der späte zorn des musterschülers

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  • 7/30/2019 Der spte Zorn des Musterschlers

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    14 2009

    Es mutet schon merkwrdig an. Die Schweizer Bevlkerung

    hatte im Februar 2009 in der Manier eines Musterschlerseben die Ausdehnung des Personenfreizgigkeit auf Rum-nien und Bulgarien gutgeheissen und die letzte Hrde imbilateralen Vertragswerk mit der EU genommen. Und dannlernte das Musterschlerland unverhot den deutschen Fi-nanzminister kennen und wurde zum skalischen Schurkenerklrt. Die Abstrafung tat weh. Der Schmerz ist noch nichtverwunden, aber vorbergehend vergessen Muammar al-Ghada und Roman Polanski sei Dank.

    Nach der Verhaftung Polanskis ging ein Aufschrei durchdie Intellektuellen dieses Landes. Warum eigentlich? Auch

    diesmal hatten sich die Behrden streng an die Gesetze ge-halten. Das wre doch eigentlich im Sinne der Intellektu-ellen, die ihre Aufgabe vor allem darin sehen, die Vertreterder helvetischen Politik an Vertragskonformitt zu erinnern(wobei sie mit der manchmal berzogenen Fiskalkritik ausdem Ausland eher sanft verfahren).

    Zurck zum Fiskalstreit. Noch im Frhjahr sah sich eineohnmchtige helvetische entlichkeit mit der barschen Kri-tik der Organisation fr wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung (OECD) an ihrer Steuerpraxis und mit demFall UBS konfrontiert; die Macht des Strkeren galt pltz-lich mehr als das Recht des Schwcheren. Dabei hatte die

    Schweiz die geltenden Doppelbesteuerungsabkommen (Ab-kommen zur Vermeidung der doppelten Besteuerung und In-formationsaustausch) mit den USA und mit den EU-Staaten,einschliesslich der einundzwanzig bilateralen Abkommen,durchaus eingehalten. Sie gebrdete sich ein weiteres Mal als

    juristischer Musterschler. Gentzt hat es ihr nichts.Der ber zehn Jahre andauernde Verhandlungsprozess

    mit Brssel ber unzhlige Dossiers von Wirtschaft, Politikund Verkehr ist von den helvetischen Befrwortern stets un-ter der Generalklausel gefhrt worden, es gelte, den Finanz-platz Schweiz zu schtzen. Wer den bilateralen Weg mit dem

    Schutz des Bankgeheimnisses gleichsetzt, begibt sich aber ineine denkbar schlechte Verhandlungsposition. Die Gterab-wgung im Verhandlungsprozess und in den Abstimmungs-

    kmpfen diente in der Tat vor allem dazu, Schreckensszena-rien aufzuzeigen, die dem Land angeblich drohten, sollte sichder Souvern gegen das eine oder andere Dossier entscheiden.Kritiker der einzelnen Dossiers wurden pauschal als Feindedes Bankgeheimnisses gebrandmarkt, da die Ablehnung einerVorlage gemss Guillotine-Klausel unvorhersehbare Folgenfr den Finanzplatz Schweiz haben wrde.

    Die jeweiligen Verhandlungsdossiers wurden stets -nanzzentristisch gefhrt und weniger im thematischenKontext auf ihre spezischen Vor- und Nachteile bewertet.Der Souvern vertraute den Empfehlungen der Politik undentschied sich fr den bilateralen Weg ohne sich der Nach-teile bewusst zu sein: Lohndruck auf die Wohnbevlkerung,

    Ausufern des Transitverkehrs, Steuermittel fr Ostmilliarden(Kohsionsfonds) und Forschungsgelder nach Brssel, umnur einige davon zu nennen. Nur wenige wissen, dass derGrad der nung des Arbeitsmarktes in der Schweiz deut-

    lich hher ist als jener der EU-Staaten untereinander, dieihre Arbeitsmrkte nach wie vor durch zahlreiche Schutzvor-schriften und Ausnahmen schtzen. Die Schweiz ein Mu-sterschler auch hier. Aber auch zu ihrem Vorteil? Natrlichprotiert die Schweiz von gut ausgebildeten auslndischen

    Arbeitskrften. Allein, die vollstndige Flexbilisierung desArbeitsmarkts fhrt auch dazu, dass sich Wirtschaftswachs-tum und die Nachfrage nach Arbeitskrften im Inland kaumauf hhere Lhne niederschlgt, weil ein hoher Angebots-berhang an EU-Arbeitskrften diese Nachfrage bedient.Die Reallhne drften langfristig eher sinken.

    So oder so ist es der Schweizer Durchschnittsbrger, derdie Kosten der Zugestndnisse an die EU aus seinem Porte-monnaie durch hhere Preise, mehr Steuern und weniger

    Kraufkraft zu berappen hat. Dass die Nachteile der Preissind fr die Vorteile des Finanzplatzes Schweiz, drfte ihn

    kaum trsten; dies umo weniger, als das Bankgeheimnismittlerweile derart aufgeweicht wurde, dass es kaum mehrwiederzuerkennen ist.

    Wre es den Intellektuellen wirklich ernst mit ihremPochen auf Vertragskonformitt, mssten sie eigentlichaufschreien und die Schweizer Regierung daran erinnern,dass sie das Bankgeheimnis nicht so leichtfertig htte preis-gegeben drfen. Das tun sie aber nicht. Und so bleibt derSchweiz, mittlerweile vieler Vorzge und Mittel zur Gegen-wehr beraubt, nur die Honung auf den Goodwill anderer.Oder aber das Musterschlerland ringt sich dazu durch,

    endlich einmal eine schlechte Zensur zu wagen.RA DU GOL BA N, geboren 1973, ist promovierter konom undUnternehmer.

    Die Schweiz will es allen recht machen.Die Gesetzestreue wird aber kaumhonoriert. Weder im Ausland noch im Inland.Zeit fr ein Umdenken.

    Der spte Zorn desMusterschlers

    Radu Golban

    Der Schweiz bleibtmittlerweile nur die Honungauf den Goodwill anderer.

    CH & Bilaterale