die körperliche seite der erschöpfung · 2015. 11. 20. · ursachen der mitochondropathie bei der...

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43 Schwerpunktthema Fachzeitschrift ACHESIS Nr. 44 Burn-out 2015 Die körperliche Seite der Erschöpfung Die körperliche Seite der Erschöpfung Burn-out auf Zellebene – Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten Julia Eusemann Heilpraktikerin Praxis für Therapie, Prävention und Besser Leben Im Ried 7A 79249 Merzhausen Tel.: +49 (0)761. 48979878 [email protected] www.JuliaEusemann.de Autorin Nach wie vor denken beim Begriff Burn-out viele von uns an Stress, Überarbeitung und fehlende Work-Life-Balance. Das „Ausgebrannt-Sein“ scheint offensichtlich ein rein psychi - sches Problem zu sein, das mittels psychotherapeutischer Behandlungen therapiert wer- den kann und muss. Doch ist das wirklich die ganze Wahrheit? In der täglichen Praxis fiel mir irgendwann auf, wie viele Patientinnen unheimlich schnell psychische oder psychosomatische Diagnosen gestellt bekamen. Psychopharmaka wurden verordnet wie Gummibär- chen, oftmals gegen den Willen der Patientinnen. Gleichzeitig wunderte ich mich darüber, dass phy- sische Erkrankungen, die zu den Symptomen pas- sen würden, weder in Betracht gezogen noch medi- zinisch abgeklärt wurden. Allem Anschein nach war man froh, den „Psycho-Stempel“ aufdrücken und „das Problem“ zu den Akten legen zu können. Dies betraf das komplette Spektrum an Symptomen, von Magen-Darm-Problemen über Schmerzsymptoma- tik bis hin zu Angststörungen, Depressionen und eben auch Burn-out PatientInnen. Ich begann, mich intensiver mit der ematik zu beschäftigen und stellte fest, dass es einige sehr inte- ressante Forschungsergebnisse zum ema Burn-out im Bereich der Zellbiologie gibt. Hier möchte ich nun einen Überblick geben über Burn-out auf der Zellebene. Neben der Beschrei- bung der normalen sowie der gestörten Energiepro- duktion der Zellen stelle ich die relevanten Labor- parameter vor. Abschließend gehe ich auf einige der Ursachen und natürlich auch auf Behandlungsmög- lichkeiten ein. Woher stammt all die Energie, die es dem gesunden Menschen ermöglicht, sein Leben zu meistern? Unser Körper benötigt für all seine Aktivitäten Energie in Form von Adenosintriphosphat, kurz ATP. Dieses wird in den Mitochondrien 1 , genauer gesagt in der so genannten Atmungskette gebildet. Beim Abbau der mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße entsteht das Mo- lekül Acetyl-CoA 2 . Dieses wird im Citratzyklus 3 verstoffwechselt. Die Produkte des Zitronensäure- zyklusses (NADH/H + und FADH2) transportieren Elektronen zur Atmungskette, wo sie zur Gewin- nung von ATP genutzt werden können. Für den reibungslosen Ablauf sind eine Vielzahl an Vitaminen, Mineralien und anderen Nährstoffen nötig. Bei der Herstellung von ATP entstehen aber auch Abfallprodukte. In diesem Fall sind das die freien Radikale 4 , die entsorgt werden sollten. Auch hier- für benötigt der Organismus entsprechende Mikro- nährstoffe. Sind die Mitochondrien aus irgendeinem Grund nur eingeschränkt leistungsfähig, so fühlen wir uns müde, schlapp und energielos. Es kommt zur so ge- nannten Mitochondropathie 5 . Ursachen der Mitochondropathie Bei der ATP-Gewinnung in der Atmungskette der Mitochondrien entstehen die freien Radikale 4 . Hier- bei handelt es sich um Atome oder Moleküle mit einem freien Elektron, die sehr reaktiv sind. Dies bedeutet, sie suchen dringend nach anderen Mole- külen in ihrer Umgebung, um mit diesen zu reagie- ren. Um diese freien Radikale unschädlich machen zu können, benötigt es antioxidativ wirkende Stoffe, mit denen die freien Radikale sich verbinden kön- nen. Dies sind beispielsweise verschiedene Vitamine und Vitaminoide 7 . Die nicht gebundenen, also frei- en Radikale greifen sonst unter anderem die Zell- strukturen an und verursachen dort Schäden. Messbare Marker im Blut sind die oxidative Kapa- zität und die Lipidperoxidation. Während die anti- oxidative Kapazität Auskunft darüber gibt, wie gut der Körper mit Antioxidantien versorgt ist, zeigt die Lipidperoxidation an, ob und in welchem Umfang bereits Schäden an der Zellstruktur durch die freien Radikale entstanden sind. Kommt es zudem zur vermehrten Produktion von

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Page 1: Die körperliche Seite der Erschöpfung · 2015. 11. 20. · Ursachen der Mitochondropathie Bei der ATP-Gewinnung in der Atmungskette der Mitochondrien entstehen die freien Radikale

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Fachzeitschrift CHESIS Nr. 44 Burn-out 2015

Fallbeispiel Introjektion/Aufhebung DeflektionEine junge Frau arbeitet nach ihrer Ausbildung im Büro eines mit-telständischen Betriebes. Ihren Arbeitsplatz empfindet sie zuneh-mend als Belastung, sie fürchtet, Fehler zu machen, fühlt sich zu-nehmend überfordert. Als Berufsanfängerin hat sie das Gefühl, den Kolleginnen durch ständiges Fragen zur Last zu fallen. Sie leidet zu-nehmend unter Müdigkeit, Schwindel, Panikattacken und sagt, sie müsse „ständig grundlos weinen“. Eine Reduzierung der Arbeits-stunden verbessert die Situation nicht. Sie kommt in die Praxis mit der Diagnose „Burn-out“ und ihr Anliegen ist, dass es ihr gelingen müsse, diese „Stimmungsschwankungen“ in den Griff zu kriegen, damit sie wieder arbeiten kann. Im Laufe der Sitzungen stellt sie fest, dass sie den falschen Beruf ergriffen hat und der Prozess nimmt einen ganz anderen Verlauf: Sie arbeitet daran, ihre eigenen Wün-sche und Bedürfnisse zu erkennen und ihr Leben danach zu ge-stalten, statt die Dinge so zu tun, „wie man es macht“ (Introjekte). Desweiteren ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit die Erforschung ihrer inneren Verfasstheit: durch die Hinwendung zu ihren Gefüh-len stellt sie fest, dass ihr Weinen keineswegs grundlos geschieht. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem, was ihr widerfährt und was sie erlebt, und dem Weinen als Ausdruck von Traurigkeit und Hilflosigkeit als Reaktion darauf. (Aufhebung der Deflektion)

Struktureller Burn-Out – die gesellschaftliche DimensionDie gesellschaftliche und politische Dimension psychotherapeu-tischer Arbeit, so wie ich sie verstehe, besteht darin, die KlientInnen

Warum bin ich so erschöpft? Die körperliche Seite der Erschöpfung

Die körperliche Seite der Erschöpfung

Burn-out auf Zellebene – Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten

Julia EusemannHeilpraktikerin

Praxis für Therapie, Prävention

und Besser Leben

Im Ried 7A

79249 Merzhausen

Tel.: +49 (0)761. 48979878

[email protected]

www.JuliaEusemann.de

Autorin

Nach wie vor denken beim Begriff Burn-out viele von uns an Stress, Überarbeitung und fehlende Work-Life-Balance. Das „Ausgebrannt-Sein“ scheint offensichtlich ein rein psychi-sches Problem zu sein, das mittels psychotherapeutischer Behandlungen therapiert wer-den kann und muss. Doch ist das wirklich die ganze Wahrheit?

In der täglichen Praxis fiel mir irgendwann auf, wie viele Patientinnen unheimlich schnell psychische oder psychosomatische Diagnosen gestellt bekamen. Psychopharmaka wurden verordnet wie Gummibär-chen, oftmals gegen den Willen der Patientinnen. Gleichzeitig wunderte ich mich darüber, dass phy-sische Erkrankungen, die zu den Symptomen pas-sen würden, weder in Betracht gezogen noch medi-zinisch abgeklärt wurden. Allem Anschein nach war man froh, den „Psycho-Stempel“ aufdrücken und „das Problem“ zu den Akten legen zu können. Dies betraf das komplette Spektrum an Symptomen, von Magen-Darm-Problemen über Schmerzsymptoma-tik bis hin zu Angststörungen, Depressionen und eben auch Burn-out PatientInnen.Ich begann, mich intensiver mit der Thematik zu beschäftigen und stellte fest, dass es einige sehr inte-ressante Forschungsergebnisse zum Thema Burn-out im Bereich der Zellbiologie gibt.Hier möchte ich nun einen Überblick geben über Burn-out auf der Zellebene. Neben der Beschrei-bung der normalen sowie der gestörten Energiepro-duktion der Zellen stelle ich die relevanten Labor-parameter vor. Abschließend gehe ich auf einige der Ursachen und natürlich auch auf Behandlungsmög-lichkeiten ein.

Woher stammt all die Energie, die es dem gesunden Menschen ermöglicht, sein Leben zu meistern?Unser Körper benötigt für all seine Aktivitäten Energie in Form von Adenosintriphosphat, kurz ATP. Dieses wird in den Mitochondrien1, genauer gesagt in der so genannten Atmungskette gebildet.Beim Abbau der mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße entsteht das Mo-lekül Acetyl-CoA2. Dieses wird im Citratzyklus3 verstoffwechselt. Die Produkte des Zitronensäure-

zyklusses (NADH/H+ und FADH2) transportieren Elektronen zur Atmungskette, wo sie zur Gewin-nung von ATP genutzt werden können.Für den reibungslosen Ablauf sind eine Vielzahl an Vitaminen, Mineralien und anderen Nährstoffen nötig.Bei der Herstellung von ATP entstehen aber auch Abfallprodukte. In diesem Fall sind das die freien Radikale4, die entsorgt werden sollten. Auch hier-für benötigt der Organismus entsprechende Mikro-nährstoffe.Sind die Mitochondrien aus irgendeinem Grund nur eingeschränkt leistungsfähig, so fühlen wir uns müde, schlapp und energielos. Es kommt zur so ge-nannten Mitochondropathie5.

Ursachen der MitochondropathieBei der ATP-Gewinnung in der Atmungskette der Mitochondrien entstehen die freien Radikale4. Hier-bei handelt es sich um Atome oder Moleküle mit einem freien Elektron, die sehr reaktiv sind. Dies bedeutet, sie suchen dringend nach anderen Mole-külen in ihrer Umgebung, um mit diesen zu reagie-ren. Um diese freien Radikale unschädlich machen zu können, benötigt es antioxidativ wirkende Stoffe, mit denen die freien Radikale sich verbinden kön-nen. Dies sind beispielsweise verschiedene Vitamine und Vitaminoide7. Die nicht gebundenen, also frei-en Radikale greifen sonst unter anderem die Zell-strukturen an und verursachen dort Schäden.Messbare Marker im Blut sind die oxidative Kapa-zität und die Lipidperoxidation. Während die anti-oxidative Kapazität Auskunft darüber gibt, wie gut der Körper mit Antioxidantien versorgt ist, zeigt die Lipidperoxidation an, ob und in welchem Umfang bereits Schäden an der Zellstruktur durch die freien Radikale entstanden sind.Kommt es zudem zur vermehrten Produktion von

auf dem Weg zu Selbstbestimmung und Authentizität zu unterstüt-zen. Es ist wichtig, die krankmachenden ökonomischen und gesell-schaftlichen Verhältnisse klar zu benennen. So können die Wider-sprüche zwischen Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und öko-nomischen / gesellschaftlichen Machtverhältnissen sichtbar werden. Diese Widersprüche können im individuellen Rahmen nicht gelöst werden, sie müssen ausgehalten werden. Im individuellen Rahmen mag sich auch hier eine Dynamik entwickeln, in der der einzelne Mensch einen größeren gesellschaftlich-politischen Handlungsspiel-raum für sich entdeckt und den Mut entwickelt, die Grenzen der Kooperation in einem krank machenden System neu zu stecken.

Fußnote1Blankertz/ Doubrawa: „Lexikon der Gestalttherapie“, S. 259, Peter-Hammer-Verlag, Wuppertal, 2005

LiteraturBlankertz, Stefan, GTI - Handbuch, Berlin 2010

CopyrightFoto + Installation © “Ahnung“, Antje Scholz, 2013

Der Park ist schön. Mit herrlichen Bäumen. Es scheint ein ruhiger

Fleck zu sein. Aber ich spüre den Verkehr. Berlin ist nahe und drängt

immer stärker vor. Es liegt ein Vibrieren über dem Park. Mit Fäden zeich-

ne ich eine Ahnung von Geschwindigkeit auf eine ruhende Baumgruppe.

2Abb. Gestaltwelle, GTI-Handbuch, Berlin 2010

Deflektion1DE

Konfluenz1KO

Deflektion2DE

Deflektion3DE

Projektion3PR

Deflektion4DE

Retroflektion4RE

Konfluenz4KO

Introjektion5IN

Retroflektion6RE

Stadium 1Vorkontakt

Unruhe

Stadium 2Kontakt mitdem eigenen

BedürfnisHunger

Stadium 3Kontakt mit derUmwelt (Sehen

und Tasten)Wo ist etwasNährendes?

Stadium 4AggressionBewegung(Holen,Kauen)

Stadium 5AssimilationIntegrationVerdauen

Stadium 6Nachkontakt

Befrie-digung

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Die GTI-Gestaltw

elle ©

2004-10 Stefan Blankertz

selbstreguliert

waschen

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Stickstoffmonoxid in der Zelle, so verschärft sich das Problem der Mitochondropathie5. Wir sprechen dann vom nitrosativen Stress. Auch dieser ist im Blut messbar.

Die Auswirkung von oxidativem Stress, Nitrostress und Lipid-peroxidation auf unseren EnergiehaushaltBei erhöhtem Aufkommen von freien Radikalen versucht die Zel-le sich zu schützen. Wenn die Zelle jedoch die freien Radikale nicht unschädlich machen kann, versucht sie, die Produktion der freien Radikale zu drosseln. Die Energieproduktion wird von den Mito-chondrien ins Zellplasma verlegt, wo der ATP-Ertrag allerdings we-sentlich geringer ausfällt. Die Folge sind Müdigkeit und Leistungs-einbußen. (siehe Abb. 1-3)

Relevante Laboruntersuchungen bei Burn-outATP in den GranulozytenDie Granulozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen. Sie ver-fügen über einen hohen Anteil an Mitochondrien. Da sie außerdem leicht aus dem venös abgenommenen Blut isoliert werden können, eignen sie sich hervorragend zur Bestimmung der ATP-Konzen-tration. Es wird der intrazelluläre Gehalt an ATP gemessen. Werte über 1,0 nmol/10^6 Zellen deuten auf eine gute Energieversorgung durch die Mitochondrien hin.

Regenerationsfähigkeit der MitochondrienHier wird getestet, wie die Mitochondrien auf Belastung reagieren.Zu diesem Zweck werden die Mitochondrien mittels der toxischen Quecksilberverbindung Thiomersal blockiert. In der Folge sinkt die ATP-Produktion stark ab. Nun wird die Blockierung aufgehoben und beurteilt, wie schnell sich die Mitochondrien regenerieren und die ATP-Versorgung wieder ausreichend gewährleistet ist.Die Differenz zwischen ATP nach der Blockade und ATP während der Blockade gibt Aufschluss über die Regenerationsfähigkeit der Mitochondrien.Im Beispiel von Abb. 1 wird deutlich, dass trotz ausreichend intrazel-lulärem ATP-Gehalt der Granulozyten eine unzureichende Energie-versorgung vorliegt, da die Mitochondrien auf Belastung mit einer Drosselung reagieren und sich nicht normal schnell wieder erholen.

Antioxidative KapazitätDiese Untersuchung gibt Aufschluss über die Fähigkeit der Patien-tin, im Stoffwechsel entstehende freie Radikale unschädlich zu ma-chen. Liegt sie im normalen Bereich, so ist von einer ausreichenden Versorgung mit antioxidativ wirkenden Vitaminen, Spurenele-menten und sekundären Pflanzenstoffen auszugehen.Das Serum der Patientin wird für diesen Test mit Peroxiden belastet. Diese Peroxide entstehen im lebendigen Organismus als Reaktions-produkte der freien Radikale. Nach der Belastung werden die übrig gebliebenen, nicht neutralisierten Peroxide bestimmt, um festzustel-len, wie effektiv die Antioxidation arbeitet.

LipidperoxidationDieser Wert wird ebenfalls im Serum bestimmt. Er gibt Aufschluss über die Schädigung der Membranen sowie Plasmalipiden durch freie Radikale.

Nitrotyrosin (Nitrostress)Nitrosativer Stress entsteht, wenn Stickstoffmonoxid mit Hyperoxid reagiert. Aus dieser Reaktion geht das Peroxinitrit hervor, welches die Enzyme von Mitochondrien und Atmungskette unwiderruflich

schädigt und zudem oxidativ wirkt.Damit Nitrostress im Körper entsteht, muss zunächst vermehrt Stickstoffmonoxid im Zellstoffwechsel anfallen. Dies ist immer dann der Fall, wenn wir in irgendeiner Form Stress haben. Als Beispiele wären hier chronische Schmerzen und Entzündungen, Unverträg-lichkeiten, Elektrosmog, Medikamente, Nitrate sowie eine Instabili-tät der Halswirbelsäule zu nennen.Nitrotyrosin stellt im Blut den Marker für Nitrostress dar. Es ent-steht durch Reaktion von Peroxynitrit mit der Aminosäure Tyrosin.

Energiestoffwechsel und CitratzyklusEine ungenügende Energiegewinnung im Zitronensäurezyklus kann im Labor nachgewiesen werden. Hierzu misst man die im Zyklus entstehenden Zwischenprodukte. Werden diese in zu hoher oder zu niedriger Menge gebildet, so kommt es zu einer mitochondrialen Dysfunktion und einer unzureichenden ATP-Gewinnung. Die Fol-ge sind Müdigkeit und Antriebslosigkeit.Bei den Metaboliten6, die gemessen werden, handelt es sich konkret um Zitronensäure, Cis-Aconitsäure, Alpha-Ketoglutarsäure, Bern-steinsäure, Fumarsäure, Äpfelsäure sowie Laktat und Pyruvat. Unter-sucht wird ihre Konzentration im ersten Morgenurin. Um die Ergeb-nisse abschließend beurteilen zu können, muss auch mittels der Krea-tinin-Konzentration im Urin die Nierenfunktion bestimmt werden.

Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten der MitochondropathieVerschiedene Faktoren kommen als Auslöser verminderter ATP-Be-reitstellung in Betracht. Über die jeweils individuelle Ursache erhal-ten wir meist in der Anamnese Aufschluss. Wichtig sind hier Fra-gen nach Ernährung, Verdauung, Stress, chronischen Krankheiten, Schlaf, Schmerzen sowie Bewegungsmangel. Zusammen mit den oben genannten Laborbefunden ergibt sich ein umfassendes Bild der Situation der Patientin.Auf einige der wichtigsten Ursachen und ihrer Behandlungsmög-lichkeiten gehe ich nun gesondert ein.

Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und sekundär-en Pflanzenstoffen sowie essentiellen Amino- und FettsäurenMikronährstoffe sind essentiell für eine reibungslose Energiegewin-nung in den Mitochondrien. Sie sind einerseits als Co-Faktoren oder Bestandteile wichtiger Enzyme direkt an Citratzyklus oder At-mungskette beteiligt. Andererseits benötigen wir sie dringend als Antioxidantien, um entstehende Stoffwechselprodukte, freie Radi-kale und Umweltschadstoffe unschädlich zu machen, so dass die-se die ATP-Produktion nicht stören können. Zudem leisten viele Mikronährstoffe einen wichtigen Beitrag in der Verarbeitung von Stress, was ebenfalls die Zelle entlastet. Im Folgenden seien einige aufgelistet:Vitamine: Der komplette B-Komplex, Vitamin C, Vitamin E, Vita-min A, Vitamin DMineralstoffe, Spurenelemente: Selen, Zink, Mangan, Magnesium, EisenEssentielle Aminosäuren: L-Tryptophan, L-Tyrosin, L-Phenylalanin, L-GlutathionVitaminoide7: L-Carnitin, Alpha-Liponsäure, Coenzym Q10Sekundäre Pflanzenstoffe: Quercetin, Kurkumin, OPC, Resveratrol, Asthaxantin

Unzureichende Nährstoffaufnahme durch falsche ErnährungWenn klar ist, welch wichtige Rolle den verschiedenen Mikronähr-

Die körperliche Seite der Erschöpfung Die körperliche Seite der Erschöpfung

stoffen zukommt, dann wird deutlich, wie stark sich Fehl- oder Mangelernährung auf unser Wohlbefinden auswirkt. Eine gesun-de vollwertige Ernährung ist die Basis für eine gesunde Psyche, ein funktionierendes Nerven- und Hormonsystem sowie eine ausrei-chende Entgiftungsleistung des Körpers. Bei deutlichen Mikronähr-stoffdefiziten sollte gezielt substituiert werden. Hochdosierten Prä-paraten mit nur einem oder wenigen Nährstoffen ist hier der Vorzug zu geben vor solchen, die zwar alles, dies aber nur in geringeren Do-sierungen enthalten. Die Mikronährstoffdiagnostik im Labor kann uns bei der genauen Präparateauswahl behilflich sein.

DarmstörungenDem Darm kommen in der Behandlung des Burn-outs gleich meh-rere Rollen zu. Zum einen ist eine gesunde Verdauung und Darm-flora natürlich die Grundlage einer ausreichenden Nährstoffaufnah-me. Zum anderen können chronische (unerkannte) Entzündungen des Darmes zu Nitrostress führen. Also unbedingt an eine Darmsa-nierung denken!

ElektrosmogDas permanente Ausgesetzt-Sein von künstlichen elektromagne-tischen Feldern kann zu Störungen im Zellstoffwechsel führen. Empfohlen wird, sich einerseits so wenig Elektrosmog wie möglich auszusetzen, andererseits zum Ausgleich so oft wie möglich in der Natur unter Einfluss des natürlichen Erdmagnetfeldes wieder auf-zutanken.

UmweltgifteAlltagsgifte aus Trinkwasser, Pflegeprodukten und Spielzeugen kön-nen zur Zerstörung der mitochondrialen DNS führen. Diese gilt es natürlich einerseits so gut wie möglich zu vermeiden, andererseits eine bereits bestehende Belastung mittels Antioxidantien und ent-giftenden Maßnahmen zu beseitigen.

Instabilität der HalswirbelsäuleDiese gilt als eine der Hauptursachen für Nitrostress und sollte da-her dringend behandelt werden. Mögliche Verfahren sind manuelle

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Therapie, Osteopathie, Wirbelsäulentherapie, um nur einige zu nennen.

BewegungsmangelAusreichend Bewegung ist eine der besten Methoden, um Stress im Körper abzubauen und daher eine wichtige Komponente in

Vorbeugung und Behandlung von Burn-out. Außerdem erhöht re-gelmäßige Bewegung die Anzahl der Mitochondrien.

SchlafmangelSchlafmangel oder nicht-erholsamer Schlaf verursachen Stress. Da-zu kommt, dass wir den Schlaf dringend benötigen, um das Hor-mon Melatonin zu bilden, welches ein stark wirkendes Antioxidans ist und somit die antioxidative Kapazität erhöht. Mögliche Behand-lungsmethoden sind Entspannungsverfahren, Psycho- oder Hypno-setherapie sowie phytotherapeutische Maßnahmen.

LichthygieneTagsüber benötigen wir Licht, um Vitamin D in der Haut bilden zu können. Nachts hingegen sollte es dunkel sein, da ansonsten nicht ausreichend Melatonin gebildet wird. Gerade das blaue Licht von Computer, Fernseher und Co. am späten Abend stört immens un-seren Biorhythmus.

Natürlich ist das Burn-out Syndrom auch nicht im Umkehrschluss ein rein physisches Problem. Da sich Körper und Seele gegen- und wechselseitig beeinflussen, werden in den meisten Fällen auch beide an der Erkrankung beteiligt sein. Sicherlich ist es daher sinnvoll, auch die Therapie nicht eindimensio-nal, sondern multimodal durchzuführen. Psychotherapie, Orthomo-lekulare Medizin, die weitgehende Vermeidung schädlicher Einflüsse sowie die vielfältigen Möglichkeiten der alternativen Heilkunst kön-nen hier wunderbar miteinander verwoben werden.

Fußnoten1 Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle. In ihnen wird das für den Energiehaushalt wichtige Molekül Adenosintriphosphat (ATP) gebildet.2 Acetyl-CoA ist biochemisch gesehen ein ak-tivierter Essigsäurerest. Es entsteht beim Ab-bau der in der Nahrung enthaltenen Kohlen-hydrate, Eiweiße und Fette und ist von groß-er Bedeutung für die Gewinnung von ATP.3 Der Citratzyklus – auch Zitronensäure-zyklus genannt – ist ein Teil des mensch-lichen Energiestoffwechsels. Hier wird das entstandene Acetyl-CoA zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut. Dabei wird Energie frei, die in der Zelle zur Gewinnung von ATP genutzt wird.4 Als freie Radikale bezeichnet man Mo-leküle, die sich sehr reaktionsfreudig und somit aggressiv verhalten. Sie sind quasi ständig auf der Suche nach an-deren Molekülen, mit denen sie sich verbinden können. Entsprechende Mikronährstoffe können als Bin-dungspartner dienen und somit die freien Radikale unschädlich ma-chen.5 Mitochondropathie = Erkran-kung der Mitochondrien. Die Mitochondrien sind nicht mehr

in der Lage, genügend Energie zu pro-duzieren, damit der Mensch sich fit und leis-

tungsfähig fühlt. 6 Als Metaboliten bezeichnet man die Zwischenprodukte bio-chemischer Reaktionen.7 Vitaminoide sind – genau wie die Vitamine – an einer Vielzahl von

Stoffwechselvorgängen beteiligt. Im Unterschied zu Vitaminen können sie aber zumindest teilweise vom Körper selbst hergestellt werden. Daraus folgt, dass Vi-tamin D eigentlich ein Vitaminoid ist, da der Organismus es unter UV-Bestrahlung in der Haut selbst bilden kann.

AnmerkungenLabore, die genannte Untersuchungen anbieten (Auswahl):biovis‘ Diagnostik MVZ GmbHGANZIMMUN Diagnostics AG

LiteraturEichinger, Uschi; Hoffmann, Kyra: Der Burnout-Irrtum, Systemed Verlag, Lünen 2012Geßwein, Lorenz: Wieder neue Kraft. M.A.M. Maiworm GmbH, Hochheim 2012Gößling, Heinz-Wilhelm: Hypnose für Aufgeweckte – Hypnotherapie bei Schlafstörungen. Carl-Auer, Heidelberg 2013Gröber, Udo: Mikronährstoffe. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2011Martin, Michael (Hrsg.): Labormedizin in der Naturheilkunde. Elsevier GmbH, München 2006Wilson, James L.: Grundlos erschöpft. Goldmann Verlag, München 2011

Copyright© Für alle Grafiken: GANZIMMUN Diagnostics AG, Mainz

Installation © “Inside out“, Gisela Genthner, 2014 Zwei Nähmaschinen im Vergleich, Modell 60/70 Jahre. „... Die

Demontage ist wie eine Reise in die Vergangenheit.“ ...

Installation © “Verlandungssystem“, Gunhild Kreuzer, 2014 Installation mit Kleiderbügeln

Eine auf dem Boden vorhandene Schiene wird für die Installation von

Kleiderbügeln genutzt. Nebendran werden 5 Verlandestationen

aufgebaut.

Fotos © Heike Brunner

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