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Dokumentation der Veranstaltung zum Weltalzheimertag
Demenz – Wo brennt es?
vom 9. Oktober 2013
im Rathaus Arnsberg
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung…………………………………………………………………………………..1
2. Ergebnisse der Thementische…………………………………………………………….3
Tisch 1: Menschen mit Demenz/Delir im Krankenhaus……………………………………3
Tisch 2: Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen in der Hausarztpraxis………….....5
Tisch 3: Spannungsfeld: Sicherheit oder Freiheitsentzug…………………………………..7
Tisch 4: Menschen mit Demenz im Dorf und in der Nachbarschaft…………………….….9
Tisch 5: Das liebe Geld: Pflegeversicherung und MDK-Begutachtung…………………..11
Tisch 6: Betreuung und Pflege zu Hause – eine Herausforderung mit Grenzen?!..............13
Tisch 7: Das Leben in einer Wohngemeinschaft – eine „wirkliche“ Alternative?!.............15
Tisch 8: Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz………….17
Tisch 9: Wege für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflegeaufgaben…………...19
3. Schluss / Ausblick………………………………………………………………………...21
Anhänge
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1. Einleitung
„Demenz – wo brennt es?“ Diese Frage beschäftigte 80 Teilnehmer der Veranstaltung
„World-Cafe“ des Arnsberger Netzwerkes Demenz zum Weltalzheimertag am 9. Oktober
2013 im Rathaus.
Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter, die Geburtenrate sinkt. Während die
Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren bis zum Jahr 2030 um rund ein Drittel (33 Prozent)
ansteigen wird, werden dann 17 Prozent weniger Kinder und Jugendliche in Deutschland
leben. Die Auswirkungen des demografischen Wandels sind vielfältig und stellen die
Bundespolitik und die Gesellschaft vor neue Aufgaben, da die Veränderungen verschiedenste
Lebensbereiche betreffen werden. Bedeutende Handlungsfelder dabei sind die Themen
Gesundheit, Altenhilfe und Pflege, da hiervon schon jetzt viele Bevölkerungsteile direkt oder
indirekt betroffen sind. So leben aktuell fast in jedem dritten Privathaushalt Senioren ab 65
Jahren, die versorgt und gepflegt werden müssen. Mit zunehmendem Alter sind viele der
Pflegebedürftigen von kognitiven Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer betroffen.
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Dementielle Erkrankungen stellen daher große Herausforderungen für die älter werdende
Gesellschaft dar. Um die Lebensqualität von Menschen mit Demenz in Arnsberg zu
verbessern, sind in den letzten Jahren zahlreiche Projekte und Initiativen ins Leben gerufen
worden.
Beim Arnsberger World-Cafe zum Weltalzheimertag hatten Teilnehmende, die beruflich,
privat oder ehrenamtlich mit Demenzerkrankten zu tun haben, die Möglichkeit sich zum
Thema miteinander auszutauschen.
Dazu waren neun Thementische mit je einem Experten zu vielfältigen Fragestellungen rund
um das Schwerpunktthema „Demenz - Wo brennt es?“ eingerichtet worden. In drei Runden
wurde an den Tischen für jeweils 20 Minuten diskutiert. Die Teilnehmenden konnten frei
entscheiden, an welchen Gesprächsrunden sie teilnehmen möchten.
So hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihr Wissen zu teilen, andere Erfahrungen
anzuhören, neue Informationen sowie Expertentipps zu den brennendsten Fragen zu erhalten.
Dadurch konnten die Perspektiven und Erkenntnisse der Akteure zusammengeführt werden,
um so einen Überblick über den aktuellen Stand der Versorgung von Menschen mit Demenz
in Arnsberg zu bekommen – ganz nach dem Motto des Tages „Demenz – wo brennt es?“.
Der Verlauf der Veranstaltung und die Ergebnisse der einzelnen Tischgespräche sind auf den
folgenden Seiten zusammengefasst.
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2. Ergebnisse der Thementische
Tisch 1: Menschen mit Demenz im Krankenhaus
Gerade Menschen mit Demenz/Delir stellen die Krankenhäuser vor große Herausforderungen.
Die betroffenen Patienten werden aus ihrem gewohnten Umfeld heraus gerissen, verlieren
Bezugspersonen und Alltagsstrukturen. Die neue, fremde Situation überfordert sie. Dazu
kommt, dass die dementen Patienten nicht in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu
kommunizieren. „Ein noch größeres Problem ist die grundsätzliche Angst der Menschen vor
Fremdbestimmung“, so Tisch-Gastgeber Dr. med. Meinolf Hanxleden vom St. Johannes
Hospital in den Gesprächen, „im Krankenhaus wird diese Angst potenziert, dadurch werden
demente Patienten oft aggressiv gegenüber dem Personal“. Ein weiteres Problem sieht der
Experte in den finanziellen Ressourcen der Krankenhäuser. „Viele Krankenhäuser stehen mit
dem Rücken zur Wand“, so Dr. Hanxleden, „als erstes wird natürlich an den Personalkosten
gespart, das Ergebnis ist Laienarbeit und keine gute Qualität in der Betreuung“.
In drei Runden diskutierten insgesamt 15 Teilnehmende mit verschiedenen Perspektiven zum
Thema mit dem Tisch-Gastgeber. Zentraler Mittelpunkt war die Frage, ob es nichts
Schlimmeres für einen Menschen mit Demenz gibt, als in ein Krankenhaus eingewiesen zu
werden? Und welche Maßnahmen notwendig sind, um Menschen mit Demenz den Aufenthalt
im Krankenhaus so angenehm wie möglich zu machen?
In den Gesprächen herausgekommen sind folgende Verbesserungsvorschläge/Anregungen:
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1) verbesserte Kommunikation zwischen allen Beteiligten
2) bessere Vernetzung von Hausarzt, Pflegediensten, Krankenhaus (konsequente Fortsetzung
von Punkt 1)
Konkrete Idee: Überleitungsbogen erstellen, in dem der Hausarzt vermerkt, welche
biografischen und sozialen Besonderheiten bei dem einzelnen Patienten zu beachten sind
3) Qualifizierung von Mitarbeitern: Schulungen zum Thema Demenz und Biografiearbeit
4) Wie kann man die pflegerische Situation im Krankenhaus verbessern? z.B. durch
„Rooming-In-Konzept“, bei dem Angehörige mit im Krankenzimmer untergebracht sind
5) Angstabbau bei dementen Patienten durch neue architektonische Lösungen und
beruhigende Beleuchtungssysteme in den Krankenhäusern
6) mobiles Krankenhausteam für demente Patienten in Seniorenheimen
7) „Teekesselchen-Projekt“ / Ehrenamtliche Betreuung im KH könnten Lösungen sein
(Beispiel: Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke)
8) Krankheitsbild „Demenz“ generell enttabuisieren
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Tisch 2: Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen in der Hausarztpraxis
In den meisten Fällen sind es die Hausärzte, denen bei regelmäßigen Untersuchungen
Veränderungen an ihren Patienten auffallen und die dann die Diagnose Demenz stellen
können. Der wesentlichste Beitrag des Hausarztes in der Demenzdiagnostik ist dabei das
frühzeitige Screening auf entsprechende kognitive Beeinträchtigungen und eine
entsprechende frühzeitige Therapieeinleitung. Dies, sowie die psychosoziale Betreuung von
Demenzerkrankten und ihren Angehörigen ist daher eine große Herausforderung für die
niedergelassenen Ärzte.
„Wichtig ist für Hausärzte vor allem, herauszufinden, was der Wille des dementen Patienten
ist, solange er diesen noch klar äußern kann“, erklärte Tisch-Gastgeber Dr. med. Guido Weber
in den Gesprächen mit insgesamt 12 Teilnehmenden, „dann versucht man die Therapie darauf
aufzubauen“.
Zusammen mit den Beteiligten diskutierte der Oeventroper Hausarzt darüber, welche
Möglichkeiten ein Team in einer Hausarztpraxis hat und welche Erwartungen insbesondere
Angehörige an das Team einer Hausarztpraxis haben.
Folgende Ergebnisse wurden in den drei Diskussionsrunden zusammengetragen:
1) bessere Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten bzw. Angehörigen
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2) Angehörige sollten dafür Sorge tragen, dass Hausärzte ein Übergabeblatt mit Angaben über
gesundheitliche Besonderheiten und biografischen Details des Patienten erstellen
3) Kompetenzprobleme bei der Betreuung, wenn Arztbesuche anstehen: Wer ist für den
Patienten zuständig und darf Entscheidungen treffen – Angehörige oder Pflegedienste?
4) Wartezeiten in Arztpraxen sind oft zu lang für Demenzerkrankte, z.B. wegen
Inkontinenzproblem sollte das Hausarztpraxisteam individuell berücksichtigen
5) Was tun, wenn sich der Hausarzt weigert, einen Hausbesuch zu machen?
Konkreter Vorschlag von Dr. Weber: Betroffene bzw. Angehörige sollten überlegen, ob
ein Hausbesuch wirklich nötig ist. Wenn ein Hausbesuch unumgänglich ist, sollten sie das
persönliche Gespräch mit dem Hausarzt suchen und ihn auf das Problem hinweisen. Wenn gar
nichts hilft, den Hausarzt wechseln und vorab erkundigen, ob der neue Wunscharzt
Hausbesuche macht
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Tisch 3: Spannungsfeld: Sicherheit oder Freiheitsentzug
„Freiheitsentziehende Maßnahmen“ ist ein Begriff aus dem Alltag der Altenpflege. Hiermit
sind Bettgitter, Gurtsysteme, die Gabe von Psychopharmaka oder auch eine abgeschlossene
Haustüre gemeint.
Freiheitsentziehende Maßnahmen kommen sowohl im stationären als auch im häuslichen
Pflegebereich zum Einsatz – begründet mit dem Wohl des Patienten, anderer Bewohner oder
dem Schutz der Allgemeinheit. Doch demgegenüber steht die Freiheit eines Menschen als
Rechtsgut („Die Würde des Menschen ist unantastbar“, Artikel 1 des Grundgesetz). Denn
Freiheitsentziehende Maßnahmen stellen einen erheblichen Eingriff in die Selbstbestimmung
und Selbständigkeit eines Pflegebedürftigen dar und sind deshalb auf das unbedingt
notwendige Maß zu beschränken.
Wie Tisch-Gastgeber Thorsten Kruse schilderte, stellt die medikamentöse Fixierung in dieser
Hinsicht ein großes Problem dar. Es ist eine freiheitsentziehende Maßnahme, die nicht
sichtbar ist und die anfangs oft unbemerkt bleibt. „Viele Menschen, die beruflich in der
Altenpflege arbeiten, wissen nicht, dass so etwas genehmigt werden muss und dass die
Medikamente nicht einfach so verabreicht werden dürfen“, so der Richter.
Zusammen mit insgesamt 23 Teilnehmenden, vor allem aus dem professionellen Pflegedienst
diskutierte der Tisch-Gastgeber in drei Gesprächsrunden darüber, welche Möglichkeiten und
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Grenzen hinsichtlich den freiheitsentziehenden Maßnahmen gibt. Hierbei wurden neben
Überlegungen zur Verbesserung der Situation viele Fragen aufgeworfen.
1) Welche Pflicht besteht für eine Einrichtung: Muss z.B. eine Begleitung stattfinden, wenn
eine leichte Gangunsicherheit vorliegt? Ist die Würde des Patienten wichtiger oder legt man
das Augenmerk auf die Sicherheit?
2) Warum braucht es eine gerichtliche Genehmigung für eine Pflegeeinrichtung, aber nicht
im häuslichen Bereich?
3) Welche Alternativen gibt es? Muss jede Fixierung wirklich sein?
„Werdenfelser Weg“: verfahrensrechtlicher Weg zur Reduzierung von
freiheitsentziehenden Maßnahmen
4) oft werden zu schnell Entscheidungen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen getroffen
wichtig sind entsprechend geschulte Verfahrenspfleger
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Tisch 4: Menschen mit Demenz im Dorf und in der Nachbarschaft
Menschen mit Demenz sind ein Teil unserer Gesellschaft. Sie begegnen uns in unserem
persönlichen Umfeld oder in der Nachbarschaft, im Supermarkt oder in der Arztpraxis, im
Friseursalon oder in Bus und Bahn.
Manchmal ist es nicht einfach, wenn ein Mensch mit Demenz Zeit oder Hilfe benötigt oder
sich herausfordernd verhält. Dementsprechend stellt sich für Außenstehende oft die Frage:
Wie verhält man sich den Betroffenen gegenüber richtig – sowohl im privaten als auch
beruflichen Bereich? Wie sollten beispielsweise Bankmitarbeiter reagieren, wenn ein
Betroffener mehrmals hintereinander hohe Geldbeträge von seinem Konto abhebt? Oder was
kann ich tun, wenn meine Nachbarin mit dem Morgenmantel zum Brötchen holen geht?
„Demenz ist in der Öffentlichkeit oft noch ein Tabuthema“, so Tisch-Gastgeberin Birgitt
Braun, „so wird zum Beispiel in Restaurants oder im Café mit Unverständnis reagiert, wenn
sich ein Mensch mit Demenz nicht konform verhält“. Ganz wichtig sei deshalb im Umgang
mit Menschen mit Demenz, das Thema offen im Dorf und in der Nachbarschaft, bei Freunden
und in der Familie anzusprechen, sagte die Expertin vom Demenz-Servicezentrum Region
Südwestfalen im Gespräch mit insgesamt 11 Teilnehmenden an ihrem Tisch.
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Folgende Anregungen/Ideen für einen verbesserten Umgang mit Menschen mit Demenz
wurden in den Diskussionen entwickelt:
1) Aufklärung / Enttabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit
2) Sensibilisierung der Öffentlichkeit 3) Schulung von Berufsgruppen zum Thema Demenz, die nicht direkt Menschen mit Demenz pflegen und betreuen (Polizei, Einzelhandel, Banken, Taxifahrer usw.) 4) Menschen mit Demenz gehören in die Gesellschaft: Teilhabe und Normalität 5) Diskussion über die Wohnform „Demenz-Dörfer“:
- Pro: Demenz-Dörfer gewähren Menschen mit Demenz in vielen Bereichen „Freiraum“
- Contra: ein Quartier nur für Menschen mit Demenz / Ausschluss aus der Gesellschaft ?
6) Mut bei allen Beteiligten.
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Tisch 5: Das liebe Geld: Die Pflegeversicherung von den neuen Regelungen ab 1. Januar
2013 bis zur MDK-Begutachtung
Die Pflege von Menschen mit Demenz kostet Geld – egal, ob sie zu Hause oder im
Pflegeheim geleistet wird. Obwohl die Pflege in den eigenen vier Wänden weitaus
kostengünstiger ist als die Unterbringung in einem Pflegeheim, reichen die staatlichen
Leistungen dennoch oftmals nicht aus, um alle Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und ihren
Angehörigen zu decken.
Seit der Einführung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes zum 1. Januar 2013 erhalten
Menschen mit Demenz verbesserte Leistungen, wenn sie zu Hause gepflegt werden. Es stellt
sich die Frage, ob dieses Gesetz die Situation der Betroffenen wirklich verbessert hat oder ob
eine grundsätzliche Reform der Pflegeversicherung längst überfällig ist?
Zusätzlich zu den finanziellen Gegebenheiten führt die Problematik der angemessenen
Einstufung bei der Begutachtung von Menschen mit Demenz häufig zu Unverständnis bei den
Angehörigen. Viele Angehörige stellen sich daher die Fragen: Wie kann die Lebenssituation
des Betroffenen während der Begutachtung realistisch abgebildet werden? Und, welche
Umstände sind für die Einstufung in die verschiedenen Pflegestufen tatsächlich relevant?
„Jede Familie mit einer pflegebedürftigen Person hat schon ihre Erfahrungen mit der
Begutachtung und Einstufung gemacht – nicht selten negative bzw. frustrierende
Erfahrungen“, so Tisch-Gastgeber Jochen Laible von der Diakonie Ruhr-Hellweg.
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Weiterhin wissen viele Familien mit Pflegebedürftigen nicht, welche Rechte sie haben und
welche Leistungen seitens der Pflegeversicherung ihnen zu stehen. Ein Schlüsselwort in
dieser Hinsicht sei beispielsweise die „Verhinderungspflege“, so der Experte.
An seinem Thementisch diskutierte er mit insgesamt 24 Teilnehmenden über die Erfahrungen
und Erwartungen, die Familien mit dementen Angehörigen an die Pflegeversicherung haben.
Außerdem formulierten die Teilnehmenden Anregungen und Wünsche, um die
Begutachtungssituationen zu verbessern:
1) Ablauf einer Begutachtungssituation sehr formal: Begutachter sind oft wenig sensibel,
Qualität der Begutachtungssituation je nach Gutachter sehr verschieden
aber: es gibt Richtlinien, an die sich alle Gutachter halten müssen
2) kompliziertes Einstufungsverfahren: Angehörige blicken nicht richtig durch
3) Leistungsrecht undurchsichtig: auf was habe ich Anspruch, wie hoch sind die Leistungen?
in der Hinsicht gibt es viele Defizite
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Tisch 6: Betreuung und Pflege zu Hause – eine Herausforderung mit Grenzen?!
„So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben und zu Hause versorgt werden“.
Das ist der Wunsch von vielen Pflegebedürftigen. In den meisten Familien wird dieser
Wunsch respektiert und die Pflege wird von Angehörigen in Eigenregie organisiert sowie
gewährleistet.
Doch für viele Familien stellt sich irgendwann die Frage, wie diese Betreuung auf Dauer
realisierbar ist? Denn neben den schönen Momenten und Erfahrungen, die die Pflege eines
Angehörigen mit sich bringt, ist es auch eine kräftezehrende Aufgabe für die Pflegenden. So
gehen sie nicht selten psychisch und physisch an ihre Grenzen – besonders dann, wenn eine
dementielle Erkrankung bei dem Pflegebedürftigen vorliegt.
„Die Pflege eines Angehörigen kann eine große Belastung sein“, so Thomas Kellermann vom
Caritas Verband Arnsberg-Sundern, „für Pflegende kann es daher eine gute Entlastung sein,
ihre Sorgen und Erfahrungen mit Gleichgesinnten zu teilen und so neue Impulse für den
Pflegealltag zu bekommen“.
Der Tisch-Gastgeber diskutierte mit 31 Teilnehmenden, was Pflege zu Hause im Detail für
die Beteiligten bedeutet und welche Lösungen sie für die alltäglichen Schwierigkeiten
gefunden haben. Herausgekommen dabei sind folgende Anregungen und Ergebnisse:
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1) psychische Grenzen / Belastungssituation ist sehr individuell, daher unterschiedliche
Lösungsansätze
2) alle Familienmitglieder (Geschwister, Kinder usw.) einbeziehen, bedeutet Entlastung
3) schlechtes Gewissen, den pflegebedürftigen Angehörigen abzugeben: Welche
Auswirkungen hat das auf die Beziehungsebene? Wie hoch ist der Preis für eine kurzfristige
stationäre Versorgung?
4) Unsicherheit in der Umwelt Unverständnis für Demenzkranke und ihre Angehörigen
5) individuelle Betreuung für zu Hause: Wo bekomme ich die?
6) Möglichkeit, als Familie/Ehepaar mit pflegebedürftigen Angehörigen verreisen zu können:
Wo gibt es spezielle Reiseangebote?
7) Wunsch nach telefonischer Beratung für Familien mit Pflegebedürftigen
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Tisch 7: Das Leben in einer Wohngemeinschaft – eine „wirkliche“ Alternative?
Während früher neben der Betreuung in den eigenen vier Wänden nur die Möglichkeit der
Unterbringung in einem Pflegeheim für demenzkranke Pflegebedürftige blieb, gibt es
mittlerweile viele verschiedene Alternativen. Eine davon ist das Leben in einer
Wohngemeinschaft mit anderen Betroffenen.
In einer solchen Wohngemeinschaft wohnen bis zu zehn Menschen mit Demenz in einer
barrierefreien Wohnung zusammen und werden rund um die Uhr von professionellen sowie
ehrenamtlichen Kräften betreut. Die zentrale Idee dahinter ist, eine familienähnliche Situation
und so viel „Normalität“ wie möglich zu schaffen. Das bedeutet, dass rüstige WG- Bewohner
sich an der Erledigung alltäglicher Aufgaben (wie z.B. Kochen) beteiligen können und das
Pflegepersonal in der WG zu Gast ist – nicht umgekehrt.
„Die Auswahl der Bewohner orientiert sich an Studenten-WG´s“, so Tisch-Gastgeber Ulrich
Sölken vom Caritas Verband Arnsberg-Sundern, „die Bewohner und ihre Angehörigen lernen
sich bei einem gemütlichen Kaffeetrinken kennen und schauen dann, ob sie zusammen
passen. Bisher haben die Zusammensetzungen immer funktioniert“.
Zusammen mit insgesamt 20 Teilnehmenden diskutierte er in drei Gesprächsrunden über die
Chancen und Grenzen einer solchen Betreuungsform sowie Finanzierungsmöglichkeiten.
Zentrale Punkte dabei waren die Fragen:
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1) Wie sieht der Alltag in einer WG aus? Wie ist es, wenn mehrere Menschen mit Demenz
zusammen leben?
2) Wann sollte ein Betroffener in eine WG einziehen? Gibt es einen richtigen Zeitpunkt
Einzelfallentscheidung, es gibt kein Patentrezept
3) Wie funktioniert das Zusammenleben? Wie werden Konflikte gelöst?
bisher hat der Caritas-Verband Arnsberg-Sundern nur positive Erfahrungen sammeln
können
4) Finanzierung: Wie möglich? Gibt es staatliche Unterstützung?
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Tisch 8: Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz
„Herausforderndes Verhalten“ im Sinne von kognitiven und psychischen
Verhaltensauffälligkeiten treten bei fast jedem Menschen mit Demenz früher oder später im
Krankheitsverlauf auf.
Die häufigsten Auffälligkeiten sind Agitation (Aufgeregtheit/Aktionismus), Depression,
Angst und Aggression. Diese Symptome können je nach Stadium der dementiellen
Erkrankung in unterschiedlicher Kombination, Dauer und Ausprägung auftreten. Die Auslöser
sind individuell sehr unterschieden, aber es ist sicher, dass jedes menschliche Verhalten
Gründe hat – so auch das Verhalten von Menschen mit Demenz.
So werden in vielen Fällen Ungeduld, Bevormundung, Fixierung, unangepasste
Beschäftigungsangebote und zu große, zu laute Personengruppen von den Betroffenen als
störend empfunden, was wiederum ein „herausforderndes Verhalten“ nach sich ziehen kann.
Für die Betroffenen, die Angehörigen und Pflegenden bedeuten diese kognitiven
Veränderungen meistens eine größere Belastung als körperliche Einbußen. Doch, wie können
typische ursächliche Missverständnisse zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden
vermieden werden? Und, wie sollte man reagieren, wenn ein Demenzkranker sich aggressiv
verhält?
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Über diese und weitere Fragen diskutierten die beiden Tisch-Gastgeberinnen Marita Ölenberg
und Cornelia Spitthoff-Schrage mit insgesamt 33 Teilnehmenden in den Gesprächsrunden.
Folgende Ergebnisse sind bei dem Erfahrungsaustausch heraus gekommen:
1) persönliche Betroffenheit der Angehörigen ist groß: vor allem bei einem Angriff auf die
eigene Person
2) Wichtig ist Geduld und Empathie zeigen: verstehender-liebevoller Umgang mit dem
Betroffenen
3) Nicht mit Demenzkranken streiten oder diskutieren, auf zu viele Fragen verzichten
3) gegenseitiger Austausch mit anderen Angehörigen hilft, Lösungsstrategien zu finden
4) Informationen über Krankheitsbild einholen mithilfe von Büchern, Workshops u.ä.
5) Problem: ständig wechselndes Pflegepersonal erschwert den Umgang miteinander
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Tisch 9: Wege für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
Wie eingangs beschrieben, leben aktuell in jedem dritten Privathaushalt Senioren ab 65
Jahren, die versorgt und gepflegt werden müssen. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent oder 1,62
Millionen) aller Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt.
Die Hauptlast der Pflege wird in den meisten Fällen von weiblichen Familienmitgliedern
getragen, vorwiegend von Ehefrauen, Töchtern und Schwiegertöchtern. Männer pflegen
seltener, wenn, dann handelt es sich um die Ehemänner der pflegebedürftigen Frauen. Ein
großer Anteil (ca. 40 Prozent) der Pflegepersonen sind noch im erwerbsfähigen Alter und
müssen somit Job und Pflege miteinander vereinbaren. Für viele von ihnen ist das nicht
einfach, für manche ist es sogar unmöglich. Denn oft ist die Doppelbelastung nur schwer zu
organisieren, was dazu führt, dass die Pflegenden ihre Erwerbstätigkeit aufgeben müssen.
Grade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird es für immer mehr Familien
zur Schlüsselfrage, wie es gelingen kann, den Beruf und die Pflegeaufgaben miteinander zu
vereinbaren? „Es ist daher sehr wichtig, Maßnahmen und Konzepte zu entwickeln, die
Unternehmen, Familien und pflegende Angehörige unterstützen“, so Tisch-Gastgeberin
Manuela Völkel von der Fachstelle Zukunft Alter.
Gemeinsam mit insgesamt 15 Teilnehmenden stellte die Mit-Organisatorin des World-Cafés
folgende Ergebnisse/Ansätze heraus:
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1) es sind meistens Frauen, die Pflege übernehmen dafür nehmen sie 400-Euro-Jobs in
Kauf und trauen sich nicht nach Sonderrechten beim Arbeitgeber zu fragen
2) manche Arbeitgeber zeigen Verständnis für Doppelbelastungssituation und ermöglichen
zum Beispiel einen Telearbeitsplatz zu Hause
3) der Beruf ist für viele Pflegende die einzige Möglichkeit, soziale Kontakte zu haben, die
meisten möchten daher die Arbeitsstelle nicht für die Pflege aufgeben müssen
4) Woher kommt die finanzielle Unterstützung, wenn Pflege dominiert?
5) Wo gibt es einen Pool von Menschen, die kurzfristig in Privathaushalten einspringen?
Konkrete Anregung: Für Arnsberg einen solchen personellen Pool einrichten.
6) Einführung des Familienpflegezeitgesetzes im Januar 2012: Die Familienpflegezeit soll
Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren Pflege
und Beruf zu vereinbaren. Problem: Viele kennen dieses Gesetz nicht bzw. wissen nicht,
welche Möglichkeiten es bietet.
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3. Schluss / Ausblick
„Es war ein sehr interessanter Nachmittag. Die heutige Veranstaltung hat viele Antworten
gegeben, aber auch viele neue Fragen aufgeworfen. Wichtig ist vor allem Achtsamkeit,
Achten und Beachten. Wir müssen noch mehr Fragen stellen. Das Thema Demenz wird ein
Dauerthema sein, wir werden alle älter und jeden betrifft es irgendwie und irgendwann
persönlich. Deshalb machen wir so eine Veranstaltung für uns alle. Arbeiten Sie weiterhin
kräftig mit daran die Lebenssituation für Menschen mit Demenz in Arnsberg zu verbessern“.
Hans-Josef Vogel , Bürgermeister Stadt Arnsberg
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir heute Nachmittag drei Lösungen
herausgearbeitet haben und die sind: Kommunikation, Kommunikation und nochmal
Kommunikation. Dass alle Beteiligten miteinander kommunizieren ist das Wichtigste“.
Manuela Völkel, Fachstelle Zukunft Alter
„Anhand der Ideen und Anregungen, die Sie heute eingebracht haben, werden wir versuchen,
das Arnsberger Netzwerk Demenz zu intensivieren, weiter zu entwickeln und zu verbessern.“
Martin Polenz, Fachstelle Zukunft Alter
„Wir sind mit dem Verlauf der Veranstaltung mehr als zufrieden. Die Rückmeldungen aller
Beteiligten sind sehr positiv. Nicht nur die Teilnehmer haben die Veranstaltung als
bereichernd erfahren, auch die Experten haben neue Perspektiven bekommen“.
Dirk Hammel, Moderator der Veranstaltung
Hier und heute entstehen einige Dinge. In einer Gesprächsrunde haben sich zwei Nachbarn
kennengelernt, die beide demente Angehörige betreuen. Das ist eine wunderbare Sache.
Vielen hat es gut getan, sich mal aussprechen zu können und zu merken, dass es anderen
Pflegenden oft genauso ergeht wie einem selber“.
Cornelia Spitthoff-Schrage, Gastgeberin von Tisch 8
„Ich freue mich sehr, hier gewesen zu sein. Es war eine äußerst interessante Veranstaltung
und ich nehme viele neue Anregungen mit, die ich bei meiner ehrenamtlichen Arbeit bei der
„Auszeit“ einbringen kann“.
Teilnehmerin der Veranstaltung
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Anhänge / Auflistung der gesammelten Diskussionsbeiträge
Tisch 1: Menschen mit Demenz/Delir im Krankenhaus
„Teekesselchen“
„Rooming in“
architektonische Lösungen
spezielle Stationen im Krankenhaus nur für Menschen mit Demenz
ambulantes medizinisches Versorgungsteam für Pflegeheime
Transparenz des Krankheitsbildes
intensives Aufnahmegespräch mit allen Berufsgruppen
Angst-Abbau
Ehrenamt: „Demenz-Service-Kraft“
Demenz-Betreuung durch Fachpersonal
bessere Vernetzung von Pflegeteams, Hausärzten und Krankenhäusern
verbesserte Kommunikation zwischen allen Beteiligten
Anwendung von § 87b „Vergütungszuschläge für Pflegebedürftige mit erheblichem
allgemeinem Betreuungsbedarf“
Tisch 3 Spannungsfeld: Sicherheit oder Freiheitsentzug
Fixierung durch Beruhigungsmittel in Heimen und Krankenhäusern ohne richterliche
Anordnung
Fixierung im Heim oder zu Haus: Wann muss Genehmigung vorliegen?
Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Häuslichkeit
Sicherheitsprobleme bei Dementen: Hilfe oder Pflicht eines Heimes?
Rechtliche Aspekte einer Fixierung
Rechtliche Bewertung der Fixierung bei häuslicher Pflege und Heimpflege
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Tisch 4 Menschen mit Demenz im Dorf und in der Nachbarschaft
Aufklärung und Enttabuisierung Sensibilisierung der Öffentlichkeit
ein aufmerksames und informiertes Umfeld schaffen Ansprechpartner kennen Schaffung eines Versorgungsnetzes, dass Menschen mit Demenz einen längst
möglichen Verbleib in der Häuslichkeit ermöglicht quartiersbezogene Wohn- Versorgungs- und Pflegearrangements schaffen Teilhabe von Menschen mit Demenz Normalität Mut
Tisch 6: Betreuung und Pflege zu Hause – eine Herausforderung mit Grenzen?!
„Schlechtes Gewissen“
„Es tut weh“ – Dement = Blöd Unsicherheit der Umwelt
„Preis“ der kurzzeitigen stationären Unterbringung
Psychische Grenzen:
- Geduldsprobe
- dauerhafte zeitliche Belastung
- Ungewissheit
Wünsche:
- Individuelle Betreuung zu Hause
- Telefonische Beratung zur Entwicklung von individuellen Lösungen
- mehr Akzeptanz
- bleibender Freundeskreis
- gemeinsame Reisen
- Kinder und Jugendliche an das Thema heranführen „Normalität“
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Tisch 7: Das Leben in einer Wohngemeinschaft – eine „wirkliche“ Alternative?
Kosten?
Konflikte untereinander?
Zeitpunkt: Wann umziehen?
Alltag in einer Wohngemeinschaft
Gemeinschaft
Klientel?
gegenseitige Unterstützung in der Wohngemeinschaft
Betreuungspersonal
ZAUN Stadt Demenz
Tisch 8: Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz
man darf ein schlechtes Gewissen haben
kontinuierlicher Umgang mit Pflegebedürftigen ist sehr wichtig
man muss flexibel sein, um gute Situationen auszunutzen
Hilfe suchen, entspannt
Gefahr, dass man das herausfordernde Verhalten persönlich nimmt
Wo kann ich Informationen bzw. Austausch bekommen?
Wie finde ich den richtigen Weg der Kommunikation?
Kann ich bzw. darf ich die dementen Menschen anlügen?
es ist wichtig, nicht zu fragen: Wie, Warum, Weshalb, Wer, Wo
demente Menschen haben ständiges Drängen nach Hause zu gehen
Beleidigungen seitens der dementen Menschen
Wesensveränderung der dementen Menschen
mangelnde Umgangsformen können belastend sein
Beobachtung: „Es kommt zu einer Akzentuierung des Verhaltens“
es ist wichtig, authentisch zu bleiben, man von dem, was man macht, überzeugt sein
liebevoller-verstehender Umgang
sehr wertvoll im Umgang mit dementen Menschen:
- Spaziergänge
- viel Licht (auch abends)
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- Berührungen
- Humor
- Empathie
- Geduld
durch Workshops gelernt mit dementen Menschen umzugehen
schwierig ist das ständig wechselnde Pflege- /Betreuungspersonal