, zu dem aristotelischen
oder dem nichtaristotelischen Drama? Es werden aber hier nur einige Stichwörter
nach der Formulierung von M. Kesting6 erwähnt: Die aristotelische Dramaturgie
– drei Einheiten (Zeit, Ort, Handlung), kausale Handlungsfolge, verflochtene Szen-
entechnik, Konflikt und Auslösung der Katastrophe; dagegen die nichtaristotelische
Dramaturgie – die Handlung dehnt sich frei aus in Raum und Zeit, sie folgt nicht
den Gesetzen der Handlungskausalität, die Selbständigkeit der einzelnen Szenen.
Diese Aspekte scheinen uns eine große Rolle zu spielen, da unsere Überlegung über
die Szenenfolge wenig Sinn hätte, wenn „Woyzeck“ völlig der nichtaristotelischen
Dramaturgie angehörte.
Daneben findet sich noch ein interessanter Satz, der uns ein noch wesentlicherer
Ausgangspunkt zu sein scheint, im Nachwort von O.C.A. zur Nedden zu seiner
Ausgabe: „Die Reihenfolge der Szenen ist so angelegt, dass für den Leser ein mög-
lichst eindringlicher Handlungsablauf entsteht.“7 Die sich hier befindenden Wörter
– für den Leser – dürfen bei dem Vergleich mit dem Text F. Bergemanns nicht außer
Acht gelassen werden, während das Drama-Stück dem Wesen der Gattung Drama
nach erst in der szenischen Verwirklichung des Theaters, mit anderen Worten bei
der Aufführung des Dramas seine volle dichterische Bedeutung und Gestalt erlangen
kann.
2. Die schematische Darstellung der SzenenText A von F. Bergemann Seite Text B von O.C.A. zur Nedden Seite
1. Beim Hauptmann 113f. 1. Zimmer 4f.
2. Freies Feld, die 2. Freies Feld, die
Stadt in der Ferne 115. Stadt in der Ferne 5f.
3. Die Stadt 115f. 3. Die Stadt 6f.
4. Buden. Lichter. Volk 116f. 4. Beim Doktor 8ff.
5. Das Innere der heller- 117f. 5. Buden. Lichter. Volk 10f.
leuchteten Bude
6. Mariens Kammer 118f. 6. Das Innere der heller- 11.
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leuchteten Bude
7. Beim Doktor 119f. 7. Mariens Kammer 12.
(Marie. Tambourmajor)
8. Mariens Kammer 120f. 8. Der Hof des Doktors 12f.
(Marie. Tambourmajor)
9. Straße 121ff. 9. Mariens Kammer 13f.
10. Mariens Kammer 123. 10. Straße 14ff.
11. Die Wachtstube 123f. 11. Mariens Kammer 17f.
12. Wirtshaus 124f. 12. Die Wachtstube 18f.
13. Freies Feld 125. 13. Wirtshaus 19f.
14. Ein Zimmer in der 125f. 14. Freies Feld 20.
Kaserne
15. Der Hof des Doktors 126f. 15. Wirtshaus (Tambourmajor. 20f.
Woyzeck. Leute.)
16. Kasernenhof 127. 16. Ein Zimmer in der Kaserne 21.
17. Wirtshaus (Tambour- 127f. 17. Kasernenhof 21f.
major. Woyzeck. Leute.)
18. Kramladen 128. 18. Mariens Kammer 22.
19. Mariens Kammer 128. 19. Trödlerladen 22f.
20. Kaserne 129. 20. Kaserne 23.
21. Straße 129f. 21. Straße 23f.
22. Waldsaum am Teich 130f. 22. Waldsaum am Teich 24f.
23. Das Wirtshaus 131f. 23. Mariens Kammer 25.
24. Am Teich 132. 24. Das Wirtshaus 26.
25. Waldweg am Teich 27.
26. Straße 27f.
27. Waldweg am Teich 28.
(Gerichtsdiener, Arzt, Richter.)
3. Einzelne Erwägungen über die umgestellten SzenenWie wir anhand der vorausgegangenen schematischen Darstellung gesehen haben,
ergeben sich sieben umgestellte Szenen bei beiden Texten, Text A und Text B (im
Folgenden, abgekürzt als T. A und T. B), abgesehen von den im T. A angehängten
Szenen; T. A6 (Mariens Kammer), T. A7 (Beim Doktor), T. A8 (Mariens Kammer,
Marie. Tambourmajor), T. A15 (Der Hof des Doktors), T. A.17 (Wirtshaus), T.
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A18 (Kramladen), T. A19 (Mariens Kammer), dagegen T. B4 (Beim Doktor), T.
B7 (Mariens Kammer, Marie. Tambourmajor ), T. B8 (Der Hof des Doktors), T.
B9 (Mariens Kammer), T. B15 (Wirtshaus), T. B18 (Mariens Kammer), T. B19
(Trödlerladen).
Legt man zunächst T. A zugrunde, so können die einzelnen umgestellten Szenen
wie folgt betrachtet werden. Zum ersten folgt die Szene T. B4 (Beim Doktor) direkt
der Szene T. B3 (Die Stadt), während sie im T. A erst hinter der Szene T. A6 (Mariens
Kammer) eingeordnet ist. Was in dieser Szene offenbar als eine äußerliche Verknüp-
fung (äußeres Geschehen) erscheint, betrifft die Rede von der Natur Woyzecks:
„Woyzeck (vertraulich). Herr Doktor, haben Sie schon was von der doppelten
Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mittag steht und es ist, als ging‘ die Welt
in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredt!“8
Diese Stelle ist in sich eine Wiederholung dessen, was sich in den Szenen „Freies
Feld“ und „Die Stadt“ befindet:
„Woyzeck. Red was! (Starrt in die Gegend.) Andres! Wie hell! Über der
Stadt ist alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter
wie Posaunen. Wie‘s heraufzieht! - Fort! Sieh nicht hinter dich! (Reißt ihn
ins Gebüsch.)
Andres (nach einer Pause). Woyzeck, hörst du‘s noch?
Woyzeck. Still, alles still, als wär die Welt tot.“9
„Woyzeck (geheimnisvoll). Marie, es war wieder was, viel - steht nicht
geschrieben: Und sieh, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom
Ofen? “10
An diesen drei Stellen wurde deutlich, dass Woyzecks Existenz durch die in der
Art auftretende Natur erschüttert wurde. Woyzeck geriet in schauderhafte Angst vor
dem, was ihn an die Eschatologie erinnert, - „wie Posaunen“ -, - „als wär die Welt
tot“ -. Die Natur ist hier eine Perspektive der vielgestaltigen Umwelt. Diese Perspek-
tive der Natur versetzt Woyzeck unmittelbar in Unruhe. Dafür ist auch der Auftritt
der Freimaurer11 ein Moment. Seine existenzielle Unruhe verkörpert sich später in
der „Stimme“12. Die äußerliche Liaison über die Natur ist jedoch nicht so eng, dass
diese Szene (Beim Doktor) bedingungslos hinter der Szene „Die Stadt“ eingeordnet
werden muss. Der Form dieser Szene nach kann die andere Szenenfolge geschaffen
werden, wie dieses im T. A der Fall ist, da diese Szene eine für sich geschlossene,
selbständige Form besitzt. In dem Sinne ist diese Szene für sich geschlossen und
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selbständig, dass sie das Experiment des Doktors mit Erbsen mit der Ausführung
und dem Zustand Woyzecks abschließt. Dabei ist zu bedenken, dass diese Szene
auf anderer Ebene bzw. in der anderen Handlungslinie mit dem zentralen Thema
verknüpft wird. Diese zwei Handlungslinien werden näher im Zusammenhang mit
der Szene „Der Hof des Doktors“ behandelt.
Nun betrifft jene Verknüpfung über die Natur wiederum auch den T. A. Im T.
A folgt aber diese Szene erst nach drei Szenen. Auf Grund dieser Szenenfolge
wird diese Verknüpfung im Vergleich zum T. B schwächer. Darüber hinaus gibt
es noch eine enge Handlungsverknüpfung zwischen den beiden Szenen „Mariens
Kammer“ und „Mariens Kammer-Marie, Tambourmajor“, die untreue Marie bzw.
die Beziehung zwischen Marie und Tambourmajor. In der T. A Szenenfolge wird
aber dieser Handlungsnexus durch den Auftritt der Szene „Beim Doktor“ gestört.
Gleichzeitig muss der folgende Handlungsnexus zwischen den Szenen T. A3 (Die
Stadt) und T. A4 (Buden. Lichter. Volk) bzw. T. B3 (Die Stadt) und T. B5 (Buden.
Lichter. Volk) erwähnt werden: das Verhältnis des Tambourmajors zu Marie. Dieser
Handlungsnexus im T. B wird aber der Wichtigkeit des äußeren Geschehens gemäß
als jene Handlungsverknüpfung (das Verhältnis zwischen Marie und dem Tam-
bourmajor) im T. A6 und T. A8 weniger gestört. Andererseits entsteht ein Bruch in
der Handlungslinie Woyzeck-Marie-Tambourmajor, durch die diese Handlungslinie
verdeutlichende Nebenhandlungslinie, also Woyzeck-Doktor-Hauptmann. Dieser
Bruch erzeugt einen Kontrast zwischen beiden Handlungslinien. Dadurch folgt eine
Unterbrechung der Szenenspannung. Abgesehen vom Thema, das in der Szene „Der
Hof des Doktors“ behandelt wird, ergibt sich folgendes anhand dieser Auseinan-
dersetzung: die Szene „Beim Doktor“ in der T. B Szenenfolge steht näher zu der
aristotelischen Dramaturgie, die eine Szene auf die andere folgen lässt, unter dem
Aspekt äußeren Geschehens - erstens über die Natur, zweitens über die untreue
Marie. Dagegen erzeugt diese Szene in der T. A Szenenfolge ein nichtaristotelisches
Moment, das die Zuschauer durch jenen Kontrast in die klare Überlegung hinein-
zwingt. Mit anderen Worten kommt uns diese Szenenfolge im T.B natürlicher bzw.
reibungsloser vor als in der Szenenfolge im T. A.
Zum zweiten betrachten wir zwei umgekehrt folgende Szenen T. A6 (Mariens
Kammer) und T. A8 (Mariens Kammer. Marie. Tambourmajor) bzw. T. B7 und T.
B.9, abgesehen von der Szene T. B8 (Der Hof des Doktors), die uns gemäß ihrer
Reihenfolge sehr problematisch erscheint und später behandelt wird. Wie schon
erwähnt wurde, handelt es sich hier in beiden Texten um die untreue Marie. Man
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kann dabei feststellen, dass das Verhältnis zwischen Marie und dem Tambourmajor
intensiv geworden ist. In der „Mariens Kammer“-Szene zeigt sich, dass Woyzeck
Zweifel über Marie hegt:
„Woyzeck. Unter deinen Fingern glänzt‘s ja.
Marie. Ein Ohrringlein; hab‘s gefunden.
Woyzeck. Ich hab so noch nix gefunden, zwei auf einmal“13
Die andere „Mariens Kammer“-Szene weist daraufhin, dass das Verhältnis zwi-
schen Marie und dem Tambourmajor enger wird:
„Tambourmajor. Und du bist auch ein Weibsbild!
Sapperment, wir wollen eine Zucht von Tambourmajors
anlegen. He? (Er umfasst sie.)
Marie (verstimmt). Lass mich.
Tambourmajor. Wild Tier!
Marie (heftig). Rühr mich an! “14
Die Szene (Mariens Kammer) ist in der Szenenfolge T. B umgestellt, da es zwei
äußere Verknüpfungen gibt:
1) Woyzeck bekommt vom Hauptman über die untreue Marie direkt in der
nächsten Szene (Strasse) eine Andeutung.
2) Marie hat Gewissensbisse durch das vorhergehende Geschehen mit dem
Tambourmajor: „Ich bin doch ein schlecht Mensch! Ich könnt mich
erstechen.“15
Diese beiden äußeren Handlungsverknüpfungen sind der Anlass für diese Umstel-
lung (vom T. A zum T. B). Mit anderen Worten nähert sich die Szenenfolge T. B
mit der Umstellung zu der aristotelischen Dramaturgie, in der eine kontinuierliche
Handlung zu sehen ist.
Zum dritten kommt nun die Szene T. A15 (Der Hof des Doktors) bzw. T. B8.
Sie ist im T. A zwischen den Szenen T. A14 (Ein Zimmer in der Kaserne) und T.
A16 (Kasernenhof), dagegen im T. B zwischen den „Mariens Kammer“-Szenen,
die bereits auseinandergesetzt wurden, eingeordnet. Es handelt sich offensichtlich
in dieser Szene um das Verhältnis des Menschen zur Natur oder umgekehrt. Ferner
zeigt sich, dass die Menschen, die Tiere und alle Geschöpfe von außen her (mit
den Worten des Doktors, hier z.B. „centrum gravitationis“16 fest verankert oder
determiniert sind. Gleichzeitig kann man feststellen, dass diese Szene auch wie die
Szene „Beim Doktor“ eine für sich geschlossene, selbständige Form besitzt. Diese
Szene schließt den Versuch des Doktors über die Ernährungskur vor den Studenten
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mit der Funktion der Ohr- „Muskeln“ Woyzecks ab. Wenn nur dieser Aspekt ins
Auge gefasst wird, unterstützt diese Szene in der Szenenfolge im T. B8 das äußere
Geschehen und seine Spannung des steigenden Mordmotivs. In der T. A Szenenfolge
wird dagegen das steigende Mordmotiv plötzlich nicht mehr verfolgt. Andererseits
erzeugt diese Szene in der T. A Szenenfolge ein nichtaristotelisches Moment. Durch
ihre Reihenfolge wird zwar die emotionale Leidenschaft plötzlich unterbrochen (ein
Bruch der äußeren Handlungslinie), doch wird man dazu gezwungen, eine klare
Betrachtung über das Folgende anzustellen. Die Rede zwischen Woyzeck und dem
Doktor lautet folgendermaßen:
„Woyzeck. Herr Doktor, ich hab‘s Zittern.
Doktor (ganz erfreut). Ei, ei, schön, Woyzeck! (...) Sehen Sie; der Mensch,
seit einem Vierteljahr ißt er nichts als Erbsen; bemerken Sie die Wirkung,
fühlen Sie einmal: was ein ungleicher Puls! Der und die Augen!
Woyzeck. Her Doktor, es wird mir dunkel! (Er setzt sich) “17
Was sich hier zeigt, ist der physische Mangelzustand durch die Ernährungskur.
Dieser Aspekt wird so bedeutsam hervorgehoben, dass dieser physische Mangel-
zustand Woyzecks für die Mordtat eine große Rolle spielen musste. Ferner nähert
man sich damit dem Thema effektvoller. Was ist dann das Thema? Anhand der zwei
Szenen „Beim Doktor“ und „Der Hof des Doktors“ wird zunächst folgendes klar:
Woyzeck wurde ein Versuchsobjekt des Doktors, um einige Groschen zu verdienen,
weil er eindeutig arm ist. Die Armut bringt ihn in die „Verhetztheit“18. Wenn diese
„Verhetztheit“ unmittelbar Woyzeck zu der Mordtat gebracht hätte, würde eine sozi-
alkritische Bedeutung hervorgehoben: seine materiellen Umstände (Armut) haben
ihn ummittelbar in die geistige Umnachtung (ins Verbrechen) getrieben. Folgendes
ist gleichzeitig in der Szene „Beim Hauptmann“ gesagt, dass Woyzeck unbewusst
in dem Natur-Gesetz lebt, welches ihn fest verankert:
„Woyzeck. Ja, Herr Hauptmann, die Tugend, ich hab‘s noch nit so aus. Sehn
Sie, wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die
Natur; aber wenn ich ein Herr wär und (...) Aber ich bin ein armer Kerl.“19
Auch in der Szene „Der Hof des Doktors“ wurde deutlich gezeigt, dass die
Menschen, die Tiere und alle Geschöpfe von außen her determiniert sind. Dieser
Determinismus ist offenbar ein wichtiges Thema des ganzen Textes „Woyzeck“.
Diese Betrachtung ergibt nun eine Antwort auf die Frage nach dieser Szene: Die
Szenenfolge des T´es B steht näher zu der aristotelischen Dramaturgie, die nichts
geschehen lässt, was sich nicht aus dem Vorausgegangenen (hier Mordmotiv) logisch
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ableiten ließe. Gleichzeitig erlaubt die Zielstrebigkeit der Mordmotiv-Handlung
keinen Bruch. Die Szenenfolge des T´es A beinhaltet dagegen eher einen nichta-
ristotelischen Aspekt, der in der Folgezeit bedeutsam wird, wie es bereits erwähnt
wurde.
Nun betrachten wir die Szene „Wirtshaus“ im T. A17 und T. B15. Sie zeigt das
äußere Geschehen zwischen Woyzeck und Tambourmajor im Wirtshaus. In der T.
A Szenenfolge hat diese Szene eine äußere Geschehens- und Ortsverknüpfung, die
Rede von Tambourmajor über Andres: „Ein köstlich Weibsbild! die hat Schenkel, und
alles so heiß!“, und die Rede von Woyzeck: „Andres. Wohin, Kamerad? Woyzeck.
Beim Offizier Wein holen“20. In der T. B Szenenfolge ist diese Verknüpfung nicht
vorhanden.
Zum Schluss bleiben folgende Szenen: Die Szenen T. A18 (Kramladen), T. A19
(Mariens Kammer) bzw. T. B18 (Mariens Kammer) und T. B19 (Trödlerladen). Diese
Umstellung scheint nicht wichtig zu sein, denn die Szene „Mariens Kammer“ hat
keine äußere Geschehensverknüpfung mit der vorhergehenden Szene. Der Unter-
schied besteht im Folgenden: Die Szene „Kramladen“ ist im T. A18 ist direkt hinter
der Szene T. A17 (Wirtshaus), da es bei den Szenen T. A16 (Kasernenhof) und T.
A18 (Kramladen) eine enge Verknüpfung gibt (Der Traum vom Messer und dem
Einkauf des Messers).
4. ZusammenfassungAuf die Ausgangspunkte zurückgehend, ist einiges über die umgestellten Szenen
und ihre Reihenfolge klar geworden. Jede Szene, die auseinandergesetzt ist, hat im
exakten Sinne eine für sich abgeschlossene, selbständige Form, die besonders in den
zwei Szenen „Beim Doktor“ und „Der Hof des Doktors“ deutlich zu sehen ist. Auf
diesem Grund folgen viele nichtaristotelische Momente: Diskontinuität der Hand-
lung, einzelne sprunghaft aneinandergereihte Szenen, der Bruch der Handlungslinie
usw.. Auf der anderen Seite hat „Woyzeck“ eine gewisse äußere Handlungslinie,
die sich mit dem Mordmotiv entwickelt. Diese Handlungslinie ist jedoch nicht so
eng, dass sie im strengen Sinne als ein kausaler Handlungsnexus bezeichnet werden
kann. Daher gehört dieses Stück „Woyzeck“ im ganzen zu der nichtaristotelischen
Dramaturgie. Darüber hinaus ergibt sich eine Antwort auf die Worte von O.C.A. zur
Nedden: „Die Reihenfolge der Szenen ist so angelegt, dass für den Leser ein mög-
lichst eindringlicher Handlungsablauf entsteht.“, wie bereits weiter oben21 erwähnt
wurde. Was unter diesem Aspekt in den auseinandergesetzten Szenen deutlich wird,
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Die verschiedene Szenenfolge des Fragments „Woyzeck“ von G. Büchner in den Ausgaben von F. Bergemann und O.C.A. zur Nedden
ist die Absicht von zur Nedden, dass die äußere Handlungslinie (Woyzeck – Marie
– Tambourmajor) möglichst nicht gestört wird. Dabei wird das nichtaristotelische
Moment (Kontrast durch den Bruch) gebremst.
Wenn man daher die Wirkung dieses Moments, die in der Szenenfolge vom T.
A wirksam wird, außer Acht lässt, kommt die Szenenfolge vom T. B dem Leser
(auch dem Zuschauer) eindringlicher vor als die T. A Szenenfolge, da die äußere
Handlungsabfolge noch mehr gesichert wird. Damit nähert sich die Szenenfolge
vom T. A mehr der klassischen Dramaturgie. Was man noch erwähnen muss, ist das
sozialkritische Moment. Dieses Moment wird durch die Wirkung des Bruchs in der
T. A Szenenfolge mehr hervorgehoben, wie es in der Szene „Der Hof des Doktors“
deutlich gezeigt wurde.
Anmerkungen
1. Fritz Bergemann: Georg Büchner. Werke und Briefe. 7. Auflage, München 1973. Der
Text beruht auf der im Insel Verlag erschienenen Gesamtausgabe der Werke und Briefe,
hrg. von Fritz Bergemann (9. berichtigte Auflage 1962)
2. Otto C. A. zur Nedden: Georg Büchner, Woyzeck. Leonce und Lena. Stuttgart 1973
(Reclam) Das ist der Text, der auf Grund der Ausgabe Fritz Bergemanns (Insel Verlag,
4. Auflage 1949 und 9. Auflage 1962) zusammengestellt ist, und auch die Bearbeitungen
und Ausgaben von Ernst Hardt, Arnold Zweig und Kasimir Edschmid herangezogen
hat.
3. Vgl. Fritz Bergemann: Entwicklung und Stand der Georg Büchner-Forschung, in:
Geistige Arbeit IV, 1937; Horst Oppel: Stand und Aufgaben der Büchner-Forschung,
in: Euphorion 49 (1955); Werner R. Lehmann: Textkritische Noten, Prolegomena zur
Hamburger Büchner-Ausgabe, Hamburg 1967.
4. Ursula Paulus: Georg Büchners „Woyzeck“. Eine kritische Betrachtung zu der Edition
Fritz Bergemanns. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 8 (1964) S. 226ff.
5. Paulus, ebenda, S. 231.
6. Vgl. Marianne Kesting: Das epische Theater. Zur Struktur des modernen Dramas.
Stuttgart 1972 (5. Auflage) S. 10. „Wir möchten also als aristotelisch eine Dramaturgie
bezeichnen, die mehr oder weniger den Forderungen nach den berühmten Einheiten,
nach Kausalität der Handlungsfolge, Verflochtenheit der Szenentechnik, nach Konflikt
und Auslösung der Katastrophe nachzukommen sucht, als nichtaristotelisch aber eine
Dramaturgie, die all diese Anweisungen außer acht lässt, d. h., die Handlung dehnt sich
frei aus in Raum und Zeit, sie folgt nicht den Gesetzen der Handlungskausalität; die
Szenentechnik unterliegt dem Prinzip der Reihung und der Selbständigkeit der einzelnen
Teile;“
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7. Zur Nedden, a. a. O., S. 63f.
8. ebenda, S. 9.
9. ebenda, S. 6.
10. ebenda, S. 7.
11. Vgl. Lothar Bornscheuer: Erläuterungen und Dokumente. Georg Büchner, Woyzeck.
Stuttgart 1972 (Reclam) S. 4.
12. Vgl. Hans Mayer: Georg Büchner, Woyzeck. Vollständiger Text und Paralipomena.
Dokumentation. Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1963 (Dichtung und Wirklichkeit) S. 56f.
„Bleiben die angeblichen Visionen, Stimmen, Geistererscheinungen. Woyzeck berich-
tete dem Arzt, er habe im Traum die Erkennungszeichen der Freimaurer gesehen. Auf
verschiedenen Schlafstellen habe er nächtliche Stimmen gehört, Aufforderungen und
Zurufe vernommen.“
13. Zur Nedden, a. a. O., S. 14.
14. ebenda, S. 12.
15. ebenda, S. 14.
16. ebenda, S. 12. Und Vgl. Bornscheuer, a. a. O., S.34.
17. ebenda, S. 12f.
18. ebenda, S. 4. „Hauptmann. Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! “
19. ebenda, S. 5.
20. ebenda, S. 21f. Und Vgl. Bornscheuer, a. a. O., S.127.
21. Siehe Anmerkung Nr.7.