die vererbung in der psychiatrie

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Page 1: Die Vererbung in der Psychiatrie

I870 K L i N i S a H E W O C H E N S C H R I F T . i. J A H R G A N G . Nr. 38 ~5. SEP~EMBERz92,

Zwischenschaltung agargeffillter Kalbsarterien, kein einziges der in ]Frage komm• Verfahren ganz versagt hat. Mit allen sind einzelne mehr oder weniger vollkommene Erfolge erzielt worden, die, einwandfrei beobachtet, die MSglichkeit der Uberbrfickung beweisenS). So sah man Erfolge mit der Dis tanznaht durch zwisehengeschaltete Seidenf~den6), mit der Tubularnaht mit leerem Rohr, wenn die Entfernung nicht mehr als 3 cm betrug, mit der Lappenplastik und mit der freien Transplanta t ion von Nervenstiicken, die dem Verletzten selber oder einem anderen 1Vienschen entnommen waren.

Von dem vielfaeh angezweifelten Verfahren der Doppel- pfropfung (BORCHARD, CAHEN, HOFMEISTER), indem ein in takt gelassener funktionierender Nerv gleichzeitig als Leitbrficke fiir die Fasern eines benachbarten defekten Nerven dient, liegen wenigstens 6 einwandfrei beobachtete ErIolge vor und neuerdings haben CASSlRER und UNOE~ die wenigstens im Radialisgebiet vollkommen erfolgreiche Uberbriickung von Defekten der 3 groBen Oberarmnerven mit in Bors/iure kon- servierten, also toten mensehlichen Nervenstficken berichtet. An der M6glichkeit der Uberbriickung groBer Nervendefekte auf sehr verschiedenem Wege kann nicht mehr gezweifelt werden. Relativ am meisten Vertrauen scheint die Einschal- tung transplantierter f�8 mensehlicher Nervenstficke zu verdienen. Die erzielten Er™ bleiben aber doch sowohl an Zahl wie an Gfite weit hinter denen bei direkter Nahtvereini- gung zurfick. Wenn irgend m6glich, muB die direkte Nerven- naht ausgefiihrt werden. Es diirfte daher auch der Methode der Verkfirzung des Humerus zum Erm6glichen der Nerven- naht bei gr6Beren Nervendefekten am Oberarm eine grSBere Bedeutung zukommen, als ihr w/~hrend des Krieges beige- messen worden ist, zum mindesten frit die F/ille von Radialis- defekten, bel denen eine gleichzeitig bestehende Humerus- pseudarthrose operiert werden muB, sowie fiir besonders groBe Defekte des Ulnaris und Medianus. Uber eine Reihe so operier- ter F/ille ist im , , t t andbueh der Kriegserfahrungen" berichtet. Frit irreparable Radialisl/~hmungen ohne Pseudoarthrose diirfte die Sehnenplastik vorzuziehen sein, die einen guten funktionellen Erfolg in relativ kurzer Zeit sicher erreichen l~iBt.

Wenn man die Gesamtergebnisse der Nervennaht fiber- blickt, so zeigen sich Besserungen in rund 75~o der F/ille. Aber nur ein Teil der gebesserten F/ille, von iRadialisn~hten etwa die H/ilfte, von den anderen Nerven ein noch kleinerer ]3ruchteil, zeigt in allen Muskeln motorische Wiederkehr. A u c h bel Fnnktionsrfickkehr im ganzen mo• Bereich ist ein Zuriickbleiben der Kraft wenigstens durch die grztliche Untersuchung nachweisbar und off auch praktisch fiir die -Verletzten von Bedeutung. Die Sensibilits die viel sp/iter wiederkommt als die Motilit/it, ist kaum jemals ganz voll- kommen wieder hergestellt. In unserem am lgngsten nach- beobachteten Falle von praktisch vollkommen erfolgreicher Medianusnaht ist jetzt, 7 Jahre nach der Verletzung, noch eine StSrung der feinen ,,epikritischen" Sensibilitgt am Zeigefinger nachweisbar, die freilich nicht hindert, daB der Verletzte seinen Beruf als Arzt und Chirurg voll versehen kann. Von schwereren St6rungen auf sensiblem Gebiete spielen, wenn wir von den schmerzhaften Neuritiden hier absehen, die trophi- schen Ulcera am Fui3, besonders nach Verletzungen des Isehiadicus und seiner 2iste, eine wichtige 1Rolle. Die neue Methode, welche die dabei bestehende St6rung der Gef/iB- innervat ion durch Ausschaltung des in der Scheide der groBen Arterie herabziehenden Sympaticusgeflechtes zu beseitigen sucht (LERICH~), verspricht nach den vorliegenden Erfahrun- gen Erfolge.

Ailes in allem: Optimismus war bel der Behandlung der Kriegsverletzungen der Nerven nicht am Platze. Aber die zahlreichen MiBerfolge, deren Erkl~rung gerade bei den Schul~- verletzungen mit ihren zahlreichen In�9 ihrer ausge- dehnten Nervenzerst6rung und Sch/idigung der zugeh6rigen Ganglienzellen nicht schwer f~illt, diirfen den Blick fiir das Gute, was erreicht wurde, nicht tri iben oder gar von Versuchen zum weiteren Ausbau dieses ebenso interessanten wie wiehtigen Gebietes abhalten. Besonders von Radialis und Medianus- verletzungen liegt doch eine stattliche Zahl von Erfolgen mit praktisch vollkommener Wiederherstellung vor. So sehr es zu

bedauern ist, daB das Verhgltnis von aufgewendeter Arbeit und erzieltem Gewinn bel der Nervenchirurgie des Krieges nicht giinstiger war, vergebens war die Arbeit nicht! Und biolo- gisch betrachtet bleibt die Wiede�9 eines ggnzlich degenerierten N e r v e n iii allen seinen Verzweigungen mit Funktionswiederkehr der verlorenen I~ndorgane eine Wunder- leistung der Natur, die nicht genug angestaunt werden kannl

Li t e r a f u r : 1) Die bis I-Ierbst 1920 vorliegendeu deutschen Erfahrungen sind wiedergegeben ira Handbuch der grztlichen Eriahrungen ira Weltkriege 1914/18 , herausgegeben von O. voI~ SCHJEt~NING ~, Bd. 2 Chirurgie, 2. Teil, Leipzig, Verlag von Johann Arnbrosiu~ Barth 1922, Ka•itel Nervenverletzungen, bearbeitet von BORCHARDT, CASSIRER und PERTHES. - - Fiir England sel verwiesen auf HARRY PLA'rT, The Surgery of the pheripheral nerve injuJries of warfare, Bristol JOHN WRIGHT and SoNs 1921, wo auch die eng- lisch-amerikanische Literatur verwertet ist. - - 2) HEILE, Rflckblick auf unsere Nervenoperationen und Nachuntersuchungen, Bruns' Beitr. z. klin. Chirur. i24, S. 639, 1921. - - 3) Man lese das krifische Referat von BOEXE, Nervenregeneration und anverwandte Inner- vafionsprohleme, Ergehnisse der Physiologie I9, S. 448--593, I921. __ 4) RANSCHBURG, Die Heilerfolge der Nervennaht. Berlin, Verlag von S. t™ 1918. - - ~) Siehe Belege im Handbuch der Kriegs- erfahrungen ! - - s) HEILE (1. C.) berichtet fiber einen von ROTSCmLD operierten Fall, in dem die Uberbrfickung eines 7 cm langen Ischia- dicusdefektes mit Seidenf~den vollkommenen Erfolg brachte. -- Weitere Beispiele im Handbuch der t™

DIE VERERBUNG IN D E R PSYCHIATRIE1).

Von

Privatdoz. Dr. HERMANN HOFFMANN. Aus der Univ.-Klinik ffir Gemfits- und Nervenkrankheiten in Tiibingen.

(D~rektor" Prof. GAUPP.)

Von jeher hat das Problem der Vererbung in der Psychia- trie besondere Beachtung gefunden. Man stellte immer wieder lest, daB eine psychische Abnormits selten als Einzelfall in einer Famille auftritt , daB vielmehr meistens in der direkten Aszendenz oder auch bei den Verwandten in den Seitenlinien ebenfalls Abweichungen von der psychischen Norm vorhanden sind. Die wissenschaftliche Betrachtung der Vergangenheit sah nun ihr Ziel in einer gewissenhaften Registrierung der verschiedensten belastenden Faktoren, ohne daB man irgend- welche Gleichheits- oder Ahnlichkeitsbeziehungen zwischen diesen und den pathologischen Erscheinungen bei dem be- lasteten Probanden herzustellen versuchte. AuBerdem wurden bei der erblichen Belastung konstitutionelle und exogene Geisteskrankheiten, ferner Nervenkrankheiten, Trunksucht, Selbstmord und abnorme Charaktere als gleichwertig neben- einander gestellt. Das Resultat waren umfangreiche Stati- stiken mit oit sehr umsts und langatmigen Berech- nungen, die nur selten zu einem einheitlichen Ergebnis ffihrten. Sic lieBen nur ganz allgemein auf die Tatsache schlieBen, daB die Erblichkeit in der Pathogenese der Psychosen eine ge- wichtige Rolle spielt.

Der Aufschwung der psychiatrischen Erblichkeitsforschung in den letzten Jahrzehnten ist ira wesentlichen auf zwei Mo- mente zurfickzuffihren, die in kurzer Zeit die veralteten Be- lastungsstatistiken fiberwunden haben.

Das elne Moment dfirfen wir in der Systematisierung und Verfeinerung der psychiatrischen Diagnostik erblicken, wie sie von KRAEPELIN gescha�9 wurde. Durch sie wurde es erst m6glich, die verschiedenen belastenden Faktoren n~her zu differenzieren und darauf zu achten, welcher Art die Be- lastung bei bestimmten Geisteskrankheiten ist.

Das zweite Moment mfissen wir auf biologischem Gebiet suchen. Es h~ngt sehr eng mit der Wiederentdeckung der M~l~DELschen Regeln um die Wende des Jahrhunderts zu- summen, die ein lebhaftes AuIblfihen der biologischen Ver- erbungsforschung zur Folge hatte. Allm~hlich bfirgerten sich die Mendelschen Regeln auch in der medizinischen Wissen-

~) Eine ausfiihrliche DarsteHung der psychia~rischen Konstitutions- und Erblich- keitslehre iindet sich in: H. HOFFMANN, ,,Vererbung und Seelenleben", Verlag von Julius Springer, Berlin 1922.

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x6, SEPTEMBER x9~~ K L I N I S C H E W O C H E N S C H

schaff ein, und heure dfirfen ste wohl als unbedingt notwen- diges Rfistzeug fiir jede erbbiologische Betrachtung ange- sehen werden. Das f/ir den Mediziner zun~chst wichtigste Ergebnis der Mendel -Forschungis t die Erkenntnis, daB wir dominante und recessive Anlagen voneinander unterscheiden mfissen. Es gibt einerseits Anlagen, die sich unbedingt (ob in einfacher, heterozygoter, oder in zweifacher, homo- zygoter, Fo rm gegeben) in der ~uBeren Erscheinung, im Ph/inotypus, durchsetzen (Dominanz); andererseits aber kennen wir Anlagen, die la ten t bleiben k6nnen, die von einer ihnen entsprechenden dominanten Anlage zugedeckt werden (Recessivits and erst dana in Erscheinung treten, wenn ste von der v~terlichen und von der mfitterlichen SeiZe her ererbt wurden, wenn ste also in zweifacher homozygoter Form genotypisch gegeben sind. Die Latenz oder Recessivi- t~t der Anlagen ist h~ufig keine absolute, vielmehr kommen nicht selten ph~notypische Mischformen zweier antagoni- stischer Anlagen vor. Wir sprechen dann von unvollstdindiger Dominanz. Nehmen wir einmal an, ein solches antagoni- stisches Anlagenpaar ws die Anlage zu , ,Gesuad" nnd d ie Anlage zu , ,Geisteskrank", so wfirde die Mischform sich z. B. in einer abnormen Temperamentsveranlagung ~uBern k6nnen. Wir werden sps sehen, daB diese sogenannten , ,Halb- k ranken" f/ir die psychiatrische Erblichkeitsforschung voa groBer ]3edeutung sind.

Wir wollea nunmehr in einer kurzen Ubersicht die e�9 biologischen Tatsachen an unseren Augen vorfiberziehen lassen, die den heutigen Stand der psychiatrischen Ver- erbungslehre charakterisieren. Besonders eingehend sind die Erblichkeitsverh~ltnisse der Dem. praeeox (Schizophrenie) untersucht. Wenn wir die Aszendenz der Schizophrenen be- trachten, so sind die El tern in der iiberwiegenden Mehrzahl der F~lle Dem. p�9 Von den laufenden Aafnahmen einer Klinik oder einer Ansta l t machen die Schizophrenen, deren Eltern geisteskrank waren, nur einea relat iv geringen Prozentsatz nus. Liegt eine solche direkte elterliche ]3e- lastung vor, so handel t es sich entweder um Schizophrenien oder um melancholische Erkrankungen des mit t leren and h6heren Lebensalters, die meistens ein eigentiimliches, von den sonstigen man.-depr. Erkrankungen abweichendes Bild bieten. Nach einem l~ngeren depr. Vorstadium werden diese Kranken allm~hlich unzug~nglich, verschlossen, ab- lehnend and miBtrauisch ; h~ufig bilden sich beson- dere Manieren und Verschrobenheiten heraus, die in ihrer Eigenart an schizophrene Symptome erinnern k6nnen ; viel- fach beobachten wir sehwere ~ngstliche Erregungen mit ein- f6rmigen nihilistischen oder absurden hypochondrischen Wahn- ideen. Der endg�9 Verlauf dieser melancholischen Psy- chosen geht entweder den Weg einer zunehmenden affektiven Verflachung and Abstumpfung, wie es fiir die Schizophrenie charakteristisch ist, oder aber t r i t t restlose Heflung ein, wie wir es von den man.-depr. Erkrankungen her gew6hnt sind. Man kann sich darfiber streiten, ob wir diese Psychosen f/ir besondere Formen der Schizophrenie halten oder zu dem man.- depr. F o r m e n i e i s rechnen wollen. M6glicherweise liegt eine Kombinat ion von Elementen beider Konsti tutionskreise vor. In ganz vereinzelten F~llen finden wir auch bel einem der Eltern eines Schizophrenen eine typisch man.-de˜ Psychose, die keine auffallende ]3esonderheiten zeigt. Diese Erb- konstellation is t jedoch eine groBe Seltenheit. NIeistens fehlt eine direkte ]3elastung mi t Geisteskrankheit von den El tern

~her. Gelegentlich kommt indirekte Belastung mit Schizo- phrenien oder den beschriebenen eigentfimlichen schizo- phrenie~hnlichen melancholischen Psychosen bei den weiter

~zurfickliegenden direkten Aszendenten (GroBeltern, Urgrol3- eltern) vor. Ein fiberaus h~ufiger ]3efund ist die sog. kolla- terale Belastung, d .h . die ]3elastung mi t Schizophrenien bel den Geschwistern der direkten Aszendenten oder deren Kindern und Kindeskindern, und zwar findet sich diese ]3elastung durch die Seitenlinien nicht selten in beiden elterlichen Familien. Eine direkte Ubertragung von schizophrenen Erkrankungen fiber mehrere Generationen ist bisher nicht bekannt. Ail diese Tatsachen lassen einen indirekten Erbgang erkennen, wie wir i ! �9 a l s typisch ~'fir eine rr Anla6e an-

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nehmen. Ich m6chte jedoch nich% unbedingt behaupten, daB ffir die Dem. praecox nur ein recessiver Erbgang in Frage kommen kann. Es sind andere komplizierte Vererbungs- verh~ltnisse denkbar, die stammbaumm/~Big dasselbe Bild geben k6nnen. So ha t man z. ]3. an unvollst/~ndige I)ominanz gedacht, bel der die Kreuzung zweier intermedigrer , ,Halb- kranker" eine homozygot dominante Krankheitsanlage unter den Naehkommen realisieren k6nnte. Man ha t auch die Kombinat ion von dominanten und reeessiven Anlagen in Erw~gung gezogen. Dies sind Streitfragen, die heure noch nicht in eindeufigem Sinne entschieden werden k6nnen. Sicheflich aber l~Bt sich das eine sagen, daB eine Schizophrenie nur dann auftf i t t , wenn zwei sich erg~nzende Anlagen ~uf beider~ Elternseiten vorhanden sind. Daffir spricht einmal die Tatsachel daB koltaterale ]3elastung auf seiten bei” Eltern so iiberaus h~ufig ist, daB daher offenbar in beiden elterlichen Familien eine schizophrene Anlage vorhanden sein muB, wenn eine Dem. praecox entstehen soll. Wir kSnnten es uns auf andere Weise auch nicht erkls daB die Dem. praecox in der Mehrzahl der F~lle bei den Kindern von Dem. praecox-freien El tern vorkommt. Selbst wenn wir annehmen, daB auf der einen Elternseite eine komplette, aber la tente Dem. praecox-Anlage vorhanden w~re, so miiBte doch von der anderen Elternseite irgendein ausl6sender Fak to r hinzu- kommen. Diese Erkenntnis, daB immer nur bei gegenseitiger Erg/inzung von zwei Anlagen oder Anlagenkomplexen eine Dem. praecox in Erscheinung tr i t t , wird besonders noch durch die Stie]geschwisterserien der Dem. praecox-Kranken gestfitzt, die von RODIN x) eingehend untersucht wurden. In diesen Stiefgeschwisterserien kommen sowohl Schizophrenien als auch andere Psychosen auffallend selten vor. Wir miissen daher annehmen, daB die zweiten und dr i t ten Ehepar tner des doppel™ bzw. dreifach verheirateten Elters der Schizophrenen keine Erggnzungsanlage mitbrachten oder jedenfalls .in er- heblich ge�9 Mal3e, als dies bei den ersten Ehepartnern der Fall war. Wie nnn aber diese beiden Teil- oder Erg~nzungs- anlagen, die gemeinsam die schizophrene Anlage ausmachen, beschaffen sind, wissen wir nicht. Ebensowenig sind wir dartiber im klaren, ob es tramer dieselben Teilanlagen sind, die sich zu einer Dem. p�9 erg~nzen k6nnen, oder ob sich hier die verschiedensten genotypischen Elemente in diese Rolle teilen k6nnen. Es w~re z. ]3. denkbar, daB nicht nur die beiden Anlagekomplexe A und B, sondern vielleicht auch die Anlagen A und C bzw. B und C sich zut schizo- phrenen Anlage kombinierea kSnnen.

Die Geschwisterserien der Schizophrenen zeigen viel- Iach einen charakterist ischen Unterschied je nachd™ o b beide Eltern Dem. praecox-frei sind oder ob einer der Eltern an Dem. praecox erkrankt war. GehAuftes Auftreten von Schizophrenien findet sich vorwiegend im letzteren Falle, w~hrend bei der ersten Konstellat ion Einzelerkrankungen das GewShrdiehe sind. Die groBe statistische Untersachung von R~)DIN besch~ftigt sich eingehend mit den rn~ndelistischen Verhgltnissen, die eventuell dem Erbgang der Dem i praecox zugrunde liegen k6nnen. Das Ergebnis is t nm so wertvoller, als diese Untersuchung ein gewaltiges Material von ca. 7oo Fa- milien umfal3t, und zwar ffir die K�98 schizophrenes Kind bei nichtschizophrenen Eltern. An Hand der von WEIN- BERG angegebenen statist ischen Methode, die sgmtliche durch die Ar t der Materialauslese bedingten Fehlerquellen aus- schaltet, berechnet RODIN fiir die H~ufigkeit des Auftretens einer Dem. praecox unter den Nachkommen der genanns Kreuzung den Prozentsatz von 4,48%, Diese Proport ion spricht gegen eia einfaches recessives Merkmal, bei dem wir 25 % kranke Kinder erwarten sollten; ara besten I~Bt ste sich

m i t einem dihybriden recessiven Vererbungsmodus in Ein- klang bringen, bel dem wir theoretisch den Prozentsatz von 1/1 y zu erwarten h~tten. Diese RODIN sche Untersuchung wird durch das Ergebnis meiner Untersuchung an den Nachkommen von Dem. praecox-Kranken erg~nzt. Ffir die Kreuzung: elner der Eltern schizophren, der andere Elter nichtsehiZophren

*) E: RE[DIN: Zur Vererbung und Net~entstehun~ der Dem. praec0~ I Verlag vQ~ ~ulius Springer, Berlin xgx~.

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1872 KLINI.SCHE W O C t t E N S C H

ergab sich unter den Nachkommen x) eine Dem. praecox- Proportion von ca. IO ~ die zum mindesten nicht gegen einen dihybriden recessiven Vererbungsmodus spricht. Eine dritte sehr wichtige, aber aul3erordentlich seltene Erbkonstellation ist die Kreuzung von zwei schizophrenen Eltern. Nur eine der- artige Kreuzung ist bis heure bekannt . Das betreffende Ehe- paar hatte 4 I™ von denen eines jung gestorben war, die drei fibrigen schizophren erkrankten. Sollte es sich bel einem gr613eren Material dieser Kreuzung bestgtigen, dal3 alle Nach- komrnen, wie in diesem einen Falle, Dem.-praecox-krank sind, so wiirde auch diese Tatsache mit Recessivit~t gut fiberein- stimmen.

Wenn ~ aber die Vererbnngsverhgltnisse der Dem. praecox recht verstehen wollen, so dfirfen wir bel der erb- biologischen Betrachtung uns nicht nur auf die eigentlichen Psychosen beschrs sondern wir m~ssen auch die ab- normen Charaktere ffir die wissenschaftliche Bearbeitung mit verwerten. Es hat sich gezeigt, dal3 in schizophrenen Familien die sogenannten schizoiden Psychopathen besonders h/iufig auftreten, die KRErscH.'aER in seinem Buch KSrperbau nnd Charakter" ausffihrlich geschfldert harO). Besonders bei den Eltern der Dem. praecox-Kranken finden wir viellach schi- zoide Temperamentseigentfimlichkeiten, so dal3 die Vermutung naheliegt, die schizoiden Psychopathen als die Tr~ger be- st immter schizophrener Teilanlagen anzusehen. Man kann jedenfalls empirisch immer wieder feststellen, daB zwei schizoide, also , ,halbkranke" Pers6nlichkeiten schizophrene l~achkommen haben. Doch werden wir mit der Verall- gemeinerung der Annahme, dal3 schizophrene Teilanlagen immer in einer schizoiden Charakterologie zum Ausdruck kommen, sehr vorsichtig sein mfissen. Besonders bemerkens- wert ist es, dal3 die schizoiden Typen in ihrer Psychologie den Schizophrenen aul3erordentlich nahe stehen, dal3 sie ferner mit ihnen- durch die Gleichheit der K6rperbautypen verbunden sind.

Die zweite wichtige konstitutionell› Geisteskrankheit, die den Erblichkeitsforscher interessiert, ist das man. depr. (zirkul~ixe) Irresein. Im Gegensatz zur Dem. praecox finden wir hier besonders hitufig direkte Belastung mit zirkul~ren Erkrankungen auf der einen Elternseite. Uberhaupt herrscht

�9 die direkte Vererbung des zirkul~ixen Irreseins /iber drei oder mehrere Generationen vor. Dabei kommt es vor, dal3 wir in bes t immten Familien nur melancholische Erkrankungen finden; in anderen sehen wir den ausgesprochen zirkul~ren Typus, bei dem sich manische und depr. Phasen gegenseitig abl6sen ; endlich beobachten wir in einer drit ten Gruppe von Familien, dal3 einmalige oder periodische Depressionen und periodische Manien oder auch manische and depressive Phasen im Erbgang als gleichwertige Aquivalente ffir einander eintreten. Gelegentlich iehlt bel den man.-depr. I4_ranken die zirkulXre psychotische Belastung; wir stellen aber in diesem Falle mindestens auf der einen Elternseite ein hypomanisches oder ein depressives Temperament lest. Diese sog. cyclo- thymen Temperamente, die in zirkul/iren Familien besonders h~ufig sind, stehen in einem ganz s Verh~ltnis zum man. depr. Irresein, wie die schizoiden Typen zut Schizo- phrenie. Auch die cyclothymen Pers6nlichkeiten zeigen in ihrer psychologischen Struktur and iii ihrem K6rperbau eine enge Zugeh6rigkeit zu den zirkul~ren Psychosen. Vielfach k6nnen wir den zirkuls Typus des man.-depr. Irreseins beobachten, wenn auf der einen Elternseite ein depr., au~ der anderen ein hypoman. Temperament vorhanden war. Man k6nnte in diesem FMle daran denken, dal3 es sich bel dem zirku- l~ren Kind um ein Alternieren der beiden elterlichen Tem- peramentsveranlagung handelt, die nur durch die antipolare Spannung ins Psychotische verst~rkt sind. Das man. depr. Irresein kann in d e n verschiedensten Intensit~Ltsgraden auf- treten. Gelegentlieh ~ul3ert es sich nur in relativ leichten Stimmungsschwankungen, die nur den n~chsten Angeh6rigen auffallen and h~ufig gar nicht als pathologisch erkannt wer-

1) H. HOFFMANN: Die Nachkommenschaft bel endogenen Psychosen. Verlag von Julius Springer, B:-rlin, x92I. ~) Siehe auch E. KRETSCHMER: Das Konstitutionsproblem :in der Psychiatrie; diese Wochenschrift, x. Jahrg., Nf. x3, S. 609.

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den. Vide Zirkul~ixe werden infolgedessen niemals anstalts- bed/irftig. Dieser Umstand erschwert die Erblichkeitsfor- schung auBerordentlich und, wenn wir den direkten Erbgang an irgendeiner Stelle durchl3rochen finden, mfissen wir an die MSglichkeit denken, daB die gesunden Zwischenglieder solche leichte man.-depr. Kranke waren. Das Uberwiegen der di- rekten Vere�9 durch mehrere Generationen spricht daffir, daB ffir das man. depr. Irresein dominante Keimanlagen in Betracht kommen. Mehr k6nnen wir heure fiber die even- tuellen mendelistischen Grundlagen nicht sagen. Auch meine Nachkommenuntersuchungen, die bel den Kindern eines man. depr. Elters in 31% wieder zirknl~re Erkrankungen ergeben haben -- ein wesentlich h6herer Prozentsatz Ms bei der Dem. praecox -- lassen sich ara besten im Sinne der Dominanz ver- werten. AuBer dieser direkten Ubertragung tre�9 wir in manchen Familien Erblichkeitsverh~iltnisse an, wie wir sie bei der Dem. praecox besprochen haben, die also einen re- cess$ven Erbgang vermuten lassen. Ferner bieten einzelne Familien ein Bild, das ffir die Beteiligung von geschlechts-

�9 gebundenen lErbanlagen sprechen k6nnte. Mit dieser Annahme stimrnt auch die Tatsache gut fiberein, dal3 an den man.-depr. Erkrankungen das weibliche Geschlecht mit einem wesenflich h6heren Prozentsatz beteiligt ist als das m~nnliche. Es komrnt demnach eine Reihe von verschiedenen M6glichkeiten in Betracht. Ein einigermaBen klares Bild von den mendeli- sfischen Verh~iltnissen l~Bt sich heute noch nicht gewinnen.

Neben diesen beiden umfassenden Gruppen der kon- stitutionellen Psychosen, Schizophrenie und man.-depr. Irresein, ist in der psychiatrischen Erblichkeitslehre die genuine .Epilepsle als dritter gr613erer I(onstitutionskreis von Bedeutung. In epileptischen Familien spielen, wie STEIN~I~ 1) nachgewiesen hat, eine Anzahl von andersartigen mehr harm- losen Anomalien, Linksh~indlgl~it, BettnSssen and Stottern eine groI3e Rolle; insbesondere scheint die Linksh~ndigkeit eine ausgesprochene biologische Affinit~t zur genuinen Epi- lepsie zu huben. Eine Erkls frit diese merkwfirdige Tat- sache verm6gen wir heure noch nicht zu geben. Auch in epi- lepfischen Familien kommen Charakteranomalien vor, nnd zwar finden wir vorwiegend Typen, die sich durch explosive Reizbarkeit und Alkoholintoleranz auszeiclmen ; Eigentfinllich- keiten, die wahrscheinlich als Folge einer best immten cere- bralorganischen Minderwertigkeit zu deuten sind. Diese sog. epileptoiden Pers6nlichkeiten begegnen uns nicht selten unter den Affektverbrechern. Der Erbgang der Epilepsie hat eine gewisse Ahnlichkeit mit den Erblichkeitsverh~ltnissen bei der Dem. praecox. Liegt Belastung mit Epilepsie vor, so ist sie in der Regel indirekt bzw. kollateral. Direkte Belastung ist relativ selten. Die Untersuchung an den Nachkommen einer ldeineren Zahl von Epileptikern ergab bei den Kindern in I 1% wiederum Epilepsie. Wenn wir fiberhaupt fiber den Erbgang mendelistische Vermutungen anstellen wollen, so werden wir in erster Linie an Recessivit~it denken. Ein einziger S tammbaum ist bisher bekann™ der eine direkte Ubertragung der epilepfischen Anlage liber 3--4-Generat ionen erkennen l~Bt. In den ersten beiden Generafionen handelt es sich um mehrere F~Jle schwerer Epilepsie mit nachfolgender Demenz. Bel den Krampfepileptikern in der 3. Generation sind die Anfglle in jungen Jahren ausgeheflt, oder kommen nur noeh periodische Ohnmachten vor. In der 4. Generation hat die Anlage mit harmlosen, vorfibcrgehenden t™ ansgespielt. Wir sehen also eine zunehmende Regeneration. Die epilepfischen Erscheinungen nehmen immer mehr ab, bis man schlieBlich von einer eigentlichen genuinen Epilepsie nicht mehr reden kann. Sicherlich h~ngen aber in diesem FMle die Kinderkr/impfe mit der epileptischen Anlage zu- sammen. Ob diese direkte, ffir Dominanz sprechende Uber- t r agung der epileptischen Anlage nur einen seltenen famili~ren Typus darstellt, oder ob diese Form des Erbganges h~ufiger vorkommt, das zu entscheiden werden wir spAteren Unter- suchungen fiberlassen mfisse¡ r Anbetracht des starken Uberwiegens des m~nnlichen Geschlechtes hat man gelegent- lich auch eine geschlechtsgebundene Anlage fiir die Epfiepsie

1) STEINER: f3ber die fami l i~e Anlage zut Epilepsie. Zeitschr~ f. d. ges. Neurol. u. Ps:$chiatr. 23, 3x5. I9x4.

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in Erwitgung gezogen. Die Deutungen sind zun/ichst noch sehr widersprechend. Wir werdeii komplizierte Erblichkeits- verh/iltnisse aniiehmen mfissen. Ungekli~rt is t auch die Be- ziehuiig der genulnen Epilepsie zu den ilicht durch lokale Ver- letzungen des Gchirns entstandenen, exogenen Epflepsie- formen, denen wahrscheinlich eine konstitufionelle Anlage zugrunde liegt. Es sind geniigend Beispiele daffir bekannt, dag derartige exogene Epilepsien mit der genuinen Epilepsie in einer Famille zusammen auftreten. Und es liegt sehr nahe, anzunehmen, dag eine best immte Anlage, die Krampfanlage, beiden gemeinsam ist, die einmal durch exogeiie, das andere Mal durch eiidogen-erbliche Faktoren mobitisiert werden kann.

Nachdem man nun diese drei wichtigsten pathologischen t™ in der Psychiatr ie erkaiint hatte, wareii es vor allem zwei t l ragen, die zwangsl/iufig auffauchen muBteii. Die eine Frage betrifft die MSglichkeit von koiistitutionellen Mischungen, von Legieruiigen zwischen den Elementen zweier verschiedener Konsfitutionskreise bel ein und demselbeii Individuum. Rie andere Fr” besch/iftigt sich mit der Uni- grenzung der verschiedenen Konsti tutionskreise ; hier erschien es zun/ichst besonders wichtig, zu uiitersuchen, ob andersartige kliiiische Bilder mit einem der genannten 3 Konstitufioiis- kreise in Beziehung stehen. Beide Fragen lassen sich nur mit I-Iilie der Erblichkeitsforschung 16sen. Eiiie t™ legierung d/irfen wir vofl/iufig nur dann aniiehmen, wenn wir einmal, rein klinisch betrachtet , ein kombiniertes Bild vor uns habeii, wenn wir �9 die entsprechende doppelseifige, elterliche Belastung feststellen k6nnen. I)ie erbbiologische Ver- wandtschaft andersart iger klinischer Abnormit/ i ten mit einem der 3 Konsti tut ionskreise 1/iBt sich ebenfalls IIur durch eine Prfifung der erblichen Belastung nachweisen. Wenn wir bel irgeiideiner Anomalie, etwa bel der Paranoia, finden w/irden, daB bei erblicher Belastung mit anderen Psychosen immer oder besonders h/iufig z. B. eine Dem. praecox der belastende Fak- for ist, so w/ire data i t eine biologische Verwandtschaft der beiden Psychosen nahegelegt. Treten also zwei verschieden- artige Psychosen besonders hgufig in enger heredit/irer Nach- barschaft nebeneinander in einer Familie auf, so ist eine biolo- gische Verwandtschaft , d i e Beteiligung gleicher I™ elemente sehr wahrscheinlich. Wir wollen diesen Satz mit dem Begriff der heredit~iren Viziniffitsregel 1) festlegen.

Zun/ichst die Konstitutionslegierung. Wir k6nnen gelegent- lich bei Psychosen einen eigentfimiichen Wechsel der Erschei- nuiigsform beobachten derart , dag eine anf/inglich man.-depr. Psychose nach kfirzerer oder 1/ingerer Zeit in eine typische Dem. praec~x ausklingt. Ein besonders deutliches Beispiel f/if diesen Fal l m6chte ich hier kurz anffihreii. Die Tochter eines ausgesprochen man�8 Vaters und einer schizophren verbl6deten Mutter wurde ira Alter von 17 Jahren zum erstenmal psychotisch erregt. In den folgenden 15 Jahren trateii bei ihr peri0dische man. and depr. Phasen auI. Ers t im Alter von 3 2 Jahren setzte eine rasch fortschreitende schizo- phrene Verbl6dung ein. ~_nliche FNle eines Dominanz- wechsels der beiden elterlichen Anlagen sind bei Psychosen nicht sehr selten. Andere Fglle von I™ k6nnen dadurch charakteris ier t sein, dag bel man- depr. Erkrankungen in den schweren psychotischen At- taeken vor/ibergeheiid schizophrene Bilder a!fftreten , wobei jedoch di™ typische sehizophreiie Entwicklung ausbleibt, viel- mehr immer restlose Heiluiig erfolgt, wie es beim man.-depr. Irresein fiblich ist. K A H N g) hat eine Reihe von derart igen I™ stitut�8 beschrieben. Vielfach kommen kombi- nierte Ph~notypen wohl dadurch zustande, daB entweder eine schizoide Pers6iilichkeit an man.-depr. Irresein erkrankt oder ein vorwiegeiid cyclothymes Temperament von einer Schizophrenie befallen wird. Doch mfissen wir annehmen, daB auch Legierungen von eigentlichen Psychosen (man.-depr. Irresein und Schizophrenie) vorkommen. Ich m6chte noch einmal ausdrfictdich darauf hinweisen, dag wir eiiie inter- mediSre Konstitution (Psychose), wie ich die Legierung zwischen cyclothymen und schizothymen Konsti tut ionselementen be-

r) Vicinitas = NachbarschaR. a) Erbbiologisch-klinische Betrachtungen u. Versuche. Zeit~chr. f. d. ges. NeuroI. u. Psychiatr. 57, 28o. x92o.

I873 zeichnen m6chte, nur dann annehmen dfirfen, wenn Mrkl ich eine entsprechende Belastung auf beiden Elternseiten klar nachzuweisen ist. Es scheinen auch Konsti tutionslegierungen zwischen genuiner Epilepsie und man.-depr, bzw. schizo- phrenen Psychosen vorzukommen. Doch sind erst einige weiiige F• bekannt, die ffir diese Annahme sprechen. Das Vor- kommeii intermedi/irer (cyclo-schizothymer) Psychosen darf heure als gesichert gelten. Wer bel der psychiatrischen Be- trachtuiig stets die Erblichkeit mit zu Rate zieht, wird un- schwer eindeutige F/ille finden.

Dann die biotogische Verwandtscha]$ klinisch verschieden- artlger Krankheitsbilder. Frit besonders wichtig halte ich die Beobachtung, dag alle ausgesprochen paranoiden Psychosen eine auffMlende heredit/ire Viziiiitiit mit der Dementia praecox aufweisen. Hierzu geh6ren einmal die Involutionsmdancholien mit paranoiden Wahnvorstellungen, die wir sehr h/iufig bel den Eltern von Schizophreiien finden. Ferner die Para- phrenien, die Paranoia, der Querulantenwahn nnd der prdisenile bzw. senile Ver]olgungswahn. Data i t soll IIatfirlich n i c h t ge- sagt sein, dag wir Mle diese paraiioiden Psychosen ohne weite- res als Schizophrenien anfzufassen haben; nur eine Anzahl von pr/isenilen uiid senilen paranoiden Erkrankungen er- wecken klinisch den Eindruck von Spi~tschizophrenieii. Aber es hegt die Vermutung sehr nahe, daB dem paranoiden Sym- ptomeiikomplex, ganz allgemein gesagt, ein biologisches Ra- dikal zugrunde liegt, zu dem die Dementia praecox in irgend- eiiier zun/ichst nicht ns definierbaren Beziehung steht. Diese Beziehung k6nnte so zu verstehen sein, daB eine ge- ringere Intensit / i t des biologischen schizophrenen Prozesses paranoide Anomalie schafft, die sich klinisch von der Dementia praecox unterscheiden. Es ws ferner denkbar, daB irgend- welche andere Aiilagefaktoren, die korrelat iv eingreifen, das schizophrene Bild modifizieren und auf diese Weise IIicht- schizophren e paranoide Psychosen zur Erscheinung briiigen. Oder k6nnten wir uns vorstelleii, dag manche paranoiden Psychosen durch ein Stehenbleiben des schizophrenen Pro- zesses auf frfiher Entwicldungsstufe hervorgerufen werden. Endlich mfissen wir anch die M6glichkeit gelten lassen, daB eine best immte Teilanlage der schizophrenen Gesamtanlage ffir den Erscheinungskomplex des Paranoiden z. ]3. ffir die paranoide F/irbung mancher zirkul/irer Psychosen verant- wort]ich zu machen ist. Vermutlich wird die heredit/ire Vizi- nit/it der paxanoiden Psychosen mit der Dement ia praecox durch verschiedene Ursachen bediiigt sein.

Eine andere biologische A]]iniffit fiiiden wir bei einer be- s t immten Form des moralischen Schwachsinns, der sich durch scham]ose l~ohheit und grauenhafte Gemfitlosigkeit aus- zeichnet [IV~EGGENDORFER1)]. Dieser Typus der Degenerierteii zeigt in der n/ichsten Verwandtschaft auffalleiid h/infig erb- liche Belastuiig mit schizophrenen Erkrankungen. Vielfach entwickelt sich in diesen F/illen die gesellschaftsfeindliche Lebenseinstellung erst in der Pubert/ i tszeit bei ursprfinglich affektiv relat iv IIormalen, ja off abnorm braven und lenk- samen Musterkinder. Die Moral insani ty is t also hier das Produkt einer Pubert/itsumwaiidluiig. Man ha t infolgedessen daran gedacht, daB diesen Formen eiii biologischer ProzeB zugrunde liegt, der mit einem schizophreneii ProzeB idenfisch oder zum mindestens sehr nahe verwandt ist. Doch scheint die Pubert / i tsumwandlung kein unbedingt charakteristisches Zeichen f/ir diesen schizoiden Typus des moralischen Schwach- sirms zu sein. Denn es zeigen vielfach auch die moral�8 schwachsinnigen Kinder, die schon von Kindheit an (iiicht erst in der Pubert/ i t) den degenerativen Charakter besitzeii eine sehr eiige hereditSxe Viziiiit/it mit der Demeiit ia praecox. Besonders auffallend scheint mir IIoch die Tatsache, daB Kin- der mit hypomoralischen St6rungen IIicht sehr selten von extrem sittenstrengen hypermoralischen Eltern stammen. Beide Abiiormit~ten stellen vermutlich in manchen F/illen die ex- t remen Pole einer bes t immt nuancierten schizoiden Anlage dar. Neben diesen schizoiden Formen des moralischen Schwachsinns kommen zweifellos noch andere konstitutionelle

~) MEGGENDORFER: Klinisch-genealogische Untersuchungen fiber Moral insanity. Zeitschfift f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 66, 208. x92x.

Page 5: Die Vererbung in der Psychiatrie

1874 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . I. J A H R G A N G . Nr. 38 16. SEPTE.MB.ER r92z

Typen unter den Degenerierten vor, die nichts mi t dem schizophrenen Erbkreis zu tun haben. Eine besondere Gruppe repr/isentieren z .B . die sog. ,,AJJektepileptiker", bel denen allerhand epilepti �9 und hysterische Erscheinungen (Mfektdelifien, Affektd/immerzust~nde) zn beobachten sind. Bei ihnen fehlt erbliche Belastung mit Geisteskrankheit und auch mi t Epilepsie. Es handel t sich wahrscheinlich um eine best immte charakterologische Veranlagnng, die als selb- st/~ndiger Genotypus aufzufassen ist. Data i t sind jedoch die konsti tnt ionellen Typen sicher noch nicht ersch6pft. Psycho- logische und genealogische Untersuchung werden gemeinsam eine Ieinere Differenzierung anstreben mfissen. Uber den Erbgang des moralischen Schwachsinns muB natfirlich so- lange die gr6Bte Unsicherheit herrsehen, als wir nicht be- s t immte, scharf umgrenzte Konst i tu t ionstypen herausge- arbei te t haben.

Ein /thnliches unklares Bild geben uns die Erblichkeits- untersnchungen der ImbezitlitJit. Sicherlich kommen auch hier verschiedene konsti tutionelle Typen vor, die z .T . mi t dem schizophrenen, z. T. mit dem epfleptischen Erbkreis in Beziehung stehen; doch werden wir auBerdem noch mi t selbst/tndigen genotypischen Schwachsinnsformen zu rechnen haben. Der Erbgang .zeigt gelegentlich den direkten Uber- t ragungsmodus fiber mehrere Generationen, der ffir Domi- nanz charakterist isch ist. Vielfach finden wir jedoch Erb- lichkeitsverhgltnisse, die wir uns am besten im Sinne der Recessivit~it deuten k6nnten. GroBe Schwierigkeiten bringen auch die verschiedenen Grade der geistigen Beschr/inktheit mit sieh. Es w/ire z. B. denkbar, daB dieselbe Anlage in hetero- zygoter Form Debilit/~t bzw. Imbezillit/it , in homozygoter Form jedoch Idiotie zur Folge h/~tte. Ein auBerordenflich wichtiges Problem betriff t die Unterscheidung der erblichen von den nicht erblichen Schwachsinnsformen. Die Behanp- tung, daB etwa zwei Dri t te l aller Schwaehsinnigenihre Anomalie ererbt haben, seheint mir nicht lest genug fundiert. Nnr syste- matische Erblichkeitsuntersuchungen, die gewissenhaIt alle M6glichkeiten einer Exogenese (mit Einschlug der Schs

gungen ira Laufe des intrauter inen Entwicklungsganges) beriicksichtigen, k6nnen hier allmghlieh I™ bringen.

Das Ergebnis unserer Betrachtnng 1/il3t sieh dahin zu- sammenfassen, daB unsere I™ des Erbganges bel allen psychischen Anomalien noch auBerordentlich l~ckenha™ ist. Infolgedessen kann von einer rassenhyfienischen Auswertung, die ja das praktische Ziel der menschlichen Erblichkeits- forschung sein soll, heute noch nicht die Rede sein. Nur einige ganz allgemeine Grundsgtze lassen sich •tir eine Eheberatung aufstellen. Menschen, die an einer konstitufionellen Geistes- krankhei t leider oder frfiher einmal an einer solchen gelit ten haben, sollten tunlichst eine Naehkommenschaft vermeiden. Nicht geisteskranke Glieder ans schwer belasteten Familien sollten darauI bedacht sein, nur in Famil ien mit gesunder, s tabiler psychischer Veranlagnng einznheiraten. Diese u schriIten lassen sich sowohl ffir das man.-depr. Irresein wie fiir die Dementia praecox und die ihr verwandten Psychosen ver- treten. Bei der Epflepsie darI man sich wohl etwas milder aus- d'rficken. Immerhin wird man einem gesunden Menschen nur schwer ra ten k6nnen, sich mit einem Glied einer epfleptischen Famille zu verbinden. Ganz best immte Vorschriften sollte man dagegen sowohl Ifir den Schwachsinn Ms aueh ffir die moralische Degeneration aufstellen. Diese Abnormit/ i ten sollten, znm mindesten in ihren schweren Formen, unbedingt ausgerot te t werden. Insbesondere sollte den ausgepr~igten Typen des moralischen Schwachsinns ira Interesse der All- gemeinheit auf gesetzlichem Wege die I~2inderzeugung un- m6glich gemacht werden.

Leider k6nnen wir heute fiber derartige allgemeine rassen- hygienisehe Grundsgtze noch nicht hinansgehen. Der Psych- ia ter wird immer geneigt sein, in der Frage der Enta r tung durch Vererbung allzu schwarz zu sehen. Diese Anschauung ist ebenso fehlerhaft wie das Gegenteil einer allzu rosigen Be- urteitung. Wir mfissen uns streng an das empirische Material halten, das jedoeh dem Erbbiologen heure noch mehr Uber- raschungen ira Sinne einer erblichen Begeneration bringt, als er jemals erwarten sollte.

ORIGINALIEN. DER HERZKRAMPF,

SEIN NACHWEIS UND VORKOMMEN, SEIN WESEN UND SEINE KLINISCHE BEDEUTUNG.

Von

Prof. REINHARD OHM. Aus der zweiten medizinischen Klinik der Charit›

Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. KRAUS.

In einer kfirzlich erschienenen Arbei t fiber: ,,Die Gestal- tung der St romkurve des Jugularvenenpulses durch Arbei t und Ffillung des Herzens unter normalen nnd pathologischen Verh~iltnissen" (Zeitschr. f. klin. Med. 1922, Bd. 94, Heft 1/3 ) konnte ieh zeigen, dal3 es objekt iv nachweisbare I™ zust~nde des Herzens gibt.

Wenn sich das Herz nieht wie gew6hnlieh, sondœ krampf- art ig zusammenzieht oder wenn naeh Ablauf der systolischen Kontrakt ion š t ( rampf w/~hrend der Erschlaffungsphase einsetzt bzw. die systolisehe I™ sich in einem t �9 fortsetzt, so dal3 die Systole l~nger als normal an- dauert, so muB sich das in der Ffillungskurve des Herzens -- d. h. in der I™ des Abstroms des Blutes aus den be- nachbar ten Venen in das Herz -- bemerkbar machen. Der Eins t rom des ven6sen Blutes in das Herz wird in charak- teristischer Weise vergndert und die Stromkurve des der Untersuchung ja gut zug~nglichen Jugularvenenpnlses weist eine entsprechend ver/inderte Fo rm auf, wenn sie mit einem geeigneten hochempfindlichen photographischen Ver™ verzeichnet wird (vgl. meine oben zitierte Arbeit, in der ieh am SchtuB meine eigene Methode mi t anderen photographi- schen Verfahren kri t isch vergleiehend besprochen habe). In derselben Arbei t habe ich einige F/ille von Patienten, die an ausgesprochenen Herzkrampiempfindungen litten, eingehend

beschrieben nnd die zugeh6rigen Stromkurven des Jugular- venenpulses abgebildet.

In der vorliegenden Arbei t soll iiber den Herzkrampf, sein Vorkommen und seinen Nachweis, sein Wesen und seine klinische Bedeutung zusammenfassend kurz ber ichtet werden.

I™ des Herzens werden zwar nicht immer, aber doeh h~ufig als solche empfunden. Ziemlieh regelm~Big werden sie von hochgradig nerv6sen Patienten, Sympathico- tonikern oder Vagotonikern, bzw. Mensehen mit nerv6sen Ersch6pInngsznstiinden, verbunden mit niedrigem Blntdruck, geklagt. In solchen F~llen macht sich bel der Schirmdurchleuch- tung ara Herzen gew6hnlich ein mehr oder minder s tark ausge- sprochener Akt ions typ bemerkbar, als Ausdruck des gesehw~ch- ten Herznerventonus. In ausgepr/igten F~Lllen dieser Ar t k6nnen Krampfznst/ inde aul3erordentlich schwere Formen annehmen. Vielfach 1/iBt dabei der Wechsel von der aufrechten t™ stellung in die horizontale Lage den Krampf besonders heftig auftreten. In der erw/~hnten Arbei t wies ich bereits bel der Besehreibung eines Falles von hoehgradiger Vago- tonie darauf hin. Sobald der Pa t ien t in tieIer Rfickenlage sich befand, wurde die anf/inglich s tarke Venenpulsation der Jugularis unter allgemœ Schwellung der Venen zu- sehends geringer, wobei der Kranke ~ngstlich wurde, heftige Krampfemp�9 in der Herzgegend bekam und eine Cyanose des Gesichts auftrat . Die gewonnene Kurve zeigte eine gegenfiber der Norm charakterist ische Formver/inderung des Abstromverlauis ans der Jugnlaris, der, wie an weiteren Beispielen unten noch ausznffihren sein wird, ein I™ zustand zugrunde liegt, welcher den Einst rom in das Herz erschwert bzw. hemmt.

In einem anderen Falle stellte sich bel einem Menschen, der hochgradig asthenisch und nerv6s war lmd r ie l a~