der scheinheilige

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Der Scheinheilige jwr47 Jeder Schein hat seinen Heiligen. Meine Großmutter – Gott habe ihre Seele - hatte es schon geahnt. „Alles im Leben ist Schein, Kinder, passt auf!“, warnte sie uns, aber wir lachten darüber als wir ahnten, dass sie vieles einfach nicht verstanden hatten. Nach diesem Prinzip suchte ich immer nach den überall vorhandenen Schein. In meiner Jugend fand ich aber überwiegend Münzen, die oft genug bereits damals selten waren. Mein Vater, der noch Buchhaltung erlernt hatte, erzählte mir dass die Silbermünzen, die man Gulden nannte, eigentlich das wahre Geld darstellen. Die Scheine, so sagte er, seien nur das Scheingeld, das von einem Scheinheiligen unterschrieben werden müsse. Nur mit der Unterschrift werde es zum Geld. In 1958 schenkte er mir einen alten, aber unbenutzten, schön gebundenen Bürokalender des Jahres 1956. Mein damaliger Kommilitone, eine stolzer Bauernsohn, sah dieses Buch und war beeindruckt vom schönen Papier, das damals noch mit eingefärbten roten und blauen Linien die geordnete Schönschrift mächtig unterstützte und er bot mir einen Silbergulden für dieses Heft. Ich zögerte, denn die Schönschrift war genau genommen damals genauso wertvoll wie das Silberstück. Am Nachmittag nach dem Essen aber verabschiedete ich mich von meinem Schatz und brachte das Buch über dem tiefliegendem Feldweg zum Bauernhof, wo ich mich zwischen Mauern mit Spritzern Jauche einen Weg durch den Kuhstall bahnen musste um in die Wohnküche zu gelangen. Es waren arme Bauern gewesen, die sich nach dem Krieg durch Grundstückverkauf ein Vermögen an Silbergulden angehäuft hatten. Der 1956er Bürokalender hatte keinen Spritzer abbekommen und so konnte ich den Bauernhof mit dem Silbergulden wieder verlassen, den ich immer noch besitze. Dieser Silbergulden hatte noch keinen Heiligenschein und wurde auch nicht unterschrieben. Die Scheine sind erst später von der Bank in Umlauf gebracht worden, als es wieder genug Papier gab. Als ich älter wurde, schaffte man die Silbergulden ab und gab Papierscheine als Gulden heraus. In Massen wurden sie gedruckt, denn der Krieg war jetzt vorbei und der Papierschein war unterschrieben genau so wertvoll wie der Silbergulden. Mit dem Wirtschaftswunder wuchsen die Scheine zu einem Berg heran. Der Prozess wurde zwar beanstandet, aber nur wenige warnten, viele zogen die Schulter hoch und lächelten müde. Politiker schwafelten über Zinsgewinne und garantierte Geldstabilität. Dieser Schein wurde aufrechterhalten bis etwa 2007. Ab diesem Stichtag stieg die Geldmenge rasant an. Ich begann nun mal den Namen des Scheinheiligen auf den Scheinen zu identifizieren. Zuvor war er es ein Niemand, jetzt las ich den Namen, „MDraghi“ konnte ich auf den neueren Scheinen entziffern. Auf älteren Scheinem war kein einziger Name identifizierbar. Der Scheinheilige blieb ein Niemand. Das erinnerte mich an Odysseus und den Zyklopen, den er narrte indem er sich nach der erfolgreichen Blendung mit dem Namen „Niemand“ identifizieren ließ. Als dann die Riesen ihren Bruder Zyklops Hilfe anboten und fragten wer ihm die Schmerzen zugefügt hatte, erfuhren sie dass „Niemand“ den Bruder geblendet hatte. Da verstanden sie dass ihr Bruder den Verstand verloren hatte.

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Jeder Schein hat seinen Heiligen. Meine Großmutter – Gott habe ihre Seele - hatte es schon geahnt. „Alles im Leben ist Schein, Kinder, passt auf!“, warnte sie uns, aber wir lachten darüber als wir ahnten, dass sie vieles einfach nicht verstanden hatten.Nach diesem Prinzip suchte ich immer nach den überall vorhandenen Schein. In meiner Jugend fand ich aber überwiegend Münzen, die oft genug bereits damals selten waren. Mein Vater, der noch Buchhaltung erlernt hatte, erzählte mir dass die Silbermünzen, die man Gulden nannte, eigentlich das wahre Geld darstellen. Die Scheine, so sagte er, seien nur das Scheingeld, das von einem Scheinheiligen unterschrieben werden müsse. Nur mit der Unterschrift werde es zum Geld.Jeder Schein hat seinen Heiligen. Meine Großmutter – Gott habe ihre Seele - hatte es schon geahnt. „Alles im Leben ist Schein, Kinder, passt auf!“, warnte sie uns, aber wir lachten darüber als wir ahnten, dass sie vieles einfach nicht verstanden hatten.Nach diesem Prinzip suchte ich immer nach den überall vorhandenen Schein. In meiner Jugend fand ich aber überwiegend Münzen, die oft genug bereits damals selten waren. Mein Vater, der noch Buchhaltung erlernt hatte, erzählte mir dass die Silbermünzen, die man Gulden nannte, eigentlich das wahre Geld darstellen. Die Scheine, so sagte er, seien nur das Scheingeld, das von einem Scheinheiligen unterschrieben werden müsse. Nur mit der Unterschrift werde es zum Geld.In 1958 schenkte er mir einen alten, aber unbenutzten, schön gebundenen Bürokalender des Jahres 1956. Mein damaliger Kommilitone, eine stolzer Bauernsohn, sah dieses Buch und war beeindruckt vom schönen Papier, das damals noch mit eingefärbten roten und blauen Linien die geordnete Schönschrift mächtig unterstützte und er bot mir einen Silbergulden für dieses Heft. Ich zögerte, denn die Schönschrift war genau genommen damals genauso wertvoll wie das Silberstück.Am Nachmittag nach dem Essen aber verabschiedete ich mich von meinem Schatz und brachte das Buch über dem tiefliegendem Feldweg zum Bauernhof, wo ich mich zwischen Mauern mit Spritzern Jauche einen Weg durch den Kuhstall bahnen musste um in die Wohnküche zu gelangen. Es waren arme Bauern gewesen, die sich nach dem Krieg durch Grundstückverkauf ein Vermögen an Silbergulden angehäuft hatten. Der 1956er Bürokalender hatte keinen Spritzer abbekommen und so konnte ich den Bauernhof mit dem Silbergulden wieder verlassen, den ich immer noch besitze.Dieser Silbergulden hatte noch keinen Heiligenschein und wurde auch nicht unterschrieben. Die Scheine sind erst später von der Bank in Umlauf gebracht worden, als es wieder genug Papier gab.Als ich älter wurde, schaffte man die Silbergulden ab und gab Papierscheine als Gulden heraus. In Massen wurden sie gedruckt, denn der Krieg war jetzt vorbei und der Papierschein war unterschrieben genau so wertvoll wie der Silbergulden. Mit dem Wirtschaftswunder wuchsen die Scheine zu einem Berg heran. Der Prozess wurde zwar beanstandet, aber nur wenige warnten, viele zogen die Schulter hoch und lächelten müde. Politiker schwafelten über Zinsgewinne und garantierte Geldstabilität. Dieser Schein wurde aufrechterhalten bis etwa 2007.Ab diesem Stichtag stieg die Geldmenge rasant an. Ich begann nun mal den Namen des Scheinheiligen auf den Scheinen zu identifizieren. Zuvor war er es ein Niemand, jetzt las ich den Namen, „MDraghi“ konnte ich auf den neueren Scheinen entziffern. Auf älteren Scheinem war kein einziger Name identifizierbar. Der Scheinheilige blieb ein Niemand.Das erinnerte mich an Odysseus und den Zyklopen, den er narrte indem er sich nach der erfolgreichen Blendung mit dem Namen „Niemand“ identifizieren ließ. Als dann die Riesen ihren Bruder Zyklops Hilfe anboten und fragten wer ihm die Schmerzen zugefügt hatte, erfuhren sie dass „Niemand“ den Bruder geblendet hatte. Da verstanden sie dass ihr Bruder den Verstand verloren hatte. So ist auch der Name auf dem Schein lediglich ein Scheinheilige, der n

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  • Der Scheinheiligejwr47

    Jeder Schein hat seinen Heiligen. Meine Gromutter Gott habe ihre Seele - hatte es schon geahnt.Alles im Leben ist Schein, Kinder, passt auf!, warnte sie uns, aber wir lachten darber als wirahnten, dass sie vieles einfach nicht verstanden hatten.

    Nach diesem Prinzip suchte ich immer nach den berall vorhandenen Schein. In meinerJugend fand ich aber berwiegend Mnzen, die oft genug bereits damals selten waren. MeinVater, der noch Buchhaltung erlernt hatte, erzhlte mir dass die Silbermnzen, die manGulden nannte, eigentlich das wahre Geld darstellen. Die Scheine, so sagte er, seien nur dasScheingeld, das von einem Scheinheiligen unterschrieben werden msse. Nur mit derUnterschrift werde es zum Geld.

    In 1958 schenkte er mir einen alten, aber unbenutzten, schn gebundenen Brokalender desJahres 1956. Mein damaliger Kommilitone, eine stolzer Bauernsohn, sah dieses Buch undwar beeindruckt vom schnen Papier, das damals noch mit eingefrbten roten und blauenLinien die geordnete Schnschrift mchtig untersttzte und er bot mir einen Silbergulden frdieses Heft. Ich zgerte, denn die Schnschrift war genau genommen damals genausowertvoll wie das Silberstck.

    Am Nachmittag nach dem Essen aber verabschiedete ich mich von meinem Schatz undbrachte das Buch ber dem tiefliegendem Feldweg zum Bauernhof, wo ich mich zwischenMauern mit Spritzern Jauche einen Weg durch den Kuhstall bahnen musste um in dieWohnkche zu gelangen. Es waren arme Bauern gewesen, die sich nach dem Krieg durchGrundstckverkauf ein Vermgen an Silbergulden angehuft hatten. Der 1956erBrokalender hatte keinen Spritzer abbekommen und so konnte ich den Bauernhof mit demSilbergulden wieder verlassen, den ich immer noch besitze.

    Dieser Silbergulden hatte noch keinen Heiligenschein und wurde auch nicht unterschrieben.Die Scheine sind erst spter von der Bank in Umlauf gebracht worden, als es wieder genugPapier gab.

    Als ich lter wurde, schaffte man die Silbergulden ab und gab Papierscheine als Guldenheraus. In Massen wurden sie gedruckt, denn der Krieg war jetzt vorbei und derPapierschein war unterschrieben genau so wertvoll wie der Silbergulden.

    Mit dem Wirtschaftswunder wuchsen die Scheine zu einem Berg heran. Der Prozess wurde zwarbeanstandet, aber nur wenige warnten, viele zogen die Schulter hoch und lchelten mde. Politikerschwafelten ber Zinsgewinne und garantierte Geldstabilitt. Dieser Schein wurde aufrechterhaltenbis etwa 2007.

    Ab diesem Stichtag stieg die Geldmenge rasant an. Ich begann nun mal den Namen desScheinheiligen auf den Scheinen zu identifizieren. Zuvor war er es ein Niemand, jetzt las ich denNamen, MDraghi konnte ich auf den neueren Scheinen entziffern. Auf lteren Scheinem war keineinziger Name identifizierbar. Der Scheinheilige blieb ein Niemand.

    Das erinnerte mich an Odysseus und den Zyklopen, den er narrte indem er sich nach dererfolgreichen Blendung mit dem Namen Niemand identifizieren lie. Als dann die Riesen ihrenBruder Zyklops Hilfe anboten und fragten wer ihm die Schmerzen zugefgt hatte, erfuhren sie dassNiemand den Bruder geblendet hatte. Da verstanden sie dass ihr Bruder den Verstand verlorenhatte.

  • So ist auch der Name auf dem Schein lediglich ein Scheinheilige, der nicht wirklich fassbar ist.Unfassbar ist unser Geldsystem. Es existiert nur in einer Scheinwelt, denn alles was sicher ist, bleibtdoch nur ein Schein.