der pkw-antrieb der zukunft

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DER PKW-ANTRIEB DER ZUKUNFT Immer mehr Fahrzeug- und Antriebsvarianten bevölkern die Welt. Die optimale Konfiguration findet in Zukunft der Computer in Simulationen, sagt die AVL voraus. Zur richtigen Wahl gehören auch minimale Kohlendioxid-Emissionen und die hängen nicht nur davon ab, wie stark ein Fahrzeug elektrifiziert ist. BILD © General Motors 125 JAHRE AUTOMOBIL 130

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Page 1: Der Pkw-Antrieb der Zukunft

Der Pkw-Antrieb Der ZukunftImmer mehr Fahrzeug- und Antriebsvarianten bevölkern die Welt. Die optimale Konfiguration findet

in Zukunft der Computer in Simulationen, sagt die AVL voraus. Zur richtigen Wahl gehören auch

minimale Kohlendioxid-Emissionen und die hängen nicht nur davon ab, wie stark ein Fahrzeug

elektrifiziert ist.

bild © General Motors

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diversifizierung

Der wesentlichste Technologietreiber der nächsten Jahrzehnte ist sicherlich die Reduzierung der CO2-Emissionen bis hin zum möglichst vollständigen Ersatz fossi-ler Kraftstoffe durch CO2-neutrale Energie-träger – allerdings unter den Prämissen zukünftiger Emissionsgesetzgebungen und marktkonformer Systemkosten. Die in der EU für 2050 angestrebte weitgehend CO2-neutrale Energieversorgung des Trans-portsektors erfordert jedoch nicht nur die breite Verfügbarkeit neuer Energieträger, sondern ebenso eine drastische Änderung bei der Bereitstellung der Primärenergie. Die zukünftig deutlich verstärkte Diversifi-zierung betrifft neben den Energieträgern vor allem auch eine stärkere Varianten-vielfalt sowohl hinsichtlich Fahrzeugtypen als auch Antriebsstrangtechnologien.

Die bereits heute hohe Anzahl unter-schiedlicher Fahrzeugbauweisen wird in Zukunft noch ansteigen. Einerseits wer-den neue Marktnischen geschaffen, ande-rerseits erfordert die zunehmende Urbani-sierung neue Mobilitätskonzepte. Zudem verlangen die Schwellenmärkte der Zu -kunft, zum Beispiel in Afrika, neue, extrem kostengünstige, sparsame und robuste Mobilitätslösungen.

Eine nachhaltige Reduzierung der CO

2-Emissionen bedingt nicht neue Kraft-stoffe, sondern erfordert entsprechende Weiterentwicklungen des Antriebs sowie neue Antriebskonzepte. Dabei führt ins-besondere die Elektrifizierung zu einer signifikanten Erweiterung des Antriebs-strang-Portfolios. Da die einzelnen Fahrzeug typen sowohl mit unterschied-lichen An triebsstrangtech no logien als auch Kraftstoffen kombiniert werden müs-sen, ergibt sich in Zukunft eine signifikant verstärkte, praktisch dreidimensionale Diversifizierung der Pkw-Antriebe, ❶.

Die Festlegung, welche Antriebsstrang-technik mit welchem Fahrzeugtyp und welchem Kraftstoff kombiniert wird, muss allerdings markt- und fahrzeugklas-sen-spezifisch erfolgen. Insbesondere die Elek trifizierung erschließt hier eine Fülle neuer Freiheitsgrade, um den Antriebs-strang bestmöglich an die unterschied-lichen Marktbedürfnisse anzupassen. Dabei wird die Beantwortung der Frage-stellung, welchem der Antriebsstrangele-mente (Verbrennungsmotor – Getriebe – E-Motor – Batterie – Steuerung/Regelung) welcher Aufwand zugeordnet wird, zu einer ganz entscheidenden Aufgabe künf-tiger Antriebs strangentwicklungen, ❷.

Zunehmende Diversifizierung von Antriebssystemen

Antriebsstrang-technologien

ICE Internal Combustion Engine

HEV Hybrid Electric Vehicle PHEV Plug-in Hybrid Electric Vehicle

EREV Extended Range Electric Vehicle

BEV Battery Electric Vehicle

FCV Fuel Cell Vehicle

Biogas

Elektrizität

Wasserstoff

Energie-träger

Fossile Kraftstoffe

Erdgas

Biokraftstoffe

Fahrzeug-typen

❶ Zukünftige Diversifizierung von Pkw-Antrieben

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Page 3: Der Pkw-Antrieb der Zukunft

neue abläufe

Die Vielzahl möglicher Lösungen und die daraus resultierende Komplexität der Systemfestlegung erfordern jedoch einen Paradigmenwechsel bei der Auslegung zukünftiger Antriebssysteme. In einer zusätzlichen, dem eigentlichen Entwick-

lungsprozess vorgelagerten „Konfigurati-onsphase“ erfolgt auf Systemebene eine umfassende Simulation aller Antriebs-strangelemente sowie der möglichen Technologiekombinationen und Betriebs-strategien. In dieser „virtuellen“ Ent-wicklungsphase werden die Betriebsstra-tegien und die Antriebsstrang-Hardware

simultan auf Basis realer Nutzerprofile entwickelt, ❸.

Diese Konfigurationsphase resultiert nicht nur in Betriebsstrategien und der effizientesten Anordnung der einzelnen Antriebsstrangelemente, sondern schluss-endlich in einem umfassenden Baukasten von Antriebsstrangmodulen, mit dem ein globales An wendungsspektrum kosten-optimal abgedeckt werden kann.

Dabei nehmen die Betriebsstrategien zunehmenden Einfluss auf die Zuordnung der Funktionen zu den einzelnen Antriebs-strangelementen. Ein signifikantes Beispiel stellt hier das Batteriefahrzeug mit Range Extender dar, wo die Betriebsstrategie so -wohl die Größe der Batterie als auch die erforderliche Leistung des Verbrennungsmo-tors ganz entscheidend bestimmt. Eine ein-fache, nur vom Ladezustand der Batterie abhängige Ladesteuerung würde zur siche-ren Vermeidung von Energiemangel theore-tisch eine dem elektrischen Primärantrieb entsprechende Leistung des Range Exten-ders erfordern. Dies würde zu Lösungen führen, die hinsichtlich Package, Gewicht und Kosten unattraktiv sind. Mit einem intelligenten, prädiktiven Energiemanage-ment – zum Beispiel mit einer passiven GPS-basierten Range-Extender-Steuerung – kann dessen Leistung auf 20 bis 30 % der maximalen elektrischen Traktionsleistung reduziert werden, ohne dass im realen Fahr-betrieb ein Leistungsmangel auftritt.

Für eine hohe Entwicklungseffizienz ist es dabei ganz entscheidend, dass die in der „virtuellen“ Konfigurationsphase ent-wickelten Modelle auch in der nachfol-genden Entwicklung, Kalibrierung und Validierung effizient weiterverwendet wer-den. Ist eine durchgängige Entwicklungs-plattform und eine kompatible Werkzeug-kette vorhanden und erlaubt diese eine saubere Übertragung der Ergebnisse, kann der Entwickler die hinsichtlich Entwick-lungskosten, -zeit und Flexibilität jeweils günstigste Entwicklungsumgebung weit-gehend frei wählen, ❹.

Dabei greifen die virtuellen und test-basierten Entwicklungsschritte verzahnt ineinander. So sind Einzelaufgaben effi-zienter abzuarbeiten, Arbeitspakete zu pa rallelisieren und Entwicklungszeiten zu verkürzen. Zunehmend werden nicht nur Entwicklungs- und Kalibrieraufgaben, sondern auch Validierungen vom hard-warebasierten Testen in den „virtuellen Entwicklungsbereich“ verlagert.

❷ Charakterisierung elektrischer Antriebssysteme am Beispiel ausgeführter Fahrzeuge (qualitativ)

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Page 4: Der Pkw-Antrieb der Zukunft

eleKtrifizierung

Das Elektrofahrzeug per se, aber insbe-sondere die Elektrifizierung verbrennungs-motorischer Antriebssysteme stellt einen wesentlichen Technologietreiber dar und erfordert extrem hohe Investitionen in die Technologieentwicklung. Bedingt durch die nur langsame Marktdurchdringung werden jedoch im nächsten Jahrzehnt reine Elektrofahrzeuge nur einen vergleichs-weise bescheidenen Beitrag zu einer nach-haltigen Reduzierung der globalen CO2-Emissionen leisten. Abhängig vom Kraft-werksmix können sich sogar negative Auswirkungen auf die globale CO2-Emis-

sion ergeben – etwa in China. Damit liegt die Hauptlast für eine kurzfristige Redu-zierung der globalen CO2-Emission bei der Verbesserung verbrennungsmotorischer Antriebssysteme. Hier werden sich die wesentlichsten CO2-Reduzierungen nicht nur aus den entsprechenden Verbesserun-gen der Einzelelemente, sondern auch stark aus der Systemoptimierung – beispiels-weise der Abstimmung von Motor- und Getriebecharakteristik – sowie den ent-sprechenden Betriebsstrategien ergeben. Während die einfachste Form der Antriebs-strangelektrifizierung – Start/Stopp plus intelligentes Batteriemanagement – zu -mindest in Europa praktisch flächendeckend

❹ Durchgängige Entwicklungsplattform

Konfigurations-prozess

auf Systemebene

Neue BetriebsstrategienVerbrennungs-motor

Getriebe

Software

Batterie

Elektromotor

Optimierte Hardware

InteraktiveOptimierung

❸ Simultane Hard- und Softwareentwicklung in einer vorgelagerten Konfigurations-phase

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zum Einsatz kommt, ist für die aufwendi-geren Formen der Hybridisierung und ins-besondere für das reine Batteriefahrzeug nur ein vergleichbar langsamer Anstieg der Produktionsstückzahlen zu erwarten.

Insbesondere bei Konzepten, die auch einen rein elektrischen Fahrbetrieb erlau-ben, ist die Technologiefestlegung sehr komplex. Der für die unterschiedlichsten Anwendungen jeweils sinnvollste techni-sche Ansatz wird dabei entscheidend vom Nutzungsprofil des Fahrzeugs, insbeson-dere dem Anteil des rein elektrischen Betriebs aus einer im Stromnetz aufge-ladenen Batterie bestimmt, ❺.

Wird der Großteil der Gesamtfahrstre-cke verbrennungsmotorisch zurückgelegt und müssen gleichzeitig hohe Anforde-rungen bezüglich Fahrleistung und Reich-weite er füllt werden, so stellen die ver-schiedenen Formen von Plug-in-Hybriden die derzeit sinnvollste Antriebsstrangelek-t rifizierung dar.

Bei überwiegendem Batteriebetrieb mit Aufladung aus dem Stromnetz können mit

Range Extendern die Vorteile des rein elek-trischen Antriebs im realen Fahrbetrieb umgesetzt werden, ohne dabei die Betriebs-flexibilität (Reichweite, Tank-/Ladezeiten) konventioneller verbrennungsmotorischer Antriebe zu verlieren. Da zu dem gegenüber dem reinen Elektrofahrzeug günstigere Sys-temkosten (kleinere Batterie) darstellbar sind, ermöglicht der Range Extender eine Elektromobilität, die sich der Kunde leisten kann. Ein zusätzlicher Anschub nicht nur für den Range Extender, sondern für das elektrische Fahren im Allgemeinen ist dann zu erwarten, wenn Range-Extender-Kon-zepte unter bestimmten Voraussetzungen vom Gesetzgeber dem reinen Batteriefahr-zeug gleichgestellt werden.

Ein gesamtheitlicher Ansatz zur CO2-

Reduzierung beschränkt sich jedoch nicht auf eine alleinige Verbesserung des Antriebs-strangs, sondern umfasst die gesamten Emissionen der Energiewandlungskette. Dies wird im Vergleich „konventioneller“ Antriebssysteme mit batteriebetriebenen Fahrzeugen deutlich, ❻.

Wankel-motor

0 100

Plug-in-Hybridseriell/parallel

Range Extenderrein seriell

2-/3-/4-Zyl.Hubkolbenmotor

+ -

Kon

vent

ione

ller

Hyb

rid

Rei

nes

Bat

teri

efah

rzeu

g

Fahranteil aus der Batterie mit Aufladung aus dem Netz [%]

Reiner VKM-Betrieb Reiner Batteriebetrieb

2-/3-Zyl.Hubkolbenmotor

Range Extenderseriell/parallel

(mech. Durchtrieb)

100

50

0

50

100

„Tank To Wheel“

„Well To Tank“ ?

CO2-Reduzierung durch Biokraftstoff

?

Rel

. C

O2-E

mis

sion

en [

%]

Otto-Direkteinspritzung

Diesel-Direkteinspritzung

Gas-Vollhybrid

Elektrofahrzeug

mit Range Extender

ReinesElektrofahrzeug

❺ Die richtige Strategie für die Elektrifizierung ist vom rein batterie gespeisten Fahranteil abhängig

❻ CO2-Gesamtemis sionen verschiedener Antriebssysteme

Aktuelle tAgungsprogrAmme

www.AtZlive.de

Fahrzeugtechnik im Gespräch

FachTaGunGen Für auTomobil-inGenieure

: Gesamtfahrzeug : Motor und Antriebsstrang: Elektronik : Simulation und Testen: Produktion

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134DO

I: 10

.136

5/s3

5778

-011

-06

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Page 6: Der Pkw-Antrieb der Zukunft

Legt man einen Anteil von 10 bis 20 % an Biokraftstoff zugrunde, so ist für gasbetrie-bene Vollhybride gegenüber einem konven-tionellen Antriebsstrang mit Benzin-Direkt-einspritzung eine Halbierung der CO2-Emis-sionen sowohl durch den verbesserten Antriebsstrangwirkungsgrad (> 30 %) im Zyklus als auch durch den geringen Kohlen-stoffgehalt des Biogas-CNG-Gemisches zu erwarten. Bei den Batteriefahrzeugen wird natürlich die CO2-Bilanz durch den Kraft-werksmix bestimmt. Dabei kann sich ein Range Extender durch die mögliche Redu-zierung des Batterie- und damit auch Gesamtgewichts durchaus positiv auf die CO2-Gesamtbilanz auswirken.

Betrachtet man nicht nur die Technolo-gien für Antriebsstrang und Fahrzeuge, sondern die Fülle anderer Möglichkeiten – wie intelligente Verkehrssteuerungs- und Regelungssysteme oder funktionierende Informationssysteme zur einfachen Benut-zung verschiedener Verkehrsmittel – so er scheint eine Reduzierung der durch den Pkw bedingten CO2-Emissionen laut ERTRAC um rund 80 % (Stadtverkehr) vom Stand der Technik her bis 2030 denk-bar, wobei rund die Hälfte durch die Wei-terentwicklung des Antriebs realisiert wer-den sollte.

autor

Prof. dr. helmut list ist geschäftsführender Gesell schafter der AVL List GmbH, des weltweit größten Ingenieur-dienstleisters für Fahrzeugantriebe.

AGMTECHNOLOGY

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