die neuen bundesburger: eine transformation ohne integration
TRANSCRIPT
Thomas Gensicke
Die neuen Bundesbiirger
Studien zur Sozialwissenschaft
Band 207
Thomas Gensicke
Die neuen Bundesbiirger
Eine Transformation ohne Integration
Westdeutscher Verlag
Die vorliegende Arbeit wurde 1996 unter dem Tite! ,,Yon der Transformation zur Integration. Die Ostdeutschen an der SchnittStelle zwischen individueller Anpassung und Vergesellschaftung im neuen Deutschland" an der Deutschen Hochschule fur Verwaltungswissenschaft Speyer als Dissertation angenommen. Die zugrunde liegende Untersuchung wurde am Forschungsinstitut fur offentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule fur Verwaltungswissenschaften Speyer durchgefuhrt.
Aile Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden, 1998
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Umschlaggestaltung: Christine Huth, Wiesbaden
ISBN-13: 978-3-531-13231-0 001: 10.1007/978-3-322-86644-8
e-ISBN-13: 978-3-322-86644-8
Inhalt
Vorwort.......................................................................................................... 9
Einleitung............................................................................ ........................... 11 (Abbildung 1) .................................................................................................. 15
Teil I: Ein Modell zur Beschreibung der Entwicklung des subjektiven Faktors in den neuen BundesUindem im ProzeD der Vereinigung ............. 16
A. Grundelemente .......................................................................................... 16 1. Transfonnation......................................................... ........................... 16 2. Akkommodation .................................................................................. 18 3. Sozialisation...... .. . ................ ............................................................... 20 4. Integration ........................................................................................... 23 (Abbildung 2) ............................................................................................ 24
B. ErUiutenmg des Modells ............................................................................ 25
TeilD: Anwendung des Modells ...................... .............. ........................................... 28
A. Transfonnation ......................................................................................... 28 1. Die Situation: Wirtschaftliche und institutionelle
Weichenstellungen und Entwicldungen ................ ............................... 28 1.1 Politische Revolution und Wiihrungs- und Sozialunion ................ 28 1.2 Die Folgen der Wiihrungsunion .................... ............................... 30 1.3 Die staatliche Vereinigung ........................................................... 32 1.4 Offentliche Transfers: Ubergangshilfe und
Sichenmg des sozialen Friedens .................................... .............. 33 1.5 Beginn der Konsolidienmg: Erholung des Binnenmarktes,
Bauboom und Belebung in der Ausriistungsindustrie ................... 34 1.6 Einkommensentwicldungund Verwendung ................................. 35 (Abbildungen 3-4) ............................................................................... 37
5
B. Akkommodation ....................................................................................... 38 1. Die Wahmebmung der al1gemeinen okonomischen Situation ................ 38 2. Die Wahmebmung der eigenen okonomischen Situation ..................... 39 3. Wohlfahrtsentwicklung in weiteren Lebensbereichen .......................... 40 4. Allgemeine Situationswahmebmung: Entwicklung der
al1gemeinen Lebenszufriedenheit ......................................................... 43 4.1 Was beeinflufite die allgemeine Lebenszufriedenheit? ................ 44 (Abbildungen 5-15) ............................................................................. 50
5. Die individuelle Bilanz der neuen Bundesblirger: Der Verg1eich zur DDR ....................................................................... 56 5.1 Die eigene okonomische Bilanz ................................................... 56 5.2 Die Bilanz weiterer Lebensbereiche und die allgemeine Bilanz ... 57
6. Erwartungsbildung ............................................................................... 58 6.1 Wirtschaftliche Erwartungen . .................. ..................... ............... 58 6.2 Allgemeine Erwartungen: Optimismus ........................................ 58 6.3 Was determinierte die Zukunftserwartungen? .............................. 59 (Abbildungen 16-23) ............................................................................ 62
Zwischenreslimee ........................................................................................... 66 7. Psycho1ogische Befunde zur Verarbeitung der
Transformationsdynamik ..................................................................... 66 7.1 Psychische Gesundheit, Selbstaktualisierung und
Verhaltenskontrolle ..................................................................... 66 7.2 Personlichkeitsstarke ................................................................... 70
8. Bestandsaufnahme mit Hilfe der Speyerer Werteforschung .................. 73 8.1 Werte und Wertestrukturen .......................................................... 73 8.2 Wertetypen in den neuen BundesHindem ..................................... 77 (Abbildungen 24-32) ............................................................................ 85
9. Wertetypen und Wohlfahrt .................................................................. 90 9.1 Wertetypen und aktuelle Lebenszufriedenheit ............................. 90 9.2 Wertetypen und erwartete Lebenszufriedenheit ........................... 93 (Abbildungen 33-48) ............................................................................ 96
c. Sozialisation ............................................................................................. 104 1. Lebensweltliche Sozialisation: Erziehungswerte und ........................... 104
1.1 Erziehungsziele ........................................................................... 104 1.2 Retrospektive Rekonstruktion des Sozialisationsklimas
inderDDR .................................................................................. 108 (Abbildungen 49-66) ............................................................................ 116
2. Sozialistische Sozialisation .................................................................. 125 2.1 Sozialistisches System und Modemisierung ................................. 125
Zwischenreslimee ........................................................................................... 136 (Abbildungen 67-85) ...................................................................................... 140
2.2 Phasen der DDR-Geschichte ........................................................ 150 2.2.1 Stalinistische Etablierungsphase (1945-56) ....................... 151 2.2.2 Ulbrichtsche Reformphase (1956-1971) ............................ 151 2.2.3 Honeckers Konsumwende (1971-1989) ............................. 153
6
ZwischenresUmee ....................................................................................... 156 2.3 Generationen in der DDR ............................................................ 158 (Abbildungen 86-90) ............................................................................. 167 2.4 Welche sozialen Einstellungen hinterliefi die DDR? .................... 170
2.4.1 Sozialistische und westliche Identitat ................................ 170 2.4.2 Attributionsstile im vereinigten Deutschland:
Etatismus und Individualismus .......................................... 172 2.4.3 Gesellschaftliche Ordnungsidea1e in den
neuen und alten Liindern: Demokratischer Sozialismus und Liberaler Wohlfahrtstaat ......................... 175
(Abbildungen 91-93) .................................................................... 178
D. Integration ................................................................................................ 180 1. Akzeptanz und Systembewertungen ..................................................... 180 2. Identiftkation: ZugehOrigkeit, Nationalstolz, Vertrauen ....................... 182
2.1 ZugehOrigkeitsgefiihl ................................................................... 182 2.2 Nationalgefiihl ............................................................................. 183 2.3 Vertrauen in Institutionen ............................................................ 184 (Abbildungen 94-98) ............................................................................ 186
SchluO: Was ist das hauptsachliche Hemmnis fiir die Integration von Ost und West? ........................................................................................ 189
A. Ertrage des Modells .................................................................................. 189
B. Ein situativ-sozialisatorischer Erklarungsansatz fur kollektive Identitatsunterschiede zwischen Ost und West .......................................... 193 (Abbildungen 99-112) ............................................................................... 200
Literatur ....................................................................................................... 207
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde 1996 an der Hochschule fUr Verwaltungswissenschaften eingereicht und erscheint nunmehr, auch angesichts der TagesaktualWit und der Brisanz des Themas, in einer aktualisierten Form. Trotz der Fortfiihrung der Zeitreihen bis in die Jahre 1997 und teilweise 1998 hinein bestatigten sich die Erkenntnisse der Arbeit. Bestimmte Meinungstrends haben sich sogar noch weiter dramatisiert.
Die Arbeit entstand innerhalb des Rahmenprojektes "Wertewandel in Deutschland", das am Forschungsinstitut fUr offentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule fUr Verwaltungswissenschaften Speyer durchgeftibrt wird.
Besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Helmut Klages, der mich in meiner Arbeit tatkraftig unterstUtzt und beraten hat. Herrn Professor Dr. Hermann Hill danke ich fUr die Ubemahme des Zweitgutachtens.
FUr die Bereitstellung von Daten und die Auskunftsbereitschaft danke ich Frau Petra Kloske im Archiv des Instituts fUr Demoskopie A1lensbach, dem Institut fUr praxisorientierte Sozialforschung Mannheim und Herrn Christian Jung von der Gesellschaft fUr Bankpublizitat sowie Herrn Dr. Jiirgen Schupp von der Projektgruppe des Soziookonomischen Panels.
Meinen Dank mochte ich Frau Elisabeth Lerchenmiiller fUr die Erstellung der Druckvorlage aussprechen und den Mitarbeitem des Forschungsinstitutes und der Hochschule fUr das gute Arbeitsklima.
Speyer, im Mai 1998 Thomas Gensicke
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Einleitung
Diese Arbeit befafit sich mit der Entwicklung des subjektiven Faktors in der Transfonnation der neuen BundesHinder. Datenbasis sind groJle, reprasentative Erhebungen1 in den neuen und alten Bundeslandem, in die teilweise ein eigenes Speyerer Werteinstrument eingeschaltet werden konnte, sowie der Speyerer Wertesurvey, der im Jahr 1997 realisiert werden konnte. Einbezogen wurden insbesondere die Daten offentlich geforderter gesamtdeutscher Surveys (Soziookonomisches Panel, Wohlfahrtsurvey, ALLBUS, KSPW-BUS) und des Eurobarometers sowie Daten, die seitens privater Meinungsforschungsinstitute verfiigbar waren (Institut fur Demoskopie A1lensbach: "IFD A1lensbach", Institut fUr praxisorientierte Sozialforschung: "lPOS" und EMNID).
Die Entwicklung des subjektiven Faktors in den neuen Landem ist durch einen eigenartigen Widerspruch gekennzeichnet. In den neuen Landem wird in Befragungen eine sich von Jahr zu Jahr kontinuierlich verbessemde personliche materielle W ohlfahrt gemessen. 60 % der Ostdeutschen sahen sich laut lPOS im August 1997 wirtschaftlich besser gestellt als vor der Wende, nur 15 % schlechter. In der Folge ging es den neuen Bundesburger auch insgesamt zunehmend besser. 67 % der Ostdeutschen fiihlten sich in der gleichen Umfrage yom August 1997 alles in allem besser als vor der Wende und nur 14 % schlechter (Rest: "gleich"). Seit der zweiten Halfte des Jahres 1991 sahen nach einer Zeitreihe des IFD A1lensbach in der Regel 50 % bis 60 % der Ostdeutschen in der deutschen Wiedervereinigung einen Anlafi zur Freude, selten mehr als 20 % einen Anlafi zur Sorge (der Rest war "unentschieden"). (Abbildung 1)
1m Kontrast zu dieser positiven person lichen Bilanz des Systemwechsels fallt die gesellschaftliche Bilanz der Ostdeutschen in vie1er Hinsicht negativ aus. Das wirtschaftliche, politische und soziale System der Bundesrepublik scheint yom verbesserten personlichen Wohlbefmden (das im Vergleich zu den anderen ehemaligen sozialistischen Landem hoch ist) nicht profitieren zu konnen. Es wird von den neuen Bundesburgem sehr kritisch gesehen und bis jetzt nur von einer Min-
Das heiBt, die jeweils befragten Bevolkerungsstichproben miissen aus Griinden der statistischen
Zuverllissigkeit hinreichend groB sein und die grundlegenden demographischen und sozialen
Strukturen der Bevolkerung anniihemd reprlisentieren (groBe und kleine Haushalte, Frauen und
Manner, Altere und JQngere, Hochgebildete und weniger hoch Gebildete usw.).
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derheit wirklich emotional "angenommen". Zum Beispiel wird in den neuen Landern das bundesdeutsche Gesellschaftssystem mehrheitlich als ungerecht empfunden (47 % "ungerecht" und nor 21 % "gerecht", Rest: "unentschieden"). 1m Vergleich dazu fallen die Ergebnisse im Westen spiegelbildlich aus (28 % "ungerecht" versus 47 % "gerecht"). Vom Wirtschaftssystem der Bundesrepublik hatten im Juni 1997 nor noch 22 % der neuen Bundesbiirger eine gute Meinung (gegenuber 77 % am Beginn des Jahres 1990!), im Westen dagegen 40 % (1994: 57 %). Nor noch 27 % der neuen Bundesbiirger meinten im Juli 1997, die bundesdeutsche Demokratie sei die beste Staatsform (1990 41 %), dagegen 69 % der Westdeutschen. Hartnackig halt man im Osten an der Meinung fest, die Idee des Sozialismus sei an sich gut (1997: 67 %) und nor von schlechten Politikern ruiniert worden. Nicht wenige Ostdeutsche vertreten auch die Meinung, die ostdeutsche Wirtschaft sei vom Westen "plattgemacht" und der Osten vom Westen "kolonisiert" worden.
Die Ostdeutschen bewerten jedoch nicht nor das von Westdeutschland her ubertragene neue System sehr zuriickhaltend. Sie fiihlen sich auch nicht hinreichend im neuen Deutschland integriert und angenommen. Wie solI man es anders interpretieren, wenn seit der Wiedervereinigung stets ca. 70 %-80 % der Ostdeutschen der Meinung waren, die neuen Bundesbiirger wiirden in Deutschland als Deutsche zweiter Klasse behandelt? Die Demoskopen enthullten deutliche Entfremdungserscheinungen zwischen Ost- und Westdeutschen. Der Losung "Wir sind ein Volk" wollen im Osten inzwischen nor noch 32 % zustimmen. DaB zwischen Ost- und Westdeutschen die Unterschiede die Gemeinsamkeiten uberwiegen, meinen in den neuen Landern inzwischen 61 % der Befragten, im Westen etwas weniger (52 %). Vor allem im Westen hat man den Eindruck, das Verhaltnis zwischen Ost - und Westdeutschen sei ein heikles Thema, bei dem man sich leicht den Mund verbrennen konne (52 % der Befragten). Das wechselseitige Eigenschaftsprofil, das West- und Ostdeutsche der jeweils anderen Gruppe seit der Wende zuordneten, war nie besonders schmeichelhaft und ist im Laufe der Zeit immer weniger schmeichelhaft geworden. Auf Gruppenebene ist ein Gefiihl der Distanz unverkennbar (allerdings viel weniger in den wechselseitigen individuellen Einschatzungen miteinander bekannter Personen aus Ost und West).
Diese Arbeit versucht zu erklaren, warum die Ostdeutschen sich personlich immer besser fiihlen, diese individuellen Verbesserungen jedoch nicht in wfinschenswertem MaBe zum Gefiihl der Integration im vereinigten Deutschland und zur Identifikation mit dem neuen System fiihren. Die Erklarung wird letztlich in einem sozialen Rollenspiel zwischen den Westdeutschen als Gewinnern und den Ostdeutschen als Verlierern im nunmehr entschiedenen "Systemkampf' zwischen westlichem "Kapitalismus" und ostlichem "Sozialismus" gesehen. Die Ostdeutschen werden zum Opfer eines westdeutschen "Kurzschlusses": Der (demoskopisch erfaBte) "Westdeutsche" schlie.6t von der erfolglosen Systemgeschichte des Realsozialismus auf die Psyche des "Ostdeutschen", der in dieser Systemumwelt gelebt hat und in deren Rudimenten noch lebt. Und zwar nimmt er an, daB diese
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Psyche ebenso "erfolgsunfahig" ist, weil sie durch die rea1sozialistischen Umstiinde gepragt wurde und noch gepragt wird. Diesem negativen Fremdbild wird im Westen alsdann ein ebenso "kurzschliissiges" positives Eigenbild gegenubergestellt. Yom Erfolgsmodell der alten Bundesrepublik wird unmittelbar auf die Psyche des westdeutschen "Erfolgsmenschen" geschlossen, der sich durch die Tugenden Fleill, Ehrgeiz und Selbstbewu6tsein auszeichne.
Der beschriebene "KurzschluB" yom DDR-System auf die Psyche der Ostdeutschen, der zunachst nur so etwas wie eine Alltagstheorie und unter der Voraussetzung des geteilten Landes einigerma6en harmlos war, erhielt im Verlaufe des Einigungsprozesses zunehmend praktische Relevanz. Vielen Westdeutschen wurde klar, daB als Konsequenz des offiziell deklarierten gleichen Status der Ostdeutschen erhebliche Umverteilungen von West nach Ost, generell eine Konkurrenz mit den Ostdeutschen urn knappe Lebenschancen auf sie zukamen. Diese "verknappte" Situation verscWirfte sich unter dem globalisienmgsbedingten Druck auf den Wirtschafts- und Sozialstandort Deutschland noch weiter. Die Westdeutschen versuchten daher, durch eine psychologisierende Favorisienmg der Eigengruppe und die Abwertung der Ostdeutschen als Fremdgruppe die offizielle Strategie der Angleichung der Lebensverhiiltnisse zu unterlaufen und die Anspriiche der Ostdeutschen abzuwehren.
Angesichts der erdriickenden Altlasten des Realsozialismus und der Meinungsftihrerschaft der (westdeutsch dominierten) Medien und Eliten fiihlten sich die Ostdeutschen in die Ecke gedrangt und versuchten sich zu wehren. So baute sich der Osten eine "Identitat" auf, in der entweder konkurrierend zum Westen die Tugenden des hart und fleillig arbeitenden Menschen betont werden oder kontrastierend die des sozialen, hilfsbereiten und bescheidenen Menschen. Der Individualismus des (westdeutschen) "Erfolgsmenschen" wird einseitig als riicksichtslos, egoistisch und unverbindlich interpretiert und kann in der Folge ideologisch abgewertet werden. Diese pauschale Abwertung eines so verstandenen Individualismus zieht in der Folge auch das Image der individualistisch und konkurrenzbetonten Institutionen der westdeutschen Marktwirtschaft und Demokratie in Mitleidenschaft.
Diese Arbeit verfolgt neben der Aufdeckung der Ursachen der Verstimmungen zwischen Ost und West und der zuriickhaltenden Systembilanz in den neuen Landern weitere Ziele. Zurn einen stellt sie eine umfassende Datensammlung zum Thema bereit. Zurn anderen ordnet und strukturiert sie diese und versucht sie moglichst ganzheitlich zu erschliefien. Zu diesem Zweck wird zu Beginn ein Modell entworfen, welches das Material in vier grofie Blocke aufteilt, diese Blocke feinstrukturiert und dann in bestimmte logische Beziehungen zueinander bringt.
Das Modell und die folgende Analyse solI auch dazu benutzt werden, Schritt fUr Schritt konkunierende Hypothesen fUr die Probleme der Ostdeutschen mit den Westdeutschen und deren Institutionen zu iiberpriifen.
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Die 6ffentliche und wissenschaftliche Diskussion hat sich inzwischen auf zwei Haupthypothesen festgelegt: Die (popuHire) situative Anomiehypothese behauptet, daB die Ostdeutschen psychisch durch die Umstande und Folgen der radikalen Transformation uberfordert wtirden und daher aus Enttauschung mit Apathie oder Protest reagieren ("Enttiiuschungshypothese"). Die (akademischere) Sozialisationshypothese geht dagegen wesentlich weiter und meint, dafi die Sozialisation in den Familien, Verwandschafts- und Bekanntenkreisen, in den Bildungseinrichtungen, der Arbeitswelt und den Organisationen in der DDR in einem langerfristigen Prozefi Charakter- und Pers6nlichkeitsprofile (im Kern: Werte) hervorgebracht habe, die mit der neuen westlich strukturierten Umwelt unvertraglich sind ("Entfremdungshypothese").
Die empirischen Daten sprechen teilweise fur beide Hypothesen, teilweise widedegen sie beide. Keine Hypothese erbringt eine hinreichend befriedigende Erklarung ftir die Entwicklung des subjektiven Faktors in der Transformation der neuen Bundeslander. Daher wird in dieser Arbeit aus der Kombination richtig interpretierter Teile beider Hypothesen, unter Favorisierung der situativen Elemente, eine neue Erklarung entwickelt.
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Ab
b.1
Teil I: Ein Modell zur Beschreibung der Entwicklung des subjektiven Faktors in den neuen BundesUindem im Proze8 der Vereinigung
A. Grundelemente
1. Transformation
In der offentlichen und wissenschaftlichen Diskussion stimmt man weitgehend uberein, dafi sich in den osteuropaischen Liindem und in den neuen Bundesliindem nach den erfolgreichen politischen Revolutionen tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungen vollziehen. Um die Eigenart dieser Wandlungen zu kennzeichnen, hat sich inzwischen der Begriff der Transformation durchgesetzt.
Was ist Transformation? Der Begriff enthalt zwei wesentliche Komponenten, iiber deren GUltigkeit im wesentlichen Konsens herrscht:
a) Es handelt sich um einen grundlegenden Systemwechsel und nicht um partielIe Veranderungen oder Reformen in einzelnen gesellschaftlichen Sektoren. Wenn man die marxistische Terminologie verwenden will, geht es um einen Systemwechsel von der sozialistischen zur kapitalistischen Gesellschaftsformation.2
b) Es handelt sich um einen intentionalen3 Proze.B, um einen Vorgang aktiver Politik4 und nicht um einen spontanen und ungesteuerten Revolutions- oder Entwicklungsproze.B5.
2 Dazu Klaus Konig: "Wir stehen insoweit vor der Schwierigkeit, daB es zwar eine reichhaltige
Sprache file den "Obergang vom Sozialismus zum Kapitalismus gibt ... Die umgekehrte Richtung,
wie man aus dem realen Sozialismus wieder herauskommt ... ist jedoch kaum konzeptionell er
faBt." Konig 1992, S. 230.
3 ReiSig 1994, S. 7ff.
4 Konig 1992, S. 231.
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Ungerechtfertigt eher nebenbei wird oft jene Eigenschaft der Transfonnation erwahnt, die in allgemeinster Form ihr eigentlicher Inhalt ist: Wir folgen hier unserem ehemaligen Kollegen Jan Heimann, wonach die Transfonnation im eigentlichen Sinne ein Dezentralisienmgsprozefi6 ist. Ein politisch hochzentralisiertes System und eine Zentralverwaltungswirtschaft miissen in die starker dezentral organisierten Formen einer westlich modernen Gesellschaft iiberfiihrt werden. Gewalten werden wieder geteilt, Kompetenzen an Under und Kommunen zuriickgegeben (FOderalismus und kommunale Selbstverwaltung), Individualrechte sind wieder geschiitzt. Wirtschaftliche Entscheidungen sollen wieder dezentral von Prlvateigentiimern gefaIlt und die BedUrfnisermittlung und -befriedigung dezentral tiber den Markt vermittelt werden.7
Ein Hauptproblem der Transfonnation besteht darin, dafi die Dezentralisation von sehr zentralen Stellen her durchgefiihrt und gesteuert wird. Wir stofien an dieser Stelle bereits auf eine, wenn nicht unbedingt als paradox zu bezeichnende, so jedoch immerhin "verzwickte" Konstellation, die noch an vielen wichtigen Punkten der Analyse des Transformationsprozesses auftreten wird. Die Kritik an der Strategie von Bundesregierung und Treuhand stiitzt sich auf die richtige Beobachtung, dafi der hohe Zentralisierungsgrad der Transfonnationspolitik natiirlich
5 Das bedeutet nicht, daB dieser gewollte und von Zielen aus gesteuerte Proze8 nicht unintendierte
Wirkungen hat. Diese ErKenntnis ist eigentlich trivial bzw. in der Sozialwissenschaft lange be
kannt: Man denke nur an Poppers Hinweise auf die unintendierten Folgen, insbesondere holi
stisch angelegten gesellschaftlichen Handelns. In der aktuellen Literatur wird immer wieder auf
viele, an den eigentlichen Zielen der Transfonnation gernessen kontraproduktive Wirkungen
hingewiesen. Gerhard Lehmbruch verwendet z.B. Begriffe wie ,,suboptimale Transfonnati
onsergebnisse" oder "RationalitiitsdeflZite" (Lehmbruch 1994a, S. 27). Die Pointe besteht of
fensichtlich darin, daB die sogenannte Stilckwerk-Sozialtechnologie der schrittweisen Reformen,
die von Popper angesichts der problernatischen Nebenwirkungen globalgesellschaftlicher Urn
wiUzungen ernpfohlen wird, durch den Begriff der Transformation gerade ausgeschlossen ist.
Helmut Wiesenthal (1994) geht davon aus, daB die Situation der Transformation und nur diese
Situation ,,holistische" Reformansiltze begfu1stigt und ihnen auch Erfolg beschert. Durch die
Transformation fmdet eine TotalumwiUzung der Gesellschaft statt, die noch dazu von hochzen
tralisierten Akteuren angeschoben und zu steuem versucht wurde (Staat, Treuhand). Auf die
Problerne der Hochzentralisation als in der Transformation fortgeschriebenes Erbe der DDR,
insbesondere in Form der Treuhand und ihrer Nachfolger, hat besonders Wolfgang Seibel hin
gewiesen. Vgl. Seibel 1994.
6 Jan Heimann, Verkehrswesen in den neuen Bundesllindem. Aufgaben- und Vermogenstrans
formation, Speyerer Dissertation, Speyer 1996.
7 Natilrlich ist bei dieser idealtypischen kontrastierenden Darstellung beider Systerne einschrlin
kend zu sagen, da6 auch die westliche Gesellschaft einen recht hohen Zentralisierungsgrad und
auch die Bundesrepublik mit ca. 50 % eine recht hohe Staatsquote hat. Dennoch sind 50 % viel
weniger a1s 95 0/0, und es besteht die reale und legale Moglichkeit, die Staatsquote auch wieder
zusenken.
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nieht gerade die Berueksiehtigung einer Vielzahl regionaler und lokaler Verhaltnisse und Eigentiimliehkeiten fordere. Daher wurde z.B. oft die Forderung naeh einer Regionalisierung der Treuhandstruktur erhoben, etwa in dern Sinne, Will den Landern wesentliehe Kornpetenzen der Treuhand fibertragen werden sol1ten.
Ieh teile jedoeh die erhebliehen Zweifel Heirnanns, ob die Lander in der Lage gewesen waren, eine ahnlieh konsequente Privatisierungspolitik (=Dezentralisierung) durehzufiihren. Die Landesregierungen sind namIieh irn politisehen Sinne viel zu sehr von der lokalen Wiihlergunst abhangig, als Will sie eine konsequente Privatisierungspolitik mit all deren "Grausamkeiten" und "sehmerzhaften" Sehnitten durehhalten konnten. Die Pointe besteht in diesern Falle darin, Will eine Hoehzentralisierung der Transformationspolitik zu einer Erleiehterung und Besehleunigung der Dezentralisierung fiihrte.
Urn den Transfonnationsprozefi in den neuen Landem spezifiseher zu erfassen, mull noeh eine weitere Besonderheit beriieksiehtigt werden. Anders als in den osteuropaisehen Reformstaaten besteht in den neuen Bundeslandern der Systernwandel in der vo11standigen Ubernahme der Institutionen der Bundesrepublik und der damit verknfipften Ubliehkeiten.8 Die Refonnstaaten des Ostens haben dagegen beirn Systernwandel eine viel grofiere Bandbreite an Experirnentiermogliehkeiten mit neuen Institutionen. Diese Eigentiimlichkeit wurde in der Literatur mit dern Begriff der inkorporation9 der neuen Lander in die Bundesrepublik erfafit. Aueh die Begriffe exogene versus endogene TransformationlO kennzeiehnen diese Speziftk der ostdeutsehen Transformation, die von erheblieher Bedeutung fUr die untersehiedliehe subjektive Veraroeitung dieses Prozesses dureh die Mensehen in den neuen Bundeslandern und in den Refonnstaaten ist. Exogene Transformation heillt nieht nur hoehzentralisierte Transfonnation "von oben"ll, sondern aueh Transformation "von aullen", von den Ubliehkeiten der alten Lander her.
2. Akkommodation
Der Begriff der Transformation beleuehtet den Urnbruehprozefi in den Refonnstaaten und den neuen Landern zunaehst in erster Linie als politiseh intendierte Einfiihrung neuer politiseher, okonomiseher und sozialer institutionen und der damit verbundenen Ublichkeiten. Damit ist aueh verstiindlieh, warurn Transfonnationsproblerne in der ersten Phase des Urnbruehs zunaehst irn Mittelpunkt der Diskussion fiber den Wandel irn Osten standen.
8 Oft kam es dadurch zurn ,,risikoanneren" Vorrang der "Blaupause" anstatt zur Innovation. Hill
1994b, S. 379, bereits auch Hill 1994a, S. 6-8.
9 Mayer 1991, S. 88. Einige Autoren sprechen auch von Kolonisierung.
10 Lehmbruch 1993, S. 24f.
11 Benz 1993, S. 339.
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Die empirische Wirklichkeit zeigte jedoch den rein institutionalistisch denkenden und argumentierenden Praktikem ab einem bestimmten Punkt der Transformation, dan Institutionen nicht riootig funktionieren, wenn sie niOOt von den Menschen angenommen und mit Leben erfii11t werden. Neben dem institutionellen System der Gesellschaft ist auch das sogenannte personale System zu berucksichtigen. Es weist seine eigene Entwicldungslogik auf und kann nicht auf das institutionelle reduziert werden. Wird das dennoch getan, dann sind Legitimationsschwierigkeiten und grofie Reibungsverluste unausweichlich, die vermeidbare Kosten produzieren.
Erst im Gefolge der Vereinigungskrisel2 wurde der sogenannte subjektive Faktor "entdeckt" und in die Diskussion einbezogen. Politische Anstofie dafiir waren eine weitverbreitete Wahlenthaltung im Osten, die spektakulare Wahlerfolge der PDS ermoglichte. 13 Die empirische Sozialforschung untermauerte die subjektive Problemdiagnose: Sie ermittelte ein geringes, im Laufe der Transformation sogar ldar riicldaufiges Vertrauen in die neuen Institutionen der Marktwirtschafi, der Demokratie und der staatlichen Biirokratie. Die Zufriedenheit mit dem neuen System und die personliche Identifikation mit dem wiedervereinigten Deutschland gingen im Transformationsprozefi eher zuriick als vorwarts. 14
Wenn solche, oft als erschreckend empfundenen Befunde uberhaupt zur Kenntnis genommen wurden, dann hinterliefien sie die Institutionalisten ratIos. Sie verdeutIichen jedoch, dafi ein umfassendes Modell zum Verstandnis des Systemwandels an dem subjektiven Faktor nicht vorbeikommt. Mit dem Begriff der Akkommodation l5 erfolgt in unserer Untersuchung der Sprung yom institutionellen System in das personale System der Gesellschaft. Dabei solI die Entwicldung des subjektiven Faktors zunachst als AnpassungsprozefJ erfant werden, und ZWar sowohl an die durch die Transformation geschaffene Situation als auch an das neue Institutionensystem. Diese Begriffsetzung geht von der Unvermeidlichkeit und Altemativen10sigkeit dieser Anpassungsleistung aus, also einem gewissen Trans-
12
13
Czada 1994, S. 247.
DaB in den neuen Liindern bei erhOhter Wahlbeteiligung und in einer Situation faktisch vorhan
dener bzw. zu erwartender Regierungsbeteiligung der PDS das Pendel auch nach der extcemen
Rechten ausschlagen kann, hat die 1998er Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gezeigt. Zur Erklii
rung eines "plotzlich" zum Vorschein gekommenen rechtsradikalen jugendlichen Wiiblertyps
hatten wir bereits 1991 aufgrund des AlLBUS 1991 die Gestalt des jugendlichen
"Bindungslosen" angeboten, der in Befragungen seine Wahlentscheidung besonders oft verbarg
und in Sachsen-Anhalt besonders Mufig vorkarn. V gl. Gensicke 1993a. 14 Vgl. Noelle-Neumann 1994a.
15 Diesen Begriff, der in etwas anderer Bedeutung in der Entwicklungspsychologie verwendet
wird, haben wir in der Transformationsliteratur bisher nicht entdecken konnen und fiihren ihn
daher an dieser Stelle neu ein.
19
fonnationszwang auch seitens des subjektiven Faktors. Das ist die Konsequenz des gewahlten Weges des Beitritts der neuen Lander zur Bundesrepublik.
Die Begriffsetzung unterstellt jedoch auch die Moglichkeit dieser Anpassung. Wir nehmen sogar an, daB ein wichtiger Teil dieser Anpassung, wenn auch nicht auf den ersten Blick erkennbar, bereits vollzogen ist. Eine zentrale Rolle im Prozefi der Akkommodation nehmen die individuellen Werforienfierungen der neuen Bundesbfuger ein. Sie bestimmen die Praferenzen, nach denen Individuen ihre Lebensgestaltung ausrichten. Eine mogliche KompatibilWit der personlichen Wertorientierungen und ihrer Strukturen zur westlich-modemen Gesellschaft ist das Hauptkriterium einer erfolgreichen Akkommodation des subjektiven Faktors in den neuen Bundeslandem.
Werte sind so defmiert, daB sie relativ stabil gegeniiber situativen Zwangen sind. Dennoch sind sie davon nicht unabhangig, zum anderen sind die situativen Druck- und Zugkrafte der Transfonnation in den neuen Landem so stark, daB die Wertesituation einer erheblich grofieren Instabilitat ausgesetzt sein sollte als in "nonnalen" sozialen Situationen. Demnach mufi in der Wahrnehmung der personlichen Situation (Zufriedenheit und Optimismus) durch die Menschen in den neuen Bundeslandem zur Zeit ein erhOhter Einflufi auf die Werteentwicklung vennutet werden.
Die Wahrnehmung der individuellen Situation (materiell und ideell) verkoppelt die Werteentwicklung mit den institutionellen Prozessen der Transfonnation. Der Bestand der Werte und dessen strukturelle Kompatibilitat zur westlichen Gesellschaft kann jedoch aufgrund des langerfristigen Charakters von Werten nicht nur aus der Situation und auch nicht nur aus der Situationswahrnehmung erkliirt werden. Dazu mufi ein weiterer Grundbegriff eingefiihrt werden, der Begriff der Sozialisation l6 .
3. Sozialisafion
Die EinfUhrung der Wertorientierungen in unsere Analyse macht in der Folge die Verwendung des Sozialisationsbegriffes notwendig. Wertorientierungen sind Ergebnis langfristiger Sozialisationsprozesse: Individuen haben eine Biographie; Menschen, die in der DDR gelebt haben, wurden durch die Eigentiimlichkeiten ihrer gesellschaftlichen Umwelt gepriigt.
Urn DDR-Sozialisation zu erfassen, werden wir den Fehler venneiden, nur die fonnalen Eigentiimlichkeiten des realsozialistischen Systems in der DDR in seinem potentiellen Einflufi auf Personlichkeitsstrukturen zu beriicksichtigen. In einem komplexen sozialen System wie in der DDR konnte trotz der Bemiihungen durch die Systemtrager nie die gesamte Lebenswirklichkeit der Individuen be-
16 Vgl. Hurreimann, Uiich 1991.
20
herrscht werden. Die reale Geschichte der DDR kann auch als stillschweigende Anerkennung dieses Umstandes seitens der SED gelesen werden.
Wenn man eine Industriegesellschaft haben will, und die Kommunisten wollten sie (oder muBten sie von Marx her wollen), dann muB man den Menschen Freiraume einraumen und damit ,,(quasi) marktmafiig organisierte soziale und okonomische Strukturen"17 dulden. Solche zunachst stillschweigend eingeraumten Freiraume miissen schliefilich auch irgendwie legitimiert werden. Letztendlich muB man die Folgen dieser Liberalisierung in Form massenhafter Individualisierungsprozesse tragen, insbesondere bei den unter den neuen Umstanden sozialisierten Generationen.
Die Folgen der DDR-Sozialisation sind daher mit dem Westen kompatible individuelle Wertestrukturen. Das in dieser Arbeit zu behandelnde Problem liegt damit quer zur aktuellen Wertedebatte: 1m Kontrast zu den meisten Autoren gehen wir davon aus, dafi das subjektive Problem des Umbruchs in den neuen Landern nicht in der Inkompatibilitat der individuellen Wertorientierungen der neuen Bundesbtirger zu den Wertorientierungen der alten Bundesbtirger liegt. Das Problem besteht vielmehr darin, dafi die ostdeutschen Individuen mit ihren Werten noch nicht mit der neuen Systemumgebung vergesellschaftet sind und das, obwohl oder gerade weil diese Werte strukturell dazu kompatibel sind. Denn zur Individualisierung gehOrt untrennbar das Bediirfnis nach Selbstbestimmung, ein Bediirfnis, das durch die momentanen Umstande der Transformation nicht gerade befriedigt wird.
Zum anderen gehOrt zur erfolgreichen Vergesellschaftung von Individuen auch eine soziale Identitatsbildung. Vergesellschaftete Individuen besitzen im Westen auch ein reflektiertes Bewufitsein, eine Identitat als "individualisierte" Individuen in einer Gesellschaft, die diese "Rolle" akzeptiert und von ihnen fordert. Diese Identitatsbildung war in der DDR nur in Ansatzen moglich. Individualisierung vollzog sich in der DDR spontan, inoffiziell und wenig reflektiert. Die offiziellen Identitats- und Rollen-Schablonen yom sozialistischen Staatsbtirger pafiten nicht fUr die Identitatsbildung des "individualisierten Individuums", das sich daher unreflektiert, eher im privaten als im offiziellen Bereich, eher gegen als im Rahmen des Systems herausbildete. Mit der kurzen, allerdings nicht gering zu veranschlagenden Ausnahme der Revolutionszeit war auch die bisherige Transformationsphase dieser Identitatsbildung nicht sehr giinstig.
Alles in allem erscheint daher die Schnittstelle zwischen "individuellen Werten" und "gesellschaftlichen Einstellungen" als die Hauptbarriere einer erfolgreichen Integration der neuen Bundesbtirger in die neue Systemwirklichkeit. Hier ist die vielzitierte "Mauer in den Kopfen"18 zu finden. Diese Mauer, deren Abtragung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wird jedoch nicht nur durch die
17 Huinink und Mayer 1993, S. 155. 18 Martin und Sylvia Greiffenhagen 1993, Meulemann 1998.
21
Nachwirkung der DDR-Sozialisation geStiitzt, sondem auch durch die Art und Weise, in der sich der Transfonnationsproze.6 gegenwmig vollzieht.
Aus ihrer Sozialisation bringen die DDR-Biirger einen Attributionsstil19 mit, der etatistischer als der westdeutsche ist. 20 Eine betontere Erwartungshaltung an den Staat wurde von starkeren politischen Ohnmachtsgeftihlen begleitet und zunlichst auch von einem geringeren BedUrfnis nach offentlichen Engagement. Die krisenhafte Situation der ostdeutschen Wirtschaft, bringt es aufierdem mit sich, da.6 gro.6e Teile der ostdeutschen Bevolkenmg fiber offentliche Gelder, die aus dem Westen stammen (Transfermilliarden), alimentiert werden. Zum anderen ist der Westen schon von der Bevolkerungszahl her, vor allem aber vom wirtschafilichen, politischen, administrativen und kulturellen Know-how her dominant. Als das westdeutsche System fibemommen wurde, verlor die Masse der Routinen und Ublichkeiten aus der DDR ihren Sinn, wurde eine Unmenge von eigenem Knowhow plotzlich wertlos.
Dieser situative Druck, der das Gefiihl der AbMngigkeit und des Dominiertwerdens erzeugt, beschleunigt nicht gerade die Vergesellschaftung der Ostdeutschen im neuen Gemeinwesen. Als Gegenreaktion versuchte ein Gro.6teil der Ostdeutschen, Selbstbewufitsein durch die Abgrenzung vom Westen zu erzeugen. So kam es friihzeitig zur Selbstdefinition als Wir-Groppe, sei es in der Weise, da.6 70 %-80 % der Ostdeutschen ihre Groppe als Biirger zweiter K.lasse ansahen oder sie sich wieder eher als "Ostdeutsche" und weniger als "Deutsche" ftihlten. So behindert das Zusammenspiel von Sozialisation und Situation die Herausbildung von sozialen Einstellungen, die mit einer westlich-modemen Gesellschaft kompatibel sind.
Die Losung dieser schwierigen Situation liegt im Wandel der situativen Bedingungen, vor allem jedoch im Zeitfaktor und damit letztlich in einem neu beginnenden Sozialisationsproze.6, der insbesondere von den jiingeren Altersgruppen und den nachwachsenden jungen Generationen getragen wird. Beginnend mit der Erfahrung der demokratischen Revolution, dann mit dem Nachwachsen neuer Kohorten, einer dauerhaften Erfahnmg von Wohlfahrt und eines selbsttragenden Aufschwungs vollzieht sich ein neuer Sozialisationsproze.6, dessen Ziel die Integration21 der neuen Bundesbiirger in das vereinigte Deutschland ist.
19 Klages 1985, insbesondere s. 168 f.
20 Vgl. Wegener 1992; Wegenerund Liebig 1993.
21 Rainer Pitschas' Intention tendiert weitgehend in die Richtung, in die auch wir mit dem Begriff
Integration gehen wollen. Pitschas betont die Notwendigkeit einer "inneren" Wiedervereinigung,
die jene ,,neuen Herausforderungen, Einstellungen und Wertepriiferenzen, die aus der ehemali
gen DDR an das nunmehr einheitliche Deutschland herangetragen werden", einbezieht und ver
arbeitet. Pitschas 1992, S. 385. Auch Klaus Konig hat inzwischen den Begriff Integration ge
genllber dem Begriff der Transformation abgegrenzt und starker betont. Ihm geht es dabei insbe
sondere urn die Betonung der Ganzheitlichkeit der Wiedervereinigungssituation und die nun-
22
4. Integration
Mit dem Begriff der Integration soIl erfa6t werden, inwieweit die neuen Bundesbfirger mit der neuen gesamtdeutschen Lebenswirldichkeit tatsachlich vergesellschaftet sind. Das heillt zunachst Akzeptanz: Akzeptieren die neuen Bundesbfirger die Institutionen der Marktwirtschaft, der Konkurrenzdemokratie und des sozialen Systems? Gehen sie davon aus, da6 diese Institutionen in ihrem Interesse funktionieren?
Den zweiten und heikelsten Aspekt der Integration wollen wir mit dem Begriff der Identiflkation erfassen: Inwiefem konnen sich die neuen Bundesbfirger mit ihrem Gemeinwesen und mit dessen Institutionen und Traditionen auch persOnlich identifizieren? Das heint, sehen sie das neue System nicht nur als effizient und funktionsfahig, sondem auch fur sich personlich als wertvoll und schiitzenswert an? Ware diese Bedingung erftillt, dann konnte man die neuen Bundesbfirger als in die Bundesrepublik integriert ansehen. Von diesem Punkt sind sie aber noch weit entfemt. Er ware der Endpunkt des oben beschriebenen jahrzehntelangen neuen Sozialisationsprozesses.
mehrige wechselseitige Abhiingigkeit der beiden deutschen Teilgebiete. Konkret am Beispiel der
Verwaltungsintegration meint Klaus Konig mit Integration folgendes: "Die Verwaltungsintegra
tion fiihrt zur Herstellung eines Ganzen, niimlich zur offentlichen Verwaltung des vereinten
Deutschlands ... Durch die Integration ... treten die ostlichen und westlichen Teile Deutschlands
in ein Verhiiltnis wechselseitiger Abhiingigkeit ein ... Der Integrationsprozell urnfaBt nicht die
blolle Vereinigung alter autonomer Systeme, sondem auch die Umgruppierung von Teilberei
chen zu einerilbergeordneten Einheitneuer Qualitlit." Konig, Mellmann 1995, S. 31 ff. Den Be
griff Integration verwendet auch Hermann Hill, indem er "integratives Verwaltungshandeln" in
den neuen Bundesliindem fordert Hill 1994b, S. 380.
23
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Ab
b.2
B. Erliuterung des Modells
Nach der Einfiihnmg der Grundelemente unseres Modells mochten wir nun zunachst die funktionalen Zusammenhange dieser Elemente erlautern und ein differenzierteres Bild entwerfen. Abbildung 2 zeigt das Modell, das zur Beschreibung der Entwicldung des subjektiven Faktors konstruiert wurde und in der Folge verwendet werden soIl.
Transformation fiihrt in den neuen Uindern zur Notwendigkeit der Akkommodation des subjektiven Faktors. Ziel der Akkommodation ist die Integration der neuen Bundesbiirger in das vereinigte Deutschland. Ausgangspunkt dieses zunachst in Form eines zeitlichen Ablaufs dargestellten Prozesses ist die objektive Situation (Situa) des sich vollziehenden Systemwandels. Sie hatte fUr die DDRBiirger zunachst die Garantie personlicher Freiheit zur Folge und anschliefiend erhebliche personliche Wohlfahrtsgewinne (Wohlj), in erster Linie in Form eines deutlich verbesserten Lebensstandards durch kraftig gestiegene Haushaltseinkommen und Kaufkraft sowie verbesserte Infrastruktur- und Umweltbedingungen.
Der verbesserte Lebensstandard der Ostdeutschen ist die entscheidende Ursache fUr die angestiegene bzw. relativ stabile Lebenszujriedenheit und fUr anhaltenden Optimismus (ZujrIOptim). Die Wahmehmung verbesserter Lebensbedingungen und anhaltender Optimismus stabilisieren ihrerseits die Werteentwicklung (Werte). An Leistung, Durchhaltewillen und Selbstverantwortung orientierte Wertestrukturen sind teilweise sogar starker als im Westen anzutreffen. Von der Situationswahrnehmung bis zum Bereich der personlichen Wertorientiemngen ist der Akkommodationsprozefi des subjektiven Faktors in den neuen Bundesliindern schon recht erfolgreich vorangeschritten. An der Nahtstelle zwischen personlichen Wertorientiemngen und sozialen Einstellungen (Soz Einst) stockt jedoch der Akkommodationsprozefi. Daher ist die Aufgabe der Integration der neuen Bundesbiirger noch liingst nicht gelost und wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Das Modell soIl nun einige den Akkommodations- und Integrationsprozefi fordernde und hemmende Faktoren ausweisen, die in der Literatur und der offentlichen Diskussion nicht immer hinreichend beachtet werden. Solche Faktoren entstehen bereits aus dem Transformationsgeschehen selbst. Westdeutsche Dominanz erzeugt eine "trotzige" Aufwertung der DDR-Vergangenheit und ein "kfinstliches" neues Wir-Gefiihl. Transferabhtingigkeit fiihrt zur Gefahr einer Stabilisierung einer ostdeutschen Versorgungsmentalitat und einer Abkopplung der Anspruchsentwicklung von den realen Fortschritten des Wiederautbaus. Beides kann die Integration der neuen Bundesbiirger hemmen und Mentalitaten reproduzieren, die mit dem Leben im alten System zusammenhangen. Insbesondere der staatsorientierte Attributionsstil (Attrib) wird weiterhin am Leben erhalten und nicht auf ein systemvertriigliches Man reduziert.
Der Attributionsstil verweist auf den zwiespaItigen Einflufi, den die Sozialisation bei Akkommodation und Integration der neuen Bundesbiirger ausiibt. Dessen
25
negativer Wirkung stehen jedoch der positive Einfltill der in der DDR erworbenen personlichen Wertorientierungen und einer ebenfalls in der DDR-Sozialisation erworbenen bzw. konservierten hohen Frustrationstoleranz (FruTo) gegenuber. Psychische Stabilitat, Flexibilitiit und Aktivitiit (FlexiIAktiv) erlauben es den Ostdeutschen, die Belastungen des Transfonnationsprozesses als unvenneidliche " Durststrecke (( zu interpretieren, aktiv nach eigenen Problemlosungen zu suchen und schnelle Umweltveranderungen zu meistem. Dadurch wird auch das ansteigende bzw. vergleichsweise stabile Niveau an personlicher Zufried~eit, vor allem jedoch der anhaltende Optimismus in den neuen Landem und die Stabilitat der Werteentwicklung erklart.
Die Situationslogik der Transfonnation enthalt jedoch neben objektiv hemmenden Faktoren und den bereits angesprochenen positiv wirkenden Gewinnen bei Freiheit und Wohlfahrt noch eine weitere stabilisierende EinfltillgroJk Sie besteht fUr die Ostdeutschen in der Moglichkeit, die Belastungen und Versagungen, denen sie im Transfonnationsprozefi ausgesetzt sind (z.B. Arbeitslosigkeit), als relativ breit gestreutes Kollektivschicksal zu interpretieren. Das ennoglicht es, bestimmte SchicksalsschHige nicht als individuelles Versagen zu interpretieren und sich damit psychisch zu stabilisieren.
Insgesamt scheinen die positiven Wirkungen der Situation die negativen zu uberlagem, so dafi zwar der Integrationsprozefi in den neuen Bundeslandem nicht so recht vorankommt, dennoch die Akkommodation immerhin bis zur Stabilisierung transformationskonfonner bzw. zumindest die Transfonnation nicht behindemder individueller Werte fortgeschritten ist. Die entscheidenden Entwicklungen und Probleme beziehen sich daher auf die Schnittstelle zwischen Situation, alter und neuer Sozialisation. Seit der demokratischen Revolution begann fUr die neuen Bundesbfirger ein neuer SozialisationsprozejJ, der uber ihre Vergesellschaftung im neuen System und Gemeinwesen entscheidet. Diese neue Sozialisation kann nur als langfristiger Integrationsprozefi von mehreren Generationen verstanden werden.
Die neue Sozialisation beginnt mit dem positiven Erlebnis einer selbstgewollten und selbstgemachten demokratischen Revolution. Sie lebt davon, dafi im Laufe der Zeit immer mehr Kohorten im neuen Deutschland sozialisiert werden, die die Sozialisation des DDR-Systems nicht mehr kennen. Wichtigste Integrationsbedingung ist natfirlich die Erfahrung dauerhaft anhaltender materieller und sozialer Wohlfahrt auf der Basis eines selbsttragenden Auftchwungs in den neuen Bundeslandem.
Durch die eigene Erwirtschaftung der Wohlfahrt in den neuen Landem selbst und die Steigerung an Konkurrenzfahigkeit und Attraktivitat, die der Osten damit zunehmend auch gegenuber dem Westen bekommt, fallt die materielle und kulturelle Abhangigkeit yom Westen weg, womit sich auch das westliche Dominanzproblem lost. Die Ostdeutschen werden jedoch dadurch auch in die neue Gesellschaft integriert, weil sich der Aufschwung neben dem Bewtilltsein der eigenen Leistung auch als Leistung der effizienteren Rahmenbedingungen des westlichen
26
Systems darstellt. Das erleichtert die Vertrauensbildung in das neue System und seine Institutionen, deren Akzeptanz und letztlich die Identiflkation mit der neuen Gesellschaft und ihren Symbolen. FUr diesen Integrationsproze.6 mfissen sicherlich Jahrzehnte veranschlagt werden.
27
Teil II: Anwendung des Modells
A. Transformation
1. Die Situation: Wirtschaftliche und institutionelle Weichenstellungen und
Entwicklungen
1.1 Politische Revolution und Wahrungs- und Sozialunion
Die demokratische Revolution in der DDR22 im Herbst 1989 schuf die politischen Rahmenbedingungen, die in der Folge die deutsche Wiedervereinigung auf die Tagesordnung setzten und die Art und Weise des Vereinigungsprozesses bestimmten. Insbesondere spieite die schnelle Einfiihrung weitgehender politischer Freiheiten in der DDR bei gleichzeitiger Agonie der alten politischen Macht (die dennoch formal und wirklich Einflufi behie1t) eine wichtige Rolle. Die Fo1ge war, daB die alten und neuen politischen Krafte extrem von den momentanen Stimmungen in der Bevolkerung abhingen bzw. von dem, was (medienverstarkt) auf der Strafie, insbesondere in den Leipziger Montagsdemonstrationen gefordert wurde.
Es entwicke1te sich eine Konstellation, in der, unterstiitzt durch auch im Westen aufkeimende nationale Gefiihle, eine extreme Asymmetrie zwischen Politik und okonomischem Denken herrschte. Die Politik fiberlagerte die Okonomie, doch die Politik verfiigte nur fiber eine schwache Informationsbasis und war selbst weitgehend vom Druck der Strafie abhangig. Das Resultat dieser eigentiimlichen Situation war die Wahrungsunion im Juni 1990. Aus dieser entscheidenden politischen Weichenstellung entstand in den neuen Bundeslandem bis zum Friihjahr 1991 eine wirtschaftliche Situation, die nicht anders als katastrophal zu bezeichnen ist.
Vom rein okonomischen Standpunkt war die eingeschlagene politische Strategie fragw-urdig. Schocktherapeutisch gesehen ist es noch nachvollziehbar, daB man
22 Vgl. Quaritsch 1992.
28
die im geschlossenen Ost-Block-System einigenna6en funktionierende DDRWirtschaft mit einem Schlag der Weltmarktkonkurrenz aussetzte. Dennoch bedeutete die Wiihrungsunion eine Preisexplosion fOr veraltete Industrieprodukte und fOr die Arbeitskosten in der DDR. Die Politik war jedoch an das Verfassungsgebot der Wiedervereinigung gebunden, und zum relevanten Zeitpunkt war eine konservative Regierung an der Macht, die in der Vergangenheit das Wiedervereinigungsgebot immer am stiirksten betont hatte.
Ausgelost wurde das Debakel jedoch vor aHem durch die forcierte politische Liberalisierung in der DDR. Ende 1989 und Anfang 1990 hatten die konservativen politischen Kriifte in der Wahlergunst der neuen Lander noch den Status einer Splittergruppe. Die Sozialdemokraten in den neuen Landern sahen sich in der Aussicht auf die absolute Mehrheit. Daher hatte die SPD im A11eingang und "staatsstreichartig"23 einen sehr friihen Termin fOr die ersten freien Wahlen durchgesetzt (die im Man 1990, also gerade einmal 4 112 Monate nach dem Mauerfall stattfanden, anstatt Ende 1990, wie ursptiinglich geplant). Den Konservativen blieb in dieser Situation nur die Moglichkeit, das emotionsbesetzte und zugkriiftige Thema einer schneHen Wiedervereinigung zu benutzen, urn iiberhaupt noch breite Wahlermassen zu erreichen.24
So ergab sich in der Folge eine paradoxe Konstellation: Die Konservativen waren gezwungen, eine wohlfahrts-populistische, allzusehr an den Anspriichen der ostdeutschen Wahler orientierte Politik zu machen, wobei sie standig von der Propaganda der ihr im Nacken sitzenden und die Erwartungen der Ostdeutschen anheizenden Opposition iiber jedes okonomische Mall hinausgedrangt wurde.25 Nach jeder Lockerung einer an stabiler Wahrung und Produktivitat orientierten Politik
23 In diesem Sinne iuBerte sich damals der Bitrgerrechtler Reinhard Schulz, der zum F1lhrungskreis
des Neuen Forums ziihlte, im DDR-Femsehen unmittelbar nach Bekanntgabe des neuen Wabl
termins fiir den Miirz 1990.
24 So wurde die CDU/CSU in eine Situationslogik hineingedriingt, die ihr eigentlich nicht recht
sein konnte. Eine sehr schnelle Anhebung der Kaufkraft in den neuen Liindem lag keineswegs in
der Logik konservativer Politik, sondem eher eine Strategie, nach der zuniichst eine Konsolidie
rung Qber eine deutliche Steigerung der Produktivitat bei Inkaufnabme von (vorubergehenden)
Kautkraftverlusten nabegelegen hatte. So kam auch der Vorschlag einer Wiihrungsunion ur
sprunglich von der SPD (von Frau Matthaus-Meyer). Als dann die Idee der Wiihrungsunion aIs Folge der eingetretenen politischen Konstellation auch von der CDU/CSU tibemommen werden
muBte, war es wieder das linke Lager, jetzt insbesondere die PDS, das vehement einen (vollig
unokonomischen) Umtauschkurs der DDR-Mark. zur D-Mark. von 1:1 forderte. Ahnliche Wir
kungen hatte auch die Strategie der Gewerkschaften, die kriiftige Tariferhohungen durchsetzten,
die in keinem Verhiiltnis zur Produktivitat standen.
25 Von Beyme nannte diese aufgezwungene Politik treffend "Vereinigungskeynesianismus wider
Willen". Von Beyme 1994, S. 265.
29
wurde die Regierung anschliefiend von der Opposition fUr die ausufernden Staatsausgaben und Staatsschulden verantwortlich gemacht.
In der Folge wurden die neuen Bundeslander schnell zu Hochlohnlandem und boten schlie1Uich Investoren von daher kaum mehr besondere Standortvorteile, zumal ja auch die Infrastruktur am Boden lag. Den Landem und Kommunen in den neuen Landem fehlte das Geld, urn die enormen Ausgaben, die das neue System mit sich brachte, zu finanzieren. Der Staat reagierte mit Investitionsanreizen, urn die Schaffung von ArbeitspUitzen zu stimulieren, und mit einer umfassenden Transferpolitik, die das nicht eIWirtschaftete Volkseinkommen der neuen Lander auf das inzwischen erreichte Anspruchsniveau "aufstockte". Die Folge war eine Erltohung der Staatsquote auf fiber 50 % (nach einer Senkung in der Am Kohl), eine Steigerung der Staatsschulden (deren Entwicklung immerltin in der Am Kohl stabilisiert worden war) und letztlich fUr die BUrger eine weitere ErhOhung der Abgabenlast.
1.2 Die Folgen der Wiihrungsunion
Mit der Wiihrungsunion vom l. Juli 1990 wurde die ostdeutsche Wiihrung mit einem Schlage urn 300 % bis 400 % aufgewertet. Das bedeutete fUr die DDRBUrger zwar einen erheblichen Kaufkraftschub, war aber Aus10ser fUr den Zusammenbruch der DDR-Industrie. Vor allem fUr die exportierenden Branchen (Maschinenbau, Feinmechanik, Optik) bedeutete die Wiihrungsunion enorme PreiserhOhungen der Produkte, die aufgrund ihrer geringen Qualitiit zu diesen hohen Preisen auf dem We1tmarkt nicht konkurrenzfahig waren (2/3 der Industrieprodukte waren technisch veraltet).26 Gleichzeitig erschwerten von den Gewerkschaften forcierte schnelle Tarifanpassungen die Lage der Betriebe noch zusatzlich. So bewegten sich z.B. die ostdeutschen Lohnstiickkosten 1991 bei 150 % des westdeutschen Niveaus.
In der Folge ging der Export der neuen Lander allein von 1989 bis 1991 urn 56 % zuriick, der Import sogar urn 73 %. Die Exporte in die GUS verringerten sich urn 42 %, die nach Polen urn 68 %, in die CFSR urn 77 % und nach Ungaro urn 86 %. Die ohnehin etwa nur halb so grofie Exportquote der DDR von 1989 (14,5 %, BRD 24,5 %), halbierte sich bis 1991. Arbeiteten 1989 noch ca. 2 Mio ostdeutscher Arbeitnehmer direkt oder indirekt fUr den Export, so waren es 1991 nur noch knapp 1 Mio. Pro Kopf der Bevolkerung entfielen vor der Wende 2.500,- DM (West 7.600,- DM) auf den Export, 1991 waren es nur noch 700,- DM (West 9.800,- DM).
Schwer traf die einheimische ostdeutsche Wirtschaft der Zusammenbruch der Binnennachfrage. 1m Osten setzte ein "Run" auf westdeutsche Produkte ein, die von der auf Hochtouren arbeitenden westdeutschen Wirtschaft problemlos auf den
26 AIle folgend zitierten Wirtschaftsdaten beruhen auf den Wochenberichten des Instituts der
deutschen Wirtschaft - IWD. V gl. IWD 1990-1998.
30
liberalisierten ostdeutschen Binnenmarkt geworfen wurden. Der Exporteinbruch war fUr etwa 1/3 des Riickgangs des Bruttosozialprodukts verantwortlich, den Rest erledigte die ausbleibende Binnennachfrage. Den ostdeutschen Verbrauchem schien in ihrem Nachholeifer zunachst nicht klar zu sein, da6 sie durch den faktischen "Boykott" der eigenen Produkte ihre Arbeitsplatze vernichteten. Am spektakularsten litt die Industrie unter den Folgen des Umbruchs, z.B. mufite der Maschinenbau zwei Drittel seiner Produktion einstellen. Der Index der Industrieproduktion bewegte sich 1991 nur noch bei 66 % des Standes des zweiten Halbjahres 1990, 1992 bei 65 %. Dieser Einbruch war urn so schwerwiegender, wei! die DDR im Vergleich zu entwickelten westlichen Landem eine Wirtschaft mit stark iiberdimensioniertem produktiven Sektor und relativ geringerem Dienstleistungssegmentwar.
Die Bevolkerung erlebte die negativen Seiten des Strukturwandels vor allem als Ende der (wenn auch wenig produktiven) Vollbeschiiftigung und durch die Erfahrung dramatischer Unterbeschiiftigung in der verschiedensten Weise. Gab es 1989 in der DDR noch 9,7 Millionen Beschiiftigte und im dritten Quarta11990 noch ca. 8,8 Mio, so war die Beschiiftigung in den neuen Landem 1993 ZUfiachst auf dem Tiefpunkt von 6,2 Mio angekommen. 1m FIiihjahr 1991 erreichte die Zahl der Kurzarbeiter mit 2 Mio ihren Hohepunkt, die Arbeitslosenzahlen schnellten von 270.000 im Juli 1990 auf erstmals iiber 1 Mio im Juli 1991 bis auf den zunachst hOchsten Stand von 1,4 Mio Anfang 1992. 1m Juli 1991 befanden sich 3,7 Mio Ostdeutsche entweder in Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Vorruhestand, ABM oder Qualifizierung (das war der Hochststand), im Mai 1992 immer noch 3,2 Mio. Die Quote der Unterbeschiiftigung in den neuen Landem lag 1992 bei fast 30 %.27
Insgesamt gingen von 1990 bis 1997 30 Prozent der ostdeutschen Arbeitsplatze verloren, allein im produzierenden Gewerbe 1.9 Millionen, in der Landwirtschaft noch einmal 600.000. Ein Plus erzielten allein die privaten Dienstleistungen mit 600.000 Arbeitsplatzen, wodurch die Beschiiftigungsbilanz noch etwas aufgebessert wurde.
Alles in allem bedeutete also die Wahrungsunion, da6 den neuen Lander innerhalb weniger Jahre der Sprung von einem Land mit schwacher Wahrung, mit niedrigen Arbeitskosten und niedriger Qualitat der Produkte zu einem Hartwahrungs- und Hochlohnland mit Qualitatsprodukten (die natiirlich kaurn vorhanden waren) zugemutet wurde. Eine Arbeitsstunde kostete 1994 in den neuen Landem bereits 26,50 DM. Das waren zwar nur etwas mehr als die HiUfte der 44,- DM in Westdeutschland, bewegte sich jedoch immerhin schon auf einem Niveau von ltalien (27,- DM), USA (28,- DM) und Frankreich (29,- DM), ohne jedoch die dortige Produktivitat zu erreichen. Auf jeden Fall waren die ostdeutschen Arbeitskosten erheblich iiber die in den ehemals sozialistischen "Bruderstaaten" hinausgeschnellt. Eine Arbeitsstunde kostete 1994 in Ungam 4,50 DM, in Polen 3,50 DM, 3
27 Zur Betroffenheit der Bevolkerung von der okonomischen Umstrukturierung siehe die 6 Blinde
der KSPW 1996, auch Zapf, Habich 1996.
31
DM in Tschechien und nur 2,70 DM in der Slowakei (von den GUS-Staaten gar nicht zu reden).
1.3 Die staatliche Vereinigung
Nach der Vereinigungsstrategie, die mit dem Willen einer Mehrheit der Ostdeutschen28 mit der Wahrungs- und Sozialunion eingeschlagen wurde, war klar, da6 der okonomischen Union mit all ihren Konsequenzen auch die politische Union folgen mu6te.
DaB die politische Union nach Paragraph 23 des Grundgesetzes durchgefUhrt wurde, hatte weitreichende Folgen. Die neuen Lander traten der Bundesrepublik politisch bei, damit war fUr sie jeder Eigenstandigkeitsanspruch, der etwa fiber die Prinzipien des FOderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung hinausging, obsolet geworden. Jetzt nach eigenstandigen politischen Institutionen, Ublichkeiten oder Problemlosungen zu rufen, die Rficksicht auf die Herkunft der neuen Lander aus mehr als 40 Jahren DDR-Geschichte nehmen sollten, bekam automatisch einen prekaren und illegitimen Beigeschmack.
Damit war eine weitere "verzwickte" Konstellation entstanden. Die politische Initiative und Kompetenz konzentrierte sich nun in Bonn bei den dortigen politischen Eliten und Akteuren, was auch eine Folge der hohen Bedeutung des (Bundes)Staates im Proze.6 der Wiedervereinigung und der Schwache der erst im Aufbau befindlichen neuen Landerstrukturen war.29 Den meisten Ostdeutschen traten zunachst in erster Linie Staat und Politik als Reprasentanten des neuen Systems entgegen: Okonomisch fiber die hochzentralisierte und vom Finanzministerium in Bonn gesteuerte Treuhand, politisch in Form einer westdeutsch dominierten Parteienlandschaft und administrativ als eine von zunachst schwer durchschaubaren Regeln und meist von westlichen Fiihrungseliten gepragte Bfirokratie.
Gemeinsam war all diesen Erfahrungen mit dem neuen System, daB die Institutionen vom Westen dominiert wurden, nach westlichen Ublichkeiten und Spielregeln funktionierten und zunachst eine geringe Sensibilitat fUr ostdeutsche Sonderverhaltnisse entwickelten. In der Folge wurde die Transformation in den neuen Bundeslandem nicht gerade als besonders selbstbestimmt und selbstbeeinflu.6t wahrgenommen. Das nunmehr ofter zu beobachtende Bemiihen in den neuen Landem, sich vom Westen abzugrenzen und eigene Problemlosungen zu rmden, ist auch von daher zu verstehen.
28 Dieser Wille einer groBen Mehrheit der Ostdeutschen zur Wiedervereinigung war insofern
differenziert, als diejenigen, die eher ,,konservativ" gewiihlt hatten, eine forcierte Strategie be
vorzugten, wiihrend diejenigen, die moderat "Iinks" gewiihlt hatten (SPD, Bilndnis 90/GrUne)
eher eine "behutsamere". Nur in der PDS-Anhlingerschaft gab es deutliche Vomehalte gegen die
Wiedervereinigung.
29 Vgl. Lehmbruch 1994a und 1994b, Konig 1995.
32
1.4 Offentliche Transfers: Ubergangshilfe und Sicherung des sozialen Friedens
Die Hochlohnstrategie, die ja letztlich Konsequenz des Konzepts der schnellen Angleichung der Lebensverhiiltnisse war, bedeutete bei Ausdehnung des westdeutschen Verfassungs- und Sozialsystems auf die neuen Llinder erhebliche finanzielle Konsequenzen fOr die alte Bundesrepublik. Fiir die Sozialsysteme und die offentliche AIbeitsmarktpolitik, sei es in Fonn von Kurzarbeit, von ABM, QuaIifizierung und die Entlastung des AIbeitsmarktes durch besondere Vorruhestandsregelungen, mlillten und miissen erhebliche Summen aufgebracht werden. Dazu kommen Ma6-nahmen, die einen Hochlohnstandort erst funktionsfahig machen, wie der Ausbau der Infrastruktur und die Beseitigung von Umweltschaden, die Finanzausstattung der Llinder und Kommunen und die Investitionsforderung der privaten Industrie.
Durch die offentliche Hand wurden z.B. zwischen 1991 und 1994 netto 623 Mrd. DM in die neuen Llinder transferiert. Das waren von 1991 bis 1994 etwa 3/4 des im Osten erwirtschafteten Bruttosozialprodukts. 37 % der Transfers gingen in den Bereich AIbeitsmarkt und Soziales, 200 Mrd. DM direkt an ostdeutsche Untemehmen (davon allerdings 130 Mrd. DM an Treuhanduntemehmen, nur 23 Mrd. kamen der privaten gewetblichen Wirtschaft zugute). 11 % der Mittel gingen in den Ausbau der Infrastruktur. Ein deutlicher Riickgang der notwendigen Transfers war auch 1997/98 noch nicht abzusehen. 1995 vetbesserte sich die Finanzlage der neuen Llinder wegen der reguUiren Einbeziehung in den Llinderfmanzausgleich, vor allem zuungunsten des Bundes. Die neuen Llinder und Kommunen nahmen soOOt im Schnitt 40 % mehr aus Transfers und Steuem ein als die westdeutschen.
Die Analyse der Verwendung der offentlichen Transfers zeigt emtichtemd, dafi der geringste Teil davon im strengen Sinne "investiv" eingesetzt wurde. Der Lowenanteil ging in die Finanzierung von Privat-Einkommen oder die Subventionierung maroder Treuhandbetriebe. Dennoch kann man diese Ausgaben als Investitionen (im weiteren Sinne) in "offentliche Gtiter" wie den sozialen Frieden und die Anpassung des Qualifikationsniveaus der Berufstlitigen an die neuen Bedingungen ansehen, die fOr ein Hochlohnland typisch sind. Vetbesserte Umweltbedingungen und eine gut ausgebaute Infrastruktur sind ohnehin wichtige Standortfaktoren fOr eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung.
Insgesamt haben die Transfers dazu beigetragen, daJl die ostdeutsche Wirtschaft nach dem Einbruch 1991 zwischen 1992 und 1995 ktiiftig wuchs. Die Wachstumsraten lagen bis 1995 weit tiber denen des Westens. Fiir 1995 erreichte die BruttowertschOpfung (AIbeitsproduktivitlit) in den neuen Llindem pro Kopf 58 % des westdeutschen Wertes, um allerdings danach nur noch leicht zu steigen. Das ist dennoch ein guter Wert, den kaum jemand voraussehen konnte, nachdem man 1991 bei 31 % gestartet war.
33
1.5 Beginn der Konsolidierung: Erholung des Binnenmarktes, Bauboom und
Belebung in der Ausrustungsindustrie
Die Offentlichen Transfers hatten verschiedenste wirtschaftlich belebende Wirkungen. Sie stellten zunachst die Kautkraft zur Verfiigung, urn die Binnennachfrage wieder anzukurbeln. Der anziehenden Binnenachfrage kam jedoch auch ein Bewufitseinswandel in der ostdeutschen Bevolkerung zugute, die sich, sei es aus geschmacklichen GrUnden, aus einem neuen Wir-Bewufitsein oder aus der Einsicht in wirtschaftliche Zusammenhange wieder starker einheimischen Produkten zuwandte (soweit noch vorhanden).
Die Transfers haben den Bausektor nachhaltig gefordert, und zwar sowohl den Wirtschafts- als auch den W ohnungsbau. Der Produktionsanteil des Baugewerbes stieg bis 1993 im Osten von 18 % auf 33 %, was nattirlich ein Uberdimensionierung bedeutet, die durch die steuerlichen EigentUmlichkeiten der lnvestitionsforderung begtinstigt wurde. Die Bedeutung des Bausektors war in der ersten Transformationsphase sogar doppelt so grofi wie in Westdeutschland in der Autbauphase in den 50er Jahren und ging auch im Jahre 1997 erst langsam zuIiick.
1m Jahr 1994 wurden erste Anzeichen einer weiteren Phase der wirtschaftlichen Erholung erkennbar. Zum einen war die Privatisierung nun weit fortgeschritten und grofie Teile der Ostindustrie waren nun an den Westen angekoppelt. So bewegten sie sich gemeinsam mit der westlichen Konjunktur seit der Mitte 1994 aus dem WeHental der Rezession heraus. Die wirtschaftliche Belebung erfaBte 1994 iiber den Bau hinaus auch die Investitionsgtlterindustrie. 1m Osten wurde in Ausrustungen, also die Modernisierung des Produktionsapparates, kriiftig investiert, z.B. 1995 in Ostdeutschland pro Kopf 20 % mehr als im Westen. 1m erst en Quartal 1995 stieg im Osten die Beschaftigung wieder. Nach 1,4 Mio Arbeitslosen Anfang 1992 fiel die Zahl der Arbeitslosen in der zweiten Halfte 1994 erstmals unter 1 Mio. Seit 1993 stieg der Index der Industrieproduktion und erreichte 70 % des Niveaus der zweiten Halfte von 1990. 1994 wurden 84 % erreicht, in der zweiten Hiilfte 1994 durchschnittlich 90 % bis 95 %.
Diese Anfangserfolge konntenjedoch die nach wie vor grofien wirtschaftlichen Probleme der neuen Lander nicht verdecken, weil die sich erholende Ostwirtschaft zum einen noch zu stark von Offentlichen Transfers lebt, zum anderen hauptsachlich den Binnenmarkt bedient. Entscheidend wird dabei eine deutliche Steigerung der Exportquote sein, die sich inzwischen wieder erhOht. Vor aHem leidet die ostdeutsche Wirtschaft, deren Wachstumsraten 1997 wieder hinter den Westen zuruckfielen, unter der notwendigen Riickfiihrung des iiberdimensionierten Bausektors, was die Arbeitslosigkeit (auch aufgrund auslaufender ABM und Umschulungen) wieder stark anschweHen liefi. Das produzierende Gewerbe (ohne Bau) wachst zwar sehr kriiftig (1997 mit einer Produktivitatssteigerung von 12.5 %), dennoch war 1997 die Gewinnsituation der Betriebe insgesamt noch alles andere als befriedigend. Die Industrie kann aufierdem, weil sie nach der Wende so stark
34
geschrumpft und die neuen Werke meist sehr kapitalintensiv sind, die Beschaftigungsverluste nicht ausgleichen und damit auch dem Dienstleistungsbereich noch keine ausreichenden Impulse geben. Dennoch verweisen die letzten Meldungen im Mai 199830 auf eine erneut zu erwartende deutliche Belebung der ostdeutschen Wirtschaft, die sich ahnlich wie nach der Rezession 1993 etwas verzogert dem Aufwartstrend des Westens anschlieBt.
1.6 Einkommensentwicklung und Verwendung
Die Einkommensentwicklung war durch die Hochlohnstrategie im wesentlichen vorgezeichnet. Wiihrend das Bruttosozialprodukt stark (1991: -22 %!) zuriickging und dann von einem niedrigen Niveau wieder kraftig stieg, blieben die Einkommen im wesentlichen unvernndert, urn dann ab 1991 kraftig anzusteigen. Seit 1993/94 flachte sich der Anstieg der Einkommen wieder etwas abo
Die Einkommen lagen also verglichen mit dem Westen von Anfang an deutlich uber der Produktivitat und stiegen in der Folge zunachst schneller als diese. Inzwischen beginnt sich diese Lucke wieder zu schliefien. Moglich ist sie uberhaupt durch die erwiihnten Transferleistungen aus dem Westen. Die Preissteigerungen waren dagegen deutlich geringer als die Einkommenssteigerungen. Die Einkommen stiegen etwa dreimal so schnell wie die Preise. Das Argument der von den Preisen aufgefressenen Einkommenssteigerungen halt damit der statistischen Nachpriifung nicht stand. Man erkennt das auch daran, dafi sich der durchschnittliche fmanzielle Spielraurn der Osthaushalte nach Abzug von Abgaben und Lebenshaltung in ahnlichem Tempo wie die Haushaltsnettoeinkommen von 1991 304,DM auf 1996 445,- DM erhoht hat (Abbildung 3). Ostdeutsche Haushalte entwikkelten eine ahnliche Spameigung und sind weniger verschuldet als westdeutsche. Ein Grofiteil der gewachsenen Einkommen ging in langlebige Konsumgfiter, Werkzeuge und private Wohninvestitionen. Das private Konsurnverhalten wurde als "durchdacht und maflvoll" gekennzeichnet.31
liihrliche Umfragedaten der Allensbacher A W A zeigten zwischen 1991 und 1994 sogar eine kontinuierliche EinkommenserhOhung im Osten an, die sich 1995 jedoch abschwachte (Abbildung 4). Nach den Umfragedaten erreichen die ostdeutschen Nettoeinkommen 1996 ca. 80 % der westdeutschen32, die verfUgbaren Ein-
30 Handelsblatt 102/1998, S.8. Der Handelsblatt-Konjunkturindikator Ost war deutlich angezogen,
was auf eine breite Belebung der Indikatoren a1ler Branchen zurilckging. Das verarbeitende Ge
werbe (ohne Bau, Energie und Bergbau) hatte in den neuen Uindem 1997 wieder 22.1 % an der
BruttowertschOpfung erreicht (West: 27.4 %), nachdem es 1991 auf 17.2 % geschrumpft war.
Der Anteil des Staatssektors war inzwischen von 23 % auf 13.7 % geschrumpft (West: 10.3 %). 31 Vgl. Ebert 1995.
32 Siehe auch Weick 1995 aufgrund der Uingsschnittdaten des Soziookonomischen Panels (SOEP).
Die durchschnittlichen ostdeutschen bedarfsgewichteten Einkommen erreichten danach 1994
74 % der westdeutschen, nach 1991 450/0, 1992610/0, 1993 68 %. Die Bundesbank (zitiert im
35
kommensbestandteile (ohne Lebenshaltung) ebenfalls etwa 80 %. Das diirfte Reflex der grofieren Haushalte im Osten sein (die Allensbacher Daten sind keine ProKopf-Daten), der im Osten geringeren Abgabenquote (progression durch hOhere Einkommen im Westen) und geringerer Lebenshaltungskosten. Dabei diirften die geringeren Wohnkosten (bei allerdings schlechterer Wohnqualitiit) besonders durchschlagen.
36
"Handelsblatt" 7611998, S.7) gibt die effektiven Arbeitseinkommen in Ostdeutschland fUr 1997
mit 77 % der westdeutschen an. Tariflich miiBten die Einkommen sogar fast 90 % betragen, was
aber nicht die Realitat ist.
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37
B. Akkommodation
1. Die Wahrnehmung der allgemeinen 6konomischen Situation
Wie nahm nun die ostdeutsche Bevolkerung den wirtschaftlichen Zusammenbruch und den weitreichenden wirtschaftlichen Struktunvandel wahr, der sich innerhalb kurzer Zeit in den neuen Llmdern vollzog?
In Abbildung 5 ist anhand von Monatsdaten von IPOS dargestellt, wie die neuen BundesbOrger fiber sieben Jahre hin die wirtschaftliche Lage in den neuen Landem beurteilten (vom Marz 1991 bis zum Februar 199833). Man erkennt zunachst ein klares wirtschaftliches KrisenbewuBtsein, die ostdeutsche Bevolkerung schatzte mit gro.6er Mehrheit bis weit in das Jahr 1994 hinein die Lage in den neuen Landem als "schlecht" ein.
Innerhalb der Zeitreihe werden vier Phasen der Entwicklung erkennbar. Dem Tiefpunkt der wirtschaftlichen Stimmung im Marz 1991 (mehr als 80 % schatzen die Lage als "schlecht" ein) folgte eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Urteile ("nur" noch etwas mehr als 50 % "schlecht" und knapp 50 % "teilsteils" im Februar 1992). Man erkennt also in der Entwicklung der wirtschaftlichen Stimmung zunachst den Reflex auf den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft und die emporschneUenden Kurzarbeiter- und Atbeitslosenzahlen, dann jedoch die ersten dampfenden Auswirkungen der Transfer- und Atbeitsmarktpolitik der Bundesregierung.
Der Konsolidierungsphase folgte eine zweite, in der sich die wirtschaftliche Stimmung wieder verschlechterte. Sie erreichte allerdings nicht wieder die extrem schlechten Werte von 1991. Hintergrund dieser Stimmungsverschlechterung dUrfte die 1992 im Westen aufziehende und 1993 ausbrechende Rezession sein. Sie konnte zum einen die Finanztransfers und Investitionen des Westens in Frage stellen, andererseits betraf sie Teile der inzwischen an den Westen angedockten Ostwirtschaft direkt mit.
Eine dritte Phase begann im Jahr 1994. Das wirtschaftliche Stimmungsbarometer des Ostens stieg das ganze Jahr fiber. 1m Mai 1994 schatzte erstmals die Mehrheit der Ostdeutschen die wirtschaftliche Lage nicht mehr als "schlecht", sondern immerhin bereits als "teils-teils" ein. Die Urteile "teils-teils" pegelten sich dann im Jahr 1995 etwa bei der 60 %-Marke ein.
Diesem Szenario folgt gegen Ende 1995 ein vierte Phase, in der sich die wirtschaftliche Stimmung in den neuen Landem wieder drastisch verschlechtert. 1m
33 Seit 1996 werden die ostdeutschen Daten im Politbarometer nicht mehr extra ausgewiesen und
sind nur noch in punktuellen Einzelbefragungen mit gro/3eren ostdeutschen Stichproben nach
vollziehbar. Vgi. IPOS 1997, 1998.
38
August 1997 schatzten mit 50 % wieder mehr Ostdeutsche die wirtschaftliche Lage als "schlecht" ein, 43 % als "teils-teils" (6 % als "gut"), am Beginn des Jahres 1998 hatte sich das Bild weiter verdiistert. Das abgeschwachte Wirtschaftswachstum und die wieder stark gestiegene Atbeitslosigkeit (mit Quoten urn 20 %) machten sich fiberdeutlich bemerkbar.
Objektiv wie subjektiv blieb also bis in das Jahr 1998 hinein die wirtschaftliche Situation in den neuen Landern gespannt. Zum einen entsprachen selbst die bisher gftnstigsten wirtschaftlichen Umfragewerte in den neuen Landern aus den Jahren 1994/95 noch etwa Daten, die im Westen auf dem Hohepunkt der Rezession 1993 gemessen wurden. Zum anderen sind und bleiben die Probleme der Atbeitslosigkeit und der Unterbeschaftigung erdriickend und marginalisieren alle anderen wahrgenommenen Probleme (Abbildung 6). Aber auch den Westen hat das Problem "Atbeitslosigkeit" 1993 mit voller Wucht erreicht. Atbeitslosigkeit blieb in den alten Landern auch im Konjunkturaufschwung des Jahres 1994 das dominante Problem im BewuBtsein der Bevolkerung. Daran anderte sich bis zum Mai 1998 nichts (Abbildung 7).34
2. Die Wahrnehmung der eigenen okonomischen Situation
Wie nahmen die Ostdeutschen nun die Entwicklung ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage wahr? Abbildung 8 zeigt, wieviel Ostdeutsche im Zeitverlauf die allgemeine und wieviel die eigene Wirtschaftslage als "schlecht" einschatzten. Danach zeigt sich eine beeindruckende Diskrepanz zwischen diesen Urteilen. Als "schlecht" sahen ihre eigene Wirtschaftslage im Friihjahr 1991 urn die 20 % der Ostdeutschen an, dieser Anteil hatte sich bis zum Februar 1996 fast halbiert und lag im Februar 1998 wieder bei 16 %. Dagegen lag der Hochstwert der schlechten allgemeinen Urteile bei fiber 80 %, urn sich erst Ende 1994 mit ca. 40 % nennenswert an die an Privaturteile anzunahem. Diese Annaherung (Unterschied von ca. 30 %) entsprach jedoch gerade dem Niveau, das kurzzeitig (Ende 1993) auf dem Hohepunkt der rezessiven Stimmung im Westen erreicht wurde. In den Jahren 1997/98 drifteten in den neuen Landem beide wirtschaftlichen Urteile wieder weit auseinander.
Die Abbildung 8 ist damit eine eindrucksvolle Illustration der Transferpolitik seit der Wiedervereinigung. Die wirtschaftliche Lage der ostdeutschen Haushalte wird deutlich fiber das allgemeine wirtschaftliche Niveau in den neuen Landern heraufsubventioniert. Absolut gesehen, blieben die Einschatzungen der eigenen Wirtschaftslage im Osten bisher hinter den westdeutschen Werten zurUck, wobei die ostdeutschen Werte sich seit 1991 insgesamt veIbessert haben. 1m Februar 1998 sahen 44 % der Ostdeutschen ihre Wirtschaftslage als "gut" an (West: 50 %),
34 Auch im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom Mai 1998 war das Thema
,,Arbeitslosigkeit" mit 85 % gesamtdeutsch das wichtigste Problem.
39
40 % als "teils-teils" (West: 38 %) und 16 % als "schlecht" (West: 11 %).35 (Vgl. IPOS 1998)
3. Wohlfahrtsentwicklung in weiteren Lebensbereichen
Urn die Entwicklung der subjektiven Wo.hlfahrt der neuen Bundesbiirger differenzierter zu erfassen, so.l1 anschliefiend auf Ergebnisse der Wo.hlfahrtsfo.rschung36 zuriickgegriffen werden. Wir gehen dabei in zwei Schritten vo.r und stUtzen uns fUr den Zeitraum 1990 bis 1993 auf Daten zweier groBer Langzeit-Pro.jekte der deutschen Wo.hlfahrtsfo.rschung, den Wo.hlfahrtsurvey und das So.zio.oko.no.mische Pane137 und fUr 1997 aufunseren eigene Wertesurvey 199738.
Die Wo.hlfahrtsfo.rschung hat die differenzierte Messung der Lebensqualitiit in der rno.dernen Wo.hlfahrtgesellschaft zum Ziel, insbeso.ndere deren subjektive Ernpfrndung seitens der Biirger. "Gute Lebensbedingungen, die auch als gut wahrgeno.mmen werden, bildeten und bilden dazu die einfache Definitio.n der Wo.hlfahrt".39
Die Abbildungen 9 und 10 ermoglichen einen ersten Wo.hlfahrtsvergleich zwischen Ost und West anhand der Daten des Wo.hlfahrtsurveys 1993 fiir eine Vielzahl vo.n Einzeldirnensio.nen. In den privaten Bereichen "Ehe und Partnerschaft", "Familienleben", "Arbeitsteilung irn Haushalt" erzielten Ost und West ein ho.hes Zufriedenheitsniveau. Die Durchschnittswerte bewegten sich zwischen Punkt 8 und
35 Dabei war die dreistufige Variable, ob der eigene Arbeitsplatz sicher sei (eigene Wirtschaftslage
"gut" 55 %), getahrdet (40 %) bzw. daB man bereits arbeitslos sei (14 %) besonders erkliirungs
kriiftig. Rentner waren mit 57 % guter eigener Wirtschaftslage die "Gewinner" dieser Frage. Au-
8erdem sahen CDU/CSU-Wlihler ihre wirtschaftliche Lage besonders gut. Vgl. 1POS 1998. 36 Vgl. u.a. Zapf 1987, Glatzer 1984. 37 Das SOEP ist eine Wiederholungsbefragung identischer Befragter (Panel), welche seit 1984
j1ihrlich in Westdeutschland durchgefiihrt wird. 1m Mai und Juni, also noch vor der Wlihrungs
union, wurde diese Befragung auf die DDR ausgeweitet. Wir stiitzen uns auf die ersten 4 Wellen
aus den Jahren 1990, 1991, 1992, 1993. Der Wohlfahrtsurvey, eine repriisentative und replikati
ve, aber keine Panel-Befragung, wurde in Westdeutschland vor der Wiedervereinigung viermal
(1978, 1980, 1984 und 1988) durchgefiihrt. Ende 1990 kam der erste Wohlfahrtsurvey in Ost
deutschland zustande, 1993 der erste gesamtdeutsche, in Ost und West identische Wohlfahrtsur
vey.
38 Der Wertesurvey 1997 wurde nach vorherigem Pretest durch Interviewer von Jnfratest Burke
Milnchen anhand einer mehrfach geschichteten und mehrstufigen Zufallsstichprobe durchge
fiihrt (N=2.000 West, N=l.OOO Ost). Sie ist Teil des Projektes "Wertewandel in Deutschland in
den neunziger Jahren", das am Forschungsinstitut rur offentliche Verwaltung bei der Deutschen
Hochschule fUr Verwaltungswissenschaften Speyer unter der Leitung von Univ.-Professor Dr.
Helmut Klages durch den Autor durchgefiihrt wird. Das Projekt wird seit Anfang 1995 bis An
fang 1999 durch die Fritz Thyssen Stiftung und die Robert Bosch Stiftung finanziert.
39 Habich 1992, S. 472.
40
9 auf einer Skala mit dem Minimum 0 lUld dem Maximum 10. Beiderseits recht hoch (etwas mehr als Punkt 7 der gleichen Skala) fiel die Zufriedenheit mit der eigenen GeSlUldheit lUld der eigenen AusbildlUlg (Schule lUld Beruf) aus.
Der private Lebensbereich erwies sich bereits in der ersten Umbmchphase von 1990 bis 1993 in den neuen Lfindern als wichtiger personlicher Riickhalt im Transformationsproze.6. Die gelegentlich geaufierte VermutlUlg, die Transfonnation Mtte im Osten die privaten Beziehungen generell zerriittet und uberlastet, erweist sich damit als lUlZUtreffend. In diesem Bereich gab es an dem schon recht hohen Niveau der Zufriedenheit von 1990 auch kaum Veranderungen. In den Bereichen Schul- lUld Berufsausbildung lUld GeSlUldheit waren Zuwachse der Zufriedenheit zu verzeichnen.
Gro.6e soziookonomische Unterschiede wurden zwischen Ost lUld West im materiellen Bereich erkennbar. Die Unterschiede, hier erfa.6t als Zufriedenheit mit dem Lebensstandard lUld dem Haushaltseinkommen, sind sehr auffaIlig. Die ostdeutschen Durchschnittswerte blieben mit 1,2 bzw. 1,3 Skalenpunkten noch wesentlich hinter den westdeutschen zurUck. Ein ahnliches Bild ergab die 1993er Zufriedenheit mit der Wohnung, der Wohngegend, der Freizeit lUld besonders der sozialen Sicherung. Die recht guten Ergebnisse fUr den Westen wurden im Osten erheblich lUlterschritten.
Eine Ausnahme bildete der Bereich "Arbeit", wo die Zufriedenheit im Osten recht gut ausfiel. FUr die, die im Osten Arbeit hatten, schien sich die Arbeitssituation zunachst deutlich zu verbessern. Zu beriicksichtigen ist auch, da.6 der Vergleich mit den vielen, die keine Arbeit haben, den Wert des Arbeitsplatzbesitzes erheblich erbOhen und damit das Zufriedenheitsniveau steigern kann.
Zwischen 1990 lUld 1993 wurden in den neuen Landern Verbesserungen der materiellen Lebensqualitat wahrgenommen. Besonders deutlich stieg die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen, geringfiigiger die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard. Nach den jahrlichen Daten des Soziookonomischen Panels war die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard 1991 lUld 1992 sogar riickIaufig lUld stieg 1993 wieder an. Die deutlichen objektiven VeIbesserungen fiihrten also nicht sofort zu einer besseren subjektiven WahrnehmlUlg des Lebensstandards. Zum einen wird das gestiegene Preisniveau das Gefiihl erzeugt haben, da.6 sich trotz EinkommenserbOhung der Lebensstandard nur wenig veIbesserte. Vor allem jedoch lag nlUl durch den Vergleich zum Westen die Me.61atte der Bewert1Ulg bOher, so da.6 die wahrgenommenen Fortschritte im Lebensstandard geringer bewertet wurden.
1m offentlichen Bereich blieb die Zufriedenheit im Osten ebenfalls deutlich hinter dem auch im Westen nicht gerade hohen Ma.6 an Zufriedenheit zurUck. Mit der Demokratie, den Moglichkeiten, sich politisch zu beteiligen, der offentlichen lUld sozialen Sicherheit war man im Osten deutlich unzufriedener als im Westen. 1m Bereich der politischen Beteiligung ist die Zufriedenheit seit 1990 kIar riicklaufig.
41
Sonderfalle in der Wohlfahrtsentwicklung bilden die Items "Zufriedenheit mit der Hausfrauenrolle" und "Zufriedenheit mit dem Umweltschutz". Die ostdeutschen Hausfrauen geben sich deutlich unzufriedener mit ihrer Hausfrauenrolle als die westdeutschen. Das dtirfte mit dem Kontrast zu der in der DDR positiv besetzten Rolle der berufstatigen Frau und dem damaligen "Randgruppenstatus" von Hausfrauen zu tun haben. Diejenigen Frauen, die sich nunmehr in die Hausfrauenrolle gedriingt fiihlen, empfinden das als einen unfreiwilligen Ubergang in eine eher negativ besetzte Lebensrolle. 1m Westen dagegen stand bisher hinter dem Hausfrauendasein oft ein freiwilliger Entschhill, etwa im Interesse der Kindererziehung. Daher ist man mit der als frei gewiihlt empfundenen und weniger schlecht angesehenen Rolle in der Folge auch zufriedener.
In der zwischen 1990 und 1993 deutlich gestiegenen Zufriedenheit mit dem Umweltschutz kommt die verbesserte Umweltsituation in den neuen Bundeslandern zum Ausdruck. Mit dem Zusammenbruch der Industrie im Osten wurde eine Vielzahl der grofiten Umweltverschmutzer stillgelegt. Neue Heizungssysteme im privaten und offentlichen Bereich (01 bzw. Erdgas statt Braunkohle) und das zunehmende Greifen der strengeren westdeutschen Umweltauflagen in Industrie und Kommunen haben die Umweltsituation deutlich verbessert. Luft, Boden und Gewasser werden weniger belastet. 40
Unser eigener Wertesurvey gestattet nun in einem zweiten Schritt fOr 1997 eine weitere bilanzierende Bestandsaufnahme der Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbedingungen, nunmehr in einem fortgeschrittenen Stadium des Umbruches (Abbildung 11). Weiterhin bestehen zwischen Ost und West nur geringe Unterschiede in der privaten Zufriedenheit mit Familie, Ehe und Partnerschaft und in der Tendenz auch im personlichen Gliicksempfinden. Die Zufriedenheit mit der Schulund Berufsausbildung schlagt nunmehr im Osten sogar deutlich besser zu Buche. Mit ihrer Gesundheit sind 1997 allerdings die Westdeutschen zufriedener, das gleiche gilt fur den Bereich Arbeit. In den Sektoren "Lebensstandard", "Freizeit" und auch "Wohnsituation" sind die Unterschiede nicht mehr so grofi wie friiher.
Die "Achillesferse" der ostdeutschen Befmdlichkeit bleibt vor allem die soziale Sicherheit (grofie Unzufriedenheit auch bei der tiffentlichen Sicherheit in der Wohnumgebung), begleitet von deutlichen Riickstanden bei der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen. Auch der Zufriedenheits-Ausblick auf die nachsten 5 Jahre stellt sich im Osten inzwischen deutlich problematischer dar, was vor allem mit viel htiheren BefOrchtungen zusammenhangt, in den nachsten 5 Jahren arbeitslos zu werden oder berufliche und materielle Verschlechterungen zu erleiden.
40 Landua, Habich, Noll, Zapfund Spellerberg 1993, S. 27 ff. Klagten beispielsweise Ende 1990
noch 59 % der Ostdeutschen in ihrem Wohnurnfeld "sehr stark" bzw. ,,ziemlich stark" tiber
Luftverschmutzung, 40 % tiber Landschaftszerstorung und 33 % tiber Gewasserbelastung, so
waren es im Friihjahr 1993 nur noch jeweils 28 %, 18 % bzw. 21 %. Zu den Themen "Umwelt"
und "Umweltschutz" vor der Wende, vgl. Gensicke 1992c.
42
AuBerdem haben sich in den neuen Landern (laut IPOS 1997) die Vorstellungen dariiber sehr eingetrUbt, wann es den Ostdeutschen im groJlen und ganzen so gut gehen wird wie den Westdeutschen. Eine Mehrheit von 56 % der Ostdeutschen rechnete 1992 dafiir noch mit 6-10 Jahren und 27 % mit mehr als 10 Jahren. 1997 gingenjedoch bereits 50 % von mehr als 10 Jahren aus und nur noch 34 % von 6-10 Jahren. Diese Zukunftsperspektiven nehmen wir an spaterer Stelle wieder auf.41
4. Allgemeine Situationswahrnehmung: Enlwicklung der allgemeinen Lebens-
zujriedenheit
Die Wohlfahrtsforschung betrachtet die allgemeine Lebenszujriedenheit als ein gut geeignetes GlobalmaJ3, um die Lebensqualitat und ihre Entwicklung bilanzierend messen zu konnen. 1m folgenden wird versucht, mit Hilfe dieser GroJle eine summarische Gesamtbilanz der Wohlfahrt der ostdeutschen Bevolkenmg seit der Wende zu ziehen.
Die allgemeine Lebenszufriedenheit bewegte sich in der alten Bundesrepublik seit den 70er Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Nach den Daten des Eurobarometers pendelte der Prozentsatz der "sehr" bzw. "ziemlich" Zufriedenen in der alten Bundesrepublik seit 1976 urn die 80 %-Marke, Ende der 80er Jahre sogar um die 90 %-Marke. Sie lag damit im europaischen Bereich auf einem guten Niveau. Die westdeutschen Wohlfahrtsurveys maJlen seit 1978 auf einer Skala mit dem Maximum 10 und dem Minimum 0 stets gegen den Skalenpunkt 8 tendierende Werte. Auch 1993 lag der westdeutsche Wert bei 7,9.
1m ersten Wohlfahrtsurvey-Ost wurde Ende 1990 mit 6,6 eine deutlich niedrigere allgemeine Lebenszufriedenheit als in Westdeutschland gemessen. Bis 1993 stieg diese auf immerhin 6.9 an, blieb jedoch deutlich hinter dem westdeutschen Niveau zuriick. Nach dem Eurobarometer waren in der zweiten Halfte des Jahres 1990 immerhin knapp 80 % der Ostdeutschen mit ihrem Leben "sehr zufrieden" bzw. "ziemlich zufrieden". 1m ersten Halbjahr 1991 ging die allgemeine Lebenszufriedenheit auf nur noch weniger als 65 % Zufriedene zuriick. Nach dies em Stimmungseinbruch stabilisierte sich anschlieJlend der Anteil der Zufriedenen bis zum FIiihjahr 1995 bei ca. 75 % ohne ganz auf das Ausgangsniveau von 1990 zuriickzukommen (mit einem erneuten kleineren Einbruch in der ersten Halfte 1993). Seit 1995 verzeichnetjedoch das Eurobarometer in West und Ost groJlere Einbruche in der Lebenszufriedenheit, weil besonders im Osten viele Befragte von der zweiten Kategorie "ziemlich zufrieden" auf die dritte angebotene Antwortkategorie "nicht besonders zufrieden" auswichen (zur neueren Entwicklung der Lebenszufriedenheit in Ost und West, vgl. Zapfund Habich 1996).
41 Einen Oberblick tiber den Wertesurvey 1997 und die dortige Befmdlichkeitserfassung gibt
Gensicke 1998a.
43
Giinstigere Verteilungen der allgemeinen Lebenszufriedenheit erhalt man fUr die letzte Zeit aufgrund von Messungen von IPOS, die wohl auf die andere Frageformulierung bzw. auf die geringe Anzahl differenzierender Antwortvorgaben zurUckgehen (Abbildung 12). Auch hier bleiben allerdings die ostdeutschen Werte hinter den westdeutschen zurUck. Wir selbst haben 1997 in unseren Wertesurvey (Abbildung 13) ein eigene Frage zur allgemeinen Lebenszufriedenheit mit einer Skala von 7 "voll und ganz zufrieden" bis 1 ,;iiberhaupt nicht zufrieden" gestellt. Wir ermittelten mit unserem differenzierten Instrument in den neuen Landern 21 % Unzufriedene (West: 11 %, Skalenpunkte 1 bis 3), 23 % teilweise Zufriedene (West: 17 %, Skalenpunkt 4) und 56 % Zufriedene (West: 72 %, Skalenpunkte 5-7). Die bis heute schlechteren Werte fUr Ostdeutschland lassen sich als Reflex der noch immer geringeren LebensqualWit in Ostdeutschland deuten, insbesondere aufgrund der grofieren Arbeitsmarktrisiken, der schwacheren privaten Vermogensbasis und der grofieren Abhangigkeit von sozialen Transfersystemen. (Vgl. Gensicke 1998a)
4.1 Was beeinfluBte die allgemeine Lebenszufriedenheit?
1m folgenden solI anhand der Daten der Wohlfahrtsforschung gepriift werden, was sich hinter der summarischen Grofie der allgemeinen Lebenszufriedenheit verbirgt, was also diese Grofie erklart. Damit wird die im vorigen Abschnitt aufgestellte Hypothese von der hohen Erklarungskraft soziookonomischer Grofien fUr das allgemeine Lebensgefiihl in den neuen Landem noch eingehender iiberpriift.
Urn einen Vergleichsmafistab zu gewinnen, ziehen wir die Daten des Soziookonomischen Panels fUr die alten Bundeslander heran. Von Interesse ist, dafi wir von Daten aus dem Friihjahr 1991 ausgehen konnen, in dem die westdeutsche Konjunktur noch gut lief. In der Folge konnen wir die Entwicklung bis in das Rezessionsjahr 1993 hinein verfolgen.
Urn die Einfliisse einzelner Lebensbereiche auf die allgemeine Lebenszufriedenheit zu iiberpriifen, bedienen wir uns des Verfahrens der multiplen Regression42. Unabhangige Varia bIen sind fUr die SOEP-Daten die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard, mit der Gesundheit, der Arbeit, dem Haushaltseinkommen, der Wohnung und der Umwelt. Hinter dem verwendeten Regressionsverfahren steht die Vorstellung, nach der die Zufriedenheit in einzelnen Lebensbereichen als eine Art Input der konkreten Wohlfahrtswahmehmung zu betrachten ist, die allgemeine Lebenszufriedenheit als Output, als allgemeines subjektives Wohlfahrtsmafi.43 1m Idealfallliefie sich also aus demjeweilig gemessenen Input der Wahmehmung der einzelnen Lebensbereiche vorhersagen, ob der betreffende Bevolkerungsquerschnitt zufrieden sein wird.
42 In den entsprechenden Abbildungen werden nur signiflkante Beta-Werte ausgewiesen.
43 V gl. Spellerberg, Landua und Habich 1992.
44
Die Anzahl der zu betrachtenden Lebensbereiche mufite allerdings zunachst eingeschrankt werden, cIa im SOEP weniger Bereiche als im Wohlfahrtsurvey abgefragt werden und auch nUT die Bereiche herangezogen werden konnen, die zu allen Me6punkten erhoben wurden. Die erfa6ten Lebensbereiche treffen jedoch wesentliche Determinanten des personlichen Wohlbefmdens. Die sechs erfa6ten Bereiche erkliiren in den westdeutschen Daten von 1991 bis 1993 allein ~eweils etwa 45 % bis 49 % der Varianz der allgemeinen Lebenszufriedenheit (R ). Das allgemeine Lebensgeftihl liillt sich daher bereits von wenigen Determinanten her erschlie6en.
Abbildung 14 zeigt, da6 in den alten Landem von 1991 bis 1993 die allgemeine Lebenszufriedenheit sogar zu gr06en Teilen nUT dUTCh die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard und der Gesundheit bestimmt wurde. Materielles und gesundheitliches Wohlbefinden waren die Gnmddeterminanten des aktuellen personlichen Wohlbefmdens. Dazu kommt noch die bier nicht ausweisbare private Dimension der Zufriedenheit mit Familie und Partnerschaft, die ebenfalls wesentlich das Lebensgeftihl positiv mitbestimmt. Einigen Einflufi libt auch der Lebensbereich Arbeit aus, in geringerem Mane noch die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen und mit der Wohnung.
Offentliche Bereiche in Form der Zufriedenheit mit der Umwelt, und bier nicht ausweisbar auch die Zufriedenheit mit der Demokratie, libten einen eher geringen Einflufi auf das aktuelle W ohlbefinden aus. Der Durchschnitts-Biirger blendet offensichtlich diese oft als problematisch empfundenen Bereiche (geringe Zufriedenheit!) ziemlich konsequent und selbststabilisierend aus seiner personlichen Wohlfahrtsbilanz aus. Einen gewissen Einflufi hatte noch der Bereich der sozialen Sicherung (jedoch nur zu einem Me6punkt gemessen, daher bier nicht ausgewiesen), der den Biirger noch am ehesten unmittelbar betrifft.44
Innerhalb dieses westdeutschen personlichen Wohlfahrtsgefiiges gab es im Rezessionsjahr 1993 allerdings Verscbiebungen. Und zwar nahm von 1992 zu 1993 die Bedeutsamkeit des Bereiches Arbeit zuungunsten des Bereiches Gesundheit zu. In der Rezession werden offensichtlich die Arbeit und der Arbeitsplatz problematischer, die eigene Gesundheit wird nicht mehr so stark aktualisiert. Nach einschlagigen Erfahrungen sinken in der Rezession auch die Krankenstiinde.4S
44 Glatzer 1990, S. 168 fr. Der Verfasser stellt dort aufgrund westdeutscher Daten Thesen uber die
Rolle subjektiven Wohlbefmdens aufund dariiber, wie es sich erkliiren lint. Fur unsere Untersu
chung ist wichtig, daB gute Lebensbedingungen im Regelfall tatsii.chlich zu gutem subjektivem
Wohlbefmden filhren, daB daher die Verbesserung der Lebensbedingungen auch zu einer Ver
besserung des Wohlbefmdens ftlhren und das Wohlbefmden im wesentlichen von den privaten
materiellen und ideellen Lebensbereichen bestimmt wird (vor a1lem Familie, Gesundheit, Le
bensstandard).
4S VgI. Jaufm8llJl, Pfaffund Kistler 1993.
45
Foigte nun das personliche Wohlbefmden der neuen BundesbOrger ahnlichen Detenninanten wie im Westen, oder haben wir es bier mit einer giinzlich anderen Struktur des Wohlbefmdens zu tun?
Abbildung 15 zeigt zunachst keine fundamentalen Abweichungen im Muster der Detennination des Lebensgeffihls der neuen BundesbOrger. 1m Wendejahr 1990 (im Mai und Juni) folgte die allgemeine Lebenszufriedenheit, zumindest was die Rangfolge der Determinanten betrifft, keiner grundsatzlich anderen Logik als bei den Westdeutschen. Wichtigste Einflufigro.6en waren wie im Westen Lebensstandard und Gesundheit. Dennoch ist ein erheblicher Unterscbied nicht zu iibersehen: Die Gesamtausbeute an erkliirter Varianz (R2) durch die Lebensbereiche betrug nur 23 % und war damit nur halb so gro.6 wie in der alten Bundesrepublik. In unserer Berechnung geht das auf die geringere Bedeutung des Lebensstandards und vor allem der Gesundheit ZUIiick. Sind es nun vielleicht andere, in unserem recht schmalen Modell nicht erfaBte Gro.6en, die im Osten 1990 das Lebensgefiihl erkliirten? Sind die Ostdeutschen vielleicht weniger "materialistischer" oder "individualistischer", wurde ihr Lebensgefiihl damals vielleicht noch starker von "ideellen" oder "offentlichen" Angelegenheiten bestimmt? Das kann verneint werden: 1m Wohlfahrtsurvey, der Ende 1990 die gesamte Bandbreite der Lebensbereiche erfaBte, lie.6 sich die aufgekliirte Varianz nicht wesentlich erhOhen. Die Zufriedenheit mit offentlichen Bereichen, z.B. mit der "Politischen Betatigung", der "OtIentlichen Sicherheit" und sogar der "Sozialen Sicherheit", hatte damals keinen bedeutsamen Einflufi auf die aktuelle Lebenszufriedenheit.
Die grundlegende Detennination der Lebenszufriedenheit, dem allgemeinen MaB der Lebensqualitat, folgte also in der DDR Mitte und Ende 1990 schon einem ahnlichen Muster wie in der Bundesrepublik. Materielle und private Wohlfahrtsdimensionen (Lebensstandard, Gesundheit, weniger die Familie) waren die entscheidenden Determinanten des personlichen Wohlbefmdens. Allerdings war ihr Einflufi insgesamt deutlich schwacher, ohne daB diese Schwache durch die Starke anderer Bereiche erkliirt werden konnte.
1m Verhaltnis zur Bundesrepublik kommt die Analyse fOr die DDR des Jahres 1990 zu dem merkwiirdigen Ergebnis, daB die Lebenszufriedenheit, die ja gewissermaBen als "Uberbau" der wahrgenommenen Lebensbedingungen verstanden werden kann, dort zum guten Teil "in der Luft bing". Offensichtlich waren es nur noch zum Teil die konkreten aktuellen Lebensbedingungen in der damaligen DDR, die Wohlbefmden erzeugten (oder auch nicht). Die geringe Verankerung der aktuellen Lebenszufriedenheit in der konkreten Lebensqualitat lie.6 sich jedoch auch nicht aus eventuell vorhandenen ubersteigerten Zukunftserwartungen erklaren. Auch die Einflufifaktoren "Zuversicht" und "erwartete Zufriedenheit in 5 Jahren" wirkten nur halb so stark wie im Westen auf die aktuelle Zufriedenheit ein.
FOr den Westen gibt es einen interessanten statistischen Zusammenhang: Gut wahrgenommene konkrete Lebensbedingungen fiihren zu einem guten allgemeinen Lebensgefiihl, und dieses wird dann auch in die Zukunft binein verlangert. Der
46
Eindruck, den die westdeutschen Daten vennitteln, ist der einer gewissen Stetigkeit des Lebensgefiihls fiber die Zeit. 1m Osten war im Umbruchs- und Ubergangsjahr 1990 dieser "normale" Zusammenhang unterbrochen: Zum einen bestand eine "Lucke" zwischen konkreter Lebenswelt und allgemeinem Lebensgefiihl ("Wohlfahrtslucke"). Zum anderen bestand eine "Lucke" zwischen Gegenwart und Zukunft: Weder eine positiv noch eine negativ empfundene Gegenwart liefi sich unproblematisch in die Zukunft verUingem ("Zukunftslucke").
Diese Wohlfahrts- und Zukunftslucke, die fUr das Jahr 1990 charakteristisch war, begann sich jedoch bereits im FrUhjahr 1991 zu schliefien. Die ErkUinmgskraft der wahrgenommenen konkreten Lebensqualitat (der Einzelbereiche) nahm nach den SOEP-Daten von Mitte 1990 bis zum FrUhjahr 1991 von 23 % auf 34 % zu. Zunehmend wichtige Grofien des Lebensgefiihls waren vor allem materielle Grofien, in erster Linie das Haushaltseinkommen und der Lebensstandard. Der ohnehin schwache Einflufi der Gesundheit ging weiter zurUck.
Das Jahr 1992 brachte eine weitere Ahnlichkeiten zum Westen. Die Erklarungskraft der Lebensbereiche stieg weiter an. Sie lag nun immerhin bei 43 % im Osten gegenuber 49 % im Westen. Diese Steigerung ging in erster Linie auf den Einflufi des Lebensstandards zurUck, der zur dominanten Grofie des Lebensgefiihls wurde. Auch der Bereich "Wohnung" war jetzt wichtiger geworden. Interessanterweise ist 1993 eine gewisse "Normalisierung" zu verzeichnen. Die nichtmaterielle Wohlfahrt (Lebensbereich "Gesundheit") wird starker relevant und der Einflufi des Lebensstandards sinkt wieder. Die Gewichtung der Einflufigrofien auf die Lebensqualitat war damit 1993 dem westlichen Bild ahnlicher geworden. Allerdings verringerte sich 1993 der erklarende Gesamteinflufi der Lebensbereiche wieder auf 38 % im Osten gegenuber 46 % im Westen. Das ging in erster Linie auf die nachlassende Virulenz des Themas "Wohnung" zurUck.
Nicht nur die "Wohlfahrtslucke", sondem auch die "Zukunftslucke", also die geringe Verankerung der Zukunftserwartungen in der Gegenwart, begannen sich bereits im FrUhjahr 1991 zu schliefien. Die aktuelle Lebenszufriedenheit und die erwartete Lebenszufrledenheit in 5 Jahren waren im Osten Mitte 1990 nur zu 41 % korreliert, 1991 bereits zu 65 %. 1993 betrug die Korrelation bereits 69 %. Das sind Werte wie im Westen, wo nach dem SOEP-West 1992 und 1993 jeweils Korrelationen von 67 % gemessen wurden.
Wenn man den Angleichungsprozefi zwischen Ost und West im einzelnen analysiert, erkennt man, dafi zunachst 1991 die Einkommenssitnation besonders virulent (Einkommensangleichung) wurde, dann 1992 jedoch die Partizipation am Wohlstand (Lebensstandard) und die Wohnungssitnation (Mieterhohungen und Unsicherheiten). 1993 pegelte sich in Angleichung an den Westen eine entspanntere Gleichgewichtslage zwischen materieller und nichtmaterieller W ohlfahrt ein.
In folgenden werfen wir noch einen Blick auf Befmdlichkeits-Struktur des Jahres 1997 mit Hilfe unseres Wertesurveys. In der folgenden Tabelle 1 sind die Ergebnisse fUr West- und die Oststichprobe ausgewiesen. Wir haben aufierdem die
47
Daten 1997 getrennt nach Gesamtbevolkenmg und nach erwerbstatiger Bevolkenmg ausgewiesen.
Tabelle 1: Erklarung der allgemeinen Lebenszufriedenheit aus der Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen (1997)
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Quelle: Wertesurvey 1997, n.s. bedeutet nicht signifIkant auf 5 %-Niveau
Es rallt auf, dafi sich die allgemeine Befmdlichkeit im Osten nach wie vor schlechter aus der Vielfalt der wahrgenommener Lebensbedingungen erkHiren liell. Das R2 im Westen war injeder der ausgewiesenen Varianten grofier als im Osten. Man erkennt weiterhin, dafi das Problem "Haushaltseinkommen" in den neuen Uindem wieder erheblich an Bedeutung gewonnen hatte. Die "Gesundheit" spielte bei den Erwerbstatigen gar keine Rolle mehr, ebenso wie Familie, Ehe und Partnerschaft! Dominante Grofien im Osten waren nunmehr "Soziale Sicherheit" und "Arbeit", die im Westen gar keine oder nur eine schwache Bedeutung fur die aktuelle Lebenszufriedenheit haben. Zufriedenheit mit der politischen Betatigung war in den neuen Uindem sogar negativ mit dem allgemeinen Lebensgefiihl verkniipft. Bei der Analyse der 1997er Daten unseres Wertesurveys hat man allgemein den Eindruck einer inzwischen wieder verstarkten Sondersituation in den neuen
48
Landem, die sich nunmehr aus der Stagnation der Einkommen, aus der wieder verstarkt angespannten Arbeitsmarktsituation und aus der gesamtdeutschen Standort-Diskussion fiber die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme zu erkUiren scheint. (Vgl. Gensicke 1998a)
Weiterhin bieten die Sammelgrofien der Lebenszufriedenheit im Osten gegenfiber dem Westen ein nach wie vor weniger kontinuierliches BUd fiber die Zeit. Zwar waren 1997 die aktuelle und die zukiinftig erwartete Lebenszufriedenheit (in 5 Jahren) zu jeweils 58 % (West) bzw. 56 % (Ost) ahnlich hoch korreliert. Dennoch war die angegebene Lebenszufriedenheit vor 5 Jahren im Westen immerlrln noch zu 42 % mit der aktuellen verknfipft, im Osten nur zu 26 %. 1m Westen bestand sogar noch zu 22 % ein Zusammenhang der Zufriedenheit vor 5 Jahren mit der erwarteten in 5 Jahren, im Osten gab es dagegen zwischen diesen Gro.Ben fiberhaupt keine Verbindung. Einer gewissen westdeutschen Kontinuitiit des Befindens fiber die Zeit standen 1997 im Osten immer noch eher Bruche gegenfiber.
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55
5. Die individuelle Bilanz der neuen BundesbUrger: Der Vergleich zur DDR
5.1 Die eigene okonomische Bilanz
Bisher verftigen wir iiber eine Bestandsaufnahme der Wahmebmung der aktuellen Wirtschaftslage der ostdeutschen Haushalte, deren Entwickiung seit der Wende und der ganzen Bandbreite der Wohlfahrtsentwickiung in einzelnen Lebensbereichen mit ihrer Bilanzierung in der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Die Frage ist nun, wie bei den neuen Bundesbfu'gem der retrospektive Vergleich mit der Lebensqualitlit vor der Wende und der Wiedervereinigung ausflillt.
Die Ergebnisse der Befragungen sind eindeutig: Kontinuierlich nirnrnt in den neuen Umdem der Anteil derer zu, die sich wirtschaftlich besser gestellt sehen als vor der Wende. Allensbach fragte seit August 1990 im Osten danach, ob man sich "mehr", "gleich viel" oder "weniger" als vor der Wende leisten konne. 1m August 1990 sagte eine Mehrheit von 57 % der neuen Bundesbfu'ger, da6 sie sich "gleich viel" leisten konne. Dann nahm besonders seit Ende 1991 der Anteil derer zu, die sich "mehr" leisten konnten als vor der Wende. 1994 wurde mit 47 % eine relative Mehrheit der Verbesserten erzielt. Ziernlich konstant blieb mit 16 % bis 19 % der Anteil derer, die angaben, sich nun weniger leisten zu konnen. (V gl. IFD Allensbach 1994)
Einen etwas anderen Indikator verwendete IPOS (Abbildung 16). Das Institut fragte nach dem Vergleich der eigenen "Wirtschaftslage" vorund nach der Wende: 1st die eigene Wirtschaftslage heute "besser", "genauso" oder "schlechter"? Schon im September 1992 gaben 44 % der Ostdeutschen an, daB ihre Wirtschaftslage "besser" sei als vor der Wende, im September 1994 wird mit 53 % die absolute Mehrheit erreicht, im Man 1995 schatzten schon 55 % der Ostdeutschen ihre Wirtschaftslage besser ein als vor der Wende, im August 1997 waren es schlielUich 60 %. "Schlechter" gestellt sahen sich zu denjeweiligen Me.6punkten 21 %, 20 %, 20 %,15 %, "gleich" 34 %, 27 %, 25 %, 25 %.
Damit kann man festhalten: Die objektive Verbesserung der Situation der privaten Haushalte in den neuen BundesHmdem gegeniiber der Vorwendezeit schlug sich auch in der subjektiven Wahmebmung nieder. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Transformation in den neuen BundesHmdem erheblich von der Transformation in den ostlichen Reforrnstaaten. Dort stagnierten Reallohne und Kautkraft bzw. waren sogar riickiaufig. In den meisten Reforrnlandern sah sich die Bevolkerung wirtschaftlich schlechter gestellt als vor der Transformation. 46
46 Vgl. Seifert und Rose 1994: Nach reprisentativen Studien des sogenannten New-Democracies
Barometers vonjeweils etwa 1000 Personen in 10 osteuropiiischen Staaten um den Jahreswech
sel 1992/1993 waren nur die tschechischen Privathaushalte mehrheitlich mit ihrer wirtscha.ft\i
chen Situation zufrieden, in allen anderen Lindem waren es nur Minderheiten von z.B. ca. 20 %
in Ungam bis zu ca. 45 % in der Slowakei. In Ostdeutschland waren ca. 70 % der Haushalte
56
5.2 Die Bilanz weiterer Lebensbereiche und die allgemeine Bilanz
Die Abbildungen beziehen in die Bilanz der Ostdeutschen noch weitere Lebensbereiche ein. Die IPOS fragte auch nach Verbesserungen bzw. Verschlechterungen zur Vorwendezeit bezfiglich der "Personlichen Freiheit", der "Sozialen Sicherheit" und des "Verhaltnisses zu den Mitmenschen". Die bereits zitierte "eigene Wirtschaftslage" ist in den Abbildungen 17 bis 19 mit angegeben. Schlie.6lich sollte ganz allgemein angegeben werden, ob es einem "besser" oder "schlechter! als vor der Wende ginge bzw. "gleich".
Schon im Marz 1992 fiel die allgemeine Bilanz mehrheitlich positiv aus. 54 % der Ostdeutschen meinten, es ginge ihnen ganz allgemein "besser" als vor der Wende, "genauso" ging es 28 % und "schlechter" 18 % (1992 +36 %, 1995 +40 %, 1997 +54 %)47. Worauf stUtzte sich dieses Stimmungsbild? Das Datenbild ergibt eine klare Polarisierung, die sich 1995 noch verstarkt. Personliche Freiheit (1992 +72 %, 1995 +64 %, 1997 +76 %) und wirtschaftliche Verbesserungen (1992 +24 %, 1995 +35 %, 1997 +45 %) schlagen deutlich positiv zu Buche, soziale Sicherheit (1992 -44 %, 1995 -51 %, 1997 -39 %) und die Beziehungen zu den Mitmenschen (1992 -39 %, 1995 -50 %, 1997 -49 %) deutlich negativ. Dennoch scheinen die Verluste sozialistischer Lebenssicherheit und (wirklicher oder nostalgisch verklarter) Mitmenschlichkeit die allgemeine gefiihlsmafiige Bilanz nur wenig zu Wben.
wirtschaftlich zufrieden, in Westdeutschland ca. 80 %. Uber 70 % der ukrainischen und der
kroatischen Haushalte, immerhin noch ca. 50 % der tschechischen, schiitzten ihre wirtschaftliche
Situation vor fUnf Jahren gegenilber heute als besser ein, ca. 60 % der ostdeutschen Haushalte
sahen sich dagegen heute wirtschaftlich besser gestellt als vor fUnf Jahren.
47 Die Gewinne wurden als Subtraktion Verbesserte minus Verschlechterte gerechnet, die Verluste
ebenso. Wir hatten in unseren Wertesurvey 1997 ebenfalls eine Schatzung des Verbesserungsge
fUhls der Ostdeutschen aufgenommen, die vergleichsweise ,,konservativ" angelegt war. Nach
unserer Erfassung sahen 50 % der Ostdeutschen ihre Lebensbedingungen als verbessert an, 28 %
als gleich und 22 % als verschlechtert. Manner sahen sich eher verbessert an als Frauen, Voller
werbstatige mehr als Nichterwerbstatige und eher verschlechtert sahen sich Arbeitslose. Unserer
Frage wurde unmittelbar nach der breiten Abfrage der Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbe
dingungen gestellt. Die Befragten hatten also vorher die Gelegenheit, konkret ilber ihre Lebens
bedingungen zu reflektieren, bevor sie ihre Pauschalbewertung abgaben. IPOS hatte danach ge
fragt, ob es einem im Vergleich mit der ,,zeit in der DDR vor der Wende" "besser ginge" und
die Verbesserung als erste Vorgabe abgefragt (vgl. IPOS 1997). Bei uns sollten die Lebensbe
dingungen eingeschatzt werden, die ReferenzgroBe war die Zeit "vor 1990, dem Jahr der deut
schen Einheit", und die Verschlechterung war die erste Vorgabe. (Vgl. Gensicke 1998a).
57
6. Erwartungsbildung
6.1 Wirtschafdiche Envartungen
Oben wurde bereits gezeigt, dafi die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Landem im Blick der Ostdeutschen bis 1993 durch eine tiefes Tal ging. Erst ab Mitte 1994 heHte sich das allgemeine wirtschaftliche Klima in den neuen Landem wieder auf, inzwischen bereits angedockt an die konjunkturelle Dynamik im Westen. 1996/97 erlebten wir mit der Baurezession, der Stagnation im Diensdeistungsbereich und dem emeuten Anstieg der Arbeitslosigkeit wieder eine EintIiibung des subjektiven wirtschaftlichen Klimas in Osten. Ein ahnliches Bild erhiilt man, wenn man sich die Entwicklung der wirtschaftlichen Zukunftsenvartungen betrachtet. Einer pessimistischen Konstellation im Jahre 1992 und 1993 folgte ein Aufschwung des wirtschaftlichen Optimismus seit Mitte 1994, der sich spater wieder abkUhlte.
Die Wahmehmung der personlichen wirtschaftlichen Lage folgte jedoch, wie ebenfalls bereits gezeigt, einer anderen Logik. Mit gewissen Schwankungen hat sie sich kontinuierlich verbessert. FUr die Zukunft geht die Mehrheit der Bevolkerung allerdings nicht davon aus, dafi sich die eigene Wirtschafts1age kurzfristig weiter verbessem wird. 1m Februar 1998 glaubten ca. 57 % der neuen BundesbUrger an ein gleichb1eibendes Niveau (West: 58 %), 23 % an eine Versch1echterung der eigenen Lage (West: 24 %) und nur 18 % an eine Verbesserung in einem Jahr (West: 16 %).48 Verbesserungen werden also durchaus gewUrdigt, die Envartungen sind jedoch nicht iiberspannt. Sie waren gegeniiber 1996 auch etwas eingetIiibter.
6.2 Allgemeine Envartungen: Optimismus
Mit der Ausnahme eines heftigen Transformationsschocks in den ersten Monaten des Jahres 1991 entwickelte sich die allgemeine Envartungsbildung ("unspezifischer Optimismus") in Ostdeutschland re1ativ unabhangig von der allgemeinen wirtschaftlichen Dynamik.
Diese These solI in den Abbildungen 20 und 21 anhand von Al1ensbacher Monats- und Jahresdaten be1egt werden. Das lID Allensbach fragt monatlich bzw. am Jahresende, ob die BundesbUrger "den nachsten 12 Monaten mit Hoffnungen oder mit Befiirchtungen entgegensehen" (die Werte fUr die mitdere Kategorie "mit Skepsis" wurden in den Abbildungen wegge1assen). Danach fiihrte der Transformationsschock in den ersten Monaten des Jahres 1991 dazu, dafi die "Befiirchtungen" in den neuen Landem schnell in die Hohe schossen. Hoffnungsvoll Eingestellte waren in der Minderheit. 1m Laufe des Jahres 1991 steHte sich
48
58
Mit Verbesserungen rechneten eher die jiingeren Leute, Selbstiindige und jiingere Hoherqualifi
zierte, mit Verschlechterungen vor aHem 50-59jiihrige, PDS-Wiihler, Menschen, die ihren Ar
beitsplatz als gefahrdet ansahen, undjiingere Niedrigqualifizierte. Vgl. IPOS 1998.
jedoch wieder ein stabile optimistische Stimmung ein. Zurn Ausgang des Jahres 1997 hat sich allerdings die zukunftsbezogene Stimmung in Ost und West auf einem maBigen Niveau nahezu angeglichen (Abbildung 21).
Die ostdeutsche optimistische Grundhaltung wurde erstaunlich schwach von den wirtschaftlichen Problemen in den neuen Uindern erfa6t. Dieser eigentiimliche Umstand wird erst richtig deutlich, wenn man die Stimmungsentwicklung der alten Lander vergleichend mit hinzuzieht. Dort folgte die Stimmung wesentlich starker der verschlechterten wirtschaftlichen Entwicklung und befand sich Ende 1992 mit nur noch ca. 35 % Optimisten auf einem historischen Tiefpunkt, urn sich 1994 mit dem Anziehen der Konjunktur wieder zu verbessem. Dagegen lag der Anteil an Optimisten in Ostdeutschland 1992 und im Laufe des Jahres 1993 meist mit 20 Prozentpunkten fiber dem westdeutschen Anteil. 1m Osten wurde mit Ausnahme des "Winter-Friihjahrs-Schocks" 1991 das Tal der Tranen sozusagen von der BIiikke des Optimismus uberspannt. Naheliegend ist anzunehmen, da6 die erfahrene Vetbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage im Osten eine wichtige Determinante zur Stabilisierung des allgemein optimistischen Zukunftshorizontes ist (aber nicht nur!).
Auch fUr 1997 ermittelte IPOS (IPOS 1997) mehr Optimisten in den neuen als in den alten Landem (74 % versus 71 %). Obwohl Ostdeutsche, wie wir es gesehen hatten, sich in den niichsten Jahren mehr mit potentiellen Problemen konfrontiert sehen (Atbeitslosigkeit etc.), sind sie dennoch im allgemeinen optimistischer eingestellt als Westdeutsche.
6.3 Was determinierte die Zukunftserwartungen?
1m folgenden soIl wiedernm mit Daten der Wohlfahrtsforschung gepriift werden, was die Erwartungsbildung in den neuen Landern bestimmte. FUr die Erwartungsbildung verwenden wir den im SOEP erhobenen Indikator "Erwartete Zufriedenheit in 5 Jahren".
FUr westdeutsche Daten ist typisch, da6 in der Determination der in 5 Jahren erwarteten Zufriedenheit nicht die materielle Wohlfahrt ("Lebensstandard"), sondern die nichtmaterielle ("Gesundheit") primiir ist (Abbildung 22). An dritter Stelle folgt der Bereich "Umwelt", gefolgt von "Albeit". In Rezessionszeiten kann sich das jedoch andem: 1993 war im Westen der Lebensstandard die entscheidende zukunftsdeterminierende Gro.Be und verdrangte den Bereich" Gesundheit".
Vergleicht man die Daten der alten mit denen der neuen Lander (Abbildung 23), erhiilt man eine iihnliche Reihenfolge der Lebensbereiche, mit der sie die Gro.Be "Erwartete Zufriedenheit in 5 Jahren" erkliiren. Das erinnert an die vorhin dargestellten Daten fUr die Determination der allgemeinen (aktuellen) Lebenszufrledenheit, wo wir auch schon ein iihnliches Muster fUr Ost und West gefunden hatten. 1990 wiederholt sich jedoch das Phanomen, da6 die Erklarungskraft aller Lebensbereiche im Osten deutlich hinter der fUr die alten Lander ZUIiickbleibt. Die Kontraste zwischen Ost und West sind in diesem Punkt sogar noch eklatanter als
59
bei der aktuellen Zufriedenheit (R2 6 % versus 27 %). War das VerhaItnis der aufgeldiirten Varianz zwischen Ost und West bei der allgemeinen Lebenszufriedenheit noch 1 :2, so betragt es bei der Lebenszufriedenheit in 5 Jahren mehr als 1:4. War also schon das aktuelle Lebensgefuhl 1990 in den neuen Landern im Vergleich zu den alten Landern relativ undeterminiert, so war der Zukunftshorizont im Osten 1990 fast "leer".
AhnIich jedoch wie beziiglich der allgemeinen Lebenszufriedenheit, setzte in den neuen Landern 1991 auch beziiglich der Zukunftserwartungen ein sprunghafter Veranderungsprozefi ein. Die Erklarungskraft der Lebensbereiche fUr die erwartete Zufriedenheit in 5 Jahren stieg von Mitte 1990 bis zum Friihjahr 1991 von 6 % auf 19 %. 1992 waren es schon 25 % und 1993 schon 27 %, die von den aktuellen Wahrnehmungen in einzelnen Lebensbereichen bestimmt wurden. Damit hatten sich die VerhaItnisse in dieser Hinsicht 1993 fast vollstandig an die alten Lander angeglichen.
Untersucht man nun, wie in diese zunehmende Determination der Zukunftserwartungen die einzelnen Lebensbereiche eingingen, dann erkennt man, dafi die Veranderungen 1991 und 1992 vor allem auf die zunehmende Bedeutung des Lebensstandards, des Haushaltseinkommens und der Arbeit zurUckgingen. Diese Konzentration auf die okonomische und materielle Seite des Lebens liefi zunachst die Bedeutsamkeit des Bereichs Gesundheit unwichtiger werden. 1993 begann sich die Situationjedoch wieder zu entspannen, indem nichtmaterielle Bereiche wie die Gesundheit wieder starker an Einflufi gewannen. Die AhnIichkeit zum Westen wurde vervollstandigt durch den Bedeutungszuwachs der Zufriedenheit mit der "Umwelt".
Unser W ertesurvey gestattet auch fUr erwartete Zufriedenheit mit dem Leben in 5 Jahren einen resiimierenden Vergleich im Jahre 1997 (Tabelle 2).
60
Tabelle 2: Erklarung der envarteten allgemeinen Lebenszufriedenheit in 5 Jahren aus der Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen (1997)
Zujriedenhei/ lujriedenheit in 5 Jahren in 5 Jahren
(ABe) (Enverbstalige) West O s! West Osl
Betawerte*lOO Bela\ erte*}OO AktueUe Zufriedenheit mit...
Lebensstandard 29 12 29 n.S. Gesundheit 19 15 15 15 Familienieben 13 n.s. 11 n.s. OffentJiche Sieh rheit in der Umgebung 13 11 n.s. Albeit der Demokratie 9 10 n.S. Soziale Sicherheit 6 25 7 2 M6gJicbkeiteo politischer Betei-ligung n.s. n.s. n . . n.s. Haushaltscinkommen n.s. 1 n.s. 23 Freizeil n.s. n.s. n.s. n.s. Schul- und Berufsausbildung n.S. n.s. n.s. -10 Zustand dec Umwelt in dec Um-gebung n.s. n.s. n.S. n.s. Wohnsituation n.s. n.S. n.s. n.s. Ebe & Partnerschaft n.s. n.s. n.S. n.s.
Albeit n.s. n.s. Gesamterkltlrung (R2 *1 00) 31 32 31 28
Quelle: WertesUlVey 1997, n.s. bedeutet nieht signifikant auf dem 5 % Niveau
Die Unterschiede dieses Vergleichs aus dem Jahre 1997 sind zwischen Ost und West wieder recht grofi geworden. Ahnlich wie bezuglich der allgemeinen Lebenszufriedenheit mufi eher von einer emeuten Sondersituation Ost gesprochen werden. Das betrifft vor allem die erdriiekende Rolle der Faktoren "Soziale Sicherheit" und "Haushaltseinkommen", die besonders bei den Enverbstatigen den Einflufi anderer Lebensbereiche auf die Befmdlichkeit verdriingen, sogar den Lebensstandard. 1m Westen hat sich der seit 1993 zu beobachtende "Rezessionseffekt" gehalten; die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard hat weiterhin einen stiirkeren Einflufi auf die envartete Lebenszufriedenheit in 5 Jahren als die Zufriedenheit mit der Gesundheit. Die Zufriedenheit mit der Arbeit hat beiderseits in Ost und West ihren Einflufi verloren.
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Abb.22
Abb.23
65
Zwischenresamee
Zusammenfassend kann man festhalten: Die neuen Bundesbfirger reagieren auf die Anforderungen und Belastungen des Transformationsprozesses durchaus mit rationalen psychischen Verarbeitungsmustem. Die Wohlfahrtsgewinne, die vor allem auf das verbesserte Waren- und Dienstleistungsangebot, die Verbesserung der Umweltsituation und die Anhebung der Kaufkraft zurfickgehen, werden durch die neuen Bundesbfirger durchaus wahrgenommen. Sie verbessem die Wahmehmung der Lebensqualitat und stabilisieren die Erwartungsbildung. Dabei ist bis jetzt nicht zu erkennen, Will eine "Anspruchsinflation" oder eine Art "V ersorgungsmentalitat" entsteht. Die Besorgnisse der neuen Bundesbfirger beziiglich ihrer sozialen Sicherheit dUrfen damit nicht verwechselt werden, da diese objektiv nach wie vor wesentlich abMngiger von den Sozialsystemen als Westdeutsche sind. Der Faktor "Soziale Sicherheit" und damit im Zusammenhang das Problem des Haushaltseinkommens (nicht so sehr des Lebensstandards) sind daher, die aktuelle Standortdebatte in Deutschland beriicksichtigt, in den neuen Uindem viel prekarer als im Westen, wo soziale Sicherheit im Zweifelsfall auch aus Sach- und Geldvermogen, Wertpapieren und liingerfristigen Anspriichen aus Lebensversicherungen gezogen werden kann.
1m folgenden wollen wir fiberpriifen, ob es auch psychische Sonderbedingungen in den neuen Liindem gibt, die den neuen Bundesbfirgem die Bewaltigung des Umbruchs erleichtem. Es miissen ausgepragte Fahigkeiten vorhanden sein, schwierigen Lebenssituationen mit stabilen psychischen Mustem zu begegnen. Es ist daher notwendig, die psychische Konstitution der neuen und alten Bundesbfirger zu vergleichen: Was befahigt die Ostdeutschen fiber die Stabilisierung durch Wohlfahrtsgewinne hinaus mit den Anforderungen des Transformationsprozesses psychisch stabil zurechtzukommen?
7. Psychologische Befunde zur Verarbeitung der Transformationsdynamik
7.1 Psychische Gesundheit, Selbstaktualisierung und Verhaltenskontrolle
Der Trierer Psychologe Peter Becker hat bereits friihzeitig unter Anwendung eines gut gepriiften psychometrischen Instrumentariums einen umfassenden empirischen individualpsychologischen Vergleich zwischen West- und Ostdeutschen vorgelegt.49 In einer zur Jahreswende 1990/1991 durchgefiibrten psychometrischen Befragung wurde eine fUr die 18-65jahrigen West- und Ostdeutschen reprasentative Stichprobe erfafit. Von psychologischem Interesse war es insbesondere zu fiberpriifen:
49 Vgl. Becker 1992, Becker, Hiinsgen und Lindinger 1991.
66
a) Ffihrt die Problemlast des Umbruchs zu einer erheblichen Beeintrachtigung der psychischen Gesundheit bei den neuen BlUldesbtirgem, die anomische psychische Verhaltnisse in den neuen Undem heraufbeschworen konnte?
b) Waren die DDR-Btirger durch die tiber 40jiUnige "Pragung" in ihrem System der DDR (lUld viele noch davor im Dritten Reich) bestimmten tiefgreifenden Charakterverformungen ausgesetzt? Neigen sie daher etwa zu rigid en, gehemmten oder zwanghaften Charakteren? Lassen sie somit im Trnnsfonnationsprozefi die notige "Offenheit", "Flexibilitat" lUld "Eigenverantwortlichkeit" vermissen, die notig sind, urn auf die Herausforderungen einer freiheitlichen Gesellschaft aktiv lUld angemessen zu reagieren?
Becker priift diese Annahmen empirisch mit Hilfe von Daten, die Aufschliisse beziiglich der dazu geeigneten psychologischen Eigenschaftskomplexe liefem, lUld zwar die Personlichkeitsdimensionen "V erhaltenskontrolle", "Soziabilitat", "Selbstaktualisierung" lUld bestimmte neurosenrelevante Personlichkeitsziige. Uber Selbsteinschiitzungen der west- lUld ostdeutschen Probanden ergibt sich eine vergleichende psychologische 1st-Analyse fOr das vereinigte Deutschland.
Erstaunlicherweise, jedoch mit unseren bisherigen Ergebnissen konvergierend, kommt Becker zu dem Ergebnis, dafi die psychischen BelastlUlgen in der ostdeutschen Bevolkerung weit geringer ausfallen, als oft vermutet. "Zwar bestlitigen sich das vermutete grofiere Angstpotential, mehr Unsicherheit, Erschapfung lUld Nervositat bei den Ostdeutschen, hingegen kann im Vergleich zur westdeutschen Bevolkerung nicht von einer signifikant hOheren psychosomatischen BelastlUlg, mehr neurotischen Ziigen oder von deutlich grofieren Sinnkrisen, verblUlden mit Depressivitat lUld Suizidalitlit, die Rede sein". 50 "Zusammenfassend sind wir iiberrascht dariiber, wie gering die Unterschiede in den kotperlichen lUld psychischen Beschwerden sind (zwischen Ost- und Westdeutschen, d.V.), bzw. wie gut die Ostdeutschen mit den BelastlUlgen nach der 'Wende' zurechtkommen."51 Dieser Befund laBt sich auch durch Ergebnisse der Wohlfahrtsurveys bestlitigen (Vgl. Tabelle 3).
50 Becker, Hlinsgen und Lindinger 1991, S. 3. 51 Becker 1992, S. 35.
67
Tabelle 3: Symptome psychischer Be1astungen in den neuen und alten Limdem
West Of /988 1993 1990 /993
Besorgnissymptome:
6fter erschOpft und erschlageo 44 39 50 43
Immer wieder Angste und Sorgen 19 17 27 26
Standig aufgeregt und oervos 12 10 18 14
GewohnJich ungltickJjch oder nie-dergeschlageo 10 10 17 /6
Ofter Zittem oder Schtitteln 6 6 7 6
Keines der Symptome 47 53 37 44
Psychi che Anomie:
UogltickJich 5 5 15 13
Einsamkeit 14 /3 22 16
Sich nichl zurechtfllldeo in kompli-zieTteo Verbaltnissen 11 13 40 32
Quelle: Landua, Habich, Noll, Zapfund Spellerberg 1993, Angaben in Prozent.
Nach den Wohlfabrtsurveys waren die Besorgnis- und Anomiesymptome im Osten zwar hOher als im Westen, erreichen jedoch in keinem Fal1e besorgniserregende Ausma6e. 1993 war gegentiber 1990 ein Riickgang negativer psychischer Symptome zu erkennen.52
52 Vgl. auch Landua auf der Basis der Daten des Soziookonomischen Panel-Ost 1990, 1991, 1992:
68
"Das an mancher Stelle herautbeschworene Bild einer durch den Transformationsproze13 zu
nehmend von Sorgen und Angsten geplagten Gesellschaft in Ostdeutschland ist - trotz anhalten
der und z.T. verschlirfter okonomischer Schwierigkeiten - in seiner allgemeinen Form nicht auf
rechtzuerhalten." Landua 1993, S. 21. "Der in seiner Intensitiit unerwartete Transformations
'Schock' mu13te auch psychisch verarbeitet werden, und diese innere Stabilisierung ist bis 1992
zunehmend mehr Ostdeutschen gelungen. Offensichtlich wurde seitens vieler Sozialforscher die
in der ostdeutschen Bevolkerung vorhandenen Potentiale zur Bewaltigung selbst kritischer Le
bensereignisse - wie beispielsweise Arbeitslosigkeit - erheblich unterschiitzt." Ebenda, S. 46.
Wodurch laBt sich diese gute Strefibewiiltigung erklaren?
Naheliegend ist es, die Ergebnisse Beckers zum Personlichkeitsbereich "Verhaltenskontrolle" heranzuziehen. Danach sind Ostdeutsche verhaltenskontrollierter als Westdeutsche: "Sie haben ein grofieres Ordnungsstreben und legen mehr Wert auf Prinzipientreue, sie sind starker normorientiert, zuverlassiger, starker zukunftsorientiert und sparsamer". Diese starkere Verhaltenskontrolle kann man durchaus als "Puffer" intetpretieren, der es den Ostdeutschen ermoglicht, psychische Belastung en und Strefi von sich fernzuhalten. Verhaltenskontrolle ist tatsachlich signifIkant positiv mit Frustrationstoleranz und Sinnerfiilltheit des Lebens korreliert.
Verhaltenskontrolle ist nach Becker jedoch nicht der einzige Personlichkeitsbereich, der negativ mit psychischer Anomie gekoppelt ist. Das trifft auch auf den von Becker ebenfalls tibetpriiften Personlichkeitsbereich Selbstaktualisierung zu. In diesem Bereich treten zwischen Ost und West nur wenige Unterschiede auf. Auch im Sektor Soziabilitat gibt es leichte Unterschiede zwischen Ost und West, die eher zugunsten der Ostdeutschen ausfallen.
Ostdeutsche konnen im Transformationsprozefi offensichtlich aus mehreren Quellen psychische Stabilitat und Gesundheit schOpfen. In den entscheidenden Personlichkeitsbereichen sind sie Westdeutschen gleichwertig, in der Verhaltenskontrolle sogar tiberlegen. Von besonders grofier Bedeutung fUr eine aktive Bewiiltigung des Transformationsgeschehens sind ahnliche psychische Auspragungen in den Unterbereichen des Sektors "Selbstaktualisierung", wie "Aktivitat", "Expansivitat", "Seelische Gesundheit" und im "SelbstwertgefUhl".
1m Bereich "Aktivitat" und "Seelische Gesundheit" fallen einige signifIkante Abweichungen zwischen Ost und West auf. Ostdeutsche erwiesen sich danach a) als anpassungsfahlger, b) als selbstverantwortlicher, c) als weniger mit Minderwertigkeitskomplexen belastet. Die Daten Beckers, die von den Daten der Wohlfahrtsforschung gestiitzt werden, deuten somit darauf hin, dafi fUr eine produktive Bewiiltigung des Transformationsgeschehens so positive Eigenschaften wie Rationalitat (Verhaltenskontrolle), Frustrationstoleranz, Flexibilitat53 , Eigenverantwortung54 und individuelles Selbstbewufitsein in den neuen Landem mindestens genauso stark, wenn nicht in starkerem Mafie vorhanden sind.
53 Vgl. auch Seifert, Rose und Zapf, die aufgrund der Analyse der Daten des Wohlfahrtsurvey
1993 zu dem SchluB kommen: "Insgesamt kann festgehaIten werden, daB ostdeutsche Arbeit
nehmer in allen Bereichen eine hOhere Flexibilitat zeigen als westdeutsche und sich somit auf
die verlinderten Rahmenbedingungen eingestellthaben." Seifert, Rose und Zapf 1993, S. 15.
54 Das wird auch durch eine eigene Einschaltung eines Speyerer Wert-Items in den KSPW-BUS
bestatigt. Danach ist es fUr 73 % der Ostdeutschen ,,sehr wichtig", "eigenverantwortlich leben
und handeln" zu konnen (Wert 6 und 7 auf einer 7er-Skala). Nach Ergebnissen unseres Werte
surveys 1997 assoziieren Ostdeutsche mit dem Wert "Eigenverantwortlich leben und handeln"
zwar ebenso wie Westdeutsche den "intellektuell-individualistischen" Wert "Phantasie und
69
7.2 Personlichkeitsstarke
Wir konnen zur Untennauerung dieser Beckerschen Testdaten noch eine Analyse mit Hilfe des Allensbacher Personlichkeitsstarke-Inventars55 hinzufiigen (aus dem Jahre 1994). Die Messung der Personlichkeitsstiirke beruht ebenfalls auf Selbsteinschatzungen der Befragten in Ost- und Westdeutschland. Personlichkeitsstarke auBert sich danach u.a. in Eigenschaften wie Erfolgsorientierung ("Rechne mit Erfolg"), lnnovationsfreude ("Probiere gem Neues aus"), Durchsetzungsfahigkeit ("Kann mich durchsetzen") und Verantwortungsbereitschaft ("Ubemehme gem Verantwortung"), sowie vergleichsweise knappen Eigenschaften wie Fiihrungsbereitschaft (Ubemehme gem die Fiihrung") oder Vorbildwirkung ("Andere richten sich nach mir").56
Vergleicht man nun die Daten zwischen Ost und West (Tabelle 4), dann fallt zunachst die Geringfiigigkeit der Unterschiede auf. In wichtigen Bereichen wie der Erfolgsorientierung, der lnnovationsfreude, der Verantwortungsbereitschaft, dem Interesse an Meinungsfiihrerschaft ("Spafi, andere zu uberzeugen"), in der Vorbildwirkung und der Fiihrungsbereitschaft betragen die Unterschiede nur maximal 3 Prozentpunkte. Etwas gro.Ber sind die Unterschiede bei der Verhaltenssicherheit und erklarungsbedUrftig deutlich bei der Durchsetzungsflihigkeit. (Diese Erklarung solI im letzten Abschnitt gegeben werden.)
Kreativitllt" und den ,,robust-individualistischen" Wert "Unabhangigkeit". Sie verknilpfen je
doch ebenso den acbeitsbezogenen Wert ,,Flei8 und Ehrgeiz" mit der Eigenverantwortung, was
Westdeutsche nicht tun und auch keine der westdeutschen sozialen Gro8gruppen (aber die mei
sten ostdeutschen Gruppen). Vgl. auch den Abschnitt "Sozialisation" und Gensicke 1998b.
55 Zum Allensbacher Konzept der Personlichkeitsstllrke vgl. Noelle-Neumann, Petersen 1996.
56 DaB es sich bei diesen Selbsteinschiltzungen nicht um willkilrliche Selbsteinschiltzungen han
delt, zeigt die soziodemographische Kontrolle: Alle Merkma1e sind einerseits stark positiv mit
der Hohe des Bildungsniveaus und dem Sozialstatus korreliert, andererseits mit hoch ausgeprllg
ten und breit geflcherten Wertorientierungen.
70
Tabelle 4: Merkmale der PersonlichkeitssHirke 1994 (IFD Allensbach)
We t at
Gewijhnlieh reebne ich bei dem \ as ieh maehe mit Erfolg 60 57 lch probiere immer wieder geme etwas Neues aus 48 48 leb kann mieh gut durebsetzen 48 41 Ich i.ibemehme geme Verantwortung 48 49 Ich bin selten Wlsicher \Vie ieh mieh verhalten soll 45 41 lch gebe anderen ofter RatsehJage, Empfehlungen 45 46 Es maeht mir Spa6 andere Mensehen on meiner MeinWlg zu iibeneugen 35 37 Jch merke ofter, daB sich andere nach mir richten 26 24 lcb ubemehme bei gemeinsamen UotemehmWlgen geme die Fi.ihrung 25 25 lcb bin andereo oft urn einen Schrin voraus 14 10 Inde : Pers6nlichkeitsstlirke
tark 27 25 Oberdurehsehnittlich 27 2 Mlillig 25 26 Sehwach 21 22
QueUe: AWA 1994, Angaben in Prozent auf die Vorgabe: "Das paM auf mich, das trifft auf mich zu"
Entsprechend der (mit einer Ausnahme) geringen Unterschiede fliUt der Vergleich Ost- und Westdeutscher anhand des zusammengefafiten Allensbacher Indexes fUr "starke Personlichkeiten" weitgehend iihnlich aus (ebenfalls Tabelle 4). Ostdeutsche liegen nur urn 2 Prozentpuokte verschoben im unterdurchschnittlichen Bereich. 1m wesentlichen untermauem damit die Allensbacher Daten, die den Ostdeutschen iihnlich starke Charakterstrukturen bescheinigen wie den Westdeutschen, die psychologischen Befunde Beckers von 1990/9l.
71
Tabe lie 5.' Merkmal der Personlichkeitsstarke 1997 (W ertesurvey)
lcb kann
62
52
Ohnlicb rechne ich bei d In, \ a ich mache mit Erfol
em
Wenn CIS biedenc Interessen aufeinandertrefTen kann i h
Quelle: Wertesurvey, Hohe Zustimmungen (Skalenpunkte 6,7) auf einer 7erSkala von I-"stimme iiberhaupt nicht zu" bis 7 "stimme voll und ganz zu", Klammerung: alle Zustimmungen (Skalenpunkte 5-7), aIle Angaben in Prozent
1m Wertesurvey 1997 haben wir in Weiterentwicklung anderer Instrumente ein eigenes Instrument zur Messung der PersonlichkeitssUirke in Ost und West entwikkelt (Tabelle 5). Man erkennt in der ganzen Breite die Ebenbiirtigkeit der Ostdeutschen, teilweise sind sie sogar iiberlegen (Innovations- und Kontaktfreude, Bereitschaft zum Dazulemen). Nur beim "Sich-Verkaufen" sind ihnen die Westdeut-
72
schen eine NasenHinge voraus, wobei gesamtdeutsch Schwachen beziiglich der Selbstvennarktung, der Konfliktfahigkeit und der intemalen Zuschreibung von Fehlem erkennbar sind.
Unser Instrument tendiert dazu, eine homo gene Skala der Persanlichkeitsstiirke zu sein, llillt sich jedoch in Ost und West in ahnlicher Weise in zwei Faktoren trennen; in eine expansiv-robuste Dimension (Konfliktstiirke, Sich gut "verkaufen", Keine Angst vor Neuem) und in eine selbstkontrollierend-empathische (Selbstbeherrschung, Selbstzuschreibung von Fehlem, Einfiihlungsvennagen). Beide Dimensionen weichen 1997 in Ost und West nicht signiftkant voneinander abo
8. Bestandsaufnahme mit Wife der Speyerer Werteforschung
8.1 Werte und Wertestrukturen
Wir kommen nun zu dem Beitrag, den die Werteforschung im engeren Sinne zum Ost-West-Vergleich liefem kann. Inwiefem lassen sich AhnIichkeiten und Unterschiede zwischen Ost und West aus langfristigen Wertestrukturen erklaren, die letztlich durch Sozialisation erworben sind? Es stellt sich damit fiber die psychologische Selbstbeschreibung des Ist-Zustands hinaus die Frage, worauf die Praferenzen der neuen Bundesbiirger ausgerichtet sind und wohin sie sich entwickeln. Wie gestalten sich die langfristig angestrebten Ziel- und SteuergrOJlen des aktuellen und zukiinftigen Verhaltens?
Urn zunachst einen groben Uberblick fiber Wertestrukturen im Ost-WestVergleich zu bekommen, wollen wir auf Daten zuriickgreifen, die mit Hilfe des Speyerer Wertemefiinstrumentes57 gemessen wurden (Abbildungen 24-27). Dabei ist es von Vorteil, dan wir auf zwei jeweils identische Untersuchungen in den neuen und alten Landem zuriickgreifen kannen, eine reprasentative Erhebung der FGE58 aus dem FrUhjahr 1990, also noch vor der Wahrungsunion und die bereits zitierten Wellen des SOEP-West bzw. SOEP-Ost aus dem FrUhjahr 1993. Erweitert wird das Bild noch durch eine Einschaltung unseres Werteinstrumentes in eine fUr die 18-65jahrigen reprasentative Erhebung des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Bundeswehr. (Vgl. SOWI 1994)
In den Abbildungen 22 und 23 sind mit dem Speyerer Werteinstrument gemessene Wertorientierungen fUr 1990 und 1993 im Ost -West -V ergleich dargestellt. 59
57 Vgl. Gensicke 1992d. 58 Die Untersuchung wurde von der (ehemaligen) Forschungsstelle filr gesellschaftliche Entwick
lungen bei der Universitat Mannheim durch das Institut MARPLAN durchgefilhrt. Die Oststichprobe umfaBte 808, die Weststichprobe 1700 Probanden. V gl. Herbert 1991.
59 1m folgenden sollen vor allem der Vergleich zwischen Ost und West interessieren. Einzelne Mittelwertanderungen von 1990 zu 1993 sind in unserem Ansatz (TypenbiJdung) weniger von
73
In den Abbildungen 30 und 31 sind dann die Mittelwerte ffir die 18-65jiihrigen von 1993 und vom Herbst 1994 ausgewiesen. Was Hillt sich aus den Mittelwerten tiber die Werte-Situation in den neuen Limdern im Vergleich zu den alten aussagen?
a) Es gibt einen Oberhang bei Wertorientierungen, die wir als kanventianell bezeichnen ("Sicherheitsstreben", "Fleill und Ehrgeiz", 1993 und 1994 auch "Respekt vor Gesetz und Ordnung"). Es deuten sich stabile Unterschiede zwischen Ost und West an, die mit dem von Becker konstatierten Phanomen einer hOheren "Verhaltenskontrolle" in den neuen Landern konvergieren (die teils tiber ahnliche Items gemessen wurden). Unsere Daten werden auch durch die Daten des IFD Allensbach bestatigt, die seit 1990 jahrlich bei den meisten "konventionellen" W erten hOhere Auspragungen in Ostdeutschland messen (Abbildungen 28 und 29). "Ganz besonders wichtig" waren 1995 den Ostdeutschen "Reinlichkeit und Sauberkeit" zu 74 % (62 % West), "Recht und Ordnung" zu 78 % (70 %), "Sicherheit und Geborgenheit" zu 80 % (73 %), "Sparsamkeit" zu 54 % (42 %). Diese "konventionellere" Farbung der Werte im Osten wird begleitet von einer hOheren Familienorientierung, jedoch auch von einer wesentlich geringeren Religiositat.
b) Ein weiterer Werte-Oberhang bezieht sich auf einen in den neuen Landern starker gewtinschten materiel/en Wah/stand. Hierin erkennt man den klaren Reflex der durch die Wohlfahrtsforschung gemessenen "knapperen" materiellen Situation der Ostdeutschen (geringere Zufriedenheit mit dem Lebensstandard und dem Haushaltseinkommen und in der Folge geringere allgemeine Lebenszufriedenheit). Auch der Vergleich mit Allensbach und anderen Quellen geht in die gleiche Richtung: "Ganz besonders wichtig" war im Osten 1995 "Hohes Einkommen, materieller Wohlstand" zu 40 %, im Westen zu 31 %. In dieselbe Richtung gehen Ergebnisse der Wohlfahrtsurveys: Bei
74
Interesse. Die Messungen wurden zwar zwischen Ost und West jeweils identisch durchgeflihrt
(gleicher Zeitpunkt, gleiches Instrument), konnten jedoch zu beiden Zeitpunkten nicht ganz
identisch gestaltet werden. Das Skalenminimum 1 war 1990 noch mit "iiberhaupt nicht wichtig"
benannt, das Maximum 7 mit "auBerordentlich wichtig". 1993 dagegen hieB das Minimum
"ganz unwichtig" und das Maximum "sem wichtig". Zwei Items wurden 1993 etwas abschwa
chend, ein Item etwas verstiirkend umformuliert. Aus "Sozial Benachteiligten und gesellschaftli
chen Randgruppen helfen" wurde "Sich flir sozial benachteiligte Gruppen einsetzen", aus "Die
guten Dinge des Lebens in vollen Ziigen genieBen" wurde "Die guten Dinge des Lebens genie
Ben" und aus "Sich und seine Bediirfnisse besser gegen die anderen durchsetzen" wurde "Sich
und seine Bediirfnisse gegen andere durchsetzen". Ais signifikanteste Mittelwertsiinderung er
scheint die in Ost und West klare Zunahme des moderater formulierten Hedonismus-Items "Die
guten Dinge des Lebens genieBen", die wohl vor allem auf die veriinderte Formulierung zurUck
geht. Dennoch erscheint es mir entscheidend, daB das Datenbild im Ost-West-V ergleich im we
sentlichen stabil bleibt.
den abgefragten Lebensbereichen war "Einkommen" 1993 fUr 59 % im Osten "sehr wichtig", jedoch nur fUr 36 % im Westen.60
c) In beiden Teilen Deutschlands gibt es ein von Anfang an nicht sehr hohes und 1993 stark tiickli1ufiges BedUrfnis nach politischem Engagement, eine Entwick1ung, in der im Wertebereich die in den 90er Jahren stark angestiegene Politikverdrossenheit zum Ausdruck kommt, wobei der Trend in den neuen Undem noch stitrker ist. Ende 1994 erho1en sich zumindest in den Speyerer Daten im Zuge tiick1i1ufiger Politikverdrossenheit und im aufgehellten Wirtschaftsklima61 die Werte fUr das politische Engagement wieder, wobei al1e eher "idealistischen Werte" in Ost und West wieder zunehmen (also auch Phantasie und Kreativitat, soziale Hilfe). In den Wertorientierungen, die in der DDR von 1990 gemessen wurden, ist wenig vom Werteprofil des von SED propagierten "sozialistischen Menschen" zu erkennen, worauf bereits Wilhelm Biirklin hingewiesen hat. 62 Je nach der Art der Fragestellung weisen idealistische bzw. altruistische Engagementwerte im Ost-West-Vergleich hOhere oder tiefere Auspragungen auf.63
Trotz aller Ost-West-Unterschiede ist dennoch die A'hnlichkeit in der Verteilung von Wertorientierungen angesichts von 40 Jahren getrennter staatlicher Entwicklung frappierend. Beiderseits gibt es bestimmte Grundwerte, die fUr eine iibergro-
60 Vgl. Landua, Habich, Noll, Zapfund Spellerberg 1993.
61 Vgl. Kocher 1994b.
62 So Wilhelm Bilrklin auf der Basis derselben FGE-Erhebung von 1990, die auch wir verwenden:
,,zusammengenommen lassen die Rangordnungen personlicher Werte nur geringe Restbestande
der offtziellen politischen Kultur der DDR erkennen. Sie belegen statt dessen die Prioritilt priva
ter Ziele und eine auf westlich niedrigem Niveau befmdliche Bereitschaft zu politischem Enga
gement." Bilrklin 1993, S. 145. Auch die Wohlfahrtsurveys bestiltigen das Bild: "EinfluB auf
politische Entscheidungen" war danach 1990 nur ftlr 12 % der Ostdeutschen ,,sehr wichtig",
1993 nur noch ftlr 6 0/0, West 198890/0, 1993 10 %. Vgl. Landua, Habich, Noll, Zapfund Spel
lerberg 1993. Ahnlich auch Allensbach: "Aktive Teilnahme am politischen Leben" war 1990 fUr
17 %im Osten "ganz besonders wichtig", 1993 nurnoch ftlr II 0/0, West 1990 160/0, 1993 13 %.
Vgl. Noelle-Neumann 1993b.
63 Man kann nicht pauschal sagen, ob Ostdeutsche weniger oder mehr "idealistisch" sind als
Westdeutsche. Bei "weich" formulierten Items, die keine offentlichen oder individualistischen
Assoziationen wecken (also keine Werte eines potentiell konflikthaltigen, individualistischen
"Protestengagements" betreffen), wurden im Osten meist hahere Werte erzielt als im Westen.
Ganz besonders wichtig war z.B. 1995 fUr 61 % der Ostdeutschen "Menschen (zu) helfen, die in
Not geraten", im Vergleich dazu ftlr 56 % der Westdeutschen. Ganz iihnlich fiel das Bild bezilg
lich des Wertes ,,Anderen Menschen helfen, nicht nur an sich selbst denken" aus, den wir selbst
in das SOEP 1993 eingeschaltet hatten. FOr 63 % im Osten und ftlr 54 % im Westen ist dieser
Wert ,,sehr wichtig" (Wert 6 und 7 auf einer 7er Skala). Dennoch erzielte im Westen das
"politische" Engagement und das ,,soziale" Engagement ftlr benachteiligte Gruppen hahere
Ausprigungen.
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fien Teil der Bevolkerung hochgradig verbindlich sind und in Deutschland eine lange Tradition haben: Sicherheit, Recht und Ordnung und soziale Gerechtigkeit. Beiderseits gibt es weniger wichtige Wertebereiche wie Politik und eine christliche Lebensauffassung.
Die Unterschiede sind nicht schwer erklarbar: Der Westen wirkt etwas liberalisierter und okonomisch entspannter. Freiheit und Unabhangigkeit sind dort wichtiger als Reinlichkeit und Sauberkeit (umgekehrt im Osten), Sparsamkeit, Einkommen und Wohlstand sind weniger wichtig als im Osten, Opfer fUr den Umweltschutz sind etwas mehr akzeptiert. Dagegen ist der Osten noch entchristlichter als ohnehin der Westen. 64
Insgesamt fallt auch insbesondere anhand der breit gefacherten A11ensbacher Werteliste auf, dafi der Osten uberhaupt eine erhOhtes "Werteniveau" hat, und das sowohl 1990 und 1995. In einer Vielzahl von Werten ubertreffen die ostdeutschen Auspragungen die westdeutschen. 1m Osten geht dieses hohe Niveau 1995 noch starker auf konventionelle, leistungsbezogene und materielle Werte als 1990 zuruck. In abgeschwachter Form gilt der letztere Trend auch fUr den Westen, der aufierdem auch 1995 sein niedrigeres Werteniveau gegenuber dem Osten beibehalt.
Das breite Speyerer Werteinstrument, das 1997 in den Wertesurvey eingeschaltet werden konnte und auch die individuellen "Grundwerte" der Bevolkerung millt (Familie, Partnerschaft, Eigenverantwortung, Freundschaft, Gesundheit, Umwelt), bestatigt im wesentlichen die friiheren Messungen und die Unterschiede zwischen Ost und West (Abbildung 30). Nur eine Wertorientierung erzeugt einen krassen Unterschied zwischen Ost und West: die personliche Wichtigkeit des Glaubens an Gott. Ansonsten sind die auffaIligsten Differenzen zwischen Ost und West in den Werten auch 1997 immer noch dieselben wie in den vorherigen Messungen: Sicherheitsstreben, Fleill und Ehrgeiz und der hohe Lebensstandard. Der Respekt vor Gesetz und Ordnung war 1997 allerdings etwa gleich wichtig.
Unsere breite Wertemessung erzielte 1997 zwischen Ost und West ein etwa gleiches "W erteniveau". Das scheint damit zusammenzuhangen, dafi unser Instrument "individualistischer" und handlungsorientierter konzipiert ist als zum Beispiel das A11ensbacher. Es lafit Verhaltensweisen nach ihrer personlichen Wichtigkeit bewerten und nicht wiinschenswerte "Endzustande", wie das A1lensbacher Instrument (also z.B. die Wichtigkeit von "Gesetz und Ordnung respektieren" versus Wichtigkeit von "Recht und Ordnung"). Man kann das mit dem A1lensbacher Instrument gemessene hOhere Werteniveau der Ostdeutschen so intetpretieren, da6 diese in hOherem Mafie bestimmte, positiv verstandene Zustande als wiinschenswert ansehen. Unsere Messung besagt dagegen, da6 sie diese Wiinsche etwa in gleichem Mafie in personlich verbindliche Handlungsorientiemgen umsetzen.
64 Dennoch geben im Westen immerhin noch etwa zwei Dritte1 der Bevoikerung an, an Gott zu
glauben, im Osten nur noch ein Drittel. Vgl. Terwey 1993.
76
8.2 Wertetypen in den neuen BundesUindem
1m folgenden wollen wir fiber die Analyse von Mittelwerten hinaus auf eine in der Speyerer Werteforschung entwickelte Typologie sogenannter Wertetypen zurUckgreifen, die bestimmte typische Konstellationen von Wertegruppen (bzw. -dimensionen) darstellen. Damit ist es moglich, bestimmte typische Personlichkeitsstrukturen in Ost und West zu vergleichen und zu quantifizieren. Die Arbeit mit Wertetypen eignet sich besonders zum Kultmvergleich, allerdings nur, wenn ein annahemd ahnliches Verstandnis der jeweiligen Wertbedeutungen vorliegt.65 Signifikante quantitative Abweichungen von Wertetypen auf der Grundlage einer ahnlichen Wertestruktur waren dann Hinweise auf unterschied1iche kulturelle "Einfarbungen". Von Interesse war zunachst, zu priifen, ob in Ost und West fiberhaupt eine gemeinsame, aImlich strukturierte Wertestruktur vorhanden ist.
In der westlichen Werteforschung werden nach weitgehendem Konsens zwei grundlegende Dimensionen von Wertorientierungen (also der Ziel- und Steuergro.Ben des menschlichen Verhaltens) unterschieden, Pflicht- und Akzeptanzwerte auf der einen und Selbstentfaltungswerte66 auf der anderen Seite. In der Speyerer Werteforschung67 konnte nachgewiesen werden, da.B beide Wertedimensionen eine aktive LebensbewMtigung begiinstigen, allerdings mit verschiedenen Zielgro.Ben. Von dieser Erkenntnis ausgehend konnte dort nachgewiesen werden, da.B Personen, bei denen beide Wertedimensionenzusammen und uberdurchschnittlich ausgepragt auftreten, selbstbewu.Bt, flexibel und hochmotiviert sind und ein besonders breites und mohtes Aktivitatsniveau aufweisen. Solche Menschen sind beruflich erfolgreich und sozial gut integriert. Wir nennen diesen Typus wegen dieses giinstigen Personlichkeitsprofils Aktive Realisten. Diesem Typus steht nun ein vollig gegensatzlicher gegeniiber, den wir Perspektivenlose Resignierte nennen. Hier sind aile Wertepraferenzen niedrig ausgepragt (Werteminimalismus), ein Personlichkeitsprofil, das mit Apathie und Passivitat einhergeht.
65 Es wird gelegentlich unterstellt, daB Ostdeutsche bei der Abfrage von Wertorientierungen
grundsatzlich etwas anderes assoziieren als Westdeutsche, daB sie ein anderes Wertekonzept
hatten. Das konnen wir nicht bestlitigen. Wir haben niimlich im Anschlu8 an unsere Werteliste
im Wertesurvey gefragt, was die Befragten unter Werten verstehen. Die Unterschiede zwischen
Ost und West waren dabei nue gering. In erster Linie assoziiert man mit Werten eine allgemein
gilltige Moralitat, dann liele fi1r den personlichen Lebenserfolg und auch das allgemeine per
sonliche "Streben" an sich. Abgelehnt wird hedonistisches Glilcksrittertum ohne feste Werte
und die anomische Aussage, daB es ubemaupt sinnlos sei, sich Ziele fi1r das Leben zu setzen.
66 Vgl. Klages 1984. FUr diese Wertedimensionen wurden Wertorientierungen inhaltlich defmiert
und formuliert, die Dimensionen empirisch getestet und duech immer wiede.xehrende Verknilp
fungen in Faktorenanaiysen empirisch emiirtet.
67 Vgl. Klages 1984.
77
Fiir die neuen Bundeslander war es nun von Interesse zu uberpriifen, ob es dort diese Werteaktualisierungsachse "hohe Werteaktuaiisierung=Motivation und Aktivitat" versus "Geringe Werteaktuaiisierung=Resignation und Passivitat" ebenfa1ls gibt und wie sie sich im Vergleich zur Referenzgesellschaft der Bundesrepublik empirisch darstellt. Zu dies em Zweck wurden mitte1s Faktorenanalysen die Verknupfungen der einzelnen abgefragten Wertorientierungen getestet. Es ergab sich mit bestimmten Abweichungen eine grundsatzlich ahnliche Struktur des Werteraumes. In beiden Populationen gruppierten sich die Werte in ahnlicher Weise zu dominanten Mustern.68
Konventionalismus (Pflicht- und Akzeptanzwerte)
Gesetz und Ordnung respektieren
Nach Sicherheit streb en
(Fleillig und ehrgeizig sein) Idealismus und Engagement (Idealistische Selbstentfaltung)
(Seine Phantasie und Kreativitat entwickeln)
Sozial Benachteiligten helfen
Sich politisch engagieren Hedonismus und Materialismus (Hedomaterialistische Selbstentfaltung)
(Seine Phantasie und Kreativitat entwickeln)
Einen hohen Lebensstandard haben
68 1m Ost-West-Vergleich am stabilsten erwiesen sich die Faktorzuordnungen der beiden jeweils
konventioneUen Items "Gesetz und Ordnung" und "Sicherheit", der beiden idealistischen Items
"Soziale Hilfsbereitschaft" und "Politisches Engagement" und der drei hedomaterialistischen
Items "Lebensstandard", "LebensgenuB" und "Bedilrfnisdurchsetzung", die ihre Dimensionen
offensichtlich jeweils am trennschiirfsten repriisentieren. 1990 hatte das Item "Phantasie und
Kreativitat" im Osten bereits eine starke Neigung, ebenso auf dem hedomaterialistischen Faktor
zu laden, wie auf dem idealistischen (wo es eigentlich ,,klassischerweise" hingehOrt). Die Ten
denz erwies sich 1993 als stabil, nur daB inzwischen auch der Westen ,,nachgezogen" hatte.
1993 gab es in den Ostdaten die neue Tendenz, daB nun auch das Item "FleiB und Ehrgeiz" eine
Beziehung zum hedomaterialistischen Faktor entwickelte, eine Tendenz, fur die auch in den
westdeutschen Daten erste Anzeichen zu erkennen waren. Insgesamt verweisen die Daten aus
den neuen Uindem schon 1990 in der Faktorenanalyse auf eine "synthetischere" Wertesituation
als in den alten. Das integrative Zentrum dieser Synthesetendenz, die inzwischen auch im We
sten zu erkennen ist, war 1993 offensichtlich der Hedomaterialismus. Die Wertedimensionen
wiesen in West und Ost auch iihnliche sozialstruktureUe Verbindungen auf. Selbstentfaltungs
werte, insbesondere die hedonistisch-materieUen, waren jeweils deutlich positiv mit Jugendlich
keit verknilpft und konventioneUe Werte negativ (letztere im Westen aUerdings doppelt so
stark). Idealismus und Engagement hatten beiderseits eine besonders positive Beziehung zur
Hohe des Bildungsniveaus. Die Verknilpfung der Wertedimensionen mit dem Haushaltsein
kommen und mit dem Geschlecht war beiderseits eher gering.
78
Das Leben geniefien
Seine BedOrfnisse durchsetzen
(Die Klammerung bedeutet, Will nicht in jedem Faile eindeutige Zuordnungen erzielt wurden, sondem auch Mehrfachzuordnungen.)
Pflicht- und Akzeptanzwerte reprasentieren den in modemen Gesellschaften fiberkommenen Wertebestand, der die Individuen traditionell in die Gesellschaft integriert und zur Funktionsfahigkeit der Gesellschaft auch heute noch unerliilllich ist. Diese Integration kann kollektivistisch vermittelt sein (etwa fiber "Gehorsam und Unterordnung") oder individualistisch (etwa fiber "Fleill und Ehrgeiz"). In modernen Gesellschaften gewinnt der letztere Integrationsmodus immer starkere Bedeutung gegenliber dem traditionellen Integrationsmodus.
SelbstentfaItungswerte bringen zunachst die individualistischen Bediirfnisse der einzelnen Menschen nach Venvirklichung eigener Fahigkeiten und BedOrfnisse, nach eigenstandigem Engagement und eigener Entscheidungsautonomie sowie nach Selbstauslebung und Genlill zum Ausdruck. Die Wertedimension SelbstentfaItung spaItet sich empirisch in eine egozentrisch-hedonistische und eine engagiertidealistische Unterdimension auf.
An diese Wertedimensionen lehnt sich ein Grofiteil der Einzelwerte, insbesondere der soziaI verhaltensrelevanten an. SelbstentfaItungswerte konnen mittelbar auch integrative Wirkungen haben: Kreativitat und Eigenstandigkeit wird zunehmend in der AIbeitswelt gefordert, politisches und soziaIes Engagement kann zwar fUr die Regierenden unbequem sein, schafft jedoch auch eine informelle Vemetzung und Aktivierung in der Gesellschaft. Am menschlichen Genlillstreben hangt heute ein nicht geringer Anteil des BruttosoziaIprodukts, man denke an die vielen ausdifferenzierten Konsum- und Freizeitangebote, die der Markt anbietet.
Problematische Tendenzen konnen sich einstellen, wenn starkes SelbstentfaItungsstreben in bewufiter Opposition zu Pflicht- und Akzeptanzwerten steht und nicht fiber diese gesteuert und integriert wird. In der ReaIitat kommen soIche Konstellationen durchaus vor: Man denke an die Protest- und die Aussteigerhaltung vieler junger Menschen in der Bundesrepublik der 70er Jahre und Erscheinungen eines hedonistischen Konsumismus bei jungen Leuten in den 80em und beginnenden 90em. Gerade junge Menschen, die sich beruflich und privat erst in die Gesellschaft integrieren mUss en, sind fUr soIche Personlichkeitsmuster einseitiger Kultivierung von SelbstentfaItungswerten sehr anfaJ.lig (und integrieren sich auch mehr oder weniger nach einer gewissen Experimentierphase).
Die ahnliche Struktur der Wertorientierungen in Ost und West erlaubte es nun, das Speyerer Wertetypenschema in beiden Populationen anzuwenden.69
69 Die Faktorenstruktur lieB sich auch im Wertesurvey 1997 bestiitigen.
79
Tabelle 6: Speyerer Typenschema fur Wertetypen
Pj1icht- und Hedoni tisch- Ideali ti che Akzeptanzwerte ma(eriali Ii che e/b tentfaltun
Selbslentfallung Ordnllngsliebende hoch niedrig nledrig Konventionalisten Per pektiven/o njedrig niedrig ruedrig Resignierte Aktive Rea/isten hoch hoch hoch Hedoni Ii che ruedrig hoch ruedrig Materia/isten Nonkonforme ruedrig ruedrig hoch ldealisten
Dieses Typenschema scheint mir geeignet zu sein, einige Hypothesen zu uberprtifen, die bezuglich der individuellen Personlichkeitsstrukturen der neuen BundesbUrger vertreten werden. Dabei geht es sowohl urn die sozialpsychische Hinterlassenschaft des Realsozialismus als auch deren Funktion und Wandlung im Umbruchprozefi. Das Schema erweitert die oben angedeutete Achse Wertemaximalismus (Aktiver Realismus) und Werteminimalismus (Resignation) urn drei weitere "SpeziaWille" .
a) Einlge Forscher und Autoren meinen, in den neuen Umdem batten sich noch weitgehend traditionelle Werte- und Personlichkeitsstrukturen erhalten. Die BUrger batten sich gegenuber den Anmutungen des SED-Regimes auf ihre traditionellen Werte zurtickgezogen, sich sozusagen eingeigelt. 70 In etwas anderer Weise argumentiert Hans-Joachim Maaz: Er geht davon aus, dafi den Ostdeutschen diese "Einigelung" nicht gelungen sei und sie gerade durch die "Pragung" des (autoritar-stalinlstischen) real en Sozialismus sozusagen "ubersozialisiert" bzw. "uberintegriert" seien.71 Beiden Argumentationen ist gemeinsam, dafi es danach im Osten besonders viele Menschen geben mtifite, die hohe Pflicht- und Akzeptanzwerte aufweisen, deren Selbstentfaltungswerte jedoch unterentwickelt sind (in unserem Schema: Ordnungsliebende Konventionalisten). Es konnte gefolgert werden, dafi sich diese Einigelung bzw. Ubersozialisation, wenn sie denn massenhaft geschehen ware, im Umbruchprozefi verbangnisvoll auswirken mtifite und sich sogar noch verstarken konnte. Zum einen konnte man argumentieren, dafi sich die neuen BundesbUrger angesichts der ubergro6en Problemlast des Umbruchs uberfordert sehen und sich auf das Bewahrte (also ihre traditionellen Orientierungen) zurtickzogen, also praktisch eine neue Einigelung vollziehen. Moglicherweise
70 Diese Auffassung wird VOT allem dUTCh Elisabeth Noelle-Neumann vertreten.
71 Vgl. Maaz 1990.
80
begUnstigt die erneute Abhangigkeit der Ostdeutschen, jetzt von westdeutschen Transfers, westdeutschen Eliten und iiberlegenem westdeutschem Know-how, konfonnistische Neigungen im Osten, verbunden mit Ohnmachtsgefiihlen. In beiden Fallen waren also eine Kontinuitat der personalen DDR-Erblast zu befUrchten und ungiinstige Voraussetzungen fUr den Transfonnationsproze6 seitens des subjektiven Faktors gegeben.
b} In vielen Argumentationen fiber die ostdeutsche Bevolkenmg wird stillschweigend die Annahme gemacht, daJl die Umstellungsprobleme durch den Umbruch fUr die neuen Bundesbiirger so gro6 seien, daJl weder trotzige "Einigelung" noch autoritatsglliubiger Konfonnismus das Problem seien, sondern vielmehr weitergehende Erscheinungen von Werteverlust und Werteverwirrung (Anomie). Diese schlimmste Variante der Mentalitatsdynamik im wiedervereinigten Deutschland hlitte ihre Ursache in der volligen Inkompatibilitat des alten und neuen Wertesystems und in extremen situativen Belastungen. Sie mU6te erdrutschartige Rationalitatsverluste in den neuen Llindern erwarten lassen. Man m1i6te unterstellen, daJl der Umbruch weder besonders gr06e Selbstentfaltungschancen bereitstellt, noch daJl es den neuen Bundesbiirgern moglich ware, sich beruflich (aufgrund von Arbeitslosigkeit usw.) und politisch (Entfremdung, DDR-Nostalgie) in die neue Gesellschaft zu integrieren. Empirisch belegbar ware diese These, wenn man in den neuen Llindern sehr viele Menschen antreffen wiirde, die sowohl geringe Selbstfaltungswerte aufweisen als auch geringe Pflicht- und Akzeptanzwerte (in unserem Schema: Resignierte). Beide grundlegende Wertedimensionen, die ja als Motivatoren einer aktiven Lebensbewaltigung zu verstehen sind, erwiesen sich nach dieser Extremvariante der situativen Anomiehypothese in Anbetracht einer allgemeinen "Misere" als sinnlos. Daher sei fUr viele Menschen der Verfall in Resignation vorgezeichnet.
c} Auf eine dritte Moglichkeit haben wir selbst frfihzeitig hingewiesen.72 Es ist durchaus denkbar, daJl Ostdeutsche sowohl bei Pflicht- und Akzeptanzwerten als auch bei Selbstentfaltungswerten hohe Auspragungen erreichen (in unserem Schema: Aktive Realisten). Man konnte situativ argumentieren, daJl der Umbruchproze6 in den neuen Llindern von vielen Menschen sowohl als personliche Chance als auch als Bewiihrungsprobe empfunden wird, in der dann alle Krlifte und Wertereserven angespannt werden. Allerdings bliebe noch offen, woher diese Krlifte und Reserven stammen, lihnlich wie wir auch noch nicht beantworten konnten, woraus sich die psychische Stabilitat und die Personlichkeitsstarke der neuen Bundesbiirger erkllirt bzw. ob alle diese Gro6en tatslichlich einen zusammenhlingenden Komplex bilden.
d} Eine weitere, ebenfalls meist eher implizit unterstellte Annahme beschwort Phlinomene einer "Anspruchsmentalitat" und "Anspruchsinflation" in den neuen Llindern. Sozialisationstheoretisch konnte man annehmen, daJl sich in
72 vgl. Gensicke 1991.
81
der DDR der 70er und 80er Jahre eine Art Konsum- und Erlebnisstau herausgebildet hat. Zum einen gab die SED-FUhrung seit dieser Zeit dem (im Sozialismus immer suspelden) Konsum eine grofiere Legitimation, ohne in der Lage zu sein, die Leistungsschraube wesentlich anziehen zu konnen. Zum anderen standen die DDR-Biirger unter dem EinfluB des Westfernsehens und der Werbung sowie der in grofier Zahl ins Land kommenden westlichen Produkte (und der Devisen, fUr die im Intershop oder in der Schattenokonomie viel zu haben war). Man konnte folgem, dafi der Konsumstau in Verbindung mit den erheblichen Kautkraftanhebungen seit der Wahrungsunion 1990 dazu gefiihrt hat, dafi die neuen Biirger nicht bereit seien, sich produktiv zu engagieren und die "Armel aufzukrempeln". Sie wollten dagegen moglichst schnell westdeutsches Konsum- und Lebensniveau erreichen. Man zitiert in diesem Zusammenhang oft auch die "materialistische" Wahlentscheidung des Jahres 1990 (schnelle D-Mark) und die hohen Transferbetrnge, die in die neuen Lander fliefien und das ProduktivitatsgefaIle ausgleichen. All das fiihre zu einer immer starkeren Abkopplung der Wiinsche der neuen Biirger von der tatsachlichen Produktivitat. Wenn diese Annahme stimmt, dann mlillte es in den neuen Landem immer mehr Menschen geben, fUr die materielle und genuBbezogene Werte den Vorrang vor Pflicht- und Akzeptanzwerten haben (in unserem Schema: Hedomaterialisten).
e) Eine fiinfte Hypothese lehnt sich an die Wahlerfolge der PDS, an die Herausbildung eines neuen Wir-BewuBtseins und Erscheinungen von DDR- und Sozialismus-Nostalgie in den neuen Landem an. Es wird angenommen, darin kame die Wiederbelebung einer moglicherweise in der Spatzeit und im Umfeld der Wende verschfitteten idealistischen und sozialen Wertepriigung der neuen Bundesbiirger zum Ausdruck. Es wird ein weitgehender Erfolg der Indoktrination durch das SED-Regime unterstellt, der erst jetzt, in der kritischen Phase der Transformation und mit zunehmendem Abstand zur DDRRea1itat, wieder zum Vorschein komme. Uber das Vehikel PDS und durch den Linksruck im Wahlverhalten73 driickt eine wachsende Zahl der Menschen ihren Protest gegen den "materialistischen" Kapitalismus aus, der mit der Wiedervereinigung in den neuen Landem eingefiihrt wurde. Nach dieser Hypothese mlillten wir in den neuen Landem viele Menschen mit einer idealistischen Protestneigung fmden, sie diirften niedrige Pflicht- und Akzeptanzwerte und hohe idea1istische Selbstentfaltungswerte aufweisen (in unserem Schema: Nonkonforme Idealisten).
73 Betrachtet man sich die Ergebnisse der Bundestagswahl von 1994 nach neuen und a1ten Llindem
getrennt und differenziert in ein "blirgerliches" und ein "Iinkes Lager", dann stehen 50 % biir
gerlicher Stimmen im Westen (CDU/CSU, FOP) nur 42 % im Osten gegeniiber. Linke Stimmen
(SPD, PDS, Biindnis90/Griine) gab es im Osten 56 % gegeniiber 46 % im Westen.
82
Die Abbildungen 31 und 32 zeigen die quantitative Umsetzung des Typenschemas in den neuen und alten Undem fUr 1990 und 1993 im Vergleich.74 Danach gibt es zwischen Ost und West fUr beide Zeitpunkte signifikante Abweichungen. FUr das FIiihjahr 1990 wird Hypothese 4 k1ar belegt. Es gibt zu diesem Zeitpunkt im Osten tatsachlich deutlich mehr Hedomaterialisten als im Westen. Das geht eindeutig zu Lasten von Hypothese 5, denn im Osten lassen sich viel weniger Menschen als im Westen als Idealisten kennzeichnen. Auch fUr Hypothese 3 und in gewissem Mafie noch fUr 1 sprechen schwache Signale, es gibt etwas mehr Realisten und Konventionalisten in den neuen Undem. Resignation ist dagegen 1990 in den alten Undem starker verbreitet.
In den Daten von 1993 andert sichjedoch das Bild. Der "Uberhang" an Hedomats in den neuen Landem hat sich deutlich auf ein vergleichbares Niveau wie im Westen reduziert. Eindeutig profitiert haben davon die Realisten, die um 4 Prozentpunkte zugelegt haben. Fast verdoppelt hat sich jedoch der Prozentsatz der Resignierten. Die Gruppe der Konventionalisten ist deutlich geschrumpft, die der Idealisten nahezu konstant geblieben.
Die Daten fUr die alten Lander haben sich relativ wenig geandert. Der Anteil an Realisten, Hedomats und Idealisten ist nahezu konstant geblieben. Es flUlt allerdings auf, da6 es auch im Westen deutlich 1993 mehr Resignierte und deutlich weniger Konventionalisten gibt. Als Erganzung laBt sich noch die Wertetypenverteilung der in Deutschland lebenden Auslander erwahnen, da im SOEP 1993 auch eine reprasentative Auslanderstichprobe befragt wurde. Obwohl die allermeisten Auslander in den alten Landem leben, ahnelte deren Wertetypenverteilung weitgehend der ostdeutschen Stichprobe und nicht der westdeutschen. Wie sind diese Befunde der Werteforschung nun zu intetpretieren?
Erstens konnen wir feststellen, da6 der Werteraum in den alten und neuen Bundeslandem ahnlich strukturiert ist. Pflicht- und Akzeptanzwerte sondern sich ab von hedonistisch-materiellen und von idealistischen Selbstentfaltungswerten.
74 Die Clusteranalyse wurde tiber den gesamtdeutschen Datensatz des SOEP 1993 so durchgeflllut,
daB die Daten in Ost und West in die Analyse mit dem gleichen Gewicht eingingen (also 1: 1)
und nicht nach repriisentativen MaBstiiben (also etwa 114: 1). Das sollte das Maximum an vor
handenen Unterschieden zwischen Ost und West zu Tage flirdern und verhindern, daB die Ei
genart der Daten der Oststichprobe von denen der Weststichprobe erdriickt wurde. Dieses 1:1-
Verfahren kornmt zu anderen quantitativen Verteilungen der Wertetypen als das 114:1-
Verfahren,jedoch auch zu anderen Ergebnissen als das Verfahren, die Wertetypen filr getrennte
Stichproben zu berechnen. Letzteres ist eher geeignet, die binnenkulturellen Unterschiede inner
halb der beiden Populationen in Ost und West zu verdeutlichen. Das 1: 1-Verfahren liefert dage
gen genauere Informationen iiber die interkulturellen Unterschiede zwischen Ost und West In
den spiiteren Analysen (Wertetypen und Wohlfahrt, Generationenanalysen) werden die Wertety
pen dann in Ost und West auch wieder nach dem Trennverfahren (filr beide Populationen extra)
gebildet und verwendet, da dann die binnenkulturellen Unterschiede wichtiger sind.
83
Zweitens lassen sich die jeweiligen Populationen sinnvoll zu iihnlichen Typologien strukturieren, in denen das gleichzeitige Auftreten von Pflicht- und Akzeptanzwerten und Selbstentfaltungswerten die grofite Realisierungschance hat. Diese Realisierungschance war im Osten von Anfang an hOher und stieg im Verlauf des Transformationsprozesses. Diese EntwicIdung, allerdings begleitet von deutlich resignativen Tendenzen in bestimmten Teilgruppen, absorbierte einen Teil des anIanglichen Konsumstaus, der in Gestalt der Hedomats 1990 Idar erkennbar war. Dennoch blieb 1993 das Ausmafi an Resignation im Osten hinter den westdeutschen Daten zurUck.
Insofern geben die Wertedaten Aufschlufi fiber die Frage nach strukturellen AhnIichkeiten und nach Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen. Die AhnIichkeiten der psychischen Verarbeitungsmuster und die psychische Stabilitat erhalten nunmehr ihre Parallele in einer strukturellen AhnIichkeit der Wertesituation.
Ais Besonderheit des Ostens erscheint nach dem Abbau eines durch die Umstaude des beginnenden Sytemwandels erIdarlichen Konsumstaus eine hOhere Neigung zu den Aktiven Realisten, die nach Klages75 eine Wertesynthese aus Pflicht- und Akzeptanzwerten und Selbstentfaltungswerten zu Stande bringen. Dieser Befund schlagt positiv zu Buche, denn Realisten besitzen die besten mentalen Voraussetzungen zur Bewaltigung der Anforderungen der modernen Gesellschaft. Begleitet wird diese starke Bedeutung des aktiven Realismus in den neuen Laudern von einer geringeren Neigung zur Resignation (trotz des schwierigen Umbruchs) und zum (reinen) Idealismus (trotz oder wegen der sozialistischen Erziehung).
Betrachtet man die Transformation des Ostens als Modernisierungsprozefi76,
dann kann nach den Ergebnissen der Werteforschung zum Resultat kommen, dafi die Werteausstattung der neuen Bundesbftrger dafur giinstig ist. 77
75 Vgl. Klages 1988.
76 Vgl. Zapf 1991 und 1992.
77 1m Wertesurvey 1997 erhielt die Resignationstendenz, die bereits 1993 in Teilen der BevOlke
rung der neuen Lander (und der alten!) zu beobachten war, weiteren Auftrieb. Das Gesamtni
veau an Resignation war allerdings nunmehr im Osten etwa gleich groB wie im Westen (ca.
20 %). Fortwiihrender Hintergrund dieser Tendenz ist die objektive bzw. subjektive Ausgren
zung von Bevolkerungsgruppen aus dem "aktiven" Transformationsgeschehen, wie der hohe
Anteil von Resignierten bei Arbeitslosen und Teilen der iilteren Menschen zeigt. Dennoch waren
auch 1997 die Aktiven Realisten in den neuen Landem immer noch deutlich starker vertreten als
in den alten (35 % versus 30 %),jetzt auch besonders unter denjungen Menschen. Konstant wa
ren auch die hOheren Anteile an Idealisten im Westen (21 % versus 12 %).
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Abb.S2
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9. Wertetypen und Wohlfahrt
Von Interesse ist nun, die Werteentwicklung und die Neigung der Ostdeutschen zu bestinunten Wertetypen mit der vorher analysierten Wahrnehmung der personlichen Wohlfahrt riickzukoppeln. Wird die ostdeutsche Tendenz zur produktiven Werteausstattung (also vor allem zugunsten des Aktiven Realisten) durch eine positive Wahrnehmung von Wohlfahrt gesttitzt?
9.1 Wertetypen und aktuelle Lebenszufriedenheit
Zunachst solI die Globalgrofie der personlichen Wohlfahrt, die allgemeine LebenszuJriedenheit, die wir oben fUr die Gesamtbevolkerung bereits diskutiert haben, wertetypenspezijisch analysiert werden. Da wir unsere Werteliste 1993 in das Soziookonomische Panel eingeschaitet haben, ist eine Ankoppelung der Wertestrukturen an die Wahrnehmung personlicher Wohlfahrt moglich.
Die Abbildungen 33 und 34 zeigen fur das Friihjahr 1993 die allgemeine Lebenszufriedenheit in Ost und West, ausgewiesen pro Wertetyp. Die 10er-Skala zur Messung der Zufriedenheit wurde in drei Stufen aufgesplittet (0-3 "niedrig", 4-7 "mittel", 8-10 "hoch"). Schon der oberflachliche Vergleich zwischen Ost und West zeigt erhebliche Unterschiede. Abgesehen davon, dafi die allgemeine Lebenszufriedenheit, wie wir es bereits gesehen haben, im Osten geringer als im Westen ausflillt, erscheint der Osten wesentlich nivellierter: AIle ostdeutschen Wertetypen bewegen sich mehrheitlich im "mittleren" Bereich.
1m Westen dagegen ist das Bild differenzierter: Wahrend Konventionalisten, Hedomats und Idealisten ein recht ahnliches, eher durchschnittliches Zufriedenheitsniveau aufweisen, gibt es eine klare Abweichung der Realisten und der Resignierten von diesem Bild. Konventionalisten, Hedomats und Idealisten teilen sich jeweils etwa zur Halfte in Unzufriedene bzw. mittelmafiig Zufriedene auf (wobei der Anteil der Unzufriedenen jeweils sehr gering ist) und in Hochzufriedene. Realisten sind dagegen mehrheitlich "hochzufrieden", Resignierte jedoch mehrheitlich mittelmafiig zufrieden oder auch (zu einem recht geringen Anteil) unzufrieden.
Es lafit sich somit fur Westdeutschland eine bestimmte Rangfolge bestinunter Wertekonstellationen festhalten: Breite Werteaktualisierung auf verschiedenen Wertedimensionen geht mit hoher Wahrnehmung allgemeiner personlicher Wohlfahrt einher. Wertespezialisierung (auf eine bestimmte Dimension wie Konventionalismus, Hedomaterialismus oder Idealismus) ist mit mittlerem Empfmden von personlicher Wohlfahrt verkntipft. Werteminimalismus (tendenzielle Anomie) dagegen hangt offensichtlich mit deutlich verschlechterter Wohlfahrtswahrnehmung zusammen.
Die fUr den Westen festzuhaltende Tendenz der Ankopplung breit aktualisierter Wertestrukturen an eine positive Wohlfahrtswahrnehmung ist dagegen im Osten geringer ausgepragt. Zwar liegt der Mittelwert der aktuellen Lebenszufriedenheit der aktiven Realisten im Osten mit 6,61 signifIkant tiber dem Durchschnitt im
90
SOEP von 6,25 und der Mittelwert der Resignierten mit 5,74 klar darunter. 1m Westen sind jedoch die Realisten deutlicher nach oben vom Mittelwert entfernt, 7,64 zu 7,19 und die westdeutschen Resignierten sind mit einem Wert von 6,37 viel klarer als im Osten nach unten distanziert.
Die Wahrnehmung aktueller Wohlfahrt ist im Westen damit starker als im Osten mit der Achse "W ertemaximienmg versus Werteminimalismus" verkniipft. Das laBt sich als Reflex deutlich nivellierter Wohlfahrtchancen im Osten erklaren. Vor allem ist im Westen mit den Resignierten klarer eine Gruppe ausgegrenzt, in der Wertezuriicknahme und geringere aktuelle Wohlfahrtchancen miteinander einhergehen.
Wir hatten vorhin festgestellt, Will 1993 die aktuelle Lebenszufriedenheit in Ost und West in hohem Malle von der personlichen soziookonomischen Zufriedenheit, insbesondere von der Wahrnehmung des eigenen Lebensstandards abhing. 1m folgenden soIl nun iiberprUft werden, ob sich dieser Zusammenhang auch bei den einzelnen Wertetypen herstellen llillt. In den Abbildungen 35 und 36 ist fUr Ost und West nach demselben Schema wie fUr die allgemeine Lebenszufriedenheit die Zufrledenheit mit dem Lebensstandard nach Wertetypen ausgewiesen.
Schaut man sich zunachst die Daten fUr den Westen an, dann bestatigt sich der Zusammenhang zwischen materieller und allgemeiner Lebenszufriedenheit. Die Differenzierungen zwischen den Wertetypen verlaufen in beiden Fallen nach dem gleichen Schema. Konventionalisten, Hedomats und Idealisten sind jeweils wiederum etwa zur Hlilfte entweder unzufrieden bzw. mittelmlillig zufrieden oder hochzufrieden, Realisten mehrheitlich hochzufrieden, Resignierte mehrheitlich nur mittelmlillig zufrieden. Die Abweichungen von den Verteilungen bei der allgemeinen Lebenszufriedenheit sind erstaunlich gering.
Wie stellt sich die Situation im Osten dar? Die Verteilung der Daten im Vergleich der aktuellen allgemeinen Lebenszufriedenheit und der Zufriedenheit mit dem Lebensstandard flillt auch dort auf lihnlich nivelliertem Niveau erstaunlich lihnlich aus. Aile Wertetypen liegen im mittleren Bereich, Realisten erreichen jeweils das hOchste Niveau, Resignierte das niedrigste. Ahn1ich ist auch die Situation beziiglich der Mittelwerte: Rea1isten liegen mit 6,56 etwas unter Ihrem Wert fUr die allgemeine Lebenszufriedenheit und klar iiber dem Gesamtmittelwert von 6,26. Resignierte sind mit dem Wert 5,77, der leicht fiber ihrem Wert fUr die allgemeine Lebenszufriedenheit liegt, deutlich nach unten distanziert. 1m Westen weichen dagegen die Rea1isten mit 7,74 wiederum noch deutlicher vom Gesamtmittel von 7,33 nach oben abo Vor allem jedoch sind die Resignierten wiederum klarer nach unten abgesetzt (6,72 zu 7,33).78
78 Die groBen Zufriedenheitsunterschiede zwischen Realisten und Resignierten im a11gemeinen
und die Unterschiede zwischen Ost und West zeigen sich auch sehr anschaulich in der jeweili
gen subjektiven Schichtzuordnung der Wertetypen in Ost und West, die wir im Wertesurvey
1997 erfaBt haben. 1m Westen ordnen sich Resignierte mit 36 % am deutlichsten der "unteren
91
Die Abhangigkeit des allgemeinen Wohlfahrtsempfmdens von der wahrgenommenen soziookonomischen Wohlfahrt bestatigt sich damit auch beztlglich der Wertetypen. Zum anderen laBt sich auf der Ebene der Wertetypen fiir die neuen Lander der Zusammenhang einer nivellierten wahrgenommenen soziookonomischen Wohlfahrt mit einer grofieren Nivellierung des aktuellen allgemeinen Wohlfahrtempfmdens zeigen.
Dieses empirische Bild verfestigt sich, wenn man eine noch starker "objektiv" gefarbte soziookonomische Grofie in die Analyse einbezieht, namlich die Zufriedenheit mit dem Einkommen des Haushalts (Abbildungen 37 und 38). FUr den Westen hat dieses Merkmal eine ahnlich hohe Differenzierungskraft zwischen den Wertetypen wie das Merkmal Lebensstandard. Interessanterweise nahern sich allerdings jetzt die Realisten den Konventionalisten und den Idealisten an, Hedomats dagegen den wiederum deutlich nach unten abgegrenzten Resignierten.
Generell sind alle Wertetypen mit ihrem Lebensstandard deutlich zufriedener als mit ihrem Haushaltseinkommen. Am starksten ist diese Diskrepanz bei den Realisten ausgepragt. 65 % der Realisten sind mit ihrem Lebensstandard hochzufrieden, jedoch nur 49 % mit dem Haushaltseinkommen. Am ehesten im Einklang sind bier die Idealisten. 53 % sind mit ihrem Lebensstandard hochzufrieden und 44 % mit dem Haushaltseinkommen.
In den Daten fiir den Osten sind beztlglich der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen noch starkere Nivellierungstendenzen zu erkennen als bei der Zufriedenheit mit dem Lebensstandard. Aile Wertetypen liegen wiederum im mittleren Bereich. Die noch eklatanten Unterscbiede zwischen Ost und West zeigen sich darin, daB die Realisten als ostdeutscher "Erfolgstyp" beztlglich der Zufriedenheit mit ihrem Haushaltseinkommen eine Position einnehmen, wie sie etwa die" Verlierer" im Westen, die Resignierten aufweisen.79
Festzuhalten ist also: Die Empfindung soziookonomischer und in deren Gefolge der allgemeinen Wohlfahrt ist im Osten zwar signiftkant, jedoch schwacher als
Schicht" zu, Realisten mit 14 % am wenigsten. Westdeutsche Realisten sehen sich dagegen ne
ben den Idealisten zu 69 % in der ,,mittleren Schicht", was der hiichste Wert ist 1m Osten dage
gen ordnen sich sogar 60 % der Resignierten in der "unteren Schicht" ein gegenllber 37 % der
Realisten, die somit die beste Position des Ostens einnehmen, die jedoch nur der ,,schlechtesten"
des Westens entspricht (Resignierte). Umgekehrt sehen sich ostdeutsche Resignierte 1997 nur zu
35 % in der ,,mittleren Schicht" gegenllber 60 % der ostdeutschen Realisten. Insgesamt gesehen,
war die "obere Schicht" im Osten fast gar nicht, im Westen relativ schwach besetzt.
79 Von der objektiven Seite her erkennt man im Osten 1993 wie 1997 ein deutliche Nivellierung
der Haushaltseinkommen bezOglich der Wertetypen. Generell nivelliert das Haushaltseinkom
men starker a1s das personliche Einkommen der Befragten selbst Am besten stehen in Ost und
West in der Regel die Idealisten da, im Osten haben meist die Hedomats die schwachste Ein
kommensposition, insbesondere beim personlichen Einkommen. Das hiingt auch mit erhohten
Arbeitslosenquoten der meist jOngeren Hedomats zusammen.
92
im Westen an die Wertesituation gekniipft. 1m Vergleich zum Westen bewegen sich die ostdeutschen Wertetypen trotz aller Mittelwertsunterschiede in einer breiten Zone der Nivellierung im mittleren Bereich.
9.2 Wertetypen und erwartete Lebenszufriedenheit
Wie ist nun die Zukunftserwartungen in Ost und West mit der Wertesituation gekniipft?
Die Abbildungen 39 und 40 zeigen fUr Ost und West die von den Wertetypen erwartete allgemeine Lebenszufriedenheit in 5 Jahren nach demselben Schema aufgesplittet wie die aktuelle Lebenszufriedenheit. 1m Westen ist die Differenzienmgskrafi der Variable "Erwartete Lebenszufriedenheit in 5 Jahren" etwas geringer als die der aktuellen Lebenszufriedenheit. Die entscheidende Differenzierung liegt jedoch auch hier zwischen Resignierten (Werteminimalisten) und Realisten (Wertemaximalisten).
1m Osten dagegen sind die Unterschiede zwischen den Wertetypen jetzt interessanterweise deutlich haher als bei der aktuellen Lebenszufriedenheit. Das Bild fallt nun iiberhaupt zwischen Ost und West viel aImlicher aus. In Ost und West sind Realisten und auch Hedomats tendenziell optimistischer, Idealisten und Konventionalisten weniger optimistisch und Resignierte am pessimistischsten. Bei den Realisten und Hedomats gibt es zwischen Ost und West in dieser Prage die geringsten Unterschiede. Beiderseits gibt es knappe Mehrheiten, die von sich erwarten, in 5 Jahren "hochzufrieden" zu sein. Ostdeutsche Idealisten und Konventionalisten dagegen tendieren in ihrer Erwartungsbildung eher in Richtung der Resignierten, die auch beziiglich ihres Optimismus im Westen von allen Wertetypen starker nach unten abgegrenzt sind.
Thre Erwartungsbildung hebt also die Wertetypen im Osten aus der breiten Zone der aktuellen Nivellienmg wesentlich deutlicher auf das differenzierte Niveau der westlichen Wertetypen. Jene Wertetypen, die Trager der hedomaterialistischen Wertedimension sind, sind in Ost und West auch tendenziell die optimistischsten. Das sind letztlich diejenigen, die Werte hoch schatzen, die eng mit der modernen Konsumgesellschaft verkniipft sind (Lebensstandard, Lebensgenufi, KonkurrenzIndividualismus). Diejenigen, die diese Werte weniger betonen, sind auch pessimistischer eingestellt. Bei den Hedomats als jiingstem Wertetyp kommt noch ein Alterseffekt hinzu.
Die wesentlich hahere Differenzierungskraft der zukUnftig erwarteten Lebenszufriedenheit zwischen den Wertetypen in Ostdeutschland geht nun einher mit der ebenfalls deutlicheren Differenzienmgskraft ihrer Zufriedenheit in "strategischen"
93
Lebensbereichen (AbbildlUlgen 41 bis 48).80 Die Zufriedenheit mit der AusbildlUlg (Schule lUld Bernt), mit der GeslUldheit, mit der WOhnlUlg lUld auch mit der Arbeit (bei den Berufstatigen) differenziert zwischen den Wertetypen, insbesondere zwischen Realisten lUld Resignierten, wesentlich starker als die Kategorien "Haushaltseinkommen" lUld "Lebensstandard". Dabei ist es erstaunlich, daB Realisten formal gesehen nur ein durchschnittliches Bildungsniveau mit einer Tendenz zu "mittleren" Abschliissen aufweisen, Idealisten dagegen ein klar uberdurchschnittliches Niveau, lUld daB dennoch vor allem die ostdeutschen Realisten deutlich zufriedener damit sind als Idealisten. Zum einen scheinen Realisten ihre AusbildlUlg tendenziell "praktisch" besser umsetzen zu konnen. Zum anderen leiden ostdeutsche Idealisten darunter, daB ihre hOheren (aber teilweise relativ "staatsnahen") Abschlusse aus der DDR in der neuen Berufswelt oftmals keine ausreichende AnerkennlUlg lUld UmsetzlUlg erbringen.
Zusammenfassend kann man sagen, daB die Wertesituation in Ost lUld West noch lUlterschiedlich an die Wohlfahrtsituation geknupft ist. 1m Westen bestehen klare BeziehlUlgen zum aktuellen und zukiinftig erwarteten Wohlfahrtsempfinden. Das betrifft die materiell-situativen, wie die ideell-strategischen Komponenten der Wohlfahrt. 1m Osten werden dagegen die Unterschiede in der allgemeinen Lebenszufriedenheit lUld in den soziookonomischen Komponenten zwischen den Wertetypen durch eine gewisse Nivellierung auf einem im Vergleich zum Westen mittleren Niveau ubedagert. In viel ahnlicherer Weise differenziert die zuktinftige Erwartung von Wohlfahrtchancen lUld deren strategische Komponenten die Wertesituation im Osten.
Das heifit, daB der Wertesituation im Osten im Vergleich zum Westen gewissermaBen die "BodenhaftlUlg" einer iihnlichen Differenzierung der W ohlfahrt auf hohem Niveau fehlt. Die Differenzierung zwischen den Wertetypen driickt sich eher in deren Erwartungshaltungen aus als in der WahrnehmlUlg der aktuellen Situation. 81
Da jedoch die Wertesituation im Osten im Vergleich zum Westen dennoch produktiver strukturiert ist, muB sie noch aus anderen Fakten erkliirbar sein als lediglich aus der Verbesserung der soziookonomischen Situation heraus, die, wie wir gesehen hatten, ohnehin einen eher begrenzten EinfluB ausubt.
80 Dieser "strategische" Charakter lieB sich zwar auf der Ebene der Regressionen fUr die Gesamt
bevolkerung nicht unmittelbar nachweisen, erscheint aber nunmehr auf der Analyseebene der
Wertetypen.
81 Wir verwenden hier die Gegenwartsform, weil auch im Wertesurvey 1997 beziiglich der Werte
typen, die ja auch fundamental verschiedene "Erwerbsmentalitaten" zur Schau tragen, jene er
staunliche Nivellierung der aktuellen subjektiven und in der Tendenz auch objektiven Wohlfahrt
zu erkennen war. Auch die vorrangige Differenzierung zwischen den Wertetypen anhand der
Zukunftserwartungen war im Wertesurvey in ahnlicher Weise zu erkennen wie 1993.
94
An dieser Stelle ist daher ein Riickgriff auf ostdeutsche Sozialisation notwendig, die offensichtlich noch nachwirkend stabilisierend auf die Wertesituation in den neuen Landern einwirkt.
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103
c. Sozialisation
1. Lebensweltliche Sozialisation
1.1 Erziehungsziele
Wertorientierungen konnen direkter fiber aktuelle personliche Priiferenzen abgefragt werden oder auch indirekter fiber Erziehungsziele, die man sich von der familiaren Erziehung von Kindem oder auch von der Schule wUnscht. Urn Sozialisationseffekte starker beriicksichtigen zu konnen, wollen wir Ost-West-Vergleiche zunachst anhand von Erziehungszielen durchfiihren. Zum Bereich "Erziehungsziele" liegt bereits recht umfangreiches und differenziertes Material vor.
Zunachst gilt es wiederum, anhand von Daten fti:r die alten Landem eine Art Referenzfolie zur Bewertung der neuen Lander zu schaffen. Abbildung 49 zeigt einen Vergleich elterlicher Erziehungswerte anhand von Daten des EMNlDInstitutes. Die EMNlD-Zeitreihe ist eines der aussagekriiftigsten Langzeitdokumente der Werteentwicklung in den alten Bundeslandem. In einer Art "quasialternativer" Fragestellung82 wurde dort seit 1951 danach gefragt, "auf welche Eigenschaften die Erziehung der Kinder vor allem hinzielen" sollte. FUr die Abbildung sind die Werte fti:r "Selbstandigkeit und freier Wille" und fti:r "Gehorsam und Unterordnung" ausgewahlt.
Betrachtet man zunachst die Zeitreihe fti:r die alten Lander, dann erkennt man einen dramatischen Wandel, innerhalb dessen das westlich-liberale Erziehungsleitbild "Selbstandigkeit und freier Wille" zur dominanten Leitgrofie des fiberwiegenden Teils der bundesdeutschen Bevolkerung und das autoritare Erziehungsleitbild "Gehorsam und Unterordnung" marginalisiert wird. Lagen beide Leitbilder bis in die 60er Jahre hinein noch Kopf an Kopf, offnet sich zwischen ihnen in der zweiten Hiilfte der 60er eine breite Schere. Ende der 80er Jahre erreichen die liberalen Werte quasi-altemativ abgefragt zwei Drittel der Westdeutschen, autoritare nicht einmal mehr 10 %.
Die Abbildung zeigt also recht klar den fundamentalen Kulturwandel in der Bundesrepublik. Nach einer Latenzphase in den 50em und der erst en Hiilfte der 60er folgt in der zweiten Hiilfte der 60er und der ersten Hiilfte der 70er Jahre eine heftige Sturm-und-Drang-Phase. Nach einer retardierenden Tendenz in der Krisenzeit der zweiten Hiilfte der 70er und in der ersten HaIfte der 80er beginnt eine
82 EMNID (aufNachfrage) gehtzwar davon aus, daB die Fragestellung nicht alternativ gemeint ist.
104
Da jedoch nur 3 Items vorgeben wurden, die stark miteinander konkurrieren, entsteht m.E. eine
"quasi-alternative" Fragesituation.
zweite Liberalisierungswelle, die sich von der Boom-Zeit der 80er Jahre bis hin zur deutschen Einheit erstreckt.
HiUt man in derselben Abbildung nun die Daten fUr die neuen Lander aus dem Jahre 1991 dagegen, zeigen sich erstaunlicherweise fUr Ost und West relativ geringe Unterschiede. Erziehung nach einem allgemeinen Leitbild der "Selbstentfaltung" hat 1991 in Ost und West deutliche Prioritat gegenuber einem traditionellen Leitbild, das an "Gehorsam und Unterordnung", also an einer Art "Untertanenmentalitat" orientiert ist.83 Die ausgewiesene Zeitreihe belegt zum einen den tiefgreifenden Wertewande[84, der sich in der Bundesrepublik. weg von autoritiiren Pflicht- und Akzeptanzwerten und hin zu Selbstentfaltungswerten vollzogen hat. Zurn anderen unterschied sich die Situation in den neuen Landem 1991 recht wenig von den alten Landem, so daJl auch hier von einem, wie auch immer zu erkUirenden Wertewandel weg von autoritiiren Erziehungsleitbildem hin zur Selbstentfaltungsorientierung ausgegangen werden mu6.
1995 andert sich jedoch das Bild im Osten, der Anteil der Befiirworter von "Selbstandigkeit und freier Wille" geht urn 8 Prozentpunkte auf 53 % zurUck, wlihrend sich im Westen relativ wenig andert. Wir interpretieren dieses Phanomen jedoch nicht als Beleg gegen einen zurUckliegenden Kulturwandel im elterlichen Erziehungsverhalten im Osten, sondem als eine situative Reaktion auf die Begleitumstande der Wiedervereinigung. 1m Schlu6abschnitt wird dieses Problem wieder aufgenommen.
In den Daten von EMNID wurde noch ein drittes Erziehungsleitbild erfa6t: "Ordnungsliebe und Fleill". FUr die westdeutschen Daten zeigt sich in Abbildung 50, daJl diese Erziehungsziele (hinter denen sich die sogenannten Sekundartugenden verbergen) vom Wertewandel wesentlich weniger erfa6t wurden, wobei allerdings ein langerfristiger leichter Abwartstrend zu beobachten ist. Die Daten fUr die neuen Lander weichen bereits 1991 von den westdeutschen signifikant abo 1m Osten hat bereits 1991 "Ordnungsliebe und Fleill" eine deutlich hahere Bedeutung als im Westen. 1995 steigert sich dieser Uberhang auf iiber 22 % Differenz zum Westen. Das Erziehungsziel "Ordnungsliebe und Fleill" wird im Osten nun mit einer Starke bekundet, die sie zu keinem Zeitpunkt dieser Zeitreihe im Westen erreichte, auch nicht in den 50er Jahren. Es ubertrifft 1995 im Osten damit sogar das Ziel "Selbstandigkeit und freier Wille" urn 2 Prozentpunkte. Diese geradezu emphatische Betonung von Sekundartugenden (die 1995 bei den von der Schule gewfinschten Erziehungszielen von einer iUmlich deutlichen Aufwertung der Kategorie "Disziplin" begleitet wird) mu6 angesichts anderer verfiigbarer Daten etwas
83 Diese Daten werden auch durch Daten von EMNID 1991 ilber von der Schule gewilnschte
Erziehungsziele bestatigt. "Selbstandigkeit" steht auch dort klar an erster Stelle. Ahnlich deutli
che Ergebnisse liefert auch der ALLBUS 1992. "Selbstandig denken" ist dort das klar favorisier
te Erziehungsziel in Ost und West. Vgl. ALLBUS 1992, Braun 1993.
84 Vgl. Klages 1984, 1997.
105
"verdachtig" erscheinen. Die Deutung dieses Phanomens solI jedoch nach Priitung weiterer Kontrolldaten auf den SchluBabschnitt verlegt werden.
Zunachst solI der Ost-West-Vergleich der Erziehungsziele mit Hilfe Allensbacher Daten auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Es werden zunachst eher weitere Differenzierungen deutlich (Abbildungen 51 bis 56). Allensbach liefi im Februar 1991, im Herbst 1992 und im Mai 1993 eine Vielzahl von Erziehungszielen danach beurteilen, "was man Kindem fUr ihr spateres Leben alles mit auf den Weg geben solI, was Kinder im Eltemhaus lemen sollen."85 1m Bereich der traditionellen Ziele (eher Pflicht- und Akzeptanzwerten zuzuordnen) erkennt man, dafi solche traditionellen "Tugenden" wie "Sich in eine Ordnung einfiigen, sich anpassen", "Bescheiden und zuriickhaltend sein" und "Fester Glaube, feste religiose Bindung" in Ost und West eine weniger wichtige Rolle spielen. Es bestatigt sich jedoch, dafi an "moderatere" und "nicht-autoritare" Pflicht- und Akzeptanzwerte (Sekundarmgenden) angelehnte Erziehungsziele in den neuen Landem eine grOfiere Rolle spie1en als z.B. "Seine Arbeit ordentlich und gewissenhaft tun" oder "Sparsamkeit". Auch die Erziehung zu sozial verbindlichem Verhalten ("HOflichkeit und gutes Benehmen") wird in den neuen Landem als wichtiger angesehen.
Der Gegentest der eher selbstorientierten Erziehungsziele zeigt, dafi ein stark in Richtung Selbstbehauptung formuliertes Item wie "Sich durchsetzen, sich nicht so leicht unterkriegen lassen" in den neuen Landem sogar einen etwas hoheren Zuspruch erreicht als in den alten. 1m Zusammenhang damit scheint auch die Betonung von "Leistungsbereitschaft, Ehrgeiz" zu stehen (gewissermafien als Kombination von Selbstorientierung mit Sekundartugenden). Werte einer allgemeinen Weltbildung "Wissensdurst, Streb en nach Horizonterweiterung" und "Interesse fUr Politik" werden im Osten weniger betont, desgleichen sozial-zivilisatorische, wie "Andersdenkende achten, tolerant sein", "Sich umweltbewuBt verhalten" und "Verantwortungsgefiihl, fiir andere da sein". Letzteres wurde auch als "zivilisatorische Liicke"86 bezeichnet. In diesem Bereich vollzieht sich jedoch ein schneller Angleichungsprozefi zwischen Ost und West, indem sich die Unterschiede zwischen Ost und West seit 1992 einzuebnen beginnen (Abbildung 56). Beziiglich allgemein-ethischer Werte wie "Ehrlichkeit", "Liebe zur Natur" und "Einsatz fiir den Frieden" gibt es ohnehin nur geringe Unterschiede zwischen Ost und West (Abbildungen 53 und 56).
AIle "konventionellen" Erziehungsziele auBer Hoflichkeit und Religiositat unterliegen in den neuen Landem von 1991 bis 1993 einem mehr oder weniger kontinuierlichen Zuwachs (Abbildung 54). Das betrifft auch die "allgemeinbildenden" Ziele "Wissensstreben" und "Gefallen an Kunst". Diese Veranderungstendenzen sollen ebenfalls im SchluBabschnitt diskutiert werden. Es solI hier nur angemerkt
85 Es wurde gefragt, was die Befragten nach Vorlage einer Liste f'lir "besonders wichtig" hielten.
86 Vgl. Engler 1992.
106
werden, Will die Zunahmetendenz von 9 bis 15 Prozentpunkten bei den "moderaten" traditionellen Zielen deutlich starker ist als bei den "harteren" Kategorien, insbesondere was die Schliisselkategorie "Sich in eine Ordnung einfiigen, sich anpassen" betrifft (Zunahme von 5 Prozentpunkten; iihnliche Tendenz auch bei dem Ziel "Gehorsam und Unterordnung" in den EMNID-Daten). Die "harten" Ziele pegeIn sich von einem 1991 im Vergleich zu Westdeutschland niedrigerem Niveau 1993 auf ein iihnliches Niveau ein, die "moderaten" Ziele von einem bereits hOheren auf ein deutlich hOheres. "Bescheidenheit" bildet dabei mit einem Zuwachs von 7 Prozentpunkten eine mittlere Kategorie.87
Mit Hilfe der Daten des Europaischen Werte-Surveys 1990 und einer Wiederholungsbefragung in den neuen Uindem von 1992 lassen sich die deutschen Ergebnisse mit denen in anderen Liindem vergleichen (Tabelle 7, Abbildung 57). Hier fallt sofort die AhnIichkeit der west- und ostdeutschen Daten beziiglich der modemen, selbstentfaltungsorientierten und der "harten" traditionellen Ziele auf. "Unabhiingigkeit, Selbstiindigkeit" wird in Ost- und Westdeutschland zu 67 % und 73 % als "ganz besonders wichtig" fur die Erziehung von Kindem angesehen, 1992 in Ostdeutschland zu 70 %. Auf der anderen Seite werden" Gehorsam" (West 22 % und Ost 26 %), "Harte Arbeit" (West 14 % und Ost 18 %) und "Selbstlosigkeit" (West 8 % und Ost 8 %) wenig betont. Diese west- und ostdeutsche Konstellation der Dominanz der Selbstentfaltung und der Ablehnung von Pflicht- und Akzeptanz beziiglich der Ziele der Kindererziehung iihnelt stark der norwegischen und unterscheidet sich stark von der franzosischen, aber auch von der amerikanischen. Die Franzosen machen eher den Eindruck einer gewissen Riickstiindigkeit in der Modernisienmg der Mentalitat, zumindest was die UnteIbetonung individueller Autonomie betrifft (wobei die Indikatoren "Toleranz" und "Verantwortungsgeffihl" auch in Frankreich modeme Erziehungsziele anzeigen). Die US-Amerikaner nehmen eine mittlere Position zwischen dem deutsch-skandinavischen "euphorischen" Individualismus auf der einen und der siideuropaisch-katholischen "UnteIbewertung" des Individualismus auf der anderen Seite ein, indem sie Pflicht- und Akzeptanzziele und Ziele der Selbstentfaltung etwa gleich gewichten. Die Besonderheit der US-Aroerikaner ist die ungebrochene Bedeutung religioser Erziehung in einer Intensitat, wie sie im Europaischen Wertesurvey nur noch in Polen, Island und Irland gemessen wurde.
87 Man beachte, daB in den letzten Jahren nun auch in Westdeutschland die Sekundiirtugenden
wieder haher geschlitzt werden. V gl. Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1993-1997.
107
Tabelle 7: Erziehungsziele im intemationalen Vergleich 1990
D- D- Nor- USA Frank-West Ost wegen reich
Verantwortungsgeftlhl 85 8-1 88 72 72 Andere achteo tolerant sein 77 72 62 71 78 Un bbangigkeit SelbsUlndig- 73 67 85 52 27 keit Gute Manieren 66 68 77 76 53 Energie, Ausdauer 49 55 32 36 39 Sparsamkeit 45 61 23 29 36 Phantasie 32 27 30 27 23 Fester Glaube feste religiOse 20 13 15 55 13 Bindung Gehorsam 22 26 33 39 53 Hart arbeiten 14 18 6 48 53 Selbstlosigkeit 8 8 10 37 40
Quelle: Zulehner, Denz 1993, "Was man Kindem fur ihr spateres Leben alles mit auf den Weg geben sollte, was Kinder im Elternhaus lemen sollten", "ganz besonders wichtig" in Prozent
Interessant sind jedoch auch die Besonderheiten, die Ostdeutschland sowohl von Westdeutschland als auch von anderen Landem unterscheiden. Es sind dies wieder die Sekundartugenden, diesmal "Energie und Ausdauer" und "Sparsamkeit". Ich mochte vorausgreifend diese spezielle Werte-Konstellation "industriegesellschaftliche Biirgerlichkeit" nennen, eine Konstellation, die zum einen die deutschen Daten insgesamt besonders auszeichnet und zum anderen in den neuen Landem besonders pragnant ausgepragt ist. Die ostdeutschen Werte werden auBer von Island von keinem der 27 beteiligten Lander erreicht.
1.2 Retrospektive Rekonstruktion des Sozialisationsklimas in der DDR
Die Analyse von Erziehungszielen lafit zunachst keine exakte Trennung des aktuellen "Images" bestimmter Werte und ihrer Relevanz fiir die Erziehung zu. Man kann aber das Sozialisationsklima in Ost und West vergleichend rekonstruieren, indem man Ost- und Westdeutsche riickwirkend ihre Kindheit und ihren familiaren Erziehungsstil beurteilen lafit88 (Abbildung 58). Nun verringem sich in den Durchschnittswerten die Unterschiede beziiglich der Sekundarmgenden "Piinktlichkeit" und des sozial verbindlichen Verhaltens "Gute Manieren" (was die zunehmend emphatische Betonung von Sekundarmgenden in den neuen Landem seit der Wende etwas relativiert). Das soziale Klima wird beiderseits in vielen Punkten erstaun-
88 Die Frage lautete: "Wenn Sie einrnal an Ihre Kindheit zuriickdenken: Was von dieser Liste trifft
alles auflhre Kindheit zu, woran erinnem Sie sich noch?"
108
lich iihnlich eingeschiitzt: Keine Unterschiede gibt es in der Erinnerung an einen harmonischen Umgang der Eltern miteinander und in der Einschiitzung, daB man vieles mit den Eltern zusammen unternommen habe. "Strenge Erziehung" spielt in iihnlicher Weise eine eher geringere Rolle. Dasselbe gilt auch fUr die Erinnerung an "finanzielle Sorgen" im Eltemhaus.
Die Unterschiede, die bei der A1lensbacher Frage nach dem Sozialisationsklima im Eltemhaus aufkommen, sind jedoch ebenfal1s hOchst aufschluBreich. Deutlich mehr Ostdeutsche erinnern sich, "ftiih selbstiindig" gewesen zu sein bzw. daB ihre Eltern nicht viel Zeit fUr sie hatten. AuBerdem geben mehr Ostdeutsche an, einen Vater gehabt zu haben, der "grolle Freude" an seiner Arbeit hatte. Diese Daten werfen ein bezeichnendes Licht auf einige Besonderheiten der DDR-Sozialisation.
Der Indikator "Ftiihe Selbstiindigkeit" bringt etwas zum Ausdruck, was die Jugendforschung als selektives oder eingeschranktes Bildungsmoratorium in der DDR bezeichnet. 89
In der DDR war die eigentliche Jugendphase kiirzer: Junge Ostdeutsche stiegen ftiiher ins Berufsleben ein, studierten ziigiger, heirateten ftiiher und bekamen frii-
89 Vgl. Behnken, Zinecker 1991 auf Basis der Daten der ersten gesamtdeu1schen Schillerstudie von
1990: "Die ostdeutsche Jugend ist in diesem Punkt auch 1990 noch ganz Repriisentant des ein
geschriinkten Jugendmoratoriums osteuropii.ischer Provenienz, so sehr Werte und Orientierun
gen der ostdeutschen SchulerInnen mittlerwei1e denen aus dem westlichen Teil Deutschlands in
Struktur und Auspragung iihneln. Ostdeu1sche SchUlerInnen sind starker durch Schule und Fa
milie in die Arbeitspflicht genommen ... Der Unterschied zeigt sich femer darin, in welchem
Man sich die junge Generation auf die Arbeitsverpflichtung seitens der Familie oder der Schule
einliBt und sie befolgt." Behnken, Zinecker 1991, S. 175 ff. Gille 1995 bringt dieses selektive
Jugendmoratorium auf der Basis des DJI-Jugendsurveys 1992 ausdrUcklich mit einer auch von
ihnen beoba.chteten starker ausgepragten Wertesynthese in den neuen LAndem in Verbindung.
Sie halt die Kombination "individualistischer Zuge westlicher LAnder" mit Elementen einer
"traditionellen Normalbiographie" fUr ausschlaggebend. Gille 1995, S. 134. KUrz1ich hat auch
Dieter KirchMfer anhand empirischer Untersuchungen von Tagesab1liufen ostdeu1scher Kinder
und von A.uBerung der Eltem das typische Sozialisationsklima ,,konventioneller" Selbstandig
keit in der DDR dargestellt. Die Kinder gestalten und koordinieren selbstandig ihren Tagesab
lauf, sie ,,folgen dabei in der Familie vereinbarten Regeln und Gewohnheiten, die den Tag bere
chenbar und uberschaubar werden lassen ... " und entwickeln einen ,,rationellen und souveranen
Umgang mit der Zeit ... " Kirchhofer 1996, S. 33. "In der Literatur wird die kindliche Arbeitslei
stung in der Familie und die damit verbundene reale Entlastung der Eltem als Indikator fUr
DDR-Kindheit gewertet. In den Interviews verweisen die Eltem zusatzlich auf den hohen erzie
herischen Wert einer solchen Arbeitsleistung, die zur Wertschlltzung der eigenen korperlichen
und auch fremder Arbeit, zu Mherer Sorgfalt gegenuber dem materiellen Inventar, zu Verant
wortung gegenfiber dem gemeinsam Erworbenem und zur Einbindung in die Familien f'ilhren
soli." Ebenda, S. 39.
109
her Kinder. Sie wurden daher friiher mit Verantwortungsrollen90 konfrontiert, mufiten also von einem friiheren Zeitpunkt an als im Westen Verantwortung fUr berufliche und familiare Belange ubernehmen. Die deutlich hOhere Erwerbsquote in der DDR, insbesondere die der Frauen bei jedoch gleichzeitig gro6eren Kinderzahlen pro Familie, erzwang ein hOheres Mall an Selbstiindigkeit fUr die Kinder und eine starkere Verantwortungsubernahme fUr hausliche Pflichten und Geschwister. Als dritte sozialisatorische Besonderheit kam die hOhere wertgestfttzte Bedeutung der Arbeit hinzu, die offensichtlich von "arbeitsfreudigen Viitern" (jedoch sicher auch Muttern91) weitergegeben wurde.
Es ist sinnvoll, die Durchschnittswerte der Allensbacher Liste nach Altersgruppen aufzugliedem, urn uber diese quasi-zeitreihenartige Aufteilung etwas uber das Sozialisationsklima in bestimmten Zeitabschnitten zu erfahren (als die Befragten jung waren). (Abbildungen 59-66) Am klarsten konvergiert das Bild, wenn die Befragten sich erinnern, sie seien "ziemlich streng erzogen" worden (Abbildung 59). Wir erkennen uber die Altersgruppen hinweg eine klare Abnahmetendenz von einer knappen absoluten Mehrheit in der iiltesten Gruppe der zwischen 1900 und 1930 Geborenen zu ungefahr einem Fiinftel bei den zwischen 1961 und 1974 Geborenen. Das ist der uberzeugende Gegentest zur beobachteten Aufwertung einer an Selbstentfaltung und Autonomie orientierten Erziehungsweise im Westen und den iihnlich ermittelten Ergebnissen im Osten.
In eine iihnliche Richtung verweisen Befunde der Jugendforschung.92 Aufschlufireich ist ein Zitat von Lederer, Nerger, Rippl, SchInidt und Seipel, die in ihren 1990 durchgefiibrten Untersuchungen etwas ungliiubig die fUr sie unerwartet wenig autoritar gepragten Erziehungserinnerungen ostdeutscher Jugendlicher zur Kenntnis nahmen: "Man wiirde erwarten, da6 die Erziehung in der DDR autoritiirer verlaufen ware als im Westen .... Die Jugendlichen sagen aber jedoch aus, da6 sie nicht streng erzogen wurden und da6 fast ebenso viele DDR-Familien die Jugendlichen Entscheidungen selbst treffen lie6en wie westdeutsche. "93 Auch Reu-
90 Vgl. Klages 1988.
91 Die Bestatigung dafilr fmdet sich im neuen Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1993-1997.
92 V gl. Literaturliste, Abschnitt Jugendforschung.
93 Lederer, Nerger, Rippl, Schmidt und Seipe11991, S. 595. Um diesen den Autoren etwas suspekt
erscheinenden Befund zu erklaren, gehen sie davon aus, daJ3 in den neuen Lindern "ein nach
westdeutschen MaBstaben eher autoritarer Erziehungsstil als verhiiltnismiifiig liberal empfunden
wurde." Lederer, Nerger, Rippl, Schmidt, Seipel 1991, S. 595. Ahnlich auch Melzer, der bei sei
nen Studien ebenfal1s zu iihnlichen Ergebnissen gekommen ist: "Dieses Ergebnis iiberrascht
nach all dem, was an Argurnenten und Daten zusammengetragen worden ist, urn die Emergenz
eines partnerschaft1ichen, liberalen Erziehungsstils in Westdeutschland zu begriinden, und kann
nur aus unterschiedlichen Standards der Erziehung in der ehemaligen DDR und der alten BRD
erklart werden." Melzer 1992, S. 39. Unterschiedliche Standards der Erziehung gibt es nun zwar
zwischen Ost und West (hohere Bedeutung von Sekundartugenden!), jedoch nicht hinsichtlich
no
band kommt aufgrund ahnlicher und zum Teil identischer eigener Retrospektivfragen wie in der Allensbacher Liste zu ahnlichen Befunden wie wir.94
Die Aufgliederung der Retrospektivdaten nach Altersgruppen bringt eine weitere Ahnlichkeit zwischen Ost und West im Verlaufsmuster der Erinnerung zum Vorschein, und zwarbeziiglich der Erinnerung daran, dafi man"in der Familie viel gemeinsam unternommen" habe (Abbildung 60). Hier gibt es allerdings beiderseits einen qualitativen Sprung in der Gruppe der zwischen 1961 bis 1974 Geborenen, in der die genannte Erinnerung mit fast 60 % vergleichsweise dominant wird.
Beziiglich der "Guten Manieren" (Abbildung 61) und der "Pfinktlichkeit" (Abbildung 62) gibt es zwar auch Abnahmetendenzen in Richtung der jiingeren Altersgruppen wie bei der Strenge der Erziehung. Dennoch sind diese Tendenzen vor allem im Osten wesentlich geringer und enden auf einem deutlich hOheren Endniveau bei der jiingsten Altersgruppe. 1m Osten gibt es bei den "Guten Manieren" seit der Gruppe der zwischen 1931 und 1945 Geborenen praktisch keine Abnahmetendenz mehr, so dafi sich hier die Entwicklung yom westdeutschen Trend abkoppelt, ein Hinweis auf einen Sonderweg in der DDR. Bezfiglich der "Pfinktlichkeit" startet der Osten auf einem deutlich hOheren Niveau als der Westen' urn sich jedoch ab der Gruppe der zwischen 1946 und 1960 Geborenen auf gleichem Niveau in den westlichen Trend einzufadeln. Hier wird praktisch ein frfiherer Sonderweg Ostdeutschlands (vor der DDR) in Richtung Westtrend eingeebnet.
Was die Erinnerung an fmanzielle Sorgen im Eltemhaus im Ost-WestVergleich betrifft, sind mit Ausnahme der aItesten Gruppe der zwischen 1900 und 1930 Geborenen die Unterschiede bei den ab 1931 Geborenen wiederum erstaunlich gering (Abbildung 63). Parallel zur historisch gewachsenen materiellen Wohl-
der beiderseitigen Ablehnung autoritlirer Erziehungsleitbilder und der beiderseitigen Hochschilt
zung personlicher Autonomie, wie wir gesehen haben. Weniger skeptisch noch Behnken 1991:
"Die Ergebnisse bestlitigen, daJ3 die Wandlungen der DDR-Familie zu einer Pluralisierung von
familialen Lebensstilen und Sozialisationsbedingungen gefUhrt hat, die quantitativ mit denen in
der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar sind. Bestimmend ist auch eine Tendenz zur Libe
ralisierung und Demokratisierung der Beziehungen." Behnken 1991, S. 118.
94 Reuband 1995. "Gleichgiiltig, ob man die Zeit unmittelbar vor dem Zusammenbruch des DDR
Regimes oder die Zeit davor zum MaJ3stab nimmt: Trotz bestehender Unterschiede im Grad au
toritirer Entscheidungsmuster in der Familie und den Beschwerdemoglichkeiten kann von
grundlegend anderen Verhiiltnissen im Osten nicht die Rede sein. Die Beschreibung der autoritli
ren Familiensituation ... fmdet sich in unseren Daten nicht wieder." Ebenda, S. 230 "Jrn Gegen
satz zu weitverbreiteten Annahmen unterscheiden sich die Familien in Ost und West nicht
grundlegend in ihrem Verhiiltnis zu ihren Kindem. Trotz unterschiedlicher politischer Systeme
mit unterschiedlichen offlZiellen Werten und anderen Formen gesellschaftlicher Einbindung er
weisen sich die Menschen im Osten keineswegs in ihren Sozialisationspraktiken als autoritlirer."
Ebenda S. 236.
III
fahrt nimmt in Ost und West von Altersgruppe zu Altersgruppe die Erinnerung an fmanzielle Schwierigkeiten deutlich ab, ohne das beide Seiten ein deutlich unterschiedliches Niveau aufweisen. Es konnte sein, daB die egalitare Verteilung (auch fiber die Subventionierung des Lebensgrundbedarfs) in der DDR das im Vergleich zur BRD nur etwa halb so hohe Wohlfahrtsniveau (von der Wirtschafisleistung und den Einkommen her betrachtet95) kompensiert hat, so daB im retrospektiven Empfmden beider Seiten ein Verschwinden des materiellen Mangels erkennbar wird. (Wobei natfirlich die qualitative Seite des materiellen Lebensniveaus hier nicht abgebildet wird.)
AufschluBreich ist auch die altersgruppenspezifische Analyse der Unterschiede in den Erinnerungen an die Kindheit in Ost- und Westdeutschland. Die Unterschiede in den Erinnerungen an die "arbeitsfreudigen Vater" (Abbildung 64) beruhen offensichtlich auf den unterschiedlichen Sichtweisen der zwischen 1900 und 1930 Geborenen und der zwischen 1961 und 1974 Geborenen in Ost und West. Die beiden ersten "BRD- und DDR-Generationen", die in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg sozialisiert wurden, unterscheiden sich in dieser Hinsicht kaum. Erst in der jfingsten Altersgruppe, die in den 70er und 80er Jahren sozialisiert wurde, "verfallt" in der Erinnerung der Befragten die Arbeitsfreude der Westvater, wahrend die der Ostvater fast ungebrochen bleibt.
Die Erinnerung, dafi ihre Eltern nicht viel Zeit fUr sie hatten, ist in allen Altersgruppen des Ostens hOher als im Westen, jedoch in Erinnerung der jfingsten Gruppe beiderseits stark reduziert (Abbildung 65). Besonders auffallig ist der Unterschied zwischen der zweiten DDR- und BRD-Generation. Dort diirfte wohl der Effekt der breiten Qualiftkationswelle und der Erwerbsmobilisierung der Frauen in den 60er und 70er Jahren in der DDR durchschlagen.
Das wohl auffalligste abweichende Erinnerungsmuster zwischen Ost und West betrifft die Erinnerung an friihe Selbstandigkeit. Nur in der jfingsten Kohorte schwenkt der Trend der DDR in das (relativ konstante) bundesdeutsche Muster ein (Abbildung 66). Das abweichende ostdeutsche Muster besteht schon in der aItesten Altersgruppe (sogar am starksten) und ist in den beiden folgenden DDR und BRDGenerationen noch stark ausgepragt.96
95 Vgl. Hradil 1994. Pro Erwerbstiitigen bzw. pro Arbeitsstunde war die Wirtschaftsleistung noch
geringer als die Hlilfte (zum Einkommensniveau im Ost-West-Vergleich auch Geimer 1992). 96 Die Interpretation der Ost-West-Unterschiede in der altesten Altersgruppe der zwischen 1900
und 1931 Geborenen ist am schwierigsten, weil nicht gekliirt werden kann, wieviele Vertriebene
oder auch DDR-Ubersiedler in der Westgruppe enthalten sind. Diese Zugiinge bringen ja ihr
Sozialisationsmuster bereits mit. Vor allem die flilhen DDR-Obersiedler in den Westen dllrften
ja sozial eher selektiv sein, weil in der ersten Zeit ein GroBteil der Oberschichten und des Bil
dungsbllrgertums aus dem Land getrieben wurden, die mit Sicherheit stark schichtspezifische
Sozialisationsbesonderheiten mitgebracht haben. Sollten diese Effekte quantitativ dennoch nicht
so stark durchschlagen, dann waren Erklarungsmuster flir teils erhebliche Unterschiede zum ei-
112
Erschliefit man zusanunenfassend die familiare und lebensweltliche Sozialisation in der DDR, dann fallt also folgendes auf:
a) Die wichtige Bedeutung der SelbsUindigkeitsdisposition: Diese hat im Osten jedoch eine andere Farbung als im Westen. Sie ist starker "konventionell" eingefiirbt und weniger "experimentell" als in Westdeutschland. Selbstlindigkeit hiefi im Osten, friihzeitig Verantwortung zu iibemehmen, im Westen stand wohl eher die Vorstellung dahinter, erst einmal ungebunden das Leben "auszuprobieren". Das erklart einen Befund Beckers, nach dem Ostdeutsche signifikant weniger spontan, improvisationsfreudig und erlebnishungrig sind; Eigenschaften, die negativ mit der bei Ostdeutschen stlirker anzutreffenden Verhaltenskontrolle korrelieren. Man kann das mit der geringeren Bedeutung der jugendlichen "Experimentieq>hase" in der DDR erklaren und einer friiberen Orientierung hin auf eine "erwachsene" Lebensfiihrung.97
b) Selbstandigkeitsdisposition und Sekundartugenden lehnen sich offensichtlich stark an den in Ostdeutschland wesentlich wichtigeren Lebensbereich Arbeit an.
1m Wertesurvey 1997 haben wir ein erweitertes Instrument der Erziehungserinnerungen eingesetzt, das in der folgenden Tabelle 8 dokumentiert ist.
nen der Gegensatz von Protestantismus (Nord/Ost) und Katholizismus (SQd/West), der sieh etwa
in groBerem Individualismus, Liberalismus und einer starker ausgepragten protestantisehen Ar
beitsethik zeigen sollte, zum anderen jedoeh aueh der griiBere Industrialisierungs- und Proleta
risierungsgrad (aueh der Frauen) vor dem Krieg im Gebiet der spllteren DDR (dazu Niiheres im folgenden Absehnitt).
97 Becker zeigt, daB Verhaltenskontrolle mit dem Lebensalter ansteigt, begrQndet das allerdings
nieht biologiseh, sondem sozialisatoriseh. Mit zunehmendem Alter werden (aueh negative) Er
fahrungen gesammeh und es steigt der soziale Erwartungsdruek, VerantwortungsQbemahme
wird gefordert. Dieser soziale Verantwortungsdruek stellte sieh den frQher ins Berufs- und eige
ne Familienleben einsteigenden Ostdeutsehen damit wesentlieh starker, was zu einer deutliehe
ren Intemalisierung bereits injQngeren Jahren fi1hrte. Becker 1990, S. 26.
113
Tabelle 8: Erinnerungen an die Kindheit und das Elternhaus (Wertesurvey 1997)
Trotz aller Probleme ruellen wir in der Familie immer fcst zusarnmen Meine Eltem aben mir viel Liebe
Jch erhielt zu Hause viele kulturelle Wld gei tige Anre en Ich habe meinen Eltem oft \ id
Quelle: Wertesurvey, Hohe Zustimmungen (Skalenpunkte 6,7) auf einer 7erSkala von l-"trifft uberhaupt nicht zu" bis 7 "trifft voll und ganz zu", Klammerung: alle Zustimmungen (Skalenpunkte 5-7), alle Angaben in Prozent
In ganz Deutschland erinnert man sich nach unserem Modell am deutIichsten daran, daB die Familie trotz aller Probleme zusammenhielt, daB man von den Eltem viel Liebe bekam, daB auf Ordnung geachtet und frUh zur Selbstandigkeit erzogen wurde. Dem entspricht die Ablehnung der Statements, daB die Eltem sich wenig urn einen gekUmmert hiitten, daB es viel Streit zu Hause gegeben hiitte, daB einem fast jeder Wunsch erfullt wurde und daB man tun und lassen konnte, was man wollte.
Ausgepragte Strenge und Religiositat (diese noch starker im Osten) spiel en im Durchschnitt der Befragten keine besonders grofie Rolle, was, wie bereits gesehen, erhebliche Unterschiede zwischen jtingeren und alteren Jahrgangen verbirgt. Unser Instrument enthullt auch, daB aktivierende Elemente der Erziehung "knapp" sind, wie z.B. die Vermittlung von kulturellen und geistigen Anregungen und daB die jungen Menschen oft gelobt wurden. Besonders die "Anregungen" sind das "Privileg" einer schichthoheren Herkunft, im Westen allerdings starker als im Osten.
114
Dieses Familienmodell des liebevollen Zusammenhalts, des OrdnWlgsrahmens mit den ersten Schritten in die Selbstltndigkeit ist allerdings in Ostdeutschland pragnanter ausgepragt. Auch die "knapp en" aktivierenden Merkmale, die AnregWlgen Wld das Loben werden im Osten after genannt. Das aktivere Wld leicht harmonischere ErziehWlgsmuster im Osten kulminiert dann auch in der viel hOheren ZustimmWlg auf die Vorgabe: "Meine Eltern sind auch heute noch Vorbilder fUr mich. "98
Aus dem ostdeutschen ErziehWlgsmuster laBt sich zunachst die hOhere BedeutWlg von Werten der konventionellen Pflicht- Wld Akzeptanz herleiten. In Zusammenhangsanalysen fiberlagert das ErziehWlgsmuster den Ost-West-Unterschied, so daB gesamtdeutsch das Vorhandensein dieses Musters Werte der Konvention besser erklart als die bl06e Herkunft aus Ost Wld West. Das Modellliefert auch Hinweise fUr das stlirkere Vorkommen von Aktiven Realisten in den neuen Uindern. Realisten hatten in Ost Wld West das "Privileg", daB sie in einer stabilen Wld geordneten Familienatmosphare aufwachsen, die jedoch gleichzeitig friihe Selbstltndigkeit Wld VerantwortWlgsUbernahme farderte Wld aktivierend wirkte (durch AnregWlg Wld Lob). Nur war dieses Modell eben bisher im Osten starker ausgepragt.99
98 Die Korrelationsstruktur dieser Vorbildwirl<:ung ist allerdings in Ost und West recht iihnlich.
Liebe und Familienzusammenhalt sind am erldilrungskriiftigsten dafUr, Vemachliissigung und
Streit klar negativ mit der Vorbildwirl<:ung korreliert. Besonders positiv wirl<:en auch die Anre
gungen und das Loben, weiterhin auch die Selbstiindigkeit und die Verantwortungsllbertragung
(allerdings eher im Osten). Die Erinnerung an oftmaliges eigenes Widersprechen wirkt aller
dings im Osten negativer als im Westen, die Erziehung zu Ordnung dagegen positiver. Die
"Ordnung" der ostdeutschen Familie wirld damit insgesamt fester strukturiert als die der west
deutschen. Diese festere "Ordnungsstruktur" war auch in den kognitiv-psychischen Strategien
ostdeutscher Versuchspersonen bei der Uisung von Aufgaben zu erkennen. V gl. Strohschneider
1996.
99 Gleichzeitig bestiitigt auch unser Modell die siikulare Liberalisierungstendenz der Familienatmo
sphllre anhand der Korrelationen mit dem Alter der Befragten. Die Erinnerung an religi6se Er
ziehung hat die stllt'kste positive Verbindung zum Lebensalter, gefolgt von der Strenge der Er
ziehung und der Erziehung zur Ordnung. Umgekehrt ist die Widerspruchsneigung und auch die
hiiufigere Erinnerung an Streitigkeiten mit Jugendlichkeit verknllpft, in den alten Undem auch
das Laissez-faire. Eine leichte, aber hochsigniflkante Korrelation mit Jugendlichkeit hat in Ost
und West auch die "Wunscherfilllung". Die Korrelation von "Ordnung" und Alter ist allerdings
in den neuen Undem nur etwa halb so groB wie in den alten, die der Strenge betrilgt etwa 60 %
der westdeutschen, was unsere "Ordnungsthese" bezllglich der ostdeutschen Familie stOtzt.
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2. Sozia/istische Sozia/isation
2.1 Sozialistisches System und Modemisierung
Das sozialistische System sowjetischer Pnigung, das nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der DDR eingeftihrt wurde, wird im breiten Konsens als wenig auf personliche Freiheit und persenliche Selbstiindigkeit seiner BUrger hin angelegt angesehen. Als autoritiirem Regime mit Zentralverwaltungswirtschaft fehlte der DDR die freie Bediirfnisennittlung und -befriedigung fiber den Markt und die freie politische Willensbildung durch die Konkurrenzdemokratie.
Wie konnte in diesem System personliche Selbstiindigkeit wenn auch mit konventioneller Einfarbung zum lebensweltlich pragenden Sozialisationsmuster werden? 100
Die Erklarung liegt darin, da6 die BUrger der DDR den reglementierenden Anmutungen des Systems se/bstbehauptende Verhaltensweisen entgegensetzten und da6 sie Freiriiume fUr eine selbstiindige Lebensgestaltung im oder neben dem System nutzten oder erldimpfien. Selbstbehauptende Verhaltensweisen waren z.B. die FIucht in den Westen, (inoffizieller) Streik und Leistungsverweigerung, Entfaltung und Riickzug im Privatleben, Westfernsehen, Westkontakte und Orientierung an Weststandards. Freiraume entstanden auch systemimmanent durch die Unmoglichkeit (von Mises, Popper) einer funktionierenden gesamtgesellschaftlichen Planwirtschaft und deren regelma6igen Umschlag in die Chaoswirtschaft auf der einen Seite und als Folge des forcierten Modemisierungsanspruchs der SEDFiihrung auf der anderen.
100 Besonders verdienstvoll sind die sozialisatorischen Forschungen, die am Max-Planck-Institut fllr
Bildungsforschung ilber die DDR-Bevolkerung durchgeftlhrt wurden. Vgl. Huinink, Mayer
1993. Nach eigenem Bekunden suchten die Forscher nach der ,,'Antithese' in der DDR
Gesellschaft, und das heiSt nach marktmaBig organisierten Formen einer modemen btlrgerlichen
Gesellschaft ... " Ebenda, S. 151. Nach Auswertungen einer Vielzahl ostdeutscher Biographien
kamen sie zu dem Schlu8, "daB man keineswegs von einer Uniformitilt oder durchgllngigen in
stitutionellen Steuerung von Lebensverlaufen in der DDR sprechen kann. Man kann auf eine
betrachtliche Relevanz nicht durch den Apparat kontrollierter bzw. von ihm nicht intendierter
Selbststeuerungsmechanismen schlie8en ... " Ebenda, S. 151 ,,In betriichtlichen Teilen der DDR
Realitllt, so die resilmierende These, spielten (quasi-)marktmaBig organisierte soziale und ako
nomische Strukturen eine gro8e Rolle. Sie erwiesen sich fllr die Individuen a1s efftzienter als die
Steuerungsmaschinerie des DDR-Staates, die sich aufgrund ihres Totalitlitsanspruchs ad absur
dum ft1hrte." Ebenda, S. 155. Diese Analysen sind ein Schlilssel zum Verstllndnis dafllr, daB im
Vergleich von Wertorientierungen zwischen Ost und West die sogenannte "StrukturlJ.ypothese"
scheitert, die hahere Strukturchancen fllr den Individualismus in der a1ten BRD gegenOber der
DDR vorhersagt Auf das Scheitem der S1rukturhypothese hat Heiner Meulemann hingewiesen.
Vgl. Meulemann 1995.
125
Der Uberlegenheitsanspruch der Parteifiihrung gegeniiber dem Westen und ihr Wunsch nach industrieller Modemisierung hatte in der DDR eine Bildungsexpansion zur Folge, die wiederum Anspriiche auf individuelle Freiraume forderte. Diese Anspriiche wollte man insbesondere seit den 70er Jahren in den privaten Bereich und in den Konsum lenken. Die gewiinschte Ruhigstellung des menschlichen Entfaltungsstrebens wurde jedoch langfristig nicht erreicht. Die Liberalisierung der privaten Sphare und des Konsumverhaltens trieb die individuelle Anspruchsbildung immer weiter voran, bis sie endgiiltig mit den Moglichkeiten des Systems kollidierte.
Das Festhalten am eigenen Modemisierungsanspruch nach dem marxistischleninistischen Modell setzte also in der DDR eine subjektive Dynamik in Gang, die letztlich vom System nicht mehr beherrscht wurde.
Kann man jedoch ohne das Vorhandensein von Marktwirtschaft und Konkurrenzdemokratie in der DDR fiberhaupt von Modemisierung sprechen?
Mir scheint, dafi prominente Modemisierungstheoretiker wie Wolfgang Zapf den Modernitatsbegriff allzu eng an diese Kategorien binden. Modemisierung beginnt jedoch historisch in Form der "Industriegesellschaft", und wichtige Voraussetzungen der Modernisierung gehen noch weiter zuriick. 101 Da die DDR ein Industriestaat war, wovon auch Zapf ausgeht, war sie auch eine moderne Gesellschaft. Weiterfiihrender scheint mir Stefan Hradils Unterscheidung zwischen westlich-kapitalistischen und ostlich-sozialistischen Gesellschaften zu sein. Er schlagt fUr die jeweils unterschiedlichen Modemisierungsstrategien dieser Gesellschaftstypen die Begriffe subjektive und objektive Modernisierung vor.
Diese modernisierungstheoretische Sichtweise scheint mir besser geeignet zu sein, die gesellschaftliche und damit letztlich die Mentalitatsdynamik in sozialistischen Landern insbesondere in der DDR zu erklaren: ,,1m Gegensatz dazu meine ich, dafi man von konkreten gesellschaftlichen Institutionen und Merkmalen lassen sollte, wenn man festlegen mochte, was "modern" hellit. Ich wiirde vorschlagen, unter "modern" bzw. "Modemisierung" die Ausrichtung von Politik und Gesellschaft nach bestimmten abstrakten Leitlinien zu verstehen, wie sie im Zuge der Renaissance und Reformation seit dem 16. Jahrhundert ... entwickelt wurden und seit der Aufklarung vom 18. Jahrhundert an zunehmend politisch eingefordert wurden"102. Dieses Vorgehen scheint mir zum einen eine breitere historische Einbettung des Modemisierungsbegriffs zu ermoglichen, zum anderen einen besseren Vergleichsrahmen fUr Ost -West-Vergleiche zu schaffen. Nach Hradil sind die allgemeinsten Leitlinien der Modernisierung folgende: 103
101 "Das heiBt: Jede Industriegesellschaft ist modem, aber nicht jede moderne Gesellschaft muB eine Industriegesellschaft sein," Hradi11993, S. 180.
102 Hradi11992, S. 179. 103 Ebenda.
126
ein linearer Zeitbegriffund Fortschrittsdenken,
das Wachstum individueller Optionen und individueller Freiheit (im Sinne der Losung von Bindungen),
Sakularisierung,
Zweck-Mittel-Rationalitat, damit verbunden analytisches, objektivierendes, auf Nutzen und Effektivitlit zielendes Denken.
Die moderne Gesellschaft tritt zunachst in Form der Industriegesellschaft in Erscheinung. Die Industriegesellschaft zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: 104
Mechanisierung,
Unselbstlindige Erwerbsarbeit und industrielle Massenproduktion,
"Sparsame" Bevolkerungsweise,
Klein- und Normalfamilie,
Standardisierte LebensUiufe,
Massenbildung,
Berufshierarchie,
W ohlfahrtstaat und Grofibiirokratien.
Mit dem folgenden Abbildungzyklus solI anhand einiger Kemindikatoren die These untermauert werden, daB Ost und West als Industriegesellschaften ahnliche GrundzUge aufweisen.
Namensgebend fUr Industriegesellschaften ist die Dominanz industrieller und gewerblicher Produktion. Die Industrialisierung, die in West- und Mitteleuropa bereits Ende des 19. Jahrhunderts fortgeschritten war, fUhrte zum drastischen Riickgang des agrarischen Wirtschaftssektors und damit zur Abwanderung der Landbevolkerung in die wachsenden, industriell gepragten Stlidte.
In Deutschland vollzog sich von 1871 bis 1910 ein schneller Prozefi der Verstlidterung. Lebten 1871 noch ca. 60 % in Gemeinden unter 2.000 Einwohnern, so hatte sich deren Anteil bis 1939 auf ca. 30 % verringert. Zu diesem Zeitpunkt lebte mit mehr als 30 % schon ein hOherer Anteil der Deutschen in Grofistlidten mit fiber 100.000 Einwohnern. In den 30er Jahren hatte sich in Deutschland im wesentlichen die neue Grundstruktur zwischen Stadt und Land herausgebildet. In der BRD anderte sich nach dem Krieg die Siedlungsstruktur etwas dynamischer in Richtung Grofistadt als in der DDR. DaB seit den 70er Jahren in der Bundesrepublik die landlichen Gemeindegrofien unter 2.000 Einwohner nahezu verschwunden sind, ist allerdings eher Resultat der Gebietsreformen als der realen Veranderung der Siedlungsweise.
104 Ebenda, S. 180.
127
Die DDR war traditionell etwas klein- und mittelstadtischer gepragt als Westdeutschland. In den letzten Jahrzehnten der DDR nahm der Anteil der Bevolkerung in den mittleren und grofieren Stadten zu, insbesondere dadurch, dafi die noch am ehesten attraktiven Grofistadte und Kreiszentren Zuwanderungsgewinne hatten. Dennoch blieb in der DDR im Unterschied zur BRD ein landlicher "Sockel" von etwa 20 % der Bevolkerung erhalten (vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Thiiringen).
In den sozialistischen mitte1- und osteuropaischen Landern begann dagegen die eigentliche industriegesellschaftliche Dynamik erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere Agrarlander wie Rumanien, Polen und weite Teile der Sowjetunion erlebten heftige Modernisierungsschiibe (Abbildung 67). In Rumanien verdoppelte sich der Anteil der Stadtbevolkerung von 1950 bis 1989 von ca. 25 % auf tiber 50 %, in Polen stieg der Anteil von ca. 40 % auf 60 %, in der Sowjetunion auf ca. 65 %. Die CSSR ist seit 1980 etwa auf dem Niveau der DDR, die jedoch schon 1950 einen Urbanisierungsgrad von ca. 70 % hatte.
Komplementare Verschiebungen gab es bei den Wirtschaflssektoren. Es stellt sich hier ein "ahnliches Landerranking" wie beziiglich der Urbanisierung ein: Die DDR ist bereits von ihrer Griindung an eine Industriegesellschaft mit dominierendem gewerblichen Sektor und nur einem Viertel der BescMftigten in der Landwirtschaft (Abbildung 68). Rumanien ist unter den ausgewiesenen Landern das agrarischste Ostblockland, dann folgen Polen und die Sowjetunion, schliefilich die CSSR. In Rumanien verringerte sich der Agrarsektor von 1950 bis 1989 von tiber 70 % auf ca. 30 %. Die CSSR ist 1989 etwa auf DDR-Niveau.
Das spatere Gebiet der DDR war gegentiber dem spateren Bundesgebiet sogar deutlich starker gewerblich und industriell gepragt. Der Anteil des gewerblichen Sektors lag bei 48 % Ost gegentiber 42 % West, dagegen lag der Agrarbereich im Westen bei 27 %, im Osten nur bei 22 % (Abbildung 69). 1m gewerblichen Sektor war auch der Anteil der erwerbstatigen Frauen hOher: In der spateren Ostzone arbeiteten bereits mehr Frauen im gewerblichen (35 %) als im landwirtschaftlichen Sektor (32 %). In den spateren Westzonen waren es dagegen 42 % in der Landwirtschaft, 23 % im Gewerbe. Demzufolge war der Osten auch proletarischer als der Westen gepragt, im Osten waren 1939 von 100 Erwerbspersonen 57 Arbeiter, im Westen nur 48 (Abbildung 70). Dafiir war der Anteil der Selbstandigen und Mithelfenden im Westen grofier: 34 % im Westen versus 25 % im Osten. Es gab also auch schon vor der Teilung Deutschlands zwischen den spateren Ost- und Westzonen charakteristische Unterschiede im Grad der Auspragung einer klassischen Industriegesellschaft. Dieser Prozefi war vor der Teilung im Osten weiter fortgeschritten als im Westen.
Mit der Industriegesellschaft andert sich die Bevolkerungsweise drastisch. Die Geburtenraten gehen dramatisch zurUck, die Sauglingssterblichkeit sinkt und die Lebenserwartung nimmt zu. Das Bevolkerungswachstum verlangsamt sich zusehends. Diese "sparsame" Bevolkerungsweise bedeutet, dafi zwar immer weniger
128
Kinder geboren werden, dafijr jedoch viel mehr uberleben und die lebenden Menschen immer alter werden. Durch den Ausbau und das zwtehmende Greifen der Sozialversicherungssysteme werden fUr die Menschen Kinder nicht mehr a1s "Altersvorsorge" notwendig. Die Veroesserung der Hygiene und des Gesundheitswesens senken die Sauglingssterolichkeit und das Steroerisiko (z.B. bei Krankheit) uberhaupt.
Betrachtet man die Entwicklung der Geburtenraten in verschiedenen sozialistischen Lmdern, dann fallt wieder eine aImliche Uindercharakteristik wie bezfiglich der Siedlungsstruktur und der Agrarisierung auf. Am "riickstlindigsten" sind Polen, die Sowjetunion und Rumlinien (Abbildung 71). 1m Mittelfeld liegen die CSSR und Ungaro, die sich in den 80em schlielUich ungefahr auf DDR-Niveau bewegen. FUr die DDR als einer bereits ausgepragten Industriegesellschaft ist der dramatische Fall der Geburtenrate 1950 schon Geschichte. Parallel zur BRD gibt es dort in den Nachkriegsjahrzehnten mit dem Babyboom der 50er und 60er Jahre eher eine gegenlliufige Entwicklung, in der die Geburtenraten zeitweilig wieder steigen.
In den 70er und 80er Jahren greifen dann in der DDR die sozialpolitischen Ma6nalunen zur Forderung junger Familien. Mit bevorzugter Wohnungsvergabe und giinstigen Krediten wurden junge Ehen gefordert und mit dem Ausbau des Krippen- und Kindergartensystems die Vereinbanmg von Berufsmtigkeit und Mutterschaft erleichtert. Die Geburtenrate steigt wieder an, urn in der Endzeit der DDR dennoch wieder zurUckzugehen.
Der Modemisierungsvorsprung der DDR im Ostblock zeigt sich nicht nur an der BevoIkerungsweise, sondem auch anhand einiger Indikatoren der privaten und familiaren Lebensweise, die fortgeschrittenen westlichen Lmdem recht nahe kommen. In der Tendenz zu kleineren Haushalten von Kemfamilien mit weniger Kindem ist die DDR 1990 ahnlich weit fortgeschritten. Privathaushalte bestanden 1990 in Westdeutschland durchschnittlich aus 2,25 Personen, in Ostdeutschland aus 2,4 Personen. Zurn Vergleich: 1950 bewegte sich die durchschnittliche Haushaltsgrofie im Westen bei 3 Personen (Abbildung 72). Die sozialpolitischen Ma6-nalunen hatten in der DDR den Effekt, daB es dort 1990 etwas mehr 3- und 4-Personenhaushalte gab, also vor allem Haushalte mit Kindem und weniger Singles als im Westen. Grofie und Drei-Generationen-Haushalte spielen beiderseits keine Rolle. In der DDR gab es alillerdem mehr Alleinerziehende und uneheliche Lebensgemeinschaften.
Vergleicht man die Entwicklung von Eheschliefiungs und Scheidungsquoten in der DDR und der BRD, fallen Ahn1ichkeiten und Unterschiede auf (Abbildungen 73 und 74). Ahn1ich ist, daB in Ost und West von 1950 bis 1970 die Eheschliefiungsquote fallt. In der DDR pegelt sie sich im Gefolge der sozialpolitischen Ma6nalunen seit den 70em auf ein konstant hOheres Niveau als im Westen ein. In der BRD fallt die Quote bis 1980 weiter, urn sich dann vorlaufig zu stabilisieren.
Bei den Scheidungsquoten haben wir ein durchweg aImliches Verlaufsmuster in Ost und West. Die Quoten sind allerdings in der DDR immer auf hOherem Niveau
129
als in der BRD. Die Quote flUlt beiderseits deutlich zwischen 1950 und 1960, urn dann vor allem seit 1970 bis Mitte der 80er Jahre drastisch anzusteigen. In der zweiten Halfte der 80er bleibt die Scheidungsquote dann vorliiufig konstant.
Mit der Entwicklung der Scheidungen und auch der Entwicklung der Quote unehelicher Geburten partizipiert die DDR an Entwicklungen, die fUr fortgeschrittene moderne Gesellschaften typisch sind und unterscheidet sich daher von den nachholend industrialisierten Liindern des Ostens. 1m europaischen Vergleich, z.B. der Nichtehelichenquote und der ScheidungsquotelOS, eilt die DDR sogar der Entwicklung in der Bundesrepublik weit voraus und bewegt sich eher in der Niihe von Landern wie Diinemark, Frankreich oder Grofibritannien (Abbildungen 75 und 76).
Ahnlich fortgeschritten wie die Bevolkerungs- und Lebensweise war in der DDR die fUr die Industriegesellschaft typische Massenqualifikation und die fOr die fortgeschrittenen Industriegesellschaften zunehmend wichtige Hochqualifikation der Bevolkerung durch die Bildungsexpansion106 (Abbildung 77). 1955 lag die Quote der Un- und Angelernten im dominanten sogenannten "sozialistischen" Sektor der Volkswirtschaft noch bei ungefahr 70 %. Sie reduzierte sich bis 1988 auf rund 15 %. Die Facharbeiterqualifikation wurde zur beruflichen Standardqualifikation in der DDR. Gleichzeitig verbreiterte sich die Bildungselite mit Fachund Hochschulabschlufi (1988 jeweils 14 % und 8 %).
Auf die gesamte Bevolkerung ab 14 Jahren umgelegt, ergibt sich fUr 1991 nach Allensbacher Umfragedaten folgendes Bild: Keinen beruflichen Abschlufi weisen
lOS Bei den Unterschieden zwischen der DDR und der BRD bei der Nichtehelichenquote und zurn
Teil auch der Scheidungsquote miissen auch die unterschiedlichen rechtlichen und okonomi
schen Rahmenbedingungen beriicksichtigt werden. Man beachte die gegeniiber den Rechten des
Mannes gegeniiber einem nichtehelichen Kind geradezu antiquierte Rechtslage im Westen
(praktisch keinerlei Rechte fiir den Mann) und die rechtlich komplizierteren, vor aHem okono
misch sehr kostspieligen Umstande einer Scheidung in der BRD (zu beachten sind auBerdem die
okonomische Absicherung der Frauen in der DDR iiber Qualutkation und Beruf und die Bevor
zugung alleinstehender Frauen bei der Vergabe von Krippen- und Kindergartenpilltzen). Zu
Unterschieden und Gemeinsantkeiten Nauck, Schneider, Tolke 1995.
106 Vgl. GeiBler 1992 ,,In der DDR war die gesellschaftliche und okonomische Bedeutung der
Bildung eher erkannt worden als in der BR. Die Bemiihungen um moglichst gute Bildungschan
cen fiir aile und urn die Ankurbelung der 'wissenschaftlich-technischen' Revolution hatten zur
Folge, daB sich die sekundllren und tertillren Bildungssektoren frilher ausdehnten." Ebenda, S.
217. Die Ausdehnung insbesondere des tertillren Sektors der Schulbildung und die Studenten
zahlen stagnierten in der DDR jedoch seit den 70er Jahren (darauf gehen wir im nllchsten Ab
schnitt ein). In der systematischen HoherqualulZierung der erwerbstlltigen Bevoikerung (icn
breiten AusmaB) war die DDRjedoch bis zurn SchluB iiberlegen, was sich vor allem am geringe
ren Anteil Ungelemter zeigt. "Die Gesamttendenzen dieser Entwicklung verlaufen in beiden Ge
sellscha.ften gleich. Die Schiibe der HoherqualulZierung erfolgen jedoch in der DDR friiher und
zahlenmilBig umfangreicher als in der BR." Ebenda, S. 213.
130
in den alten Liindern 30 % der Bevolkenmg, jedoch nur 14 % in den neuen Landern auf. Nach der Al1ensbacher Kategorisienmg geht dieser Unterschied vor al1em auf 10 % mehr Lehrabschliisse und 5 % mehr Hochschulabschliisse in den neuen Liindern zuriick (Abbildung 78).
Werden diese Durchschnittsdaten nach Altersgruppen und Geschlecht aufgegliedert (Abbildungen 79 und 80), erkennt man, da6 diese Reduktion des "Unge1erntensocke1s" mehr oder weniger al1e A1tersgruppen des Ostens betrifft, wobei eine zunehmende Reduktion gegen 0 bis zur Gruppe der 1991 30-44jahrigen zu erkennen ist. 107 Der hohere QuaIifikationsgrad der iilteren Altersgruppen im Osten (vor allem in der iiltesten Gruppe) muB mit den starken Bemiihungen urn Nachqualif"Ikation der bereits aus dem nonnalen Ausbildungsalter ausgetreten Menschen erklart werden. Von dem Nachqualifizierungseffekt scheinen die Frauen in der DDR, insbesondere die 60jahrigen und iilteren, in geringerem MaBe profitiert zu haben (Abbildung 80). lhre Hoherqualifizierung geht starker auf die folgenden Altersgruppen zuriick. Ab den 30-44jahrigen Frauen ist die (grob erfaBte) Qualifizierungsstruktur an die der Miinner angeglichen.
Die Struktur der schulischen Bildungsabschliisse ffir die ab 14jahrige Bevolkerung (nach Allensbach) ergibt im Durchschnitt ebenfalls ein (al1erdings nur leichtes) Vorauseilen der ostdeutschen Bevolkerung in Richtung htiherer Bildungsabschliisse, das vor allem auf einen htiheren Anteil tertiarer Abschliisse zuriickgeht (Abbildung 81). 1m Vergleich der Altersgruppen erkennt man zunachst htihere Anteile von Mitte1schulbildung in den iilteren zwei Gruppen im Westen (Abbildung 82). Dann schlagt die obligatorische lOjahrige po1ytechnische Einheitsschule bei den zwei jiingsten Gruppen zugunsten der Mitte1schulabschliisse in den neuen Lander durch. AuBer in der jiingsten Altersgruppe sind die Anteile tertiarer Abschliisse in den neuen Landern durchweg htiher, was sowohl auf die friiher einsetzende Bildungsexpansion a1s auch auf Nachqualifikation der Alteren zuriickgeht. In der jiingsten Gruppe werden die Folgen der Limitierung des Abiturzugangs in der DDR seit den 70er klar erkennbar, indem der Anteil der Abiturabschliisse in den neuen Landern nur halb so hoch ist wie in den alten Landern. 108
107 In der Gruppe der 14-29jiihrigen haben wir beiderseits wieder hahere Anteile von Befragten
ohne AbschluB, weil hier ein groBer Teil aufgrund des Alters naturgemaB noch in der Ausbil
dung ist, also noch keinen AbschluB haben kann. Die haheren Anteile von Hochschulabschliis
sen in der jiingsten Gruppe (trotz der spater noch zu behandelnden Limitierung des Abitur- und
Hochschulzugangs in der DDR seit den 70ern) erkliiren sich aus dem kiirzeren Abiturerwerb (2
Jahre, d.i. mit der 12. Klasse), vor aHem aber aus der kiirzeren Studienzeit im Osten (in der Re
gel 4 bis 5 Jahre), so daB trotz geringerer absoluter und relativer Studienbeteiligung dennoch be
reits mehr Abschliisse vorhanden sind.
108 Diese vergleichende Analyse der schulischen und beruflichen Ausbildung anhand der Verande
rung der Bildungsbeteiligung und der Verteilung von Kategorien von Ausbildungsabschliissen
in der BRD und der DDR ist natiirlich quantitativer Art. Auf die verschiedenen Bildungsinhalte
131
Der empirische Vergleich der DDR mit den Ostblockstaaten, mit der Bundesrepublik und anderen fortgeschrittenen westlichen Gesellschaften in wesentlichen objektiven Kernbereichen der Modernisierung ergibt ein differenziertes Bild:
a) Zum einen war die DDR eine klassische Industriegesellschaft mit dominierend em gewerblichen Sektor, hohen Quoten abhangig Erwerbstatiger, stadtischer Siedlungsweise und sparsamer Bevtilkerungsweise und mit fortgeschrittener Massenqualiflkation.
b) Die DDR weist jedoch einige Merkmale fortgeschrittener Industriegesellschaften auf, die sie der Bundesrepublik und anderen westlichen Gesellschaften ahnlicher macht als tistlichen Gesellschaften. Das hangt mit den Voraussetzungen der Nachkriegsentwicklungen zusammen: Die damalige Ostzone teilte mit den Westzonen die Startbedingungen einer bereits voll ausgepragten Industriegesellschaft mit einem dominanten gewerblich-industriellen Sektor, sie hatte in dieser Hinsicht einen Modernisierungsvorsprung. Die Ostblocklander waren nach dem Krieg noch mehr oder weniger agrarisch gepragt und mufiten die Industrialisierung zum grofien Teil noch nachholen.
132
Es waren jedoch nicht nur die Startbedingungen: Die DDR partizipierte auch an einigen gesellschaftlichen Veranderungen, die fUr fortgeschrittene Industriegesellschaften typisch sind: Ein ausgebauter Sozialstaat, die Expansion
konnen wir hier nicht naher eingehen und unterstellen eine Vergleichbarkeit zwischen Ost und
West (davon gehen auch viele Autoren aus). Schmeling 1995 triffi einige Aussagen zu den Be
sonderheiten des schulischen und beruflichen Ausbildungssystems in der DDR. Am Bildungs
system der DDR hebt er (meines Erachtens etwas iiberakzentuiert) unter anderem die konse
quente Berufsorientierung hervor, die Zentralitiit des Wertes "Arbeit", Gruppenorientierung,
Atheismus, Vorrang der Wissensvennittlung und Wissensaufnahme, naturwissenschaftlich
technische Orientierung, geringere ethisch-iisthetische Orientierung. Trotz dieser Unterschiede
geht auch Schmeling davon aus, daB die DDR-Schule in erster Linie leistungsorientiert war, daB
sie "Lebenschancen per Note zuteilte". "Die eher technokratischen Intentionen der DDR-Schule
waren eindeutig auf'meBbare' Leistungen orientiert; politische Opportunitiit war fUr die Zuwei
sung von Bildungschancen notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Die ErlUllung der
notwendigen Bedingung war eine Art Zusatzaufgabe, deren NichterlUllung im habitue lien Be
reich der Schiiler eher bellichelt als bewundert wurde ... Dabei ist die haufig vorzufindende Be
hauptung, die Schiiler hatten sich einem, im Gegensatz zum Westen spezifischen Anpassungs
druck gebeugt, in dieser Begriffiichkeit nicht iiberzeugend. Das schulische Lemen und Wieder
holen von ideologischen Fonneln ist flir den naturwissenschaftlich interessierten zukiinftigen
Medizinstudenten eine ebenso liistige, aber nicht pragende Aufgabe, wie das Lemen von For
meln fur den zukiinftigen Sprachstudenten. Beide Facher gehorten einfach zum geforderten
Leistungskanon." Ebenda S. 55. Geht man also von der relativ geringen Wirksamkeit politisch
ideologischer Beeinflussung innerhalb des Bildungssystems der DDR aus, dann bleibt die star
ker gruppenorientierte, berufspraktische und technokratisch naturwissenschaftlich-technische
Ausrichtung des DDR-Bildungssystems als Personlichkeitsstrukturen pragende und erkliirende
Besonderheit iibrig (was zu unseren Befunden aus der Werteforschung paBt).
hOherer allgemeiner und beruflicher Bildung, hohe Frauenerwerbstlitigkeit und Frauenqualifikation, Liberalisierung der privaten Lebensweise. Seit den 70er Jahren setzte im privaten Bereich eine deutliche Pluralisierung der Lebensfonnen ein (Alleinerziehende, unehelich Zusammen1ebende, Geschiedene). Dabei ist oft eher eine Annaherung an die skandinavischen Lander als an die Bundesrepublik zu erkennen.
c) Das soziologische Spezifikum der DDR im Unterschied zu West, Nord und Ost scheint darin zu bestehen, da6 in der DDR bestimmte typische Merkmale einer klassischen Jndustriegesellschaft den weitergehenden Modemisierungen im privaten Bereich zum Trotz kiinstlich konserviert bzw. geradezu auf die Spitze getrieben wurden.
Hinter diesen Konservierungen und Ubertreibungen stand eine Gesellschaftsstrategie, die insbesondere urn die Vorstellungen moglichst hoher Standardisierung, Synchronisierung, Konzentrierung, Maximierung und Zentralisierung kreisten 109.
Zurn Standardisierungs- und Zentralisierungswahn kam die Hochschiitzung der sogenannten "produktiven Albeit" und die tendenzielle Geringschiitzung von Dienstleistungen.
Trotz zunehmender Einsicht, da6 eine Jndustriegesellschaft sektorale und soziaIe Differenzierungen benotigt und da6 intellektuelle Innovation zu ihrer Entwicklungsfahigkeit unverzichtbar ist, hielt die Fiihrungsriege letztlich bis zum Schlufi an der verstaubten und iiberzeichneten Vorstellung einer klassischen Jndustriegesellschaft fest. Diese beruhte letztlich auf der Pragung einiger weniger allmachtiger Gerontokraten, die. sie in ihrer Sozialisation in den 30er Jahren erfahren hatten, freilich erganzt urn sozialpolitische Wohltaten. Die Basis jenes Gesellschaftsideals lag in der Vorstellung des dominanten Grofibetriebes, in dem von fleilligen Albeitern "produktiv" der eigentliche Reichtum der Gesellschaft geschaffen wurde.
Die Folge war, da6 die DDR an dem entscheidenden Veranderungsproze6 einer fortgeschrittenen modernen Gesellschaft nur eingeschninkt und eher unreflektiert partizipierte: Dem Wandel von der klassischen Jndustriegesellschaft mit dominierendem industriell-gewerblichem Sektor hin zur Dienstleistungs- und Infonnationsgesellschaft mit quantitativ dominierendem Dienstleistungssektor.
Sozialstatistisch stellte sich die DDR noch in ihrer Endzeit als eine Jndustriegesellschaft mit iiberdimensioniertem sekundarem Sektor und unterdimensioniertem Dienst1eistungssektor und innerhalb des Dienstleistungssektors mit einem iiberdimensionierten StaatssektorllO dar (Abbildung 83). Dabei ist die formale Statistik allerdings auch mit Vorsicht zu geniefien. Tatsachlich war ein Grofiteil dienstleistender Funktionen in die Grofibetriebe und Kombinate integriert. Zurn einen waren in den Betrieben die Planungs- und Verwaltungssegmente iiberbesetzt (sogenannte "Wasserkopfe"). Zurn anderen boten die Betriebe ihren Mitarbeitern eine
109 Hradil1993, S. 12.
110 Gei6ler 1991 und 1992.
133
ganzes Netz von Dienstleistungen, von der Kantine, Kindetbetreuung, gesundheitlicher Versorgung, Urlaubsbetrieb bis zum betrieblichen Nahverkehr.
Der Modemisienmgsdruck hatte auch in der DDR die unmittelbar produktiven Tatigkeiten zugunsten von Dienstleistungen abschmelzen lassen. Dennoch war ein Grofiteil dieses Dienstleistungssegmentes in die Grofibetriebe integriert, und die Mitarbeiter wurden offiziell gerne dem produktiven Sektor zugerechnet, urn die ideologische Chimare der zahlenma.Bigen Dominanz der grofibetrieblichen Arbeiterklasse aufrechterhalten zu konnen. Nach rea1istischer Erfassung der Berufsgliederung nach der Wende im Osten reduziert sich das produktive Element dann auch aufnur 30 % bis 40 %, lag damit dennoch deutlich hOher aIs im Westen. Die Umstrukturierung nach der Wende und der Wiedervereinigung brachte aIlerdings relativ schnell eine Angleichung an den Westen. Da die Bildungsexpansion (trotz spaterer Limitienmgsversuche) weit uber dem Niveau einer klassischen Industriegesellschaft hinaus war, mlillten viele hOher Qualifizierte unterqualifiziert eingesetzt werden 111, ein zusatzlicher Faktor von Unzufriedenheit. Man schuf zwar das Hurnankapital:fUr eine Dienstleistungs- und Infonnationsgesellschaft, ohne jedoch diese Gesellschaft wirklich haben zu wollen.
Die Eigentiimlichkeit der DDR, dafi bestimmte Elemente einer klassischen Industriegesellschaft auf die Spitze getrieben wurden, hat, obwohl sie oft eher ideologisch aIs rea1istisch war, deutliche Spuren in der ostdeutschen Mentalitat hinterlassen. Die DDR-Gesellschaft wird oft aIs "Arbeitsgesellschaft" oder auch aIs "Arbeitergesellschaft" bezeichnet. 112 Letzteres trifft insofern zu, aIs sich Ostdeutsche in der subjektiven Selbsteinschatzung signifikant ofter der "Arbeiterschicht" zuordnen, Westdeutsche dagegen der "Mittelschicht" .113 Nach dem Wohlfahrtsurvey 1993 rechneten sich noch 1993 58 % der Ostdeutschen zur Arbeiterschicht bzw. Unterschicht. 1m Westen zahlten sich dagegen 1993 57 % der Bevolkenmg zur Mittelschicht (Abbildung 84).
Heinz-Herbert Noll und Frieder Schuster haben versucht zu erklaren, wieso sich so viele Ostdeutsche der Arbeiterschicht zugehOrig fiihlen. Sie kommen zu der These, dafi der soziookonomische Vergleich nicht den Schlussel zum Verstandnis der eminenten Unterschiede in der subjektiven Schichteinstufimg zwischen aIten und neuen Landem liefert. "Durch Unterschiede in der soziookonomischen Struktur der Bevolkenmg lafit sich die differentielle Schichtidentiftkation nicht erklaren."114 Sie schlagen eine situative Erklarung vor: Mit geringen Abweichungen stufen sich namlich aIle beruflichen Statusgruppen im Osten in der Oben-UntenSkala auf den unteren Rangplatzen ein. Daraus folgern Noll und Schuster, dafi es
111 GeiBler 1992, S. 215. 112 V gl. z. B. Habich, Landua, Seifert und Spellerberg 1991. 113 Vgl. Noll, Schuster 1992a und 1992b. 114 Noll, Schuster 1992a, S. 2.
134
der kollektive Status als Ostdeutscher sei, der zur "kollektiven subjektiven Unterschichtung" 115 der Bundesrepublik fiihre.
Noll und Schuster deuten jedoch auch eine sozialisatorische Erldiirung an: Der Begriff der Arbeiterschicht bzw. Arbeiteridasse, der in der Bundesrepublik tendenziell eher negativ belegt ist, hatte in der DDR ein positiveres Image. Ein Fortwirken dieses Images in den neuen Uindem ware denkbar. Auffiillig ist jedenfalls, Will sich auch viele Angestellte in die Arbeiterschicht einstufen. In der Bundesrepublik gibt es den umgekehrten Effekt, viele Facharbeiter stufen sich dort in die Mittelschicht ein. 116
FUr ein Fortwirken des positiven Arbeiterimages in den neuen Liindem sprechen die nach wie vor vorhandenen Unterschiede in den BerufswUnschen Jugendlicher und im Berufsprestige zugunsten von Arbeiterberufen in den neuen Liindem. 117
115 Ebenda, S. 3. Diese These wird teilweise durch eine Befragung im Auftrag der ,,zeit" aus dem
Jahr 1993 gestiUzt. Danach schii.1zten sich die neuen Bundesb11rger auf einer Oben-Unten-Skala
Iilckblickend auf die DDR deutlich hOher ein als in ihrer aktuellen Wahrnehmung in Gesamt
deutschland. Dennoch war das Niveau der Iilckblickenden Selbsteinstufimg immer noch deut
lich tiefer als das Niveau, auf dem sich Westdeutsche durchschnittlich einstufen. Vgl Hilmer,
Muller-Hilmer 1993.
116 Eine Aufkiiinmg dieses Phiinomens lief em vielleicht die Untersuchungen des Projekts
"Lebensverlaufe und historischer Wandel in der ehemaligen DDR" am Max-Planck-Institut fi1r
Bildungsforschung. Vgl. Huinink, Solga 1994, Mayer, Solga 1994. Die Autoren verglichen die
schichtbezogene Mobilitat in der DDR und der BRD. Sie entdeckten, daB die Mobilitat nach
oben sich in der BRD vor allem durch den Aufstieg von FacharbeitersOhnen in die oberen
Dienstklassen erkliirt, in der DDR jedoch aus dem Aufstieg der Sohne un- und angelemter Ar
beiter in die Facharbeiterschaft. Hohere Aufstiege waren in der DDR in viel starkerem MaBe nur
durch Erwerb hOherer Bildungsabschlusse mOglich. Durch die rigide Begrenzung des Abitur
und Hochschulzugangs seit den 70em waren Aufstiegsmoglichkeiten starker verschlossen als im
Westen.
117 Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1992-1994, S. 841 ff. Nach allem bietet sich eher ein
gemischte Erkliinmg an, die die Unterschichtungsthese mit der Kulturthese verknupft.
l35
Zwischenresilmee
Festhalten la6t sich damit:
a) Die DDR war eine modeme Industriegesellschaft. Sie war somit "an sich" eine dynamische Gesellschaft, die sich am technologischen Wandel orientieren und damit einem sozialen Wandel und eine sich daraus entwickelnde eigene BedUrfnisdynamik der Menschen in Kauf nehmen muBte.
b) Als sozialistische Gesellschaft war sie auf eine starre politische Struktur und zu deren Legitimation auf eine starre soziale Struktur festgelegt. Das politische Monopol der SED (als Partei der Arbeiterklasse) muBte ideologisch durch das zahlenma6ige Uberwiegen der Arbeiterklasse gestiitzt werden.
c) Die Folge dieser spannungsreichen Situation waren viele Versuche und Strategien des Regimes, den unvenneidbaren geSellschaftlichen Wandel und die dadurch angeregte BedUrfnisdynamik seitens der BUrger mit starren politischen Strukturen in Einklang zu bringen, urn letztlich die Modernisienmg weiterhin "von oben" pragen zu konnen. Damit sollte eine unkontrollierbare und nicht integrierbare modernisierende Dynamik "von unten" verhindert werden.
d) Es ist naheliegend, Will diese Konstellation in der Mentalitat der Ostdeutschen ihre Spuren hinterlassen hat. Die modernisierende soziale Dynamik ftihrte zu einer Individualisienmg der personlichen Wertestrukturen, wie sie in der Erinnenmg an eine zunehmend individualisierte und an der Selbstentfaltung der Kinder orientierte Erziehung, in den Erziehungszielen und in den personlichen Wertestrukturen zum Ausdruck kommt. Die konservierenden Versuche der SED, die soziale Dynamik entweder zu verschleiern oder sie zu integrieren bzw. partiell zu legitimieren, konnten eine weitere Ursache fUr eine konventionellere Einf"arbung dieser Individualisienmgsbewegung (oder auch einen Mangel an Selbstreflexion durch eine fehlende offentliche Diskussion) in der DDR sein, wie sie sich in der starkeren Betonung von Sekundartugenden und in der starkeren Bedeutung des Aktiven Realismus in den neuen Landem zeigt.
136
Bindeglied scheint dabei die UberhOhung des Wertes der "produktiven Arbeit" und der Aufwertung des "produktiven Arbeiters" zu sein, die das Selbstentfaltungsstreben der DDR-BUrger (vor allem auch junger Menschen und von Frauen) fUr das System nutzbar und die BUrger in das System integrieren sollte. Auch die starkere Integration in Gruppen deutet dahin (von der Kinderkrippe bis zur Seminargruppe, das Arbeitskollektiv oder die Hausgemeinschaft). Es ist durchaus denkbar, daB man in dieser Hinsicht erfolgreich war und diese "Pragung" heute in entideologisierter Form weiterexistiert.
Abschlie6end scheint es sicherlich sinnvoll, eine gewisse Gewichtung aller Modemisienmgsfaktoren vorzunehmen, urn. etwa abzuschatzen zu konnen, wie gro6 das Modemitatspotential in der ostdeutschen Mentalitlit ist. 118
Das IWG Bonn hat Berechnoogen liber die Entwickloog des realen Bruttoinlandsproduktes je Einwohner seit 1950 fUr Ost- ood Westdeutschland angestellt (mit einer Prognose fUr die wahrscheinliche Entwickloog bis 2005)119. Danach ist Ostdeutschland von einem 1950 noch relativ ahnlichen wirtschaftlichen Niveau ausgehend weit hinter Westdeutschland ZUIiickgeblieben, so da6 dieses am Ende der DDR bei 300/0-40 % des westdeutschen lag. Seit der Wende und der Einfiihnmg westlicher Rahmenbedingoogen schnellt die Wirtschafisleistung in die Hohe. 120 Ahnlich fallen die retrospektiven Ergebnisse auch fUr das Wohlfahrtsniveau in Ost und West aus, wenn man es z.B. an den verfiigbaren Haushaltseinkommen festmacht. l2l Wollte man diese okonomischen Basisgro6en als Erklanmg fUr die Entwicklung des Modemisienmgsgrades auch der ostdeutschen Mentalitlit nehmen, dann fiele das Urteil fUr die neuen Lander sicherlich ungiinstig aus. Nach unseren Befunden kann aber in der rein okonomischen Leistungskraft und Effizienz und im materiellen Lebensniveau nicht die alleinige Erklanmg fUr den Mentalitatswandel gesucht werden, da die subjektiven Daten des Ostens weit naher am Westen liegen, als die okonomischen erwarten lie6en.
118 Zwei intemationale Studien lassen eine ungetahre Einordnung des Modemisierungsgrades der
DDR-BevOlkerung zu, die bereits zitierte intemationale Wertestudie von 1990 (Zulehner, Denz
1994) und der World Value Survey 1990/1991 (Inglehart 1995), die beide 1990 noch im ge
trennten Deutschland durchgeftihrt wurden. Beide Studien beziehen die meisten Lander Euro
pas, die USA und Kanada ein, lnglehart auch Teile der UdSSR, Japan, China, lndien, sudameri
kanische, afrikanische und andere asiatische Staaten. In beiden Studien flUh eine oft erstaunliche
Nihe grundlegender Kulturmerkmale beider Teile Deutschlands auf. Zum anderen hebt sich die
DDR klar von den osteuropaischen Landem ab (wobei sie der CSSR noch am nichsten kommt).
Inglehart resilmiert, da13 sich der Systemunterschied zwischen Ost und West zwar darin aus
drUckt, da13 " ... by 1990 the two societies were some distance apart, especially along the scarity
postmodem dimension. But even more impressive is the fact that, in global perspective, the basic
cultural values of the two societies were still relative simular." lnglehart 1995, S. 395. Inglehart
begrilndet das aus dem geringen Einflu8 politischer Systeme auf die Kultur. Er vergi8t, da13 sich
ja die Kuhur Westdeutschlands in 40 Jahren veriindert hat, und zwar auf der Basis des sozialen
Wandels. Eine vollstandige Erkliirung mu8 von der systemtlbergreifenden MOglichkeit eines pa
rallelen modemisierenden Wandels in Ost und West ausgehen, der grundsiitzlich iihnliche Zuge
und Wirkungen hatte.
119 120
121
Vgl. Ottnad, Wahl, Grilnewald 1995.
Die Steigerung der Arbeitsproduktivitiit betrug laut Bundesbank von 1991 bis 1997 durch
schnittlich 9.3 % pro Jahr gegentlber 1.9 % im Westen. Der jiihrliche BIP-Zuwachs betrug 6 %
gegentlber 1.2 % im Westen. Handelsblatt 76/1998, S. 7. Gei8ler 1992, S. 41 if; Vgl. Szydlik 1992, Wiegand 1992
137
Ich denke, man sollte weitere Faktoren gleichgewichtig in die SchiitZllllg und ErkHirung des Modernisierungsgrades der ostdeutschen BevOlkerung eingehen lassen. Zunachst kann man davon ausgehen, daB auch in der DDR die GrundbediiIfnisse befriedigt waren. Bestimmte Lebensrisiken waren durch die Eigenart des Gesellschafts- und Sozialsystems sogar starker reduziert als im Westen. Die gleichere Verteilung im Osten mag vieles am deutlich geringeren Einkommens- und Konsurnniveau im Vergleich zum Westen kompensiert haben (zumindest noch bis in die 70er Jahre hinein).
Meines Erachtens ist es jedoch bei der Analyse von Mentalitatswandlungen wesentlich erklarungskriiftiger, enttraditionalisierende Effekte durch die im Osten weit vorangetriebene und akzeptierte Sakularisierung l22, im Alltagsleben durch die Pluralisierung der Lebensweise und durch die Bildungsexpansion zu berucksichtigen. Aber nicht nur die Enttraditionalisierung, sondern auch die Notwendigkeit selbstandigen Denkens und Verhaltens und die Befiihigung dazu diirfte auf diese gesellschaftlichen Veriinderungen zuriickgehen.
Wir hatten ja bereits im psychologischen Abschnitt festgestellt, daB wir moderne personliche Kompetenzmerkmale wie die Selbstzuschreibung und Erwartung von Erfolg, Innovativitat und Verantwortungsbereitschaft in Ost und West in ahnlich starker Auspragung vorfmden. In Abbildung 85 mochten wir die Erklarungskraft des Faktors "Bildung" in Richtung der Auspragung moderner Merkmale der Personlichkeitskompetenz illustrieren. Man erkennt, daB sich die Rohe des Bildungsabschlusses aufierordentlich stark auf das bekundete Niveau personlicher Kompetenz auswirkt. Insbesondere in der Erfolgsorientierung gibt es einen Qualitatssprung bereits zwischen Personen, die nur einfache Bildung aufweisen, und solchen, die noch zusatzlich eine berufliche Lehre absolviert haben. Rohere Bildung wirkt sich gegeniiber mittlerer Bildung und einfacher Bildung mit Lehre vor allem zugunsten von Veranwortungsbereitschaft, Meinungsfiihrerschaft, Fiihrungsfahlgkeit und Vorbildwirkung aus. Mittlere Bildung verbindet sich mit hOherer Innovationsfreude, DurchsetZllllgsfahlgkeit und Verhaltenssicherheit.
Unabhangig von diesen spezifischen Zusammenhangen ist in Ost und West der Einflufi des Faktors "Bildung" in Richtung der Forderung moderner Kompetenzmerkmale sehr stark, zum Teil bereits ab dem Niveau einer Lehrausbildung. Dieser Zusammenhang besteht im iibrigen auch zum politischen Interesse. Die gewachsene Sensibilisierung ffir offentliche Angelegenheiten war ein charakteristischer Begleitumstand des westlichen Mentalitatswandels der letzten Jahrzehnte. Wir rmden auch in diesen Indikatoren nur geringe Unterschiede zwischen Ost und West.
Unter Beriicksichtigung der vorherigen Uberlegungen gehen wir davon aus, daB das zwischen Ost und West gemessene anniihernd iihnliche mentale Modernitatsni-
122 Vgl. Terwey 1993. Die weitgehende Zuriickdriingung von Religiositat erklart Meu1emann als
reinen und heute fortwirkenden Systemeffekt des DDR-Systems. Vgl. Meulemann 1995.
138
veau kein statistisches Artefakt darstellt, sondem ausgehend von einem nicht okonomisch-reduktionistischen Standpunkt (aber auch nicht von einem politischreduktionistischen) durchaus aus ahnlichen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen in Ost und West erklart werden kann. Das bedeutet nicht, daB innerhalb dieses ahnlichen Modernisienmgsprozesses keine Unterschiede auszumachen waren (wie wir es ja auch gezeigt haben). Es geht hier nur urn eine Grundaussage tiber den Modernisierungsgrad einer Population (oder okonomisch ausgedriickt eines bestimmten Hurnankapitals).
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149
2.2 Phasen der DDR-Geschichte
In der DDR-Forschung wird die DDR als eine sich verandernde Gesellschaft betrachtet und ihre Entwicklung in bestimmte Phasen eingeteilt. 123 Wir wollen im wesentlichen der Einteilung fo1gen, die Sigrid Meusche1 vorge1egt hat. 124 Ihre Periodisienmg der Geschichte der DDR ist an bestimmte Leitideen ange1ehnt, die die Politik der SED (dahinter standen in der Regel die politischen Leitlinien der KPDSU) bestimmten und weniger streng an bestimmte politische Ereignisse mit Zasurcharakter.
a) Eine "revo1utionare" stalinistische Umbruchphase von 1945 bis Mitte der 50er Jahre: "Antifaschistischer Stalinism us" .
b) Eine von IDbricht gepragte Reformphase von der Mitte der 50er bis Ende der 60er Jahre: "Technokratische Reform und Utopie".
c) Eine von Honecker gepragte Konsumphase von 1971 bis ZUlU Herbst 1989: "Real existierender Sozialismus".
Wichtige Zasuren in der DDR-Geschichte sind die Abrechnung mit Stalin durch Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPDSU 1956, der Mauerbau 1961, die Entmachtung von IDbricht und die Machtiibernahme durch Honecker am Ende der 60er Jahre. Die Ubergange zwischen den einzelnen Phasen sind jedoch flieJlend. Mohler und Wipp1er125 behandeln den Mauerbau 1961 als wesentliche Zasur, die die erste Phase der DDR-Geschichte von der zweiten unterscheidet, was im Kontext ihrer Analyse von politischen Handlungsoptionen der DDR-BUrger sicher wichtig ist. Dennoch iiberdeckt diese Zasur den Umstand, daJl IDbricht bereits in der zweiten HaIfte der 50er Jahre einen Reformkurs einge1eitet hatte, der fOr unsere Analyse des gesellschaftlichen Werteklimas in bestimmten Phasen der DDRGeschichte wichtig ist.
Konsens besteht jedoch unabhangig von der jeweiligen Datienmg in der Charakterisienmg der einzelnen Phasen, wie sie auch in den Meuschelschen Bezeichnungen ZUlU Ausdruck kommen. Einer stalinistisch-diktatorischen "revo1utionaren" Phase fo1gt eine "utopisch-idealistische" experimentelle Refonnphase, die von einer starker "realpolitischen" Phase abge10st wird, in der man offiziell auf ideologische und wirtschaftliche Bestandssichenmg ausgerichtet ist und das Leben der Menschen von gesellschaftlicher Liberalisienmg und neuen Konsumchancen gepragt ist.
123 Vgl. Staritz 1985, Weber 1986, GlaeBner 1989.
124 Meuschel1991, s. 17 if.
125 Miihler, Wippler 1993, S. 695.
150
2.2.1 Stalinistische Etablierungsphase (1945-56)
Die Stalinistische Etablierungsphase war ein "gewaltsamer Umbruch", es fand eine "Revolution von oben" statt. 126 Das neue politische und wirtschaftliche System sowjetischer Pragung wurde mit politischem Druck und repressiver Verfolgung seiner Gegner eingefiihrt. Legitimation bot der Antifaschismus. Man setzte den Westen tendenziell mit dem Faschismus gleich. Offener Widerstand gegen die Revolution von oben und die neuen VerhaItnisse wurden als vom Westen gesteuerte "faschistische Provokationen" interpretiert. Man sozialisierte einen Gro.8teil der Wirtschaft und unterstellte ihn zentraler staatlicher Planung. Die Schaltstellen des politischen Systems wurden nach und nach von der sowjetischen Besatzungsmacht dem Monopol der SED iibergeben, der Staat hochzentralisiert, die noch von den Besatzern eingefiihrten Lander und die kommunale Selbstverwaltung abgeschafft, das ganze Land in 14 Bezirke eingeteilt. 127
Das Individuum und die gesellschaftlichen Basiseinheiten (Betriebe, Kommunen etc.) konnten in dieser stalinistischen Logik nur die ausfiihrenden Glieder eines mit privilegiertem Wissen und einer Ubermacht ausgestatteten Zentrums sein, das sich in der "quasi-gottlich" verehrten Person Stalins manifestierte. Die Individualisierungschancen waren in der Hochphase des Stalinismus in der DDR fUr die breite Masse der Bevolkerung gering.
In der stalinistischen Phase erlebte der Ostteil Deutschlands starke soziale Umschichtungen. Man entmachtete und enteignete zunachst die alten politischen und wirtschaftlichen Eliten (Bildungsbiirgertum, Beamtenschaft, Besitzklassen). Wer sich mit dem neuen Regime nicht arrangieren konnte und wollte, war zur Abwanderung in den Westen gezwungen. Die frei werdenden Positionen wurden aus den unteren sozialen Schichten besetzt. Es rekrutierte sich eine neue Schicht der Staatsund Parteibiirokratie, eine neue Intelligenz, eine neue Leitungsschicht der Wirtschaft. Der Preis fUr diese erste Welle des Aufstiegs war zunachst strikte Unterordnung und Einfiigung in die neuen zentralistischen Strukturen und die Identifikation mit der "quasi-gottlichen" Person Stalins.
2.2.2 Ulbrichtsche Reformphase (1956-1971)
Eine zweite Welle der sozialen Aufstiegsdynamik in der DDR, die durch die Jahrgange der etwa um die Jahre von 1930 bis 1940 Geborenen getragen wurde, ist mit den Anfangen der Ulbrichtschen Refonnphase verkniipft. Sie wird vor al1em durch verbesserte Bildungschancen und einen sich 1angsam verbessernden Lebensstandard gekennzeichnet. 128
126 Meuschel1991, S. 17.
127 Konig 1991, S. 48 fT.
128 Kohortenbezogene Analysen sozialer Aufstiegsprozesse in der DDR haben Huinink und Solga
1994 und Mayer und Solga 1994 auf der Basis von Repriisentativbefragungen vorgelegt, die Le-
151
In der Sowjetunion wurden nach Stalins Tod dessen Vasallen entmachtet. Unter Chruschtschow setzte "Tauwetter" ein. Das verschaffte Ulbricht Freiraume, seine "technokratischen" Vorstellungen von wirtschaftlichen Reformen zu verwirklichen. Natur- und Technikwissenschaften, zum Teil auch die empirische Sozialwissenschaft (soweit sie sich auf die Optimienmg der Arbeitswelt richtete) wurden aufgewertet und yom ideologischen Dogmatismus befreit. Das sogenannte "Neue Okonomische System" (NOS) wurde eingefiihrt. Man setzte auf Dezentralisation und materielle Anreizsysteme, urn wirtschaftliche Flexibilitat zu ermoglichen und Leistungssteigenmg bei den Produzenten anzuregen. Auch fUr den Sozialismus wurden Ware, Geld und Gewinn als okonomische Funktionsmechanismen anerkannt. Konvergenz- und industriegesellschaftliche Theorien kamen in Umlauf. Man unterstellte eine "Wechselwirkung okonomischen Eigensinns und iibergreifender Planung" 129.
Eine neue Schicht von gut ausgebildeten Facharbeitem und der wissenschaftlich-technischen Intelligenz entstand. Das Bildungssystem wurde auf allen Ebenen naturwissenschaftlich-technisch und berufsbezogen ausgerichtet. Konturen einer
bensverlaufe von 2323 Frauen und Milnnern aus den neuen Liindern der Geburtsjahrgange
1929-31,1939-41,1951-53 und 1959-61 eImittelte. Sie konnten besonders gute Aufstiegschan
cen ft1r die um 1930 und 1940 Geborenen nachweisen. ,,Im Vergleich zur Bundesrepublik war
es ft1r die ersten beiden Kohorten - die um 1930 und die um 1940 Geborenen - durchaus be
grftnde1, von der DDR als der Gesellschaft mit mehr Chancengleichheit zu sprechen ... Die alte
ste Kohorte begann ihr Erwerbsleben mit etwa 35 Prozent in un- und angelernten Tlltigkeiten. 15
Jahre spater war dieser Anteil halbiert ... Die iilteste Kohorte konnte ihren Anteil in den gehobe
nen und hoheren Berufen im Erwerbsverlaufvon ca. 5 auf 30 Prozent steigern." Mayer, Solga
1994, S. 204. Beide Autoren konnten auch die "deteIminierende Wirkung von Parteimitglied
schaft" nachweisen, also der bekundeten Systemloyalitiit Wie die sozialen Umwiilzungen sich
aufbestimmte Generationen auswirkten, haben Wegener und Liebig untersucht. (Wegener, lie
big 1993; Datenbasis: Befragungen des International Social Justice Project -ISJP- von 1991) Die
Autoren stellten fest, dan im Unterschied zu den alten Liindern in den neuen Liindern die alteren
Menschen und Angehorige der Dienstklasse (also die gehobenen Berufspositionen) wesentIich
starker von egalitiiren Werten gepragt sind als jilngere Menschen und AngehOrige niedrigerer
beruflicher Positionen, wobei zwischen beiden soziodemographischen Merkmalen von einer ho
hen Korrelation auszugehen ist. "Wahrend sich die Alteren im Westen Deutschlands gegen
Egalitarismus aussprechen, scheint im Osten die Wertbindung an egalitaristische sozialistische
Ideale bei den Alteren weiterhin wirksam zu sein und sich in einer egalitaristischen Gerechtig
keitsideologie auszudrilcken ... 1m Westen sind es die AngehOrigen der Dienstklasse, die im Sin
ne einer rationalen Handlungsorientierung privilegiensichernde Verteilungsregeln befi1rworten.
Die DienstklassenangehOrigen im Osten hingegen sprechen sich deutIich weniger ft1r derartige
Verteilungskriterien aus. Ein Ergebnis, das die Annahme einer anhaltenden sozialistischen
Wertebindung der DienstklassenangehOrigen der neuen Bundeslander belegt." Wegener, Liebig
1993, S. 683.
129 Meuschel1991, S. 20.
152
"sozialistischen Leistungsgesellschaft"130 wurden sichtbar. Legitim war nun, dafi der sozialistische Btirger nach Leistung auch aus materiellem Anreiz heraus strebte, da man davon ausging, da6 das letztlich dem Ganzen nutzte. 131 Diese Vorstellung einer dezentraleren Dynamik individueller Einheiten, seien es nach Gewinn strebende Betriebe oder nach materieller Gratifikation strebende Individuen, setzte bei den Btirgern eine Individualisierungsbewegung frei, die in der ersten Phase noch undenkbar war. 132 Dabei wurde jedoch (sicherlich etwas naiv) eine allzu enge und unproblematische Verkopplung der individuellen Interessendynamik mit der gesamtgesel1schaftlichen Dynamik vorausgesetzt.
Die Ulbrichtsche Refonnphase Uillt sich grob in zwei Phasen einteilen. Zunachst war sie von technokratischem Refonneifer erfiillt und eher an der okonomischen Konvergenz zum Westen orientiert. Dann gab es jedoch eine "romantische" Reaktion aus dem Bereich von Kultur und Kunst, in der die Technikeuphorie in Frage gestellt wurde und wieder starker nach dem "Menschlichen" des Sozialismus gefragt wurde. Vor allem jedoch war nicht zu iibersehen, da6 die okonomische Refonn in Richtung politischer Refonnen drangte, die tendenziell das Entscheidungs- und Machtmonopol der SED in Frage stellten. In der CSSR und tendenziell auch in Polen wurde diese Tendenz besonders sichtbar. Zum anderen wurde bald deutlich, dafi die allzu radikal und einseitig eingeleiteten Wirtschaftsrefonnen die Wirtschaft in grolle Turbulenzen stiirzten, die am Ende der 60er Jahre zu einer allgemeinen Versorgungskrise ftihrten. Letztere lieferte dem nachdrangenden Kronprinzen Honecker einen willkommenen Vorwand, das ganze Refonnexperiment zu beenden.
2.2.3 Honeckers Konsumwende (1971-1989)
In der Sowjetunion hatte der neue Parteichef Breschnew ohnehin den Refonnkurs Chruschtschows abgebrochen. Dieser Veranderung der Rahmenbedingungen konnte sich die DDR nicht entziehen, auch wenn Ulbricht noch einigen Widerstand leistete. Die neue Phase des sogenannten "Realexistierenden Sozialismus" stellte einen erheblichen Bruch in der Geschichte der DDR dar. Anfangs war sie noch, zumindest im Bereich von Kultur und Kunst, starker sogar im A1ltagsleben, von dem refonnerischen Geist der 60er gepragt. 1m wirtschaftlichen und staatlich-
130 Meuschel1991, S. 21. 131 Eine gewisse Affmitilt dieses ,,refonnerischen" Gedankenguts an Smiths Idee der "unsichtbaren
Hand" ist unverkennbar. 132 So auch Milhler und Wippler: ,,zwei Momente standen mit dem Neuen Okonomischen System
der Planung und Leitung im Vordergrund: allmiihliche Minderung der Zentralisierung und wachsende Investierung in modeme Technologien. Beides erforderte in gewissem Umfang im
wirtschaftlichen Bereich von den Bilrgem, sich an Refonnen zu beteiligen und Refonnen umsetzen zu konnen (zu verstehen und zu handhaben)." Milhler, Wippler 1993, S. 699.
153
politischen Bereich begann jedoch eine Phase der Rezentralisierungl33 (Kombinatsbildung und standige Verengung der unmittelbaren politischen Fiihrungsspitze) und der ideologischen Riickbesinnung auf den Vorrang der Politik.
Angesichts der gesellschaftlichen Dynamik und der gewachsenen Anspriiche der Biirger erschien es jedoch trotz aller revolutionarer Bekundungen nicht mehr opportun, zu den Zustanden der Stalinschen Phase zuriickzukehren. Das selbst angeregte und weiter gewachsene "kritische Potential" 134 konnte nicht mehr verleugnet und sollte moglichst unpolitisch kanalisiert werden. In der Wirtschaft versuchte man weiterhin soweit wie moglich mit materiellen Anreizen zu arbeiten, wobei jedoch durch die Rezentralisierung wenig individualisierend vorgegangen werden konnte.
Die Losung war eine strikte Trennung des offiziellen Bereichs des Systems yom inoffiziellen Alltagsleben der Menschen. Offiziell wurde weiter zentralisiert und ideologisiert. Inoffiziell wurde liberalisiert und der Konsum legitimiert. Die Verbesserung der Lebensbedingungen wurde yom System "gewahrt" ("Geschenke" verteilt) und konnte (zumindest im offiziellen Sektor) nur in geringem MaBe individuell erworben werden. Grofie Feste wie die Weltfestspiele in Berlin 1973 wurden organisiert ("Brot und Spiele"). Ein Wohnungsbauprogramm wurde begonnen, umfangreiche sozialpolitische MaBnalunen eingefiihrt, das Gesundheitssystem ausgebaut. Ein allumfassendes Subventionssystem sicherte jedem gemessen am Westen einen mittelmiilligen Lebensstandard ohne grofieren Luxus und ohne gr6-fiere soziale Differenzierung. Die DDR entwickelte sich zu einem "diktatorischen W ohlfahrtstaat" 135.
133 Heidenreich spricht von typischen Pendelbewegungen sozialistischer Lander zwischen den
institutionellen Altemativen ,,zentralisierung" und "Dezentralisierung". "So wurden in der DDR
1948 die Vereinigten Volkseigenen Betriebe (VVB) gegriindet und 1952 faktisch wieder aufge
lost ... Da die VVB als eine mit wenig Entscheidungsbefugnis ausgestattete intermediiire Ebene
zwischen den Industrieministerien und Betrieben auf eine dezentrale Entscheidungsstruktur hin
deutet, konnen ihre Auflosung und die erste Kombinatsgriindungswelle in den 50er Jahren als
eine Zentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen interpretiert werden. Die WiedereinfUh
rung der VVB 1958 und ihre AufWertung in den 60er Jahren deuten auf eine emeute Dezentra
lisierung hin, wahrend die beiden Kombinatsgriindungswellen 1968170 und 1978 und die emeu
te Auflosung der VVB eine Starkung der intermediiiren Planungsinstanzen signalisieren. Die
Organisation nach Kombinaten wurde bis zum Ende der 80er Jahre beibehalten: nahezu aile In
dustrieuntemehmen wurden in Kombinate integriert." Heidenreich 1991, S. 415.
134 Miihler, Wippler 1993, S. 704.
135 Meuschel 1991, S. 23. Wiegand gibt ein reales Wachstum der Einkommen der Arbeiter- und
Angestelltenhaushalte in der DDR von 1961 bis 1988 auf das 2,85fache an. In den 4-Personen
Arbeitnehmerhaushalten in der Bundesrepublik betrug das Wachstum das 2,32fache. Dabei wa
ren allerdings die Einkommen im Westen mit durchschnittlich 4.102,- Mark auch 1988 noch
doppelt so hoch wie in der DDR mit 2.118,- Mark. Wiegand 1992, S. II.
154
Das private Empfangen von Westmedien war jetzt kein Straftatbestand mehr. Zaghaft naherte man sich der Erkenntnis, daB die sozialistische Gesellschaft durchaus differenziert, konflikthaft und widerspruchlich sein und daB darin auch eine produktive Kraft liegen kanne. Freilich hatten alle neuen zugelassenen Optionen (Wohlfahrt, Konsum und private Liberalitat) den Zweck, das "kritische Potential" zu neutralisieren und fUr das System in ungefahrliche Bahnen zu lenken.
Diese Rechnung ging zunachst auf: Die BUrger nahmen die "neue Freiheit" gem an und waren in der ersten Hlilfte der 70er zunachst bereit, sich starker mit ihrem System zu identifizieren. 136 Das hing auch damit zusammen, daB in derselben Zeit die DDR ihre weitgehende internationale Anerkennung erlangte und in das deutsch-deutsche Verhaltnis mit der Ostpolitik der SPD Bewegung kinn.
Die Kehrseite von Honeckers Konsumwende wurde jedoch bald erkennbar. Das rezentralisierte akonomische System wurde immer ineffizienter und konnte mit der dezentraleren und damit flexibleren westlichen Wirtschaft iiberhaupt nicht mehr Schritt halten. Der Anteil der wieder investierten Mittel am im Inland verwendeten Nationaleinkommen war von 1950 bis 1970 immerlrin von 13,2 % auf 29 % gestiegen. Von 1970 bis 1988 fiel die Investitionsrate jedoch wieder auf 21,5 %. D.h. es wurde in den produktiven Bereich und in die Infrastruktur immer weniger investiert, die Ausriistungen verschlissen, die Bausubstanz verfiel. Auf der Gegenseite wurde dennoch immer mehr konsumiert. 137 Unvermeidlich war daher der Griff zur Verschuldung, die unter Ulbricht stark gesenkt worden war.
Als dennoch wieder emste Versorgungskrisen ausbrachen und das Regime den politischen Druck wieder anzog, beruhte der soziale Frieden in der DDR nur noch auf einem Stillhaltepakt138, der durch die Prasenz der Besatzungsmacht abgesichert war.
Unter der Decke der offiziellen Propaganda und Selbstdarstellung entwickelte sichjedoch ein zweiter Individualisierungsschub, der durch die Wende zu Konsum und Liberalitat angestofien wurde und zunehmend eine Eigendynamik gewann. Jenseits der zentralen Strukturen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft entwickelte sich in allen Bereichen ein dezentrales EigenIeben, das zunehmend fUr die BUrger zur eigentlichen Lebenswelt wurde.
136 Diese wachsende Identiflkation mit der DDR ist nachgewiesen bei Friedrich 1990 aufgrund der
Daten des Zentralinstitutes fi1r Jugendforschung Leipzig (ZIJ) und bei Niemann 1993 aufgrund
der Daten der geheimen Meinungsforschung der SED.
137 Berger 1990, S. 90 iT. Rottenburg zeigt am Beispiel einer 1990 durchgeft1hrten FaIlstudie in
einem groBen Chemiebetrieb in der DDR, daB dort bei der Bereitstellung von Investitionsmitteln
durch die staatIiche Planung eine "Tendenz zur Veraltung der Grundmittel bereits eingeplant
war". Die Mittel waren von vomherein geringer aIs diejenigen, die fi1r den Ersatz tatsachlich ge
braucht wurden. Rottenburg 1991, S. 311.
138 Milhler, Wippler 1993, S. 707.
155
Nicht nur das private Leben der Biirger als solches mit seiner teils von Tauschbeziehungen oder von der D-Mark beherrschten Schattenokonomie hatte einen dezentralen und systemfernen Charakter gewonnen. Auch im offiziellen System, vor allem in der Wirtschaft, war ein inoffizielles Netz von Beziehungen entstanden, ohne das die Volkswirtschaft nicht mehr funktionieren konnte.139 Hinter einer "Fassade der biirokratischen Rationalitat", die "formell allgemeine Regelwerke" vorspiegelte, verbargen sich die wirklichen "informellen Macht- und Austauschbeziehungen".140 Die Kombinate in der Wirtschaft ("Fiirstentiimer") und die Bereiche und Gruppen auf der Mikroebene entwickelten sich zu autonomen Einheiten, sie strebten nach "Autarkie" 141, so daB die gesellschaftliche Arbeitsteilung erodierte. Es gab bald keine verUilllichen Austausch- und Kommunikationsbeziehungen mehr. Auf der gesellschaftlichen Ebene behinderten schlieJUich Interessen der "Fiirstentfimer", in den Betrieben Bereichs- und Gruppeninteressen die Innovation.
Zwischenresamee
Die Geschichte der DDR Uillt sich recht gut in bestimmte Phasen einteilen, die typische Umweltbedingungen konstituieren, in denen jeweils aufwachsende Jahrgange gepragt wurden. Es bildeten sich bestimmte, vom System gesetzte Verhaltnisse zwischen Individuen und Gesellschaft heraus, die von den Individuen genutzt wurden und die sie gepragt haben.
Wippler und Mfihler haben die jeweiligen Rahmensetzungen seitens des Systems (partei) in bestimmten Phasen "Mafinahmen" genannt und die Handlungsmoglichkeiten fUr die Individuen (Biirger) "Optionen" .142
In der Stalinistischen Phase fiihrten diktatorische Mafinahmen und die A1lgegenwart des Systems dazu, daB den Individuen nur zwei Optionen offenstanden. Entweder verhielten sie sich systemkonform und wahlten die Option des "gehorsamen und einfiigungsbereiten Staatsbiirgers". W enn sie das nicht wollten oder
139 Heidenreich 1991 hat diese Doppelstruktur in verschiedenen Auspragungen dargestellt; an der
Schnittstelle von Betrieb und staatlicher Planungsbilrokratie als "eigentilmliches Nebeneinander
bilrokratischer, scheinbar rational und transparent organisierter Strukturen und infonneller, si
tuativer und in politischen Macht- und Aushandlungsbeziehungen gestaltbare Planungsverlaufe"
(Pseudobilrokratie), in den Betrieben als "Nebeneinander fonnal rationaler, 'wissenschaftlicher
Organisationsprinzipien' und infonneller Organisationspraktiken der Beschliftigten" als
"Verbindung bilrokratischer Rationalitat und Eigenregulation von Arbeitem" (Pseudotayloris
mus).
140 Heidenreich 1991, s. 427, Vgl. auch Rottenburg: "Uber das so zusanunengehaltene Bezie
hungsgeflecht funktionierte eine au8erplanma8ige Schattenokonomie, die es allein ennoglichte,
den Schein der Planwirtschaft aufrechtzuerhalten." Rottenburg 1991, S. 319. 141 Rottenburg 1991, S. 317. 142 Milhler, Wippler 1993, S. 693.
156
konnten, dann war letztlich die Alternative nur die FIucht in den Westen. Individuum und System mu6ten entweder ganzlich in eins verschmelzen (freilich zum Nachteil der eigentlichen Individualitat) oder fallen vollig auseinander (Flucht oder im Extremfall Liquidienmg des Individuums).
In der Ulbrichtschen Phase kam eine neue Option hinzu. Entsprechend der wirtschaftlich dezentralisierenden und modemisierenden Strategie war zunehmend der "kritisch-reformerische" BUrger gefragt, der sich fUr die Verbessenmg des Systems einsetzt, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich (die politischen Grundfesten blieben tabu). Damit stiegen die Individualisienmgschancen im System selbst.
Als das kritische Potential politisch gefahrlich wird, setzt man seitens des Systems in der Honecker-Zeit zunehmend auf eine dritte Option. System und Individuen gehen eine mehr oder weniger "friedliche Koexistenz" ein, die zu einem guten Teil auf Neutralitat und Passivitat gegeneinander beruht. Die Initiative wird wieder beim Zentrum konzentriert. Der reformerisch-kritische BUrger ist nicht mehr gefragt. Er darf nun im Bereich des privaten und halboffiziellen Lebens nach seinem Belieben "selig" werden, konsumieren, seinen personlichen Praferenzen folgen und Westfernsehen.
Ziel der neuen Strategie war die "politische Neutralisienmg"143 des BUrgers. Der offentliche Sektor, innerhalb dessen die alten diktatorischen und blirokratischzentralistischen Standards nur wenig verandert weiterbestehen und verzweifelt aufrechterhalten werden, verliert daher immer mehr die Fiihlung zum gesellschaftlichen Mikro- und Basisbereich. Da eine Mindest-Vergesellschaftung d~och notwendig war, stellte diese sich spontan und ungesteuert durch autonomisierende und autarkisierende Bildung von Gruppen und "Fiirstentiimern" her. Zwischen diesen Einheiten (Kombinate, Betriebe, Kollektive, Bekanntschafts- und Freundeskreise) entwickelt sich eine fragmentierte Kommunikation, die auf personlichen Beziehungen und auf Tauschhandel beruht. Universelle Standards der Kommunikation spielen eine immer geringere Rolle. System und Individuen waren wieder starker getrennt, nur noch verbunden durch den erwahnten Stillhaltepakt und eine Art Scheinkommunikation. Das System versprach eine Verbessenmg des Lebensstandards bei weitgehender sozialer Absicherung. Die BUrger hielten sich politisch-ideologisch zuriick und beteiligten sich soweit wie notig an den ideologischen Ritualen des Systems.
Eine Folge des Auseinanderfallens des offiziellen Sektors der Macht und des inoffiziellen Sektors der Basisakteure war das endgiiltige Ende der Aufstiegsdynamik der 50er und 60er Jahre. Die Fiihrungsschichten reproduzierten sich nun wieder weitgehend selbst. FUr dieses Ende der Aufstiegsdynamik sorgte sowohl die rigide Begrenzung des Zugangs zum Abitur und zur Hochschule als auch eine faktische soziale Reproduktion der Schicht der Leitungskader und der Intelligenz
143 Ebenda, S. 693, FuBnote 1.
157
dUTCh die Wirkung politisch-ideologischer Wertetradierung. l44 Die Gese11schaft teilte sich sozial immer starker in eine Schicht der politischen Fiihrungskrafte und der ideologischen Intelligenz, die sich immer starker von der grofien Masse der Bevolkerung unterschied. Erstere hielten an den sozialistischen Werten fest. Ihre Selektion hing stark von Parteimitgliedschaft, Parteitreue und ideologischem Bekenntnis abo Die Masse der Bevolkerung, insbesondere die jiingeren Menschen aus dem FachaIbeitermilieu und die weniger ideologisierten Eliten aus Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik standen entweder dem System gleichgiiltig gegenfiber oder gerieten in eine immer starkere oppositione11e Lage.
2.3 Generationen in der DDR
Die Darste11ung des a11gemeinen Sozialisationsklimas in der DDR, grundlegender allgemeiner Charakteristika des DDR-Systems und schlielUich bestimmter Entwicklungsphasen der DDR-Gese11schaft so11te uns einen Rahmen liefem, urn die Besonderheiten der Wertepragungen der DDR-Biirger im allgemeinen zu erldaren und die Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen in der DDRBevolkerung selbst verstandlich zu machen.
Ich mochte nun die Abbildung der Wertorientierungen der neuen Bundesbiirger auf der Altersachse145 dazu nutzen, urn mehrere Fragen zu beantworten:
a) Nach welchem Grundmuster verlief die Werteentwicklung in der DDR als einer Gese11schaft mit moderner industriegese11schaftlicher Dynamik?
b) Welche Besonderheiten in der Werteentwicklung kamen dUTCh die gese11-schaftliche Dynamik eines sozialistischen Systems hinzu?
c) Welche Speziftka entstanden dUTCh die Einfiihrung und Entwicklung des Sozialismus auf deutschem Boden?
Bei den folgenden Untersuchungen mochten wir vergleichend und ergiinzend auf einige qualitative empirische Untersuchungen zurUckgreifen. Fiir die alte Bundesrepublik, die hier wiederum die Referenzgese11schaft darste11en so11, unterscheiden
144 Mayer und Solga haben diesen ProzeB der sozialen Dynamik in der DDR in der Kohortenanaly
se nachgewiesen. "Auch hier zeigt sich, daB die urn 1930 Geborenen im Vergleich zu den nach
folgenden Kohorten die besten Mobilitlitschancen hatten. Filr die 1940 und 1950 Geborenen trat
eine relative, aber im Vergleich zu (unserer) jiingsten Kohorte eher marginale Verschlechterung
der Aufstiegschancen aus Arbeiterfamilien ein. Der eigentliche Bruch in den Chancenstrukturen
ist in allen unseren Untersuchungen erst mit dem Ubergang zur Kohorte 1959-1961 auszurna
chen ... Die DDR war wabrscheinlich das einzige Land auf der Welt, das nicht nur seinen Stu
dentenanteil stark reduziert hat, sondem in dem in der Kohortenfolge der Anteil der oberen
Dienstklasse nicht wuchs, sondem stagnierte." Mayer, Solga 1994, S. 204, auch FuBnote.
145 Ich benutze hier die SOEP-Stichprobe von 1993, weil sie gegeniiber der von 1990 sehr groB ist,
zum anderen gegeniiber der von 1997 noch nicht so weit von der Wende entfemt ist. Zu den
Altersgruppen 1997 siehe meine "Staffelstabmetapher" in Gensicke 1998a.
158
Weidenfeld und Lutz ohne genauere Zeitabgrenzung die "Kriegsgeneration", die "Nachkriegsgeneration", die 68er bzw. "BRD-Generation" und die sogenannte ,jOngste" Generation. 146 Nahezu analog ist die Einteilung fur die DDR: Auch dort folgt einer Kriegsgeneration eine Nachkriegsgeneration, dann eine DDR-Generation (analog zur "BRD-Generation") und letztlich wiederum die junge Generation.
Die Einteilung ist eng angelehnt an geschichtliche Abschnitte: Als Sozialisationszeit wird offensichtlich jeweils die Nazizeit und der Krieg, die Nachkriegszeit, die 60er und letztlich die 70er Jahre betrachtet. Eine neue Generation, fur die die 80er Jahre als Sozialisationszeit in Frage kame, wird nicht mehr betrachtet.
Goschel, der ebenfalls mit qualitativen Methoden aroeitet, ordnet die Westdeutschen auch nach Generationen. Er gibt aber genauere Geburtsjahrgange an. Seine Befragten sind jeweils urn das Jahr 1930, 1940, 1950 und 1960 geboren. 147
Goschels Einteilung tendiert dazu, daB er im Vergleich zu Weidenfeld und Lutz mit der Nachkriegsgeneration beginnt. Zumindest ist eine klare Abgrenzung von Kriegs- und Nachkriegsgeneration nicht genau moglich. Die nachste Generation diirfte etwa wieder mit der 68er Generation bei Weidenfeld und Lutz ubereinstimmen.
Dieter Geulen hat fur die neuen Lander ebenfalls auf der Basis qualitativer Forschungen eine Generationeneinteilung und -beschreibung vorgelegt. Geulen geht ebenfalls von einem Kohortenansatz aus. Seine Befragten sind urn 1940, urn 1950, urn 1960 und urn 1970 geboren. 148
Ich wahle meine Einteilung auf der Achse von Geburtsjahrgangen ebenfalls im lO-Jahres-Rhythmus, beginne jedoch bereits mit dem Ja)rrgang 1920. Wir aroeiten jedoch mit Durchschnittswerten fur ganze Altersgmppen und nicht mit Kohorten im Sinne von Menschengmppen, die in einem bestimmten Stichjahr geboren sind. Wir beginnen also mit den von 1920-29 Geborenen, setzen fort mit den 1930-39 Geborenen, urn schliefilich noch die jOngsten, die ab 1970 Geborenen, einzubeziehen. FUr diese Altersgmppen sind in den folgenden 5 Abbildungen 86 bis 90 jeweils fUr Ost und West die bereits vorgestellten und diskutierten 5 Wertetypen ausgewiesen. 149
146 Weidenfeld und Lutz setzten sich das Ziel, mit qualitativen Methoden das GeschichtsbewuBtsein
bestimmter Generationen in Ost und West zu erforschen. Weidenfeld, Lutz 1992, S. 8 ff.
147 Auch Goschels Ziel ist nicht direkt die Rekonstruktion der Werteentwicklung auf der Generatio
nenachse, sondem er will bestimmte Kulturbegriffe bestirnmter Generationen untersuchen. Den
noch ist eine Niihe zu bestimmten Werteprofilen von Generationen zu erkennen und daher fUr
uns von Interesse. V gl. Goschel 1991.
148 Vgl. Geulen 1993.
149 Die Abbildungen sind folgendermaBen zu lesen. In Abbildung 86, in der die Konventionalisten
ausgewiesen sind, sind in der Gruppe der von 1920 bis 1929 Geborenen in den neuen Uindem
von 100 Befragten 33 Konventionalisten, in den alten 25.
159
Als erstes ist von Interesse, ob wir bei den 5 zur Auswahl stehenden Wertetypen auf der Altersachse kontinuierliche Zunahme oder Abnahmetendenzen erkennen konnen. Das ist offensichtlich bei den Konventionalisten und bei den Hedomats der Fall, und zwar gleichermaBen in Ost und West (Abbildungen 86 und 87). Wir erhalten hier ein erstaunlich konvergentes Bild: Der Wertetyp, der den "Idealtyp" der traditionellen Gesellschaft darstellt (der Konventionalist), nimmt in Ost und West von Generation zu Generation nahezu kontinuierlich abo
Dieser Befund hat eine hohe Erklarungskraft fur die Ahnlichkeit, die wir vorhin bei den Erziehungszielen festgestellt hatten: In beiden Teilen Deutschlands dominierte danach ein modernes, liberales, vomehmlich an Selbstentfaltungswerten orientiertes Erziehungsleitbild. FUr Westdeutschland war anhand von Umfragedaten nachweisbar, daB seit den 50er Jahren eine charakteristische Verschiebung eingetreten war. Innerhalb von knapp 40 Jahren war das liberale Erziehungsleitbild von einer Minderheitsposition in eine Mehrheitsposition von zwei Dritteln aufgestiegen. Der Abbau traditionaler Personlichkeitsstrukturen, den Abbildung 86 ausweist, muB in engster Beziehung zu diesem Liberalisierungsprozefi gesehen werden. Dnd der Kulturwandel, den diese Daten ausdriicken, ist wiederum nur auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Modemisierung in der Bundesrepublik zu verstehen. Aus all dem konnen wir auf eine iihnlich starke modemisierende Wandlungsdynamik in der DDR schliefien.
Dennoch gibt es 1993 in den neuen Uindem einige Besonderheiten. In allen Altersgruppen (mit Ausnahme der von 1930-39 Geborenen) ist der Anteil der Konventionalisten im Osten hOher als im Westen. Weiterhin ist die Differenz der Prozentanteile zwischen der jlingsten Altersgruppe und der iiltesten im Osten mit 25 % deutlich hOher als im Westen mit 20 %. Zum dritten ist die Differenz zwischen Ost und West in der altesten Gruppe der von 1920-29 Geborenen mit 7 % recht grofi. Das hellit: Zwar ist der "vollzogene Wandel" in den neuen Landem noch etwas signiItkanter als im Westen, dennoch beginnt er auf einem hOheren Niveau. Aufierdem gibt es etwas anders gelagerte Briiche zwischen bestimmten Altersgruppen und generell noch einen gewissen Uberhang an Konventionalisten in den neuen Landem.
Betrachten wir uns nun den zweiten Wertetyp, der eine relativ kontinuierliche Entwicklung auf der Altersachse auf weist, die Hedonistischen Materialisten (Abbildung 87). 1m Gegensatz zu den Konventionalisten verliiuft die "Wertedynamik" jetzt umgekehrt. Je jlinger die Befragten sind, desto hOher ist der Anteil der Hedonistischen Materialisten ("Hedomats"). Diese waren somit 1993 der trendbestimmende Typ in Ost und West. Sie verkorpem eine Wertedynamik, die den Leitgrofien einer konsumorientierten Dienstleistungsgesellschaft entspricht. Pflicht- und Akzeptanzwerte spie1en nicht mehr die entscheidende Rolle. Individuelle Selbstentfaltung, die Erlebnisse und GenuB auf der Grundlage einer guten materiellen Basis anstrebt, ist wichtiger.
160
Dieser Befund auf der Altersebene kann nicht nur 1ebenszyldisch interpretiert werden, also etwa aus einer generell hedonistischeren Orientienmg jiingerer Menschen und einer stlirker konventionalistischen Alterer. Nach den Speyerer Forschungen hat der Typus der Hedomats an der Gesamtbevolkenmg der alten Liinder seit Beginn der Messungen 1987/88 mit dem entsprechenden Instrument auch abso1ut signiftkant zugenommen. In der Altersgruppe der 18-30jahrigen stieg der Anteil der Hedomats von 1987/88 bis 1993 sogar von 18 % auf 31 %.150
Wir haben hiermit in der Generationenbetrachtung einen sakularen Wertewandel vor uns, der 1993 am klarsten durch die Hedomats getragen wurde. Es flUlt jedoch auf, da6 diese Dynamik erst ab der Gruppe der von 1950-59 Geborenen erkennbar ist, in ihrer ganzen Dramatik aber erst von denen getragen wird, die ab 1960 geboren sind. Das deckt sich nun klar mit Gosche1s Befunden fUr die urn 1960 Geborenen. GOschel spricht von einem entscheidenden Bruch in den Wertvorstellungen mit der vorherigen Generation. In dieser Generation werden Phanomene entscheidend, wie die "selbstbewuBte Konsurnentenhaltung und Konsumentensouveranitiit", "spie1erische Asthetisienmg" "Orientiemng an Marken, der Obert1ache, dem Design", Orientienmg am "Ereignis, am Erlebnis", an "Wahlfreiheit im Umgang mit marktvermitte1ten Symbo1en". GOschel spricht sogar von einer "V erwestlichung" des W estens. Kultur wird Dienstleistungskultur.
Als entscheidenden Hintergmndfaktor sieht GOschel den Langfristtrend der Durchsetzung des marktwirtschaftlichen Modells einer Konsurn- und Dienstleistungsgesellschaft nach amerikanischem Muster (daher auch "Verwestlichung"). Urn so erstaunlicher ist es, da6 wir diesen WandlungsprozeB in den Wertestrukturen auf der Altersachse in einer ahnlich heftigen Form (wenn auch verzogert) in den neuen Landem erkennen. Dort halt er in der jOngsten Altersgruppe noch an, wahrend er im Westen bereits zu stagnieren beginnt. Wenn wir uns jedoch an die seit den 70er Jahren in der DDR einsetzende Konsumwende erinnem und uns den VerwestlichungsprozeB mitdenken, der nach der Freigabe des Westfernsehens und der zunehmenden Be1ebung der innerdeutschen Kontakte einsetzte, dann wird die AImlichkeit der Wertedynamik zwischen Ost und West verstiindlicher.
Wir konnen in diesem Falle auch Geulens Interviews heranziehen. Er spricht davon, da6 im Unterschied zu den aIteren Generationen bei den urn 1960 Geborenen "individualistische" und "hedonistische" W erte hervortreten. "Die genaue Kenntnis des Apparates wurde bewuBt und trickreich im individuellen Daseinskampf genutzt, wo bei den aIteren Generationen eher die Neigung bestanden hatte, gegebene Bedingungen einfach hinzunehmen". Die politische Haltung dieser Generation gehe von Distanz und Gleichgiiltigkeit fiber Berichte vom eigenen unpo-
150 Vgl. Gensicke 1998b. 1997 war der Anteil der Hedomats in Westdeutschland zugunsten Aktiver
Realisten (38 %) wieder rQcklAufig, blieb mit 22 % aber immer noch signifIkant hOher als
1987/88.
161
litis chen Aufbegehren bis zu unerbittlicher Kritik. 151 Bei den urn 1970 Geborenen stellt Geulen eine noch weitergehende Distanzierung vom DDR-System fest. Er vermutet eine (noch) stiirkere Orientierung am Westen, insbesondere an der amerikanischen Kultur. 152
Der sakulare Trend weg von traditionellen und hin zu modernen, an Selbstentfaltung orientierten Personlichkeitsstrukturen ist damit in Ost und West auch auf der Altersachse kIar nachzuweisen. Beide Gesellschaften unterlagen einem Trend zur Verwestlichung: 1m Westen, indem sich die marktwirtschaftliche Ordnung durchsetzte und schliefilich auch kulturell pragend wurde, im Osten, indem die seit den 60ern nachwachsenden Generationen von Honeckers Konsumwende gepragt wurden und sich zunehmend am Vorbild des Westens orientierten. Der Westen war im Osten durch das Fernsehen prasent, in den Waren, die als Geschenke in die DDR kamen (und denen, die im Intershop fiir Devisen zu haben waren) und in personlichen Kontakten. 153
151 Geulen 1993, S. 44.
152 Einen deutlichen Zuwachs individualistischer, hedonistischer und materialistischer Werte seit
Ende der 70er Jahre in der Jugend der DDR hat die Jugendforschung des Leipziger Zentralinsti
tuts fIlr Jugendforschung (ZI1) eindrucksvoll nachgewiesen. V gl. vor allem Friedrich 1990 und
die verschiedenen Arbeiten von Friedrich, Forster, Griese, Muller und Schubarth.
153 Man denke auch an die insbesondere in den 80er Jahren ausgebauten Moglichkeiten zu einem
gewissen "Luxuskonsum". Urn den stets vorhanden Kautkraftuberhang abzuschopfen, bot man
in Spezialladen (Exquisit, Delikat) fIlr deutlich hOhere Preise hoherwertige Waren an. In den
80er Jahren intensivierten sich nicht nur die westlichen Besuche im Osten, sondern auch die ost
lichen im Westen. Besonders bedeutsam war es, daB immer mehr jungere DDR-Burger in den
Westen reisen konnten. Anne Kohler berichtet, daB von 1986 bis 1988 nach Ergebnissen von In
fratest-Befragungen der Anteil der 14-29jahrigen an den Westreisenden (BRD und Westberlin)
von 2 % auf 14 % stieg, der Anteil der 30-49jiihrigen von 18 % auf 33 % und der Anteil von
50jahrigen und Alteren von 80 % auf 54 % sank. Kohler 1991, Schaubild 8. Sehr aufschluBreich
sind auch die Ergebnisse von Manfred Gehrmann, der das Verhalten von DDR-Auswanderern
auf der Basis einer Stichprobe von 937 Befragten untersucht hat, die zwischen dem Fruhjahr
1983 und dem Fruhjahr 1986 in den Westen gekommen waren und die er im Sommer 1989 be
fragte. Gehrmann berichtet, daB fast aile Interviewten Kontakte in die DDR aufrechterhielten.
Diese "Pioniere" lieferten damit fIlr die DDR-Burger Beispiele, "daB es auch auf der Basis einer
DDR-Sozialisation moglich war, sich Individualisierung" anzueignen. Gehrmann zitiert dann
erlauternd Wolfgang Zapf, der den Individualisierungsbegriff an Initiative, Selbstverantwortung
und Problemlosungskapazitat bindet. Gehrmann 1992a, S. II. Verwestlichung laBt sich damit in
mehreren Dimensionen fassen: 1. als Resultat direkter Einwirkung durch Medien, Waren und
Besuche aus dem Westen, 2. als Resultat eigener direkter Erfahrung durch Besuche im Westen
und der Berichte damber in der DDR, 3. als Ruckwirkung der Auswanderung aus der DDR
selbst und des Beispiels erfolgreicher Etablierung von Verwandten, Freunden und Bekannten im
Westen.
162
In der Fo1ge solI bestimmt werden, was die "Wertedynamik" in der Zwischenphase bestimmte, also insbesondere in den Altersgruppen, die ab 1930 geboren wurden, als die Konventionalisten abnahmen bis zorn Jahr 1960, als die Generationen geboren wurden, in denen dann die Hedomats in Erscheinung traten.
In der Fo1ge sol1en uns in Abbildung 88 die Daten fUr die Aktiven Rea1isten interessieren. Die Rea1isten haben mit den Konventionalisten gemeinsam, Will sie Pflicht- und Akzeptanzwerte (Ordnung, Sicherlteit, F1eill) hoch schatzen. Bei den Rea1isten sind jedoch auch Se1bstentfaltungswerte stark ausgepriigt. Rea1isten unterscheiden sich daher weitgehend von Konventionalisten: Sie sind Individualisten, die Pflicht- und Akzeptanzwerte im Interesse der eigenen Lebensbewaltigung kultivieren und instrumentalisieren. Konventionalisten sind fiber ihre Pflicht- und Akzeptanzwerte unmitte1bar mit dem (wirklichen oder imaginaren) gesellschaftlichen Ganzen verkoppe1t, es schaltet sich nicht wie bei den Realisten das Se1bstentfaltungsstreben als kalkulierende und regulierende Instanz dazwischen. Gosche1 beschreibt dieses Phanomen fUr die von ihm untersuchten Westdeutschen der Geburtsjahrgange der urn 1930 Geborenen: "Traditionelle Tugendidea1e sind noch sehr 1ebendig. Sie scheinen, wenn auch in individualisierter Weise, das heillt bezogen auf die individuelle Karriere, die einzig verlaBlichen Orientierungspunkte zu sein."154 Dreh- und Angelpunkt in der Wertschatzung und Orientierung werden nach Gosche1 die "Leistung", das "Technische", "Naturwissenschaftlich-Gesetzmiillige", das "Sicherheit und Stabilitat" gewahrt. Getragen werden diese Orientierungen gerade von den "technisch-6konomischen Eliten, die die Anfangsjahre der Bundesrepub1ik bestimmen und deren Idealtyp der 'okonomische Mensch' bzw. die Figur des privaten Untemehmers ist"155.
In unserer Abbildung 88 konnen wir nun feststellen, Will die Aktiven Realisten (wie bereits dargestellt) in beiden deutschen Teilbevolkerungen quantitativ am haufigsten vertreten sind. Sie treten jedoch in verschiedenen Generationen unterschiedlich stark in Erscheinung. Auffiillig ist zunachst, Will Rea1isten eher fUr die Generationen typisch sind, die bis 1949 geboren wurden, weniger typisch fUr die zwischen 1950 bis 1969 Geborenen. Sie treten al1erdings bei den ab 1970 Geborenen wieder starker in Erscheinung. Die realistische Priigung der Jahrgange bis 1949 scheint auf einen ersten Individualisierungsschub zu verweisen, der sich insbesondere in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches ereignet hat. Dieser Schub wird in der Bundesrepub1ik bereits eine Generation friiher als in der DDR erkennbar. Er 1aBt sich unschwer aus den neuen Moglichkeiten erklaren, die die Wiederaufbauphase und die einsetzende marktwirtschaftliche Dynamik untemehmerischen und anpackenden Charakteren gab.
In den neuen Landem gibt es in der Generation der von 1920-29 Geborenen noch verg1eichsweise viele Konventionalisten, was auf die Restabilisierung autori-
154 GOsche11991, S. 26.
155 Ebenda, S. 180.
163
tarer Charakterstrukturen im Ubergang von der Hitlerschen zur Stalinschen Zeit zuriickgehen kann. Bei den in der DDR zwischen 1930 und 1949 Geborenen folgt dann ein eindrucksvoller und im Vergleich zur Bundesrepublik verspateter Individualisierungsschub. Aktive Rea1isten sind in den neuen Landern in diesen Generationen jeweils zu 40 % vertreten, wahrend in den alten Landern der Anteil der Rea1isten bereits wieder zuriickgeht.
Es ist naheliegend, die Pnigung der DDR-Jahrgange von 1930-49 auf den aktiven Rea1ismus auf die soziale Aufstiegsdynamik in der DDR der 50er und 60er Jahre zuriickzufiihren. Der erkennbare Individualisierungsschub erkllirt sich allerdings nicht so sehr aus einem rasanten marktwirtschaftlich organisierten Wiederaufbau wie im Westen, sondern eher aus dem Zuwachs an Karriere- und Bildungsmoglichkeiten der betreffenden Jahrgange im Osten mit einer engen Fiihlung zu den Anf'angen der Ulbrichtschen Reformen. Geulen jedenfalls fand bei den urn 1940 Geborenen eine "fast ausschliefiliche" Zentrierung der erzahlten Biograpbie um die Ausbildungs- und Berufsbiograpbie bei Ausblendung des Privaten und eine Betonung der Herkunft aus einfachen Verhaltnissen. Weiterhin notiert er: "Die hohe Bedeutung der Arbeit fUr das Verstandnis der eigenen Identitat ist vielleicht damit zu erklaren, dafi sich die Notwendigkeit zum Aufbau in der Nachkriegszeit verbindet mit der ideologischen UberhOhung der Arbeit in der DDR-Gesellschaft." 156
In den folgenden Generationen rmden wir in Ost und West den geringsten Anteil an Realisten, wobei wir ab den von 1960-69 Geborenen in beiden Teilen bereits einen hedomaterialistischen Schub festgestellt hatten, den wir ahnlich wie Goschel als eine weitere Individualisierungswelle inteq>retiert hatten. Interessanteiweise ist in der jiingsten Altersgruppe wieder ein klarer Anstieg des Anteils an Rea1isten zu erkennen. Man kmm mit Goschel dariiber spekulieren, ob sich dort nach dem Wandel der Rahmenbedingungen durch die Wiedervereinigung durch die neue Welt(un)ordnung und die Rezession von 1993 ein Trend zu einer "neuen Emsthaftigkeit" oder zu einer "neuen Verbindlichkeit" abzeichnet. 157
Wenn wir uns das Generationenbild fUr den Westen ansehen, dann bleibt fUr die Jahrgange von 1940-59 eine weitere Entwicklung nachzuvollziehen, die anhand der Abbildung 89 deutlich wird. 158 Zwischen dem ersten Individualisierungs-
156 Geulen 1993, S. 43.
157 Ebenda, S. 178. Die "Spekulation" hat sich bewahrheitet. Vgl. Anmerkung 151 und Gensicke
1998b.
158 In Abbildung 90 sind die Resignierten auf der Altersachse dargestellt. Es ist jedoch kein inter
pretables Schema zu erkennen. Das "Resignierten-Schicksal" stceute 1993 oft'ensichtlich sehr
breit. In diesem Zusammenhang paBt vielleicht ein Zitat von Habich: "Die Vermutung, in Ost
deutschland kllnnte eine eindeutige, in sich homogene Bevolkerungsgruppe von 'Verlierem'
identiflziert werden, kann ... nicht bestiltigt werden." Habich 1995, S. 5. Im Wertesurvey 1997
zeichnete sich allerdings eine gewisse Konzentration der Resignierten auf Teile der mittleren
164
schuh, der von den Realisten getragen wird, und dem dritten Schub, der in Richtung Hedomats ging, schiebt sich eine zweite Welle, die die Generationen der Jahrgiinge von 1940-59 betrifft. GOschel spricht fUr die urn 1940 Geborenen von einer "theoretischen oder wissenschaftlichen Generation". Die Expansion von Dienst1eistungsberufen in den 60er und 70er Jahren, vor allem der Ausbau und die Reformen des Bildungssektors, ftihrten zu einem "Machtgewinn der Intelligenz". Typisch fUr diese neue Generation ist der "links-libera1e Intellektuelle in einem Dienstleistungsberuf, vorzugsweise in einer Bildungs und Forschungseinrichtung"159. Vor diesem Hintergrund und in Abgrenzung zur auf Sicherheit, Stabilimt und materiellen Wohlstand orientierten Realistengeneration bzw. zu den noch iilteren Konventionalisten entwickelt sich ein zweiter, "idealistisch" getonter Individualisierungsschub. Dieser Schub kommt in unseren Daten in Form einer deutlichen Zunahme des Typus des nonkonformen Idealisten in der Gruppe der von 1940-49 Geborenen zum Ausdruck, die dann Trager der 68erBewegung werden. Er setzt sich in der folgenden Gruppe dervon 1950-59 Geborenen fort, die Grundlage der Griinen-Bewegung bilden. 160
Wir selbst konnen beide Generationen qualitativ nicht voneinander unterscheiden. GOschel meint, der wissenschaftlichen Generation der 68er folge eine "romantische" Generation, deren Idealismus im Unterschied zur vomergehenden Generation nicht wissenschaftlich und analytisch eingefarbt, sondem eher "esoterisch-gefiihlsbetont" und ganzheitlich ist. Es herrscht eher ein moralischer als ein aufldarerischer Impetus vor.
Ein idealistischer Individualisierungsschub ist in den DDR-Daten nur fUr die von 1950-59 Geborenen zu erkennen. In der DDR sind fUr die Gruppe der von 1940-49 Geborenen eher die Realisten typisch. Das kann mit dem naturwissenschaftlich-technischen, vorrangig okonomisch und eher apolitisch ausgerichteten Reformkurs in der Ulbricht-Am zusammenhiingen. In der folgenden Generation konnten sich die bereits erwaImten "romantischen" Tendenzen unter den Intellektuellen als Reaktion auf den rigiden technokratisc~en Ulbrichtschen Kurs ebenso ausdIiicken sowie eine voIiibergehende politische Aufwertung der sozialistischen
und iilteren Jahrgange ab, die den bereits erwiihnten Ausgrenzungseffekten aus dem aktiven Transformationsgeschehen unterliegen.
159 GOschell991, S. 43. 160 Es mag auffallen, daB der Anteil der Idealisten an den relevanten Altersgruppen zwar signiftkant
hoher ist a1s an den anderen, ibr Anteil jedoch absolut gesehen in den entsprechenden Altersgruppen der von 1940-59 Geborenen nicht sem hoch ist. Das scheint damit zusammenzuhangen, daB der Zeitgeist filr "Idealismus" zur Zeit generell nicht gilnstig ist und wir hier nur den ,,harten Kern" der Idealisten abbilden ohne die "Mitlliufer" des Zeitgeistes, die 1993 eher auf HedomatKurs waren. Denkbar ist auch, daB gegenOber frilheren Erhebungen aus manchen "gescheiterten" Idealisten auch Resignierte geworden sind.
165
Idee in der zweiten HaIfte der 60er und der erst en HiUfte der 70er Jahre. 161 Diese Aufwertung hing mit Illusionen eines "menschlichen Sozialismus" zusammen und mit Hoffnungen auf eine politische Liberalisierung im Gefolge der international en Anerkennung der DDR auch seitens der BRD.
Geulen bestatigt diese Vermutung anhand seiner Interviews: Danach scheint es, dafi die Generation der urn 1950 Geborenen "die politischen und insbesondere moralischen Ansprtiche des Sozialismus stark verinnerlicht hat; auch scheint die emotionale Beziehung zur DDR als Heimat hier sehr stark ausgepragt."162 Ahnlich auch Weidenfeld und Lutz, die direkt von einer "DDR-Generation" sprechen. Gerade der Moralismus verbindet diese Generation offensichtlich mit ihrem Gegenpart im Westen, wenn auch die Systemumwelt in vielem anders war. Weidenfeld und Lutz berichten dartiber, dafi sie gerade in dieser Generation einen Gegensatz beobachtet haben, der von innerer moralischer Teilhabe an den sozialistischen Idealen und von Geffihlen der "Entfremdung" und der "Bevormundung"163 gepragt war, in einer real en Lebenswelt, die diesen Idealen immer weniger entsprach. Die gut ausgebildete DDR-Generation verkorperte zwar selbst ein "kritisches Potential", die emotionale Verbundenheit zum Sozialismus aufgrund einer moralischidealistischen Wertepragung liefi die Kritik jedoch einen bestimmten Punkt nicht iiberschreiten.
Es bedurfte dalIer eines Wertebruchs in Richtung nichtsystemkonformer Werte, damit unter den jiingeren Menschen eine Massenbasis entstand, die dann in den revolutionaren Umbrtichen fUr den konsequentesten Bruch mit der realsozialistischen Wirklichkeit zur Verfiigung stand.
161 Auf diese "AufWertung der Idee des Sozialismus" als ,,zweiten Wertwandlungsschub" hat
bereits Pollack hingewiesen. Pollack 1993, S. 90. 162 Geulen 1993, S. 43. 163 Weidenfeld, Lutz, S. 9.
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2.4 Welche sozialen Einstellungen hinterliefi die DDR?
2.4.1 Sozialistische und westliche Identitat
Wir haben in den vorherigen Abschnitten zu zeigen versucht, dafi es im Bereich der individuellen Wertorientierungen und ihren Wandlungen in der Generationenfolge zwischen Ost und West mehr AhnIichkeiten als Unterschiede gibt. Die Unterschiede, die dennoch zum Vorschein kamen, zeichneten den Osten als eher gut geriistet fUr die Bewiiltigung des Umbruchs aus, in dem relativ wenig Resignation, dafiir jedoch viel Aktiver Realismus zu erkennen war.
1m Kapitel "Wertorientierungen und Wohlfahrt" konnte weiterhin gezeigt werden, dafi die Wertesituation in den neuen Landem nach einem iihnlichen Schema und in iihnlicher Plausibilitat wie im Westen an die Wahmehmung von Wohlfahrt insbesondere soziookonomischer W ohlfahrt gekniipft ist. Breite Werteaktualisierung (Aktiver Realismus) ist mit iiberdurchschnittlichem Wohlfahrtsempfmden verkniipft, Werteminimalismus (Resignation) mit unterdurchschnittlicher Wohlfahrtswahmehmung. Es mufite allerdings die Einschrankung gemacht werden, dafi dieser Zusammenhang in den neuen Landem starker fUr die zukiinftigen und strategischen Faktoren der Wohlfahrt gilt als fUr die aktuellen. Es driicken sich darin nivellierende Faktoren der soziookonomischen Situation in den neuen Landem164
aus, die die Werteunterschiede iiberlagem. Diese Werteunterschiede sind aus der Sozialisation in der DDR erklarlich, die im Vergleich zur Bundesrepublik strukturell iihnliche, aber auch abweichende Bedingungen aufweist.
Insofem konnte diese Abhandlung mit dem optimistischen Ausblick abgeschlossen werden, dafi der weitere Verlauf der Transformation in den neuen Landem relativ unproblematisch sei, eine erfolgreiche soziookonomische Entwicklung der neuen Lander einmal unterstellt. Die zunehmende soziale Differenzierung werde in den neuen Landem nach dem Vorbild der alten Lander ein neues Unterfutter fUr die aktuell noch etwas in der Luft schwebenden Wertestrukturen schaffen.
Dieser Standpunkt miifite unterstellen, dafi die Einwirkungen der sozialistischen Sozialisation an den DDR-Biirgem ziemlich spurlos vorbeigegangen seien. Das ist jedoch unplausibel. Viele, insbesondere iiltere DDR-Biirger, haben an die Idee des Sozialismus geglaubt. 165 Und selbst wer nicht daran glaubte, ist dennoch durch die Systemumwelt der DDR gepragt worden, selbst wenn er sich in Opposition dazu fiihlte.
164 Vgl. Weick 1995.
165 So gaben im FrIlhjahr 199222 % der Ostdeutschen (im Alter ab 16 Jahren) an, Mitglied der SED
gewesen zu sein, 67 % sagten, sie batten an den "sozialistischen Staat" geglaubt. V gl. Noelle
Neumann 1992b.
170
So muB angenommen werden, dafi trotz aller Ahnlichkeiten zwischen Ost und West das Verhaltnis von Individuum und System in Ost und West eine unterschiedliche Farbung hatte. Das Menschenbild166 des Sozialismus war immer primar kollektivistisch und etatistisch. Zwar bemiihte man sich, im Verlaufe der historischen Entwicklung des Sozialismus zunehmend, die menschliche Individualitat in dieses Menschenbild zu integrieren. Dennoch blieb unabhangige und kritische Individualitat fUr das offizielle Bild yom sozialistischen Menschen immer prekar.
DaB fUr die DDR-BOrger uberhaupt ein bestimmtes Menschenbild fUr verbindlich erklart werden konnte, z.B. im Programm der SED, ist typisch fUr den realen Sozialismus. 1m Westen gibt es ein solches verbindliches offizielles Menschenbild nicht und kann es auch nicht geben. 167 Allerdings existiert dennoch eine ungeftihre Vorstellung einer fUr die moderne westliche Gesellschaft angemessenen Identitat. Wer Stellenanzeigen liest, sich einem Bewerbungsgesprach stellen oder sich als Berufseinsteiger in der Praxis bewahren muB, bekommt diese Personlichkeitsanforderungen deutlich zu spOren.
Nach Klages steht dabei ein Selbstkonzept bzw. Selbstbild im Mittelpunkt, das einerseits an individueller Selbstentfaltung orientiert, das jedoch gleichzeitig realistisch auf das gesellschaftliche Chancen- und Rollenangebot bezogen ist. 168 Die Fahigkeiten, eigene Interessen zu formulieren, mit den realen Moglichkeiten abzugleichen und unter Einsatz von Sekundartugenden und unter Beweis sozialer Kompetenz durchzusetzen, spielen dabei die Hauptrolle.
Die primar individualistische und erst von daher an Leistung und sozialer Kompetenz ausgerichtete westliche Ideal-Personlichkeit widerspricht dem offiziellen Menschenbild der DDR. Primat hatte hier die gesellschaftliche und kollektive Integration des Menschen. Diejenigen, die im offiziellen System Karriere machen wollten, muBten sich diesem offiziellen Menschenbild unterordnen. Das heillt, im Milieu der Elite war die Individualitiit allzu sehr durch das Kollektiv, Partei und Staat absorbiert, wahrend die gro.6e Masse der Bevolkerung dem Kollektiven und Staatlichen eher distanziert gegenuberstand. Beiderseits herrschte ein unausgewogenes Verhaltnis zwischen Individuum und System, das zuweilen auch heute noch nachwirken kann.
Es lii.Bt sich fUr die alte Bundesrepublik nachweisen, dafi der bereits beschriebene Wertetypus des Aktiven Realisten dem individualistisch-integrativen Anforderungsprofil der modernen Gesellschaft am ehesten entspricht. Dieser Typus tritt
166 Vgl. Erpenbeck, Weinberg 1993, die allerdings auch von "Weiterentwicklungen" des sozialisti
schen Menschenbildes im Laufe der DDR-Geschichte sprechen, in denen Tendenzen zur Ver
menschlichung, Individualisierung, Intellektualisierung und Subjektivierung zu beobachten sind.
167 Schon das Grundgesetz stellt den Wertepluralismus unter Schutz.
168 Vgl. Klages 1996a.
171
zwar, wie bereits dargestellt, in den neuen Uindem starker auf als in den alten. Dennoch miissen wiT annehmen, Will auch er (oder sie) von der Systemumwelt des rea1en Sozialismus gepragt ist, wobei allerdings die heutigen Anpassungschancen unter allen Wertetypen sicherlich am grofiten sind.
2.4.2 Attributionsstile im vereinigten Deutschland: Etatismus und Individualismus
Inwiefem sind in den neuen Uindem, unabhangig von der Emanzipationsbewegung in der DDR, "Pragungen" des DDR-Systems noch lebendig?
Nach einer ersten Verbliiffung aufgnmd erster Unfrageergebnisse nach der Wende neigten viele empirische Sozialforscher und Politologen zunachst dazu, die Nachwirkungen der "Systempragung" auf die ostdeutsche Bevolkerung zu unterschatzen. Besonders die Jugendforschung hatte anflinglich Schwierigkeiten, signifikante Unterschiede in den Wertorientierungen und politischen Auffassungen der west- und ostdeutschen Jugend nachzuweisen.
Auch beziiglich aIIgemeiner politischer Einstellungen, die man im Westen als gnmdlegend fUr eine funktionierende freiheitliche politische Kultur ansieht, stellte man zwischen der ost- und westdeutschen Bevolkerung zunachst kaum Unterschiede fest. Beispielsweise wurde in Ost und West die freiheitlich-parlamentarische Demokratie als solche kIar der Einparteienherrschaft vorgezogen. "So befUrworten im Westen wie im Osten mehr als neunzig Prozent der Befragten solche forma1en Aspekte demokratischer Systeme wie das Recht auf Meinungsfreiheit, die Notwendigkeit einer politischen Opposition und die Chance auf Regierungsbeteiligung fUr jede demokratische Partei."169 Die Ablehnung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist in Ost und West weit verbreitet, auch beziiglich der Akzeptanz von Formen der politischen Partizipation gab es nur geringe Unterschiede. Die Daten fielen in den neuen Liindem oft noch "besser" aus als in den alten, so Will manchmal die Frage gestellt wurde: "Sind die Ostdeutschen die besseren Demokraten?" 170
Die Daten stie.Ben notwendigerweise auf Skepsis, wei! man davon ausging, da.B eine feste Verankerung freiheitlich-demokratischer Einstellungen nur durch jahrzehntelange Sozialisationsprozesse in einer funktionierenden Demokratie moglich ist. Und das konnte man im FaIle der DDR-Bevolkerung, die ja unter einer diktatorischen A1leinherrschaft der SED gelebt hatte, kaum annehmen. Die Interpretation der Daten wurde auch durch das Beispiel der westdeutschen Bevolkerung verkompliziert, die nach dem Sturz der Nazidiktatur einige Jahrzehnte benotigte, um sich freiheitlich-demokratische Einstellungen einzufiben.
Zwar war es immer moglich, stillschweigend anzunehmen, Will die politischen Beeinflussungsversuche und die politische Lebensrealitat der DDR spurlos an den
169 Achirn Koch 1991, S. 2. 170 Vgl. dazu U.a. Achirn Koch 1991, Westle 1992 und 1994.
172
DDR-Biirgem vorbeigegangen war. Das konnte jedoch nur das Feh1en "diktatorischer" Einstellungen erkHiren, nicht das Vorhandensein freiheitlich-demokratischer. Man behalf sich daher zunachst mit Hilfskonstruktionen, etwa der Annahme einer "virtuellen" Sozialisation, der die DDR-Biirger unterlagen und die sich durch den jahrzehntelangen EinfluB westlicher Medien in der DDR und deren Propaganda fUr das westliche politische Modell erkHiren sollte. Oder man ging von einem sogenannten "Ereignislemen" aus, indem man dem Ereignis der selbstgemachten demokratischen Revolution von 1989 eine extrem starke Pragekraft auf die politischen Einstellungen der neuen Bundesbiirger zuschrieb.
Es wurde jedoch zunehmend empirisches Material erhoben, das den allzu optimistischen Standpunkt weitgehend in Frage stellte, die politische Sozialisation in der DDR sei an ihren Biirgem vorbei gegangen. Achim Koch hatte bereits 1991 darauf hingewiesen, daB die staatsbezogenen Einstellungen der neuen Bundesbiirger von denen der alten erheblich abweichen. 171 "Dominieren in der Bewertung demokratischer Spielregeln und verschiedener Formen politischer Beteiligung die Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West, so ergibt sich ein anderes BUd, wenn man die Einstellungen zu den Funktionen von Staat und Regienmg im Bereich der sozialen Sichenmg und in der Wirtschaftspolitik betrachtet. "172
171 Vgl. Achim Koch 1991.
172 Ebenda 1991, s. 4.
173
Tabelle 9: Soziale Einstellungen in den neuen und alten Landem im Vergleich (1994)
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Der Staat mufi dafiir sorgen, dafi man auch bei Krankheit, ot und Arbeitslo igkeil und im Alter ein Ie Au kommen hat o r taat mufi daftir sorgen dafi jeder Arbeit hal und die Prei e stabi l bleiben auch \ enn dCS\ egen die Freiheiten d r Untemehmer ein schrankt \ erden mussen In Deutschland bestehen noch die allen Gege~tze Z\ ischen Besitzenden und Arbeilenden. Die persOnlich tellung hangt da on ab ob man zu der oberen oder unleren KIa e ehOrt 53 Oas Einkomroen sollte ich nichl allein nach der Leistung der einzelnen richlen. ielm hr oJltejeder da haben, was er mit ciner FarniIie ftlr cin anstllndi es Leben braucht Die Wirtschaft funktioniert nur, wenn die Untemehmer gute Ge~ inne machen. Und das kommt letzten Ende allen zu teo Deutschland ist eine orrene GeselJs haft. Wa man im L b n erreicht hangt Dieht mehr om Eltemhaus abo aus dem man komml. ondem on d n Fahigkeiten, die man hat und der 8iJdun die man erwirbt
63 (19
93 (47
1)
Quelle: ALLBUS 1994, Maschinenlesbares Codebuch, Zustimmungen in Pro-zent (in Klammem die entschiedenen Zustimmungen: "voll und ganz").
Die neuen BundesbOrger nehmen den Staat in den meisten Bereichen der Wohlfahrtpolitik und Daseinsvorsorge deutlich starker in die Pflicht als die alten. Zwar meint man auch im Osten nicht, dafi der Staat die Betriebe selbst besitzen und fiihren soll. Dennoch werden in den neuen Landem wirtschaftlicher Einflufi und Eingriffsmoglichkeiten des Staates in die private Wirtschaft wesentlich starker
174
gewiinscht. (Tabelle 9) In den neuen Landem erkennt man insgesamt einen Attributionssti/173, der starker etatistisch gepragt ist als in den alten. 174
2.4.3 Gesellschaftliche Ordnungsideale in den neuen und allen Landern:
Demokratischer Sozialismus und Liberaler Wohlfahrtstaat
DaB die unterschiedlichen Attributionsstile in Ost und West auf unterschiedlichen Ordnungsidealen beruhen, hat Bettina Westle nachgewiesen. 175 Sie interessierte sich vor allem fUr das Verhaltnis der beiden Ordnungsideen "Sozialismus" und "Demokratie" in Ost und West. Auch sie verweist zunachst darauf, da6 es in den neuen Landem eine ahnlich hohe und stabile Zustimmung zo freiheitlichdemokratischen Idealen und Funktionsmechanismen gibt.
1m Osten ist jedoch auch die Zustimmung zur Idee des Sozialismus recht hoch ausgepragt, ja sie nahm 1993 sogar noch zo. 53 % der Ostdeutschen waren 1993 "sehr" oder "ziemlich" fUr die Idee des Sozialismus eingestellt (1992: 41 %), jedoch nur 24 % der Westdeutschen (1992: 19 %). FUr die Idee der Demokratie sprachen sich 1993 im Osten 82 % aus (1992: 76 %), im Westen 1993 86 % (1992: 86 %). In einer anderen Fragestellung durch das IFD A1lensbach waren 1997 noch immer 68 % der Ostdeutschen und 33 % der Westdeutschen der Meinung, der Sozialismus sei "eine gute Idee, die schlecht ausgefiihrt" worden sei (Abbildung 91).
Entscheidend ist nun, da6 der theoretische Antagonismus beider Ordnungsideen "Sozialismus" und "Demokratie" von 60 % bis 70 % der Ostdeutschen nicht mit-
173 Der Attributionsstil einer bestimmten Bevolkerung ist das VerhlUtnis zwischen den Forderungen
der Bevolkerung an den Staat und dem, was die einzelnen Bilrger sich ihrem eigenen Kompe
tenz- und Aktivitatsbereich zurechnen. In den USA ist dieser Stil traditionell wesentlich weiter in
Richtung des einzelnen Bilrgers verschoben als in Deutschland und in Ostdeutschland noch
weiter zum Staathin als in Westdeutschland. Vgl. Klages 1995, Wegener 1992.
174 Der etatistischere Charakter des Attributionsstiles in den neuen Landem zeigt sich auch anhand
der Frage, wer ,,fUr die Schaffung von Arbeitsplatzen hauptsiichlich verantwortlich" sei, eher der
Staat oder eher die Untemehmen. 1994 nahmen 38 % der Westdeutschen den Staat filr die Ar
beitsplatze in die Pflicht (und 49 % die Untemehmen), aber 66 % der Ostdeutschen (30 % Un
temehmen). Wie beweglich die Ostdeutschenjedoch in dieser Frage sind, zeigen die Antworten
auf die gleiche Frage im Jahr 1998; wwend die westdeutschen Antworten fast genauso wie
1994 ausfielen, attribuierten nunmehr nur noch 52 % der Ostdeutschen die Schaffung von Ar
beitsplatzen dem Staat und inzwischen 39 % den Untemehmen. Ein zweiter indirekter Indikator
filr die Staatsattribution ist die IPOS-Frage danach, ob in der Wirtschaft zu viele Dinge durch
den Staat geregelt werden. 1994 meinten das 49 % der Westdeutschen und 36 % der Ostdeut
schen, 1998 bereits 60 % der Westdeutschen, aber nunmehr auch 52 % der Ostdeutschen. Also
auch hier Bewegung! Vgl.IPOS 1998. 175 Vgl. Westle 1994.
175
vollzogen wird (aber auch von ca. 50 % der Westdeutschen nicht); beide Ordnungsideen werden gleicherma6en ptiiferiert. Westle vennutet aufgrund ihrer Analysen ein eigenstiindiges Demokratieidea1 in den neuen Undern, das an Vorstellungen eines "demokratischen Sozialismus" orientiert ist und an Vorstellungen eines "dritten Weges" zwischen Kapitalismus und Sozialismus erinnert. 176 Dieses Demokratieidea1 beinhaltet in starkerem MaBe als das westliche die Akzeptanz erheblicher Umverteilungen durch den Staat und eine deutlichere Tendenz in Richtung sozialer Gleichheit.
Das ostliche Demokratieidea1 ist damit starker als das westdeutsche eine zentralistische Umverteilungs- und Leistungsdemokratie. Dem steht seitens des Westens ein individualistischeres und dezentraleres Demokratieverstiindnis entgegen, innerhalb dessen der Schutz der Individualrechte und der FOderalismus starker betont werden. Man kann damit festhalten, da6 im ostlichen Demokratie- und Staatsverstandnis durchaus langfristige Elemente sozialistischer Sozialisation fortwirken: Es ist zwar nicht totalitiir gepragt, dennoch zentralistischer, etatistischer, kollektivistischer und wohlfahrtstaatlicherl77 als das westdeutsche. 178 Diese "Systempragung" scheint sich auch in den Abbildungen 92 und 93 niederzuschla-
176 Aufschlu6reich dazu einige Ergebnisse des Allensbacher Institutes fUr Demoskopie. 55 %
Prozent der Ostdeutschen meinten im NovemberlDezember 1997, mit der Wiedervereinigung
wAre die Chance vergeben worden, einen neuen Staat zu schaff en, in dem Marktwirtschaft,
Menschlichkeit und Sozialismus verbunden sind. 20 % waren unentschieden und nur 25 % da
gegen (mit abnehmender Tendenz). 1m Westen stimmten dem nur IS % der Bevalkerung zu,
70 % waren dagegen, der Rest warunentschlossen. (Vgi. Noelle-Neumann 1997c).
177 Man beachte, daB jene "Pragungen" des DDR-Systems eine gra6ere Beweglichkeit der Einstel
lungen erlauben, als manchmal angenommen. Wie bereits bei den IPOS-Indikatoren
"Verantwortlichkeit fUr Arbeitsplatze" und "Regulierung der Wirtschaft" erweist sich in den
neuen Uindem auch die Erwartungshaltung gegenllber den Sozialleistungen als bewegiich. Zwar
waren 1994 noch 60 % der Ostdeutschen der Meinung, der Umfang der bestehenden Soziallei
stungen sei zu klein (West: 32 %), dennoch ist dieser Prozentsatz 1998 auf 39 % (West: 18 %)
zurllckgegangen, wahrend nunmehr eine relative Mehrheit von 44 % meinte, der Umfang der
Sozialleistungen ware gerade richtig (West: 46 %). Hintergrund dieser "Anpassungsleistung"
scheint in Ost und West die Oberzeugung zu sein, daB sich Deutschland "die hOchsten LOhne,
die kllrzesten Arbeitszeiten und den lAngsten Urlaub" in der Welt in Zukunft nicht mehr leisten
kanne (78 % West und Ost). Vgi. IPOS 1998. 178 Allerdings mllssen wir unsere eigene These relativieren, daB in den neuen Uindem aufgrund der
etatistischeren Einstellung das Mrgerschaft1iche Engagement unterentwickelt ist (Gensicke
1995a). In unserem Wertesurvey 1997 laBt sich ein breite Palette (z.T. wiederbelebter?) Mrger
schaft1icher Aktivitaten auch der Ostdeutschen nachweisen sowie eine positive Einstellung zum
bilrgerschaft1ichen Engagement. 39 % der Westdeutschen und 35 % der Ostdeutschen engagie
ren sich bereits in irgendeiner Weise affentlich, freiwillig und unentgeltlich, 31 % bzw. 34 %
sind an einem Engagement interessiert und nur 30 % bzw. 31 % nicht. Dabei investieren Ost
deutsche IS Stundenpro Monat, Westdeutsche 16 Stunden. Vgl. Klages, Gensicke 1998.
176
gen. Vor die Alternative gestellt, ob man eherpersonliche Freiheit Wld Wlgehinderte EntfaltWlgsmoglichkeiten des Einzelnen vorziehen wiirde oder eher soziale Gleichheit bei geringeren sozialen Unterschieden, entscheidet sich die Mehrheit der Westdeutschen fUr die Freiheit des Einzelnen. Zwar gab es auch im Osten zum Zeitpunkt der ersten freien Wahlen im Man 1990 eine knappe Prliferenz fUr die Freiheit. Doch entschied sich bereits kurz nach der Wahrungsunion im August 1990 eine Mehrheit im Osten fUr die Gleichheit. 179
179 Diese, filr die gesellscha.ftliche Priiferenz von ,,Freiheit" ungflnstige Tendenz zugunsten von
"Gleichheit" fmdet ihre (wenn auch schwachere) Parallele auch in der Entwicklung der personli.
chen Wertorientierungen der neuen BundesbQrger. Mitte 1990 war filr die Ostdeutschen
"Freiheit und Unabhlingigkeit" noch zu 61 % "ganz besonders wichtig", 1993 noch filr 480/0,
1995 waren es immerhin wieder 51 %. In den alten Llindem gab es in diesem Zeitraum zwar
auch einen Negativtrend zuungunsten von "Freiheit und Unabhlingigkeit". Dennoch hielten die·
sen Wert 1993 nur noch 61 % filr "ganz besonders wichtig", nach 66 % im Jahr 1990, 1995 wa·
ren es nach wie vor 61 %. Soziale Gerechtigkeit hatte dagegen in den neuen Llindem von An·
fang an eine hahere Priiferenz als Freiheit und Unabhlingigkeit, 1990 73 % und 1993 77 %, 1995
78 % (West: 1990680/0, 1993710/0, 1995 70 %. Nach Hans·Joachim Veen und Carsten Zelle
fmden Westdeutsche liberal·demokratische Wertvorstellungen wie "Freiheit", "uneinge·
schrllnkte, freie Meinungsll.u6erung" sowie "Rechtsstaat und Demokratie" wichtiger (,,sehr
wichtig" West: 740/0, 700/0, 67 % Ost: 580/0, 50 % 48 %). Sozial·demokratische Werte wie
"Gleichberechtigung der Frau", "Sozialstaat" und "Soziale Gerechtigkeit, Verringerung von
Einkommensunterschieden" sehen dagegen Ostdeutsche wichtiger (,,sehr wichtig" West: 49 0/0,
420/0, 39 % Ost: 650/0, 570/0, 64 %). Vgl. Veen und Zelle 1994 Von den Dingen, die zu einer
Demokratie "unbedingt dazugehoren" sollten, betonten Ostdeutsche im NovemberlDezember
1997 die freie Berufswahl und das Privateigentum an Firmen wesentlich weniger als Westdeut·
sche, dafilr deutlich mehr, "daB die Einkommensunterschiede nicht sehr gro6 sind". V gl. Noelle·
Neumann 1997c.
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179
D. Integration
1. Akzeptanz und Systembewertungen
Mit Hilfe des vierten grundsatzlichen Leitbegriffs der Integration wollen wir erfassen, ob sich in den neuen Landem eine entsprechender Integrationsprozefi vollzieht oder ob es Hemmnisse fUr diese Integration gibt. Dazu ist zunachst zu priifen, wie es mit der Akzeptanz des neuen wirtschaftlichen und politis chen Systems seitens der Ostdeutschen steht. Werden die Institutionen der Marktwirtschaft und der freiheitlichen Demokratie in Ostdeutschland angenommen?
Den Ausgangspunkt mufi ein grundsatzlicher Befund machen: In den neuen Landem wird das westliche System nicht in Frage gestellt. Wenn es darum geht, ob die Einfiihrung eines westlichen Systems notwendig und richtig war, stimmt die Masse der Ostdeutschen durchaus zu. Der Prozentsatz, der diesem eher rationalen Urteil zustimmt, ist sogarvon 1992 68 % auf 199577 % gestiegen (Abbildung 94). Hier kann also zunachst von hoher Akzeptanz gesprochen werden. Auf die Frage, ob man geme das Rad der Geschichte zuriickdrehen wiirde, in eine Zeit, als die beiden deutschen Staaten nicht vereinigt waren und es noch eine selbstandige DDR gab, reagierten im NovemberlDezember 1997 67 % der Ostdeutschen mit Ablehnung (West: 63 %), nur 13 % mit Zustimmung (West: 18 %). Ca. ein FUnftel der Ostdeutschen war allerdings in dieser Frage unschlussig (vgl. Noelle-Neumann 1997c).
Wenn es jedoch urn konkrete Bewertungen des Systems geht, dann fallen die Ergebnisse deutlich schlechter aus. Allensbach fragte z.B. seit dem Friihjahr 1990 die Ostdeutschen mehrfach nach ihrer Meinung zur Marktwirtschaft in der Bundesrepublik (Abbildung 95). Hatten im Friihjahr 1990 noch 77 % der Ostdeutschen eine gute Meinung von der Marktwirtschaft, so waren es im Friihjahr 1991 nur noch 53 %, im Juni 199244 % und im Juni 1997 gerade noch 22 % (43 % "keine gute Meinung"). Allerdings war von 1994 bis 1997 auch im Westen die gute Meinung zum Wirtschaftssystem von 57 % auf 40 % zuriickgegangen, ein Hinweis auf inzwischen gesamtdeutsche Trends und Problemlagen. 180
Nicht besser verlauft der Meinungstrend bezliglich des politischen Systems (Abbildungen 96 und 97). Wird gefragt, ob die bundesdeutsche Demokratie die beste Staatsform sei, war in den neuen Landem auch 1997 eine relative Mehrheit von reichlich 40 % zumindest unentschieden. Das Meinungsklima bezliglich des politischen Systems war seit der Wende sehr schwankend, Aufwartstrends folgten
180
180
Einen almlichen -wenn auch moderateren- Trend nahm der IPOS-Indikator, "ob sich die Soziale
Marktwirtschaft in Deutschland bisher bewiihrt habe". 1994 stimmten dem 76 % der Westdeut
schen und 64 % der Ostdeutschen zu, im Februar 1998 nur nochjeweils 61 % bzw. 48 %. Vgl.
IPOS 1998.
immer wieder Einbrtiche. Extrem eingetriibt haben sich die Meinungen seit 1996. 1997 dominierten die negativen Meinungen die positiven sogar deutlich. Dagegen waren trotz aller Politikverdrossenheit der letzten Jahre stets zwischen 70 % und 80 % der Westdeutschen grundsatzlich der Meinung, die bundesdeutsche Demokratie sei die beste Staatsform. Damn konnte auch der starke Riickgang der Demokratiezufriedenheit in den letzten Jahren nichts andern.
Die bundesdeutsche Demokratie kann damit in Westdeutschland auf ein recht hohes Ma6 an Legitimitlit zuriickgreifen. In den neuen Landern ist das nicht der Fall. Zwar ist dort die Demokratie im al/gemeinen breit akzeptiert, aber nur, wenn ohne den Zusatz "die wir in der Bundesrepublik haben" gefragt wird. 181
Die Probleme der Ostdeutschen mit der westdeutschen Demokratie drticken sich auch in der Entwicklung des Indikators "Zufriedenheit mit der Arbeit der Demokratie" aus, der regelIlliillig im Eurobarometer erhoben wird (Abbildung 98). Die Zufriedenheit mit der Arbeit der Demokratie ging in den neuen Landern seit der zweiten HaIfte des Jahres 1991 bis zur Mitte 1994 von einem ohnehin geringen Niveau kontinuierlich auf ca. 35 % zuriick. In diesem Trend folgen die Westdeutschen zwar den Ostdeutschen, dennoch waren sie auch 1993 und im Frtibjahr 1994 auf dem ersten Hohepunkt der Politikverdrossenheit immerhin noch mehrheitlich mit der Arbeit der Demokratie zufrieden. 1m Laufe des Jahres 1994 erholte sich allerdings das Meinungsklima in der Bevolkerung wieder. In Ostdeutschland gab es jedoch auch im Ftiibjahr 1995 keine absolute Mehrheit fUr ein positives Urteil zur Arbeit der Demokratie in Deutschland. 182 Seit 1996 unterlag die Zufriedenheit mit der Demokratie wiederum einem starken Negativtrend. 1m Wertesurvey 1997 ermittelten wir im Westen 28 % Zufriedene mit der "Arbeit der Demokratie" (Ost: 15 %),26 % bzw. 21 % Neutrale, aber 46 % bzw. 64 % Unzufriedene. Wie wenig allerdings im Osten diese Systembewertungen von der individuellen Werteebene
181 Ahnlich auch Seifert und Rose: "lnfolge der deutschen Vereinigung hat sich fUr die Mehrzahl
der ostdeutschen Haushalte, im Gegensatz zu anderen osteuropiiischen Uindem, die wirtscha.ftli
che Situation verbessert und eine Anhebung des Lebensstandards bewirkt. Moglicherweise hat
die relativ g11nstige Entwicklung auch die Akzeptanz des demokratischen Systems an sich be
g11nstigt. Dennoch wird das bestehende politische System der Bundesrepublik sehr niedrig be
wertet. D.h., der groBe politische Rahmen stoBt zwar auf Akzeptanz, die konkrete Ausgestaltung
der Politik aber weitgehend auf Skepsis. Seifert, Rose 1994, S. 44.
182 Mit diesen Werten lag Ostdeutschland im Frilhjahr 1995 mit 49 % immerhin im EU
Durchschnitt. Extrem schlechte Werte erzielte Italien (20 %), schlecht waren auch die Daten
Griechenlands (30 %). Nicht besonders zufrieden mit ihren Demokratien waren auch Spanier
(mit 40 % Zufriedenen), Portugiesen (42 %), Franzosen (47 %) und Briten (48 %). Der emeute
Einbruch der Zufriedenheitswerte brachte Ostdeutschland 1997 wieder deutlich unter den euro
piiischen Durchschnitt, mit negativen Werten, wie sie nur ltalien, vor allem aber Belgien (81 %
Unzufriedene!) aufWiesen. Westdeutschland lag nunmehr nur leicht aber dem EU-Durchschnitt.
Besonders zufrieden waren DAnen, Iren, HollAnder und Luxemburger.
181
beeinflu6t werden, erkennt man damn, daJl Aktive Realisten im Westen mit nur 38 % Unzufriedenen die "besten" Zufriedenheitswerte erzielen, dagegen Aktive Realisten in den neuen Umdern mit 63 % Unzufriedenen ein ebenso negative Bewertung abgeben wie der ostdeutsche Durchschnitt.
Insgesamt mu6 festgehalten werden, daJl in den neuen Umdern das westliche System zwar nicht in Frage gestellt wird. Dennoch sind die konkreten Bewertungen des bundesdeutschen Systems entweder wie beziiglich der Marktwirtschaft nach einer Art Anfangseuphorie deutlich zuriickgegangen. Oder sie waren wie beziiglich des politischen und sozialen Systems von Anfang an nicht sehr gut, gingen dann weiter zuriick und stagnieren seitdem auf sehr niedrigem Niveau. Die Grundbedingung einer erfolgreichen Integration, die positive Bewertung und emotionale Zuwendung zum gesellschaftlichen System, ist damit im Osten Deutschlands nicht gegeben.
2. Identifikation: Zugeh6rigkeit, Nationa/sto/z, Vertrauen
Wenn in den neuen Landern schon die Akzeptanz des neuen Systems prekar ist, dann kann es mit der noch starker emotionsbesetzten Identifikation mit dem neuen System erst recht nicht weit her sein. Die affektiven Bindungen der Menschen zu ihrem Land, wie sie sich in Gefiihlen wie Vertrauen, ZugehOrigkeit und Stolz ausdrficken, sind in Ostdeutschland besonders defizitar ausgepdigt.
2.1 ZugehOrigkeitsgefiihl
Fiihlten sich - alternativ gefragt - vor der Wiedervereinigung im Juni 1990 noch 66 % der Ostdeutschen in erster Linie als Deutsche und nur 28 % als DDR-Bfirger, so waren es im Juni 1992 nur noch 40 %, die sich in erster Linie als Deutsche fiihlten. 52 % sahen sich nunmehr in erster Linie als Bfirger der ehemaligen DDR, obwohl es diese nicht mehr gab. Seit das IFD Allensbach ab 1992 nach der Alternative "Deutscher" versus "Ostdeutscher" fragte, stuften sich sogar 63 % als Ostdeutsche ein. Auch im Juli 1994 waren es noch 60 %, die sich als Ostdeutsche fiihlten, im Man 1997 wieder 67 %. Dagegen sahen sich nur noch 28 % eher als Deutsche. In der alten Bundesrepublik fiihlt man sich dagegen mehrheitlich als Deutscher (1997: 60 %) und nicht als Westdeutscher (1997: 37 %).183 Besonders 30-44jahrige sehen sich im Osten eher als Ostdeutsche (76 %), im Westen 16-29jahrige oft eher als Westdeutsche (44 %). In den neuen Landern ist damit ein kIares Separatbewu6tsein entstanden, ein neues Wir-GefiihlI84, das so im Umfeld der Wende nicht bestand.
Auch in unserem Wertesurvey 1997 ist dieses Sonderbewu6tsein kIar zu erkennen. (Abbildung 99) Erfafit man, wie wir es getan haben, die Dimensionen der
183 Vgl. Noelle-Neumann 1994c, A11ensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1993-1997.
184 Vgl. Thomas Koch 1994.
182
gefiihlsntiilligen ZugehOrigkeit getrennt voneinander, dann fiihlen sich Ostdeutsche sieben Jahre nach der Wiedervereinigung zwar ebenso stark wie Westdeutsche als "Deutsche", aber in gleicher Intensitat auch als "Ostdeutsche" ("im Sinne der neuen BundesUmder"). Westdeutsche sehen sich nur ntiillig a1s "Westdeutsche" ("im Sinne der alten Bundeslander") an. Auch die landsmannschaftliche Identitat ist in den neuen Landern viel starker als in den alten. Allenfalls die Bayern reichen in ihrer Landesidentitat an das "identitatsschwachste" neue Bundesland SachsenAnhalt heran; das starkste LandesbewuBtsein bekundeten die Befragten in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thiiringen.
Die Selbsteinstufung als Ostdeutscher bzw. als Westdeutscher laBt sich faktoriell von den Mustern DeutscherlLandsmann bzw. Europaer/Weltblirger abgrenzen und bezeichnet in der Tendenz tatsachlich eine Art innerdeutsches SeparatbewuBtsein. Wichtig ist, daJl sich im Osten Konventionalisten, aber gerade auch Aktive Rea1isten in starkem Mane als Ostdeutsche ansehen. Ein verstarktes "SeparatbewuBtsein" im Westen wird dort nur von den Konventionalisten gepflegt. Rea1isten im Osten haben somit auf sogar erhOhtem Niveau eine ahnliche "multiple" Identitat wie ohnehin der ostdeutsche Durchschnitt.
2.2 Nationalgefiihl
Allensbach fragte 1997 danach, worauf man als Deutscher stolz sein konne. Zwar gibt es eine gemeinsame Basis von nationalen Merkmalen, auf die Ost- und Westdeutsche gleicherIIUillen stolz sind (Abbildung 100): Wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsfalrlgkeit, technische Hochleistungen der Industrie, das "Made in Germany", deutsche Autos. Wenn man so will, driickt sich hier in Ost und West ein gemeinsamer, von der deutschen Teilung weniger beriihrter Teil deutscher Identitat des 20. Jahrhunderts aus. Wenn gar von "Fleill und Albeitsfreude" der Deutschen die Rede ist, kommt im Osten deutlich mehr Stolz auf. Man erinnere sich hier an die im Kapitel "Sozialisation" festgestellte Bedeutung von Sekundartugenden und der Albeit in Ostdeutschland.
Wird jedoch nach Merkmalen gefragt, die typisch fUr die staatliche bundesdeutsche Entwicklung nach 1945 sind und die sich im vereinigten Deutschland kontinuieren, verweigern sich viele Ostdeutsche (Abbildung 101). Zwar sind beide Teile Deutschlands auf ihren Wiederaufbau nach dem Krieg stolz. Auf die "Personliche Freiheit" in Deutschland sind allerdings 72 % der Westdeutschen stolz, jedoch nur 49 % der Ostdeutschen, auf die deutschen "Sozialen Leistungen, die soziale Sicherheit" 57 % der Westdeutschen, aber nur 32 % der Ostdeutschen, auf das "politische System" und das "Grundgesetz" 60 % im Westen und nur 30 % im Osten. Die bundesdeutsche Westbindung, die sich in der "deutschfranzosischen Freundschaft", der "deutsch-amerikanischen Freundschaft" und den "deutschen Leistungen bei der europaischen Einigung" manifestiert, erzeugt im-
183
merhin bei 50 %,46 % bzw. 42 % der Westdeutschen Stolz, jedoch nur bei 35 %, 28 % bzw. 31 % der Ostdeutschen. 18S
Abgesehen davon, daIl im Osten der "Wirtschaftspatriotismus" ebenso wie im Westen lebendig ist, scheinen sich die nationalen Gefiihle im Osten zum einen stlirker auf systemneutrale Merkmale als Kulturnation mit grofien Dichtern und Komponisten, historischen Stadten und Landschaften zu richten (Abbildung 102). Zum anderen betont man im Osten die eigenen Leistungen und Beztige starker, die Montagsdemonstrationen und die dadurch erzwungene deutsche Einheit und die ohne die DDR nicht zustande gekommenen und zum Teil immer noch zustande kommenden grofien deutschen sportlichen Leistungen (wobei hier der Westen sich an den Osten angeniihert hat).
2.3 Vertrauen in Institutionen
Das Integrationsdefizit in Ostdeutschland wiederholt sich auch beim Vertrauen in die neuen offentlichen Institutionen (Abbildungen 103 bis 106). 1m Fliihjahr 1994, also reichlich 4 Jahre nach der Wende in der DDR, konnen nur das Gesundheitswesen, die Hochschulen und Universitaten mehrheitlich Vertrauen im Osten verbuchen. Die Gewerkschaften genossen, allerdings in Ost und West auf geringem Niveau, immerhin ein hOheres Vertrauen im Osten. Zwar fiel das Vertrauen der Westdeutschen zu den offentlichen Einrichtungen in Deutschland mitten in einer Welle heftiger Staats- und Politikverdrossenheit auch nicht gerade uberwiiltigend aus, dennoch waren die Werte im Osten noch deutlich schlechter. 1m Vergleich zum Westen schnitten im Osten Polizei, Justiz und Bundestag besonders schlecht abo
Die Abbildung 106 zeigt anhand eines kleineren Instrumentes Vertrauenswerte in Deutschland im Jahre 1997 (Wertesurvey). Man erkennt, dafi nach wie vor die ostdeutschen Vertrauenswerte weit hinter den westdeutschen zutiickbleiben, die allerdings mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichtes und der Polizei ebenfalls ziemlich schwach ausfallen. Bildet man aus den acht Kategorien einen Vertrauensindex, erkennt man das interessante Phanomen, daIl Aktive Rea1isten in den neuen Landern immerhin einen gegenuber den anderen Wertetypen des Ostens deutlich erhOhten Vertrauensindex aufweisen. 186 Dieser Wert bleibt allerdings einen halben Skalenpunkt hinter dem der westdeutschen Aktiven Rea1isten zurUck und erreicht noch nicht einmal den westdeutschen Durchschnittswert. Besonders gr06 sind jedoch die Differenzen zwischen den Vertrauenswerten ost- und westdeutscher
18S Diese Werte haben sichjedoch auch in Westdeutschland seit 1992 deutlich verschlechtert.
186 Wichtig ist, da6 in den neuen Uindem das Verbesserungsempfmden der eigenen Lebensbedin
gungen seit der Wende eine klare positive Korrelation zum Vertrauen in die Institutionen hat
(32 %). Dieser Effekt scheint den gr6Beren VertrauensvorschuB der Realisten fi1r das "System"
zu erldllren, da diese auch das stiickste Verbesserungsempfmden bekunden.
184
Konventionalisten und Idea1isten. Dem Institutionensystem fehlt im Osten also ganz besonders die Untersrutzung der Konventionalisten und der Idea1isten.
Die unterschiedliche emotionale Systemzuwendung in Ost und West bilanzierend soIl noch ein 1etztes empirisches Datum genannt werden. Wahrend im NovemberlDezember 199762 % (1991: 68 %) der Westdeutschen der Meinung waren, dafi die bundesdeutsche Gesellschaftsordnung es wert ist, verteidigt zu werden, so meinten das nur 40 % (1991: 51 %) im Osten. Zweifel an der Verteidigungswiirdigkeit der gesellschaftlichen Ordnung hatten 27 % (1991: 21 %) im Westen, aber 47 % (1991: 32 %) im Osten, der Rest war unschlussig. (Vgl. NoelleNeumann 1997c)
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SchluB: Was ist das hauptsachliche Hemmnis fiir die Integration von Ost und West?
A. Ertriige des Modells
Abschlie6end sollen die Ertrage diskutiert werden, die unser im Anfang entwickeltes Modell bei der Priifung von Hypothesen fiber die Entwicklung des subjektiven Faktors in den neuen Liindern erbracht hat und damit die wirklichen Hemmnisse der Integration der Ostdeutschen bestimmt werden.
Die Analyse mit HiIfe unseres Modells widerlegt klar die situative Anomiehypothese, nach der die neuen Bundesbfirger von der rasanten Transformation und von der Vereinigungskrise subjektiv fiberfordert wfirden und statt mit einer produktiven Akkommodation an die neuen Bedingungen mit Anomiesymptomen reagierten. Die These wird anhand der akkommodativen Daten widerlegt. Die Ostdeutschen sind optimistisch eingestellt, die meisten fiihlen sich heute besser als vor der Wende. Sie freuen sich mehrheitlich (und starker als die Westdeutschen) fiber die Wiedervereinigung.
Diese Meinungsklima laBt sich mit Daten der Wohlfahrtsforschung aus einer deutlich verbesserten Wohlfahrt in den neuen Liindern und damit aus Tatsachen der Transformation selbst erklaren. Die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen und dem Lebensstandard, dem Warenangebot und dem Zustand der Umwelt sind gestiegen. Hinter diesen Zufriedenheitsurteilen steht wiederum die Verb essenmg der objektiven Situation in den neuen Landern durch die Transfonnation. Die Haushaltsnettoeinkommen und frei verfiigbaren Einkommensbestandteile sind kraftig gestiegen, das Warenangebot hat die graue Mangelzeit der DDR vergessen lassen, die Umweltbelastungen sind deutlich zuriickgegangen und es herrscht persOnliche Freizfigigkeit.
Zwar sind im Bewu6tsein der Ostdeutschen auch die negativen Seiten der Transformation prlisent, vor aHem die hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschaftigung. Dennoch werden diese Probleme als Ubergangserscheinungen inteIpretiert. Die Ostdeutschen iiberbriicken diese Ubergangszeit mit Optimismus auf der Basis einer hohen Frustrationstoleranz. Sie erweisen sich von ihrer Sozialisation her als
189
psychisch robust und stabil. Ein zweiter Aspekt der BewaItigung des Umbruchs besteht in der individuellen flexiblen und aktiven Problemlosung. Riiumliche, berufliche und geistige Mobilitiit wurde an den Tag gelegt. Eine ahnliche Pluralitiit der personlichen Werte und Wertemuster wie im Westen ist die Grundlage der eher individualistischen als kollektivistischen BewaItigung der Transformation im Osten (etwa in Form von spektakularen Grofi- und Massenprotesten auf der Grundlage einer einheitlichen ostdeutschen Interessen1age). Insoweit widerlegen auch Tatsachen aus der Sozialisation der neuen Bundesbiirger die Anomiehypothese.
Mehr potentielle Erkliirungskraft hat die Sozialisationshypothese. Sie behauptet die Unvereinbarkeit von Wertorientierungen, die sich aus unterschiedlichen Biographien und Lebensumstiinden in der Zeit der Trennung West- und Ostdeutschlands erklaren sollen. Durch unsere Analysen wird jedoch die Sozialisationshypothese auf ein bestimmtes Geltungsfeld eingegrenzt. Sie scheitert im Vergleich individueller Wertestrukturen zwischen Ost und West. Diese sind, wie Faktoren und Clusteranalysen unserer eigenen Daten zeigen, in Ost und West ahnlich ausdifferenziert und pluralisiert. Unterschiede sind zum einen situativ aus einem Nachholeffekt der noch geringeren Lebensqualitiit im Osten zu erklaren. Auf der anderen Seite weisen sozialisatorische Unterschiede eher in die umgekehrte Richtung, als die Sozialisationshypothese behauptet: Die Wertestrukturen in den neuen Landem verweisen in Form eines deutlich hOheren Anteils aktiver Realisten als im Westen eher auf einen ProduktivitiitsfiberschuB als auf einen Mangel an produktiver Wertestrukturierung.
"Ffindig" wird die Sozialisationshypothese in der Schichtzuordnung zur Arbeiterschicht und der generell niedrigen Selbsteinstufimg Ostdeutscher in der ObenUnten-Hierarchie, in den "sozialen Einstellungen" bzw. im Attributionsstil und in den unterschiedlichen Zugehorigkeitsgefiihlen in Ost- und Westdeutschland. Die Befunde der Sozialisationshypothese kreisen alle um kollektiv-soziale Befindlichkeiten an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft und von Ost und West. Sie betreffen vor allem Probleme, die in unserem Modell unter den Begriff der Integration fallen.
Zur Schichteinstufung: Die Interpretation der anderen und niedrigeren Schichteinstufimg in den neuen Landem als kulturell-sozialisatorisch bestimmt, wird durch situative Faktoren relativiert, vor allem durch den noch anhaltenden soziookonomischen Unterschichtungseffekt des Ostens unter den Westen. Zum anderen kann man dieses unterschiedliche Schichtbewufitsein nicht einfach als Integrationshemmnis an sich interpretieren. Mit einigem spekulativen Mut kann man dem durchschnittlichen Ostdeutschen kontrastierend zum Westdeutschen die kulturbestimmende Sozialgestalt des sozialen Aufsteigers in einer modemen Facharbeitergesellschaft zuordnen, dem durchschnittlichen Westdeutschen die kulturbestimmende Sozialgestalt des "postmaterialistischen" Menschen in einer modemen biirgerlichen Erlebnisgesellschaft. Man kann sicherlich damit viele kulturelle OstWest-Unterschiede erklaren. Warum jedoch der Kontrast beider kulturellen Cha-
190
raktere (soweit es so etwas fUr ganze Kulturen tiberhaupt gibt) an sich schon zu Entfremdungen und zu Integrationsproblemen ftihren mufi, ist mir nicht erklarlich.
Zu den gesellschaftlichen Einstellungen und zum Attributionsstil: Die gesellschaftlichen Einstellungen und der Attributionsstil in den neuen Uindem sind nicht kommunistisch, sondem sozialdemokratisch eingefarbt und stehen aufierdem in einer typisch deutschen wohlfahrtstaatlichen Tradition, die sich in den alten Landem allenfalls abgeschwacht hat. DaB die neuen Bundesbtirger politisch ebenso gemii6igt und wenig radikal sind wie die alten erkennt man auch damn, daB sich in den neuen Landem nur etwa ein Viertel der Bevolkerung als "links" einstuft. In den neuen Landem gibt es damit eine iihnlich "normale" Verteilung der politis chen Grundwerte mit einer dominanten "Mitle" und Minderheiten im linken und rechten Spektrum (Abbildung 107).187 Zwar hat der Prozentsatz der "Linken" in den neuen Landem von 1990 bis 1995 von 21 % auf 26 % zugenommen (auf einer 100er Skala 0-39) und liegt damit hOher als im Westen (18 %). Doch noch starker zugenommen hat die ohnehin dominante "Mitte" (auf der 100er Skala 40-60) von 55 % auf63 % (West: 64 %). (Abbildung 108)
Man kann also der Sozialisationshypothese folgenden Erklarungsgehalt zubilligen: Wir haben in den neuen Landem ein anderes soziales Selbstverstandnis, einen anderen Attributionsstil und andere Auspragungen gesellschaftlicher Einstellungen. Sie konnen als Uberreste der "Facharbeitergesellschaft" und "Wohlfahrtsdiktatur" der DDR erklart werden, sind jedoch oft auch durch situative Bedingungen des Vereinigungsprozesses bestimmt (also etwa in Form des Unterschichtungseffektes und der Einforderung von finanziellen Hilfen aus dem Westen).
Es ist jedoch zu bemerken, daB dem Uberbau gesellschaftlicher Einstellungen in den neuen Landem die "GegenstUcke" an der Basis der "individuellen Werte" fehlen, die das reale Verhalten der Menschen letztlich viel mehr bestimmen. Dieses Realverhalten ist von einer gnmdlegenden Akzeptanz des neuen Systems bestimmt.
Man kann auch im Westen eine gewisse Distanz der individuellen Werteebene und der gesellschaftlichen Einstellungsebene erkennen, die ein StUck Normalitat darstellt. Diese Distanz ist in den neuen Landemjedoch deutlich grofier. "An sich" systemnahe Wertestrukturen sind im Osten nicht viel starker tiber soziale Einstellung en an das System gekoppelt als "an sich" systemfemere. Leicht erkliirbar ist, daB die neuen Bundesbtirger diese Neigung zur Distanzierung als Veranlagung aus der Zeit des DDR-Sozialismus mitbringen. Schon schwerer zu erklaren ist, warum diese Distanz nun im vereinigten Deutschland bestehen bleibt und warum die neuen Bundesbtirger nicht bereit sind, sich starker mit den gesellschaftlichen Leitbildem des Westens anzufreunden. Nur so ware ja eine Identifikation mit dem neuen System denkbar.
187 Daraufhatte bereits 1991 Erwin K. Scheuch hingewiesen. Vgl. Scheuch 1991.
191
Die Sozialisationshypothese setzt genau an diesem Umstand an, da6 wir noch weit von diesem wiinschenswerten Zustand entfemt sind. Sie verweist auf die Tatsache, da6 die Ostdeutschen sich schon seit Ende 1990 und dann zunehmend als Wir-Gruppe defmieren, ihrer Gruppe somit eine unterscheidende kollektive Identi((it gegenuber den Westdeutschen aufgebaut haben. Dieses Phanomen ist auch auf Seiten der Westdeutschen nachweisbar. Auch sie defmierten sich zunehmend als Wir-Gruppe gegenuber den Ostdeutschen (auch wenn sie sich nicht als "Westdeutsche", sondem als "Deutsche" sehen).
Diese Abgrenzung zweier Wir-Gruppen im staatlich vereinigten Deutschland fmdet ihre Parallele in jeweils hOchst unterschiedlichen konkreten Charakterisierungen der Wir-Gruppe in Ost und West. Das IFD Allensbach fragte seit Mitte 1991 zu vier Zeitpunkten mit einer unveranderten Liste West- und Ostdeutsche, was ihrer Meinung nach auf "die Menschen in Westdeutschland" und "die Menschen in Ostdeutschland" zutrifft. Anhand dieser Urteile sind schon seit Mitte des Jahres 1991 klare Auspragungen einer kollektiven westdeutschen Identitat und einer kollektiven ostdeutschen Identitat zu erkennen (Abbildungen 109 und 110). Danach ordnen sich Westdeutsche als Wir-Gruppe in hohem Mane Eigenschaften wie Fleill, Ehrgeiz, Selbstbewu6tsein, eine kritische Haltung, die Neigung zur Btirokratie, Sauberkeit, Ordnung und das Streb en nach Geld zu. Umgekebrt ordnet man im Westen der Eigengruppe Eigenschaften wie Angstlichkeit, Zuriickhaltung, Traurigkeit, Bedriicktheit, Ausgeglichenheit, Ruhigkeit und Religiositat in geringemManezu.
In mancher Hinsicht ist dieses kollektive westdeutsche Selbstbild nicht unrealistisch: Vor allem im Selbstbewu6tsein, in der kritischen Einstellung und auch im Ehrgeiz ist der individualisierende Wertewandel der letzten Jahrzehnte im groben durchaus reflektiert. In der hohen Selbstzuschreibung von Fleill, Sauberkeit und Ordnung und in der (vielleicht etwas uberschatzten) Neigung zur Btirokratie sind nach wie vor stabile Elemente "deutscher" Mentalitat zu erkennen (trotz des Wertewandels).
KIar uberschatzt erscheint jedoch das materielle Streben der Bundesbtirger ("aufs Geld aus"), das auf der personlichen Werteebene keineswegs in dieser Vorrangstellung vorhanden ist, was den Btirgem dennoch durch eine offentliche und medienwirksame Egoismus-Debatte suggeriert wird. Aus ahnlichen GrUnden erscheint auch die geringe Selbsteinschatzung der Eigengruppe als religios als unterschatzt (wenn man bedenkt, daB sich ungeflihr zwei Drittel der Westdeutschen individuell als religios und gottesglaubig einstufen).188
In der kollektiven Identitat der Ostdeutschen nimmt nun der Fleill ebenfalls die fiihrende Rolle ein. Auch Sauberkeit und Ordnung vervollstiindigen das "deutsche" Selbstbewu6tsein in den neuen Landem. Auch nicht ganz unrealistischerweise ordnet man "den Ostdeutschen" in den neuen Landem Merkmale wie
188 Vgl. Zulehner, Denz 1994, Terwey 1993.
192
"unzufrieden", "rni6ttauisch", "ttaurig, bedtiickt" und "angstlich" zu. Diese Items katm man jedoch weniger als stabile Zuschreibungen von Eigenschaften ansehen. Ihre hohe Prasenz driickt eher eine situative Reaktion der Ostdeutschen auf die schwierigen Umstiinde der Transfonnation aus. Daher geht ihre Zuschreibung auch mit der soziookonomischen Entlastung und der zunehmenden BewaItigung der neuen Lebensumstiinde deutlich zuriick (allerdings werden die neuen BundesbUrger immer noch als "rni6ttauisch" angesehen).
Was in der kollektiven Identitat des Ostens jedoch weitgehend fehlt, sind die individualistischen Tugenden des vom Wertewandel gefonnten modernen BUrgers, wie SelbstbewuIltsein, Aktivitiit und Ehrgeiz. Dagegen spielen sozialmoralische Eigenschaften eine deutlich wichtigere Rolle: Ostdeutsche meinen von ihrer WirGruppe, sie sei freundlich, bescheiden, ehrlich und zuriickhaltend. Umgekehrt wird das materialistische Item ("aufs Geld aus") den Ostdeutschen kaum zugeordnet. Dieses kollektive "deutsche" und "sozialmoralische" Selbstbild in den neuen Landern ist bereits im Juli 1991 vorhanden und verstiirkt seine Pragnanz in der Folge noch.
B. Ein situativ-sozialisatorischer Erkliirllngsansatz fdr kollektive Identi
titsunterschiede zwischen Ost und West
Die Sozialisationshypothese erklart Identitatsunterschiede zwischen Ost und West aus der Unvereinbarkeit ost- und westdeutscher Mentalitiiten, die in der Zeit der Trennung entstanden sei und im Laufe des Wiedervereinigungsprozesses zum Vorschein ldime. Wir denken jedoch, diese Albeit hat hlnreichend Hinweise erbracht, da& diese Argumentation auf schwachen Fiillen steht.
Dennoch gibt es natlirlich einen Erk/arungsbedarjfiir empirisch belegbare Entfremdungserscheinungen zwischen Ost und West und ihre Abgrenzung als WirGruppen. Die Losung sehen wir in einer Verkopplung einer sozialpsychologischsituativen Analyse des Vereinigungsprozesses mit einigen richtig intetpretierten Elementen der Sozialisationshypothese. Meines Erachtens hat die Sozialpsychologie die weiterfuhrendsten empirischen Befunde und intetpretierenden Oberlegungen zu Identitatsproblemen zwischen Ost und West erbracht, die leider in der offentlichen Diskussion meist ignoriert werden. 189
In einem interessanten Artikel haben sich z.B. Doll, Mielke und Mentz des Problems angenommen.190 Die Autoren gehen von der grundlegenden Annahme der Theorie der sozia/en Identitat aus, nach der Mitglieder von Gruppen "nach positiver sozialer Identitat und nach moglichst gro6er Unterscheidung von anderen Gruppen streben" (S. 501). Insbesondere wenn sich Gruppen "kategorisieren"
189 Vgl. Psychologische Forschung zum Thema Deutschland Ost und Deutschland West 1993.
190 Doll, Mielke, Mentz 1994.
193
lassen, etwa in "ostdeutsch" und "westdeutsch", wird auf vergleichbaren und als wichtig angesehenen Dimensionen Uberlegenheit fiber die andere Gruppe angestrebt. Solche Gruppenidentitiiten sind vergleichsweise unproblematisch, wenn sie institutionalisiert sind, d.h. wenn die sich fiberlegen empfmdende Gruppe auch eine offizielle und allgemein anerkannte statushtihere Position, z.B. in der sozialen Hierarchie, einnimmt (etwa als Oberklasse).
Identitatskonflikte entstehen jedoch dann, wenn keine Institutionalisierung dieser Asymmetrie (mehr) vorliegt, ja offiziell sogar die Status-Gleichheit beider Gruppen proklamiert und angestrebt wird. Dieser Fall ist im wiedervereinigten Deutschland durch den Beitritt der neuen Lander zur Bundesrepublik und die offizielle Politik der Angleichung der LebensverhaItnisse gegeben. Paradoxerweise ftihren somit gerade die Bestrebungen der Angleichung zwischen Ost und West zu einer Verschiirfung von Identitatskonflikten.
Aber gibt es fiberhaupt eine Identitats-Asymmetrie zwischen Ost und West, und wenn ja, warum gibt es sie? Empirisch ist es recht einfach, diese Asymmetrie zu zeigen, die trotz aller Sonntagsreden zwischen Ost und West besteht. Doll, Mielke und Mentz belegen dieses Phanomen anhand wechselseitiger Gruppeneinschatzungen West- und Ostdeutscher auf der Basis von Umfragen des Spiegels aus den Jahren 1990 bis 1992. Die Allensbacher Daten, die wir bereits zitiert haben, gehen in eine aImliche Richtung (Abbildungen 111 und 112).
Die grofite Asymmetrie zwischen Ost und West wird durch die sogenannten Kompetenzmerkmale gebildet. Kompetenzmerkmale sind zum Beispiel Eigenschaften wie "selbstandig", "selb stb ewufit" , "flexibel", "entschlufikriiftig" und "geschiiftstfichtig". In den Allensbacher Daten erscheint diese Dimension vor aHem in den jeweiligen Zuordnungen der Eigenschaften Selbstbewufitsein, Ehrgeiz und Aktivitat. Westdeutsche schreiben sich diese Merkmale in hohem Mafie zu, den Ostdeutschen sprechen sie diese jedoch weitgehend abo Ostdeutsche sprechen diese Eigenschaften den Westdeutschen ebenfalls in hohem Mafie zu, sich selbst jedoch schreiben sie Kompetenzmerkmale in wesentlich geringerem Mafie zu.
Das hellit, die Westdeutschen wollen den Ostdeutschen Kompetenzeigenschaften nicht zugestehen, und die Ostdeutschen akzeptieren ffir ihre Gruppe eine deutliche Unterlegenheit in den Kompetenzeigenschaften. In diesen Eigenschaften driickt sich jedoch jener modeme Individualismus westlicher Gesellschaften aus, und die Verfugbarkeit jener Eigenschaften ist eine entscheidende Erfolgsbedingung in dieser Gesellschaft (wie wir ja auch im Abschnitt sozialistische und westliche Identitat festgestellt hatten).
Wichtig ist jedoch daran zu erinnem, dafi Ostdeutsche die individuellen Voraussetzungen fUr kompetentes Handeln in ihren individuellen Personlichkeitsmerkmalen in einem aImlichen Mafie wie Westdeutsche besitzen, wie wir im Abschnitt "Psychologische Befunde" und bei den Wertestrukturen bereits nachgewiesen haben, und dafi die Ursache dafiir ein paralleler Modemisierungsprozefi in Ost und West ist (Abschnitt "Sozialisation"). Dennoch ist dieses Bewufitsein in der
194
kollektiven IdentiUit der Ostdeutschen nicht prt'isent. Man kann das unseres Erachtens zunachst aus einem Reflexionsdefizit in den neuen Landem erldaren, da es in der DDR keine offentliche Diskussion fiber dieses Thema geben durfte. In Ankniipfung an dieses ko11ektive Bewu6tseinsdefizit in den neuen Landem scheint es jedoch den Westdeutschen und ihren Medien bereits sehr friih gelungen zu sein, den Ostdeutschen bestimmte Kernelemente ihrer Version yom typischen Ostdeutschen aufzuzwingen.
Warum aber sol1ten die Westdeutschen uberhaupt ein Interesse haben, ihre (schein bare) Uberlegenheit auf der Ebene der Kompetenzmerkmale den Ostdeutschen einzureden und gegen eventue11e Emanzipationsbewegungen des Ostens zu konservieren?
Die Sozialpsychologen erklaren diese Strategie der Westdeutschen (die sie klar nachweisen konnen) folgendermaJlen: Zum einen besteht fUr die Westdeutschen als Wir-Gruppe das Problem, daB mit der Wiedervereinigung ihr hoherer Status bedroht ist, der uber die Zweistaatlichkeit eines reichen und geschaftstiichtigen Westens und eines iirmlichen, aber "sozial wannen" Ostens institutionalisiert und damit im Verhaltnis zwischen Ost- und Westdeutschen (soweit dieses uberhaupt vorhanden war) vergleichsweise unproblematisch war.
Aber neben diesem eher psychologisch negativen Effekt fUr die Westdeutschen gibt es ffir sie ein ganz massives Verteilungsproblem. Die Wiedervereinigung bringt die Gefahr der Verringerung des Wohlstandsniveaus der Westdeutschen mit sich, sei es in Form von Transferzahlungen, von "Dumping-Konkurrenz" aus dem Osten oder von DDR-Altlasten.191 Aus beiden GrUnden verfolgen die Westdeutschen eine Strategie der Aufrechterhaltung ihrer statushoheren Position durch Beibehaltung oder Verschilrfung ihrer Binnengruppenjavorisierung. Ziel dieser Strategie ist es, die Abgrenzung der eigenen Gruppe von der Fremdgruppe aufrechtzuerhalten, urn die weggefallene Institutionalisierung der Gruppenhierarchie zu ersetzen. Diese weggefallene hierarchische Institutionalisierung solI jetzt durch die Betonung des angeblichen Vorhandenseins hOherwertiger Personlichkeits-
191 "Bedenkt man ... die Tatsache, daB jedes Jahr viele Milliarden DM an westdeutschen Steuergel
dern von West nach Ost flieBen, und die Prognosen fi1r die westdeutsche Wirtschaft eher d\lster
ausfallen, so konnten viele Westdeutsche hierdurch den Eindruck gewinnen, daB ihre \lberlegene
Position langfristig gerahrdet ist und es mehr und mehr zu einer Anniiherung beider Gruppen auf
einem (Wohlstands-)Niveau untedJ.alb der bisherigen westdeutschen Position kommen kann ...
Zur Bewiiltigung dieser Situation werden GegenmaBnabmen immer wahrscheinlicher." Kan
ning, Murnmendey 1993, S. 217. "Pm die Westdeutschen droht mit zunehmender politischer
und wirtschaftlicher Angleichung der beiden Teile Deutschlands ein Verlust ihrer statushiiheren
Position und einer Verringerung des Wohlstsndsniveaus (z.B. groBere Konkurrenz, Lohnanglei
chungen nach unten, Obernabme von A1tlasten aus der ehemaligen DDR). Sie konnten versu
chen, diese EinbuBen durch Beibehaltung und Verschiirfimg der Binnengruppenfavorisierung
aufpsychischer Ebene zu bewiiltigen." Doll, Mielke, Mentz 1994, S. 502.
195
merkmale der Eigengruppe gegenuber der Fremdgruppe kompensiert werden. Damit soIl die Status- und Wohlfahrtsungleichheit m6glichst lange aufrechterhalten und die Angleichung verz6gert werden. Damit unterlauft man diffizil die offizielle Strategie der Angleichung der Lebensverhiiltnisse. 192
Welche Rolle spielen nun die Ostdeutschen in diesem Spiel? Sie verfolgen zum einen eine Strategie der "Assimilation", d.h. sie passen sich langsam auch in ihrer kollektiven Identitat dem Profil der Westdeutschen in den Kompetenzmerkmalen an. 193 Dennoch ist es fUr sie in der Situation der Nicht-Integrierten und auch aus dem Streben nach Eigenstandigkeit heraus nicht leicht, einfach nur die MaBstiibe deIjenigen zu ubemehmen, die ihnen die Anerkennung194 verweigem.
Dabei reagierten die Ostdeutschen folgenderma6en. Zunachst erfolgte eine Uminterpretation bestimmter Kompetenzmerkmale, die besonders eng mit dem sozialen Wettbewerb in einer Konkurrenzgesellschaft verkniipft sind. Westlicher Individualismus und die entsprechenden Kompetenzmerkmale werden nur noch als "Realisierung des Konkurrenzstrebens"195 angesehen und k6nnen in der Folge von einem moralischen Standpunkt her abgewertet werden. Die im Westen durchaus prasente Unterscheidung von individueller Interessenwahmehmung in einem gewissen moralischen Kontext einerseits und amoralischem bedingungslosem Konkurrenzstreben andererseits wird zunehmend verwischt. 196 In Abbildung 112 er-
192 Wichtig ist zu betonen, daB die Charakterisierung dieser dominanten westdeutschen Verhaltens
strategie keine moralische ist, sondern einfach eine niichtern-realistische. Waren die Ostdeut
schen in der Position der Westdeutschen, wiirden sie wahrscheinlich auch nicht anders handeln.
Die soziookonomische Dimension bestimmt nun einmal das Verhalten des
"Durchschnittsmenschen" rnehr als "idealistische" Motive. Man muB auch die im Vergleich zu
anderen westlichen Uindern schwache nationale Identitat und den typischen ,,neudeutschen"
Okonomismus beriicksichtigen, urn dieses Verhalten zu interpretieren. Diese Muster konnen
insbesondere bei jiingeren und mittleren Jahrgangen zu einer gewissen Distanz zu ihren ostli
chen Landsleuten filhren. Jenseits der Durchschnittswerte gibt es unter den Westdeutschen si
cherlich auch viele vor allern lUtere Jahrgange, die sich oft aus national-idealistischen Motiven
frilh und oft auch ohne groBe Gratiflkation in den neuen Uindern engagiert haben.
193 Schon diese Tendenz zur Assimilation ist eine Bedrohung fUr den Westen: "Die bevorzugte
Strategie der hier untersuchten Ostdeutschen besteht in der Assimilation an die Gruppe der
Westdeutschen. Hierdurch verliert die westdeutsche Gruppe langfristig ihren inferioren Gegen
spieler, von dem sie sichpositiv abhebenkann." Kanning, Mummendey 1993, S. 217. 194 195 196
196
Vgl. Pollack 1997. Doll, Mielke, Mentz 1994, S. 513. Meulemann hat darauf hingewiesen, daB die Vorrangstellung der individuellen Entfaltung
gegeniiber der sozialen Gleichheit in der von uns bereits zitierten Allensbacher Fragestellung
daraufzuruckgeht, daB die Westdeutschen Gleichheit in dieser Entgegensetzung zur individuel
len Selbstentfaltung als "Gleichmacherei" empfmden, die sie ablehnen. Umgekehrt kann man
sagen: Die Ostdeutschen empfanden dagegen (als Folge des Imageverlusts des Individualismus
kennt man diesen negativierenden Mechanismus daran, da6 bei der Charakterisierung der Westdeutschen durch die Ostdeutschen im Jull 1991 eine extrem hohe Zuschreibung der Eigenschaft "selbstbewufit" von einer ebenso extrem hohen Zuschreibung der Eigenschaft "aufs Geld aus" begleitet wird. Umgekehrt geht die geringe Eigenzuschreibung von Selbstbewufitsein im Osten mit der geringen Zuschreibung von "aufs Geld aus" einher (Abbildung 110).
Die Einnahme dieses "moralischen Standpunktes" seitens des Ostens dient letzt1ich der Favorisienmg und Aujwertung der Eigengruppe. Denn im Kontrast zum riicksichtslosen und materialistischen Individualismus erscheint natiirlich der moralische Kollektivismus urn so strahlender, zumal dieser im Westen weniger eingefordert und den Ostdeutschen "herablassend" oder auch "wohlwollend" zugestanden wird. 197
1m Zusammenhang mit diesem sozialpsychologischen Mechanismus erleben dann die Legenden von der sozial-warmen DDR und der kalt-kapitalistischen BRD ihre Renaissance, zumal sich die Marktwirtschaft in den neuen Uindem oftmals nicht gerade fair eingefiihrt und zuweilen deutlich "harter" agiert hat als in den alten Uindem. Hier wird nun die anspruchsvolle Behauptung der Sozialisationshypothese ins rechte Licht geriickt, nach der nach der Wende gerade die in der DDR erworbenen sozialen Werte revitalisiert werden und in Konflikt mit dem westdeutschen Individualismus geraten. Was hier belebt und am Leben gehalten wird, ist ein toter Uberbau aus DDR-Zeiten, der a1s kollektives sozialpsychisches Schutzschild dem Westen entgegengehalten wird.
Einen weiteren typischen Mechanismus der Identitatsbildung sehen Doll, Mielke und Mentz in der Aufwertung von Arbeits- und Sekundtirtugenden in den neuen Uindem von einem ohnehin hohen Niveau auf ein noch hOheres. Wir konnten
in den neuen Uindem) gerade die individuelle Selbstentfaltung als rohes Konkurrenzstreben ge
gendber einem eher positiv gesehenen moralisch-ausgleichenden Gleichheitspostulat. V gl.
Meulemann 1995.
197 Rappensberger, Nerdinger, von Rosenstiel und Spiess haben diese Umwertungsprozesse ftlr
Studenten aus den neuen Uindem anhand ihrer empirischen Untersuchungen folgenderma6en
beschrieben: "Im Falle der ostdeutschen Studenten bilden die Wertepolarititen 'Kollektivitiit
versus Konkurrenz' die relevante Vergleichsdimension. Da bereits das BewuDtsein einer Min
derheit anzugehOren, gendgt, urn den ProzeS der Bildung einer sozialen Identitiit zu fOrdem '"
bietet sich daftlr der Wert 'Kollektivitat' an: Angesichts des wirtscha.ft1ichen Erfolges westdeut
scher Verhaltensweisen, die negativ mit Konkurrenz assoziiert werden, verbleibt nur noch die
moralische Hoherbewertung der mit 'Kollektivitiit' bezeichneten zwischenmenschlichen Bezie
hungen. Damit der Wert aber seine identitiitsstiftende Wirkung erftlllen kann, muS er von den
negativen Aspekten des frdher vorherrschenden Zwangs und der gegenseitigen Kontrolle gerei
nigt werden. 'Ibr seid die Erfolgreichen, dafiir sind wir menschlicher', so lieBe sich die dber den
Wert 'Kollektivitiit' hergestellte Distinktheit ... beschreiben." Rappensberger, Nerdinger, von Ro
senstiel, Spiess 1993, S. 165.
197
diesen Effekt auch in der Entwicklung der Eniehungsziele in den neuen Landern nachweisen. Der Unterschied zur kontrastierenden Identitatsbildung des westlichen Individualismus in Westdeutschland und des moralischen Kollektivismus in Ostdeutschland liegt darin, daB urn die Sekundartugenden beide Gruppen in ihrer jeweiligen kollektiven Identitat konkurrieren. West und Ost beanspruchen sie fOr sich, die Westdeutschen sprechen sie den Ostdeutschen ab, die Ostdeutschen rechnen sie sich zumindest deutlich starker zu als den Westdeutschen. Die Westdeutschen bekunden damit ihre Zugehorigkeit und ihre Anspriiche in einer westlichen Leistungsgesellschaft und weisen die ZugehOrigkeit und die Anspriiche der Ostdeutschen abo Die Ostdeutschen fordern diese Zugehorigkeit ein, insbesondere mit dem Anspruch, "genauso gute und leistungsfahige, wenn nicht bessere Deutsche" zu sein. Es fallt auch hier nicht schwer, auf sozialisatorische Pragungen zu verweisen ("Arbeiterschicht"), wie wir ja auch auf die "produktive" Struktur der ostdeutschen Werte hingewiesen haben.
Meines Erachtens fiihren die eben genannten Uberlegungen angesichts der in dieser Arbeit zitierten okonomischen, soziologischen und psychologischen Daten zu einer fibeneugenderen Losung als die Sozialisationshypothese, wenn die paradoxe Erscheinung erklart werden solI, daB mit der objektiven Annaherung zwischen Ost und West subjektive Entfremdungserscheinungen zunehmen. Wir wollen damit hervorheben, daB es in den neuen Landern deutliche Imageverschiebungen bestimmter sozialer Verhaltensweisen gegeben hat, die ohne Rfickgriff auf kollektive Identitatsprobleme gar nicht erklarlbar sind.
Von diesen Uberlegungen her ist es nun nur noch ein Schritt zu zeigen, warum man sich in den neuen Landem mit dem emotionalen Zugang zu den Institutionen der Konkurrenzdemokratie und der Marktwirtschaft schwer tut und warum man kontrastierend an der Idee des Sozialismus festhaIt. Demokratie und Marktwirtschaft stehen als Institutionen mit den Verhaltensweisen, die sie im Blick des Ostens nahelegen, fUr eben jenen Konkurrenz-Individualismus, den man im Osten ablehnt. 198
In dem eben beschriebenen sozialpsychologischen Mechanismus sehen wir das entscheidende Hemmnis fOr die Integration der Ostdeutschen in das wiedervereinigte Deutschland. Wenn diese Integration fiber die kfihle Akzeptanz eines unvermeidlichen Systemwechsels hinausgehen solI und eine emotionale Basis bekommen solI, dann mufi die westliche Bevolkerung auihoren, fiber die sozialpsychische
198 Es muB an dieser Stelle betont werden, daB Ostdeutsche nicht gegen individuelle Differenzie
rung eingestellt sind, etwa auf Basis des Leistungsprinzips. Sie opponieren nur gegen einen
(wirklichen oder vermeintlichen) westdeutschen Individualismus, der die Regeln der FaimeB
nicht einhlilt, und dagegen, daB sie nicht die gleichen Chancen wie die Westdeutschen einge
raumt bekommen, die sie im Sinne dieser FaimeB beanspruchen konnen.
198
Abwertung der Ostdeutschen einen Zustand aufrechterhalten zu wollen, der dem Verfassungsgebot einheitlicher Lebensverhiiltnisse in Deutschland widerspricht. 199
Nur so kann sich tiber den Weg eines wachsenden Zugehorigkeitsgefohls und tiber einen Vertrauensgewinn im Osten schlie1Uich auch eine Identifikation mit dem neuen Deutschland entwickeln.
199 Deshalb ware auch die Annahme unplausibel, daB die zunehmende Vielzahl von Kontakten von
allein zu einem besseren ZusammengehOrigkeitsgefilhl und zum Abbau von Vorurteilen f'i1hren
konnte. 1993 gaben 57 % der Westdeutschen an, daB sie mit Menschen aus den neuen Llindem
zusammengekommen seien, 199460 %und 1995 61 %. Diese Menschen sagten auchmit gro8er
Mehrheit, sie hatten die Ostdeutschen nicht als "Jammer-Ossis" empfunden. Vgl. Noelle
Neumann 1995b. Dennoch hat sich an den grundlegenden Vorurteilen des Westens Qber den
Osten nicht viel geiindert, die kollektiv-diskriminierende Grundhaltung hiilt also an. Dieser Be
fund bestiltigt die pessimistische Prognose von Susanne Rippl, die in einem Forschungsprojekt
empirisch die Kontakte Ost- und Westdeutscher untersucht hat. "Hinsichtlich der Kontakthypo
these geben die gefundenen Ergebnisse allerdings wenig Grund zu der Hoffnung, Kontakte
konnten positivere Einstellungen zwischen Ost- und Westdeutschen fOrdem. Die Ergebnisse ...
lassen fiIr die Falle, in denen tatsiichlich Verallgemeinerungen von Einzelerfahrungen auf Grup
penebene stattfmden, eher davon ausgehen, daB diese Erfahrungen negative Erfahrungen sein
werden." Ripp11995, S. 282.
199
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Aus dem Programm Sozia Iwissenschaften
DIE SOZIALSTRUKTUR DEUTSCH LANDS
Rainer GeiBler Die Sozlalstruktur Deutschlands lur gesellschahlichen Entwicklung mil einer lwischenbilanz zur Vereinigung. 2., neubeorb. und erw. Auf!. 1996. 421 S. Br. DM42,OO ISBN 3·531 ·12923-6 .De, Wert des Werkes liegl in e iner sellen ge/ingenden Kombinolion von $tudienbuch und Naclr schlagewerk. Ein lesborer Slil, eine iibersichlli' che SIruklur und eine eingongige grophische Gestoltung sorgen do fiir, daB der Studierende eine gute EinFiihrung und de, WiBbegierige ra· sche Auskunh bekommt. / ... J Dos Buch nimmt bereits Ergebnisse iiber EntwickJungen der Ex-DDR mit auf und ist samit von hoher Aktuolili:it. / ... J f in gules Sochregisler und eine ousfiihrliche Bibli:: grophie erhOhen den Wert des Sondes, de' ~ur die nochsle Zeil e in Slondordwerk sem w"d.
M Gre,ffenhogen, 00$ H'$lOriw,.Pol,I'$Che Such
Wolfram Fischer·Rosenlhal /Peter Alheil lHrsg.1. unler Milarbeil von Erika M . Hoernig Blographlen In Deutschland Soziologische Rekonslruklianen gelebler Gesellschaflsgeschichle 1995. 478 S. Br. DM 79,00 ISBN 3·531 ·1 2555·9 Deuische Zeilgeschichle im 20. Jahrhunderl ist auch die Geschichle der Aneignung der verschiEl" denen Gesellschoftsformen in lebensgeschichlen. Der Sommelbond vereinigl Forschungsarbeilen der soziologischen Biographieforschung und Dis· kussionen unmillelbar nach der Vereinigung Deuischiands von Wissenschaftlern aus den 01· len und neuen Bundeslandern.
Aslrid Segerl /Irene Zierke Sozlalstrukfur und Mllleuerfahrungen Empirische und lheorelische Aspekte des alilagskullurellen Wandels in Osldeutschland 1997. 284 S. Br. DM 56,00 ISBN 3·531·13058·7 Oberall is! gegenwCirlig vern 'neuen Selbslbewu&sein' der Osldeulschen die Rede. Gleichzeilig verslellen vorurteilsgelodene Fremdbilder noch wie vor die Verslandigung der Deuischen uber gel" meinsome Reformprajekle . Dos Buch gibt auf der Bosis der Ungleichheils· und Milieulheorie sowie umfangreicher empirischer Analysen einen Einblick in die innere logik der Denk· und Verhal· lensmusler von Osldeulschen unlerschiedlicher sozialer Herkunh.
Anderungen vorbehohen. Stond: Jul, 1998.
WESTDEUTSCHER VERLAG Abraham·lincoln·Slr. 46 . 65189 W iesbaden
Fox (0611) 78 78· 400