die bild-legende anno neun - universität innsbruck · 1 vgl. duden. das große wörterbuch der...

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1 Vgl. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Band, hg. u. a. von Günther DROS- DOWSKI, Mannheim–Wien–Zürich 1978, 1652. Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm GRIMM, Nachdruck von 1885, 12. Band, München 1985, 537. 2 Siehe Andreas OBERHOFER, Weltbild eines „Helden“. Andreas Hofers schriftliche Hinterlassenschaft (Schlern-Schriften 342), Innsbruck 2008. 3 August Wilhelm SCHLEGEL, Sämtliche Werke, hg. von Edurad BÖCKING, 2. Band, Leipzig 1846, 365–367. Die Bild-Legende Anno Neun SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST Bilder: „… Inseln für Kontemplation und wir ruderten zu ihnen gegen den tosenden Strom, um uns an ihren Gestaden zu sammeln …“ (Vilém Flusser) – Eine kunsthistorische Anamnese. Das mittelhochdeutsche Wort legende bezieht sich auf die mittellateinischen legenda, wortwörtlich „die zu lesenden Stücke“. Welche Stücke? Das Stück meint eine kurze, erbauliche religiöse Erzählung über Leben und Tod oder auch das Martyrium eines Hei- ligen. Jemandes Leben kann durch ausschmückende mündliche Überlieferung nahezu den Charakter einer Legende bekommen. 1 Andreas Hofer, der Sandwirt vom Passeier in Tirol, hat zwar eine recht dürftige schriftliche Hinterlassenschaft 2 , ist dafür aber die Figur für eine, mit jedem runden Gedenkjahr seit 1809 erneuerte, revidierte und erwei- terte Bild-Legende geworden, die noch keineswegs abgeschlossen erscheint. Rund um das Geschehen von 1809 gab es zunächst nur das mündliche – bald darauf auch das schriftliche – Berichten von dem, was passiert war. Pater Benitius Mayr und Jakob Placidus Altmutter waren die ersten, die Zeichnungen der – in ihren Augen – wesentlichsten Ereignisse anfertigten. Wegen ihrer zeitlichen Nähe zum tatsächlichen Ereignis beanspruchen diese graphischen Produkte für die Nachgekommenen ohne kritisches Nachfragen gleichsam dokumentarischen Wert. Sie werden mit demselben Respekt vor dem angenommenen „objektiven Bericht“ behandelt, welcher wenig später der Fotografie zukam, welcher man die Aufzeichnung der Spuren „wie es wirklich war“, zutraute. Mit ein wenig Abstand, gegen Mitte des Jahrhunderts, kamen die Bilder, die man sich von dem erinnerungswürdigen Geschehen des Tiroler „Freiheitskampfes“ – ein spät geborener Begriff – machte. Und diese entstanden, je verschieden nach Genre und künstlerischer Technik, in Form von literarischen Texten oder aber in Form von leibhaf- tigen Gemälden. Die „Bilder“ konstruierten erst den Helden und gaben romantischen Motiven rund um den Helden sinnlich wahrnehmbare Gestalt. Parallel zur romantischen Überhöhung des Stoffes in der entstehenden Literatur gab es bereits zeitgenössische heftige Kritik u. a. von August Wilhelm Schlegel (1832) 3 oder von Friedrich Hebbel

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1 Vgl. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Band, hg. u. a. von Günther DROS-DOWSKI, Mannheim–Wien–Zürich 1978, 1652. Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm GRIMM, Nachdruck von 1885, 12. Band, München 1985, 537.

2 Siehe Andreas OBERHOFER, Weltbild eines „Helden“. Andreas Hofers schriftliche Hinterlassenschaft (Schlern-Schriften 342), Innsbruck 2008.

3 August Wilhelm SCHLEGEL, Sämtliche Werke, hg. von Edurad BÖCKING, 2. Band, Leipzig 1846, 365–367.

Die Bild-Legende Anno NeunSYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

Bilder: „… Inseln für Kontemplation und wir ruderten zu ihnen gegen den tosenden Strom, um uns an ihren Gestaden zu sammeln …“

(Vilém Flusser) – Eine kunsthistorische Anamnese.

Das mittelhochdeutsche Wort legende bezieht sich auf die mittellateinischen legenda, wortwörtlich „die zu lesenden Stücke“. Welche Stücke? Das Stück meint eine kurze, erbauliche religiöse Erzählung über Leben und Tod oder auch das Martyrium eines Hei-ligen. Jemandes Leben kann durch ausschmückende mündliche Überlieferung nahezu den Charakter einer Legende bekommen.1 Andreas Hofer, der Sandwirt vom Passeier in Tirol, hat zwar eine recht dürftige schriftliche Hinterlassenschaft2, ist dafür aber die Figur für eine, mit jedem runden Gedenkjahr seit 1809 erneuerte, revidierte und erwei-terte Bild-Legende geworden, die noch keineswegs abgeschlossen erscheint.

Rund um das Geschehen von 1809 gab es zunächst nur das mündliche – bald darauf auch das schriftliche – Berichten von dem, was passiert war. Pater Benitius Mayr und Jakob Placidus Altmutter waren die ersten, die Zeichnungen der – in ihren Augen – wesentlichsten Ereignisse anfertigten. Wegen ihrer zeitlichen Nähe zum tatsächlichen Ereignis beanspruchen diese graphischen Produkte für die Nachgekommenen ohne kritisches Nachfragen gleichsam dokumentarischen Wert. Sie werden mit demselben Respekt vor dem angenommenen „objektiven Bericht“ behandelt, welcher wenig später der Fotografie zukam, welcher man die Aufzeichnung der Spuren „wie es wirklich war“, zutraute.

Mit ein wenig Abstand, gegen Mitte des Jahrhunderts, kamen die Bilder, die man sich von dem erinnerungswürdigen Geschehen des Tiroler „Freiheitskampfes“ – ein spät geborener Begriff – machte. Und diese entstanden, je verschieden nach Genre und künstlerischer Technik, in Form von literarischen Texten oder aber in Form von leibhaf-tigen Gemälden. Die „Bilder“ konstruierten erst den Helden und gaben romantischen Motiven rund um den Helden sinnlich wahrnehmbare Gestalt. Parallel zur romantischen Überhöhung des Stoffes in der entstehenden Literatur gab es bereits zeitgenössische heftige Kritik u. a. von August Wilhelm Schlegel (1832)3 oder von Friedrich Hebbel

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4 Friedrich HEBBEL, Vermischte Schriften III (1843–1851) und Kritische Arbeiten II, Berlin 1903 (DERS., Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, hg. von Rainer Maria WERNER, 11. Band), 277–282.

5 Eine sehr gute Übersicht über die Rezeption des Hofer-Mythos in der Literatur liegt vor durch Johann HOLZNER, Andreas Hofer im Spiegel der Literatur, in: Tirol im Jahrhundert nach Anno Neun, hg. von Egon KÜHEBACHER (Schlern-Schriften 279), Innsbruck 1986, 37–50. Vgl. auch den Beitrag von Sigurd Scheichl in diesem Band.

6 Ernst H. GOMBRICH, The uses of images, London 1999, 12.7 Vgl. Wilhelm von Ockham, der sich auf Marsilius von Padua, welcher solche Erkenntnisse bereits

beschrieb, beziehen konnte, sprach im Hinblick auf solche Begriffe, welche in der Folge Vorstellun-gen transportieren, als von „überflüssigen Möblierungen im geistigen Raum“, Alois DEMPF, Sacrum Imperium. Geschichte und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Mün-chen–Berlin 1954, 436. Über Marsilius von Padua lesen wir bei Allan GEWIRTH, Marsilius of Padua. The Defend of Peace, II Vol., New York 1951/1956, II. Vol, 133.

8 Platons Phaidros, Kap. LX, in: Platons sämtliche Dialoge, unv. Nachdruck hg. v. Otto APELT, Hamburg 1998, 104.

(1849), welcher meinte, es fehle gerade „an einem Helden“4, der im Mittelpunkt einer Handlung stehen muss und „die übrigen mit agierenden Personen in gehörig abgestuf-ten Gruppen um sich versammelt“. Es fehlte also an dem eigentlichen ‚Stoff ‘, aus dem man ein literarisches Gewebe hätte weben können.5 Ein wenig anders trug es sich in den bildenden Künsten zu. Meist im Museum hängend oder in dessen Sammlungen verwahrt, bezeugen die Gemälde auf ihre Weise die Geschichte, die sich, aus den ver-schiedensten Quellen gespeist, buchstäblich als ‚Idee‘ entwickelt hat und somit auch ihre eigenen Bilder – Vorstellungen, Bildlichkeit – hervorgebracht hat.6 Die aus dem alten Historienbild hervorgegangene Historienmalerei begreift sich nämlich als ‚gestaltete Geschichtserfahrung‘.

Welcher historischen ‚Wahrheit‘ begegnen wir, wenn wir diese Bilder ansehen und uns an ihrer erhabenen Schönheit erfreuen? Sind sie vertrauenswürdige Dokumente oder führen sie uns, nicht anders als die Literatur, in andere Reiche? Deren Natur inte-ressiert uns hier in diesem Aufsatz, die imaginativen Räume dieser Reiche wollen wir analysieren. Denn in diesen virtuellen Räumen der Vorstellung – sei es das materielle Bild oder die jeweilige Bildrezeption – können die einzelnen historischen Fakten, das heißt, Geschichtsbilder, wie Möbel hin und her geschoben und damit je die Zusam-menhänge, der sogenannte Kontext, verändert werden. Zusammenhänge, die auf diese konstruierende, interpretierende Weise entstehen, gehen nicht selten in ewig gültige Allgemeinbegriffe über und beanspruchen quasimetaphysische Existenz.7

Hier, mittels der „Bilder“, entstehen die Fronten, hier schlägt ideologisches Interesse in Gewalt um und hier kommt es zum Krieg der Kulturen.

Die Gewalt kann allerdings nicht den gemachten Bildern angelastet werden. Im Phaidros lässt uns einer der Säulenheiligen des abendländischen Denkens, nämlich der „Heide“ Platon, durch die Rede des Sokrates wissen: „Denn das ist wohl das Bedenk-liche beim Schreiben und gemahnt wahrhaftig an die Malerei: auch die Werke jener Kunst stehen vor uns als lebten sie; doch fragst du sie etwas, so verharren sie in gar würdevollem Schweigen.“8 In der Welt der antiken Philosophen wurde das Bild in der Folge verworfen und deren angebliche Macht überwunden, denn Platon sprach von Bildern als von Täuschungen. Bilder waren nie die treuen Abbilder des wahren oder echten Realen, weil sie gerade umgekehrt die wandelbare Vorstellung dessen, was real sei, erst erfanden.

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9 Bericht der Apostelgeschichte, Kap. 17, ab 16; bes. 22 f. und 29 f.: Paulus tritt im Areopag in Athen auf und bekundet – unter Hinweis auf die verschiedenen Götterbilder, die er beim Herumgehen in der Stadt gesehen hat, seinen Respekt vor der großen Gottgläubigkeit der Athener. Er holt sie gleichsam bei ihrem Glauben ab, ohne jede Unterstellung, wenn er dann jedoch auf den wahren Gott hinweist, auf den, „den die Athener unwissentlich in einem Standbild für den unbekannten Gott verehren“. Und dann beginnt er den Irrtum behutsam aufzuklären, indem er sie auf die andersgeartete Natur des Schöpfers aller Dinge aufmerksam macht und auf die Unmöglichkeit, die Präsenz Gottes durch eine Materialisierung der Gedanken in eine Statue oder an einen buchstäblichen Ort zu zwingen. Paulus legt hier eine brilliante Analyse der typisch antropomorphen Sicht (der Griechen) vor.

10 Anlässlich seiner Himmelfahrt gab Jesus seinen Jüngern einige Hinweise mit, denn er erkannte ihre Erkenntnismöglichkeiten und deren Grenzen, als sie ihn fragten, ob er die Herrschaft Israels noch zu ihren Lebzeiten wiederherstelle, um sie von der elenden Knechtschaft der Römer zu befreien; siehe Apostelgeschichte, Kap. 1, 6–11. Den Inhalt der Worte Jesu vermochten sie offenbar weder ganz zu erfassen noch lange lebendig zu erhalten, dies hätte einer ununterbrochenen Übung – praxis – der Ein-stellung bedurft, welche sie durch sein Beispiel erlebt und gelernt hatten.

11 Das Bilderverbot im Dekalog zum Beispiel: 2. Mose (Exodus) 20, 4 und 5. Mose (Deuteronomium) 5, 8. 12 Ernst ULLMANN, Von der Macht der Bilder, Leipzig 1983, 18.13 Vilém FLUSSER, Bilderstatus, in: Metropolis. Internationale Kunstausstellung, hg. von Christos M.

JOACHIMIDES / Norman ROSENTHAL, Berlin–Stuttgart 1991, 48–53, hier 48.

Für die Christen, hineingestellt in eine heidnische Welt der Bildwerke, welche von den verschiedensten Göttern zeugten9, wurde es unter Einfluss der antropomorphen Philosophie und Religion der Griechen offenbar immer mehr zum Problem, ihren Gott nicht „unter sich“ zu haben.10 Sie waren überzeugt, ihn in Jesus, dem Christus, als im Fleische gesehen zu haben. Die Abgrenzung des eigenen Gottes zu den umgebenden, heidnischen Göttern und damit das Suchen der eigenen Identität, wurde den Christen zum Motiv des Bildermachens. Soweit ein hehres Motiv. Sie begannen die Figur des Christus Pantocrator als des Herrschers über alle Dinge darzustellen. Einige Jahrhun-derte später wich das Bild des glorreich Verherrlichten jedoch dem immer beliebter werdenden Bild des Märtyrers; die Bilder von der Passion Christi, nicht des Christkönigs wurden zum wichtigsten Identifikationsspiegel der Christenheit. – Entgegen dem Wis-sen vom biblischen Bilderverbot11 machten sie sich ein Bild, ein Phantastikon, ein vom inneren Auge erschautes Bild. Diesem Bild der Imagination musste eine äußere Verbild-lichung, eine mit künstlerischen Mitteln erzeugte Darstellung genügen. Diesem neuen, leblosen Gebilde wurde vom Betrachter Leben hinzugefügt. Und das Animieren erfolgte über die Erinnerung.

Seit jeher hat sich der Mensch Bilder gemacht; zur „Materialisierung der Religion“, wie der ehemalige DDR-Kunsthistoriker Ernst Ullmann es zum großen Lutherjahr 198312 ausdrückte.

Wir wenden ein, diese Aussage sei in Kenntnis der wohl extremsten Ausbildung der marxistisch-materialistischen Kultur (bis 1989) historisch zu relativieren und nicht ohne weiteres auf spätere Phänomene übertragbar. Doch der Leser wird eingeladen, nachzu-sinnen, was geschieht, wenn der Kulturbeflissene unserer Tage das Museum betritt und dort die Bilder als „Inseln für Kontemplation“ aufsucht, um sich „an ihren Gestaden zu sammeln“, wie ein berühmter Medientheoretiker und Philosoph des 20. Jahrhundert zu Recht bemerkte.13 Um zu begreifen, wie ernst und wahr dieser romantisch zugeschnit-tene Ausspruch zu reflektieren ist, gilt es ganz kurz die Tradition ins Gedächtnis zurück-zurufen, welche diese sogenannt rezeptionsästhetische Haltung hervorgebracht hat. In den Jahren des großen Bilderstreits im Kontext der Reformation wurde offenkundig,

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14 Vgl. Beat WYSS, Trauer der Vollendung: Zur Geburt der Kulturkritik, Köln, 3. durchges. Auflage 1997.

15 In Tübingen lieferte die Kunstästhetik Hegels unter der publizistischen Leitung Friedrich Theodor Vischers, Professor für Ästhetik, den Junghegelianern D. F. Strauß, A. Springer und H. Hettner, die Grundelemente ihrer Geschichtskonstruktion. Vischers Pantheismus fügte noch eine religionsphiloso-phische Dimension hinzu. Es kam zur Konstruktion des sogenannten „Realidealismus“ und zur Zuwei-sungen diverser Aufgaben an die verschiedenen Künste. Der Historienmalerei fiel dabei „das in sich Substantielle […] in Charakteren, Situationen und Lebenssphären“ zu, der Genremalerei „das in seinem Dasein Flüchtigste und in seiner Erscheinung Particulärste“. Vgl. dazu: Georg JÄGER, Die Konstruktion des Realidealismus, in: Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848–1880, hg. von Max BUCHER, 1. Band, Stuttgart 1976, 13–21.

16 Hinweis auf das Internat. Symposium „E. H. Gombrich auf dem Weg zu einer Bildwissenschaft des 21. Jahrhunderts“, Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald 30. und 31.3.2009 mit Proceedings.

dass die Bilder als Instrumente ideologischer Auseinandersetzungen – sowohl auf der Seite der Papstkirche wie der der Reformatoren – gebraucht werden konnten. Die Bil-derfrage stand in engem Zusammenhang mit der Diskussion um die symbolische oder reale Präsenz Christi im Abendmahl – ein theologisches Problem; zugleich aber auch in Beziehung zu dem seit dem 15. Jahrhundert sich vollziehenden Wandel der Funktion von Bildern der Kunst, nämlich Mittel der Welterkenntnis zu sein. Georg Friedrich Hegel, welcher die geschichtsphilosophische Grundlage14 für diese Einstellung und für die im 19. Jahrhundert sich erst entwickelnde moderne Museumskultur gelegt hat, war von der Korrelation zwischen dem jeweiligen „Zeitgeist“ und dessen Materialisierung in der Kunst überzeugt. Der Weltengeist tritt gemäß dieser Auffassung in den verschiedens-ten Bereichen des kulturellen Lebens in je für bestimmte Anliegen zuständigen Genres und Kunstgattungen zu Tage.15 Der säkulare, aufgeklärte Mensch erkennt in den von ihm geschaffenen Objekten der Kultur gleichsam die schicksalhafte Spiegelung seiner selbst. Wenn diese Rechnung existiert, und die westliche Kultur trägt alles zum Erhalt dieses sogenannten Kulturbetriebs bei, dann ist der Mensch im unentwegten Dialog mit den Gegen-‚ständen‘ auf der Suche seiner selbst, unterwegs im Finden der eigenen Identität. Dies ist ihm Religion.

Das Wissen um die neuen, quasireligiösen, Funktionen des Bildes im 19. Jahrhun-dert und in unserer Gegenwart, aber auch das Reflektieren der gegenwärtig aktuellen bildtheoretischen Diskussion um den Zusammenhang von Blick und Bild16 brauchen wir, um die Bilder des Anno 9 und die große Aufregung rund um die sogenannte Erin-nerungskultur überhaupt zu verstehen.

Die Andreas Hofer Bilder und ihre Darstellung in der Malerei

Das Land unter himmlischem Schutz

Das Interesse meiner Analyse ist auf das Geschehen der Erhebung der Tiroler zur Ver-teidigung ihres Landes gerichtet. Damit ist der Rahmen gelegt. 1796 ist das Jahr, in welchem das Tiroler Volk mit einem Gelübde sein Bündnis mit dem „Herzen Jesu“ zum Zweck des „wundermächtigen“ Schutzes in „Not und Kriegsgefahr“ besiegelte. Es wurde zum Schicksalsjahr und zum Beginn einer sich entwickelnden Typologie, deren Nachleben und ‚identitätsstiftende‘ Wirkung, aber auch deren mit Sorge zu beobach-

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17 Zu Phänomen und Forschungslage bzw. -literatur bitte ich das Kapitel „ ‚Herz Jesu‘ und die Tiroler Wehrhaftigkeit“ von Roman A. Siebenrock in diesem Band zu lesen!

18 Vgl. Jakob PROBST, Geschichte der Universität Innsbruck seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1860, Innsbruck 1869.

19 Vgl. OBERHOFER, Weltbild (wie Anm. 2), Dokument Nr. 500, 492: „[…] mit der vorläufigen Bemer-kung, dass nicht das Ordinariat dieses Lehrer-Personale bestimmet habe, sondern die Oberkomman-dantschaft hat schon in der ersten Helfte Septembers das Verzeichniß der anzustellenden Lehrer nach Brixen geschickt […] Zur Ästhetik (falls diese Lehrkanzel beybehalten werden wird) Pr. Benizius Mayr Servit […]“.

tenden Nachwirkungen anscheinend erst langsam in der ganzen Breite erkannt werden können. Die „Herz-Jesu“-Thematik17 sollte im Jahr der Erhebung 1809 unter Andreas Hofer noch ungemein bedeutungsvoll werden; auch wenn heute die Wenigsten mehr recht wissen, wessen sie gedenken, wenn sie in den lauen Nächten – eine Oktave nach dem Fronleichnamsfest und darauf der erste Sonntag – die Felsen hinaufklettern, um hoch oben über den Tälern „Herz Jesu Feuer“ zu entzünden. Zu schützen galt es das Land, die Landschaft oder das ‚Vaterland‘. Hier möge man erinnern, dass der Terminus ‚Landschaft‘ in der heute begriffenen ästhetischen Bedeutung mit dem Gewicht auf dem Naturaspekt sich überhaupt erst ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte. Zuvor, in der alten Tradition, meinte der Begriff Personenkollektive, welche einer bestimm-ten politischen oder wirtschaftsräumlichen Einheit, einem Land, angehörten und dieses repräsentierten. Für die Tiroler definierte sich die Landes-Einheit vor allem in bestimm-ten regionalen katholischen Glaubenspraktiken und in der Abgesichertheit der Rechte, die durch die Landesverfassung vom Landesfürsten garantiert waren. Letztere Rechte schlossen ein, dass die Tiroler nur zur Verteidigung des eigenen Landes ausrücken muss-ten und nicht in von der Regierung angeordnete Kampfhandlungen an anderen Fronten der österreichischen Erbländer verwickelt werden durften.

Wir kommen zum Kern und halten aus dem zweiten Abschnitt unserer Darlegung oben fest: Ein Geistlicher, Benitius Mayr, und ein Künstler, Jakob Placidus Altmutter, bemühten sich im Zeitraum nach 1796, besonders 1809, um ganz gewisse Zusammen-hänge, die sie als aufzeichnungswürdig und vor allem als bildwürdig erachteten.

Benitius Mayr war kein Künstler, sondern ein Geistlicher; umso verwunderlicher, doch bemerkenswert ist es, dass ihm das regelrecht systematische Bauen an einem Andreas Hofer Mythos offenbar ein besonderes Anliegen war. Seine Figur verdient – in unserem Zusammenhang der Bildtheorie – besondere Beachtung. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens in Innsbruck im Jahre 1773 übernahmen Priester anderer Ordensge-meinschaften die Universitätsseelsorge. Der bekannteste von ihnen war zur nämlichen Zeit Benitius Mayr aus dem Servitenorden (1760–1826), „eine Zierde der Universität Innsbruck“, wie er genannt wurde.18 Schon bald geriet er wegen seiner Nähe zur theo-logischen Fakultät, zumal diese ziemlich antikirchlich eingestellt war, in den Ruf, ein „Josephiner“ zu sein. 1804 erlangte er die Professur der Religionsphilosophie und 1809 bestellte ihn Andreas Hofer in seiner kurzen Funktion als Oberkommandant sogar zum Professor der Ästhetik19 an der philosophischen Fakultät. Viele seiner Gelegenheitsre-den wurden veröffentlicht. Am berühmtesten und von theologisch-historisch brisantem Wert ist jedoch die erst kürzlich (2008) von dem Innsbrucker Dogmatiker Roman A. Siebenrock in den Archiven ausgegrabene Predigt, die Pater Benitius Mayr aus Anlass des Ablegens des „Herz-Jesu-Gelöbnisses“ durch die Tiroler Landstände (1796) am 25. Sep-

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20 Entstanden um 1814, doch erst 1858 wurden Auszüge (der Autor blieb ungenannt!) in der Zeitschrift „Echo von den Alpen II (1858), Nr. 7–11, vorgestellt; zitiert nach: HOLZNER, Andreas Hofer (wie Anm. 4), XXX, Anm. 43.

21 Buch der Offenbarung 4, 6–8 und 5, 6, und Buch Hesekiel (Ezechiel) 1, 4–10.

tember 1796 hielt. Mayr schrieb nicht nur das Manuskript für ein „Andreas Hofer-Drama“20, sondern hat möglicherweise unmittelbar nach der Erschießung Hofers oder eventuell sogar noch früher, nämlich aus Anlass der erfolgreichen ‚Bergiselschlacht‘ am 13. August 1809, an der Vorstellung eines Andreas Hofer im Himmel als neuen Schutz-herrn der Tiroler gebildet.

Man meint zu Füßen der Personifikationen, welche Ehrenkränze vor Andreas Hofer bringen, die Wappen von Innsbruck und Tirol zu erkennen, die linke Figur sinkt hul-digend auf die Knie, die rechte sitzt und dreht sich dem zu Ehrenden zu. Über Hofer schwebt ein Engel mit dem Kreuz und dem kaiserlichen Doppeladler herab. Hofer selbst steht ganz offensichtlich im Himmel, seine Linke ein Horn des Stieres umfassend, der aus dem Bildraum zu springen scheint, mit seiner Rechten hält er über einen Schwingen ausbreitenden Adler und einen Löwen.

Die Deutung der Tierwesen als Evangelistensymbole hat eine eigene Genese und Geschichte, welche der Kunstgeschichte bestens vertraut ist; ihr originales Auftreten in der Apokalypse beschreibt jedoch die Nähe des Thrones Gottes, ist eine Himmels-Vision des Apostels Johannes auf Patmos, welche die lebenden Geschöpfe oder Wesen ganz ähn-lich beschreibt, wie wir sie aus der Schilderung des alten Propheten Hesekiel21 kennen.

SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

Abb. 1: Benitius Mayr, Andrae Hofers Apotheose 1809, Kreidelithographie, 220 x 164 mm, Tiro-ler Landesmuseum Ferdinandeum (TLMF), FB 6141/90.

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22 Duden (wie Anm. 1), 4. Band, 174.

Nicht von ungefähr stimmen die Kardinaltugenden Weisheit (Adler), Tapferkeit (Stier), Gerechtigkeit (Löwe) und Besonnenheit (Menschenangesicht) mit der biblischen Evi-denz überein. Johannes sieht in der Vision, welche er in der Apokalypse um 96 n. Chr. aufzeichnet, mittels der „lebenden Geschöpfe“ die Eigenschaften Gottes verbildlicht. Die Anwesenheit des Höchsten wird durch sie angezeigt; es werden nicht die Attribute irgendeines Menschen verbildlicht. Wird also Andreas Hofer auf Wolken mit den Ver-körperungen dieser Eigenschaften (die Rechte über der Weisheit, die Linke die Tapfer-keit umgreifend und von oben beschützt durch die Besonnenheit und begleitet von der Gerechtigkeit) dargestellt, so wird klar, welche Vorstellung damit verbildlicht werden soll: Apotheose bedeutet entsprechend nicht weniger als ‚Erhebung eines Menschen zum Gott, Vergöttlichung eines lebenden oder verstorbenen Herrschers‘. Eine Apotheose ist – wie uns das Wörterbuch belehrt – gleichsam das „Schlussbild eines Bühnenstücks“.22

Das Bühnenstück: Eine Vorstellung davon, wie aus dem guten alten Jesuitendrama mit dem Deus ex machina eine bäuerliche Variante entstanden war, vermittelt eine lavierte Federzeichnung von Jakob Placidus Altmutter.

Altmutter war ein begnadeter Zeichner auch unbeachteter Kleinigkeiten, ein Rauf- und Trunkenbold, welcher offenbar zugegen war, wo immer der buchstäbliche Rauch aufging. 1780 in Innsbruck geboren, ereilte ihn 1819 bereits ein früher Tod, also datiert das Blatt vor diesem Jahr. Wir erblicken eine schnell zusammengezimmerte Holzbühne mit barocken Versatzstücken; köstlich die Posen der vier Musiker oder die Gesten des

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Abb. 2: Jakob Placidus Altmutter, Bauerntheater, 176 x 252 mm. TLMF, T 1149.

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23 Für das kompetente Wiedererkennen und Erklären von verschiedenen Uniformen und anderen Realien des kriegerischen Genres danke ich ganz herzlich Wolfgang Maihörner, Direktor des Tiroler Landes-museums Ferdinandeum. Vgl. Liliane und Fred FUNCKEN, Historische Uniformen, III. Band, Napoleo-nische Zeit I, München 1978, und DIES., Historische Uniformen, VI. Band, Napoleonische Zeit II, München 1979.

24 Abgebildet in Meinrad PIZZININI, Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck 2008, XXX, Abb. 73.

25 PIZZININI, Andreas Hofer (wie Anm. 24), XXX, Abb. 210. Die Zeichnung ist auf 1819 datiert; davor bereits Katalog: Die Tirolische Nation 1790–1820, hg. von Gert AMMANN, Innsbruck 1984, Kat. Nr. 11.140, 207.

halb adelig halb bäuerlichen Publikums. Als Stück gegeben und gespielt wird offenbar die Geschichte des Heiligen Georg im Wald, der Teufel tritt gerade in einer mächtigen Pose auf und scheint unbeeindruckt von dem Schild Georgs, auf welchem wir das Symbol der Trinität, das Auge Gottes im Strahlenkranz erkennen können. Die Geschichte, welche durch die Figuren Gestalt bekommt, ist die bekannte Geschichte eines tödlichen Kon-fliktes. Der Böse wird besiegt. Das Schlussbild zeigt den Helden, den Überlegenen, den Repräsentanten des Guten und des Lichts, welcher durch den Schild des Glaubens – ein weiterer biblischer Topos – beschützt worden ist. – So oder ähnlich wie in diesem Altmut-ter-Bild veranschaulicht, müssen wir uns auch die Alltagskultur dieser Tage vorstellen.

Kriegsberichterstattung

Jakob Placidus Altmutter und Benitius Mayr wurden uns durch die kunsthistorische Tradition als Kriegsberichterstatter überliefert. Eine Inspektion von wenigen Blättern erweist sie uns jedoch zumindest als mit persönlich verschiedenen Präferenzen ausgestat-tet; sie schufen mit ihren Zeichnungen eine Bildlichkeit, welche uns faszinierenderweise in beide Perspektiven der handelnden Kampfparteien hineinführt.

Diese Federzeichnung zeigt zwar die bayerische Kavallerie und Artillerie unter dem Befehl eines französischen Grenadiers im Marschanzug23 aus der rechten Bildecke angrei-fen, die Tiroler Schützen haben jedoch die Lage im Griff. Der ruinöse Bau hinter den Bayern steht im Gegensatz zum dichten Wald, welcher die Tiroler Verteidiger schützt. Innsbruck mit den leicht erkennbaren Kirchen, vor allem der Wiltener Basilika, liegt zu Füßen im Hintergrund. Mayr zieht gleichsam die für die Tiroler sympathisierenden Augen ins Bild; der Bildbetrachter sieht mit den kämpfenden Tirolern hinunter ins hei-matliche Tal, aus dem der Feind herandrängt. Benitius Mayr hielt es – so kommt man zum Schluss – unbedingt mit den Tirolern!

Jakob Placidus Altmutters Perspektive hingegen zieht uns gleichsam mit den bayeri-schen Truppen (mit Raupenhelmen!) unter französischer Führung ins Bild hinein und gibt den Blick auf die Ferrari-Wiese bei Innsbruck und die weit im Hintergrund die Höhen sichernden Tiroler Schützen frei. J. P. Altmutter hatte immer die Formationen des Feindes im Visier, er widmete jedenfalls die Aufmerksamkeit und seine Feder einer akribi-schen Aufzeichnung der französischen Truppen, sei es im Blatt „Gefecht am Cononaberg“ vom 2. März 1797, einer aquarellierten Federzeichnung in Tiroler Privatbesitz24 oder sogar in der Aufzeichnung der berühmten „Bergisel-Schlacht“ vom 13. August 1809. Von letzterer existieren zwei Fassungen, deren blattgrößere in der Literatur meist abgebildet ist25, wir wählen die kleinere Zeichnung, aquarelliert, mit Gouache einzelne Partien.

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379Die Bild-Legende Anno Neun

Abb. 3: Benitius Mayr, Kämpfe am Bergisel am 25. und 29. Mai 1809, lavierte Federzeichnung, 200 x 274 mm. TLMF, FB 6504/57.

Abb. 4: Jakob Placidus Altmutter, Bergisel-Schlacht vom 13. August 1809, aquarell. mit Gouache Zeich-nung, um 1818, 335 x 441 mm. TLMF, T 2619.

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26 Katalogisiert und abgebildet im Katalog: Der Tiroler Freiheitskampf 1809. Zeitgenössische Bilder und Dokumente, Bilderverzeichnisse der Sonderausstellung im Ferdinandeum, Innsbruck 1959, 38. Kat. Nr. 14, Abb. 1; ebenso in: PIZZININI, Andreas Hofer (wie Anm. 24), XXX, Abb. 75.

Auch in dieser Abbildung rückt die bayerische Artillerie in Formationen an den Bergisel heran; Die Komposition bindet gleichförmige Schlachtreihen mit formal diesen scheinbar korrespondierenden Zäunen zu einem wohl ponderierten Bild, in welchem die Durchzeichnung der Massen mindestens so wichtig wird wie die Lesbarkeit der kämpfenden Gruppen. – Diese künstlerische Intention begegnet uns bereits in einem frühen Blatt: Jakob Placidus Altmutter wird uns als Zeichner und Aquarellist zum ersten Mal anlässlich des für die Tiroler so erinnerungsträchtigen Kampfes bei Spinges vom 2./3. April 179726 bekannt.

Es blickt der Bildbetrachter gleichsam aus dem Dunkel des Wandrandes auf ein entsetzliches Schlachtgeschehen. Armeesoldaten im linken und rechten Mittelgrund; von links unten rücken die Franzosen in zwei Kampfreihen mit Gewehren im Anschlag heran, rechts rücken österreichische Jägertruppen heran, hinter ihnen eine steil aufra-gende Bergwand. Im Zentrum des Bildes direkt vor dem Betrachter tut sich ein regel-rechtes Gemetzel auf, in welchem die Tiroler Bauern mit Morgensternen, Mistgabeln und Messer bewaffnet sich Franzosen um Franzosen vornehmen; dem Bildbetrachter zugewandt im Bildzentrum fleht ein auf die Knie niedersinkender französischer Soldat um sein Leben, welches er ganz sicher im nächsten Augenblick verlieren wird. Wie Frei-schärler werfen sich die Tiroler in das Geschehen, guerillagleich sehen wir sie im Mittel- und Hintergrund aus dem Gestrüpp auftauchen und ihre Ziele mit Gewehren anpeilen.

SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

Abb. 5: Jakob Placidus Altmutter, Kampf bei Spinges vom 2./3. April 1797, aquarell. Zeichnung, 260 x 430 mm, XXX.

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Altmutter nimmt scheinbar nicht Partei, im besten Sinn lässt er seinem Schlachtenbild den ambivalenten Charakter.

Abbildung 6 zeigt uns noch „Tyroler Schüzen auf ihrem Posten“. Zwei Landstürmer mit einem Jäger der Österreichischen Kavallerie in der Mitte, welcher sein Kinn auf das senkrecht gestellte Gewehr gestützt, sehr skeptisch in den Betrachterraum blickt. Es mutet an, als hinterließe uns Altmutter etwas ganz anderes als die Dokumentation eines heldenhaften Volkes: Er zeichnete Charaktere, beobachtete Linienführungen und ästhetische Wirkungen, sogar solche des Grauens. –

Noch eine weitere, nichttirolische Perspektive sei hier gezeigt. Peter von Hess malte im Auftrag König Ludwigs I. 1832 für den Schlachtensaal der Münchener Residenz u. a. die „Schlacht bei Wörgl“ vom 13. Mai 1809 (Abb. 7) vom Standpunkt der bayerischen Invasionsarmee aus. Der Maler konnte sich jedoch insgeheim ganz offensichtlich der Bewunderung für die Tiroler nicht entziehen und überbetonte den Anteil des Tiro-ler Landsturms; im Mittelgrund am linken Bildrand Andreas Hofer und der Kapuzi-ner Haspinger. Ihm gelang jedoch vor allem die schönste Ansicht des Inntals zwischen Wörgl und Jenbach mit der Rofanspitze im Hintergrund.

Die Bild-Historie von Carl von Mayrhauser „Kampf im Hohlweg am Bergisel am 13. August 1809“ von 1850 (Abb. 8) nimmt wiederum den ähnlichen Standpunkt ein, wie wir ihn von Benitius Mayr und seinem Bild (Abb. 3) kennen: Es ist der heroische Standort Bergisel, der Schauplatz des Heldentums. In dem Gemälde der Jahrhundertmitte geht es jedoch weniger um ein Schildern der Kriegslage als um das Erzeugen von patrio-tischen Gefühlen, wenn wir die Blickfänger, nämlich das Marterl links vor dem hellen Hintergrund und den Tiroler Schützen mit erhobenem Säbel in der Bildmitte, gewahren und durch diese zum Deuten veranlasst werden.

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Abb. 6: Jakob Placidus Altmutter: Tyroler Schüzen auf ihrem Posten, aquarell. Zeichnung, 217 x 158 mm. TLMF, Dip. 1383/1, Nr. 92.

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Abb. 7: Peter von Hess, Schlacht bei Wörgl vom 13. Mai 1809“, Öl auf Leinwand, 207 x 324 cm, Residenz München, II. Schlachtensaal.

Abb. 8: Carl von Mayrhauser, Kampf im Hohlweg am Bergisel am 13. August 1809, 1850, Öl auf Lein-wand, 92 x 110,5 cm, sign. u. dat. TLMF, Gem. 1141.

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27 Vgl. die verschiedensten Überlegungen über den Zusammenhang von Blick und Bild, wie z. B. Georg SCHMID, Vom Bild zum Blick – Zur Ikonologie und „Imagologie“ der Geschichte, in: Die Geschichts-falle. Über Bilder, Einbildungen und Geschichtsbilder, hg. von Georg SCHMID, Wien 2000, 195–220, hier 213.

28 Andreas Hofer bereits in einem Schreiben an Josef Ignaz Straub, am 24. Mai 1809, siehe: OBERHOFER, Weltbild (wie Anm. 2), Dokument Nr. 107, 193; Feierliche Bekräftigung dieser Devise als selbsteinge-setzter Oberkommandant vom Passeier am 4. August 1809, siehe ebda., Dokument 181, XXX.

29 Vgl. Monika FLACKE, Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama, München 1998. 30 Erich Egg in seinem Rückblick als Direktor auf die Entwicklung des Tiroler Landesmuseums Ferdi-

nandeum: Erich EGG, Chronik des Ferdinandeums 1823 bis 1973 (Veröffentlichungen des Museum Ferdinandeum 53), Innsbruck 1973, 62.

Die obige Darlegung bestätigt das Argument: Das Interesse des Blicks verursacht die entsprechenden Bilder.27

„Für Gott, Religion und Vaterland“28

Das Bild des Verteidigungskrieges und der Überwindung des Feindes, welches sehr früh durch Benitius Mayr ästhetische Gestalt bekam, ist aufgeladen mit einer eschatologi-schen Macht. Der Himmel selbst schien seinen Segen zur Gewaltbereitschaft gegeben und hat die neue politische Konstitution von Herrschaft besiegelt zu haben. Damit ist die dunkle Seite des ambivalenten Phänomens des Märtyrertums bereits angesprochen, nämlich Gewalt und Tod. Aber auch die helle Seite des standhaften Ausharrens und „Siegens“ durch den Glauben ist hier im Verständnis eines säkularen Martyriums für das „Vaterland“ zu etwas anderem geworden, nämlich zu Heldentum und Heroismus. Ist die Gemeinschaft durch ein christliches Gewaltopfer erkauft worden? Die Säkularisie-rung des Märtyrerideals in den Zeiten der napoleonischen Kriege hatte auch aus einem Andreas Hofer beinahe wie selbstverständlich einen Märtyrer gemacht.

Die kritische Reflexion auf den freiwilligen Tod in der Nachfolge Christi, eine reli-giöse Kategorie, erscheint hier in einen Begriff politischer Auseinandersetzung umge-deutet. Nur dieser Inanspruchnahme des Heiligen für das Interesse des Innerweltlichen und Patriotisch-Nationalen möchte ich in diesem Beitrag nachgehen und die Analyse in diesem Sinn noch ein wenig ausbauen.

Wenn wir eingangs über das Charakteristische einer Legende nachdachten, so hatten wir „Leben, Martyrium und Tod“ einer vorbildhaften Figur (eines ganzen Kollektivs) im Sinn. In unserem Fall geht es dabei um die romantische Variante des Ideals der Freiheit, welches für die Tiroler – nicht anders als für andere Nationen – das Grundgefühl ihrer Identität repräsentiert.29

Die Idealisierung der Ereignisse rund um 1809 setzte noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ein, kam aber so richtig erst in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts zur Entfaltung. Entsprechend mehren sich in der Kunstgeschichte ab der Jahrhundert-mitte die Szenen aus der Heimat. Es entstand das nationale Modell. Auch die Saga vom Tiroler Aufstand des Jahres 1809 ist Volksgeschichte. Der wichtigste Erzähler dieser Geschichte für Tirol wurde Franz von Defregger. „Defregger galt im Museum als die Summe der künstlerischen Vollendung.“30 Das Kunstschaffen Tirols in der Zeit des Historismus bis herauf zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war vom Reflektie-

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31 Werner HAGEN, Geschichte in Bildern. Studien zur Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, Hildes-heim–Zürich–New York 1989, 259.

32 Franz von Defregger, Das letzte Aufgebot, 1874, Wien, Österreichische Galerie im Belvedere.33 TLMF, eine weitere Fassung in Schloss Bruck in Lienz.

ren der eigenen Werte in religiösem, ethnischem und in deren Folge politischem Sinn geprägt. Diese inhaltlich bestimmte Kunst suchte die große, den Menschen anrührende Form und fand sie in der erzählenden bühnenhaften Historienmalerei Münchener Prä-gung unter der Leitung des legendären Malerfürsten Karl Theodor von Piloty, bei dem die meisten Tiroler Maler dieser Tage studierten. Hatte Joseph Anton Koch noch 1819 eine „krause, aber leidenschaftlich Partei ergreifende Allegorie“31 mit dem „Tiroler Land-sturm“ (Abb. 9) gemalt, so stimmte Franz von Defregger ein Heldenlied auf das Berg-volk an, das seine Sache selbst in die Hand nimmt, als ein Paradigma der volksbestimm-ten Freiheitsidee überhaupt. Das Volk als Gemeinschaft war der Märtyrer, welcher im Zeichen des Kampfes für die Überzeugung von der Einheit von „Glauben und Heimat“ auch noch „Das letzte Aufgebot“ (1874)32 bereitstellte.

Im opulenten Goldrahmen lädt das gemalte Bild zum Einstieg in eine virtuelle Welt ein. Im Stil des Realidealismus kam es zur heldenhaften Verklärung sowohl historischer Figuren als auch der Landschaft, und dies im salonfähigen Format. Albin Egger-Lienz’ „Das Kreuz“ (1898–1901)33 Abbildung 10 steht in engem thematischem Anschluss zu Franz Defregger.

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Abb. 9: Joseph Anton Koch, Tiroler Landsturm, 1819, Öl auf Holz, 56 x 74 cm, TLMF, Gem. XXX.

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34 Werner AUER / Kurt GAMPER, Tirol. Schöpferisches Land, Innsbruck 1984, 147.35 TLMF, Aktenarchiv, 1893, Zl. 259. Die Erkundungen verdanke ich Dr. Helmuth Öhler, welcher sich

seit 2008 intensiv mit Karl von Blaas beschäftigt.

Egger-Lienz lobte „Das letzte Aufgebot“ als das beste „historische Genrebild in der ganzen deutschen Kunst“, sein Ehrgeiz war jedoch, die erzählerische Gattungs- und His-torienmalerei Defreggers zu überwinden, um sich vor allem dem Psychologischen und Menschlichen zu widmen. Er verstand nicht, dass den meisten Tiroler Malern seiner Tage nur am Herzen lag, historische Identitätsvorstellungen zu bilden statt den Blick nach dem Unbekannten zu richten. Natur wurde diesen Zeitgenossen nur „Behelf“, nicht „Vorbild“, klagte er.34

In diesem Kontext nimmt das Salongemälde von Carl Blaas „Gefangennahme Andreas Hofers“ (Abb. 11) welches den Märtyrer-Mythos gewiß ganz mächtig beflü-gelte – nicht zuletzt durch zahlreiche Reproduktionen bis auf den heutigen Tag – eine ganz besondere Stellung ein. Carl von Blaas übergab dieses 1890 gemalte Bild, welches sein letztes sein sollte, 1891 höchstpersönlich dem Tiroler Landesmuseum, nach Preis-Verhandlungen kaufte es das Museum schließlich im November 1893.35

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Abb. 10: Albin Egger-Lienz, Das Kreuz, 1901, Öl auf Leinwand, 312 x 384 cm, TLMF, Gem. XXX.

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36 Anton DÖRRER, Andreas Hofer auf der Bühne, Brixen 1912, 40–45. 37 Vgl. Cölestin STAMPFER, Sandwirth Andreas Hofer, Freiburg im Breisgau, 2. Auflage 1891, 206.38 Franz KRANEWITTER, Gesammelte Werke, 284.

Unsere Analyse sieht das Gemälde parallel zu Wiederbelebungsversuchen des alten Volksschauspiels im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, etwa durch die Passionsbüh-nen in Brixlegg und in Vorderthiersee, vor allem aber in Meran.36 Ein kurzer Rückblick soll die Einordnung erleichtern: Es entstanden Dramen von Domanig, Kranewitter oder Schönherr, und zwar in einer Epoche, als in Tirol die letzten Ausläufer des sogenannten Kulturkampfes sowie die ständigen Spannungen zwischen dem konservativen und dem nationalen Lager eine explosive politische Atmosphäre schufen. Alttirol bemühte sich in dieser Situation um das Retten der Werte der Vergangenheit, während das sogenannte Jung-Tirol das Vaterländische (Franz Kranewitter, „Andre Hofer“ 1900/1901) beschwor. Der von „klerikalen“ Darstellungen – man denje nur an das Hofer-Drama von Benitius Mayr – immer als der letzte Satz Andreas Hofers überlieferte: „Hoch lebe Kaiser Franz!“37 wurde von Kranewitters Hofer ersetzt durch: „Mein Vaterland Tirol, zum letzten Mal! Vivat, vivat hoch.“38 Kranewitters Ziel war ein Zurechtrücken des traditionellen Hofer-Mythos, es sollte gezeigt werden, dass Hofer verschiedene politische Machenschaften

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Abb. 11: Carl von Blaas, Gefangennahme Andreas Hofers, 1890, Öl auf Leinwand, 91,5 x 117,8 cm. TLMF, Gem. 872.

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39 Allein die Selbstbiographie von Karl Blaas, unsere „Quelle“ für manche Beobachtungen beweist das ideologische Engagement in der Familie Blaas, vgl. Adam WOLF (Hg.), Selbstbiographie des Malers Karl Blaas, 1815–1876, Wien 1876, 4.

gar nicht durchschauen konnte und sich einen untragbaren Führungsstil anmaßte, den-noch gab sein Stück dem Märtyrerthema neue Nahrung, indem Hofer als „Märtyrer des Gewissens“ gezeichnet wurde. Karl Schönherr nahm sich in seinem „Der Judas von Tirol“ – 1897 im Theater an der Wien uraufgeführt und in Tirol lange verpönt – sehr kritisch eines Elementes an, welches in dieser zweiten Rezeptionswelle gegen Ende des Jahrhun-derts schon ganz gehörig ans Blasphemische rührte, nämlich des Themas ‚Verrat‘. Der Proponent des Stückes ist Franz Raffl, von Andreas Hofer ist zwar ständig die Rede, er selbst tritt aber nur in einer kleinen Episode im Schlusstableau auf. Schönherrs Leistung war eine zum damaligen Zeitpunkt ungeheuer mutige, er ließ die Mythisierung des ‚Tiro-ler Heldenzeitalters‘ durch die Nachgeborenen als gehörige Verirrung erkennen.

Verrat und Gefangennahme erinnern sofort an die Passion Jesu Christi und das christ-liche Opfer mit einer universalen errettenden Bedeutung. Karl Blaas nahm sich also eines ausschließlich religiösen Stoffes an, um ihn auf die Lebenssituation des politi-schen Scheiterns Andreas Hofers zu übertragen. Andreas Hofer wird in der Situation des Arrestes durch zwei italienische Füsiliere der Linien-Infanterie vor der Mähderhütte der Pfandleralm gezeigt, in der er sich ab Dezember 1809, nach dem Zusammenbruch des Tiroler Aufstandes, versteckt hielt. Gegen Jahresende suchten auch seine Frau und der fünfzehnjährige Sohn Johann in der Hütte Zuflucht. Die Inszenierung durch Blaas folgt nicht in allen Details der Beschreibung durch Hofers Schreiber Cajetan Sweth, welcher als getreuer Gefährte selbst bei der demütigenden Szene dabei war – er wird im linken Mittelgrund gerade abgeführt – sondern sie wählt die heroische Geste. Hofer geht als Held den Weg der Passion, durch den Bauern Raffl verraten um einen Judaslohn von 1500 Gulden. Die durch die Diagonalen gesehene Bildmitte zeigt einen wartenden Füsilier mit senkrecht gestelltem Gewehr, hinter ihm der Frostnebel des Ungewissen. Recht von der Bildmitte Andreas Hofer, links der Bildmitte die knieende Frau Anna und neben ihr der barfüßige minderjährige Sohn in Banden. Das Betrachterauge wird durch geschickte Komposition der Protagonisten, zwischen denen eine „gegenstandsleere Bild-mitte“ mit dem Füsilier im Hintergrund eine unheilverkündende Spannung erzeugt, zum Erkennen des Inhalts gelenkt: Die Augen der verzweifelten knieenden Frau sind auf das herzförmige rote Mittelstück des Trachtenlatzes von Andreas Hofer gerichtet – unausgesprochen, aber gezeigt, das Herz des Märtyrers Hofer, und das „Herz Jesu“…

Karl Blaas’ Vater, Johann Joseph Blaas, welcher selbst Maler werden wollte, hatte als Commandant einer Compagnie Bauern den Landsturm mitgemacht“39; die Legenden-bildung in der eigenen Familie, auch das übersteigerte Selbstgefühl, welches ein Studium der Persönlichkeit Karl Blaas’ zu Tage fördert, können allerdings nicht allein für das leb-hafte Nachleben des Bildes verantwortlich gemacht werden. Es gilt aber wahrzunehmen, dass es eine Mythologisierungskultur gab, vor der verantwortungsvolle Künstler wie Karl Schönherr schon recht früh warnten.

Die Ersten, welche davon sprachen, dass der Sandwirt zum „Martyrium“ gegangen sei, waren die beiden Geistlichen in Mantua, Alessandro Borghi von S. Michele, welcher Hofer die Beichte abnahm und die Eucharistie gab und Giovanni Battista Manifesti der Basilika S. Barnaba. Letzterer, welcher Andreas Hofer zur Hinrichtung begleitete,

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40 Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst, 6. Jg. (1815) Nr. 92/93, 380; zitiert nach PIZZININI, Andreas Hofer (wie Anm. 24), 254, Anm. 21. Vgl. zur Quellenkritik der wenigen zur Hin-richtung Andreas Hofers hinterlassenen Dokumente: Brigitte MAZOHL, Das Jahr 1809 und Andreas Hofer: Historischer Mythos und der Verlust der Geschichte, in: Mythos: Andreas Hofer, hg. von GRÜNE BILDUNGSWERKSTATT, Wien 2008, 67–93

41 Entnommen aus: Harald HALLER / Judith SCHWARZ, Andreas Hofer … eine Geschichte mit Text und Bildern aus dem Film des Museum Passeier, St. Leohard in Passeier 2002, 35

42 OBERHOFER, Weltbild (wie Anm. 2), Dokument Nr. 606, 561 „er wird uns auch diesmal so retten, wie er einst das Volk Israel gerettet hat“. Vgl. ebenso ebda., Dokument Nr. 604 und 664.

43 OBERHOFER, Weltbild (wie Anm. 2), Dokumente Nr. 674, 613.44 Ich danke an dieser Stelle Maria Th. Walter – selbst die Tochter eines Nordtiroler Künstlers – welche

mir – nach Einverständnis der Besitzer – die Kenntnis von diesem Bild zuspielte.

schrieb in einem Brief 40, er habe einen „Mann bewundert, der als christlicher Held in den Tod gegangen ist und diesen als unerschrockener Märtyrer erlitten hat“. Das Opfer, die Souveränität des Sterbens Hofers ebenso wie die Ungerechtigkeit seiner Hinrichtung wurden damit in traditionell-christlicher Weise beschrieben. Die Freiheit war für Tirol immer religiös verbürgt. In die nationale Geschichte, die sogar einen „Märtyrer“ hatte, flocht sich der in seiner Tiroler Erscheinung einmalige Herz-Jesu-Kultus ein, eine nicht unproblematische Frömmigkeit. War die Botschaft des Bildes Jesu mit dem herausge-nommenen Herzen gemäß der alten Frömmigkeit im idealen Fall mit Kompetenz an Menschlichkeit gekoppelt, so wurde sie nun im 19. Jahrhundert durch Politisierung und Nationalisierung verstellt. Man machte das Herz Jesu zum Heroen, der politische Anlie-gen schützen helfen sollte. Hier soll ein kurzer Hinweis auf die Herz-Jesu-Kapelle beim Sandwirt-Hof im Passeier genügen, die – selbst ein kurioses national-religiöses Gedächt-nis-Monument für Andreas Hofers „Heldentaten“ – eine Freskenfolge von Edmund und seinem Sohn Wilhelm von Wörndle beherbergt, welche auch ein Bild der Gefangen-nahme Andreas Hofers auf der Pfandleralpe am 28. Jänner 1810 zeigt Abbildung 12.41 Darüberhinaus aber wird dort in einem weiteren Bild eine Analogie hergestellt, wel-che nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern sich ebenfalls – wie im Fall des Märtyrer-anspruchs – auf die niedergeschriebene Meinung des Helden Andreas Hofer stützen kann, nämlich das Ineinssetzen des Tiroler Volkes mit dem auserwählten Volk Israel.42 Edmund von Wörndle erwies sich damit als aufmerksamer Hörer der Volkssaga, welche nun schon beinahe ein Jahrhundert alt, eine ganze Welt geschaffen hatte.

Andreas Hofers Überzeugung, von Gott selbst zu seinen Taten inspiriert worden zu sein, scheint selbst in seinen allerletzten Stunden ungebrochen gewesen zu sein, schrieb er doch am Ende seines Abschiedsbriefes aus Mantua am 10. Februar 1810, in welchem er noch verschiedene Anordnungen traf: „[…] und um 9 urr Reisß ich mit der Hilfe aller heillig zu gott“.43

Sollten alle hier besprochenen Bilder bis zum heutigen Tag an der Legendenbildung mitgewirkt haben, so kann das von dem noch zu letzt vorzustellenden Bild (Abb. 13) jedenfalls nicht gesagt werden: Die Bild „Himmelfahrt des Andreas Hofer und der Schützen“ von Leo Putz hat, ehe es in das Haus kam, in welchem es sich auch noch heute befindet, wahrscheinlich nie das Münchener Atelier seines Malers verlassen. Der Käufer der „Himmelfahrt Andreas Hofers“ war in den vermutlichen Entstehungsjahren des ironischen Bildes als Student an der Technischen Hochschule in München und frequentierte nach Aussagen seiner Enkelin sehr gern die ausgelassenen, „geradezu welt-berühmten Münchner Künstlerfeste“, deren zeitweiliger Initiator Leo Putz war.44 Putz

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Abb. 12: Edmund und Wilhelm von Wörndle, Die Gefangennahme Andreas Hofers, Fresko, Herz-Jesu-Kapelle beim Sandhof, Foto XXX.

Abb. 13: Leo Putz, Himmelfahrt des Andreas Hofer und der Schützen, Bleistift, Kreide, Gouache auf Papier, 75 x 92 cm, Privatbesitz.

war nach Aussage von Thomas Mann, welcher sein Wesen im Roman „Dr. Faustus“ mit der Figur Leo Zink zu ergründen und zu zeichnen suchte, ein „einschmeichelnder Clown“45 und dieses vorliegende Bild spricht ganz in diesem Sinne.

Des Gemäldes Technik ist Bleistift, Kreide, Gouache auf Papier. Der Himmel ist großzügig in sehr nassem Aquarell gemalt. Das Bild befindet sich in Südtiroler Privat-besitz. Die Erforschung der Provenienz46 lässt keine Zweifel mehr an der Originalität des Blattes. Das gegenständliche Bild ist zudem in der rechten unteren Ecke in blauer Schrift mit „Leo Putz“ signiert.

Leo Putz hatte als Maler von Historien seine künstlerischen Ansichten in der Mün-chener Künstlerszene des modernen Aufbruchs bis 1914 verteidigt, auch wenn ein Satz von Wilhelm Trübner in Zusammenhang mit einem Qualitätsurteil an Van Gogh, des-sen zugegebenes Talent verhalte sich zum wahren Genie wie „Andreas Hofer zu Napo-leon Bonaparte“47 uns aufhorchen lässt: Ganz offenbar mockierte man sich in der Stadt, an deren Kunstakademie so viele Tiroler Studenten zu finden waren, über das Spektakel der Jahrhundertfeier 1909 für Andreas Hofer. Die Welt von Leo Putz war – was seine Künstlerambitionen anlangte – bis 1914 noch heil, seine Bilder waren künstlerische Meisterwerke, voll humorvoller Heiterkeit, niemals abgründig.

Leo Putz sieht sich zurück in seine heimatliche Landschaft versetzt, Meran liegt zu Füßen, alle Bilddetails weisen uns in die Gegend hoch über den Eingang des Passeirer Tals. Andreas Hofer mit erhobenem Säbel in der Rechten führt den Zug der „Tiroler Mander“, eine für das Betrachterauge unendlich lange Kette von Schützen, die sich mit ihm in die Lüfte auf die Reise zum Himmel erhoben haben, an. Gleich hinter ihm Speckbacher mit der Tiroler Fahne, deren Adler eher einer Blutlache gleicht, und hinter diesem Pater Haspinger, noch immer grimmig mit dem Kreuz die Bösen im Tal bannend. Ein alter Schütze weit hinten hilft einem weiteren, der noch dazukommen möchte, hoch, die Gewehre scheinen die Luftfahrt noch zu begünstigen. Sein Maler-handwerk half Leo Putz, diese phantastische Vision eines Volkes – wahrscheinlich – zum Jahrestag 1909 zu erschaffen.

Das Nachleben der Bilder. Die Inanspruchnahme der Bilder in der Kulturtheorie

Faszinierend, dass rund 25 Jahre vor der Trennung Tirols in ein Nord-/Ost- und ein Südtirol Bilder wie Texte einem Phantasikon entgegenzuarbeiten begannen, welches die Vorstellung vom Passionsweg eines Landes bedeutet und das in Form der „Dornen-krone“ bis heute weiterlebt.

Die Kunst ist ein Faszinosum. Für einen Moment könnte Hegel uns sogar total ver-wirrt haben, denn der ‚Zeitgeist‘ war ja in der Tat imstande, durch die Kunst Wirklich-keiten in Form von Ideen zu schaffen, an welchen wir uns zumindest als an Gegen-‚stän-

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45 Zitiert nach Ruth STEIN, Leo Putz, Wien 1974, 41, Anm. 10.46 Für die Hinweise in diesem Zusammenhang danke ich Maria Th. Walter.47 Felix BILLETER (Red.), Sommerträume und Stille Zeit – Titel und Themen bei Leo Putz vor 1914, in:

Sommerträume und Stille Zeit. Leo Putz und Münchner Malerfreunde um 1900. Sammlung Siegfried Unterberger, Lana 2000, 26, Anm. 14.

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48 Dazu sollte man folgendes Buch zur Hand nehmen: Martin KEMP, Bilderwissen. Die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene, Köln 2003.

den‘ stoßen können. Inzwischen sind uns zwar die alten Bilder längst Museums- und Auktionsware, haben wir doch längst gelernt, Unersichtliches und Unerhörtes als Bilder zu sehen und zu hören.48 Doch die Ideen, welche sich in den Menschen durch Bilder verfestigten, treiben in komplexeren Produkten weiter ihr Nachleben. War früher der Einzelne mit Abstand vor ein Phänomen getreten, „hat sich ein Bild gemacht“, um das Ersehene für andere zugänglich zu machen, hat er über das Bild das Objektive subjektiv ins Intersubjektive vermittelt, so begann die westliche Kultur seit der Renaissance damit, diese ‚Bilder‘ zu einer istoria (Leon Battista Alberti) zusammenzusetzen. Diesen Produk-ten wurde ab Hegel noch das „Historische“ als Art des Denkens hinzugefügt. War das Bild am Anfang prä-historisch, so musste man später die Geschichten kennen, um ein Bild zu entziffern. Das Historische ist auf diese Weise das aus Bildern Zusammengesetzte.

Ästhetik war die neue Religion des 19. Jahrhunderts geworden. Unter dem Begriff Ästhetik muß man einen Modus des Denkens verstehen, der sich anhand von Gegen-ständen der Kunst entfaltet. Noch grundlegender: Ästhetik ist ein spezifisches geschicht-liches Regime des Denkens der Kunst, eine Idee des Denkens, der zufolge die Gegen-stände der Kunst Gegenstände des Denkens sind. Kunst hatte alle Bedürfnisse der großbürgerlichen Gesellschaft sowohl nach „Idealen“ und „Bildung“, als auch nach Sensationen zu befriedigen. Das Interesse an den Dingen wich einem Interesse an ihren Bildern. In diesem Sinn musste auch das Bedürfnis des geschichtlichen Gedächtnisses durch Bilder gestillt werden.

Die Virtualität der Bilder bestimmt die Aktualität, indem die Bilder die Realität außer Kraft setzen. Wir haben es seither mit einer Hypertrophie des Sehens zu tun (Voyeurismus). Erkenntnisse aus der Geschichte werden wieder als Bilder gesehen, also ästhetisch erlebt. Wir haben nicht nur gelernt, Bilder als Realitäten zu sehen, sondern sogar in ihren Funktionen zu leben.

Die Bild-Legende Anno Neun