der mensch is(s)t nicht(s) allein

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MIKROBIOLOGIE | Der Mensch is(s)t nicht(s) allein Jeder kennt die Nebeneffekte einer Antibiotika-Therapie auf die Einge- weide: die endogene Bakterienflora muss hinterher wieder aufgepäppelt oder gleich ganz neu angesiedelt werden. Sequenzanalysen der Darm- bakterien zeigen jetzt, dass diese insgesamt etwa hundertmal so viele Gene enthalten wie der Mensch selbst. Viele dieser Gene codieren für En- zyme, die Pflanzenstoffe verwerten, die für uns Menschen als solche nicht abbaubar sind. TREFFPUNKT FORSCHUNG | VERHALTEN | Kooperative Schimpansen Altruistisches Verhalten ist zumindest ansatzweise nicht nur beim Kleinkind, sondern auch bei unseren nächsten Verwandten – den Schim- pansen – vorhanden, wie Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck- Instituts für evolutionäre Anthropologie nachweisen konnten. zu erreichen. Die Tiere ließen sich hierbei nur dann von Artgenossen helfen, wenn sie die beiden Seilen- den nicht allein greifen konnten. Eine Studie in einer Schimpansenwaisen- Station auf Ngamba Island in Uganda zeigte, dass die Schimpansen nicht nur verstanden, wann sie Hilfe brau- chen, sie waren sich auch der Rolle des anderen bewusst und wählten den Partner gezielt aus. Die Studie ist eine der ersten, die in einer Waisenstation für Schim- Kooperation ist im Tierreich lebens- wichtig. Raubtiere jagen in Rudeln, Vögel und Fische versammeln sich in Schwärmen, um sich vor Beutegrei- fern zu schützen. Auch Schimpansen kooperieren viel besser miteinander, als bislang angenommen. Um ihre Kooperationsbereitschaft zu zeigen, mussten sich die Affen ver- schiedenen Aufgaben stellen. So mussten die Tiere beispielsweise an zwei Enden eines Seils gleichzeitig ziehen, um ein Holzbrett mit Futter pansen in Afrika durchgeführt wurde und eine der ersten, in der sich Schimpansen entscheiden können, mit wem sie kooperieren. Bislang ging man davon aus, das Schimpan- sen hauptsächlich eigennützig han- deln. In der Studie halfen sie jedoch anderen, obwohl sie dafür nicht be- lohnt wurden. Die von den Schim- pansen gezeigten Fähigkeiten zur komplexen Kooperation könnten da- rauf hindeuten, dass der gemeinsame Vorfahre von Menschen und Schim- pansen diese Eigenschaft bereits vor etwa sechs Millionen besaß. [1] A. P. Melis, B. Hare, M. Tomasello, Science 2006, 313, 1297–1301. [2] F. Warneken, M. Tomasello, Science 2006, 313, 1301–1305. Wilhelm Irsch, Rehlingen-Siersburg 206 | Biol. Unserer Zeit | 4/2006 (36) www.biuz.de © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ABB. Schimpan- se und Mensch: Beide sind keine reinen Egoisten. Bild: obs/Max- Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Heute nennt man Untersuchungen, in denen man einen Haufen DNA-Se- quenzen anguckt, „metagenomische Analyse“. Apropos Haufen: diese Analyse des „Mikrobioms“, also der Bakterien und des ganzen anderen Kleinkrams, wurde nicht etwa hoch- technisch aus menschlichen Därmen vorgenommen, sondern es wurden einfach die Stuhlproben eines Man- nes und einer Frau analysiert. Mann und Frau scheinen in dieser Bezie- hung ziemlich ähnlich zu sein. Erstaunlich ist auch nicht die Zahl von mehr als zehn Billionen (10 13 - 10 14 ) Mikroben: Dass die mensch- lichen Zellen im Menschen in der Min- derheit sind, dachte man sich schon. Neu ist die durch die große Zahl der zufällig untersuchten verschiede- nen Sequenzen mögliche Analyse auch der unvorhergesehenen Gene in diesen Mikroben: Viele Mikroben- Gene codieren für Enzyme, die Glu- cane, Xylane, Pektine und Arabino- sen aus Pflanzen abbauen – Verbin- dungen, die für uns Menschen sonst nur Ballaststoffe wären. Diese En- zyme funktionieren also ähnlich sym- biotisch wie die Bakterien in den di- versen Mägen von Kühen. Unter unseren Mikroben befindet sich wie bei den Kühen auch ein Me- thanhersteller. Diese Spezies ist übri- gens kein Bakterium, sondern ein Ar- chaeon. Archaea entgiften den von den normalen Bakterien gebildeten Wasserstoff H 2 , der zwar nicht so charakteristisch riecht wie Methan, aber dafür leicht entzündlich ist und explodieren kann. Giftig für uns ist die negative Rückkopplung zu den Bakterien, die H 2 produzieren. Der Wasserstoff reduziert deren Aktivität bei dem Abbau der für uns unverdau- lichen Polysaccharide aus Pflanzen. Diese Ballaststoffe bauen die Bakte- rien in wichtige Vorstufen wie Iso- pentenylpyrophosphat (IPP) um, das der Darm gut aufnehmen und weiter- verwerten kann. Außerdem produzie- ren die Bakterien direkt essenzielle Vitamine oder deren Vorstufen wie beispielsweise B 1 und B 6 . Bisher hatte man überlegt, ob der auch in pathogenen Bakterien vor- kommende Stoffwechselweg zum IPP als Ziel für Antibiotika genutzt wer- den könnte. Da sich nach diesen neuen Ergeb- nissen zeigt, dass solche Antibiotika auch die nützlichen Bakterien lahmle- gen würden, wäre das wohl nicht so gesund für den Menschen: Solche An- tibiotika würden den Darm noch gründlicher von Bakterien räumen als die bisherigen und entsprechend noch schlimmere Folgen für unsere Verdauung haben. [1] S.R. Gill et al., Science 2006, 312, 1355. Axel Brennicke, Ulm

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M I K RO B I O LO G I E |Der Mensch is(s)t nicht(s) allein Jeder kennt die Nebeneffekte einer Antibiotika-Therapie auf die Einge-weide: die endogene Bakterienflora muss hinterher wieder aufgepäppeltoder gleich ganz neu angesiedelt werden. Sequenzanalysen der Darm-bakterien zeigen jetzt, dass diese insgesamt etwa hundertmal so vieleGene enthalten wie der Mensch selbst. Viele dieser Gene codieren für En-zyme, die Pflanzenstoffe verwerten, die für uns Menschen als solchenicht abbaubar sind.

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

V E R H A LT E N |Kooperative SchimpansenAltruistisches Verhalten ist zumindest ansatzweise nicht nur beim

Kleinkind, sondern auch bei unseren nächsten Verwandten – den Schim-pansen – vorhanden, wie Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie nachweisen konnten.

zu erreichen. Die Tiere ließen sichhierbei nur dann von Artgenossenhelfen, wenn sie die beiden Seilen-den nicht allein greifen konnten. EineStudie in einer Schimpansenwaisen-Station auf Ngamba Island in Ugandazeigte, dass die Schimpansen nichtnur verstanden, wann sie Hilfe brau-chen, sie waren sich auch der Rolledes anderen bewusst und wähltenden Partner gezielt aus.

Die Studie ist eine der ersten, diein einer Waisenstation für Schim-

Kooperation ist im Tierreich lebens-wichtig. Raubtiere jagen in Rudeln,Vögel und Fische versammeln sich inSchwärmen, um sich vor Beutegrei-fern zu schützen. Auch Schimpansenkooperieren viel besser miteinander,als bislang angenommen.

Um ihre Kooperationsbereitschaftzu zeigen, mussten sich die Affen ver-schiedenen Aufgaben stellen. Somussten die Tiere beispielsweise anzwei Enden eines Seils gleichzeitigziehen, um ein Holzbrett mit Futter

pansen in Afrika durchgeführt wurdeund eine der ersten, in der sichSchimpansen entscheiden können,mit wem sie kooperieren. Bislangging man davon aus, das Schimpan-sen hauptsächlich eigennützig han-deln. In der Studie halfen sie jedochanderen, obwohl sie dafür nicht be-lohnt wurden. Die von den Schim-pansen gezeigten Fähigkeiten zurkomplexen Kooperation könnten da-rauf hindeuten, dass der gemeinsameVorfahre von Menschen und Schim-pansen diese Eigenschaft bereits voretwa sechs Millionen besaß.

[1] A. P. Melis, B. Hare, M. Tomasello, Science2006, 313, 1297–1301.

[2] F. Warneken, M. Tomasello, Science 2006,313, 1301–1305.

Wilhelm Irsch, Rehlingen-Siersburg

206 | Biol. Unserer Zeit | 4/2006 (36) www.biuz.de © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

A B B . Schimpan-se und Mensch:Beide sind keinereinen Egoisten.Bild: obs/Max-Planck-Institut fürevolutionäreAnthropologie.

Heute nennt man Untersuchungen,in denen man einen Haufen DNA-Se-quenzen anguckt, „metagenomischeAnalyse“. Apropos Haufen: diese Analyse des „Mikrobioms“, also derBakterien und des ganzen anderenKleinkrams, wurde nicht etwa hoch-technisch aus menschlichen Därmenvorgenommen, sondern es wurdeneinfach die Stuhlproben eines Man-nes und einer Frau analysiert. Mannund Frau scheinen in dieser Bezie-hung ziemlich ähnlich zu sein.

Erstaunlich ist auch nicht die Zahlvon mehr als zehn Billionen (1013-1014) Mikroben: Dass die mensch-lichen Zellen im Menschen in der Min-derheit sind, dachte man sich schon.

Neu ist die durch die große Zahlder zufällig untersuchten verschiede-

nen Sequenzen mögliche Analyseauch der unvorhergesehenen Gene indiesen Mikroben: Viele Mikroben-Gene codieren für Enzyme, die Glu-cane, Xylane, Pektine und Arabino-sen aus Pflanzen abbauen – Verbin-dungen, die für uns Menschen sonstnur Ballaststoffe wären. Diese En-zyme funktionieren also ähnlich sym-biotisch wie die Bakterien in den di-versen Mägen von Kühen.

Unter unseren Mikroben befindetsich wie bei den Kühen auch ein Me-thanhersteller. Diese Spezies ist übri-gens kein Bakterium, sondern ein Ar-chaeon. Archaea entgiften den vonden normalen Bakterien gebildetenWasserstoff H2, der zwar nicht socharakteristisch riecht wie Methan,aber dafür leicht entzündlich ist und

explodieren kann. Giftig für uns istdie negative Rückkopplung zu denBakterien, die H2 produzieren. DerWasserstoff reduziert deren Aktivitätbei dem Abbau der für uns unverdau-lichen Polysaccharide aus Pflanzen.Diese Ballaststoffe bauen die Bakte-rien in wichtige Vorstufen wie Iso-pentenylpyrophosphat (IPP) um, dasder Darm gut aufnehmen und weiter-verwerten kann. Außerdem produzie-ren die Bakterien direkt essenzielleVitamine oder deren Vorstufen wiebeispielsweise B1 und B6.

Bisher hatte man überlegt, ob derauch in pathogenen Bakterien vor-kommende Stoffwechselweg zum IPPals Ziel für Antibiotika genutzt wer-den könnte.

Da sich nach diesen neuen Ergeb-nissen zeigt, dass solche Antibiotikaauch die nützlichen Bakterien lahmle-gen würden, wäre das wohl nicht sogesund für den Menschen: Solche An-tibiotika würden den Darm nochgründlicher von Bakterien räumen alsdie bisherigen und entsprechendnoch schlimmere Folgen für unsereVerdauung haben.

[1] S.R. Gill et al., Science 2006, 312, 1355.

Axel Brennicke, Ulm