die kyphosis adolescentium und die notwendigkeit ihrer kenntnis in der unfallbegutachtung

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(Aus der Orthop/~discheu Univ..Klinik Heidelberg. [Direktor: Prof. Dr. H. v. Baeyer.]) Die Kyphosis adolescentium und die Notwendigkeit ihrer Kcnntnis ill der Unlhllbegutachtung'. Yon Dr. Hermann Watermann, Assistent der I~linik. 5[it 6 Abbih[uugen im Text. (Ein(jega~gen am 1. M~irz 1926.) Das klinisehe Bild dcr sog. Kyphosis adolescentium (Schanzsche Lehr- lingskyphose) erscheint nach den Arbeiten ,con Scheuermaun, Mau, ttaB und Kochs, unter welchen vor allem ark die Arbeit voa Mau hingewiesen wird, vollkoramen klar, so dag in dieser Arbeit ~mf das Krankheitsbild hn Adoleszenten- alter selbst nur insoweit eingegangen ~verden soll, als es zur Arbeit verst~ndlich ist, und wir zum Tell abweichende, zum Tell erg'~nzende Befunde erheben konnten. Aueh crseheint es wel~ig fruchtbringend, in den Streit der Meinungen fiber die Pathogenese dieses Leidens einzugreifen, solange keine pathologiseh- anatomisehen Beweise fiir eine der bestehenden Theorien vorliegen. Festhalten m6ehten aueh wit mit S e h e u e r m ann und M ~ u, dag es sich bei diesem K_rank- heitsbild um ein bestimmt mnsehriebenes Leiden handelt, welches nieht mit jenen Kyphosen verquiekt werden soll, die sehon vor dem Adoleszentenalter infolge stattgehabter tlachitis bestanden haben. Eine Verquickung soleher raehitiseher Kyphosen mit den eigentliehen Adoleszentenkyphosen unternimmt neuerdings Koehs bei der Aufzi~hlung einiger seiner F[~lle (vgl. Fall 3, 6, 7). R6ntgenologiseh und Miniseh k6nnen allerdings diese raehitisehen Kyphosen in den Waehstumsjahren dieselben VerS~nderungen und Besehwerden zeigen, wie die sog. Adoleszentenkyphosen. In kurzen Ztigen nun zu mlseren Beobach~ungen fiber die sog. K)~phosis adoleseentium im Waehstumsalter selbst. Vorwiegend besehr~nkt sic sich auf den dorsalen Tell der Wirbelsaule; es kann abet aueh der dorso-lumbale und der lumbale Absehnitt befallen sein, weshalb ~vir diese Erkrankung nur Kyphosis adolescentium nennen. Typisehe Falle zeigen Abb. 1, 2 u. 3. In unserml Fi~llen war nut das m.~nnliehe Gesehleeht betroffen. Unter vier weiteren F'~llen in tier Zwisehenzeit, d. h. wi%hrend der Korrektur, befand sieh ein [7 j~hriges MS.dehen. Vor dem 17. Lebensj~hre wurde die Kyphose nie bemerkt, was aber nieht aussehliegen soll, dag die Kyphose sehon bestanden habeu konnte; denn es 12"

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Page 1: Die Kyphosis adolescentium und die Notwendigkeit ihrer Kenntnis in der Unfallbegutachtung

(Aus der Orthop/~discheu Univ..Klinik Heidelberg. [Direktor: Prof. Dr. H. v. Baeyer.])

Die Kyphosis adolescentium und die Notwendigkeit ihrer Kcnntnis ill der Unlhllbegutachtung'.

Y o n

Dr. H e r m a n n W a t e r m a n n , Ass i s t en t der I~linik.

5[it 6 Abbih[uugen im Text.

(Ein(jega~gen am 1. M~irz 1926.)

Das klinisehe Bild dcr sog. Kyphosis adolescentium (Schanzsche Lehr- lingskyphose) erscheint nach den Arbeiten ,con S c h e u e r m a u n , Mau, t t aB und K o c h s , unter welchen vor allem ark die Arbeit voa Mau hingewiesen wird, vollkoramen klar, so dag in dieser Arbeit ~mf das Krankheitsbild hn Adoleszenten- alter selbst nur insoweit eingegangen ~verden soll, als es zur Arbeit verst~ndlich ist, und wir zum Tell abweichende, zum Tell erg'~nzende Befunde erheben konnten. Aueh crseheint es wel~ig fruchtbringend, in den Streit der Meinungen fiber die Pathogenese dieses Leidens einzugreifen, solange keine pathologiseh- anatomisehen Beweise fiir eine der bestehenden Theorien vorliegen. Festhalten m6ehten aueh wit mit S e h e u e r m ann und M ~ u, dag es sich bei diesem K_rank- heitsbild um ein bestimmt mnsehriebenes Leiden handelt, welches nieht mit jenen Kyphosen verquiekt werden soll, die sehon vor dem Adoleszentenalter infolge stattgehabter tlachitis bestanden haben. Eine Verquickung soleher raehitiseher Kyphosen mit den eigentliehen Adoleszentenkyphosen unternimmt neuerdings K o e h s bei der Aufzi~hlung einiger seiner F[~lle (vgl. Fall 3, 6, 7). R6ntgenologiseh und Miniseh k6nnen allerdings diese raehitisehen Kyphosen in den Waehstumsjahren dieselben VerS~nderungen und Besehwerden zeigen, wie die sog. Adoleszentenkyphosen.

In kurzen Ztigen nun zu mlseren Beobach~ungen fiber die sog. K)~phosis adoleseentium im Waehstumsalter selbst. Vorwiegend besehr~nkt sic sich auf den dorsalen Tell der Wirbelsaule; es kann abet aueh der dorso-lumbale und der lumbale Absehnitt befallen sein, weshalb ~vir diese Erkrankung nur Kyphosis adolescentium nennen. Typisehe Falle zeigen Abb. 1, 2 u. 3. In unserml Fi~llen war nut das m.~nnliehe Gesehleeht betroffen. Unter vier weiteren F'~llen in tier Zwisehenzeit, d. h. wi%hrend der Korrektur, befand sieh ein [7 j~hriges MS.dehen. Vor dem 17. Lebensj~hre wurde die Kyphose nie bemerkt, was aber nieht aussehliegen soll, dag die Kyphose sehon bestanden habeu konnte; denn es

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180 Herm~nn Wt~ter in&nn:

fanden sieh viele unter unscren Patienten, die erst yon anderen auf ihre krumme Haltung aufmerksam gemacht wareu. Die meisten beschuldigten ein bestimmtes, abet immer leichtes Trauma, skit welchem sie Schmerzen hatten; a.ndere wiederum haben nie Schmerzen gehabt und kamen nur wegen der Fehl- form der Wirbelsgule. Der Verlauf gestalt, ere .sich in unseren FMlen ganz versehiedenar5ig. W~%hrend sich bei tier cinch Gruppe die Kyphose sulfa]lend schneU innerhalb weniger Monate ausbildete, entwickelte sic sieh in anderen ~hllen im Laufe yon Jahren.

Die Diagnose im jugendhchen Alter ist nieht schwer, wie Mau sagt, meistens bereits dutch dig Inspek~cion sehon zu stellen, wenn sie sieh im Dorsalabschnitt befindet und wenn sic sigh im fragliehen Alter langsam ohne nennenswerte Beschwerden ent~dckelt hat. Sollten sich noch Sehwierigkeiten bei Stellung der Diastase einfinden, so bringt neben der normalen SGnkungsgeschwindigkeit der roten BlutkSrperehen d i e seitliche gSntgenaufnahme v611ige Klarheit. Das rSntgenologi~sche Studium der seitlichen Aufnahmen unserer Adoles- zentm~kyphosen lgt3t uns vier Stadiert erkenneu. Die normalen rSntgenologi- sehen VerhS, ltnisse am waehsendert WirbelkSrper haben Mau und jiingst K o e h s und vorher andere beschrieben. Abb. 4 zeigt deuthch diese Verh}~ltnisse. Es ist die seitliehe Aufnahme eines 15jhhrigen Knaben. Aueh wir haben das Negatiwnaterial unserer Klinik einer Durchsieht unterzogen, um festzustellen, in welchem Alter die klehlen dreieekigen Gebilde, die Epiphysensehatten, zuerst im ~6ntgenbilde sieh darbieten. Die Durehsieht ergab nun, dal~ man bei den Aufnahmen, die ohne Buekyblende gemaeht sind, nur selten das Gl/ick hat, die Epiphysensehatten der Wirbelk6rper zu entdeeken. Dagegen sight man sie bei seitliehen Aufnahmen mit der Buekyblende stets deutlieh. Hinsiehthch des AuftreterLs und der Verkn6eherung der Epiphysen sind die Angaben versehieden (siehe Axbeitert yon K S h l e r , S c h e u e r m a n n , H a s s e l w a n d e r , Mau, Koehs) .

Unsere UntersuehmNen hatten folgendes Ergebtfis: Verwertet wurden alle Aufnahmen, die mit der Buekyblende erfolgt waren, yon den a~lderen nut wenige, aus welehen deutlich die Epiphysenschatten zu seheu waren. D~s Auftreten der Epiphysenschatten beim weibliehen Geschleehte sahen wit fast immer schon veto 12. Lebensjahre an, in einem Falle waren bei einem 10j'5,hrigen Miidehen (lie Seh~tten schon deutlieh; beim m~nnlichen Gesehleehte sahen wn- in 4 F:~llen (lie Epiphyseneeken im 11.--12. Lebensjahre, fit einem FaHe nur a~t einem Wirbel beginnend. W~,hrend wit die klehaen Sehattengebihle bei guten Aufnahmen ohne Buckyblende bei Knaben im 13. Lebensjahre nieht sahen, beobachteten wir sie bei Aufnahmen mit der Blende in diesem Alter 5fters. Auf- nahmen, die nur zur Erkenmmg der Scha~ten gemacht wurden, zeigten in allen ~iJlen vom 13. Lebensjahre die Npiphyseneeken. Was die Synostosierung anbetrifft, so konnten ~ueh wit feststellen, dab sie beim weibliehen frfiher erfolgt als beim m~tnnlichen Gesehleehte. Ein bestimmtes :-liter lieB sieh night fest- legen. Beim m~,nnliehen Geschleehte war die Synostose im RSutgenbilde mit- unter mit 18, bei den meisten mit 20, bl einem Falle war die Synostose noeh nicht mit 25 Jahreu vollkommen. Zusammenfassend k6nnen wit naeh unseren Beobaehtungen feststellen, dab das Auftreten der Epiphyseneeken im R6ntgen- bilde nach Gesehleehtx~.rn zwar versehieden ist, dab der Untersehied aber nicht grol~ zu sebl scheint. Die VerknSeherung scheint im allgemeinen erst mit dem

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Dio K3rlohosis adolescontium und die No$wendigkeit ihrer Kenn~nis usw. 181

Abb. 1. Kyphosis dors~lls. Abb. 2. Kyphosis lumbo-dorsMis.

Abb. 3. Ky. lumbMis. Abb. 4. Epiphysenschattell bei einem ]SjShrigen Km~ben.

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182 Hermann Watermann:

20. I~bensjahre zu beginnen, bei dem weiblic}mn Geschlechte sicherlich friiher. Unsere }3cob,~chtungen deoken sich also vollkommen mi* den Angaben von Kochs .

Wie schon gesagt, unterscheiden wir mit Mau rSntgenologisch drei, besser noch vier Stadien der KyphosLs. In dem ersten Stadium, alas Mau das Reiz- stadium nennt, gestaltet sich die Gegertd der vorderen Epiphysenecken gezackt, verwaschen, becherf6rmig (Abb. 5). Unmit~lbar, fast mit die~em zusammen, folg~ die Abschr~gung der Wirbelk6rper nach vorne, die a.n den Scheitelwirbeln

Abb. 5. ~bergang yore I. zum IL SU~<tium.

am ausgesprochensten ist, das destruierende Stadium (Abb. 5). Nach un,seren Erfahrungell kann dieses Stadium sehr schnell eintreten, sich aber auch auf eine lange Zeit erstrecken, je nach der Progredienz der Kyphose. /)as dritte Stadium neImt Mau das reparatorische, alas auch an eine feste Zeit nicht gebunden erscheh~t. In diesem erscheinen c[ie vorderen K~mten der WirbelkSrper nicht mehr so ausgefranst; die Umrif~linien der WirbelkSrper nehmen gleichmgi3igere, wellenfSrmige Konturen an, mitunter jedoch mit scharfrandigen kleinen Ein- delhmgen (Abb. 6). In dem vierten Stadium, dem prolifcr[erenden, zeigen sich Knochenzacken, die an den vorderen Ecken der Wirbelk6rper beginnen und im Laufe der Zeit zu Spangen und Briicken fiihren k6nnen, wie sie tier Spondyhtis deformans eigentiimlich sind. Leider mu[~te aus Billigkeitsgriinden auf weitere RSntgenbilder verzichtet werden. AtdfMlend Lst weiterhin die oft vorhandene Kalkarmut der Wh'belk6rper, auf die auoh K o c h s hingewiesen hat.

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Die Kyphosis adoleseentium und die Notwendigkeig ihrer Kenntnis usw. 183

Die Diagnose ist, wie sehon hervorgehoben, im Adoleszentenalter un te r Heranziehen der Hilfsmit tel sieher zu stellen. Wenngleieh aueh die kyphosier ten Wirbel vot lkommen fixiert sind, go sind die Pa t ien ten in ihren al lgemeinen Be- wegungen kaum geheramt. Der Sitz tier Kyphose befindet sieh meistens in Hohe yon 1)9 big 12. Sie ist ausgesproehen arkugr. Bei einem unserer F~lte bes~and n u t ein Vorspringen Yon D 5, 6, 7, weleher Gibbus yon D 8 in eine s tark abfallende ausgesproehene Lordose iiberging. I n der 5Iehrzahl der F~lle besteht kein Klopf- und Stauehungssehmerz; die Muskulatur ist durehweg krhftig. E inen bestimm• Beruf seheint m u n naeh uaseren Beobaehtungen nieht an- sehuldJgen zu k6nnen. Es fan- den sieh die versehiedensten Berufe vor, aueh eine Reihe soleher, die k6rperlieh nieht sehwer zu arbei ten brauehen. Aus der 1Reihe unserer F~lle lasse ieh einen t, ypisehen Fal l folgen (Abb. 1).

K. A., 18 J., Polierer. 10 Ge- schwister gesund. Kindheitsjahre o. B. MitglJed veto Turn- und l~adfahrer- verein. 4 Woehen vor Aufna,hme in die K[inik Grippe. Am 7. Tage be- schwerdefrei und im Garten Kartof- feln geh~ekt. D~bei Auftreten yon Sehmerzen under dem reehten Sehul- terblatt; da die Schmerze~ nieht auf- h0rten und aueh fr~ihmorgens beim Erwaehen im Bette vorhanden sind. g inger zum Arzte. Da cter prak- tisehe Arzt glaubte, dug die Wirbet- shule sieh m~eh hinten biege, sandte er den P~tienben zur Poliktirdk. Kla- gen: Beim Stehen immer Sehmerzeu unter dem reehten Sehulterblatte. besonders bei der :~'beit, in der t~uhe Abb. 6. l II . Stadium. beschwerdefrei; nur germge Sehmer- zen beim Erwaehen frtihmorgens. Befund: Gutentwiekelter Mann mit kr~tftiger MuskMatur. Keine Zeiehen yon tiberstandener Raehitis. Inhere Organe o. B. Beflexe o. ]~. Leiehte Genua vMg~. Pedes pl~no-v~lgi. Wirbetss BogenfSrmiges Vorspringen der .Dornfort- shtze yon D 9 bis 12. vollkommen fixiert, Bewegungen der Wirbels~ule erfolgen bis ~uf diesen arkuhren fixierten Bogen frei. Vermehrte Lordose yon L 1 ~b. Keln Klopf-, Druck- und S~auehungssehmerz. S.Z. betr~g~ 27 Stunden. ]R6n~genbild: 1. Stadium. Die naeh 3, 6, 9 und 12 Monaten erfolg~e Kontrolle lieg kliniseh und rOntgenologiseh keinerlei Verhnde- rungen aufweisen. Der P~tient tr/~gt ein Stiitzkorsett, in welehem er keinerlei Besehwerden hat. Neben der LiegesehMe noeh Behandlung mit Tonophosphan, Duploferrin in steigen- den Dosen. Er ffillt seinen Beruf aus.

So klar die F~lle ~1 allgemeinen sind, so k a n n man mi tun te r doch geneig4 sein, eine Spondyht is tubereulosa anzunehmen, zumM dann, wenn die P a t i e n t e n fiber Sehmerzen an den kyphosier ten Wirbeln klagem die in einzelnen Fa l len sehr s tark bezeichnet wurden, wenn weiterhin die anderen subjekt iven Be- schwerden bei der Unte rsuehung dieselben sind wie bei einer Spondyhtis . Ira

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184 Her mann Watermann:

jugendlichen Alter bewegen sich die Patienten aber durchweg anders als Spondy- ]itiker; das Hinsetzen, Aufstehen, das Aufheben yon Gegenst:,~nden veto Boden erfolgt ohne Unterstiitzung der Arme. Beim Vorw~irtsheben der Arme zur Hori- zonta[en geben sie im Gegensatz zu Spondylitikern keine Sehmerzen in der ~rirbelsi~tfle an. Die Senkungszeit der roten BlutkSrperchen ist immer normal, auch unter dem Einflusse kleiner Tuberkalingaben, wie wir (9) es sehon frtiher bet anderen nichtentziindlichen Prozessen naeh dem Vorscblage yon Gr~fe nachgewiesen batten. Entseheidend in unklaren Fallen [st stets der ]3efund der seitliehen P,6ntgenaufnahme, atff welcher die Zwischenwirbelscheiben Mar zu erkmmer~ sind und man die oben angedeuteten Vergnderungen sieht. :Die dorsoventra[e ~Sntgenaufna.hme zeigt je nach dem Grade der Kyphoso dichte Verschattungen zwisehen den befallenen Wirbeln, so daft sit wohl zu Verwechshmgen mit anderen Erkrankungen fiihren kann. Wh' maehen desha[b gTundsgtzlich bet den Kyphoseverdgchtigen so[oft tin seitliches ~Bild. Mit anderen Erkrankungen kann die Kyphosis fin Adoleszentenalter selbst kaum verweehselt werden, niemals mit der K i immel schen Erkrankung. ]3as dot Kt imme]schen Erkrankung charakteristisehe anamnestische Trauma im Sinne der Stauchung fehit; wenn ein Trauma angegcben wird, so [st es meistens so geringffigig und so unbestimmt angegeben, dab man ihm fiiglieh eine krank- hafte Wirkung auf die Wirbels:c~ule yon vornherein absprechen kann, z. ]3. ,,beim Kartoffelhacken bekam ich eines Tages Sehmerzcn im Riicken", oder ,,beim Siieketragen (was schon monatelang gemacht wurde) verspiirte ich einen Schmerz im R.6eken."

Vor a l l e n D i n g e n s i eh t m a n i m G e g e n s a t z z u m K i i m m e l i m m e r s o [ e r r n a c h d e m T r a u m a r S n t g e n o l o g i s c h e Ver :~tnderungen, w ~ h r e n d diese beim K t i m m e l e r s t n a e h d e m I n t e r v a l 1 a u f t r e t e n . Kommen dig Patienten erst eine Zeitspanne nach dem Trauma zum Arzte, die dem Ki imme[sohen Interval[ entsprechen wtirde, so gibt auch hier die seit[iche lgSntgenaufnahme die Entschektung; wir finden dann immer den Befund eines jener oben angegebenen RSntgenbilder. Die dorso-ventrale Aufnahme kann auch bier zum Irrtume fiihren, zumal dann wenn be[ der Kyphose nur 2--3 Wirbel befallen sind und die Kyphose se[bst noeh geringffigig [st; dana t'tbersehieben sich, ~,ie beira Kiimmel, zwei Wirbelk6rper und der Zwischenraum erscheint verselml:Mert.

So e i n f a e h die D i a g n o s e im A d o [ e s z e n t e n a l t e r zu s t e i [ e n i s t , um so s e h w i e r i g e r k a n n sieh die ] 3 e u r t e i l u n g des F o l g e z u s t a n d e s im s p ~ t e r e u A f t e r g e s t a l t e n , wie es uus eine R e i h e y o n ]~'hllen be- wies , i~l w e l e h e m v o r h e r o f t j a h r e l a n g eine fMsehe D i a g n o s e g e s t e l [ t war : denn im ){annesalter steigern sieh die Besehwerden erheblieh. Die Patienten klagen iiber Giirtelsehmerzen, die sie Tag und Naehg nicht los werden, Ersehei- nungen seitens des Magmas treten hinzu, Appetitlosigkeit, damit Abm~hme des Gewiehtes, Unlust zur Arbeit, meisterLs endigend mit dem Antrag auf In- v~lidenrente. Ich fiihre Kier einige Ausziige so[eher Patienten an.

J. 14., 36 J. alt, T,~gel6hner. Nie krank gewesen; mit 19 Jahren Schmerzen in den unterea Rtickenpartien. War nieht aktiver Solder. H/~tte wegen zeitweise auftretender Besehwerden in den zwanziger ,lahren ein Handwerk nieht erlernen k6nnen. 1915--1918 Etappensoldat. 1915, also mit 26 J., erneute Kreuzsehmerzen; 6 Woehen Lazarett. 1916 I.a~zarett wegen

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Kreuzsehmerzem 1917 Magenleiden, 191S Anf/ille. Sci dalm wegen Kreuzsehmerzen 5fters beim Arz~ gewesen; b~dd Besscrung, b~ld erneut.es Auffh~ckern der B~ehwerden. Im letztell halbert Ja.hre st~rk abgenommen, you 136 ]?f~_[. auf 112. Habe keinen Appetit; miisse 6fters erbrechen; sei nervOs, k6nne naehts nich'~ schlafen, h~be dauernd Sehmerzen, die yon der Wirbels~,le fiber den Leib nach vonle zOgen.

Befund: Friihzeitig geMteter Mann. lzmere Org~ne o. B. (~Ied. Poliklinik). Thorax deformiert. Hutkrempel~orm der unteren Thoraxapertur. Wirbels~'~tfle D 7 bis L 2 st~rk nach hinten vorspringende Dornfortsatze. Lendenlordose vort L 3 ~n st/irker mls- geprhgt. Zu beiden Seiten und. unterhalb der ky-phosierten Dornforts/~tze starkes Vor- springen der Erectores trunei. In diese~l ~[uskelhii.rten. Bewegungen erfolgen bei fast vOllig steifgehaltener unterer Brust- uad oberer Lendenwirbels~iule. Setzen, A ufstchen, Hirdegeil und Au.fhebea yon Ge~enstf, nden veto Boden erfolgt olme Unterstiitztmg der H~inde. Die B e w e ~ e n in der oberen Brust~-irbe!shule sind frei. Stauchungs. trod Klopf- schmerz iiber L 1. P~te!larsc}menreflexe beiderseits gesteigert. Senkungsgcschwindigkei*, der roten Blutk6rperehen 12 Stunden. R6ntgenbild: :L 1 und 2 naeh vorne keiLf6rmig verschmflert, such D 12. Dic Zwisehenwirbelscheiben sinct erhalten. An den Wirbel- k6rpern bilden sich breite zapfena.rtige Vorsprimge. Diagnose: Alto Kyphosis adolescentium (lumbo-dorsalis).

Eh~ weiterer Fall, der uns veto Vcrsorgungsamt zur Fests te l lung der Dia g~mse gesandt wurde. Ieh fiihre zun~ci~st im Auszuge d~s t~_rankenblatt an.

0. W., 34 Jahre, EIektromonteur. Aufn,~hme Dezember 1924:. _M~geblieh immer gesund gewesen. Niehl~ aktiv gedient. Friiher hie Schmerzen gehabt. 1915 zum ~Iilit~i,r. Stets in der Etappe. 1917. also mit 2(i Jahren, Sturz beim Briickenbau 6--8 m tief. Schlug nfit dem Riieken auf den Boden. 3 Woehert RevierbehamIlung; dann wieder Arbeit. Sofort nach dem Sturze Schmerzen im Riicken; freiwillig ins Feld und bis Kriegsende in der Et~ppe. W. hatte immer Schmerzen, konnte keinen Tornister tragen, war zuletzt als Bagageftihrer tatig; zwischendttreh gearbeite~. Klagen bei der Aufn,~hme in unsere Klinik: Schme~-zen im }~iieken nur be[ limgerem Stehen. Gehen oder beim Heben yon Lasten. Na, ch .~.strengung schnelle und starke Ermtidung. Of~ ,,Magenkoliken" uml starkes Sodbrennen, besonders naehts.

Befund: 34j~hriger, kr~ftig geb~uter Mann yon gutem Aussehen und krMtiger ~[us- kul~tur. Immre Organe o. 13. Brusckorb in der Gegencl des m~teren Sternums leicht ein- gezogert; die Schultern stehen n'~ch rome, Wirbelsfule: Starke Kyphose yon D S bis :D l l mit auffMlend s~rk kompensierter Lordose. Ereetores trunei in der Le~c[engenged stark vorspringend, spastisch. Druek- und Klopfempfindlichkeit D 7 bis D 8. Bei Stauehung ziehende Sehmerzen in der Lcndengege~d. Senkungsgesehwindigkeit bet r~tgt 330 blinuten. R6ntgenbild (Abb. 6): Seitliche Aufnahme. Vollkommen ldare b~tervertebral- scheiben. D 8 bis D 12 nach vorne keilf6rmig zulaufend, am st/irksten D 9 trod D 10; KMkarmut. Diese beiden zeigen im vorderen Tei[ des K6rpers ~n allen horizontalen Be- grenzungsflhchen sich gegentiberliegende, klcine, relativ scharfr~mdige Eindeltuz~gen, bei D 8 xmd D 11 weniger ausgesprochen. Die SagittMaufm~hme zeigt noch cinch -klar erkennbaren 7. ThorM~a|~-irbel und klargezeichneten 1. Lumbalwirbel. Die zwischen diesen Grenzen liegenden Wirbel liefern wege~t der starken Krtimmung dieses Absctmit~es dureh Projektionswirkung einen komp~kten Sehatten, in dem sich Einzelheiten nicht mehr nach- weisen lassen.

Dieser Fall war yon ]917--192~, also 7 Jah re lang, fiir eine Spondyl i t i s tubcrc, gehal ten worden, und zwar auf Grund des "ldinisehen Befundes trod des dorso-ventralen Rfntgenbi ldes , das ,,dichtc Verschat tungcn '~ zeigte, Und diese Spondylit is tuberc, war als Dienstbesch~digung anerkam~t ak~ Folge des Sturzes im gahrc 1917. DaB es sich niemals um eine Spondyl~tis geh~ndelt hat , ebenso- wenig wie es eine K i i m m e l s c h e Erkrankung ist, z e s t ohne weiteres die seit- fiche R6ntgenaufnahme, welche das t~-pische BiId ei~er Sl~ten Adoleszenten- kyphose (3. Stadium) aufweist. D~fJ die Verkr i immung im Adoleszentenal ter schon bestande~t hat , mag man viel leieht ~uch daraus sehlieBen, dab der sonst

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186 H e r m a n n W a t e r m a n n :

krgftige gesunde Mann nicht akt iv gedient hatte. Er wuBte uns auf die Frage nach dem Grunde seines Nichtdienens keine etwas besagende Auskunf t zu geben.

Ein weiterer Fall, der uns ebenfalls veto Versorgungsamt zur ]3ehandlung und Begutachtung zugesandt war, mage zeigen, wie leicht die Kyphosis im sp~,te~ Alter zur Verwechslung mit der Spondylit is deformans AnlaB geben kann , und dessen , ,Spondylit is deformans" ebenfalls als Unfallfolge ane rkaml t war.

W. J., 48 Jt~hre alt. Eisen,former. War Iriiher angeblich ganz gesund, tIat bis zum 23. Lebensj~hre aktiv gedient; darn Entlassung. 1916 wieder zum Militar eingezogen. 1917 Sturz hi einen tiefen mit Wasser geftillten Graben. Kam darauf ins l~zarett.. Herbst 1917 entlassen; Januar 1924 Verseh|immerung. Patient muBte seine Arbcit ~ufgeben. Hat vet 3 Jahren ander~vs tin Korsett erhalteu, kormte abet damit nicht arbeiten und hat es deshalb haufig weggelassen, worauf immer eine Versehlimmerung eint.rat. Wird veto Versorgungsamt zur Kur eingewiesen.

Klagen: Schmerzen im Rticken, (tit zeitweise in die Beine ausstrahlen. Magen- sehmerzen. H~ufig Schmerzen im rechten Arm. Bei Anstrengungen Atenmot. Geringer NachtsehweiB und Husten.

Befund: Bl~sser 3[,'mn in ma[tigem E~aa~hrungszustande. Wirbelss Fiseh- riicken~lmliehes Vorspringen yon D 8 his D 12. (,'*berm/~[3ig sta.rke Lordose yon D 12 ab bis L4. Erectores trunci st~rk sp~stisch. Klopfschmerz yon D 8 bis D 12. Beim Rumpfvorwartsbeugen noch st~rkeres Vorspringen des arkmtren Bogens von D 8 bis D 12. Beweglichkeit in der unteren Brust~drbelshule a.ufgehoben. Allc Bewegungen stark eingeschr/inkt, dabei Schmerz~m[lcrung. Kein St;mehungssehmerz. Untere OliedmaBen o. B. P.S.R.: beiderseits gesteigert. Sensibilitat und Motilitat: o. B. Von seiten des Darmes Obstipation. Der Gang erfolgt mit steifgehaltener Wirbelsaule. Hinsetzen, Legen und Aufstehen ohne Korsett mit Untersttitzung der H~mde. Beim Auflleben eincs Gegenstandes veto Boden geht J. in die Krdebeuge. Im Korsett ~eringere Besehwerden. S.Z. betr~gt 1l Stunden. Rbntgenbild: Dorsoventrale Aufnahme: O 7 und L 1 sin(t vollkommen klar gezeichnet. D 8 his D 12 zu einem Sehatten versehmolzen; an den Eeken sieht man deutlieh I~_noehenzaeken. Seitliehe Aufnahme: D S bis I) 11 laufen nach vorne keiIfbrmig zu; an den mlteren und oberen WirbelkOrperfl~ehen wet|enfbrmige Eindellung; an den vorderen WM)elk0rt~ereeken kleine Knochenzaeken. Die Zwisehenwirbelseheiben sind klar. Keine Versehmelzung der benachharten Wirbel.

Dieser Pat ient wurde uns mit der Diagnose: B e e h t e r e w sehe E r k r a n k u n g zugesandt, die dutch den Sturz im Jahre 1917 versehlimmert sein sollte. Weiter- hin war der Verdaeht auf Magenulkus ausgesproehen worden. Naeh Unter - suehung der Medizinischen Klinik handel t es sieh aber um eine ehronisehe Gastritis infolge Wurzelreizung, womit die Besehwerden seitens des Magens und Darmes als Folge des Wirbelsaulenleidens und damit, aueb als D.B. auf- zufassen wa.ren. Die Erwerbsminderung war mit 100~ festgesetzt. Dec Pa t i en t kam zu uns, als wit das t~ 'ankhei tsbi ld der Kyphosis adolesce~ltimn im spi~teren Alter noeh I~ieht kann ten . Die dorsoventrale Aufnahme versuehte aueh uns zuerst zu der Annahme einer B e e h t e r e w sehen E rk rankung zu ver le i ten; aber der klinisehe Befund (Lokalisation) maehte uns sehon stutzig und das seitliehe t l6n tgenbi ld (s. Befund) lal3t eine B e e h t e r e w s e h e E r k r a ~ u n g mit Sieherheit aussehliefien. Ebensowenig liegt naeh dem Rantgenbefunde eine Tuberkulose oder eine 1,2 i im m e 1 sehe Erk rankung vet. Es handel t sieh aueh in diesem Falle um eine alte Kyphosis adoleseent ium, derethalben J. sieherlich mi t dem 22. Lebensjahre vom Militgr entlassen und auffallenderweise als gedienter g e s e r v e m a n n erst in dem 3. Kriegsjahre wieder eingezogen wurde, um bald darauf- h in wieder ent lassen zu werden. Von zwei weiteren Fallen, deren Anamnesen ghnlieh kl ingen ~{e die obige, bringe ich nur die Rantgenbi lder (aus Sparsam-

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keitsgriinden nieht mehr gedruekt) (3. Stadium). Aueh sie hat ten angeblieh im Felde ein Trauma erhtten und waren jahrelang unter den versehiedensten Diagnosen behandett worden. I)iese kurz angedeuteten F~lle m6gen ein Hin- weis sein, dab man die Kyphosis adoleseentium im sp~,teren Alter kemlen mug, u m b e i der Therapie und Begutaehtung den riehtigen Weg einzusehlagen. Aus- sehlaggebend far die Diagnose ist die seitliehe Aufnahme der Wirbels~ule, die in allen Fg, llen Klarheit sehafft.

I n a l i e n d e r a r t i g e n F ~ l l e n k a l m m a n u n b e d i n g t aus d e m t ~ 6 n t g e n b e f u n d e h e r a u s den Z u s a m m e n h a n g der E n t s t e h u n g d i e s e r K y p h o s e m i t d e m a n g e g e b e n e n U n f a l l e a b l e h n e n , d e n n t ier t>~6ntgen- b e f u n d wie s u c h der V e r l a u f de r E r k r a n k u n g w e i c h t in k e i n e m P u n k t e ab y o n den FSHlen, die n i e m a l s e in T r a u m a e r l i t t e n h a b e n . Das Aktenstudium unserer Patienten ergab aueh fast in alien F~llen die groi~e Unwahrseheinlichkeit eines Unfalles. Wir werden es oft, friih oder sp~ter, je naeh der geistigen EinsteLlung tier Patienten erleben, dab viele dieser Kyphosen sieh einen ,,Unfall" konstruieren, um zu einer P~ente zu gelangen.

Die weitere Frage, ob dureh ein Trauma die Kyphose verschlilnmert werden kann, kann naeh unserer Ansieht nur in jenen F~llen bejaht werden, in welehen r6ntgenologisch sieh noeh andere Ver~nderungen vorfinden, als sie normalerweise bei alten und jugendliehen Kyphosen vorhanden sind. Man miiBte eine Fraktur sehen, man miif3te einen Ktimmel erwarten oder zumindesten eine Atrophie ira Sinne der S u d e e k s c h e n Atrophie, oder es mti[.~te sofort naeh dem Trauma eine rapide Versehlimmerung der Kyphose eintreten.

F t i r die U n f a l l b e g u t a e h t u n g f e s t z u h a l t e n i s t , d a b die Ado- l e s z e n t e n k y p h o s e n im A d o l e s z e n t e n a l t e r B e s c h w e r d e n m a c h e n k 6 n n e n , d a g d iese je n a e h d e m G r a d e m i t z u n e h m e n d e m A l t e r in e r h 6 h t e m Mal~e a u f t r e t e n s u c h in a l i e n j e n e u F~illen, die n i e m a l s e in T r a u m a e r l i t t e n .

Znm Sehiusse noeh ein Wef t zur Behandlung der Kyphosis adoleseentium. Die Erfahrungen, die S e h e u e r m a n n und Mau gemacht haben, sind wenig er- mutigend. K o e h s gab auf dem tet.zten OrthopgdenkongeB an, dab er gute Erfahrungen mit einem redressierenden Gipskorsett gemaeht habe. Bei der ausgesproehenen Fixation dieser Kyphose erschienen uns redressierende MaB- m~hmen wenig aussichtsreieh, vielmehr besehrrmkten wir uns darauf, ein weiteres Fortsehreiten zu verhi;~ten. Es ist da.her in erster Linie anzustreben, dab die Patienten frtihzeitig in Behandhmg kommen. Wit miissen in erhShtem Mal3e unser Augenmerk auf diese Erkrankung riehten, in den Kriippelberatungs- stunden die praktisehen Arzte auf diese Erkrankung aufmerksam maehen, dab Einreibungen und Massage, wie sie in unseren Fgllen oft mortatelang durch- gefiihrt wurden, nieht zum Ziele ftihren, sonderu dab diese Patienteu in ortho- pgdische Hand gehSren.

Is t nun sin Anstaltsaufenthalt angebraeht? Ganz sieherlieh nicht; denn man miigte die Patienten oft lange Zeit in der Xlinik halten, weil der ProzeB erst nach dahren zum Stillstande kommt. Der Aufenthalt wSxde zu kost- spielig werden. Andererseits wtirde man diese Patienten aueh t a r nieht behalten kSnnen, da ja lneist nieht die Besehwerden sie zum Arzte ftihren, sondern nur die Verkl~mmung; weiterhin wfirden sie ihrem Berufe md lange Zeit entzogen.

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Wh" behandeln deshalb die Patienten ambulant, falls st~irkere Beschwerden uns nicht voriibcrgehend zu einer klinischen Behandlm~g zwingen. Wir suchen naeh M6glichkeit zu erstrebeu, dab alle in ihrem bisherigell Berufe bleiben. Nur ftir diejenigen, die k6rperlich schwerc Arbeiten zu verrichten haben, wird ein anderer Beruf gefordert, da sie ja in dem yon uns gegebenen Korset te in der Ausflihrung sehwerer Arbeiten zu stark behindert sind. A]le erhalten eine Liegeschale und ein Stiitzkorsett, um den augenblicklichen Grad tier Kyphose zu erhalten und einer weiteren Versehlimmerung vorzubeugen, damit die mit dem Alter zunehmenden Beschwerden auf ein Minimum beschr~nkt bleiben. MitteL~ eines Bleidrahtes wird bei der Aufnahme der Grad der Kyphose festgeleg[, es wird eine seitliche R6ntgenaufnahme gemacht, die yon Zeit zu Zeit wieder- holt wird. Die Patienten selbst werden darauf aufmerksam gemacht, dab drei- monatliche Wiedervorste]lung erforderlich ist zur Kontrolle yon LiegesehMe und Korsett. Die den Patienten zu Hause kennenden Arzte werden el{tspreehend unterriehtet. Mit diesem Verfahren haben ~-ir bisher g-ute Erfahrungen g e m ~ h t ; die Patienten sind immer zur Kontrolle erschienen, eh~e Verschlimmerung ist bei ke~nem eingetreten, hn Korsette waren alle beschwerdefrei. _~lle gehen einem Berufe nach; trotz der Schattenseiten der Korsettbehandlung halten wir doch den Weg fiir den gangbarsten. Aueh aus sozialen Griinden. Das ]<orsett muYt so lange getr~gen werden, his sieh r6ntgenologiseh die Synostose der Epiphysen nachweisen l~,Bt. W~hrend der ganzen Zeit medikament6se Behandlung mit Phosphorlebertran oder ~,hnlichen Priiparaten. Die AbgewSh- hung des Korsetts erfolgt nur in Anstaltsbehandlung unter aUgemeiner Kr~f- tigung mit Frefluft, Sonnenbehandhmg und Massage. Im sp~teren Alter bei Beschwerden stets Korsettbehandlung.

.Die Behandhmg der Kyphosis adolescentium erforde~t also eine grofte Ausdauer seitens des Patienten und ehle ebensolche seitens des Arztes. Aber wir miissen dafiir sorgen, dMt wir diese scheinbar jetzt in h6berem Ma[3e auf- tretenden Adoleszentenkyphosen vor den starken Beschwerden im sp~terea Alter nach M6glichkeit bewahren, um nieht gezwungen zu sein, nach einem Jahrzehnt nicht noch langwierigere und kostspieligere Kuren~anwenden z , mSssen, um wenigstens eine gewisse Linderung herbeizufiihren.

Litert~tur.

I. Sche1~ermann: Arch, f. orthop, u. Unf,MI-Chirurg. Bd. 41. -- 2. Sehanz: Zeit- sckr. f. orthop. Chirurg. Bd. i0. Jahrb. f. Kinderheilk. Erg.-Bd. 73. -- 3. Hass: Arch. f. orthop, u. Unfa!l-Chirurg. 1922. Bd. 21. -- 4. ~[au: Zeitsehr. f. orthop. Chirurg. Bd. 46. 1924. -- 5. ~,Vatermann, H.: Verhandl. d. dtsch, orthop. Ges. 20. KongreB 1925. -- 6. K 6 h I er, Al b a n: Grenzen des Normalen trod Anfi~nge des P:~t}lologischen im ]~6ntgen- bride. 2. Aufl. }[,~mbtlrg 1924. -- 7. Hasselwander: Rieder-~osenthal, Lehrbuch der R6ntgellkunde. 1918. 2. -- 8. Kochs: Vcrhandl. d. dtseh, orthop. Ges. ~ KongreS. Arch. f. orthop, u. UnfMI-Chirurg. 1926. -- 9. Knorr-Waterm~nn: Zeitschr. f. orthop. Chirurg. Bd. 47, S. I19. -- 1O. Gr~fe: K/in. Woehenschr. 1922. Nr. 40.