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Erste stromlinienförmige Aufbauten Einer der ersten Verfechter der Stromlinien- form im Automobilbau war der Berliner Wagenbaumeister Oskar Bergmann, der bereits 1906 in seiner Wagenbau-Schule stromlinienförmige Aufbauten konzipierte. 1911 entwarf er eine Limousine in Zeppelin- Form, die schon wesentliche Stromlinien- Details aufwies. So waren die Räder und das Chassis vollständig in die Karosserie in- tegriert worden. Doch seine Ideen wurden genauso wenig aufgegriffen wie die des italienischen Grafen Marco Ricotti, der 1913 bei der Karosseriefirma Castagna auf ei- nem Alfa-Chassis den Stromlinienwagen Siluro bauen ließ. Bei diesem futuristischen Gefährt wie auch bei dem sogenannten „Opel-Ei“ von Max Lochner, der 1912 nach eigenen Plänen eine eiförmige Karosserie mit geteilter und schräggestellter Wind- schutzscheibe auf ein Opel-Fahrgestell set- zen ließ, ging es nicht so sehr um die ener- gieverzehrende Kraft der Luftwirbel, son- dern sie sollten einfach möglichst wenig 364 ATZ 4/2002 Jahrgang 104 Stromlinie – wohl kaum ein anderer Begriff hat in der Geschichte des Automobilbaus einen so nachhaltigen Einfluss über Jahrzehnte hinweg ausgeübt und wurde doch so oft als reines Designelement missverstan- den. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten Konstrukteure, die Karosserie so zu formen, dass sie möglichst wenig Luftwiderstand bot. Die Anregungen dazu bekamen sie vom Flugzeug- und vor allem vom Zeppelinbau, wo die Bedeutung der Aerodynamik schon früh er- kannt worden war. Die Entwicklung der Stromlinien-Karosserie ENTWICKLUNG Historisches Von Immo Sievers Ley, Audi und Dixi auf Werbetour vor dem Berliner Stadtschloss (1923)

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Page 1: Die Entwicklung der Stromlinien-Karosserie

Erste stromlinienförmigeAufbauten

Einer der ersten Verfechter der Stromlinien-form im Automobilbau war der BerlinerWagenbaumeister Oskar Bergmann, derbereits 1906 in seiner Wagenbau-Schulestromlinienförmige Aufbauten konzipierte.1911 entwarf er eine Limousine in Zeppelin-Form, die schon wesentliche Stromlinien-Details aufwies. So waren die Räder unddas Chassis vollständig in die Karosserie in-tegriert worden. Doch seine Ideen wurden

genauso wenig aufgegriffen wie die desitalienischen Grafen Marco Ricotti, der 1913bei der Karosseriefirma Castagna auf ei-nem Alfa-Chassis den StromlinienwagenSiluro bauen ließ. Bei diesem futuristischenGefährt wie auch bei dem sogenannten„Opel-Ei“ von Max Lochner, der 1912 nacheigenen Plänen eine eiförmige Karosseriemit geteilter und schräggestellter Wind-schutzscheibe auf ein Opel-Fahrgestell set-zen ließ, ging es nicht so sehr um die ener-gieverzehrende Kraft der Luftwirbel, son-dern sie sollten einfach möglichst wenig

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Stromlinie – wohl kaum ein anderer Begriff hat in der Geschichte desAutomobilbaus einen so nachhaltigen Einfluss über Jahrzehnte hinwegausgeübt und wurde doch so oft als reines Designelement missverstan-den. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten Konstrukteure,die Karosserie so zu formen, dass sie möglichst wenig Luftwiderstandbot. Die Anregungen dazu bekamen sie vom Flugzeug- und vor allemvom Zeppelinbau, wo die Bedeutung der Aerodynamik schon früh er-kannt worden war.

Die Entwicklung derStromlinien-Karosserie

ENTWICKLUNG Historisches

Von Immo Sievers

Ley, Audi und Dixi auf Werbetour vor dem Berliner Stadtschloss (1923)

Page 2: Die Entwicklung der Stromlinien-Karosserie

Staub auf den damals zumeist ungepfla-sterten Straßen aufwirbeln. Dass sich höhe-re Geschwindigkeiten mit niedrigeremLuftwiderstand erzielen ließen, war nur fürRennwagenkonstrukteure von Bedeutung.Ein Beispiel dafür ist der Stanley-Dampfwa-gen aus dem Jahre 1906, der als erstes Autoüber 200 km/h schnell war. Sein Aufbauwar fast vollständig geschlossen, Front undHeck waren spitz ausgebildet.

Die meisten Automobile vor 1914 blie-ben hingegen hochbeinig und eckig, seltenhatten sie einen geschlossenen Aufbau. Fürdie Käufer, die sich zu jener Zeit einen Mo-torwagen leisten konnten, war die Be-quemlichkeit etwa beim Ein- und Ausstei-gen wichtiger als der Verbrauch oder einehöhere Reisegeschwindigkeit, die sich oh-nehin auf den meisten Chausseen nicht er-zielen ließ. Der schlechte Allgemeinzustandder Straßen war auch mit dafür verant-wortlich, dass sich stromlinienförmige Au-tomobile erst in den 30er Jahren durchzu-setzen begannen, wo sie auf Asphalt-straßen und auf den aufkommenden Auto-bahnen ihre Vorzüge ausspielen konnten.

Ein weiterer Hinderungsgrund für dieVerbreitung der Stromlinienwagen warendie avantgardistischen Karosserieformen,die nicht den Geschmack der Kunden tra-fen. Fahrzeuge, die konsequent nach denErkenntnissen der Aerodynamik entworfenwurden, hatten doch ein zu futuristischesAussehen für den Zeitgeist.

Richtungsweisende Technik

Ein gutes Beispiel dafür ist Edmund Rump-ler, der sich wie viele andere europäischeFlugzeugkonstrukteure nach dem ErstenWeltkrieg wieder dem Automobilbau zu-wandte. 1920 entstand der Prototyp des„Rumpler-Tropfen-Autos“, das mit allen bisdahin gebräuchlichen Formen brechen soll-te. Der Grundgedanke des Tropfenwagenswar der geringe Luftwiderstand durch dieFormgebung eines Wassertropfens und dasStrömungsverhalten der Luft um ihn her-um. Eine fundamentale Feststellung für dieAerodynamikforschung, die umgesetzt inden Automobilbau eine möglichst ge-schlossene Bauform erforderte. Und so waran Rumplers Tropfenkarosserie außen sogut wie nichts befestigt, ein Mittelschein-werfer war in die Wagenfront integriert.Als erstes Automobil hatte der Wagen dazueine runde Frontscheibe und erreichte so ei-nen Luftwiderstandswert von nur 0,28,Bild 1.

Zwar ließen sich die Tropfenwagen we-gen ihres ungewöhnlichen Designs, ihrerzahlreichen technischen Mängel und deshohen Preises schwer verkaufen, aber inFachkreisen wurde ihre richtungsweisende

Technologie erkannt. 1922 erwarb Benz &Cie. eine Lizenz und entwickelte auf dieserGrundlage einen Rennwagen, der in denfolgenden Jahren erfolgreich eingesetztwurde. Insgesamt gesehen beeinflussteRumplers Konstruktion den Automobilbaujedoch nicht so weitreichend wie die Inno-vationen seines Konkurrenten Paul Jaray,mit dem er jahrelang um Patentrechte pro-zessierte.

Die Stromlinien-PioniereRumpler und Jaray

Die Lebensläufe der beiden Stromlinien-Pioniere haben dabei durchaus Parallelen.Beide wurden in Wien geboren, Rumpler1872 und Jaray 1889. Beide studierten in Wien an der Technischen Hochschule,Rumpler Maschinenbau, Jaray Mathematikund Technik. Rumpler arbeitete im An-schluss bei verschiedenen Automobilfir-men, bei denen er zahlreiche wichtige In-novationen in den Fahrzeugbau einbrach-te. Bis 1914 bekam er 85 Patente erteilt,trotzdem wandte er sich bereits 1910 demFlugzeugbau zu. Jaray ging 1912 als Ingeni-eur zur Flugzeugbau AG nach Friedrichsha-fen am Bodensee. 1914 wechselte er zu denZeppelin-Werken, wo er als Oberingenieurbis zu seinem Weggang 1923 für die Projek-te und Konstruktionsunterlagen für sämtli-che Luftschiffe verantwortlich war.

Nach dem Krieg standen beide vor derSituation, keine Flugzeuge beziehungswei-se Zeppeline mehr bauen zu dürfen, undhofften nun, im Automobilbau ihre aerody-namischen Kenntnisse anwenden zu kön-nen. 1921 meldete Jaray ein Patent zum

„Stromlinienwagen“ an, worauf er vonRumpler verklagt wurde, der die „Erfin-dung“ der Stromlinie für sich in Anspruchnahm. Dieser Rechtsstreit zog sich bis 1926hin, erst nachdem Jaray den Prozess ge-wonnen hatte, wurde ihm am 25. Januar1927 das Patent (DRP. 441618) erteilt. Darinbeschrieb er die Stromlinienform wie folgt:

„Kraftwagen, dessen Maschinenanlage,die Nutzräume, das Fahrgestell und die Rä-der überdeckender Oberbau einen halbenStromlinienkörper mit im wesentlichen ebe-ner, der Fahrbahn paralleler Bodenflächebildet, dadurch gekennzeichnet, dass derStromlinienkörper an seinem hinteren Endein eine waagerechte Schneide ausläuft.“

Das Auslaufen des Hecks in eine spitzebeziehungsweise flache Form wurde für Ja-rays Konstruktionen typisch. WährendRumpler in dieser Zeit vergeblich versuch-te, in Berlin eine Serienproduktion aufzu-bauen, ging Jaray 1923 in die Schweiz undgründete ein Ingenieurbüro.

Keine Chance auf Serienproduktion

Als erster erkannte Rudolf Ley die Bedeu-tung von Jarays Entwicklungen und ließ1922 in seiner Maschinenfabrik im thürin-gischen Arnstadt auf ein Fahrgestell einesLey T 6 eine Jaray-Karosserie bauen, Bild 2.Dieser Ley-Wagen kann für sich in An-spruch nehmen, das erste wirklich konse-quent stromlinienförmig konstruierte Au-tomobil zu sein. Im Gegensatz zu Rumplershochbeinigem Tropfenwagen hatte der Leyein tiefliegendes Chassis. Jarays Forderung

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Bild 1: Der Rumpler-Tropfenwagen im Windkanal (1921)

Richtungsweisende Technik

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„beseitigen oder stromlinienförmig gestal-ten“ war dabei bis in Detail umgesetzt wor-den. Zusammen mit zwei anderen Stromli-nien-Wagen, die Jaray für die Dixi- und dieAudi-Werke, Bild 3, entworfen hatte, wurdeder Ley auf verschiedenen Ausstellungengezeigt und auf ausgedehnte Testfahrtengeschickt.

Es folgten weitere Aufträge aus der In-dustrie etwa von DKW, Mercedes-Benz oderMaybach, aber keine Firma nahm den seri-enmäßigen Bau von Stromlinien-Wagenauf. Dabei entwickelte Jaray nicht nur alserster strömungsgünstige Außenformen,sondern er erfasste auch als erster den Ge-samtkomplex der „Fahrzeug-Dynamik“und stellte eine Theorie der Strömungs-technik auf. Wie sein Konkurrent Rumplerverkannte er aber die Notwendigkeit, dassein Massenprodukt sich am Geschmack derpotenziellen Käufer orientieren muss.

Erfolg der Stromlinie imRennsport

Ein Mitstreiter von Jaray war WilhelmReinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld.Er wurde 1899 in Stuttgart geboren undstudierte dort an der Technischen Hoch-schule Technik und Volkswirtschaft. Im Ge-gensatz zu Rumpler und Jaray führte seinWeg nicht über den Flugzeugbau, sondernüber den Sport zur Aerodynamik. Bereits1920 startete er mit einem teilverkleidetenBob bei Rennen in Oberhof. In der Folgewechselte er zum Motorradsport und betei-ligte sich später auch an Autorennen. An-fang April 1930 nahm Koenig-Fachsenfeldals Testfahrer an Rekordversuchen mit ei-nem DKW-Rennwagen in Monthléry beiParis teil. Es gelang ihm, zwölf Lang-streckenrekorde aufzustellen, und er kam,wie er in seinen Erinnerungen schreibt, zufolgender Erkenntnis,

„Die stundenlange Fahrt gab mir Gele-genheit, darüber nachzudenken, wie manohne Steigerung der PS-Zahl schneller wer-den kann, sich also mit der Möglichkeit derGeschwindigkeitssteigerung ohne Erhöhungder Motorleistung zu beschäftigen. Ziel:Leichtbau und Stromlinie.“

Bereits ein Jahr später konnte er wieder-um in Monthléry mit dem neu konstruier-ten DKW-Frontantriebswagen und einer ae-rodynamisch geformten Karosserie weitereRekorde aufstellen. Wie Rumpler und Jaraygelang es Koenig-Fachsenfeld, zuerst imMotorsport seine Theorien zu beweisen. InZusammenarbeit mit der Karosseriebaufir-ma Vetter in Stuttgart entwarf er für ver-schiedene Firmen Boliden, wobei der Auf-bau für einen Mercedes-Rennwagen 1932besonders bekannt wurde, Bild 4. Obwohl

der Rennleiter Alfred Neubauer die Karosse-rie als „Gurke“ ablehnte, siegte Manfred vonBrauchitsch überlegen damit. Koenig-Fach-senfeld war aber mit diesem „behelfsmäßi-gen Aufbau“ noch nicht zufrieden. SeineTheorien sah er erst in dem 1934 in Zusam-menarbeit mit dem Flugtechnischen Insti-tut der Technischen Hochschule Stuttgartentwickelten und bei Imperia in Godesberggebauten „Volksrennwagen“ mit Mittelmo-tor verwirklicht, Bild 5. Der Wagen hatte ei-ne geschlossene und nach hinten auslau-fende Form, allerdings waren die Rädernoch nicht in die Karosserie einbezogen. DieErgebnisse seiner Forschungen fasste Koe-nig-Fachsenfeld in seinem Buch „Aerodyna-mik des Kraftfahrzeugs“ zusammen.

Die Vorzüge desabgeschnittenen Hecks

Zusammen mit Jaray bemühte Koenig-Fachsenfeld sich darum, die Industrie vomNutzwert ihrer Theorien zu überzeugen.Gleichzeitig mussten sie aber auch daraufbedacht sein, ihre Patentrechte zu wahren.Aus diesem Grund hatte Jaray bereits 1931in New York die „Jaray Streamline Corpora-tion“ gegründet, die seine Rechte in denUSA und Kanada schützen sollte. 1933 wur-de in Luzern die „Aktiengesellschaft fürVerkehrspatente“ (AVP) gegründet, mit Ja-ray als Direktor. Koenig-Fachsenfeld, seit1936 Repräsentant der AVP, versuchte diesauch vergeblich in Deutschland. 1937 wur-

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Bild 2: Ley T 6 mit Jaray-Karosserie (1922)

Bild 3: Audi K nach Jaray (1923)

Keine Chance auf Serienproduktion

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de die AVP aufgelöst, da die Lizenzge-bühren zu niedrige Erträge einbrachtenund die politischen Verhältnisse eine Wah-rung ihrer Interessen nicht zuließen.Während Jaray in der Schweiz blieb undsich wieder dem Flugzeugbau zuwandte,beriet Koenig-Fachsenfeld in Deutschlanddie Autohersteller Adler, Ford, Hanomagund Opel sowie zahlreiche Karosseriefir-men. Zudem gelang es ihm, Lizenzverträgemit Steyr und Peugeot abzuschließen, ob-wohl ihm die Urheberschaft an den weiter-führenden Erkenntnissen zur Aerodynamikstreitig gemacht wurde.

In Windkanalversuchen hatte Koenig-Fachsenfeld ermittelt, dass die auslaufendeund sich stark verjüngende Heckform, wievon Jaray propagiert, strömungstechnischnoch nicht optimal war. Dazu hätte mandas Heck so weit verlängern müssen, dasses verkehrshinderlich gewesen wäre. Leite-te man dagegen die Strömung über dasDach und beschnitt das Heck, wurden we-sentlich bessere Werte ermittelt. Diese For-schungsergebnisse fasste Koenig-Fachsen-feld in seiner Patentanmeldung vom 18. Fe-bruar 1936 unter dem Titel „Wagenkastenfür Kraftfahrzeuge“ wie folgt zusammen:

„Wagenkasten für Kraftfahrzeuge, des-sen Umrissform vom größeren Querschnittan nach hinten verjüngt ist, dadurch ge-kennzeichnet, dass die Verjüngung bis andas Ende des Wagenkastens so stark ist, wiedie Forderung auf Anliegen der Luftströ-mung zulässt, und das Ende durch eine imwesentlichen senkrechte Fläche von kleinst-möglicher Höhe gebildet wird, ohne dass diezweck- und verkehrsbedingte Wagenlängewesentlich überschritten wird."

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Erfolg der Stromlinie im Rennsport

Bild 4: Mercedes-Benz-Rennwagen – die „Gurke“ von Reinhard FreiherrKoenig-Fachsenfeld (1932)

Bild 5: „Volksrennwagen“ von Imperia nach Koenig-Fachsenfeld (1934)

Die Vorzüge des abgeschnittenen Hecks

Bild 6: Der Stromlinienbus nach Everling (1935)

Page 5: Die Entwicklung der Stromlinien-Karosserie

Diese Innovation wurde später unterdem Namen „K-Heck“ bekannt, das, im Ge-gensatz zum Jaray-Prinzip, die Heckpartiejäh abreißen lässt und trotzdem den Luft-strom stabilisiert, wirbelfrei führt und leitet.Die Früchte seiner Arbeit konnte Koenig-Fachsenfeld aber nicht ernten; nach Inter-vention staatlicher Stellen musste er seineAnmeldung an das Forschungsinstitut fürKraftfahrwesen und Flugzeugmotoren inStuttgart (FKFS) verkaufen, auf dessen Na-men das Patent auch eingetragen wurde.

Geleitet wurde dieses Institut von Prof.Dr. Wunibald Kamm. Dieser wurde 1893 inBasel geboren und studierte an der Techni-schen Hochschule Stuttgart. Nach verschie-

denen Stationen übernahm er 1930 die Lei-tung des FKFS. 1936 erschien sein Buch „DasKraftfahrzeug – Betriebsgrundlagen, Berech-nung, Gestaltung und Versuch“. Kamm warbei seinen Forschungsarbeiten ebenfalls aufdie Vorzüge des abgeschnittenen Hecks ge-stoßen und nahm für sich diese Entdeckungebenso in Anspruch wie Prof. Dr. Emil Au-gust Everling von der Technischen Hoch-schule Berlin. Everling, 1880 in St. Goar gebo-ren, war seit 1923 in Berlin Professor für Luft-fahrtmechanik und über die Erkenntnisseaus dem Flugzeugbau zu ähnlichen Ergeb-nissen wie Kamm und Koenig-Fachsenfeldgekommen. 1935 entwarf er im Auftrag desReichsverkehrsministeriums einen Strom-

linienbus, der von Erdmann & Rossi gebautwurde, Bild 6. Dank seiner aerodynami-schen Form und Windbremsen nach einemPatent von Everling sollte der Omnibus biszu 200 km/h schnell sein. 1938 wurde einvon Everling entwickelter und bei Voll &Ruhrbeck auf einem Mercedes-Benz-Chassisgebauter Wagen präsentiert, der den sensa-tionellen cW-Wert von 0,15 erreichte.

Zusammen können Koenig-Fachsen-feld, Kamm und Everling als Vorkämpferdes sogenannten K-Wagens angesehenwerden – auch wenn es umstritten bleibt,wer denn der eigentliche Vater des Gedan-kens war.

Die Aerodynamik gewinnt anBedeutung

Für alle drei Forscher ergaben sich in den30er Jahren Möglichkeiten, ihre Ideen zurealisieren, denn ab 1935 beherrschten zweiZauberworte den deutschen Automobil-bau: Autobahn und Stromlinie. Auf denneuen Schnellstraßen sollten nach aerody-namischen Gesichtspunkten gestylte Fahr-zeuge mit hoher Geschwindigkeit da-hingleiten können. Beides wurde politischpropagiert und die Autobranche sah sichunter Zugzwang, entsprechende Fahrzeugeherauszubringen. So gut wie alle großenFirmen ließen sich von einem der Stromli-nien-Experten beraten und Test- oderRennwagen konstruieren, zum BeispielBMW, wo ab 1936 unter Beratung von Koe-nig-Fachsenfeld verschiedene Wagen ge-baut wurden, Bild 7. Seit 1938 wurden zu-dem die K-Modelle hergestellt. Das gleiche

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Bild 7: BMW Modell 328 nach Koenig-Fachsenfeld (1938)

Die Aerodynamik gewinnt an Bedeutung

Die Aerodynamik gewinnt an Bedeutung

Bild 8: Der „Autobahnwagen“ von Adler war das ersteStromlinienfahrzeug in Serie (1937)

Bild 9: Der Tatra Typ 77 (1937)

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galt für Mercedes-Benz. Das Unternehmenzeigte zwar schon 1935 mit dem Heckmo-tor-Wagen 150 H Ansätze einer Stromlini-en-Karosserie, wollte sich aber sonst demneuen Trend nicht anschließen. Im Renn-sport dagegen machte man sich in Unter-türkheim die Erkenntnisse der Aerodyna-mik gerne zunutze – ebenso wie der Dauer-gegner Auto Union, der 1938 den wohl be-kanntesten Rekordwagen dieser Zeit baute.Auf Basis aller vier Marken von Auto Uniongab es Stromlinien-Versuche, ohne dass sietatsächlich in der Serie mündeten. Diemeisten Testwagen wurden auf DKW-Basisgebaut, wobei man sich anfangs von Jarayberaten ließ. Daneben ließen auch Han-omag, Ford, Opel, NSU-Fiat und andere ver-suchsweise Stromlinien-Wagen bauen.Aber nur in wenigen Fällen kam es zurtatsächlichen Serienfertigung. Eine dieserAusnahmen waren die Adler-Werke, die1935 und 1936 mit Stromlinienwagen nachJarays Entwürfen nicht weniger als 22 in-ternationale Rekorde aufstellten. Diese Er-folge führten 1937 zum Serienbau des Typs10 oder „Autobahn-Adlers“, wie der 2,5-l-Wagen genannt wurde, der bis 1940 gebautwurde, Bild 8.

Obwohl in Deutschland die Erforschungder aerodynamischen Vorzüge der Stromli-nienform am intensivsten betrieben wur-de, gab es auch in anderen Ländern durch-aus ähnliche Versuche. In Frankreich wares zum Beispiel Peugeot, wo mit einer Li-zenz von Koenig-Fachsenfeld einige Serienvon Stromlinien-Wagen gebaut wurden.Deren Einflüsse waren besonders deutlichbeim Typ 402 von 1937 zu erkennen.

Oder der Flugzeugkonstrukteur GabrielVoisin, der sich nach dem Ersten Weltkriegauf den Automobilbau verlegte. Aufsehenerregte sein 1934 vorgestellter Voisin Aero-dyne mit vier Bullaugen in der nach hintenverschiebbaren Dachpartie. Doch Voisin,der von sich behauptete, das Stromlinien-auto erfunden zu haben, war eher ein Laieauf dem Gebiet der Aerodynamik. Er wardavon überzeugt, dass dies eine Kunst sei,die keine Berechnung brauche, und ver-zichtete deshalb auf jegliche Konstruk-tionszeichnungen.

Ein ähnlich genialer aber unrealistischerKünstler war der Engländer Sir CharlesDennistoun Burney. Er kam wie die meis-ten Aerodynamiker aus der Luftfahrt undstellte 1930 sein „Streamline Car“ vor, vondem bis 1933 immerhin zwölf Wagen ge-baut wurden.

Erfolgreicher war der von Hans Ledwin-ka konstruierte und 1934 vorgestellte TatraTyp 77, Bild 9, für den man eine Jaray-Lizenz nutzte. Mit ihm wurde auch diesogenannte Flossen-Epoche eingeleitet,denn der Wagen hatte keine Heckscheibe,

sondern statt dessen Lüftungsschlitze undeine über das gesamte Heck laufendeFlosse.

Auch in Amerika wurden „StreamlineCars“ in Serie gebaut. Angeregt durch JaraysNew Yorker „Streamline Corporation“ stell-ten Chrysler und De Soto 1934 einen soge-nannten Airflow vor. Von ihnen konntennach amerikanischem Standard allerdingsnur geringe Stückzahlen verkauft werden.Dies traf auch auf den Lincoln Zephyr zu, dernach dem Stromlinienzug Burlington Ze-phyr benannt worden war und den JohnTjaarda 1939 entworfen hatte. Berühmt wur-de der Cord 810, der sogar als erstes Auto imMuseum of Modern Art ausgestellt wurde.Seine vom Stromlinienstyling beeinflussteKarosserie entsprach vollkommen demamerikanischen Zeitgeist. An ihm zeigte sichaber auch schon, was Designer unter demBegriff „Stromlinie“ oder „Streamline“ ver-standen.

In den USA wie auch in Europa kamenstromlinienförmige Eisenbahnzüge, Flug-zeuge und Gebrauchsartikel in Mode. Die ur-sprüngliche Idee, eine Karosserie nach opti-malen aerodynamischen Eigenschaften zukonstruieren, wurde in den Design-Studiosder großen Autokonzerne vereinfacht undoft nur bei technisch unwichtigen Detailsangewandt. Ein Missstand, auf den die ATZschon 1934 in einem Artikel aufmerksammachte, Bild 10. Immerhin sorgten die fun-dierten Forschungsergebnisse in Deutsch-land dafür, dass Ende der 30er Jahre Serien-wagen einen deutlich niedrigeren Luftwi-derstandswert hatten als noch fünf Jahre zu-vor. Während des Krieges traten diese Er-kenntnisse in den Hintergrund und wurdenerst wieder in den 50er und 60er Jahren vonRennwagenkonstrukteuren aufgegriffen.Heute, im Zeitalter energiepolitischer Debat-ten, nutzt sie jeder Automobil-Designer. ■

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Bild 10: Faksimile des ATZ-Artikels von 1934 über Pseudo-Stromlinien