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Das Magazin des deutschen Musiklebens. m 8,50 63280 juli– september 2009___3 7. jahrgang Wem gehört die Musik? Dieter Gorny: „Wer das digitale Problem löst, löst die Zukunft der Kreativwirtschaft“ Schaufenster der Vielfalt Wie fast 600 000 Menschen in ganz Deutschland den ersten Tag der Musik feierten Unbegrenzte Neugier Weltbürger Herbert Blomstedt und das Dirigieren: „Man fängt immer wieder bei Null an“ Die Nation der Schöpfer zwischen Neuland und Notstand

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Page 1: Das Magazin des deutschen Musiklebens. · 2020-02-13 · Das Magazin des deutschen Musiklebens. m 8,50 63280 juli–september 2009___3 7. jahrgang Wem gehört die Musik? Dieter Gorny:

Das Magazin des deutschen Musiklebens.

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juli– september 2009___37. jahrgang

Wem gehörtdie Musik?Dieter Gorny:„Wer das digitaleProblem löst,löst die Zukunft derKreativwirtschaft“

Schaufensterder VielfaltWie fast 600000Menschen in ganzDeutschland denersten Tag der Musikfeierten

UnbegrenzteNeugierWeltbürger HerbertBlomstedt und dasDirigieren:„Man fängt immerwieder bei Null an“

Die Nation der Schöpfer zwischen Neuland und Notstand

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MUSIK�ORUM

EDITORIAL

Christian HöppnerChefredakteur

QUIRLIGE

DAS LAND DER DICHTER UND DENKER IM NOTSTAND? Das Land der Schöpfer vor dem Untergang?Wo bleibt der Tatendrang auf dem Weg zu neuen Ufern? Wo bleibt das wirklich Neue in den Künsten? Befindenwir uns mit Dieter Bohlen auf dem Weg in die Kreativgesellschaft?

Es lebe der Augenblick… der Rückwärtsblick wird museal konserviert und der Blick nach vorn in den engenGassen virtueller Faszination vernebelt. Computerspiele sind mal eben per ordre de mufti – nicht nur von denParteien – zum Kulturgut deklariert worden. Wo Web 2.0 draufsteht, muss auch Kreativität drin sein.

Ohne Helmut Schmidts berühmtem Ratschlag („Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen“) folgenzu wollen, steht doch fest: So flüssig wie uns die Vision der Kreativgesellschaft von den Lippen geht, so weit sindwir von der kreativ-gesellschaft.de entfernt. Der Bindestrich ist noch ein Trennungsstrich.

Dabei ist es höchste Zeit, Weichen zu stellen für kreative Erfahrungen. Erfahrungen vor allem – aber nicht nur– mit der reichen Welt der Musik. Von Anfang an und ein Leben lang. Die Umsetzung dieser hinlänglich bekanntenErkenntnisse versickert in einer beispiellosen „Eventisierung“ der musikalischen Bildung und im Abbau kulturellerInfrastruktur. Kreativen Ideen, für die das Gerüst einer Projektkonzeption zweifellos eine erste Start- und Impuls-funktion haben kann, wird systematisch die Chance auf Nachhaltigkeit genommen. Denn überbordende Antrags-verfahren fordern jährlich aufs Neue Neues und Innovatives – und führen damit langfristig angelegte Konzeptead absurdum. Kreativität beschränkt sich ja bei Weitem nicht nur auf die Kreativwirtschaft, auch wenn der Hypeum diesen wichtigen Wirtschaftszweig das manchmal glauben machen will.

Am Anfang jeder kreativen Entwicklung steht der Urheber. Ohne existenzsichernde Rahmenbedingungen undein geistig-moralisches Klima der Wertschätzung kreativen Schaffens steuern wir auf einen gesellschaftspolitischenKolbenfresser zu.

Unsere Gesellschaft ist wahrlich kreativ geworden: in der Atemlosigkeit einer quirligen „Projektitis“. Viele laueLüftchen entfachen aber noch keinen Sturm. Die gegenwärtige Krise erfordert mehr Antworten als nur Abwrack-prämien und Konjunkturprogramme. Sie ist ein deutlicher Fingerzeig, dass unsere Gesellschaften im Interesseihrer Zukunftsfähigkeit höhere Prioritäten auf Bildung und Kultur setzen müssen. Dazu bedarf es eines weiterwachsenden Bewusstseins für den Wert der Kreativität und eines verstärkten Einsatzes von Ressourcen. Der Mutzu mittel- und langfristigen Vorsätzen muss sich auch für die Entscheidungsträger wieder lohnen. Vor allem in deröffentlichen Wahrnehmung und im öffentlichen Ansehen.

Ein Anfang wäre gemacht, wenn wir wenigstens das Ziel einer Wissens- und Kreativgesellschaft einschließlichder dazu notwendigen Rahmenbedingungen definieren würden.

Am 27. September ist Wahltag: Fragen Sie die Abgeordnetenkandidaten in Ihrem Wahlkreis, welchen Stellen-wert die kulturelle Vielfalt für sie hat und mit welchen Konzepten sie Nachhaltigkeit in der Bildungs- und Kultur-politik erreichen wollen. Berufungsgrundlagen gibt es zuhauf: die UNESCO-Konvention zum Schutz und zumAusbau der kulturellen Vielfalt, der Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ und der 2. BerlinerAppell des Deutschen Musikrats – um nur einige zu nennen.

Dies und vieles mehr finden sie unter: www.kreativ-gesellschaft.de

Ihr

Christian Höppner

»Projektitis«

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INHALT

Wohin geht die Kultur- und Kreativgesellschaft?Michael Söndermann über die Bedeutung eines wachsenden Wirtschafts-zweiges und die Beziehung von Künstlern und Verwertern

Wem gehört die Musik?Eine Leitbranche im Spannungsfeld zwischen analoger und digitalerZukunft. Von Dieter Gorny

„Ich hab kein Geld, aber du kannst es haben“Hamburg und sein Kreativpotenzial: Andrea Rothaug deckt dieprekären Arbeitsbedingungen von Musikschaffenden auf

Musikalische Denkstile – nur eine Frage der Kultur?Zwischen strukturellem und emotionalem Hören: Wie Menschen unddie Geschlechter in und über Musik denken. Von Gunter Kreutz

IM FOKUS:KREATIV-GESELL-SCHAFT.DE ?

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MUSIK�ORUM4

akzente b i ldung. forschungpor t rä t

Die Vielfalt an derWurzel packenKatja Sandschneider über den ersten„Tag der Musik“ und eine Welleöffentlicher, politischer und medialerWahrnehmung 41

Grieg – der EuropäerEin internationaler Kongress in Berlinverortet den norwegischen Komponistenneu. Ein Gespräch mit dem Leiter derEdvard Grieg-Forschungsstelle, PatrickDinslage 43

„Wir brauchen dieMusikschulen“Bundespräsident Horst Köhler beziehtStellung zur musikalischen Bildung.Claudia Wanner über den 20. Musikschul-kongress des Verbandes deutscher Musik-schulen in Berlin 52

Eine Hand für KinderModell Chorzentrum Hannover:Gudrun Schröfel beschreibt den Wegvom Singen im Kindergarten bis zumMasterstudiengang für Chorleitung 55

Leben für die Musik und daspolitische EngagementDie vielen Facetten der Lore Auerbach.Von Richard Jakoby 45

Von Antrieb undunbegrenzter NeugierBeweg- und Hintergründe einer Dirigenten-karriere: Andreas Bausdorf sprach mitMaestro Herbert Blomstedt 46

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Mit einem Lächeln im GesichtEckart Altenmüller über Entwicklung und Förderung von Kreativität

Zurück zum Theater der AntikeBeispiel Oper Leipzig: Die Rahmenbedingungen eines Theaters skizziertChristine Villinger / Gespräch mit Intendant Alexander von Maravic

Wie Europa durch Mozart innovativ wirdSimone Dudt zum „Europäischen Jahr der Kreativität“

Es geht um die Freiheit der KunstWie die Künstlersozialkasse die soziale Basis für kreatives Handeln schafft

Working Poor: Jungkomponisten in DeutschlandMarkus Kritzokat über kreative Einzelkämpfer und unbeirrte Selbstausbeuter

2320

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fokus

30

Im Zwiespalt derCreative EconomyLeben und überleben als Kreative:Die Musikerin und „DJane“Maya Consuelo Sternel 35

„Wissen allein isttotes Kapital“Orchesterchef Albert Schmitt zurKreativgesellschaft und sozialenVerantwortung von Musikern 39

Was Kreativität fürmich bedeutet…Eine Umfrage unter Musikern ab 1133

Titelbild

: Jakub W

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5MUSIK�ORUM

MUSIK�ORUM

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dokumentat ion DMR aktuell

Informationen aus den Projekten, Mitglieds-verbänden und Fachausschüssen desDeutschen Musikrats

Supplement nach Seite 40

neuetöneMiteinander und mittendrinDas Netzwerk Neue Musik und dieMusikkultur in Deutschland 57

Für die Oper von morgenDie „Akademie Musiktheater heute“setzt Impulse für die Erneuerung desMusiktheaters 58

wir t schaf t . rechtZwangsehe von Einzelteilen?Die „Musikwirtschaft“ und ihre Definitions-probleme für Politik und Medien 60

Funkfrequenzen für MikrofoneQuo vadis: drahtlose Technik? 61

rubr ikenEditorial 3Nachrichten 6Präsentiert: Interkulturelle Akademie 63Rezensionen: CDs und Bücher 64Finale / Impressum 66

Verdienter Lohn für Ideenund InnovationDer Deutsche Musikrat und die Stiftung„100 Jahre YAMAHA“ zeichneten mit demINVENTIO 2008 bereits zum fünften Malinnovative musikpädagogische Projekte aus

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MUSIK�ORUM6

personaliaDer Medienfachmannund Manager MartinHoffmann (Bild) wirdneuer Intendant der Ber-liner Philharmoniker. Erübernimmt das Amt zum1. September 2010 vonPamela Rosenberg, diedieses seit 2006 innehat.+++ Der frühere BremerRegierungschef Henning Scherfist in seinem Amt als Präsident desDeutschen Chorverbandes (DCV)bestätigt worden. +++ Der Hoch-schulrat der Hochschule für MusikNürnberg hat den 38-jährigen Mar-tin Ullrich zum neuen Präsidentender Hochschule gewählt. Ullrich warzuvor als Professor für Musiktheorie

an der Universität derKünste in Berlin tätig.+++ Der schwedischeDirigent Niklas Willénübernimmt ab der Spiel-zeit 2009/10 den Postendes Generalmusikdirektorsund Chefdirigenten desVolkstheaters Rostock undder Norddeutschen Phil-

harmonie Rostock. +++ Die OperLeipzig hat mit Ulf Schirmer abder Spielzeit 2009/10 einen neuenGeneralmusikdirektor. +++ Ab derSpielzeit 2011/12 wird PeterSpuhler Generalintendant amBadischen Staatstheater. +++ HansChristoph Kliebes ist zum neuenPräsidenten der Genossenschaft

Deutscher Bühnen-Angehöriger ge-wählt worden. Damit ist er Nachfol-ger von Hans Herdlein, der seit1972 im Amt war und mit demTitel des Ehrenvorsitzenden geehrtwurde. +++ Kölns KulturdezernentGeorg Quander hat dem baden-württembergischen KultusministerPeter Frankenberg mitgeteilt, dass erfür das Amt des Stuttgarter Opern-intendanten nicht mehr zur Verfü-gung steht. +++ Der 34-jährige ita-lienische Komponist Stefano Bul-fon wurde zum Franz Liszt-Stipen-diaten 2009 der Hochschule fürMusik Franz Liszt Weimar auserko-ren. +++ Elisabeth Kozik (46)ist neue Organisationsleiterin desARD-Musikwettbewerbs.

� Abgabesatz sinkt: Mit dem jetzt vom Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales vorgelegten Ver-ordnungsentwurf wird die Künstlersozialabgabe von

derzeit 4,4 Prozent um 0,5 Prozent auf 3,9 Prozentim Jahr 2010 abgesenkt.�„Jeki“ gehtins dritte Jahr: 43300 Kinder an 522

Grundschulen werden nach den Ferienam Modellprogramm „Jedem Kind einInstrument“ im Ruhrgebiet teilnehmen,

darunter 27700 Erstklässler. �Hamburgbekommt ersten Musikkindergarten: Unter

Beteiligung der Philharmoniker Hamburg und derKünstler der Staatsoper Hamburg ist ein Musik-

kindergarten in der Hansestadt geplant. Ziel:Bildung durch Musik im Kleinkindalter möglich zumachen. �Deutscher Bühnenverein warnt vor

Gefahren für das Ensemble- und Repertoire-theater: Durch Abbau und vermehrteGastverträge seien in den vergangenen

15 Jahren 7000 Arbeitsplätze bei denTheatern und Orchestern verloren gegan-

gen. �Popkomm 2009 wegen Wirt-schaftsflaute ausgesetzt: Im Sommer 2010

soll die Branchenplattform und Musikmessemit einem veränderten Gesamtkonzept

wieder in Berlin stattfinden. �

NACHRICHTEN

Der Deutsche Musikrat appellier-te an die Mitglieder des DeutschenBundestags, die rechtlichen Vo-raussetzungen für eine erfolgrei-che Umsetzung der „UNESCO-Konvention zum Schutz und zurFörderung der Vielfalt kulturellerAusdrucksformen“ zu schaffen.

„Der Vorschlag des Vorsitzendendes Bundestagsausschusses für Kul-tur und Medien, Hans-Joachim Otto(FDP), ein nationales UNESCO-Welt-erbe-Ausführungsgesetz zu verabschie-den, macht deutlich, dass es offen-kundig bei der Umsetzung derUNESCO-Konventionen generell Lü-cken gibt“, beklagte Christian Höpp-ner, Generalsekretär des DeutschenMusikrats. „Es kann nicht sein, dasseine vom Bundestag ratifizierteUNESCO-Konvention mit völker-rechtlicher Verbindlichkeit bei derUmsetzung auf Länder- und Kom-munalebene keine Bindungswirkungentfaltet. Deshalb ist es noch in die-

¸ Kulturelle Vielfalt schützen: UNESCO-Konvention muss für alle verbindlich sein

ser Legislaturperiode dringend gebo-ten, auch die UNESCO-Konventionzum Schutz und zur Förderung derVielfalt kultureller Ausdrucksformenin diese Ausführungsgesetzgebung miteinzubeziehen.“

Kulturelle Vielfalt bilde das Fun-dament des Kulturlandes Deutschland,so Höppner. Die drei Grundsäulender UNESCO-Konvention – derSchutz und die Förderung des kultu-rellen Erbes, der zeitgenössischen,künstlerischen Ausdrucksformen undder Kulturen anderer Länder inDeutschland – seien in Bezug auf de-ren Gleichrangigkeit und die Rahmen-bedingungen für die kulturelle Viel-falt defizitäre Bereiche. „Deshalb mussdie Umsetzung der UNESCO-Kon-vention vor Ort Wirkung zeigen, da,wo kulturelle Vielfalt zu Hause ist“,forderte der DMR-Generalsekretär.„Das Musikland Deutschland lebt vondieser Vielfalt – von der Musikschu-le bis zum Opernhaus.“

Erstmals wurde der von der GEMA initiierte Deutsche Musikautorenpreisverliehen (Bild oben), mit dem zukünftig jährlich Komponisten und Text-dichter ausgezeichnet werden sollen. Die Preise für herausragende Qualitätihrer Werke gingen an Martin Böttcher (Komposition Filmmusik), Judith Holo-fernes (Text Pop-Rock), Manfred Trojahn (Komposition Sinfonik), Niels Frevert(Komposition Independent), Die Fantastischen Vier (Text HipHop), Detlev Gla-nert (Komposition Musiktheater), Peter Fox (Komposition Pop-Rock), Kai-UweKolkhorst (Nachwuchsförderung), Annette Humpe (Erfolgreichstes Werk) undFilmmusik-Legende Peter Thomas (Lebenswerk). Foto: Thomas Rosenthal

Premiere für Deutschen Musikautorenpreis

Der Deutsche Musikrat initi-iert im kommenden Jahr ge-meinsam mit den beiden gro-ßen Kirchen und den kirchen-musikalischen Dachorganisa-tionen die bundesweite Aktion„Einheit durch Vielfalt – Kir-chenMusik in Deutschland“.

Schwerpunkte des Kongressesin Berlin vom 14. bis 17. Okto-ber 2010 werden folgende The-men sein:

• Die Spannung zwischen Li-turgie, Verkündigung und ästhe-tischer Darstellung

• Kirchenmusik als Wertever-mittlung?

• Kirchenmusik als Ort derFreiheit oder als Medium der Ver-einnahmung?

• Kirchenmusik im sozio-öko-nomischen Kontext

Zusätzlich wird ein Komposi-tionswettbewerb ausgelobt, umeine gemeinsame Erkennungsme-lodie für alle Veranstaltungen derAktion zu haben.

Weitere Informationen:U www.einheitdurchvielfalt.de

¸ Kirchenmusik: Ein-heit durch Vielfalt

© dpa

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ausgezeichnetPianist und DirigentMarino Formenti(Bild) erhielt den mit20 000 Euro dotiertenBelmont-Preis 2009 fürzeitgenössische Musik derForberg-Schneider-Stif-tung. +++ Mit dem Wei-marpreis 2009 wird derDirigent Peter Gülkeausgezeichnet, der ab 1981 General-musikdirektor der Stadt war und1983 die DDR verließ. +++ DerPrätorius Musikpreis Niedersachsengeht in diesem Jahr u. a. an IngoMetzmacher. Er erhält für seineArbeit den „Preis für herausragendekünstlerische Leistung“, dotiert mit10000 Euro. Der „Musikinnovations-

preis“, dotiert mit 8000Euro, geht an die Inter-nationale EnsembleModern Akademie(IEMA). Der KomponistJohannes Schöllhornerhält den mit 8000 Eurodotierten Kompositions-preis. +++ Die DeutschePhono-Akademie – das

Kulturinstitut des BundesverbandsMusikindustrie – hat die ECHOKlassik-Preisträger 2009 bekanntgegeben. Die Trophäe wird am 18.Oktober in der Dresdner Semper-oper in 21 Kategorien an 59 Preis-träger verliehen. Ausgezeichnetwerden u. a. Elına Garanca,Christian Gerhaher, David

Fray, Sylvain Cambrelingund Plácido Domingo. DasZDF überträgt die Gala. +++ DerDirigent Frieder Bernius erhältin diesem Jahr die Bach-Medailleder Stadt Leipzig. +++ Der mit10000 Euro dotierte Musikpreisdes Kulturkreises der deutschenWirtschaft wird 2009 an den inBerlin lebenden Cellisten Valen-tin Radutiu verliehen. +++ Derösterreichische Komponist Johan-nes Maria Staud wird in diesemJahr mit dem mit 20000 Eurodotierten Paul Hindemith-Preis aus-gezeichnet. +++ Der Preis desKlavier-Festivals Ruhr 2009 gehtan den ungarischen Pianisten An-drás Schiff. +++

¸ Unterstützung fürStaatsziel Kultur

In Berlin wurde eine Interna-tionale Leo-Kestenberg-Gesell-schaft gegründet.

Ziel der Gesellschaft ist es, diewissenschaftliche Forschung zurkünstlerischen und kulturpoliti-schen Arbeit des jüdisch-stämmi-gen Pianisten und Musikpädago-gen Leo Kestenberg zu fördern,die Quellentexte wissenschaftlichzu erschließen, eine internationaleVernetzung der Forschungsakti-vitäten herzustellen und die Zu-sammenarbeit mit Kestenberg-Ins-titutionen und Archiven in allerWelt zu unterstützen. WeitereInformationen:U www.leo-kestenberg.com

¸ Mehr Forschungzu Kestenberg

Mit Witz, aber ohne Kindertümlichkeit und Verzicht auf künstlerische Qua-lität präsentierten die Bayreuther Festspiele unter dem Motto „Richard Wagnerfür Kinder“ eine eigens für Kinder bearbeitete Fassung des FliegendenHolländer (Bild oben). Die Produktion für Kinder im Alter von sechs bis zehnJahren entstand in Kooperation mit dem Studiengang für Musiktheaterregiean der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Familienministerin Ursula von derLeyen zeigte sich in der Premiere vom Bayreuther Beitrag zur kulturellen Bil-dung sehr angetan. Für die neue „Hausherrin“ Katharina Wagner war es einglänzender Einstand – zumindest im Rahmenprogramm. Foto: Enrico Nawrath

Premiere für „Richard Wagner für Kinder“Orchesterlandschaftals Weltkulturerbe?

Die deutsche Orchesterland-schaft soll in die Liste desUNESCO-Weltkulturerbesaufgenommen werden. Diesforderte die Delegiertenver-sammlung der Deutschen Or-chestervereinigung (DOV) inErfurt. Etwa ein Viertel allerOrchester der Welt seien inDeutschland beheimatet. Die-se einzigartige Orchesterland-schaft gelte es zu schützen.Weltweit werden rund 560professionelle Kulturorches-ter gezählt. In Deutschlandbestehen derzeit 133 über-wiegend öffentlich finanzierteKulturorchester sowie siebenRundfunkchöre und vierRundfunk-Bigbands.

Musiklehrer-Ausbildung mit mehr MedienkompetenzDie Hochschule für Musik undTheater Hannover (HMTH) willverstärkt den Schulmusiker-Nach-wuchs fördern.

Der Fachkräftemangel bedingt denAusfall von Musikunterricht an Schu-len und die damit verbundene feh-lende musikalische Bildung. DieHMTH startet nun eine langfristigeOffensive mit dem Ziel der Verbes-serung dieser Situation. In ihrer neu-en Studienordnung ist eine verstärk-

te praxisorientierte Ausbildung in derBachelor- und Masterphase verankert.Computer-, Film- und Aufnahmetech-nologien sollen verstärkt in die Lehr-veranstaltungen und Tutorien einge-bunden und praktische Anwendungs-möglichkeiten der neuen Medien imUnterricht aufgezeigt werden. Als Auf-takt diverser Initiativen wird das Ins-titut für musikpädagogische Forschungim November 2009 eine „Woche derSchulmusik“ in Hannover ausrichten.

Der Deutsche Musikrat bedau-ert, dass in dieser Legislatur-periode das Staatsziel Kulturkeinen Eingang in das Grund-gesetz findet. Er unterstütztKulturstaatsminister BerndNeumann in seiner Absicht, dieVerankerung des StaatszielsKultur im Grundgesetz in dernächsten Legislaturperiode zurealisieren.

„Wir appellieren an alle Bür-ger, sich für ein Staatsziel Kulturbei den Parteien zu engagieren“,erklärte Christian Höppner, Ge-neralsekretär des DeutschenMusikrats. „Die Verankerung desStaatsziels Kultur im Grundgesetzist für die Kulturnation Deutsch-land seit langem überfällig undgewinnt durch die Finanz- undWirtschaftskrise sowie durch dievon der Welthandelsorganisationangestoßene Diskussion zu Wett-bewerbsverzerrungen im Kultur-bereich an zusätzlicher Bedeu-tung.“ Jetzt läge die Verantwortungvor allem bei den Parteien. Eskomme darauf an, verbindlicheAussagen der Parteien für dieAufnahme des Staatsziels Kulturzu erhalten, damit dieses ThemaEingang in die nächste Koalitions-vereinbarung finde.

© Gyula Fodor

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MUSIK�ORUM8

FOKUS

Die zuletzt genannte Initiative wird feder-führend vom Bundeswirtschaftsministeriumund vom Beauftragten der Bundesregierungfür Kultur und Medien getragen. Dieses Tan-dem vereint die „Koordinatoren der Bundes-regierung“ in Sachen Kultur- und Kreativwirt-schaft. Sie arbeiten seit der Gründung derInitiative im Mai 2008 eng miteinander zu-sammen. In ihrem Auftrag hat eine Autoren-gruppe ein Forschungsgutachten1 zur Kultur-und Kreativwirtschaft erstellt und einige er-staunliche Ergebnisse vorgelegt, auf die imFolgenden Bezug genommen wird.

Die volkswirtschaftlicheDimension

Die Kultur- und Kreativwirtschaft wirdschon seit Langem nicht mehr nur als Image-faktor, sondern als eigenständiges Wirtschafts-feld begriffen, das dauerhaft als Wachstums-branche zu etablieren ist. In der Kultur- undKreativwirtschaft wird bereits heute in zu-kunftsorientierten Arbeits- und Geschäftsmo-dellen gearbeitet, wie z. B. in der Verbindungvon Arbeits- und Lebensformen. Darüberhinaus ist die Branche außerordentlich inno-vativ und erweist sich als wichtige Quelle füroriginäre Ideen. Ihre Produktion besteht imWesentlichen aus Prototypen, Einzelanferti-gungen, Kleinstserien und immateriellen Pro-dukten. Häufig wird projektspezifisch produ-ziert und entwickelt. Fast alle Unternehmender Kultur- und Kreativwirtschaft nutzenmoderne Technologien, allen voran Informa-tions- und Kommunikationstechnologien. Siesind dabei nicht nur passive Nutzer, sonderngeben den Technologieherstellern und -ent-wicklern immer wieder wichtige Impulse fürneue Technologievarianten.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft leistetezur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung inDeutschland im Jahr 2006 einen Beitrag inHöhe von 61 Milliarden Euro (siehe Abb. 1).Das entspricht einem Anteil von 2,6 Prozentam Bruttoinlandsprodukt. Im Vergleich zu

WOHIN GEHT DIE

Das Thema Kultur- und Kreativ-wirtschaft ist in der Politik,

der Wirtschaft und der medialenÖffentlichkeit allgegenwärtig.Ein Verdienst auch der Enquete-Kommission „Kultur in Deutsch-land“ des Deutschen Bundestages,der Wirtschaftsministerkonferenzder Länder und der „InitiativeKultur- und Kreativwirtschaft“ derBundesregierung.

ausgewählten klassischen Wirtschaftsbranchenwie der Automobil- oder Chemieindustrienimmt die Kultur- und Kreativwirtschaft ei-nen Mittelplatz ein. Die Automobilindustrieerreichte 2006 einen Bruttowertschöpfungs-betrag von 71 Milliarden Euro und einen Anteilvon 3,1 Prozent, die Chemieindustrie einenBetrag von 49 Milliarden Euro und einen An-teil von 2,1 Prozent. Auf der Basis der posi-tiven Erwerbstätigenentwicklung der Kultur-und Kreativwirtschaft in den Jahren 2006 bis2008 wird der Bruttowertschöpfungsbetrag– konservativ geschätzt – für das Jahr 2008eine Höhe von 63 Milliarden Euro erreichen.

Gerade aufgrund ihres volkswirtschaft-lichen Stellenwerts wird die Bedeutung derKultur- und Kreativwirtschaft in Politik undVerwaltung, bei den Verbänden und Kam-mern, in der Medienöffentlichkeit und in derForschung zunehmend anerkannt.

Die Fragen

Trotzdem ist es gerade für eine kulturpo-litische Sichtweise nicht ganz einfach, sich mitdiesem Wirtschaftssektor anzufreunden. Schondie Verwendung der Begriffe Kulturwirtschaftund Kreativwirtschaft bereiten Kopfzerbre-chen. Wovon ist da eigentlich die Rede?

Abb. 1: Beitrag der Kultur- undKreativwirtschaft zur Bruttowert-schöpfung im Branchenvergleich2006. Die Schätzungen basieren aufden Angaben der volkswirtschaftlichenGesamtrechnungen (Angaben inMilliarden Euro).

Michael Söndermann beschreibt die Bedeutung eines stetig

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Auch die Verdichtung der Kultur- und Krea-tivwirtschaft auf eine volkswirtschaftlicheKennzahl vermag nicht alle kulturpolitisch In-teressierten zu überzeugen. Sind doch Kunst-,Kultur- oder auch Kreativproduktion eine schierunendlich verzweigte und heterogene Ange-legenheit, die keinesfalls ausschließlich volks-wirtschaftlichen Gesetzen folgt. So unterliegtdie Entstehung und Produktion von Büchernanderen Gesichtspunkten als die Produktionim Rundfunkbereich oder gar im Theater-sektor. Der Generalverdacht, dass Kultur nichtsmit Wirtschaft und Wirtschaft nichts mit Kulturzu tun habe, ist immer griffbereit.

Dies alles berührt zentrale Fragen derDefinition und Abgrenzung der Kultur- undKreativwirtschaft.

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9MUSIK�ORUM

Kultur- und Kreativwirtschaft?

wachsenden Wirtschaftszweiges und die zukünftige Beziehung von Künstlern und Verwertern

Das abgestimmteGrundmodell

Spätestens seit dem Abschlussbericht derEnquete-Kommission „Kultur in Deutschland“2

hat sich in diesem Diskussionsprozess einegrundlegende Weichenstellung ergeben. Erst-mals konnte in dem Forschungsgutachten,das in der Folge des Enquete-Berichts erstelltwurde, ein abgestimmtes Grundmodell zurDefinition und Abgrenzung der Kultur- undKreativwirtschaft vorgelegt werden.

Dieses Grundmodell stimmt sowohl mitden Festlegungen der Wirtschaftsministerkon-ferenz der Länder3 als auch mit den Ergebnis-sen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutsch-land“ des Deutschen Bundestages überein. Da-mit ist ein verlässlicher empirisch-quantitativer

Rahmen für den bislang heterogenen Bran-chenkomplex der Kultur- und Kreativwirt-schaft verfügbar. Durch die Verständigung derdrei Ebenen Bundesregierung, Bundestag undBundesländer über einen einheitlichen Kernund eine einheitliche Branchenabgrenzungkonnte endlich die bisherige Zwiespältigkeitbei der Betrachtung der Kultur- und Kreativ-wirtschaft überwunden werden.

Das Wirtschaftsfeld Kultur- und Kreativ-wirtschaft umfasst demnach folgende elfKernbranchen oder Teilmärkte:

1. Musikwirtschaft2. Buchmarkt3. Kunstmarkt4. Filmwirtschaft5. Rundfunkwirtschaft6. Markt für darstellende Künste7. Designwirtschaft8. Architekturmarkt9. Pressemarkt

10. Werbemarkt11. Software-/Games-Industrie

Zu den charakteristischen Merkmalenzählen:

˜ Unter Kultur- und Kreativwirtschaftwerden diejenigen Kultur- und Kreativunter-nehmen erfasst, die überwiegend erwerbs-wirtschaftlich orientiert sind und sich mit derSchaffung, Produktion, Verteilung und/odermedialen Verbreitung von kulturellen/krea-tiven Gütern und Dienstleistungen befassen.

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Kreativität und Wirtschaft– wirklich unvereinbar?

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MUSIK�ORUM10

˜ Der wirtschaftlich verbindende Kernjeder kultur- und kreativwirtschaftlichen Aktivi-tät ist der so genannte schöpferische Akt.Damit sind alle künstlerischen, literarischen,kulturellen, musischen, architektonischen oderkreativen Inhalte, Werke, Produkte, Produk-tionen oder Dienstleistungen gemeint, die alswirtschaftlich relevanter Ausgangskern denelf Teilmärkten zugrunde liegen.

˜ Es wird erstmals die so genannte Bin-nensegmentierung als Grundelement einerUntersuchung zur Kultur- und Kreativwirt-schaft eingeführt. Damit ist gemeint, dass derBranchenkomplex erst durch die grundlegendverschiedenen Unternehmenstypen mit ih-ren jeweiligen strukturellen Besonderheitengeprägt wird. Die Binnensegmentierung un-terteilt die Unternehmenstypen nach denKleinstunternehmen bzw. Freiberuflern, nachden klein- und mittelständischen Unterneh-men und nach den Großunternehmen. Jederdieser drei Akteure hat sowohl in empirischerHinsicht als auch nach seinen strukturellenBesonderheiten eine eigenständige Position.

Die besondere Stellungder Künstler-, Kultur- undKreativberufe

Immer wieder wird auf die besondere Rolledes Urheberrechts als die wesentliche Meta-pher der Kultur- und Kreativwirtschaft ver-wiesen. Oder die fortschreitende Digitalisie-rung wird zum Stichwort, das über Wohl undWehe der Kultur- und Kreativwirtschaft ent-

scheidet. Solche fundamentalen Betrachtun-gen sind nicht unberechtigt. Da hier jedochoft in abstrakt-juristischen Kategorien argu-mentiert wird, bleibt der Kern der Kultur-und Kreativwirtschaft oft im Dunkeln: dieKünstler-, Kultur- und Kreativberufe. DieseKünstler sind in der Regel die Originärpro-duzenten oder Urheber eines Werks oderschöpferischen Akts, die in einer fundamen-talen Beziehung zu ihren Verwertern stehen.Ohne die Werke und Leistungen der Schrift-steller, Komponisten, Interpreten, Bühnen-künstler, Filmemacher und/oder bildendenKünstler gäbe es keine Kultur- und Kreativ-wirtschaft. Sie sind Urheber, Originärprodu-zenten oder Dienstleister, ohne die keineFilmfirma, kein Musikkonzern, kein Buchverlagund ebenso kein Galerist etwas zu verwer-ten und zu verbreiten hätte.

Am Beispiel der Entwicklung der freibe-ruflichen Musiker wird ein dramatischer Struk-turwandel stellvertretend für die Kulturbe-rufe sichtbar (siehe Abb. 2). Existierten imJahr 1991 nach Angaben der Künstlersozial-kasse erst 12000 freiberufliche Musiker (nochohne ca. 2000 ostdeutsche Musiker), warenes zum Jahr 1995 bereits rund 20000 freie

Musiker. Damit erreichte diese Zahl bereitsdas Kontingent der abhängig beschäftigtenMusiker (20300) in den öffentlich finanzier-ten Kultureinrichtungen oder der abhängigbeschäftigten Musiklehrer (20700) in denMusikschulen mit sozialversicherungspflich-tigen Verträgen (zusammen rund 41000Beschäftigte). Während jedoch die Zahl die-ser sicheren Arbeitsplätze in den beiden Be-rufsgruppen des öffentlichen Kulturbetriebswährend der Folgejahre stagnierte und spä-testens seit dem Jahr 2001 zwar langsam, aberstetig zurückgeht, steigt die Zahl der freibe-ruflichen Musiker kontinuierlich weiter an.Das Ergebnis dieser divergierenden Entwick-lung ist für das aktuelle Jahr 2008 überdeut-lich zu erkennen: Rund 44000 freiberuflicheMusiker stehen etwa 36000 abhängig be-schäftigten Musikern/Musiklehrern gegen-über. Dass diese Entwicklung nicht nur dasErgebnis eines wachsenden Bewusstseins derfreien Musiker ist, sich in der Künstlersozial-kasse (KSK) zu organisieren, wird daraus er-sichtlich, dass auch die Zahl der freiberuf-lichen Musiker, die über das Finanzamt alsSelbstständige registriert sind, stark zugenom-men hat.

Der Musikmarkt muss heute die überwie-gende Zahl der Musiker aufnehmen, die inden unterschiedlichsten Aktivitäten entwe-der als Selbstverwerter oder als Auftragneh-mer für die Musikverwerter in der Tonträ-gerindustrie, den Musikverlagen, denSendeunternehmen, den Veranstaltungsagen-turen oder außerkulturellen Wirtschaftsbe-reichen arbeiten.

. Abb. 2:Entwicklung der Musikberufeim Vergleich (freiberuflich tätigeund abhängig beschäftigtePersonen 1991-2008).

Quellen: Freiberufliche Musikberufe nachKünstlersozialkasse (KSK); Sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigte (SVB)/Bundesagentur fürArbeit Nürnberg (BO 831 u. 875), eigene Be-rechnung Arbeitskreis Kulturstatistik e. V.

Der Generalverdacht, Kultur habenichts mit Wirtschaft und Wirtschaftnichts mit Kultur zu tun, ist überholt

FOKUS

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Fazit

Der Generalverdacht, dass Kultur nichtsmit Wirtschaft und Wirtschaft nichts mit Kulturzu tun habe, ist angesichts solcher Struktur-veränderungen nicht mehr auf der Höhe derZeit. Der Start der Initiative Kultur- und Krea-tivwirtschaft der Bundesregierung war des-halb eine richtige und wichtige Entscheidungder beiden Fachminister für Wirtschaft undKultur. Kulturpolitik bezog sich bisher auf dieUrheber und Originärproduzenten – und hierhäufig auch nur auf das „Kunstwerk“. Wirt-schaftspolitik konzentrierte sich bisher „nur“auf die mittelständischen und großen Ver-werter. Die kleinen und kleinsten Unterneh-men, Büros, Ateliers tauchten im Blickfeldder Wirtschaftspolitik kaum auf.

Das Tandem Bundeswirtschaftsministe-rium und Beauftragter der Bundesregierungfür Kultur und Medien, die jeweils eigeneKoordinatoren für Kultur- und Kreativwirt-schaft installiert haben, sollte nun durch zahl-reiche Folge-Tandems in den Länderadmi-nistrationen und in den städtischen Verwal-tungen vervielfacht werden. Denn der zu-künftige kultur- und kreativwirtschaftlicheProzess ist lebensnotwendig für die Kompo-nisten, Autoren und Interpreten, die darstel-lenden und bildenden Künstler, für Desig-ner, Architekten, Werbegrafiker und Games-entwickler.

Unter diesem Aspekt gehören die Bezie-hungen zwischen den Künstler-, Kultur- oderKreativberufen und den Verwertern zu denzentralen Fragestellungen, die die Gesamt-entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaftin Deutschland in den nächsten Jahren prä-gen wird.

1 Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft2009 im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftund Technologie innerhalb der Initiative Kultur- undKreativwirtschaft der Bundesregierung; Autorenteam:Michael Söndermann (Büro für Kulturwirtschaftsforschung,Köln), Christoph Backes (Creative Business Consult,Bremen), Dr. Olaf Arndt und Daniel Brünink (PrognosAG Berlin).2 Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ desDeutschen Bundestages: Abschlussbericht 2007 (KapitelKultur- und Kreativwirtschaft), Drucksache 16/7000Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode.3 Wirtschaftsministerkonferenz: Beschluss der Wirtschafts-ministerkonferenz der Länder am 9./10. Juni 2008 inRegensburg zu Top 5 „Kreativwirtschaft – Verbesserungder Rahmenbedingungen für eine Wachstumsbranche“.

Der Autor:Michael Söndermann ist ehrenamtlicher Vorsitzenderdes Arbeitskreises Kulturstatistik e. V., Bonn, Mitgliedim Verwaltungsrat des UNESCO-Instituts für Statistik,Montreal, sowie statistischer Berater des Europarates/ERICArts „Compendium Cultural Policies and Trends inEurope“. Als Geschäftsführer des Büros für Kulturwirt-schaftsforschung in Köln berät er Kultur- und Wirtschafts-ministerien in Deutschland und in benachbarten Ländern.

Gerade vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise gewinnt die Arbeit vonKreativen besonderen Wert. Kreativität, die Fähigkeit schöpferischen Denkens und Gestal-tens (lat. creare = schöpfen, erfinden, erzeugen) führt zu Neuem: Aus abstrakten Gedanken,für Künstler das Saatgut ihrer Arbeit, wird Innovation.Das MUSIKFORUM befragte renommierte Musiker: Was bedeutet für Sie Kreativität?Wie kann man sie fördern, wie ein Leben lang erhalten und neue Zugänge finden?Ihre Antworten finden Sie verstreut in diesem Heft.

Julia Hülsmann (41),Jazzpianistin und Komponistin:

„Ich warte nicht aufdie Eingebung“Kreativ zu sein ist für mich eine Heraus-forderung. Wenn ich komponiere, versucheich immer wieder andere Wege zu finden– neue Melodien, frische Harmonien,spannende rhythmische Ideen. Ich ver-suche Klischees zu vermeiden und michnicht zu oft zu wiederholen. Natürlich istes immer so, dass man sich selbst nichtentfliehen kann, aber das muss man jaauch gar nicht. Im besten Fall ist es eineigener Stil, den man entwickelt.

Es ist wichtig nicht stehen zu bleiben.Nur in Bewegung hat man die Chanceetwas zu finden. Ich warte also nicht aufdie Eingebung, sondern suche aktiv undhoffe zu finden. Eigentlich könnte mandiesen Suchprozess auch als Forschen

bezeichnen. Dabei habe ichdurchaus eine gewisse Routineentwickelt, die mir hilft, einenRahmen zu haben. Ich habe immerein Skizzenbuch dabei, um Ideenschnell festhalten zu können.

Ich denke, dass man Kreativitätfördern kann, wenn man zumDenken anregt, wenn man lerntDinge nicht nur auf eine Weise zusehen, sondern von allen Seiten zubeleuchten. Mir ist es sehr wichtig,meine Musik, auch wenn sie nochunfertig ist, einem Freund vorzu-spielen und seine Meinung undIdeen zu erfahren. So bekomme

ich oft für mich erstaunliche Antwortenund kann ganz neu mit meinem Materialumgehen, denn sein Denkansatz ist mög-licherweise ein ganz anderer als meiner.Der Austausch kann so zu einer größerenVielfalt führen und neue, unbekannteTüren öffnen. Ich finde es überhaupt sehrwichtig, die Scheu zu verlieren und eigeneMusik, auch unfertig, anderen vorzuspie-len.

Nach Inspiration zu suchen ist für michauch ein elementarer Punkt. Viele kennenbestimmt die Situation, dass man nacheinem Konzertbesuch sehr inspiriert istund am liebsten sofort auch spielen oderkomponieren möchte. Aber man kannauch durch Bücher, Bilder, Erlebnisse undMenschen inspiriert werden, einfach vonetwas, das einen berührt.

Kreativität ist für mich etwas, das manlernen kann und dann trainieren muss.Und natürlich muss man sich auch die Zeitdazu geben. ˇ

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Wenn Sie solvent sind und sich heute dazuentschließen, in bildende Kunst zu investie-ren, gehen Sie zu einem Galeristen. Sie kön-nen diese Kunst kaufen, sie danach in einenTresor einschließen und für alle Zeiten ver-schwinden lassen. Niemand käme in einergesellschaftspolitischen Debatte auf die Ideezu sagen: Das dürfen Sie nur auf eine be-stimmte Zeit lagern, weil Ihr Eigentumsrechtan diesem Kunstwerk nur begrenzt ist.

Bei der Musik ist das anders. Die, die Musikmachen, haben keine Kontrolle darüber, wann,wo und wie sie gesendet wird – im Gegen-satz zu den Filmemachern. Woran liegt das?Wieso haben wir solche Schwierigkeiten, denEigentumsbegriff kulturell, aber auch ökono-misch eindeutig zu formulieren, obwohl erauf der anderen Seite ganz eindeutig da ist?Einige Thesen hierzu:

These 1: Musik ist elementar

Musik ist gekoppelt an das vegetative Ner-vensystem des Menschen. Sie gestaltet Zeit,sie orientiert sich an unserem elementarenBeat, dem Herzschlag. Wir können uns alsIndividuum nur auf sie einlassen, wir sind inder Rezeption nicht frei. Ein Bild an der Wandkann ich mir angucken, nach zehn Minutengehen und wenn ich nach einer halben Stundewiederkomme, hängt es immer noch da. Eslässt mir den Freiraum, mich ihm als Rezipi-ent zu nähern. Bei der Musik geht das nicht.Allem Repertoire und allen Speichertenden-zen zum Trotz, ich bin, wie ich auch die Zeiterlebe, als Mensch gezwungen, mich unmit-telbar auf dieses Phänomen einzulassen.

These 2: Musik ist ökonomischwie kulturell zweigeteilt

Musik ist nicht nur inhaltlich in zwei Blö-cke geteilt: In einen Block, der sich primärmit der Musik als Repertoiredenken von ges-tern beschäftigt, und in einen anderen Block,der zeitgenössisch operiert. Es gibt Überschnei-dungen, aber keine wirkliche Konvergenz.Diese Zweiteilung der Musik führt nicht nurzu einer – gerade in Deutschland – immernoch sehr erregten Debatte, sondern erfor-

Die Leitbranche der Kultur- und Kreativwirtschaft imSpannungsfeld zwischen analoger und digitaler ZukunftWem die Musik gehört, ist

eine Frage, die eindeutigist, aber viele mögliche Antwortenbeinhaltet. Komplizierter, abervielleicht auch etwas klärenderwird es, wenn man fragt: Wemgehört die Kunst? Dann merktman, dass es Unterschiede gibt.

dert immer wieder ein Plädoyer für das Brü-ckenbauen zwischen diesen Blöcken. Und sieerfordert immer wieder den Hinweis darauf,dass die These „Kultur ist nur das, was derStaat bezahlt“ längst hinfällig ist. Wenn Kul-turproduzenten, die nicht subventioniert sind,sich deshalb mit Angebot und Nachfrageumtun müssen, mindert das nicht den kultu-rellen Wert ihrer Produktionen. Dass sie des-halb automatisch im ökonomischen Feldagieren, ist auch keine Besonderheit, sonderndas ist global, und auch historisch gesehen,eher normal.

Was hat diese Zweiteilung der Blöcke ei-gentlich beschleunigt? Es ist etwas, mit demwir groß geworden sind, aber mit dem dieMusikpädagogik seit dem Zweiten Weltkriegungeheure Probleme gehabt hat. Wir sind

groß geworden mit einer Musik, die auf einmalParameter wie Emotionalität und Rhythmusbevorzugte. Eine Musik, die aus Amerika nachEuropa kam und auf einmal ganz andereIdentifikationsmöglichkeiten schuf. Eine Musik,die mit dafür gesorgt hat, dass wir heute dieZweiteilung haben zwischen einer lebendi-gen Musikkultur, die wir ständig leben underleben, und einer, die abseits dessen oftmalsnicht mehr mehrheitsrelevant ist. Sie ist nichtweniger wichtig, aber sie kann nicht mehralleiniger Maßstab für musikalisch-ökonomisch-gesellschaftliche Bedeutung sein.

These 3: Musik und Techno-logie bedingen einander

Seit dieser Entwicklung, seitdem wir überJugendkulturen, Popularmusik, zeitgenössischeMusik reden, wissen wir: Technologie ist nichtnur unmittelbar verantwortlich für den kom-positorischen Prozess, sondern Technologieist auch direkt angekoppelt an die Distributi-on von Musik. Ohne Schallplatte, ohne Ra-dio keine Popmusik, keine Distribution und– ganz im warholschen Kunstsinn – keinePop Art. Pop Art beinhaltet die Idee, ein künst-lerisches Subjekt unendlich verbreiten undkopieren, im positiven Sinne neu auflegenund distribuieren zu können. Dies beeinflusstenicht nur die Erstellung der Musik, sondernhat immer dafür gesorgt, dass von der Schall-platte über die CD bis hin zum Internet dieMusik als Leitbranche der Kreativwirt-schaft direkt in diese Prozesse eingebundenist und ihre Rezeptionsformen direkt vondiesen Prozessen abhängig sind.

Keynote von Dieter Gorny

WEM DIE MUSIK?

Emotionalität und Rhythmus:Die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Amerikagekommene Musik schuf neue Identifikations-möglichkeiten.

gehört

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These 4: Musik ist einge-bunden in die Rahmen-bedingungen der Kreativ-wirtschaft

Wir können die Musik nicht isoliert be-trachten. Was hier passiert, ist nicht zu tren-nen von der generellen Entwicklung der Krea-tivwirtschaft. Und die Kreativwirtschaft wirdvon drei Faktoren in ihrer Entwicklungangetrieben.

Das ist, erstens, ein ökonomischer Faktor:die Globalisierung, die Möglichkeit, nichtnur Güter, sondern auch Signale simultanweltweit zugänglich zu machen.

Das ist, zweitens, der technologische Fak-tor der Digitalisierung, der viele dieser Ent-wicklungen erst möglich macht.

Und das ist, drittens, ein anthropologischerFaktor, nämlich die Individualisierung. Wirleben in einer Zeit, in der wir als Konsumen-ten anfangen, uns individueller zu verhalten,wenn es darum geht, Kultur zu konsumie-ren – Musik, Fernsehen oder Film. Nicht nurdie digitale Voraussetzung eines Flash-Spei-chers und eines hervorragenden Designsmachen den iPod möglich. Wir sind es, diesagen: Ich möchte meine Musik genau dann,genau da hören.

Die Veränderung der Konsumentenstrukturunterstreicht einmal mehr die Bedeutung desPhänomens der Digitalisierung, weil hier keineTechnologien konfrontativ vorgehalten wer-den, sondern sich auch aus dem Kundenver-halten heraus entwickeln.

Eine komplexe Situation. Die britischeKultusministerin, Tessa Jowell, hat anlässlichder Eröffnung einer Creative CommunitiesConference im Oktober 2005 in Londongesagt: „Wie beziffert man den Wert einerIdee? Die ehrliche Antwort lautet: Man kannes nicht. Die Ideen sind die Voraussetzungeines jeden Fortschritts. Sie sind der Dreh-und Angelpunkt jeglicher Entwicklung undQualitätssteigerung. Manche Ideen verursa-chen eine Revolution der Gesellschaft, an-dere eine radikale Veränderung unserer Wirt-schaft. Und die besten Ideen tun beides. Diesist eine Zeit dramatischer Veränderungen. Unddiese großen Veränderungen führen zu ebensogroßen Herausforderungen.“

Das ist jetzt fünf Jahre her, aber es klingtsehr aktuell, weil wir diese Veränderungendeutlich spüren. Diese Veränderungen, de-nen wir uns auch ökonomisch konfrontativgerade stellen müssen, zeigen auch, wie wichtigdie Debatte über die Kreativwirtschaft ist. Dennals Industriestandort haben wir das Gefühl,als würden wir uns an den alten Industrienfestkrallen – wir spüren, dass das ThemaÜberkapazität und das Verhalten der Kun-den darauf schließen lässt, dass wir es hier

vielleicht nicht nur mit einer Krise zu tun haben,sondern mit dem Beginn einer völlig neuenEpoche, die uns weiter zwingen wird, unsneu zu positionieren.

„Wir können nicht so tun“, fuhr Tessa Jo-well damals fort, „als würde diese Verände-rung nicht stattfinden. Wir dürfen nicht zu-lassen, dass uns die Geschwindigkeit dieserVeränderung überholt. Europa muss eineeinheitliche Front bieten, in die Zukunft schau-en, sich an die veränderte Lage anpassen unddie Möglichkeiten nutzen, die die Verände-rung bietet. Wir müssen uns darauf konzent-rieren, wo unsere Stärken liegen: in der Wert-steigerung durch Innovation und Kreativität.Verbinden wir das mit der Tatsache, dass dasTempo der technologischen Veränderung zukeinem bisherigen Zeitpunkt in unserer Ge-schichte so schnell und weitreichend war, dannwird klar, warum unsere Kreativwirtschaft eineimmer zentralere Bedeutung bekommt. ZweiWelten, die Kultur und die Technologie, sindaufeinander getroffen und bilden ein Univer-sum der neuen Möglichkeiten, um auf Inhal-te zuzugreifen, sie zu konsumieren und zuerschaffen.“

Ein spannender Aspekt. Tessa Jowell sag-te damals schon das, was in der Präambeldes französischen Staatspräsidenten zumOlivienne-Prozess wieder auftauchte: Kulturund Kulturproduktion, ökonomische und tech-nologische Entwicklung, gerade Digitalisierung,bedingen einander. Doch hier kommt etwassehr Eindeutiges ins Spiel – und damit mei-ne nächste These:

»Mit dem Zugang zur digitalen Welt steht nicht weniger alsdas demokratische Prinzip zur Disposition« Norbert Schneider

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These 5: „Gute Ideen sindnicht nur die Basis der Wirt-schaftsländer, sie sind derMotor. Dies aber nur, solangedie Menschen, die dieseIdeen umsetzen, für ihreKreativität auch anständigund fair entlohnt werden.“

Eine starke und faire Regelung zum geis-tigen Eigentum ist grundlegend für eine krea-tive Wirtschaft. Ohne IP-Schutz (IntellectualProperty-Schutz) kann die Kreativwirtschaftnicht überleben. In einer digitalen Welt ist sieder Schlüssel für unseren zukünftigen Wohl-stand.

Ganz anders der Blick von einer anderenSeite der Welt. Folgende Gedanken sind ei-ner Rede entnommen, die in Korea zu derFrage gehalten wurde: Wie entwickeln sichdie Medien? „Die Digitalisierung ist die kon-geniale Technologie für alle Entscheidungs-formen der Individualisierung und zugleichein starker Motor der Globalisierung. Sie er-laubt erstmals in der Mediengeschichte dieweltweite simultane Präsenz einzelner TV-

Lösen wir das digitaleProblem, dann lösen wir

auch die Zukunft derKreativwirtschaft

Kommunikation. Sie beherrscht die Systemeder Wirtschaft, des Verkehrs, der Banken, derEnergieversorgung. Ihre Zerstörung würde inein Chaos führen.“

Das sagt ein Medienmann, genauer: derDirektor der Landesanstalt für Medien, Nor-bert Schneider. Dies ist interessant, weil erim Weiteren sagt: „Das bedeutet auch, dass,wenn Sie in das Fernsehen der Zukunft bli-cken, sich die Machtpositionen verschiebenwerden. Das, was früher der Machthaber war,der Broadcaster, wird sich relativieren. Das,was früher anonym war, der Kunde, wirdsich individualisieren, er wird speziell adres-sierbar. Die alte Macht wird sich in einer ers-ten Phase auf zwei verteilen. Auf den, derdie Inhalte und Rechte hat, und auf den, derdie Reichweite hat, der die Endkunden adres-sieren kann.“

Das bedeutet, Intellectual Property (IP)wird die eine Schlüsselressource sein. Die

Produkte und weltweit vermarktbarer Pro-dukte für den Einzelnen. Die Zirkulation derWare wird abgelöst durch die Möglichkeitihrer simultanen Verfügbarkeit. Die Digitali-sierung revolutioniert Formen und Verfah-ren der Kommunikation, vermutlich auch derInhalte. Mit ihr verschmelzen Produktions-,Distributions- und Rezeptionsformen, die inder analogen Welt getrennt waren. Dafürfehlen uns zurzeit die Begriffe. Ein Problem,das vor allem die Juristen kennen und mitdem die Regulierung kämpft. Was ist in digi-talen Zeiten Rundfunk? Auch ein Angebotüber DMB, über DVB-H, über Internet? Gibtes noch eine Grenze zwischen Massen- undIndividualkommunikation?

Die Digitalisierung ist eine leise Revolu-tion und so langsam wie eine Schnecke. Mansieht nichts, denn was geschieht, geschiehtunsichtbar. Aber man ahnt, dass sie die ge-samte Kommunikation, ihre Form, ihre Me-dien, dekonstruieren wird. Die Digitalisierungist längst ein weltumspannendes neues Al-phabet für Bilder und Töne, für mediale

zweite definiert sich über den Access, denZugang zum Endkunden. Das ist die Situa-tion, die uns in Frankreich begegnet. Die sagt,wir müssen lernen, es geht nicht nur um dieEntwicklung der Technologien, es geht auchum diejenigen, die die Technologien anfeu-ern in ihrer Entwicklung und die aus diesentechnologischen Konzepten Geschäftsmög-lichkeiten machen. Das sind wir. Das ist dieMusikwirtschaft. Die einen können nicht ohnedie anderen. Das bedingt sich eindeutig.

Schneider geht jedoch noch einen Schrittweiter. Er sagt: „Die damit mögliche Macht-ballung, wenn Leute Inhalte und den Zugangzur digitalen Welt besitzen, ist die größtedenkbare Herausforderung an die politischVerantwortlichen. Und wenn sie diese Machterlauben, erlauben sie Dritten, die nicht ge-wählt sind, über die Politik zu entscheiden.Damit stünde nicht weniger als das demo-kratische Prinzip zur Disposition.“

Das sind die beidenKernthesen:

1. Ohne IP-Protection keine Kreativwirtschaftund keine Musikwirtschaft.

Auch ohne vernünftige Maßnahmen undOrganisation dieser Bedingtheit gibt es keineKreativwirtschaft. Natürlich brauchen wir Bil-dung, Ausbildung und Weiterbildung in die-sem Bereich. Wir brauchen Bildungssysteme,die Respekt bieten vor dem Wert geistigenEigentums. Wir brauchen aber ganz klar Sys-teme, die auch deutlich machen, dass manbei Rot – und in diesem Fall ist es Diebstahl– nicht einfach über die Straße rennen kann.

2. Das Internet ist viel mehr als ein Distribu-tionskanal, es ist eine demokratische Heraus-forderung.

Wir debattieren über einen Teilbereichdieser Herausforderung, brauchen jedochdringend den diskursiven Gesamtblick. Wirwerden der Musikwirtschaft als einem we-sentlichen Teil der Kreativwirtschaft nichtweiterhelfen können; wir werden der Krea-tivwirtschaft in Europa, in Bund, Ländern undStädten nicht weiterhelfen können, wenn wiruns nicht klar machen: Alle Förderung im„analogen“ Bereich führt zu nichts ohne dieLösung dieses grundsätzlichen Problems.

Letzter Punkt:

Wir müssen lernen, als Musikbranche zu-sammenzustehen und die Probleme gemein-sam zu adressieren. Dann können wir auchpolitisch erfolgreich sein. Das müssen wir auchals Leitbranche der Kreativwirtschaft, denndas, was uns passiert, passiert nacheinanderallen anderen. Lösen wir das digitale Problem,dann lösen wir auch die Zukunft der Krea-tivwirtschaft.

Der Autor:Prof. Dr. Dieter Gorny ist Präsident des Bundesverban-des Musikindustrie, Vorstandsvorsitzender der InitiativeMusik und Präsidiumsmitglied des Deutschen Musikrats.

FOKUS

Zum Diebstahl geistigen Eigentums brauchen wirSysteme, die deutlich machen, dass man bei Rot nicht einfach über die Straße gehen kann

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St. Pauli, Schanze, Karolinenviertel, Alto-na und Wilhelmsburg sind derzeit die zent-ralen Stadtteile, in denen in Hamburg dasmeiste geht. Von hier kommen die musika-lischen Impulse für die Stadt, für die Szeneund ihre Musikwirtschaft. Von hier aus ge-hen wilde, belebende, schockierende, berüh-rende, bestärkende oder schlicht faszinierendeMenschen ihren Weg in die Musik. Ob alsClubbetreiber, Musiker oder Zuschauer. Auchdie Standortbedingungen für die Musikwirt-schaft sind hier facettenreich und weisen imdeutschlandweiten Vergleich eine überpro-portional stark ausgeprägte Spezialisierung derBranche auf.

Doch beleuchten wir die Szenerie näherund beginnen mit den harten Fakten, die nachder Haspa-Musikstudie im März dieses Jah-res das Licht der Hamburger Öffentlichkeiterblickten (Quellen: GfK, Statistisches Bun-desamt, Künstlersozialkasse, Kultur- und Tou-rismusbehörde und der Kulturmanagement-berater Birnkraut & Partner).

Hier lesen wir, dass mit 4,7 Prozent jeder20. Arbeitsplatz in Deutschlands Musikbran-che in Hamburg angesiedelt ist. Dazu kommtder Anteil der selbstständig beschäftigten Kul-turschaffenden im Musikbereich. Im Jahr 2007waren das 2240 Personen, die aus Hamburgin der KSK versichert sind(Durchschnittseinkommeneines Künstlers im Jahr: 11174Euro). Die Stadt verfügt da-mit über eine solide Ausstat-tung mit Musikschaffenden derCreative Class. Die Anzahl derArbeitsplätze im Musikbereichscheint der Haspa-Musikstu-die zufolge in Hamburg tat-sächlich um sieben Prozent an-

Hamburg ist die wahrscheinlich grünste Stadt Europas, hat den größ-ten Friedhof, am meisten Millionäre und Konsulate und mehr Brücken

als Venedig. Hamburg ist Hafen, Handel, Medien und Musik – vermutlichDeutschlands zweite Stadt in Sachen Musik und Musikförderung. Dasklingt nach kreativem Potenzial. Doch wie geht es der Creative Class inDeutschlands „Second City“ wirklich?

gestiegen zu sein, liegt damit über dem Bun-desdurchschnitt. Insgesamt liegt die Zahl derBeschäftigten, auch der freischaffenden Be-schäftigten, im Musikbereich in Hamburg mit6321 also über Berlin (6170 im Jahr 2007).In München sind es 4150 Personen und Stutt-gart nur 2123.

Und obschon uns die hohe Beschäftigten-zahl aufatmen lassen könnte, bedarf die Ent-wicklung von Musik in Hamburg doch wei-terhin der Verbesserung ihrer Rahmenbe-dingungen. Insbesondere, da Musik und ihreökonomischen Potenziale sich permanent imWandel befinden. Der Ausbau einer bran-chenspezifischen Infrastruktur sowie die ge-zielte finanzielle Förderung von Musikern undihren Förderinstitutionen sind hier die wich-tigsten Ansätze.

Bekannte Namen und Stichworte verknüp-fen sich mit Hamburg: Telemann, Beatles,Starclub, Bert Kämpfert auf der einen Seite,James Last, Live Earth oder Jan Delay auf der

Städte wie Hamburg rühmen sich ihres Kreativpotenzials. Andrea Rothaug deckt freilichprekäre Arbeitsbedingungen und schwache Finanzkraft der Musikschaffenden auf

ABER DU KANNST ES HABEN«

»ICH HAB kein Geld,

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„Operation Ton“: RockCity HamburgDie Arbeitsbedingungen von Kreativen verbessern:Dafür setzt sich in Hamburg der Verein RockCity ein – undveranstaltet u. a. den Kongress „Operation Ton“, bei demsich die Referentin und Musikjournalistin Kerstin Grether aufdem Podium durch ein Puppenabbild ersetzte – Signal undBrückenschlag zwischen Nische und Kommerz, Original undFälschung, analog und digital..

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anderen. Eine lebendige Musikszene und viel-fältige Angebote im Bereich der musikalischenUnterhaltung beeinflussen die Attraktivität derStadt für die Creative Class ebenso wie fürKulturtouristen, sorgen für Lebensqualität derBevölkerung. Doch den anstehenden demo-grafischen Veränderungen, die insgesamt voneinem Rückgang der Erwerbspersonenzah-len sowie der aktuell schon deprimierendenUmsätze der Musikwirtschaft geprägt seinwerden, muss auch in Hamburg begegnetwerden. Deshalb ist es von Bedeutung, Kul-turschaffende und ihre Institutionen, Künst-ler, Musiker, Komponisten, Textdichter undProduzenten in die Überlegungen zur Ver-besserung wirtschaftlicher Perspektiven ak-tiv mit einzubeziehen.

Und deshalb gilt es, den Forderungen nachAusbildung, Strukturbildung und Marktbildunggerecht zu werden. Gilt es, den öffentlichenDiskurs über die Arbeitsbedingungen der Crea-tive Class im Allgemeinen und den Musik-schaffenden im Besonderen transparent zuführen. Kongresse wie „Audio Poverty“ inBerlin oder „Operation Ton“ von RockCityin Hamburg thematisieren die Notwendig-keit einer solchen Auseinandersetzung mitprekären Arbeitsbedingungen und konkreti-sieren die oft fehlende Finanzkraft der Mu-sikschaffenden ebenso wie die ihrer Vermark-ter, Partner und Organisatoren selbst. DieseTatsache belegt auch, dass die wirtschaftlicheLage neue Lebensentwürfe herausfordert undherausfordern muss, denn es sind nicht etwader verkümmerte Ton oder das Bankkontodes Künstlers allein, die musikalische Armutmanifestieren, sondern vielmehr das Gros derzur Verfügung stehenden Strategien und Tat-sachen.

Musik ist heute nicht mehr historischesEreignis oder bewundertes Kulturgut, sondernallgegenwärtiges Gebrauchsgut wie Wasser:Hahn auf – Wasser raus. MP3, Filesharing,MySpace, iLife oder Logic sorgen alltäglichund unermüdlich für eine Redundanz desHörens, aber auch für die unendliche undkomfortable Verfügbarkeit von Musik aufFestplatten. Blogging hält den Diskurs überMusik im Fluss und hilft Szenen sich interna-tional zu verbreiten. Die so genannte Magiedes Unerhörten ist Geschichte – auch in Ham-burg. Und so verarmt die Musik auch hier,genau dort, wo sie ihr Potenzial nicht aus-schöpfen kann, ihre Möglichkeiten nicht rea-lisieren kann, weil der Creative Class die Mittelfehlen, der Markt sie behindert und ihr diegesellschaftliche Anerkennung versagt bleibt.

Ästhetische Autonomie, also die Unabhän-gigkeit der Künstler/Musiker von repräsen-tativen gesellschaftlichen Funktionen, bedeutetheute stärker denn je, dass man als Künstler/

Musiker Unabhängigkeit mit Armut bezahlt.Neue Konzepte der Musikförderung müssendiese wirtschaftlichen Unwägbarkeiten berück-sichtigen, denn die aktuelle Flucht des Musi-kers in die Privatheit lesen wir als trotzigeAbwehrhaltung gegen einen Musikbetrieb,in dem schräge Töne aufgrund schlechter Ver-marktbarkeit nur schlechte Chancen haben,adäquat vom Publikum wahrgenommen zuwerden. Dieses Publikum bleibt – ebenso wieder Künstler selbst – außen vor. ÖffentlichesKonzertleben und Performances zu unterstüt-zen und die Nachwuchsbildung ebenso wiedie Publikumsbildung voranzutreiben, solltedaher primäres Ziel der Musikförderung sein.Die Entwicklung neuer Informationstechno-logien sowie die Stärkung und Ausweitung be-stehender musikalischer Netzwerke wie Rock-City Hamburg e. V. kann dabei nicht Visionbleiben, sondern muss Wirklichkeit werden.

Musiker als Wurstverkäuferund Totengräber

Und genau hier setzt die Arbeit des Ham-burger Vereins RockCity an: Hier ist bekannt,dass der Download von MP3s vor allem denMusiker selbst verarmen lässt und Plattenfir-men, Vertriebe, Plattenläden reihenweise Kon-kurs anmelden. Dass Musiker wieder an derWursttheke stehen und als Totengräber ar-beiten, dass Produktionskosten bis ins Markminimiert werden und Musik dennoch zumteuren Hobby wird. Kurz: Dass der gesamteProzess der Produktion, des Vertriebs, derPromotion, der Konzerte etc., der einst einegeschlossene, wirtschaftlich autarke Kettebildete und das Geld gewissermaßen in derFamilie ließ, zerstört scheint.

Absätze werden heute in seltsamen Ver-wertungsketten gemacht, die wie selbstver-ständlich Markensponsoring von Bands,Reduktion der Musik auf Klingeltöne und un-kritisches Hören von MP3-Dateien aus Han-dys an Bushaltestationen miteinander verknüp-fen. Die großen bekannten Titel und Musikerbleiben groß, während die mittleren und klei-nen sowie der Nachwuchs an der Speerspit-ze der Subkultur verweilen darf. Ausgeschlos-sen von einem Markt, der nicht mehr anwortet,wie Ekkehard Ehlers jüngst bemerkte. Sogarbekannte Hamburger Künstler wie Kettcar,Tomte, Bernd Begemann, Tocotronic oderDie Sterne können von ihrer Musik nicht leben.Diese Option scheint für die meisten der Mu-sikschaffenden in Hamburg unwahrschein-lich geworden. Um dieser Entwicklung ent-gegenzuwirken, gibt es in Hamburg Institu-tionen wie RockCity, die täglich ihr Möglichstestun, um die Arbeitsbedingungen von Kreati-ven zu verbessern.

Der Verein arbeitet dabei ebenso eng mitder Musikszene zusammen wie mit Behör-den, der Branche und der Politik. Gemein-sam mit Musikschaffenden, Ministerien, Stif-tungen oder der Politik entwickelt RockCityHamburg strukturfördernde Projekte, die dieCreative Class insgesamt stärken, indem siefrische, oft ungewöhnliche Impulse genau dortsetzen, wo sie gebraucht werden: im musika-lischen Humus der Stadt. Dort, wo musikali-sche Ideen entstehen, wo Trends geboren wer-den, auf denen die Stadt später ihre musika-lischen Leuchttürme baut. Der Verein ist,neben ungezählten Beratungen und Projek-ten, nicht nur Erfinder des Rockspektakels,der Nacht der Clubs oder der Hanseplatte,dem lokalen Musikladen in Hamburg, son-

FOKUS

„Abgefahren“:das Musikprojekt

HGich.T,in Hamburg

momentan hipund angesagt.

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dern auch des ersten Kongresses für musika-lische Zukunftsfragen („Operation Ton“) oderdes wöchentlichen RockCity Radios.

Das Büro gründete vor 16 Jahren denVerband Unabhängiger Tonträgerhersteller(VUT), der heute mit Sitz in Berlin weit grö-ßer ist als RockCity selbst, sowie im Dezem-ber 2004 das Clubkombinat Hamburg, dasmit über 65 Clubs und seinen diversen eh-renamtlichen Aktivitäten als Berufsverbandder Kulturereignisschaffenden fungiert. Aufdem Schoß von RockCity wurden hier einvirtueller Terminplaner für die Clubs, Gemein-schafts- und Verkehrsmittelwerbung, GEMA-Rabattierung und Weiterbildungsmaßnahmenfür Clubbetreiber geschaffen sowie 2009 derso genannte Live-Musik-Fond erfunden unddurchgesetzt, der nicht nur die Clubs, son-dern auch seine Kreativen stützen wird.

Der Verein RockCity Hamburg machtdeutlich: Wer Musikerexistenzen zeitgemäß

fördern will, für den bleibt folgender Sach-verhalt bedeutsam: Zusammenhänge zwischenökonomischen Verhältnissen, pekuniärenErwartungen und künstlerischer Qualität sindund waren in der populären Musik nichtauszumachen – von der Knochenflöte bis zumletzten Schrei digitaler Musik-Tools. Darüberhinaus sollten wir nach der digitalen Revolu-tion nicht nur die Steigerung von musikali-scher Komplexität und Präzision begrüßen,sondern auch die permanente Bereicherung,Konjunktur und Prosperität musikalischerGestaltungs- und Erlebnismöglichkeiten. Die-sen Gewinn an Möglichkeiten zu nutzen undihn als einen solchen zu erleben, ist Ziel ei-ner urbanen popmusikalischen Auseinander-setzung mit Musikförderung, damit sich derglobale Hoffnungsträger Internet letztlich nichtals janusköpfiger Geselle entpuppt.

Schwimmt der 18-jährige Wohnzimmer-Produzent in musikalischem Reichtum oder

ist er arm dran, weil er nicht mehr aus demHaus kommt? Ist Musik heute noch Werk-zeug individueller Identitätsbildung? BereichertVernetzung das Musikmachen oder beschränktsie doch eher das Blickfeld? Alle diese Fra-gen gilt es in regelmäßigen Foren und Zir-keln zu diskutieren, um Möglichkeitsräumezu erschließen. Audio Poverty in Berlin oderOperation Ton in Hamburg können nur eineFacette der Diskussion bieten, doch als re-gelmäßiger Fachdiskurs mit Musikschaffen-den, Pädagogen, Verwertern und politischenGremien ließen sich hier gezielt und effektivzukunftstragende Popfördermodelle entwi-ckeln, die über neue Selbstverständnisse undStrategien künstlerischen Handelns allein hi-nausgehen werden, ohne den schnellen Pro-fit im Fokus zu haben.

Doch auch die praktische Hilfe für dieCreative Class muss dieser Entwicklung ak-tuell angepasst werden. Alte Fördermodelle

„Offenheit gegenüberAnderem“Kreativität ist nur in einer ganzheitlichenDenkweise im Zusammenhang mit gesell-schaftlichen, soziologischen, kulturellen undökonomischen Prozessen zu betrachten.Wenn sich die Balance dieser Werte zuUngunsten der Kunst entwickelt, die Ent-wicklung einer Gesellschaft aus den unter-schiedlichsten Gründen stagniert und es zubrutaleren ökonomischen Verteilungs-kämpfen kommt, dann ist die Kunst dererste Verlierer und auch die Einstellunggegenüber Kreativität.

Kreativ zu sein bedeutet für mich persön-lich Offenheit gegenüber anderen Menschenund Kulturen, sich selbst öffnen, assimilieren(ohne sich kolonialistisch zu gebärden),tolerant, mitmenschlich und kommunikativzu sein. Das bedeutet auch eine musikalisch-künstlerisch ganzheitliche Denk- undArbeitsweise leben und praktizieren, ande-res zu akzeptieren, nichts auszugrenzen.

Die Kunst in der westlichen Welt hatihre Spontaneität und Lockerheit im Umgangmit den Menschen verloren, sie wurde im20. Jahrhundert extrem kommerzialisiertund als Ware missbraucht. Kreativität (wennsie überhaupt relavant ist) wird fast immerunter dem Gesichtspunkt des Marktes be-trachtet.

In einer regressiven und ängstlichenGesellschaft werden Offenheit gegenüberNeuem und Experimentierfreude eineuntergeordnete Rolle spielen. Ohne Flexi-bilität, Risikofreude und Mut zu Neuem gibtes keinen breiten Nährboden für Kreatives.Musik kann nicht immer eine Ware sein,etwas Abrechenbares, Verkäufliches, MP3-Verpacktes.

Unser Bildungssystem ist nach wie vorzu verschult und arbeitet nicht ganzheitlich.Es existieren zu wenige synergetische An-sätze, Denkweisen und Projekte. Um einbestimmtes Bildungs- und Kreativitätsniveauzu halten, müssen die Anstrengungen dafürimmer wieder erneuert und im Bewusstsein

gehalten werden, verbunden mit demWillen zur Veränderung und Flexibilität.

Für mich persönlich steckt unsere Musik-szene mit ihren pädagogischen Verflechtun-gen immer noch zu sehr im 19. Jahrhundert,ich sehe zu wenig innovative neue Modelle,Konzepte und Denkweisen.

Kreativität zu fördern, zu entwickeln,zu akzeptieren, heißt auch: andere Lebens-modelle und Sichtweisen zu akzeptieren,das Kindlich-Verspielte, das Unerklärbare,Fantastische, das Immaterielle, Ideelle,nicht ökonomisch Ver- und Bewertbare.

Ob als Komponist oder als Lehrender,man sollte immer ein Risiko für Neues undUngewohntes eingehen, sich der Verant-wortung für die nächsten Generationenstellen und sie sich auch bewusst machen.Wenn wir Musik im Alltagsleben nichtständig als markt- und wettbewerbsfähigeWare betrachten würden, hätten wir auchwieder mehr Freiraum in unserem Denkenfür Kreativität, Visionen und Träume.

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Bernd Franke (50),Komponist undDozent für NeueMusik:

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MUSIK�ORUM18

Creative Class, die ebenso von Faktoren wieGlobalisierung, Digitalisierung und Individu-alisierung angetrieben werden wie die Krea-tivwirtschaft selbst. Immer im Fokus hat derVerein dabei die Protektion der „IntellectualProperties“, die als Schlüsselressource derKreativen beurteilt und vermittelt wird.

Musik in virtuelle Land-schaften integriert

Und eines ist absehbar: Die Zukunft derProduktion und Kommunikation in Europa,in Deutschland und nicht zuletzt in Ham-burg wird mit erheblich reduziertem Ener-gieaufwand Kunst und Kultur und somit auchMusik als Bestandteil von Lifestyle, Medien-Entertainment und gelenktem Tourismus invirtuelle Landschaften integrieren. Musik wirdBeigabe in Medien und öffentlichen Events.Womöglich werden nur lukrative Schöpfun-gen durch ein zentrales Digital-Rights-Manage-ment wirkungsvoll verwertet. Der kläglicheRest unterliegt dem Public-Domain-Common-Sense. Die Grundversorgung mit Musik wirdvoraussichtlich durch eine omnipräsenteVerfügbarkeit kostengünstiger Industriemu-sik gewährleistet. Der Komponist wird Klang-Designer und arbeitet in Zeitarbeit für MajorLabels, allerdings nur, wenn er im Creative-Software-Controlling firm ist und die auto-matische Klanggenerierung beherrscht.

Damit werden alle symphonischen Appa-rate mangels Subvention eingehen, ebensowie das öffentlich-rechtliche Radio oder bishergepflegte Verbandsstrukturen, denn das Bil-dungsselbstverständnis im Sinn unseres kul-turzentrierten Spartendenkens wird eineruniversellen, ökonomisch und technologischsinnvollen Gesamtschau weichen, die schonheute entwickelt und diskutiert werden will.Dabei sind Faktoren der Individualisierung,Eventisierung und Virtualisierung durch MobilDevices, E-learning, Home-Feeding, Holo-Replicas von Madonna, Bohlen oder Pava-rotti als Live-Events, A-Brands, i-Visions, DIYund die lukrative Verwertung kreativer Inhal-te Themen, die RockCity mit seinen Partnernder Creative Class blockadefrei entwickelt,damit sie sich auf dem Weg in die musikali-sche Zukunft nicht selbst im Weg stehen.

Die Autorin:Andrea Rothaug ist seit 2002 Geschäftsführerin desRockCity Hamburg e. V., seit 2004 zudem Geschäftsfüh-render Vorstand des Clubkombinat Hamburg e. V. Sieist Mitbegründerin der Hanseplatte (erster lokaler Musik-laden), des Kongresses „Operation Ton“, des vereins-eigenen Radios, aber auch der ersten Gemeinschafts-werbung für Clubbetreiber oder des neu geschaffenenLive-Musik-Fonds Hamburg. Darüber hinaus ist sie alsRomanautorin tätig und arbeitet derzeit an ihrem neuenBuch Die Magie der Unerhörten.

greifen nicht mehr zufriedenstellend, denndie Vielzahl der Bands, die keinen Markt fin-den, ist geradezu unübersichtlich geworden.Bei RockCity ist deshalb die Professionalisie-rung der Creative Class im Sinne eines Brü-ckenschlags in die Branche in den Fokusgerückt. Ebenso wie die Schaffung von bran-chenspezifischem und branchenübergreifen-dem Know-how, Zeitmanagement, individu-ellem Coaching und Beratung, Performance-training, Vermittlung von Medienkompetenzund Branchenkontakten. Aber auch CreativeThinking, Networking und sogar ganz prak-tische Hilfe wie preiswerte Arbeitsressourcen(Busse, Technik, Druck, Mash-Ups, etc.) oderFormularbewältigung, Selbstmanagement,Begleitung von Gründungsphasen und „Busi-nessplänen“ für die Künstler steckt in jederLeistung des Vereins.

Speerspitze der Subkulturund Projektentwickler

Individuelle Kompetenz und Marktbildungstehen heute als basale Bedingungen der Cre-ative Class im Zentrum einer erfolgreichenFörderung und eines erfolgreichen Bestehensder Kreativen in ihrem Segment. Das Beson-dere an dieser Aktivität ist dabei sicher nichtnur der Leistungskatalog, sondern vielmehrdie Art und Weise, in der diese Angeboteumgesetzt werden: szeneverliebt in Wort undSchrift, aber auch im gesamten Setting.Einerseits Speerspitze der Subkultur, ande-rerseits Projektentwickler für Behörde, Poli-tik und Branche auf lokaler und bundeswei-ter Ebene zu sein, gehört für RockCity zumtäglichen Wirken dazu.

Vor diesem Hintergrund wird die Existenzszeneaffiner Netzwerke, die mit, von und fürdie Creative Class arbeiten, in ein ganz neuesLicht gerückt. Sie sind je nach Fokus und fi-nanzieller Ausstattung der Quell individuel-ler, szenenaher und kontinuierlicher Trans-ferleistungen, die der Creative Class denZugang zu ihren Branchen bereitet und er-möglicht. Hier werden Künstler, Kreative,

Verwerter und Vermittler in ihrem Tun pass-genau unterstützt und vorbereitet, und diesgemäß ihrem spezifischen Ansatz: Denn nachRichard Florida sind die Mitglieder der Crea-tive Class leistungsorientiert und tun gernedas, worin sie gut sind. Kreative schöpfen ebennicht zum Selbstzweck, sondern setzen ihrekreative Arbeit zwecks Verdienst des Lebens-unterhalts ein. Deshalb ist ihre kreative Leis-tung als ökonomische Ressource zu betrach-ten, die oft ihr einziges Kapital ist. Dieses Kapitalkann unter bestimmten Bedingungen demArbeitsmarkt angeboten werden, so Vermitt-lungswege und Branchenkenntnisse vorhan-den sind. Denn während Produktionsprozesseder Creative Class in einigen Zweigen derKreativbranche mit Zuschüssen gefördertwerden, die nur im Erfolgsfall rückzahlbarsind, liegt das finanzielle Risiko der CreativeClass in der Musikbranche und ihren kultur-getriebenen Aktivisten vollständig im Risikoder Produzenten selbst.

Nicht zuletzt aus dem Wissen heraus, dassdie Wachstumschancen der Creative Classgenau hier an ihre finanziellen Grenzen sto-ßen, entwickelte der Verein RockCity Ham-burg Strukturangebote wie den lokalen Mu-sikladen Hanseplatte, das RockCity Radio,den Hanseklub oder die Mikro Urbane Oper,die den Bedürfnissen von Musikschaffenden,Kreativen und Künstlern speziell in ihrensubkulturellen Arbeitskontexten auf den Leibgeschnitten wurden. Dabei wird besondersder so genannten „Schnittstelle“ Rechnunggetragen, denn der Verein versteht sich alsBrückenbauer zwischen Künstler und Bran-che, Musik und anderen künstlerischen Ter-ritorien, Kultur und Wirtschaft, Kompositionund Distribution, Gegenwart und Zukunft,Wunsch und Wirklichkeit, Nische und Kom-merz, Original und Fälschung, Meins undDeins, analog und digital oder eben lokal,national und international. Denn ohne allediese Vermittlungsleistungen keine PopArtim warholschen Kunstsinn, keine unendlicheVerbreitung der Idee, des künstlerischen Sub-jekts, der Produkte einer zukunftsfähigen

Interaktiv undmultimedial:Die PerformerinnenAngie Reed undMelissa Loganpräsentierten sich bei„Operation Ton“.

© Christoph Bruns

FOKUS

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19MUSIK�ORUM

Die Musikphilosophie istfacettenreich, wenn es um

Antworten auf die Frage geht:Wie denken Menschen in undüber Musik?

Tatsächlich sind wir darauf angewiesen,uns indirekt Einblicke zu verschaffen, wie unsermusikalisches Denken geschaffen ist und wases bedeutet. Eine verbreitete Annahme, diein ästhetischen, pädagogischen und psycho-logischen Studien erwähnt wird, betrifft dieExistenz von wenigstens zwei Grundformender Verarbeitung musikalischer Information.Diese sind auf zentrale Eigenschaften musi-kalischer Hörerfahrungen bezogen und immergleichzeitig – wenn auch unterschiedlich aus-geprägt – vorhanden.

Einerseits nehmen wir materielle Aspek-te wie etwa Töne, Klänge, Harmonien undRhythmen wahr. Manche Autoren sprechenhier von strukturellem oder objektivierendemHören, zu dem bereits Säuglinge in hohemMaße in der Lage sind. Andererseits werdenTonfolgen erst aufgrund ihrer emotionalenGehalte und ihrer Wirkung auf unser Ge-fühlsleben zu Musik. Viele Menschen sindüberzeugt, dass Musik sehr tief berühren undemotionale Befindlichkeiten verändern kann.

Gemeinsamer Nenner zwischen struktu-rellen und emotionalen Hörweisen ist, dasssie sich jeweils musikalischen Denkstilen zu-ordnen lassen. Strukturelle Hörweisen wer-den von Komponisten und Musikern in be-sonderem Maße benötigt. Die musikalischeProfessionalisierung ist in hohem Maß da-rauf ausgerichtet, Fähigkeiten des Durchhö-rens und Analysierens musikalischer Nuan-cen auszubilden. Diese Fähigkeiten sind wie-derum Mittel zum Zweck, der darin besteht,emotionale Bedeutungen einfühlsamen Re-zipienten darzustellen.

Forschungen der vergangenen Jahre zumAutismus (eine Entwicklungsstörung, die be-sonders das Sozialverhalten betrifft) lassenvermuten, dass menschliches Verhalten durchzwei Denkstile charakterisiert werden kann.Dabei steht das so genannte empathische demsystemischen Denken gegenüber. Empathi-

sches Denken bedeutet, dass es Menschenleicht fällt, sich in andere Individuen einzu-fühlen und sich in ihre Stimmungen undEmotionen hineinzuversetzen. Bei Autistenist genau diese Fähigkeit beeinträchtigt. Da-durch erklärt sich, dass es ihnen außerordentlichschwer fällt, ihre Beziehungen zu anderenMenschen zu regulieren. Vielmehr zeigen sichgerade bei Autisten systemische Denk- undVerhaltenszüge. Diese sind etwa charakteri-siert durch Zwänge zu Ordnung und Ritua-len. In schwächerer Form ist systemischesDenken jedoch außerordentlich nützlich, dennes beschreibt die Auseinandersetzung mitRegeln und Strukturen in der Umwelt.Schließlich ist es systemischem Denken fin-diger Handwerker und Ingenieure zu verdan-ken, dass wir Auto fahren, fliegen oder aufMusikinstrumenten in architektonisch an-spruchsvollen und akustisch wohlbemesse-nen Konzerthäusern musizieren und wun-dervolle Musik erleben können. Autismus istzwar nicht ausschließlich ein Phänomen beimännlichen Kindern und Erwachsenen, dochsind überzufällig weniger weibliche Kinderund Frauen betroffen. Dieser markante Ge-schlechterunterschied gibt zu denken.

Die Rolle von Geschlechtund Professionalisierung

Sind Männer das systemische und Frauendas empathische Geschlecht? Sind emotio-nale und strukturelle Hörweisen in der Mu-sik überhaupt verwandt oder unterschiedlichzu den allgemeinen empathischen und struk-turellen Denkstilen? Falls ja, welche Rollespielen hier Geschlecht und musikalische Pro-fessionalisierung?

Emery Schubert von der University of NewSouth Wales und Laura Mitchell von derGlasgow Caledonian University haben sichgemeinsam mit mir genau diesen Fragengewidmet. Nach Jahrzehnten feministischgeprägter Bildungskultur, in der Gender häufigals Frauenforschung identifiziert wird, schei-nen unbefangene Diskussionen besondersschwierig, wenn es um mögliche geschlechts-spezifische Merkmale des Denkens geht. Dabeitauchen Geschlechterunterschiede in empi-

rischen Untersuchungen sehr häufig auf,werden jedoch kaum gedeutet.

Wir meinen, das liegt auch an fehlendenwissenschaftlich begründeten Modellen, dietragfähige Interpretationen erlauben. Genaudazu sollte unsere Fragebogenstudie einenBeitrag leisten, an der insgesamt 592 Perso-nen teilnahmen. Die Teilnehmer unserer Studiesollten sich selbst einschätzen, wie sehr siezu unterschiedlichen musikalischen Denkwei-sen neigen, die ihnen anhand verschiedenerAussagen nahe gelegt wurden. So war es mög-lich, (musikalisch) empathische und systemi-sche Denkweisen bei Männern und Frauen,Profimusikern, Amateuren und Nichtmusi-kern statistisch zu bemessen.

Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass all-gemeine und musikalische Denkstile sichentsprechen. Musikalisch emotionales oderstrukturelles Hören folgt damit auch densel-ben Geschlechtermustern wie die allgemei-nen Denkstile: Frauen neigen zu empathi-schen und Männer zu systemischen Denk-weisen auch dann, wenn es um Musik geht.Weiterhin fällt auf, dass professionelle Musi-ker sich nur hinsichtlich musikalisch systemi-schen Denkens deutlich von Nichtmusikernabheben und höhere Werte vorweisen.

Empirische Studien wären unbrauchbar,wenn sie nicht auch weitere Fragen provo-zieren würden: Entwickeln Musiker systemi-sches musikalisches Denken durch ihre Aus-bildung oder liegt diese Orientierung schonin ihren Genen? Wie wichtig sind Männerund Frauen für die Sozialstruktur in Orches-tern? Wie repräsentiert das Gehirn musikali-sche Denkstile? Doch zunächst wären wei-tere Replikationen unserer Beobachtungensinnvoll und notwendig.

Literatur:Kreutz, Gunter, Schubert, Emery & Mitchell, Laura A.:Cognitive styles of Music listening. Music Perception,26(1), S. 57-73, 2008

Der Autor:Prof. Dr. habil. Gunter Kreutz studierte (Historischeund Systematische) Musikwissenschaften in Marburg,Berlin und San Francisco. Der Promotion 1996 und Habi-litation 2004 folgten Tätigkeiten als Hochschuldozentsowie als Research Fellow am Royal Northern College ofMusic in Manchester. Im April 2008 nahm er einen Rufan die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg an.

NUR EINE FRAGE DER KULTUR?Musikalische Denkstile –Zwischen strukturellem und emotionalem Hören: Gunter Kreutz über Geschlechtermuster

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MUSIK�ORUM20

FOKUS

Unsere kreativen kulturellen Leistungenmachen uns zu einem Anziehungspunkt fürdie ganze Welt. An den Musikhochschulenwollen tausende ausländischer Studierendernicht nur ihre musikalischen Fertigkeiten ver-vollkommnen, sie wollen auch das Land dergroßen Kreativen kennen lernen, die Luftatmen, die ein Johann Sebastian Bach, einLudwig van Beethoven, ein Robert Schumannoder ein Johannes Brahms geatmet haben.

Kreativität findet sich nicht nur bei denoben genannten genialen Schöpfern desAbendlandes, sondern sie entsteht auch imkleinen Maßstab, unscheinbar, gewissermaßenim Alltag. Das Gestalten eines Cellotons istebenso ein kreativer Vorgang wie das aus-drucksvolle Singen im Chor. Es wird etwasgeschöpft, etwas erschaffen und dies erzeugtBefriedigung, Lebensqualität und hoffentlichoft ein Lächeln im Gesicht.

Was also ist Kreativität? Was geschieht imGehirn bei Kreativen? Kann man Kreativitätlernen? Kann man optimale Bedingungen fürKreativität schaffen? Und wenn man Kreati-vität lernen kann, in welchem Alter ist es (noch)möglich, kreativ zu werden? Im Folgendenmöchte ich meinen Begriff der musikalischenKreativität erläutern, einige der neurobiolo-gischen Kreativitätstheorien referieren unddanach die Frage stellen, wie unsere Gesell-schaft günstige Bedingungen für die Entwick-lung musikalischer Kreativität im Erwachse-nenalter schaffen kann.

Was ist Kreativität undwer ist kreativ?

Es gibt zahlreiche Versuche, Kreativität zudefinieren. Ich verstehe hier Kreativität alsdie Fähigkeit zu ungewöhnlichem, originel-lem Handeln, das bei der Lösung eines Prob-lems hilft. Dabei kann das Problem beispiels-weise darin bestehen, ein Gefühl wie „Sehn-sucht“ in musikalischer Form auszudrücken.Man muss dafür nicht wie Antonin Dvorákeine geniale Sinfonie wie Aus der Neuen Weltkomponieren, nach meiner Auffassung ist esbereits ein kreativer Akt, einen bestimmten„sehnsüchtigen“ emotionalen Ausdruck durch

Musikphysiologe Eckart Altenmüller über Entwicklungund Förderung von Kreativität im AlterKreativität, geistige Schöpfer-

kraft, Ideenreichtum unddamit Innovation haben Hoch-konjunktur. In fast jeder Stellen-ausschreibung wird von denBewerbern Kreativität verlangt,denn diese Eigenschaft gilt alseine der großen Stützen desFortschritts.

den Bogenstrich auf einer Cello-Saite zu er-zielen. Die kreative Bewältigung dieses Prob-lems liegt in den vielen Versuchen, durcheine bestimmte Bewegung des Arms, einefeine Änderung der Balance am Bogen, durchdas Suchen der optimalen Stelle des Saiten-kontakts dem eigenen inneren Vorstellungs-bild der Sehnsucht auf irgendeine Art mehrund mehr gerecht zu werden. Ein lebenderTon wird gestaltet und etwas Neues, Unge-wöhnliches entsteht. Derartige kreative Pro-zesse sind natürlich nicht auf Kindheit undJugend beschränkt, sondern finden sich in allenLebensaltern.

Nehmen wir also an, die oben genannteAufgabe entstehe während einer Cellostun-de mit älteren Erwachsenen. Man kann die-ser Form der Alltagskreativität noch bestimmteMerkmale zuordnen. Zur Kreativität gehörtunter anderem das divergente Denken. AlsDenken möchte ich hier alle Vorgänge zu-sammenfassen, die aus einer aktiven inne-ren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erin-nerungen und Begriffen eine Erkenntnisformen. Auch das Streichen einer Saite mitdem Ziel, „Sehnsucht“ auszudrücken, ist indiesem Sinn Denken: Die Auseinanderset-zung mit Klangvorstellungen, der Abruf vonerinnerten emotionalen Ausdrucksformen an-derer Cellospieler und die Aktivierung vonsensomotorischen Handlungseinheiten derBogen- und Greifhand sind Denkvorgänge.Dieses musikalische Denken geht dabei oftohne Versprachlichung vor sich, denn es istein Denken in Klängen und Gesten. Die ein-drucksvollsten Belege für die Möglichkeit, reinmusikalisch und ohne Sprache zu denken,sind die späten Kompositionen des RussenVissarion Shebalin, der nach einer Serie vonSchlaganfällen unter einem nahezu komplettenSprachverlust (Aphasie) litt, aber weiterhinkomponierte und mit seiner fünften Sinfo-nie laut Dimitri Schostakowitsch einen Hö-hepunkt seiner Kreativität erreichte.

Im Unterschied zum konvergenten Den-ken, das durch logische Schlussfolgerungenoder durch eingefahrene Denkmuster zu ei-ner einzigen oder besten Lösung gelangt, lie-fert das divergente Denken mehrere alterna-

tive Lösungen, die jeweils den gegebenenAnforderungen entsprechen. Dabei gelten dieAnzahl der generierten Lösungen und derenQualität als Maß für die Ausprägung des di-vergenten Denkens. Der amerikanische Psy-chologe Guilford hat mit seinem Modell zur„Struktur des Intellekts“1 bereits 1967 sechsAspekte von kreativem Denken festgelegt,an denen auch heute noch meist festgehal-ten wird und die ich anhand unseres Bei-spiels kurz erläutern möchte:

1. Problemsensitivität: Darunter wärehier die Fähigkeit zu verstehen, eine Emotionwie „Sehnsucht“ in eine akustische Geste um-zusetzen. Welche Modelle können herange-zogen werden? Kann man den Stimmklangeines sehnsüchtigen Ausrufs auf ein Saiten-instrument übertragen? Und wenn ja, wie istdies sensomotorisch umzusetzen?

2. Flüssigkeit in der Produktion vonLösungsansätzen: Hier ist die Anzahl dergefundenen alternativen Lösungen von Be-deutung. Welche der zur Verfügung stehen-den Klangfarben eignet sich am besten zurLösung der Aufgabe?

3. Flexibilität von Denkschemata: Musses der Bogen sein, mit dem ich auf der Saite„Sehnsucht“ realisiere oder ist es doch dasVibrato in der linken Hand, mit dem dieserAusdruck am Besten erzielt werden kann?

4. Umdefinition von Objekten undFunktionen: Oder ist es nicht nur der Klang,sondern trägt mein Gesichtsausdruck als Spielerentscheidend zur Problemlösung bei?

5. Elaboration im Sinn von Realisierbar-keit: Wie muss ich konkret meinen Bogen füh-ren, wie muss sich die linke Hand bewegen,damit der gewünschte Ausdruck entsteht?

6. Praktikabilität und Originalität: Istmeine Lösung realisierbar, kann man über-haupt den Bogen an dieser Stelle mit diesemGeschwindigkeits- und Kraftverlauf streichenund ist die linke Hand anatomisch-physiolo-gisch so beschaffen, um das ausdrucksvolleVibrieren zu erzeugen? Was ist Besonderesan meinem sehnsüchtigen Klang?

Es sind offensichtlich zahlreiche hochkomp-lexe musikalische Denkvorgänge, die hierstattfinden und die ein hohes Maß an Krea-

MIT EINEM

Lächeln IM GESICHT

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21MUSIK�ORUM

tivität verlangen. Und noch etwas wird deut-lich: Es hilft, wenn man Erfahrung hat, dennfür einen geübten Cellisten ist die Aufgabesehr viel leichter zu lösen als für einen An-fänger. Aber auch ein musikalisch wenig rou-tinierter älterer Erwachsener hat bei dieserkreativen Aufgabe gegenüber Kindern undJugendlichen Vorteile, da er hinsichtlich derEmotion „Sehnsucht“ differenziertere Lösungs-möglichkeiten erwägen wird. Er wird zumBeispiel zwischen nostalgischer Sehnsucht,Sehnsucht nach geliebten Menschen und trans-zendenter Sehnsucht, wie sie in dem GedichtMondnacht von Eichendorff geschildert wird,unterscheiden. Wichtige Ressourcen für Krea-tivität sind also neben dem divergenten Denkenhoch organisierte Wissenssysteme, die sichim Reichtum an Lebenserfahrung und in denmit der Aufgabe verbundenen zahlreichenAssoziationen widerspiegeln. Aber auch diespieltechnisch-sensomotorischen und emo-tionalen Fertigkeiten sind unter den Wissens-systemen einzuordnen.

Das kreative Gehirn

Die Hirnphysiologie der Kreativität ist sokomplex, dass eine systematische Erforschungbisher unmöglich war und vielleicht auchimmer unmöglich bleiben wird. Es gehört zumWesen der Kreativität, dass sie sich nicht inein Versuchsdesign zur Messung der Hirnak-tivierung einfügen lässt. Die neurophysiolo-gische Kreativitätsforschung hat daher eherHypothesen als Ergebnisse vorzuweisen.

Die erste Hypothese könnte Kohärenz-hypothese genannt werden: Häufig wirdKreativität und divergentes Denken mit ei-nem stärkeren Informationsaustausch in weitverzweigten neuronalen Netzwerken in Ver-bindung gebracht. Hellmuth Petsche aus Wienerhob Befunde, die sich in dieser Richtunginterpretieren lassen.2 In einer Einzelfallstu-die an einem 34-jährigen Komponisten er-fasste Petsche mit der EEG-Methode die Ko-härenz, das heißt die Ähnlichkeit desEEG-Signals über verschiedenen Hirnregio-nen beim Hören von Musik Mozarts und beimKomponieren (vergleiche Abbildung 1). DieKohärenz ist ein Maß des Informationsaus-tauschs zwischen verschiedenen Hirnregio-nen. Beim Komponieren entstand ein deut-lich stärkerer Informationsaustausch zwischenverschiedenen Hirnarealen beider Hirnhälf-ten als beim Hören der Komposition Mo-zarts. Die Unterschiede waren besondersdeutlich im hohen Beta- Frequenzbereich desEEGs. Dieser Frequenzbereich (Beta 2: 18,5–31,5 Hz) wird mit hoher Aufmerksamkeitund bewusst ablaufenden Denkprozessen inVerbindung gebracht.

nem Schwund der Hirnsubstanz der linkenHirnhälfte mit rasch voranschreitender Aphasielitt. Seine kreativen Fertigkeiten kamen bereitsfrüh im Krankheitsverlauf zum Erliegen.3

Die dritte Hypothese könnte man als dieStirnhirnhypothese bezeichnen. Eine der wich-tigsten Funktionen des Stirnhirns besteht jain der Kontrolle von Denkvorgängen. Kon-trolliertes Denken bezieht in die Verarbei-tung neuer Information immer auch die Er-fahrungen und Erwartungen des Individuumsein. Eine derartige „top-down“-Kontrolle kannbei kreativen Leistungen eher hinderlich seinund zum Überwiegen des Konventionellenführen. Nach der Einnahme von Rauschdro-gen und bei psychischen Erkrankungen wieder Schizophrenie kommt es zu einer ver-minderten Kontrollfunktion des Stirnhirns,wodurch kreative Gedankengänge erleichtertwerden. An der Universität Bochum wurdengesunde Probanden durch psychologischeTests als „stärker kontrolliert“ und „wenigerkontrolliert“ klassifiziert. Dann wurde denProbanden die Aufgabe gestellt, ein außer-irdisches Tier zu zeichnen. Die „stärker kon-trollierten“ Probanden hielten sich dabei eheran traditionelle Vorstellungen und übernah-men Konzepte wie Gliedmaßen, Kopf, Augenetc. Die „weniger kontrollierten“ Probandentendierten zu sehr viel kreativeren Lösungenund lösten sich weitgehend von überkom-menen Vorstellungen.4 Ein eindrucksvollesBeispiel hierfür zeigt Abbildung 2.

Mozart hören Komponieren

An dieser Stelle muss einschränkend an-gemerkt werden, dass derartige Veränderun-gen der EEG-Parameter auch bei vielen an-deren anspruchsvollen Denkvorgängen auf-treten. So konnten wir zeigen, dass 20 Minu-ten andauerndes Klaviertraining bei älterenErwachsenen eine ganz ähnliche Zunahmeder Kohärenz bewirkte. Die gesteigerte Ko-härenz kann also als notwendige, aber nichthinreichende Bedingung des kreativen Vor-gangs aufgefasst werden. Es ist denkbar, dasssie hirnphysiologisch der Neukombinationgeistiger musikalischer Vorstellungsbilderentspricht.

Eine zweite Hypothese könnte man dieHemisphären-Hypothese nennen. Häufig wirdkreatives Denken der rechten Hirnhälftezugesprochen. Dafür spricht der oben ange-sprochene Fallbericht des Komponisten She-balin, der nach einem linkshirnigen Schlag-anfall sehr wohl noch in der Lage war, zukomponieren. Umgekehrt existieren jedochauch Befunde, die zeigen, dass eine linkshe-misphärische Schädigung die Kreativität be-einträchtigt. Als Beispiel könnte Maurice Ravelangeführt werden, der vorwiegend unter ei-

Abbildung 1: Gesteigerte Kohärenz des EEG-Signals im hohen Frequenzbereich des EEGs(Beta 2 Frequenz, 18,5–31,5 Hz) während desKomponierens (rechts) verglichen mit demHören von Musik Mozarts (links). Die durch-gezogenen Linien entsprechen einer Zunahmeder Kohärenz, die gestrichelten einer Abnahmegegenüber einer Ruhebedingung. Oben istdie Aufsicht auf die linke Hemisphäre, in derMitte auf beide Hemisphären und unten aufdie rechte Hemisphäre abgebildet. Die Zunah-me der Kohärenz während des kreativen Vor-gangs betrifft vor allem das Zusammenspielbeider Hemisphären (mittleres Bild) und dielinke Hemisphäre isoliert (oberes Bild). Modi-fiziert aus [2].

Abbildung 2: Beispiel für die Lösung derAufgabe, ein außerirdisches Tier zu zeichnen.Ein Proband, der nach psychologischen Testsals „weniger kontrolliert“ klassifiziert wurde,kam zu einer sehr viel kreativeren Lösung (A)als der weitgehend in traditionellen Vorstel-lungen verhaftete „stärker kontrollierte“ Pro-band (B). Modifiziert aus [4].

A

B

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MUSIK�ORUM22

Zusammenfassend können wir für vieleAnteile kreativer Vorgänge hirnphysiologischeKorrelate finden. Aber damit sind nur die not-wendigen Voraussetzungen der Kreativitätbeschrieben. Der eigentliche schöpferischeProzess wird nicht abgebildet. Howard Gardnerhat dieses Dilemma der neurobiologischenKreativitätsforschung treffend formuliert:„Selbst wenn wir jeden Bruchteil jedes ein-zelnen Neurons kennen würden und jedesDetail der neuronalen Netzwerke eines Men-schen erfasst hätten, würden wir doch nichtwissen, ob dieser Mensch kreativ ist.“5

Kreativität auch im Alter?

Grundsätzlich können die oben genann-ten neuronalen Voraussetzungen der Kreati-vität auch im Alter geschaffen werden. Derkreative Umgang mit den inneren Klangvor-stellungen und mit den eigenen sensomoto-rischen Fähigkeiten sowie das mit dem Übenund Musizieren verbundene Suchen nachLösungsmöglichkeiten bilden auch bei älte-ren Erwachsenen einen starken Anreiz fürplastische Veränderungen des Zentralnerven-systems. Unter dem Begriff der Neuroplasti-zität versteht man die funktionelle und struk-turelle Anpassung des Nervensystems anSpezialanforderungen, wie sie das Musizie-ren mit sich bringt. Plastische Anpassungentreten dann auf, wenn relevante und komp-lexe Reize über einen längeren Zeitraum meist

unter Zeitdruck verarbeitet werden müssenund wenn der verarbeitende Organismus –in unserem Fall das musizierende Individu-um – hoch motiviert ist und unter Umstän-den sogar Glückshormone ausschüttet, wiedies bei einem kreativen Akt – wir bleibenbeim gefundenen musikalischen Ausdruckder „Sehnsucht“ – anzunehmen ist.

Man kann kreatives Handeln lernen unddie Bedingungen für Kreativität optimieren.Günstige Voraussetzungen sind Offenheit fürNeues, Toleranz gegenüber Vieldeutigkeit,Neugier, Leistungsfreude sowie Selbstvertrauenund Risikobereitschaft. Freilich wird der Grund-stein für diese Eigenschaften bereits in derKindheit und Jugend gelegt, aber auch dieErwachsenenpädagogik ist hier gefordert, ihrenBeitrag zur Entwicklung kreativer Potenzialezu leisten. Bei älteren Menschen ist es gera-de der Reichtum an Lebenserfahrungen undan inneren Bildern aus allen geistig-sinnlichenDimensionen, der als Schlüssel für die Er-schließung kreativer Quellen nutzbar gemachtwerden kann. Aber auch die Gesellschaft istgefragt, denn eine anregende, fördernde undfordernde kulturelle Umwelt ist hilfreich undsogar notwendig, um befriedigende kreativeLösungen zu finden.

Wenn man über musikalische Kreativitätim Alter spricht, sollte man nicht nur an dieherausragenden Künstler denken, die nochim hohen Alter ihre Schaffenskraft auslebenkonnten – etwa die Komponisten Josef Haydn

und Anton Bruckner oder die InterpretenAnton Rubinstein und Jascha Heifetz – undsich selbst durch diese Rollenbilder unterErfolgsdruck setzen. Man muss sich immerwieder vergegenwärtigen, dass Kreativität miteiner individuellen Sinnstiftung zusammen-hängt. Es geht also nicht darum, Sinfonien zukomponieren oder Meisterwerke zu interpre-tieren. Vielmehr sollte man die für jedesLebensalter angemessenen individuellen Zielefür sich selbst bestimmen und sich auf denWeg machen, diese zu erreichen – mit ei-nem Lächeln im Gesicht.

1 siehe auch: Robert J. Sternberg und Elena Grigorienko:„Guilford’s Structure of Intellect Model and Model ofCreativity: Contributions and Linitations“, in: CreativityResearch Journal 13, 3 (2001), S. 309-316.2 Hellmuth Petsche: „Der Beitrag des Spontan-EEGszum Verständnis kognitiver Funktionen“, in: Wienerklinische Wochenschrift 109, 1997, S. 327-341.3 L. Amaducci, E. Grassi, F. Boller: „Maurice Ravel andright-hemispere musical ceativity: influence of diseaseon his last musical works“, in: European Journal of Neu-rology 9, 2002, S. 75-82.4 Anne Abrahaham, Meike Driessen: „Vorstellung neuerKreativitätstests“, in: Bochumer Universtätsblätter 2003.5 K. H. Pfenninger, V. R. Schubik: „The origins of creati-vity“, in: Oxford University Press, Oxford 2001, Seite XII.

Der Autor:Univ. Prof. Dr. med. Eckart Altenmüller ist Direktordes Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizinder Hochschule für Musik und Theater Hannover. Er stu-dierte Medizin in Tübingen, Paris und Freiburg/Breisgauund zeitgleich Musik (Hauptfach Querflöte) und habili-tierte zum Facharzt für Neurologie.

FOKUS

Kämpfen, um sichzu erneuernKreativität hat Fantasie als Voraussetzung.Als ich ein Kind war, hat meine Mutter sehrviel mit mir gespielt. Dazu brauchte eswenig Spielzeug: Alle Alltagsgegenständekonnten eine Seele, einen Charakter haben.Darüber hinaus haben wir uns auch Fanta-sie-Gestalten komplett ausgedacht, diemich sozusagen als „gute Freunde“ beglei-teten. Überall gab es spannende Geschich-ten und ich lernte auf Kleinigkeiten zuachten, das Besondere an einer Blume oder

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rivat

an einem schönen Stein oder Blatt zu er-kennen.

Die Neugierde und Imagination meinerKinderjahre fühle ich noch lebendig in mir –ich denke, das ist wichtig, um sich dieKreativität zu erhalten. Für meine Arbeitstehen Imagination und Vision am Anfang –dann geht es darum, wie ich diese verwirk-lichen kann. Ich versuche, mir mit jedemStück neue Aufgaben zu stellen und steckedadurch fast jedes Mal zunächst in einerKrise, die aber produktiv ist: Ich kämpfemit mir selbst, um mich (hoffentlich!) zuerneuern. Dazu gehört auch die Selbstkritik(ich hadere viel mit mir – ab und zu gibt es

jedoch auch Lob …). Bei meinem LehrerJohannes Schöllhorn habe ich gelernt, dassder Einfall nicht unbedingt das Eigenstebedeutet. Das Spontane ist oft das „Schon-Gehörte“ und somit trügerisch. Zum wirk-lich Eigenen kommt man vielmehr durchdas Hinterfragen dieser „Inventionen“.

Die Komposition entwickelt sich zwischenmeiner Vision und den auferlegten odervon außen gegebenen Grenzen. Dabeibekommt das Stück in der Regel auch einEigenleben. Es kann widerspenstig sein undhat seine eigene Richtung – auch daraufversuche ich zu hören.

Von meinem jetzigen Lehrer WalterZimmermann lernte ich unter anderem,dieser inneren Stimme nachzuspüren, injeden Klang gleichsam „hineinzuhören“.Vor jedem Stück habe ich die Sorge: Wasist, wenn sich mir die Inspiration versagt?Es gibt keinerlei Garant, ob es so bleibt …Ich hoffe es jedenfalls und arbeite daran.

ˇU www.sarah-nemtsov.de

Sarah Nemtsov(29), Solo-Oboistinund Komponistin

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Beispiel Leipzig: Im 19. Jahrhundert gabes in der sächsischen Metropole – wie fastüberall in Europa – nur ein Theater, das imPachtsystem geführt wurde. Der jeweiligeTheaterpächter war privater Unternehmer undtrug das volle Risiko sowie die gesamte Lastder Organisation. Ausschlaggebend für denErfolg eines damaligen Theaterdirektors – vonden immer schon existenten lokalpolitischenIntrigen abgesehen – war von jeher der Reizdes Neuen. Uraufführungen waren also stän-diger Bestandteil des Spielplans.

Die Frage nach der Zukunft der Oper wird seit Jahrzehnten in regel-mäßigen Abständen bis ins Detail diskutiert – ohne wirklich greifbare

Ergebnisse. Die krisengeschüttelte und -geplagte Oper lebt – jedenfallsgrößtenteils und mit ihren strukturellen Problemen – weiter. Neue Akzentefür den Diskurs um unsere Musiktheater sollen folgende Thesen liefern.

Komödie, das Gewandhaus und das Cent-raltheater sind städtische Eigenbetriebe, or-ganisatorisch aber voneinander getrennt. EngeVerzahnungen und daraus folgende organi-satorische Konsequenzen ergeben sich durchdas Gewandhausorchester, das als Opern-orchester jede Vorstellung im Opernhaus spielt,sowie durch die Theaterwerkstätten, die füralle vier städtischen (Musik-)Theaterinstitu-tionen arbeiten.

Zusammen haben Gewandhaus, Oper,Musikalische Komödie und Centraltheater4350 Plätze (das Opernhaus nach der Sa-nierung 1260 Plätze); mit den gerne und häufig

Christine Villinger skizziert am Beispiel der Oper Leipzig die Rahmenbedingungeneines Musiktheaters und macht sich Gedanken zu seiner Zukunft

ZURÜCK ZUM Theater der Antike!

Erst 1912 gab die Stadt Leipzig das Pacht-system auf und gründete die „StädtischenTheater Leipzig“. Der Luxus dreier Spielstät-ten für Oper und Ballett einerseits, Schau-spiel anderseits und zusätzlich ein Haus fürdie heitere Muse (damals nur Operette, heu-te Operette und Musical, mittlerweile in derMusikalischen Komödie im Stadtteil Linde-nau) ist hier geschichtlich gewachsen. Dazukommt noch das Gewandhaus als eines derbedeutendsten Konzerthäuser weltweit.

20 Jahre nach Mauerfall und friedlicherRevolution hat sich die Situation grundlegendverändert. Die Oper mit der Musikalischen

„Luxustempel“? Die Oper Leipzig amAugustusplatz wurde 1960 als erster Theater-neubau der Nachkriegszeit eröffnet.

Alle Fotos: Andreas Birkigt

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MUSIK�ORUM24

FOKUS

bespielten kleineren Spielstätten der Häusersogar gut 5000 Plätze. Die BevölkerungszahlLeipzigs liegt – Tendenz immerhin eher stei-gend – bei derzeit rund 515000 Einwoh-nern, wobei der Zuzug aus dem direktenUmland kommt, das dadurch an Bedeutungimmer mehr verliert (einen „Speckgürtel“ wiein anderen Städten gibt es nicht). Das bedeu-tet, dass bei einem Spielplan der vier Häusermit Vorstellungen an rund 300 Tagen im Jahrjeder (!) Einwohner Leipzigs fast dreimal imJahr eines dieser Häuser besuchen müsste,wenn man eine hundertprozentige Auslas-tung erreichen wollte.

Leipzig hat kulturell aber weit mehr zubieten als diese vier Häuser: das Theater derjungen Welt als Spezialtheater für Kinder undJugendliche sowie eine Reihe an Theatern derFreien Szene, die Museen, die zahlreichenKabaretts mit ihrer großen Tradition, Kirchen,Kinos, Kneipen etc. – von den in kürzesterZeit erreichbaren Opernhäusern der nähe-ren Umgebung wie u. a. Halle, Dessau, Wei-mar, Erfurt, Gera-Altenburg, Berlin, Dresdenund Chemnitz gar nicht zu reden. Mit rund100 Millionen Euro hat Leipzig einen dergrößten Kulturetats unter vergleichbarenStädten in Deutschland. Die Arbeitslosenquoteliegt gleichzeitig bei rund 15 Prozent und da-

mit deutlich höher als in Dresden oder sogarin Chemnitz. Das Bruttoeinkommen ist nied-riger als in den beiden anderen sächsischenStädten.

Positiv fällt dem Besucher freilich auf, dassLeipzig eine äußerst junge, dynamische Stadtist. Die rund 37000 Studenten sind prägendfür das Stadtbild. Auch der Tourismus ent-wickelt sich vielversprechend: Erstmals wur-de 2008 die Millionengrenze bei den Gäs-teankünften „geknackt“ und auch im 1. Quartal2009 gab es eine weitere deutliche Steige-rung. Mit Dresden wird Leipzig in dieserHinsicht vermutlich aber nie wirklich kon-kurrieren können.

ArbeitsaufwändigeTheaterbetriebe

Die Oper Leipzig erhält einen Zuschussder Stadt Leipzig von 40 377 000 Euro beiderzeit 645 Mitarbeitern. Dabei ist zu bemer-ken, dass die Musikalische Komödie als zweiteSpielstätte der Oper Leipzig und als Spezial-ensemble für Operette und Musical nebender Staatsoperette Dresden nicht nur daseinzige kommunal getragene Theater diesesGenres in Deutschland ist, sondern durch seinAlleinstellungsmerkmal auch über ein eige-nes Sängerensemble, Orchester, Ballett undeinen eigenen Chor verfügt. Die Oper Leip-zig bleibt also ein arbeitsaufwändiger Betrieb,dessen Personal fast 85 Prozent der Zuschüssefrisst. Der Gästeetat der Oper ist heute schonder niedrigste im Vergleich der Mitglieder derdeutschen Opernkonferenz. Die nicht dispo-niblen Kosten müssen durch die Einnahmenfinanziert werden. Bleiben diese aus unter-schiedlichen Gründen aus, muss die Anzahlan Premieren schrumpfen, was zwangsläufigin den immer gleichen Teufelskreis von wei-ter sinkender Attraktivität führt.

Die Mitarbeiteranzahl lässt sich ebenfallsnicht mehr verringern – seit 2005 wurdenbereits 80 Stellen eingespart –, ohne dass dieszu erheblichen künstlerischen und produkti-ven Einbußen führen würde. Auf einer sogroßen Bühne wie der des Leipziger Opern-hauses verlieren sich wenige Sänger oderTänzer sofort, ist eine Aufführung ohne Büh-nenbild, Kostüme, Licht und Technik nichtdarzustellen.

Es stellt sich also die Frage, ob in einerStadt wie Leipzig das Kassensystem mit ei-ner angestrebten Einnahmequote von 15Prozent überhaupt noch lange realisierbar ist.Wäre es da nicht sinnvoller, auch dieses ab-zuschaffen und die Theater komplett zu ali-mentieren? Ein verantwortlicher Umgang mitdem Geld könnte dann wieder dazu führen,dass die Theater nicht mehr einem ohnehin

nicht zu ergründenden Publikumsgeschmackhinterherlaufen müssten, sondern in der Lagewären, mehr Neues zu wagen, Altes zu hin-terfragen und so kreativeres, spannenderesTheater machen zu können. Uraufführungenhätten dann wieder den Platz gerade imMusiktheater, der ihnen eigentlich zukom-men müsste. Derzeit ist jede Uraufführung –selbst jedes Werk des 20. Jahrhunderts – einabsolutes unternehmerisches, kein künstleri-sches Risiko.

Lebendiges Musiktheater

Ist in der Folge nur noch rein kommerzi-elles Handeln gefragt? Nein. Die Oper Leip-zig geht sehr bewusst Risiken ein: Mit Chef-regisseur Peter Konwitschny an der Spitzeund Generalmusikdirektor Ulf Schirmer be-kennt sich das Haus zu einem „lebendigenMusiktheater“, spielt Schönberg fast so vielwie Mozart und Wagner, führt anlässlich des20. Jahrestags der friedlichen Revolution abdem 8. Oktober Luigi Nonos Unter der gro-ßen Sonne von Liebe beladen (Al gran sole ca-rico d’amore) auf, gönnt sich dazu einen Zyk-lus von vier Werken Glucks und plant u. a.die erste szenische Aufführung von DessausDeutschem Miserere und die Uraufführung ei-nes Werks von Johannes Harneit.

Zudem leistet die Oper Leipzig heute ei-nen enormen Beitrag als Bildungsinstitution,da an vielen Schulen nur ungenügend Mu-sikunterricht erteilt wird und auch die Allge-meinbildung viel zu kurz kommt. Dies ist deut-lich bei den Studenten und Auszubildenden,also der nachwachsenden Zuschauergenera-tion, wahrzunehmen. Mit unterschiedlichs-ten Angeboten – vom Kinderchor über di-verse Rahmenprogramme (gerade auch inden Zentren nicht opernaffiner Gruppen) biszum Volkshochschulkurs – wird versucht,Grundlagen neu zu schaffen, die bei den heu-tigen Zuschauern nicht mehr existieren. ZurVerbesserung dieser theaterpädagogischen Öf-fentlichkeitsarbeit – sie bedeutet heute kei-neswegs nur Arbeit mit Kindern und Jugend-lichen, sondern auch mit älteren Besuchern– wäre eine spezielle Förderung der Theaterdurch die jeweiligen Bildungsministerien mehrals wünschenswert.

Zurück also zum Theater der Antike, dasPodium für die ganze Polis war.

Die Autorin:Dr. Christine Villinger, ausgebildete Flötistin, promo-vierte 1999 an der Johannes Gutenberg UniversitätMainz im Fach Musikwissenschaft. Seit 2000 ist sieLeiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zunächstam Theater Chemnitz, dann an der Staatsoper Hannoverund seit 2006 an der Oper Leipzig; Lehrtätigkeit an denUniversitäten Chemnitz und Leipzig.

Risikobewusst im Spielplan: Die Oper Leip-zig bietet regelmäßig Atonales von ArnoldSchönberg (im Bild: „Pierrot Lunaire“).

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„Kunst entwickelt sich jenseits vom Kosten-Nutzen-Denken. Wir sind kein Wirtschafts-betrieb“, betont Alexander von Maravic,Intendant des Leipziger Opernhauses, derseine Institution trotz aller Sparnotwendig-keiten als Zentrum von Vielfalt und Innova-tion versteht.

Für das MUSIKFORUM sprach HansBäßler mit dem Opernleiter.

Zum „Tag der Musik“ im Juni wardie Leipziger Oper eines der bundesweit be-obachteten Leuchtturmprojekte der Initiative.Hier fanden viele unterschiedliche musikali-sche Projekte und Aufführungen statt, diedurchaus als Muster für andere Häusergenommen werden könnten. Gehört dieseProduktionsvielfalt zum Alltag bei Ihnenoder schmückte sie den „Tag der Musik“?

Alexander von Maravic: Wir ver-suchen, diese Vielfalt täglich durchzuset-zen. Wir wollen kein Programm anbieten,das man heutzutage in jedem Opernhausfinden kann. Mit unseren vielfältigenAngeboten möchten wir das Publikum

zu uns locken. Schauen Sie sich unserenSpielplan am Wochenende an: UnserSpektrum reicht vom Musical über dieOperette bis hin zur klassischen Oper.Und für die jungen Menschen haben wirin dieser Spielzeit die Initiative „Figarostoller Tag – Mozart für Operneinsteiger“gestartet, mit der Sonntag vormittagsKinder und Jugendliche an das Theater,an die Oper und an die Musik herange-führt werden. Dies ist uns sehr wichtig,da das Interesse an Musik und Theatervon der Erziehung abhängig ist. Damitmuss eigentlich in der Schule begonnenwerden. Da sich die Schule das abernicht mehr leisten kann, muss die Opereben das Ihrige dazu tun.

Ist es denn schwierig, junge Men-schen an einem Sonntagmorgen in die Operzu bewegen?

von Maravic: Wir sind insgesamt sehrerstaunt darüber, wie gut das Angebotvon den Eltern und ihren Kindern ange-nommen wird. Dieses Interesse macht

uns Mut und animiert uns, solche Initiati-ven auch in Zukunft anzubieten.

Wenn man die Theaterlandschaftin Leipzig von außen betrachtet, hat mannicht den Eindruck, es gäbe eine Krise desTheaters, der Oper. Täuscht der Eindruck?

von Maravic: Es gibt keine Krise desTheaters, sondern es gibt eine ökonomi-sche Krise, eine Krise der Gesellschaft.Aber genau hier liegt auch eine Chancefür die Theater und für alle, die sich mitKunst beschäftigen: Wir können versu-chen, die Sinnfrage wieder in den Mittel-punkt zu stellen und nicht nur über dieÖkonomie zu reden, die heutzutage dasDenken im Theaterleben bestimmt. Wirmüssen erkennen, dass Kunst sich jenseitsvom Kosten-Nutzen-Denken entfaltet.Auch wenn wir wie ein Wirtschaftsbe-trieb geführt werden, sind wir eben keinWirtschaftsbetrieb. Unsere Aufgabe ist es,das zu machen, was sich am Markt nichtdurchsetzt, was sich nicht unbedingt rech-nen muss. Wir wollen das innovative

»Wir lockenmit Vielfalt«Alexander von Maravic,Intendant der LeipzigerOper, zum Konzeptseines Hauses

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MUSIK�ORUM26

FOKUS

Zentrum einer Stadt sein. Das versuchenwir zu leben, indem wir neue Wege gehen.Wir zeigen dem Publikum Unbekanntes –was noch vor hundert Jahren selbstver-ständlich war –, also auch Risikoproduk-tionen, und versuchen es an Werke heran-zuführen, die sie nicht kennen. Früher wardas einfacher, damals wurde der Erfolgeines Theaterdirektors danach bewertet,wie viele Uraufführungen er gemacht hat.Vor 100 oder 150 Jahren war die Gesamt-situation einfach ganz anders, damals gabes noch nicht diese Medienwelt. Man gingeinfach ins Konzert oder ins Theater, umsich belehren, anregen, unterhalten undbewegen zu lassen.

Kann man in einer staatlich finan-zierten oder teilsubventionierten Oper auchdadurch Innovation entstehen lassen, indemman z. B. freien Gruppen einen Ort bietet?

von Maravic: Letztlich leben die Thea-ter von den freien Gruppierungen. VieleInnovationen sind zunächst von ihnen aus-gegangen und dann von den etabliertenTheatern aufgenommen worden. Wir hieran der Leipziger Oper haben keine Berüh-rungsängste. So stellen wir z. B. unserKellertheater der freien Tanzszene zur Ver-fügung. Allerdings ist der Arbeitsprozesseines Opernhauses nicht mit dem einerfreien Gruppe zu vergleichen: Ein Schau-spielensemble oder ein Schauspielhausplanen viel kürzer und können auf be-stimmte Situationen schneller reagieren.Das ist für ein Opernhaus sehr schwierig.Bedenken Sie z. B., dass wir schon jetztam Spielplan für die Saison 2011/2012basteln. Allein wegen der internationalenVerflechtungen der Opernhäuser müssendie Spielpläne viel früher gemacht werden.

Trägt die Oper als System, als Insti-tution eine gewisse Schwerfälligkeit in sich,reagiert sie zu langsam?

von Maravic: Es wird immer schwieri-ger, Sänger fest an ein Haus zu binden,denn hinter den Sängern stehen Agenturen,die die Sänger schnell auf den freien Markttreiben wollen. Wir müssen bereits jetztSänger für das Jahr 2013 verpflichten,sonst wären sie nicht mehr zu haben.Wegen der Abhängigkeit von Agenturenund deren Planungen versuchen wir ver-stärkt auf die beiden Säulen des deutschenTheaterbetriebs zu setzen: auf Ensembleund Repertoire.

Was mir bei meinem Leipzig-Besuchaufgefallen ist: Auf der einen Seite zeigen Sieden sehr exklusiven „Don Giovanni“ vonWerner Schroeter, auf der anderen SeiteProduktionen in der Musikalischen Komödie,die sich bewusst der so genannten Unterhal-tung verschreiben. Wie ist dieser Spagat zubewerkstelligen?

von Maravic: Das ist kein Spagat. ImGegenteil: Wir sind stolz darauf, dass wirals einziges Theater neben der DresdenerStaatsoperette, das von der öffentlichenHand alimentiert wird, Operetten undMusicals aufführen können. Wir sind ange-tan davon, wie groß das Interesse der Be-völkerung an diesem Musikgenre ist, undwir machen das in diesem Haus aufhöchstem Niveau. In vielen anderen Opern-häusern wird die Operette eher als Alibi-Aufführung wahrgenommen, während wirdieses Genre systematisch pflegen undzukünftig auch verstärkt auf die SparteMusical setzen wollen.

Woran liegt aus Ihrer Sicht die hoheQualität des Hauses?

von Maravic: Das liegt daran, dass Ro-land Seiffarth [ehemaliger MusikalischerLeiter] dieses Ensemble kontinuierlichüber Jahrzehnte geformt und die Sängerausgesucht hat. Mit seinem NachfolgerStefan Diederich wird dieses hohe Niveaugehalten. Es ist toll, dass wir solch einenjungen Chefdirigenten haben, der das Erbevon Roland Seiffahrt angetreten hat unddie Operette liebt. Kunst entsteht vorallem aus Liebe zu den Werken und zuden Künstlern.

Sie erwähnten andere Häuser, diedie Operette als Alibi-Veranstaltung anbieten,um die Zuschauerzahlen zu erhöhen. Wirddie Operette in diesen Häusern lieblosergespielt?

von Maravic: Das möchte ich nichtbeurteilen. Ich glaube, dass man sich füreine gute Operettenaufführung auch einebestimmte Spielfähigkeit erarbeiten muss.Genau dies hat Roland Seiffarth über Jahr-zehnte geschafft. Er ist nicht per se zurOperette gekommen, sondern er hat frü-her hier im Haus auch viele Opern diri-giert, bevor er sich einfach mit Herz undSeele der Operette verschrieben hat.

Auf den Punkt gebracht: Wie stellenSie sich das Opernhauspublikum im Jahr2020 vor?

von Maravic: Das ist bereits heute eineder zentralen Fragen. Unsere Aufgabe istes, junge Menschen an die Oper und dieOperette heranzuführen und ihnen klar-zumachen, dass das Musiktheater die Ge-samtheit aller Künste beinhaltet: nämlichdie Musik, die darstellende Kunst und diebildende Kunst. Sie haben ein Gesamt-kunstwerk vor sich. Sie können nur dannder Vergreisung im Opernhaus und derOperette vorbeugen, wenn Sie früh an-fangen und Kinder und Jugendliche kon-tinuierlich ästhetisch weiterbilden. Wirhaben beispielsweise einen großen Kinder-und Jugendchor – was ein Tropfen aufden heißen Stein sein mag, aber irgendwomüssen Sie ja anfangen. Musik und Thea-terkultur sind Erziehungsfragen, denen sicheigentlich die Schule anzunehmen hat. Da

„Wir sind stolz auf unsere Operetten“: Mit Aufführungen wie dem Schwarzwaldmädel vonLeon Jessel befriedigt die Musikalischen Komödie das Besucherinteresse in Leipzig.

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dies nicht geschieht, übernehmen dieTheater diese Aufgabe immer mehr.

Viele junge Menschen wissen gar nicht,was sich hinter Oper oder Operette ver-birgt. Deshalb arbeiten wir mit unserenTheaterpädagogen kontinuierlich daran,das zu ändern. Wir machen jährlich imSchnitt 400 bis 500 Veranstaltungen nurfür junge Menschen und erreichen damitdurchschnittlich 20000 bis 25000 Schülerund Studenten. In der Hoffnung, dass beiihnen später etwas davon übrig bleibt undsie die Liebe zu unserem Genre entdecken,bewahren und weitergeben können.

Worin ist aus Ihrer Sicht die defizi-täre musikalische Bildung unserer Kinder undJugendlichen begründet: im Elternhaus, inden Schulen, in der Medienbeeinflussung?

von Maravic: Es fängt bereits in derSchule an. Dort gibt es kaum noch Musik-unterricht und auch die bildende Kunstwird praktisch nicht mehr unterrichtet.Zum einen macht sich der Spardruck anden Schulen bemerkbar, zum andern wur-den die künstlerischen Fächer einfach durch

betrachtet zu werden? Die Theater über-nehmen immer mehr Aufgaben der Gesell-schaft und leisten damit einen wesentlichenBeitrag dazu, dass junge Menschen vonder Straße geholt werden und durch dieKunst sinnvoll angeregt werden.

Was würden Sie der LeipzigerKulturpolitik heute raten?

von Maravic: Umarmt eure Kultur-schaffenden und seid stolz darauf, dass ihrdiese innovativen Menschen in eurer Stadthabt. Denn ohne sie verödet die Stadt, istarm und leer. Erkennt, dass Kultur, Theaterund Musik einfach wichtig sind. Das istder Humus, auf dem eine Gesellschaftaufbaut. Seid mutig! Investiert mehr Geldin Kultur! Begreift die Ausgaben in dieKultur als Zukunftsinvestitionen! Wennam Theater und an der Kultur gespart wird,wird das langfristig eine negative Renditeabwerfen. Es ist paradox: Wir leben in einerGesellschaft, die bereit ist, gegebenenfalls800 Milliarden für die Sanierung vonmaroden Banken in den Sand zu setzen,die aber gleichzeitig nur zwei Milliardenfür die Förderung von Theatern undOrchestern ausgibt. Im Übrigen beträgt dieKulturfinanzierung nur 1,26 Prozent allerEtats aus Bund, Ländern und Gemeinden.

Apropos Finanzen: Wie setzen sichdie Kosten Ihres Hauses im Einzelnen zu-sammen?

von Maravic: 85 Prozent unserer Kos-ten entstehen durch das feste Personal.Damit finanzieren wir nicht nur die Tech-nik und die Verwaltung, sondern auch dieOrchester, unsere Chöre und die fest enga-gierten Sänger. Die restlichen 15 Prozentsind Produktionskosten, etwa von Aus-

stattung, Gastsängern, Regisseuren, Bühnen-und Kostümbildnern und Werbung. Hiermuss man sich die Frage stellen: Könnenwir an diesen 15 Prozent überhaupt nochsparen, ohne die 85 Prozent für feste Kos-ten sinnlos zu machen? Wie sollen wirbeispielsweise an der Ausstattung sparen,wenn wir nur 0,9 Prozent unseres Etatshierfür ausgeben?

Deshalb müssen uns die festen Kostenerstattet werden, die z. B. durch Tariferhö-hungen auf die Gehälter entstehen. Es darfnicht sein, dass die Theater als Mitglied deröffentlichen Hand die Tariferhöhungen,die sie nicht vereinbart haben, erwirtschaf-ten müssen. Die Rechtsträger haben diesedurch ihre Mitgliedschaft in den Arbeitge-berverbänden zu vertreten. Irgendwannist das Ende der Fahnenstange erreicht.Wir sehen, wie viele Theater allein im LandSachsen Haustarifverträge haben und aufwie viel Geld Mitarbeiter hier verzichten,um z. B. Tariferhöhungen auszugleichen.Diesen Verzicht leisten sie aus Idealismusund Liebe zu ihrem Beruf.

Viele Sachsen fragen sich: Brauchtman eigentlich diese Vielfalt an Theaternund Opernhäusern? Wie ist aus Ihrer Sichtdie Theaterdichte im Bundesland zu beurtei-len?

von Maravic: Warum fragen das geradedie Sachsen? Wir sind froh über jedesTheater, das nicht geschlossen wird. Ichwürde gern noch mehr Theater schaffen,weil sie heutzutage das Zentrum der geis-tigen Auseinandersetzung einer Stadt bil-den. Ein Theater gehört in eine Stadt wieeine Kirche und ein Rathaus. Über derenExistenz wird auch nie diskutiert. Dassollte unser aller Credo sein.

Weiter sparen?Das Ende der Fahnen-

stange ist erreicht!

die Bildungsreformen vernachlässigt. EineZeit lang konnte man sein Abitur mit Sportund Biologie machen – das ist meinerMeinung nach einfach zu wenig.

Man muss früh beginnen, Impulse fürdie musikalische Bildung zu setzen. Leidersieht die Realität anders aus: Da die Ver-mittlung von Musik und ästhetischer Bil-dung schon seit Generationen hintange-stellt wurde, ist die Notwendigkeit hierfürauch nicht in den Elternhäusern angekom-men. Bei mir stand die kulturelle Bildungnoch stark im Mittelpunkt: In Berlin gabes zu meiner Zeit in der Schule z. B. einSchultheater. Hier sind wir an Theater undMusik herangeführt worden und habendie Lust daran an die Eltern weitergegeben,die dann mit uns ins Theater gegangen sind.Warum sollte man heute jungen Menschenkeinen freien Eintritt in die Theater gewäh-ren, wenn die Schule so etwas nicht mehrleistet? Warum werden die Theater nichtauch von den Schul- und Bildungsbehördenalimentiert anstatt als reine Kulturtempel

Musikalische Bildung nachgeholt: Mit dem eigenen Kinderchor versucht die Oper Leipzig,junge Menschen an die Oper heranzuführen und schulische Defizite auszugleichen.

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FOKUS

WIE EUROPA DURCH MOZART

Simone Dudt zumEuropäischen Jahrder Kreativität undInnovation

© Landesstiftung Baden-Württemberg

MUSIK�ORUM28

In der Vergangenheit gab es Jahre zu denThemen „Mehrsprachigkeit“ (2001), „Chan-cengleichheit“ (2007) und „InterkulturellerDialog“ (2008). 2009 befinden wir uns im„Europäischen Jahr der Kreativität und Inno-vation“. Die Anfänge hierzu liegen in einerInitiative zur Nachhaltigkeit des österreichi-schen Mozartjahrs 2006, die ein „Europäi-sches Jahr der musikalischen Bildung“ vorge-schlagen hatte. Dieser Vorschlag wurde derEU-Kommission von der damaligen österreichi-schen Bundesministerin für Bildung, Wissen-schaft und Kultur, Elisabeth Gehrer, unter-breitet. Die spontane Reaktion von Ján Figel’,EU-Kommissar für Kultur und Bildung, wares, alle künstlerischen Ausdrucksformen inein solches Jahr einzubringen. In der folgen-den Debatte zur Themenfindung wurde auseinem „Europäischen Jahr der Kreativität undInnovation durch Bildung und Kultur“ das„Europäische Jahr der Kreativität und Inno-vation“, das im Dezember 2008 vom Euro-päischen Parlament und dem Rat der Euro-päischen Union so bekannt gegeben wurde(vgl. EMC-Magazin Sounds in Europe #4).

Nein, hier soll es nicht um Mozart gehen, sondern um das derzeitige„Europäische Jahr der Kreativität und Innovation“. Für all jene, denen

dieser Begriff neu ist: Seit 1983 lobt die Europäische Union (EU) ein „Euro-päisches Jahr“ aus, das sich dann über zwölf Monate hinweg intensiv miteinem Thema befasst, das von europaweitem Interesse ist und im Rahmendieses Jahres öffentlich diskutiert und gefördert werden soll.

Ziel: Kulturelle Bildung

Sind auf dem Weg vom Jahr der musika-lischen Bildung zum Jahr der Kreativität undInnovation sowohl der kulturelle als auch derBildungsaspekt verloren gegangen? Diese Fragelässt sich mit einem unklaren „eigentlich nicht“beantworten: In den Zielen zum Jahr wird dasThema „Kulturelle Bildung“ in verschiedenenPunkten aufgegriffen. So ist z. B. die Redevon einer „Betonung der Offenheit gegen-über kultureller Vielfalt […] zur Förderungengerer Kontakte zwischen den Künsten sowiemit Schulen und Universitäten“. Auch sollendie „ästhetische Sensibilität, […] kreativesDenken und Intuition bei allen Kindern vonden frühesten Entwicklungsphasen an ange-regt werden“, und der „Zugang zu […] krea-tiven Ausdrucksformen soll sowohl währendder gesamten formalen [schulischen] Bildungals auch durch nichtformale und informelle[außerschulische] Jungendaktivitäten gestärktwerden“. Als konkrete Unterrichtsfächer wer-den dann jedoch nur die Sachgebiete Ma-thematik, Naturwissenschaften und Technikgenannt, da diese die Fächer seien, die Inno-vation begünstigten.

Ziel: Wachstum

Neben den Aspekten der (kulturellen)Bildung steht auch die Fortführung der Lis-sabon-Strategie im Fokus des Jahres. Sie be-

sagt, dass die Europäische Union bis 2010zum wettbewerbsfähigsten und dynamischstenwissensbasierten Wirtschaftsraum der Weltwerden soll. Das heißt: Kreativität und Inno-vation werden als Schlüsselfaktoren für Wachs-tum in Europa erkannt und gefördert, da sieWege zu einer nachhaltigen Entwicklung auf-zeigen können. Kreativität und Innovationsollen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ineiner Zeit des technologischen Wandels undder globalen Integration stärken. Bei Jugend-lichen soll schon früh die unternehmerischeDenkweise durch die Zusammenarbeit mitder Wirtschaft gefördert werden. Auf der EU-Website zum Jahr http://create2009.europa.euwird dies noch weiter ausgeführt: Der Inno-vationsprozess und die Weiterentwicklung derunternehmerischen Einstellung könnten alsVoraussetzungen für fortdauernden Wohl-stand gesehen werden. Ausdrücklich wird auchdie Kultur- und Kreativindustrie als Schnitt-stelle zwischen Ästhetik und Wirtschaft ge-nannt.

Umsetzung

Für das Jahr der Kreativität und Innovationhat die EU keinen eigenen Fördertopf einge-richtet, sie verweist vielmehr auf bestehendeProgramme, z. B. Lebenslanges Lernen, Kul-tur, Unternehmen, Kohäsion, Forschung undInformationsgesellschaft. Die vornehmlichenAktionen, die zur Durchführung des Jahreseingerichtet wurden, sind Konferenzen undDebatten. Außerdem wurden so genannteBotschafter benannt, die sich den Zielen desJahres verpflichtet fühlen und das Jahr durchihre Teilnahme an verschiedenen Aktivitä-ten unterstützen. So finden sich unter denBotschaftern z. B. der katalanische Koch Fer-ran Adria, der ehemalige finnische Regierungs-

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kreativ und innovativ WIRD

2009 – ein Jahr der Initiativen zumThema „Kreativität und Innovation“(Bilder von links): Die Aktion „kicken &lesen“ der Landesstiftung Baden-Württemberg will Jungen über denFußballsport zum Lesen motivieren.Mit dem Ausstellungsschiff „MS Wissen-schaft“ sollen auf außergewöhnlicheWeise Wissenschaft und Forschung zuden Menschen gebracht werden.Beim Ideenwettbewerb „Generation D“wurden an Studierende Preise vergebenfür realisierbare Projekte zu Themenwie „Soziale Gesellschaft“ oder„Bildung & Kultur“.

© ms-wissenschaft.de Foto: Markus Huber

29MUSIK�ORUM

chef und jetzige Konzernvize von Nokia, EskoAho, der Entwickler des mp3-Formats, Karl-heinz Brandenburg vom Fraunhofer Institut,sowie der Musiker Jordi Savall und der Desi-gner Philip Starck.

Auf deutscher Ebene wird das Jahr vomBundesministerium für Bildung und Forschungbegleitet, das hierzu eine eigene Internetseiteeingerichtet hat, auf der zahlreiche Projekteund Aktivitäten vorgestellt werden, die inDeutschland unter dem Siegel des Jahres durch-geführt werden:U www.ejki2009.de

Kein Weg aus der Kriseohne Kreativität

In Zeiten der globalen Wirtschaftskrise istdas Zusammenspiel von Bildung und Förde-rung des Wachstums von besonderer Bedeu-tung: Ein Weg aus der Krise ohne Kreativitätund Innovation – also ohne die Förderungder kulturellen Bildung und des lebenslan-gen Lernens – ist nicht möglich. Nun gilt esdie Chance, die dieses EU-Jahr bietet, zu nutzen:Beide Aspekte müssen in einem großen ge-meinsamen Zusammenhang gesehen werden;das eine ist ohne das andere nicht möglich.Diese Kombination ist auch einer der Haupt-gründe für das EU-Jahr 2009: „Europa mussseine Kreativität und Innovationsfähigkeit aussozialen und wirtschaftlichen Gründen stei-gern, um gemeinsam auf die Entwicklung derWissensgesellschaft reagieren zu können:Innovationsfähigkeit ist eng mit Kreativität alspersönlicher Eigenschaft verbunden; damitsie voll nutzbar gemacht werden kann, musssie in der gesamten Bevölkerung weit ver-breitet sein. Dazu ist eine auf lebenslangemLernen basierende Vorgehensweise erforder-lich.“

Um doch noch mal auf Mozart zurückzu-kommen: Als einer der ersten freischaffen-den Komponisten in Europa hat er kreativeund innovative Wege gefunden, seine künst-lerische Laufbahn mit den wirtschaftlichenGegebenheiten zu verbinden, und hat damitdie Ziele des Jahres schon früh umgesetzt.

Die Autorin:Simone Dudt studierte Kulturwissenschaften mit denSchwerpunkten Bildende Kunst und Musik in Hildesheimund Marseille. Sie arbeitete als Kulturpädagogin in ver-schiedenen Museen und Musikschulen, als wissenschaft-liche Hilfskraft an der Universität Hildesheim sowie alsAssistentin des Chorreferats beim Landesmusikrat Nieder-sachsen. Simone Dudt ist stellvertretende Generalsekre-tärin des Europäischen Musikrats, für den sie seit 2004tätig ist.

(1) Das allgemeine Ziel des Jahres be-steht darin, die Mitgliedstaaten in ihren Be-mühungen zu unterstützen, die Kreativitätdurch lebenslanges Lernen als Triebkraft fürInnovation und als Schlüsselfaktor für die Ent-wicklung persönlicher, beruflicher, unterneh-merischer und sozialer Kompetenzen und fürdas Wohlergehen des Einzelnen in der Ge-sellschaft zu fördern.

(2) Die spezifischen Ziele des Jahres be-stehen darin, unter anderem folgende Fak-toren hervorzuheben, die zur Förderung vonKreativität und Innovationsfähigkeit beitra-gen können:

a) Schaffung einer Umgebung, die för-derlich ist für Innovation und Anpassungs-fähigkeit in einer sich rasch veränderndenWelt, wobei alle Formen der Innovation, ein-schließlich sozialer und unternehmerischerInnovation, berücksichtigt werden;

b) Betonung der Offenheit gegenüberkultureller Vielfalt zur Pflege der interkultu-rellen Kommunikation und zur Förderungengerer Kontakte zwischen den Künsten

sowie mit Schulen und Universitäten;c) Anregung von ästhetischer Sensibili-

tät, emotionaler Entwicklung, kreativem Den-ken und Intuition bei allen Kindern von denfrühesten Entwicklungsphasen an, auch inder vorschulischen Betreuung;

d) Sensibilisierung für die Bedeutung vonKreativität, Innovation und Unternehmergeistfür die persönliche Entwicklung sowie fürWirtschaftswachstum und Beschäftigung, au-ßerdem Förderung unternehmerischer Denk-weise, insbesondere unter Jugendlichen,durch Zusammenarbeit mit der Wirtschaft;

e) Förderung des Unterrichts von grund-legenden und vertieften Kenntnissen in dendie Innovation begünstigenden Sachgebie-ten Mathematik, Naturwissenschaften undTechnik;

f) Förderung der Offenheit für Wandel,der Kreativität und der Problemlösungsfä-higkeit als die Innovation begünstigendeKompetenzen, die auf eine Vielzahl unter-schiedlicher beruflicher und sozialer Kontexteanwendbar sind; !

Ziele des Europäischen Jahresder Kreativität und Innovation(vgl. Amtsblatt der Europäischen Union L348/115)

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MUSIK�ORUM30

! g) Erweiterung des Zugangs zu einerVielzahl unterschiedlicher kreativer Aus-drucksformen sowohl während der ge-samten formalen Bildung als auch durchnichtformale und informelle Jugendak-tivitäten;

h) Sensibilisierung der Menschen, obinnerhalb oder außerhalb des Arbeits-markts, für die Tatsache, dass Kreativi-tät, Wissen und Flexibilität in einer Zeitraschen technologischen Wandels undglobaler Integration für ein erfolgreichesund erfülltes Leben wichtig sind; die Men-schen sollen auch dafür gerüstet werden,ihre beruflichen Aufstiegschancen in al-len Bereichen zu verbessern, in denenKreativität und Innovationsfähigkeit einewichtige Rolle spielen;

i) Förderung von Design als kreativerTätigkeit, die signifikant zur Innovationbeiträgt, sowie von Innovationsmanage-ment und Designmanagementfähigkei-ten einschließlich Grundkenntnissen imSchutz des geistigen Eigentums;

j) Entwicklung von Kreativität und In-novationsfähigkeit in privaten und öffent-lichen Organisationen durch Ausbildungsowie Ermutigung dieser Organisationen,das kreative Potenzial sowohl von Mitar-beitern als auch von Kunden besser aus-zuschöpfen.

Aktionen in Deutschland„Kreativität und Innovation sind wich-tige Grundlagen, um die Chancen un-serer globalisierten Welt nutzen zukönnen“, sagte Bundesbildungsministe-rin Annette Schavan bei der Vorstel-lung des Europäischen Jahrs der Krea-tivität und Innovation.

Deutschland unterstützt die Initiati-ve der EU, Kreativität und Innovationzu fördern und europaweit öffentlichdarzustellen. Im Internet findet sich einVeranstaltungskalender mit Projekten,Aktionen und Veranstaltungen inDeutschland. Die Umsetzung des Euro-päischen Jahrs wird vom Bundesminis-terium für Bildung und Forschung ko-ordiniert und von der Nationalen Agen-tur Bildung für Europa beim Bundes-institut für Berufsbildung unterstützt.Dort können auch geeignete Veranstal-tungen gemeldet werden:

Tel.: 0228–107-1670,E-mail: [email protected] www.ejki.de

FOKUS

Die Künstlersozialversicherung existiertbereits seit 1983 und bietet einer ständig stei-genden Zahl von Künstlern und Publizisten– momentan sind es rund 160000 – eineVergünstigung ihrer sozialen Abgaben. Auchdie Anzahl der gemeldeten Verwerter, dieeinen Arbeitgeberbeitrag in die Künstlerso-zialkasse (KSK) einzahlen, liegt im Aufwärts-trend. Im Gespräch mit Christian Höppnererläutert die KSK-Chefin und Stellvertrete-rin des Geschäftsführers die Funktionsweiseder Einrichtung und analysiert deren Rollebeim Aufbau einer Kreativgesellschaft.

Die soziale Sicherung vonKreativen gehört zur Grund-

ausstattung unserer Kultur“,unterstreicht Sabine Schlüter,Leiterin der Künstlersozialkasse inBremerhaven. Ihre Hoffnung istes, dass mit dem begonnenenbreiteren Bekanntmachen derKünstlersozialversicherung in derÖffentlichkeit ein stärkeresBewusstsein für den Wert derKreativität entsteht.

˜ Welche Begründungslage gibt es spe-ziell für eine Künstlersozialkasse?

Sabine Schlüter: Der Gesetzgeber hat mitder Einführung der Künstlersozialversicherungder Tatsache Rechnung getragen, dass dieselbstständige Existenz im kreativen Bereichder darstellenden, bildenden und musischenKunst nicht nur von der eigenen Leistungabhängt, sondern hohen Risiken unterliegt.Das Besondere an diesen Tätigkeiten ist, dasssie in ihrer Vermarktung von Dritten abhän-gig sind. Sie können ein noch so guter Schau-spieler sein – wenn kein Theater oder keineMedienanstalt Sie engagiert, werden Sie nichtleben können. Der Gesetzgeber wollte denselbstständigen Kreativen durch die Gleich-stellung mit den Arbeitnehmern eine Grund-sicherung garantieren, indem Kreative nur dieHälfte ihrer sozialen Sicherungen selber zah-len müssen. Die andere Hälfte steuern Staatund abgabepflichtige Unternehmen bei, weildie Risiken in der rein kreativen Tätigkeit höhersind als bei vergleichbaren anderen selbst-ständigen Tätigkeiten.

˜ Was sind die Kriterien, um in die KSK auf-genommen zu werden?

Schlüter: Grundvoraussetzung ist ein jähr-liches Mindesteinkommen in Höhe von 3901Euro. Der Künstler muss nachweisen, dass

ES GEHT UM

„Dem Land vonBeethoven undGoethe steht esgut an, riskanteKünstlerberufezu fördern“:KSK-ChefinSabine Schlüter. © KSK

Wie die Künstlersozialkasse die

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er dieses mit kreativen Tätigkeiten, die einengewissen eigenen schöpferischen Wert ha-ben, verdient hat. Letzten Endes wird manalso bei der KSK aufgenommen, wenn mannachweist, dass man von seiner Kunst undKreativität leben kann.

Es wird häufig übersehen, dass das ent-scheidende Aufnahmekriterium ökonomischerNatur ist, wenngleich auch andere Faktoreneine Rolle spielen. So müssen wir die Gren-ze von Kunst zum Handwerk beachten, dennnur Künstler können bei uns versichert wer-den. Fotografen zählen z. B. häufig zu denHandwerkern und nicht zu den Künstlern –in diesem Fall müssen sie sich bei der deut-schen Rentenversicherung selbst versichernund hier die vollen Beiträge zahlen. Es gibtjedoch auch Grenzfälle bei der Einordnung,wenn wir z. B. entscheiden müssen, ob essich bei dem Antragsteller um einen Sportleroder tatsächlich um einen Tänzer handelt.

Schlüter: In der Form, in der es stattfand,war es sicher nicht wohl überlegt. Zum einenist der Bundesrat über dieses Gesetz überhauptnicht befassungsbefugt, zum anderen sind dieInitiatoren offensichtlich im Unklaren darübergewesen, dass das Künstlersozialversicherungs-gesetz nicht mit der dritten Novelle geschaf-fen worden ist, sondern schon seit über 25Jahren besteht. Die bisher säumigen Zahlertrifft das Gesetz demnach jetzt nicht schrecklichund unerwartet, sondern sie können eigent-lich froh sein, dass sie nur für fünf Jahre rück-wirkend veranschlagt werden.

Es gibt aber einen viel wesentlicheren Punkt,der in der Debatte über die Grundsicherungvon Erwerbstätigen immer eine Rolle spielenwird: Nämlich die Frage, ob unsere Gesell-schaft anerkennt, dass Kreativ- und Medien-berufe Tätigkeiten sind, die besonderen Risi-ken unterliegen, und ob sie akzeptiert, dassdie Freiheit von Kunst und Publizistik ein

DIE Freiheit der Kunst soziale Grundlage für kreatives Handeln in Deutschland schafft

˜ Hat die KSK genügend Mitarbeiter, um alleUnternehmen in Deutschland auf ihre Abga-bepflicht hin zu überprüfen?

Schlüter: Der Gesetzgeber hat das Künst-lersozialversicherungsgesetz im Jahr 2007 zumdritten Mal novelliert. Seitdem wird die Prü-fung der abgabepflichtigen Betriebe nicht mehrvon zwölf Mitarbeitern der Künstlersozialkasse,sondern im Rahmen der ohnehin laufendenPrüfung der sozialen Sicherung von 3600Mitarbeitern der Deutschen Rentenversiche-rung vorgenommen. Das führt zu einer sys-tematischen Schließung von noch vorhan-denen Vollzugsdefiziten im Bereich derAbgabepflicht mit dem Effekt, dass die Ab-gabequote seitdem von 5,8 auf jetzt 4,4Prozent gesunken ist. Damit konnten vor allenDingen diejenigen entlastet werden, die vie-le freiberufliche Kreative beauftragen. Durchdie systematische Prüfung gibt es nun vielmehr Unternehmen, die Abgaben an die KSKzahlen. Das hat einen sehr heilsamen, weilGerechtigkeit stiftenden und ausgleichendenEffekt auf das ganze System.

˜ Unter anderem durch die industriellenHandelskammern initiiert, gab es im vergan-genen Jahr im Bundesrat einen Angriff aufdie Künstlersozialkasse. Vermuten Sie dahintereine politische Strategie?

besonders hohes gesellschaftliches Gut ist, dases mit einer Grundsicherung im Sinne vonFlexicurity zu schützen und zu schätzen gilt.Diese Debatte wird es immer wieder gebenund man wird immer wieder deutlich ma-chen müssen, dass wir nicht irgendeine Kul-tur haben, sondern das Land von Beetho-ven, Goethe und Bismarck sind. Deshalb stehtes uns auch gut an, hier einen besonderenBeitrag zu leisten und diese sehr riskantenBerufstätigkeiten durch eine staatlich bezu-schusste soziale Grundsicherung besonderszu fördern. Dieser Beitrag des Staats und derabgabepflichtigen Vermarkter ist natürlich einebesondere Wertschätzung, ein besonderesPrivileg – wir sollten dazu stehen und es nichtimmer wieder in Frage stellen.

˜ Welche Möglichkeiten sehen Sie, um einstärkeres Bewusstsein für den Wert der Kre-ativität zu schaffen?

Schlüter: Ich erhoffe mir, dass das mitder dritten Novelle begonnene breitere Be-kanntmachen und Umsetzen der Künstler-sozialversicherung in der Gesellschaft auchzu einer Bewusstseinsstärkung führen wird.Wir sind insgesamt in der Bundesrepublik erstdabei, uns über die Riesenbedeutung derMedien- und Kreativwirtschaft bewusst zuwerden. Der Branchendialog, der in Zusam-menarbeit zwischen dem Bundeswirtschafts-ministerium und dem Bundesbeauftragtenfür Kultur entstanden ist, wurde auch erstkürzlich aufgenommen, da man festgestellthat, dass die volkswirtschaftliche Bedeutungdieser Branchen in der Bundesrepublik mitt-lerweile größer ist als die der chemischen In-dustrie. Es ist ein langsam verlaufender Wahr-nehmungs- und Bewusstwerdungsprozess. Icherhoffe mir auch, dass der Stellenwert derKünstlersozialversicherung als ein wegweisen-des Instrument erkannt wird, weil es ebenein Instrument der Förderung von Kreativ-berufen ist. Jeder, ob Werbeagentur oderVeranstalter, der seine Abgaben für die en-gagierten Künstler an die KSK leistet, solltestolz darauf sein, denn damit leistet er seinenBeitrag zur sozialen Sicherung als ein sozia-ler Arbeitgeber. 20 Jahre nach der Wieder-vereinigung sollte langsam klar sein, dass diesoziale Sicherung in der Bundesrepublik zurGrundausstattung unserer Kultur gehört.

˜ Angenommen es kommt nach der Bundes-tagswahl zu einer Koalition aus CDU und FDP:Wie würde sich Ihrer Ansicht nach diese Kon-stellation auf die Zukunft der KSK auswirken?

Schlüter: Sofern ich es richtig verstandenhabe, nimmt die FDP für sich in Anspruch,eine Partei der Bildung und der Kultur zusein. Die FDP hat dieses Künstlersozialversi-cherungssystem 1983 als Koalitionspartei derSPD mit auf den Weg gebracht. Daher habeich die Hoffnung, dass sie sich zu ihren frü-heren politischen Entscheidungen bekennt,zumal es ja um eine ausgesprochene Erfolgsge-

Darstellende Kunst Musik Bildende Kunst Wort

Beitragsanteil derVersicherten

Bundeszuschuss

Künstlersozialabgabe

ca.20 %

ca.30 %

ca.50 %

Der KSK-Bestand: Die Entwicklung der Versichertenzahlen seit 1991 (links) und das Finanzie-rungssystem der Künstlersozialversicherung. © KSK

31MUSIK�ORUM

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schichte geht. Es gibt keinen Widerspruch zwi-schen der Künstlersozialversicherung und derFörderung von selbstständiger Tätigkeit. DieKünstlersozialversicherung ist ein Instrumentzur Förderung von Selbstständigkeit. Insofernsehe ich weder für die CDU noch für dieFDP einen Grund, das System in Frage zustellen, besonders angesichts der neuestenEntwicklungen hinsichtlich der Angemessen-heit der Abgabenlasten. Die CDU hat sichmit der letzten Novelle offensiv zum Systembekannt. Auch die ursprünglichen Befürch-tungen, dass die KSK zu Wettbewerbsver-zerrungen im In- und Ausland führen wür-de, haben sich nicht bestätigt. In den 25 Jahren,in denen es die KSK gibt, hat sich die volks-wirtschaftliche Bedeutung der sie betreffen-den Branchen vervielfacht.

˜ Welche Bedeutung hat die inzwischen völ-kerrechtlich verbindliche UNESCO-Konventionzum Schutz und zur Förderung der kulturel-len Vielfalt in Ihrer Arbeit?

Schlüter: In unserer praktischen Arbeitspüren wir bisher keine Auswirkungen. Je-doch muss man berücksichtigen, dass wir einensehr pragmatischen, im Kern ökonomischenPrüfauftrag haben, der sich an nüchternenZahlen festmacht.

Der im Künstlersozialversicherungsgesetz(KSVG) verwendete Kunstbegriff war von An-fang an sehr offen angelegt – damit ist erauch offen für Entwicklungen. Was wäre z. B.,wenn Japan unser Künstlersozialversicherungs-system übernehmen würde? Wäre dann dieTeezeremonie auf jeden Fall als Kunst aner-kannt worden? Bei uns hat es das Bundes-sozialgericht abgelehnt, dies als Kunstformeinzustufen. Insofern ist das KSVG schon eintypisch nationales System, das auch den na-tionalen, kulturellen Traditionen folgt. Aberes ist auch offen, gerade hinsichtlich neuerBereiche wie Videokunst oder Webdesign.Das Bundessozialgericht hält sich in seinenEntscheidungen sehr klar und stringent andie Linie des offenen Kunstbegriffs, berück-sichtigt aber auch nationale Gegebenheiten.Ziel ist die Sicherung des fairen Wettbewerbsund die Beibehaltung des offenen Kunstbe-griffs bei gleichwertiger Anerkennung von ver-schiedenen Kunstsparten. Auch die Urteile,die das Bundesverfassungsgericht zur Freiheitder Kunst gefällt hat, sind von hohem geisti-gem Niveau und nicht interessengeleitet.

˜ Welchen Einfluss hat das Zusammenwach-sen Europas auf Ihre Einrichtung?

Schlüter: Die wachsende Mobilität hatauch bei uns zu Veränderungen geführt. Sogibt es z. B. die Möglichkeit, bei uns in derKasse zu bleiben, auch wenn man phasen-

weise im Ausland arbeitet. Das war früherstrenger: Das Versicherungsverhältnis muss-te ruhen oder gar ganz beendet werden.

Hinsichtlich der Abgabepflicht von Unter-nehmen ist von Anfang an sowohl vom Ge-setzgeber als auch von den Gerichten sehrdarauf geachtet worden, dass die bei unsversicherten Künstler und Publizisten gegen-über ehrenamtlich, nebenberuflich oder aberausländischen, auch im Ausland tätigen Künst-lern, die von deutschen Veranstaltern undVerwertern beauftragt werden, nicht benach-teiligt sind. So unterliegen z. B. die Honorarean einen russischen Publizisten, der immerin Russland versichert sein wird, gleichermaßender Abgabepflicht. Dieses durchgehalteneSubsidiaritätsprinzip dient dem Wettbewerbs-schutz der hier bei uns Versicherten. Die

»Die Wertschätzung für das Kulturgutmuss gleichwertig zum Interesse an derVermarktung von Kultur als Ware sein«

Abgabe auf die Honorare ist wie die Mutter-schutzfinanzierung eine solidarische Umlage-finanzierung. Stellen Sie sich vor, im Arbeit-nehmerschutz würden nur die Frauen, dieschwanger werden, den Mutterschutz finan-zieren müssen. Was glauben Sie, welche ge-sellschaftlichen Effekte dies hätte! DiesenGrundgedanken müssen wir ebenfalls klarin die abgabepflichtigen Unternehmen tra-gen. Genauso unterliegt das Honorar an denabendlich nebenerwerbstätigen Chorleiter derAbgabepflicht. Denn sonst würde dieser dem-jenigen, der von solchen Honoraren lebenmuss, einen Wettbewerbsnachteil zumutenund dessen Selbstständigkeit gefährden.

˜ Kultur ist eine Ware und ein Kulturgut: Wer-den beide Seiten der Kultur in der Gesell-schaft gleichermaßen anerkannt?

Schlüter: Ich wünsche mir, dass sich dieGesellschaft über den unauflösbaren Dop-pelcharakter von Kultur in unserer lauten Weltstärker klar wird und sowohl die Chancenals auch die Risiken danach abläuft. Die Wert-schätzung für das Kulturgut muss gleichwer-tig zum Interesse an der Vermarktung vonKultur als Ware sein. Dies ist nur möglich,wenn Kunst und Kultur nicht vollkommenvom Markt abhängig sind. Es kann nicht sein,dass nur das, was sich am Markt hält, auchbestehen darf. Hierfür muss ein Bewusstseinentwickelt werden, das wir als Umsetzer desKSVG mit ausbilden wollen.

˜ Wie wichtig wäre an dieser Stelle die Ver-ankerung des Staatsziels Kultur in das Grund-gesetz gewesen?

Schlüter: Es wäre bestimmt eine tolleSache. Jedoch glaube ich, dass es letzten Endesvon allen Menschen in der Bundesrepublikabhängt, was mit der Kultur passiert. Der Staatsind nämlich wir selbst. Viel hängt davon ab,wie wir mit dem, was uns wichtig ist, umge-hen. Wir sind in der Tat die Macht, von deralle Gewalt ausgeht. Wir sind das Volk – dasmüssten wir doch spätestens seit der Wie-dervereinigung wissen. Wir können viel mehrbewegen, als die meisten sich vorstellen. Dasfängt bei den tagtäglichen Arbeiten an – obzu Hause, in Verbänden und Schulen – undgeht über gemeinnützige Strukturen bis hinin die Parteien und zu den öffentlichen Stel-

len und Organen. Entscheidend ist, dass wirdie für uns wichtigen Dinge wirklich lebenund wir uns aktiv für sie einsetzen. Schön,wenn man das auch als Staatsziel in der Ver-fassung verankert. Doch damit fängt es we-der an, noch hört es damit auf.

˜ Was wünschen Sie sich für die Zukunft derKSK?

Schlüter: Die Künstlersozialversicherungist ein vorbildliches Konzept für die sozialeSicherung des Übergangs von abhängiger inselbstständige Tätigkeit und umgekehrt imkreativen Bereich. Deshalb wünsche ich mir,dass die Künstlersozialkasse nicht nur erhal-ten, sondern darüber hinaus als Best-Practice-Beispiel von den Vertretern der Bundesre-publik in Europa stärker bekannt gemachtwird. Außerdem wünsche ich mir wachsen-de Akzeptanz und Verständlichkeit unsererArbeit in der Gesellschaft hier bei uns zu Hause.Jeder kann sich immer weiter verbessern unddeshalb hoffe ich auch für die Zukunft, dasswir als kleine KSK gemeinsam mit den Fra-gen der Deutschen Rentenversicherung ein-facher, verständlicher und manchmal auchnoch kundenfreundlicher werden als wir dasheute schon sind.

˜ Unsere traditionelle Schlussfrage: Wie istIhr persönlicher Bezug zur Musik?

Schlüter: Ganz einfach: Ich liebe Musik.

MUSIK�ORUM32

FOKUS

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33MUSIK�ORUM

Markus Kritzokat über kreative Einzelkämpfer undunbeirrte Selbstausbeuter

WORKING POOR:

Es sind die mittleren und kleinen Unter-nehmen, nicht zuletzt die Ein-Mann-Betrie-be, die von besonderer Bedeutung für dieKreativwirtschaft sind, sich aber oft am Ran-de der Armut entlanghangeln – und das trotzdes hervorragenden Ausbildungsstandes undder masochistischen Arbeitspensen dieserselbstständigen Einzelkünstler. So zählt mansie neuerdings gerne zur Generation „Wor-king Poor“, eigentlich der Kaste für Niedriglöh-ner wie an- und ungelernte Arbeiter, mittler-weile aber auch für fast zehn Prozent derSelbstständigen. Der Spaß an der Realisationeigener Konzepte und der Stolz, sein eigenerHerr zu sein, wirken wohl dem drohendenMagengeschwür wegen prekärer Lebensum-stände entgegen – zumindest für einen ge-wissen Lebensabschnitt. Und irgendwie über-leben sie ja auch, oder „wachsen nach“, wenneiner mal verschwindet.

So auch eine nicht kleiner werdende jun-ge Klasse von Komponisten zeitgenössischerMusik. Wobei ihr kreativer Output – andersals z. B. die hippen Slogans junger Werbe-agenturen – per se nicht auf kommerzielleZiele ausgerichtet ist und heutzutage auchnur von einem Spartenpublikum im gesamt-gesellschaftlichen Promillebereich rezipiert wird(was man bei einigen Werken gut verstehenund bei anderen zutiefst bedauern muss). Esist auch müßig darüber zu diskutieren, dasssich diese Musikform, deren Gewinn nichtin Verkaufszahlen, sondern in einer Fortschrei-bung des kulturellen Erbes zu suchen ist, haupt-sächlich über Steuergelder finanzieren muss.Es ist für ihre Protagonisten aber durchausspannend, wie sie an diese Gelder kommenkönnen.

Und zwar meist in Form einer Mischkal-kulation: Einnahmen aus Werkaufträgen durchden Rundfunk und/oder große Festivals so-wie Ensembles, aus Lehrtätigkeit oder päda-gogischen Projekten werden ergänzt durchStipendien privater und öffentlich-rechtlicherStiftungen und Wettbewerbsauszeichnungen.Gerade Residenzstipendien, ob in Schreyahnoder Stuttgart, können teilweise über die Hälfteder Jahresfinanzen decken. Rom ist natürlichbeliebter, und die ganz Cleveren, wie der

Dass jüngste Studien in denZeiten ökonomischer Ups

und Downs insbesondere dieKultur- und Kreativwirtschaft alsZukunftsbranche mit großem wirt-schaftlichen Potenzial ausmachen,geht an den tatsächlich Kreativengerne vorbei.

dabei sein – so wie ein Auftrag der Münch-ner Opernfestspiele an den in Köln leben-den Klangkünstler Jay Schwartz für eine Ur-aufführung mit drei Vorstellungen im Julidieses Jahres. !

Jungkomponisten in Deutschland

Jungkomponist Sven-Ingo Koch, lassen sichvom Kulturstaatsminister gleich nach Vene-dig einladen. Reisen ist überhaupt die Lieb-lingsnebenbeschäftigung junger Komponis-ten: Allein die zahlreichen Ensembles voll-führen hierzulande insgesamt 1,7 Urauffüh-rungen pro Tag – und diese Werke wolleneben unter kritischer Aufsicht ihrer Schöpfereinstudiert werden. So brachte es die spanisch-stämmige Kosmopolit-Komponistin ElenaMendoza im vergangenen Jahr auf über zehnArbeitsstädte.

Melkkühe und Marktlücken

Eine weitere „Cash Cow“ ist das Unter-richten. An zwei Tagen pro Woche verlässtder 1974 geborene Komponist Martin Schütt-ler die Wahlheimat Berlin und lehrt Musik-theorie und Komposition an der Musikhoch-schule Frankfurt/Main sowie in Marburg imAllround-Studiengang „Ku/Mu/Me“ – Kunst/Musik/Medien. Da ist viel Grundlagenarbeitgefordert. Aber Schüttler ist unerschrocke-ner Pragmat: Für eine US-Firma hat er zumFirmenjubiläum auch schon mal eine Hym-ne produziert, inklusive Karaoke-Version –sein bislang am besten bezahlter Komposi-tionsauftrag. Hier zeigt sich die zumindest beieinigen Komponisten vorhandene Adaptions-fähigkeit an kommerzielle Gefilde. Dass die-se Fähigkeiten im lukrativen Bereich Film-musik noch weniger ausgeprägt sind alsbeispielsweise beim traditionellen Seitener-werb im Musiktheater- oder Tanzgeschäft,zeigt allerdings eine tiefe Marktlücke.

Einige schaffen es tatsächlich auch ohneNebenjobs und Lehre: mit dem KerngeschäftKomponieren, mit vier bis sieben Aufträgenim Jahr (und sparsamer Lebenshaltung). Esdürfen dann aber nicht nur die schmalen Auf-träge für Stücke mit kleinerer Besetzungund kürzerer Dauer sein, die imHonorarvolumen nicht über vierStellen hinausgehen; es mussdann mindestens einmalim Jahr auch etwas inder Kategorie um20000 Euro

UnerschrockenerPragmatiker:Komponist Martin Schüttler.

Foto: Anika Neese

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Selbstvermarktung undSelbstverwirklichung

Wie aber akquiriert man dieseAufträge? Weniger durch direktes„Klinkenputzen“ wie in der freienWirtschaft als vielmehr durch dasErreichen bestimmter biografischerLandmarken: Ein Kompositionspreis,ein Stipendium, eine CD-Veröffent-lichung zieht die nächste nach sichund bringt einen Namen bei Kura-toren und Redakteuren ins Gespräch.Junge Komponisten sollten also tun-lichst berühmt werden, damit sie auchgutes Geld verdienen – nur auf demjährlichen Abrechnungszettel derGEMA zahlt sich jede Aufführungunabhängig vom Standing aus undträgt nicht unwesentlich zum Ein-kommen bei.

Gerade am Anfang der Karriere stehenArbeit und Lohn aber in einem schiefen Ver-hältnis: Das Problem junger Komponisten istnicht, dass sie für die Schublade komponie-ren (ein nicht aussterbendes Klischee), son-dern um sich zu empfehlen (tägliche Reali-tät). Zum Beispiel mit einer Aufführung durchein Renommee-Ensemble (Honorar für dendazugehörigen Kompositionsauftrag: 0 Euro).Die bittere Lagebetrachtung des Neu-Frank-furter Komponisten und zweifachen Vaters

Hannes Seidl: „Komponisten wollen wahr-genommen werden, also schreiben sie. Siewerden nur schlecht bezahlt, also schreibensie schnell – es gibt aber kein schnelles Nach-denken! Dafür viele schlechte Stücke – aberdie werden ja auch nur einmal aufgeführt,als eine der vielen, für Veranstalter ‚attrakti-ven‘ weil werbewirksamen Uraufführungen.“

Trotz lästiger Nebenjobs und harter Posi-tionskämpfe: Im Tagesablauf bleibt doch al-len Komponisten meist über 50 Prozent ih-

MUSIK�ORUM34

FOKUS

rer Arbeitszeit fürs Komponieren.Was ja ihre Lieblingsbeschäftigungsein sollte, während der sie frei undselbstbestimmt arbeiten können (fallsnicht ein Redakteur eine völlig ab-wegige Besetzung verlangt und manin die Zwickmühle zwischen Geldund künstlerischer Selbstbestimmunggerät).

Sind also Komponisten nicht dochbeneidenswerte, etwas spinnerteKünstler, die ihr Hobby – über einMusikhochschulstudium – zumBeruf gemacht haben und von derGesellschaft irgendwie durchgefüt-tert werden? – Das stimmt.

Und sind Komponisten nichtunbeirrte Selbstausbeuter, die ihrenMitteilungsdrang im Glauben andessen kulturelle Bedeutung undgesellschaftsrelevante Kraft gegen

alle ökonomisch-strukturellen Schwierigkei-ten aufrechterhalten? – Das stimmt.

Der Autor:Markus Kritzokat studierte Musikwissenschaft in Hamburgund Helsinki und arbeitete im Bereich experimentelleund elektronische Musik u. a. als Kurator am Zentrum fürKunst und Medientechnologie Karlsruhe sowie als selbst-ständiger Künstler- und Konzertagent in Berlin. Er betreutdie CD-Reihe „Edition Zeitgenössische Musik“ desDeutschen Musikrats in Bonn.

Der größte Feind istdie RoutineDie Förderung von Kreativität wird ent-scheidend vom Elternhaus beeinflusst. AlleEinflüsse, die musischer oder künstlerischerNatur sind, finde ich wertvoll. Kinder solltensingen, ein Instrument erlernen, malen,Geschichten hören und ihre Fantasie so vielwie möglich ausprägen. Insofern gibt esviele Möglichkeiten, besonders im familiä-ren Bereich wie auch in den Kindertages-stätten. Meiner Meinung nach sollten auchin den Schulen die künstlerischen Fächer

eine viel größere Rolle spielen. Schließlichwaren zu Lebzeiten von Bach Mathematikund Musik als Hauptunterrichtsfächer aufeine Stufe gestellt. Es ist bewiesen, dass z. B.Klavierspiel sehr gute Auswirkungen aufdie Entwicklung der Intelligenz hat.

Kreativität will gepflegt sein. Ihr größterFeind in der Kunst ist die Routine, denn siehört auf zu hinterfragen – obwohl sie auchnützlich und wichtig ist. Deshalb versucheich so viele Einflüsse wie möglich aufzuneh-men. Wenn man z. B. ein großes Musikstückwiederholt aufführt, sollte man stetig bemühtsein, es immer wieder mit neuen Augen zubetrachten und fest gefügte Ansichten zu

hinterfragen. Dann lässt sich immer wiederein Prozess in Gang setzen, bei dem neueAspekte zu Tage gefördert werden. Es las-sen sich, gerade in der Musik, wunderbarBilder mit dem Klang verknüpfen, die dannwiederum diesen entstehenden Klang maß-geblich beeinflussen. Dies ist ein Vorgang,den man mit der Zubereitung einer edlenMahlzeit vergleichen kann, was ja ebensoeine sehr kreative Tätigkeit ist. Dieses Ver-knüpfen verschiedener Aspekte gleicht demAufbau eines Netzwerks und ist für michentscheidend. Mir ist es wichtig, mit denAugen eines Kindes sehen zu können. Soversuche ich, meine Kreativität zu bewahren.

Dauerhaft neue Zugänge zur Kreativitätfindet nur, wer sich vor Dogmatismusschützt und immer wieder alle gewonnenenErkenntnisse und Ansichten hinterfragt. Sogilt es immer wieder neue Lösungsansätzezu finden. Pausen einzulegen, die erst ein-mal für neue Energie sorgen, ist sehr wich-tig. Denn kreativ zu sein, erfordert docheine Menge Energie. ˇ

Hans-ChristophRademann (44),Chefdirigent desRIAS Kammerchors

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Unbedingt hörenswert: Komponisten wie Sven-Ingo Kochoder Elena Mendoza werden in der CD-Reihe „Edition Zeit-genössische Musik“ porträtiert.

Porträtfotos: Otto Kiehn/Guillermo Mendo

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Leben und überleben in der Creative Class: Alenka Barber-Kersovan über dieMusikerin und „DJane“ Maya

IM ZWIESPALT DER Creative Economy

35MUSIK�ORUM

Laut Wirtschaftswissenschaftler RichardFlorida, der den Begriff in seiner Abhand-lung The Rise of the Creative Class and HowIt’s Transforming Work, Leisure, Communityand Everyday Life1 geprägt hat, handelt es sichdabei um eine „Klasse“, die geistige Arbeitverrichtet und innovative und zugleich kom-merziell verwertbare Artefakte hervorbringt.

Einen Prototyp der kreativen „ContentProduction“ bilden Creative Industries2, wo-runter eine zusammenfassende Betrachtungder professionellen Tätigkeit in diversen Kul-tursegmenten verstanden wird. Sie sollen sichzurzeit weltweit im Aufwind befinden undeine wichtige Grundlage für Wohlstand und

Der Ausdruck „Kreativität“, oft in seiner englischen Variante „Creativity“angewandt, gehört zu den Schlüsselbegriffen des gegenwärtigen

politischen Diskurses. Er steht nicht nur für optimistische Zukunftsvisioneneiner Kreativgesellschaft, sondern auch für das ökonomische Konzept derpost-industriellen Ära, die seine Wertschöpfung aus dem intellektuellenPotenzial der „Creative Class“ generiert.

Beschäftigung bilden. Die zahlreichen statis-tischen Erhebungen zu den Gesamtumsät-zen der Creative Industries scheinen diesenSachverhalt zu bestätigen.3

Weniger erfreulich fallen allerdings die Da-ten zu den Arbeitsverhältnissen und vor al-lem zu den finanziellen Aspekten der kreati-ven Arbeit aus. Denn so imposant wie dieUmsätze im Bereich der Creative Industriesauch sein mögen, so wenig spiegeln sich die-se Zahlen im Realeinkommen der CreativeClass wider. Dies belegen unter anderem dieAngaben der Künstlersozialkasse, laut der für2005 von den Versicherten ein jährlicherDurchschnittsverdienst von 11000 Euro an-

gegeben wurde.4 (Siehe dazu auch den Beitragvon Andrea Rothaug mit einer Bestandsaufnahmefür Hamburg auf Seite 15).

Doch wie sieht die Situation aus dem Blick-winkel der Creative Class und, im konkre-ten Fall, aus der Sicht der professionellen Pop-musiker aus? Welche Qualifikationen setztihre Arbeit voraus? Welche Vor- und Nach-teile ergeben sich aus der freiberuflichenKünstlertätigkeit? Welche Motive treiben dieFreischaffenden zur kreativen Betätigung undwelche Gratifikationen erwarten sie für ihreLeistung?

Eine verallgemeinernde Antwort auf die-se Fragen kann zurzeit nicht gegeben wer-

Bild oben:Unvereinbares miteinander verquickt.Im Konzertprogramm „Crossfade/Philharmo-nic Phunk“ (2003/04) verbanden DJ Mayaund die Helios Kammerphilharmonie klassi-sche Werke mit aktueller Clubmusik.

© Maya C. Sternel

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den, da im Gegensatz zu den quantitativenUntersuchungen über das ökonomische Po-tenzial der Creative Industries empirischeStudien über die Charakteristika der Berufs-ausübung im Popmusikbereich noch ausste-hen. Beispielhaft soll daher die biografischeSkizze der Musikerin Maya Consuelo Ster-nel angeführt werden, die in einem Tiefenin-terview ungeschminkt über ihren Werdegang,ihre Arbeit, Erfolge und Misserfolge, Projek-te und Pläne, aber auch über die Besonder-heiten ihres Berufs und des Künstlerlebensallgemein berichtete.

Mayas musikalischerWerdegang

Mayas erste musikalische Erfahrungengehen in die frühe Kindheit zurück. In ihremKinderzimmer stand ein Klavier, und sie warvon dem Instrument derart fasziniert, dasssie bereits als Kleinkind „große Klavierkon-zerte“ – wie sie es nannte – veranstaltete.Auch hat sie schon komponiert, noch bevorsie lesen und schreiben konnte. Ihre Mutter,von Beruf Organistin, schrieb auf, was ihr Mayavorgespielt hat, so dass bereits aus ihrem Vor-schulalter ganze Kompositionshefte erhaltensind.

zugeben – mit der Begründung, ihre musi-kalische Betätigung außerhalb des Konser-vatoriums sei für das Musikstudium hinder-lich.

Maya war über diese Entscheidung nichtbesonders unglücklich, denn nun hatte siedie Freiheit, sich voll jener Musik zu widmen,die ihr persönlich am Herzen lag. NeuenAufwind bekam ihre Tätigkeit durch denErwerb des ersten Computers und der ent-sprechenden Software, die ihr ermöglichten,auch alleine, also ohne Band, Musik zu ma-chen. Ein weiteres Schlüsselerlebnis warennegative Erfahrungen beim Abmischen ihrerersten Schallplatte, die den Entschluss präg-ten, eine Ausbildung zum Toningenieur zumachen, was sie auf der neu gegründetenSchool of Audio Engineering in Hamburg aucherfolgreich in die Tat umsetzte.5

Danach zog sie nach New York, wo sie ineinem der größten Tonstudios, Unique Re-cording am Times Square, als Audio Engi-neer-Assistant arbeitete. Zurück in Hamburglebte sie zunächst als DJ und schloss nebenbeiihr Studium der Systematischen Musikwis-senschaft und der Amerikanistik mit einemMagister ab.

Fachqualifikation als Grund-lage der beruflichen Tätigkeit

Aus dem bisher Gesagten lässt sich dieerste Verallgemeinerung ziehen: In den meistenArbeiten über die Creative Class wird als ihrwesentlichstes Charakteristikum das hoheAusbildungsniveau hervorgehoben. Mit wel-chen Qualifikationen die Musiker im Pop-musikbereich ausgestattet sind, wurde bislangnoch nicht eruiert. Eine Studie über die Crea-tive Industries in Wien bestätigt allerdings,dass jeder vierte Beschäftigte aus diesemBereich über einen Hochschulabschluss ver-fügt, weitere 44 Prozent über die Hochschul-reife. Mit diesem Qualifikationsniveau liegenAngehörige der Creative Class weit über demDurchschnitt in der Gesamtwirtschaft.6

Auch Maya Consuelo Sternel ist eine hochgebildete und ausgebildete Frau. Sie verfügtüber ein breites Portfolio an Fachqualifika-tionen, die sie teilweise auf dem institutio-nellen Weg und teilweise autodidaktisch er-worben hat. Die vorhandenen musikalischenFertigkeiten bilden die Grundlage für ihreberufliche Tätigkeit; jede einzelne stellt ei-nen unentbehrlichen Baustein dar, der sichnahtlos in ein schlüssiges Gesamtkonzepteinfügt. Aus diesem Grund kann Mayas kom-plexes Berufsbild nur für analytische Zwe-cke in einzelne Komponenten zerlegt wer-den, denn in praxi greifen die ausgeübtenTätigkeitsbereiche eng ineinander und erge-

ben eine kohärente Einheit, die einzigartigist, sich in der Form kein weiteres Mal wieder-findet und sich nur aus ihrer Persönlichkeitbzw. ihrem biografischen Werdegang erklä-ren lässt.

Maya als DJ und Komponistin

Von ihrem Habitus her ist Maya eineVollblutmusikerin: „In meinem Kopf ist stetsMusik drin.“ Sie lebt in einer Welt der Musikund sie betrachtet die Musik in ihren zahlrei-chen Facetten als ihr wichtigstes Ausdrucks-medium. Bereits seit Anfang der 1990er Jah-re arbeitet sie als DJ, teilweise unter demKünstlernamen DJ Donna Maya oder MayaPrincess7. Bevorzugt legt sie Drum’n’Bass undHipHop auf.

Zwischen 1998 und 2003 realisierte siegemeinsam mit der Musikerin, Bildhauerinund Konzeptkünstlerin Neda Ploskow eineReihe von Projekten unter dem Namen „DiePatinnen Teil II“.8 Neben DJ-Residencies inverschiedenen Clubs und Touren in Deutsch-land, Schweiz und Österreich traten „DiePatinnen“ zusammen mit zahlreichen renom-mierten Künstlern auf, entwickelten eigeneTurntable-Kompositionen für vier Platten-spieler und Effektgeräte und veröffentlich-ten ihre selbst komponierten und program-mierten Tracks auf diversen Labels inDeutschland und den USA. Ferner ist aus dieserKooperation die Musik für den selbst gedreh-ten Film La storia di giradischi a Madame Huentstanden.9

Da nicht auf alle Vorhaben dieser vielsei-tigen Künstlerin eingegangen werden kann,soll zumindest ein Projekt gestreift werden,in dem scheinbar Unvereinbares miteinanderverquickt wurde: „Crossfade/PhilharmonicPhunk“ war ein Konzertprogramm, das 2003und 2004 von der Helios Kammerphilharmo-nie und DJ Maya in Hannover, Osnabrückund Göttingen aufgeführt wurde. Dabei wurdeeine neue Form von Musik vorgestellt, dieklassische Werke mit aktueller Clubmusikgleichberechtigt verband. Beethoven, Vival-di, De Falla, Debussy, Sibelius und Elgar wurdengekreuzt mit DJ-Music, von HipHop bis House,von Techno bis Drum’n’Bass. Beispielsweisenahm Maya Original-Partiturteile, setzte dieNotation in eine adäquate MIDI-Instrumen-tierung um und ließ diese durch diverse Schlag-zeugsampler laufen: Ergebnis war ein Bach-Klassiker in Schlagzeuginterpretation.10

Der Stellenwert, den Maya solchen Pro-jekten beimisst, zeigt: Komponieren bildet fürsie die wichtigste Tätigkeit. Sie komponiertsowohl „traditionell“, d. h. über das Noten-bild, oder – wie sie sagt – „direkt“ über dasMIDI (Musical Instrument Digital Interface),

FOKUS

Turntables sind auch ein Instrument:Maya als „DJ Da Cut“ auf Promo-Tour für ihrLabel Rudel Records. © Maya C. Sternel

In der Schule gründete sie relativ früh ihreerste Band. Sie spielte zunächst Schlagzeugund wechselte dann auf Keyboard. Nach demAbitur studierte sie Klassische Musik am Jo-hannes Brahms Konservatorium in Hamburg,wo ihr allerdings nach drei Semestern nahegelegt wurde, den Studienplatz wieder frei-

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ohne sich auf die einschränkende Notationstützen zu müssen. Auch DJ-ing gehört fürsie zum Komponieren, denn Turntables sindihrer Ansicht nach „lediglich ein anderes Ins-trument als Schlagzeug oder Keyboard“. DieMusikerin: „Natürlich arbeitet man da miteinem anderen Kernmaterial, aber letztendlichgestaltet man klanglich eine Nacht und ar-beitet genauso kreativ mit Plattenspielern wiemit anderen Instrumenten auch.“ Dies be-trifft auch den Einsatz von zusätzlichen Ef-fektgeräten, den sie wiederum aus dem Stu-diobereich übernahm, so dass für sie allesineinanderfließt, oft unbewusst und intuitiv.

Weitere Betätigungsfelder

Das zweite wichtige Standbein ist für Mayadie pädagogische Tätigkeit. Auch diese hatihrer Ansicht nach sehr viel mit Kreativitätzu tun. Ihre pädagogischen Vorstellungen ver-wirklicht sie in der Entwicklung von Unter-richtskonzepten für unterschiedliche Zielgrup-pen mit der Zielsetzung, die Kreativität derSchüler anzuregen und sie dazu zu animie-ren, eigene Musik zu machen. Konkret er-teilt sie Einzelunterricht in Klavier und Kom-position und bietet Workshops zu unter-schiedlichen Themen an. Eine wichtige Ziel-gruppe bilden dabei Mädchen und Frauen.

Der Betrieb des Independent-Labels „RudelRecords“ ist ein weiteres Betätigungsfeld.11

„Rudel“ ist ein nicht kommerzielles Label vonMusikern für Musiker im Sinn einer flexib-len Infrastruktur, die es erlaubt, je nach Be-darf Eigenes zu produzieren oder auch be-freundeten Musikern und Gruppen einenSprung in die Öffentlichkeit zu ermöglichen.Neben der Herausgabe von Tonträgern or-ganisiert das Label auch Konzerte und ande-re musikalische Veranstaltungen sowie dasMerchandising mit labelbezogenen Produk-ten wie etwa Rudel Records-T-Shirts.

Und da ist schließlich noch Mayas Kultur-reisen-Unternehmen. „Auch das ist eigent-lich eine egoistische Idee“, sagt sie, „weil ichmich immer gefragt habe: Wie stelle ich esan, dass ich reisen kann und einen gutenVorwand dafür habe, auf ein Konzert odereine Ausstellung zu gehen, Künstler zu tref-fen, mit ihnen abzuhängen, mir schöne Sa-chen anzugucken und spannende Leute ken-nen zu lernen – und das Ganze am bestennoch bezahlt zu bekommen?“ So entstandder Plan, kleine, exklusive Reisegruppen vonKennern und Enthusiasten zu den Original-schauplätzen zu führen, direkt zu den Musi-kern, Künstlern und Akteuren der jeweili-gen Szene – bislang in New York und Chicago.Zu diesem Zweck gründete sie zusammenmit einem Freund die Firma „SubRoutes“ in

New York, für die sie Reisekonzepte entwi-ckelt.12 Auch das betrachtet sie als kreativeTätigkeit. Das Organisatorische daran inter-essiert Maya nicht, sie lässt den Vertrieb überprofessionelle Veranstalter, wie etwa DerTouroder Cube: Travel, abwickeln.

Ambivalenz der professio-nellen Musikausübung

Die bisherige Schilderung lässt mehrereInterpretationszugänge zu. Der erste betrifftdie Tatsache, dass Mayas breites Portfolio vonFachqualifikationen ihr ein breites Portfolioan musikalischen Tätigkeiten ermöglicht. Diesemögen auf den ersten Blick sehr heterogenerscheinen, lassen sich aber auf einen gemein-samen Nenner bringen. Maya ist eine Ver-mittlerin: Sie vermittelt ihre musikalischenIdeen als Komponistin und DJ, sie vermitteltihre musikalischen Kenntnisse als Musikleh-rerin und Leiterin von Kursen und Work-shops, und nicht zuletzt vermittelt sie als Be-treiberin eines kleinen Reiseunternehmensihre eigenen Erfahrungen mit Orten, an de-nen Musik gespielt wurde, an ein ausgewähltes,interessiertes Klientel.

Der zweite Interpretationszugang hat mitder Ambivalenz der professionellen Musik-ausübung zu tun, denn Maya, die Vermittle-rin, machte aus ihrer Berufung einen Beruf.„Eine zweischneidige Angelegenheit“, kom-mentiert sie die Situation, „da sich hier zweivollkommen unterschiedliche Dinge mitei-nander vermischen.“ Die Tatsache, dass Mayaihr Geld mit kreativer Arbeit verdient – RichardFlorida würde in diesem Zusammenhang vonder kreativen Leistung als ökonomische Res-source sprechen –, lässt sich deshalb nichtvon der Hand weisen. Doch anders als inden theoretischen Abhandlungen über Crea-tive Class und Creative Industries häufigpostuliert, ist die Triebfeder ihrer Tätigkeitnicht in erster Linie der finanzielle Erfolg,sondern der künstlerische bzw. qualitativeAnspruch. Dies geht unter anderem auchdaraus hervor, dass viele ihrer Vorhaben imelitären Rahmen namhafter Kulturinstitutio-nen durchgeführt wurden, darunter Pinako-thek der Moderne in München, das Muse-um für Hamburgische Geschichte oder dasEdith Russ-Haus für Medienkunst in Olden-burg, die als staatlich subventionierte Institu-tionen nicht für besonders großzügige Ga-gen bekannt sind.

Aber auch Projekte, die Maya in ihrer Ei-genschaft als Unternehmerin leitet, sind nichtprimär als das konzipiert, was die Prophetendes Kreativitätsglaubens „generators of eco-nomic value“ zu nennen pflegen: Die Platt-form Rudel Records wird je nach Bedarf

aktiviert, und das Konzept der SubRoutes-Reisen, das sich wahrscheinlich auch im Be-reich des Massentourismus erfolgreich durch-setzen könnte, ist von vornherein exklusivangelegt und brachte bislang kaum Erträge.„Im Gegenteil“, räumt Maya ein, „das hat bis-lang nur wahnsinnig viel gekostet.“

Finanzielle Aspekte einerPortfolio-Karriere

Was die ökonomischen Aspekte ihrerTätigkeit betrifft, spiegelt sich Mayas kreati-ver Input viel zu wenig im finanziellen Out-put wider. Nach ihren Worten lebt sie von„hundert Kleinigkeiten, aus allen Bereichenetwas, mal mehr, mal weniger, das schwankttotal“. Im Detail: „Es gibt Zeiten, in denenman als Künstler gut bezahlt wird. Doch inden vergangenen Jahren sind zum BeispielDJ-Gagen komplett in den Keller gegangen.Es lohnt sich für mich überhaupt nicht mehr,Platten aufzulegen, es sei denn bei Vernissa-gen oder bei Spezialveranstaltungen. Anfangder 1990er Jahre, als ich angefangen habe,hat man 400 bis 600 Mark pro Nacht be-kommen. Heute werden höchstens 50 Euroangeboten oder irgendwelche Tür-Deals. Esgibt aber auch Phasen mit vielen Workshops,eigentlich meine Haupteinnahmequelle. Unddann gibt es Jobs, die weder mit dem einemnoch mit dem anderen was zu tun haben.“

Es sei schon ziemlich hart, von der Musikzu leben, betont Maya. „Klar, wenn man dieMiete nicht bezahlen kann, dann stresst dasschon sehr.“ Für die meiste Zeit gelte aber:„Es bleibt nichts über, aber fürs Überleben istgenug da. Da ich nur für mich verantwort-lich bin, ist es mir wichtiger, durch die Ge-gend zu reisen und Musik zu machen, alsgroße Dinge anzupeilen. Ich vermisse nichtwirklich etwas. Ich denke, ich lebe total pri-vilegiert und eigentlich gut von dem, was ichtue. Dass ich all das mache, hat für michletztendlich nichts mit finanzieller Sicherheitzu tun.“

„Radiation Process“und neue Modelle derBeschäftigungspolitik

Wie aus der biografhischen Skizze von Mayahervorgeht, treffen beim Diskurs über dieKreativwirtschaft zwei unterschiedliche Mo-tivationssysteme aufeinander.13 Stellen poli-tische Akteure den quantifizierbaren, in Euround Cent zu beziffernden und mit anderen„Industriesparten“ vergleichbaren Wert dermusikalischen Content Production in den Vor-dergrund, setzen Vertreter der Creative Classvollkommen andere Prioritäten. Für sie ge-

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hört das Musikmachen zum Mittelpunkt ih-res Lebens, es ist ein Teil ihrer Persönlichkeitund das wesentliche identitätsstiftende Merk-mal. Sollte sich – wie im Fall von Maya – dieOption erfüllen, von der Musik leben zu kön-nen, ist dies ein willkommenes Plus, aber keineVoraussetzung für die musikalische Betäti-gung. Tausende von Amateurmusikern ausdem Pop-, Klassik- und Laienmusikbereichsind dafür der beste Beweis.

Dies besagt allerdings nicht, dass die öko-nomische Verwertung der musikalischenContent Production im professionellen Be-reich ohne jegliche Gegenleistung erfolgensoll. Ganz im Gegenteil: In dem Moment, indem der Spaß am Musikmachen von Ver-pflichtungen und finanziellen Zwängen über-lagert wird bzw. das „Spiel“ in „Arbeit“ um-schlägt, muss auch die kreative Tätigkeit denden geltenden Arbeitsbestimmungen ent-sprechenden und sozial verträglichen Regula-tiven unterworfen werden. In dieser Hinsichtlassen die Zielsetzungen der EuropäischenUnion hoffen, die das Jahr 2009 zum „Euro-pean Year of Creativity and Innovation 2009“ausrief (siehe Artikel auf S. 28). Immerhin wur-den in der Forderung „Europe needs to boostits capacity for creativity and innovation for

FOKUS

1 vgl. Richard Florida: The Rise of the Creative Class:And How It’s Transforming Work, Leisure, Communityand Everyday Life, Cambridge 2004.2 vgl. dazu John Hartley (Hg.): Creative Industries,Singapore 2005.3 vgl. den Beitrag von Söndermann in diesem Heft (abSeite 8).4 Birgit Mandel: Die neuen Kulturunternehmen. IhreMotive, Visionen und Erfolgsstrategien, Bielefeld 2007,trancript, S. 22.5 vgl. www2.sae.edu/de/hamburg/uebersae/hamburg.php.6 vgl. Veronika Ratzenböck, Katharina Demel, RobertHarauer, Günther Landsteiner, Rahel Falk, Hannes Leo,Gerhard Schwarz: Untersuchung des ökonomischenPotentials der „Creative Industries“ in Wien, Wien 2004,www.creativeindustries.at/pdf/Endbericht.pdf7 vgl. www.maya-princess.de8 vgl. www.diepatinnen.org9 vgl. www.diepatinnen.org/lastoria.html10 vgl. www.crossfade-nds.de11 www.rudelrecords.de12 www.subroutes.de13 vgl. dazu auch Mandel (2007)14 vgl. http://create2009.europa.eu/about_the_year.html

Die Autorin:Dr. Alenka Barber-Kersovan ist Geschäftsführerin desArbeitskreises Studium Populärer Musik e.V. (ASPM) undPräsidiumsmitglied des Landesmusikrats in der Freienund Hansestadt Hamburg.

both social and economic reasons” die sozia-len Aspekte der kreativen Arbeit vor die öko-nomischen gestellt.

Aus dem umfangreichen Empfehlungs-katalog dürften deshalb in Bezug auf die Ar-beitsverhältnisse im Bereich der Creative In-dustries vor allem die folgenden Prämissenvon Bedeutung sein:

Die Förderung der Kreativität und derKultur soll zu einer politischen Priorität derEuropäischen Union werden.

˜ Das grundlegende theoretische Modelldes politischen Diskurses soll der sog. „radia-tion process“ bilden. Das Konzept geht vonkonzentrischen Kreisen aus, in deren Zen-trum sich die „content production“ befindet(Künstler, Musiker), umgeben von weiterenKreisen, die die kreativen Inhalte öffent-lichbekannt machen (Veranstalter, Clubs) undvermarkten (Labels) oder die eine unab-ding-bare Voraussetzung für deren Zustandekom-men schaffen (Musikinstrumentenindustrie).

˜ Es sollen neue Modelle der Beschäfti-gungspolitik erarbeitet werden, die der pre-kären Situation der Kulturschaffenden Rech-nung tragen und in entsprechende arbeits-rechtliche und soziale Handlungsempfehlun-gen umgesetzt werden.14

Sibylle Pomorin(53),Jazzmusikerin undKomponistin

MUSIK�ORUM38

Befreit von Blockierungen des zweckratio-nalen, disziplinierten und kontrolliertenDenkens, sieht man in der Kreativität dasoriginelle, aus dem Unbewussten strömen-de, gefühlsbetonte, sich selbst verwirk-lichende Erleben.

Viele Künstler beschreiben den kreati-ven Prozess als eine Art mystisches Geführt-werden. „Die Malerei hat ein Eigenleben,ich versuche sie durchkommen zu lassen“,sagt Jackson Pollock. Für Sokrates war allesLernen und Suchen ein „Sich-Erinnern“.Die Wahrheit wird nicht in den Unwissen-den hineingebracht, sondern war bereitsin ihm.

Wenn man ein mit Wasser gefülltes Glasanschlägt, erklingt ein Ton. Wenn man die-sen Ton auf Tonband aufnimmt und dannlaut abspielt, wird das Glas zum Mitschwin-gen gebracht, es kann dabei sogar zersprin-gen. Wenn man nun die Tonhöhe des Glasesdurch Hinzufügen von Wasser verändertund dann den alten Ton von Band abspielt,bleibt das Glas völlig reglos, selbst wennman das Tonband aufdreht bis die Boxendurchfliegen.

Genauso kann nur etwas zu uns herüber-kommen, was in irgendeiner Form bereitsin uns vorhanden war. Entdecken heißt,dass man die Decke wegzieht von etwas,

das bereits da war, erfinden heißt etwasfinden, das bereits da war. Diesen „Reso-nanzen“ in einem selbst auf die Spur zukommen, kann sehr spannend und erfüllendsein. Jeder hat dazu die „Gabe“, manbraucht nur den Wunsch und die Energie,etwas Neues oder Eigenes zu finden.Neugierde und Begeisterung für diese Pro-zesse sind eine dauerhafte Energiequelle.Begeisterung gründet auf Spiel, diesesgründet auf der Haltung des Nicht-so-ernst-Nehmens.

In unserer Musiktradition wird dasKreativsein eher vernachlässigt oder nureiner kleinen Elite von „Begabten“ zuge-billigt. Meist ist das Ziel instrumentaleTechnik und Virtuosentum. Man sollte aberso etwas wie Komposition oder gebundeneund freie Improvisation oder andere Aus-drucksformen und Experimente schonfrüher und in breiterem Umfang in die musi-kalische Ausbildung und Praxis einbeziehen.

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Neugierde und Begeisterung als dauerhafteEnergiequelle beim Entdecken und Erfinden

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Im sonst eher als sozialer Brenn-punkt bekannten Bremer Stadt-

teil Osterholz-Tenever feiertekürzlich die Open-Air-Version derSprechoper „Faust II“ von KarstenGundermann Premiere.

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bre-men hat das innovative Projekt zusammenmit den Schülern der Gesamtschule Ost undinsgesamt fast 500 Mitwirkenden erarbeitet.Der Geschäftsführer des Orchesters, AlbertSchmitt, war maßgeblich an der Konzeptiondes Stücks beteiligt. Mit Christian Höppnerspricht er über die gesellschaftliche Verant-wortung der Musiker und die Wichtigkeitkreativen Schaffens.

˜ Mit dem Faust II gelang Ihnen ein sensa-tioneller Erfolg. Haben Sie sich vom Musikerzum Politiker gewandelt?

Albert Schmitt: Auf keinen Fall, aber ichglaube sehr wohl, dass wir als Musiker diegesellschaftliche Dimension unserer Arbeitneu definieren müssen. Von den klassischenMeistern hat keiner solche Fragestellungengescheut. Sie waren gesellschaftlich zutiefstvon dem, was um sie herum geschah, be-wegt und haben ihre Eindrücke in ihre Mu-sik mit eingearbeitet. Deutlich wird dies z. B.bei Beethovens Aufarbeitung der Französi-schen Revolution in der 3. Sinfonie Eroica.

Das soziale Engagement von Komponistenist jedoch durch die Konvention der Auffüh-rungsarten über die Jahrzehnte und Jahrhun-derte verloren gegangen. Ich halte es für sehrwichtig, dass wir das wiedererwecken. DieKrise der klassischen Musik hat wesentlichdamit zu tun, dass ihr diese Sinnanbindungverloren gegangen ist.

˜ Wer kann sich heute eher politisch einset-zen: die Komponisten der zeitgenössischenMusik oder die Interpreten des klassischenmusikalischen Erbes?

Schmitt: Die zeitgenössische Musik istdurchaus politisch engagiert, erreicht aberbekanntermaßen nur ein quantitativ sehrbegrenztes Publikum. Ich glaube, dass es dasPotenzial in der klassischen Musik ist, das eszu erwecken gilt. Das liegt vor allem in derHand des Interpreten. Dieser muss das nach-schöpfen, was der Komponist ursprünglichhinein gelegt hat.

˜ Welche Grundidee steckt hinter IhremProjekt?

Schmitt: Ziel war es immer, die Bevölke-rung des Stadtteils soviel wie möglich an demProjekt teilhaben zu lassen. Wir müssen undwollen von den Podesten absteigen, auf de-nen unsere Klassiker sicher verwahrt sind,um sie wieder im richtigen Leben wirken zulassen. Die Gralshüter, also die klassischenOrchester, müssen wieder dahin gehen, wodas wirkliche Leben stattfindet. Natürlich istes da nicht immer schön und lustig, man trifftauf Probleme und gesellschaftliche Schwie-rigkeiten. Aber genau da können wir gerademit der Musik, die Menschen aller Couleurund Hintergründe erreicht, sehr viel bewir-ken.

˜ Leidet die künstlerische Qualität unter ei-ner Pädagogisierung des Konzertbetriebs?

Schmitt: Dass diese Befürchtung in letz-ter Zeit vermehrt zu hören ist, ist für michgenau der Ausdruck dieses Sinnverlusts. Manmuss sich als Künstler immer auch als Ver-mittler verstehen. Kunstausübung ist nichtsanderes als Sinnvermittlung bzw. ein Weg,die Vermittlung auszuweiten und aufzubre-

»WISSEN ALLEIN IST

totes Kapital«

Im Gespräch: Der Bremer Orchesterchef Albert Schmittzur Kreativgesellschaft im Allgemeinen und der sozialenVerantwortung von Musikern im Besonderen

Ein ganzer Stadtteil spielt Faust II:In Bremen-Tenever brachten Schüler undEinwohner Karsten Gundermanns Sprech-oper auf die Bühne. Fotos: Jörg Sarbach

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chen. Genau dieser Gedanke hat auch dieDeutsche Kammerphilharmonie Bremen zuihrer musikpädagogischen Arbeit bewegt. EinSchönberg erschließt sich eben nicht jedem.Also muss man Workshops machen und mitden Menschen reden. Man muss die Stückeaufblättern und ihre Inhalte vermitteln – aufdiese Weise gibt man dem breiten Publikumdie Chance, das, was künstlerisch passiert,tatsächlich auch aufzunehmen. Verstandenzu werden ist das ureigene Interesse desKünstlers.

˜ Wann sollte musikalische Bildungsarbeitansetzen?

Schmitt: Diese Art von Vermittlung kannnicht früh genug ansetzen. Bereits vor zehnJahren hat es Iván Fischer, der Dirigent desBudapest Festival Orchestra, bei einer Tagungauf den Punkt gebracht: Solange die Mütternicht anfangen, wieder mit ihren Kindern zusingen, brauchen wir uns über die Wirkungvon Musikvermittlung keine Illusion zu ma-chen. Genau diese Traditionen müssen wirwieder aufleben lassen, und dabei ist jedeKultureinrichtung auf ihre Weise gefordert,einen Beitrag zu leisten.

˜ Die Wichtigkeit musikalischer und kultu-reller Bildung ist parteiübergreifend unbestrit-ten. Folgen auf Sonntagsreden von Politikernauch tatsächlich Verbesserungen in den Stättender Erstbegegnung mit musikalischer Bildungwie Kindergarten, Musikschule und Schule?

Schmitt: All diese Impulse sind erst malhilfreich, selbst wenn es sich um Sonntagsre-den handelt, denn sie bringen das Denken

aufmerksam geworden. Matthias Horx, derdiesen Preis verleiht, ist ein begeisterter Ga-mer. Von ihm habe ich u. a. gelernt, dass esin China mittlerweile Agenturen gibt, die dieAvatare vielbeschäftigter Manager weiterent-wickeln, weil man als Manager natürlich inWorld of Warcraft vertreten sein muss, abereben nicht die Zeit hat, sein virtuelles Selbstzu entwickeln. Dies finde ich sehr interes-sant, weil es zeigt, welchen Stellenwert dieComputerindustrie mittlerweile übernommenhat. Auch die Sprechoper Faust II von Kars-ten Gundermann ist nicht zufällig auf dieserMusik aufgebaut: Er hat einen sensationel-len Zugang entdeckt, indem er den klassi-schen Stoff mit der Dramaturgie modernerComputerspiele verbindet. Faust. Der Tragö-die zweiter Teil ist schwer verständlich, weildas Stück im Grunde keinen roten Faden hatund aus lauter einzelnen Szenen besteht. ZumBeispiel erschließt es sich nicht, warum sichFaust zunächst auf der Kaiserfalte, dann amStrand und plötzlich in der Antike aufhält, essei denn – und das ist das Interessante – manist Gamer. Dann brauche ich keine Übergän-ge, sondern ich muss einfach nur per Mausklickvon Level 1 auf 2 schalten. Dabei stelle ichmir nicht die Frage, wieso oder warum esfunktioniert, sondern hangele mich von ei-ner Einheit zur nächsten. Dieser geniale Streichvon Gundermann ermöglicht es, Faust II ganzanders anzugehen, völlig neuen Schichtennäher zu bringen und auf die Weise auch alsdeutsches Kulturgut wieder zugänglich zumachen. Nietzsche sprach in Bezug auf Faustvon einem folgenlosen Zwischenfall der deut-schen Literaturgeschichte. Dies kann man sostehen lassen oder aber man kann es mit denAugen eines Gamers betrachten und etwasNeues daraus machen.

˜ Wie definieren Sie kulturelle Vielfalt undwelche Bedeutung messen Sie ihr bei?

Schmitt: Kulturelle Vielfalt ist im Grundedas, was IKEA auch sagt: „Entdecke dieMöglichkeiten.“ Neben nationalen und tra-ditionellen Hintergründen gibt es vor allemaber auch die Einzigartigkeit der Individuen.Kultur lebt davon, dass man die erforderli-che Toleranz aufbringt, um diese Unterschied-lichkeit zuzulassen. Es ergibt sich natürlichimmer ein gewisses Spannungsverhältniszwischen dem Versuch, das Andere anzu-nehmen und dem Bemühen, die eigene Iden-tität und Kultur zu erhalten. Das ist auch richtigso. Toleranz gegenüber anderen setzt immerauch Toleranz mit sich selbst voraus, also denRespekt und die Legitimation des Erhalts dereigenen Identität und Kultur. Deshalb darfkulturelle Vielfalt keine Begrenzungen erle-ben.

FOKUS

MUSIK�ORUM40

darüber in Gang und stoßen damit letztlichauch Veränderungsprozesse an. Ich beobachteim Moment noch ein sehr starkes Tasten undSuchen. Das ging uns auch nicht anders, alswir vor zwei Jahren das Projekt Faust II lan-ciert haben. In solch einem Stadtteil mit ei-nem Projekt dieser Größe zu arbeiten, warfür alle Beteiligten eine neue Erfahrung, andie wir uns erst heranarbeiten mussten. Fürdie bundesweiten Kulturbetriebe gilt das si-cher genauso. Wichtig ist, dass sich eine Be-wegung entwickelt hat. Sicherlich wird imMoment vieles noch falsch gewichtet. So wirdz. B. aus Marketing- oder Subventionierungs-erwägungen heraus versucht, daraus Kapitalzu schlagen. Ich bin aber zuversichtlich, dasssolche Strömungen mit der Zeit wegbrechenwerden.

˜ Bundeskanzlerin Merkel hat u. a. auf demWeltwirtschaftsgipfel in Davos die notwen-dige Zielstellung der Wissensgesellschaft fürunser Land beschrieben. Fehlt in dieser Be-trachtung nicht die andere Seite der Medail-le, nämlich die Zielsetzung der Kreativgesell-schaft?

Schmitt: Absolut! In meinen Vorträgenspreche ich auch immer von der Übergangs-phase der Wissensgesellschaft, weil für michWissen allein ein totes Kapital ist. Aufschluss-reich ist hier die Darstellung eines österreichi-schen Kulturmanagers: Die Erfindung desComputers bedeutet einen ähnlichen Ein-schnitt in die Menschheitsgeschichte wie dieErfindung des Buchdrucks vor fast 600 Jah-ren – jedoch mit dem signifikanten Unter-schied, dass der Buchdruck 600 Jahre Zeithatte, um als Entwicklung anzukommen.Ursprünglich ist er in einigen wenigen Klös-tern angewendet worden. Bis die gesamteBevölkerung erreicht war, sind sechs Jahr-hunderte verstrichen. Mit dem Computer müs-sen wir schon wenige Jahre nach seiner Er-findung klarkommen, und zwar alle. Das isteine gigantische Überforderung, die nur be-deuten kann, dass wir kreativ werden müs-sen. Wenn wir keinen fantasievollen Weg fin-den, mit dieser Situation umzugehen, dannwird sie uns überrollen. Darum kann die Wis-sensgesellschaft nur eine Übergangsphase sein.Ich stimme zwar mit der Bundeskanzlerin über-ein, dass man die Wissensgesellschaft über-haupt erstmal installieren und unterfütternmuss, aber ich erlaube mir als Künstler denBlick etwas weiter in die Zukunft zu richten.

˜ Betrachten Sie Computerspiele als Kultur-gut?

Schmitt: Spätestens seitdem wir den„Zukunftsaward“ mit dem Projekt Faust II ge-wonnen haben, bin ich auf dieses Medium

Mehr als ein Experiment: Fast ein Jahr langarbeiteten Orchestermusiker, Schüler, Lehrerund Stadtteilbewohner am Faust-Spektakel.

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Informationen aus den Projekten und Mitgliedsverbänden des Deutschen Musikrats

Juli 2009

INHALT:

Neues aus den Verbänden,Fachausschüssen undLandesmusikräten

Seiten 1–6

Neues aus den ProjektenSeiten 7–16

GewandhausorchesterausgezeichnetIn Leipzig wurde nach Auffassungdes Deutschen Musikverleger-Ver-bandes (DMV) das beste Programmder Saison 2008/2009 geboten.Dafür wurde jetzt das LeipzigerGewandhausorchester unter derLeitung von Riccardo Chailly (Bildoben) im Rahmen eines vielum-jubelten Konzerts mit Werken vonArnold Schönberg und Ludwig vanBeethoven ausgezeichnet.

Der Preis erreicht das Orches-ter im Jahr des 200. Geburtstagsseines berühmten Kapellmeisters,Felix Mendelssohn Bartholdy. Dabeiist das Ensemble nicht nur der Tra-dition verpflichtet, sondern fördertauch die zeitgenössische Musik.Allein in dieser Spielzeit wurdenfünf neue Werke uraufgeführt –einer der Gründe für die Auszeich-nung durch den DMV. Weitereswichtiges Kriterium: die Heranfüh-rung von Kindern und Jugendlichenan die Arbeit eines Orchesters undan Werke der Ernsten Musik.

Der DMV lobte in seiner Be-gründung: „Die im Dezember 1950ins Leben gerufenen Schulkonzer-te des Gewandhausorchesters bil-den den Grundstock der bis heutebestehenden Veranstaltungsreihe,die gemeinsam mit der MusikschuleLeipzig „Johann Sebastian Bach“durchgeführt wird. Hier wurdenrechtzeitig die Zeichen der Zeit er-kannt und der Musikvermittlungschon sehr früh ein gebührendesForum eingerichtet.“

Der DMV vergibt den Preis„Bestes Konzertprogramm der Sai-son“ seit 1991. Ausgezeichnet wer-den Konzertprogramme von Or-chestern und Veranstaltern, die sichdurch besondere Kreativität undVielfalt, aber auch durch die Ein-beziehung ungewöhnlicher Werkeund junger Künstler in die laufen-de Konzertsaison profiliert haben.

˜ Jeunesses Musicales Deutschland

Musikalische Botschaft an die WeltDas israelische Jugendorchesterwurde Ende Mai in Berlin mit demWürth Preis der Jeunesses Musi-cales Deutschland (JMD) ausge-zeichnet.

JMD-Präsident Hans-Herwig Geyerüberreichte die Auszeichnung an denGründer des Orchesters, Meir Wie-sel, gemeinsam mit dem Stifter desPreises, Reinhold Würth. Mit ihrerMusik, so heißt es in der Jury-Begrün-dung, setzen die jungen Musiker „einZeichen des Neuaufbruchs innerhalbeines nahezu aussichtslos erscheinen-den Konflikts. Wo alle Diplomatie im-mer wieder von der Sprache der Waf-fen übertönt wird, beweist das Arab-Jewish Youth Orchestra mit jeder Pro-be und mit jedem Konzert, dass Musikein freies Gebiet ist, auf dem sich dieAngehörigen beider Kulturen fried-lich und erfolgreich begegnen und einbeglückendes gemeinsames Ergebniserschaffen können.“

Musik verbindet über alle Grenzenhinweg – dieses Ideal der JMD wirdim Arab-Jewish Youth Orchestra zurgelebten Überzeugung. Die arabischenund jüdischen Jugendlichen erprobenin der Orchesterarbeit den friedlichenUmgang miteinander und erleben diekulturellen Traditionen und Errungen-schaften des jeweils anderen Kultur-kreises als persönlich bereichernd. DasEnsemble spielt Stücke des arabischenRaumes gleichermaßen wie der jüdi-schen Tradition. Die für eine Beset-zung mit arabischen und westlichen

Klingender Dialog: Im Arab-Jewish Youth Orchestra, jetzt ausgezeichnet mitdem Würth Preis, musizieren arabische und jüdische Jugendliche gemeinsam.

Foto: JMD

Instrumenten geschaffenen Arrange-ments lassen auch Werke des euro-päischen Konzertsaals in neuen Deu-tungen erklingen. Auf der Grundlagedieser musikalisch spannenden Ästhe-tik „weitet sich das völkerverständi-gende Anliegen des Arab-Jewish YouthOrchestra von einem Hoffnungsfun-ken im eigenen Land in eine univer-sale Botschaft an die Welt“, so die Jury.

Seit 1991 zeichnen die JeunessesMusicales und die Stiftung Würth he-rausragende Persönlichkeiten, Ensemb-les oder Projekte des Musiklebens aus,die in besonderer Weise Ziele undWerte der JMD realisieren. Der Preisist mit 20000 Euro dotiert.

„Netzwerk Sinfonische Jugend-blasorchester“ geknüpft

Mit ihrem anspruchsvollen und ori-ginellen Repertoire sind sinfonischeBlasorchester eine Bereicherung derMusikkultur. In umfangreicher Beset-zung und mit großem Klangfarben-reichtum verfolgen sie eigene künst-lerische Ziele. Die Jeunesses MusicalesDeutschland gibt ab sofort auch Jugend-blasorchestern mit sinfonischem An-spruch einen neuen Treffpunkt undein Zuhause, das sie bislang vielleichtnoch nicht gefunden haben. Für das„Netzwerk Sinfonische Jugendblasor-chester“ kooperiert die JMD mit derWorld Association of SymphonicBands and Ensembles (WASBE).

Weiter auf Seite 2 !

Foto: Rudolph

˜ ver.di

Nachhaltige musik-kulturelle BildunggefordertDie Fachgruppe Musik der Dienst-leistungsgewerkschaft ver.di unter-stützte kürzlich die Aktionswoche„Bildungsstreik 2009“ und formu-lierte Forderungen wie die nacheinem leichteren Zugang zu Mu-sikschulen.

ver.di stellt fest: Die Unzufrieden-heit bei Lehrern, Schülern, Studieren-den und Eltern mit den Bedingungenim gesamten Bildungssystem wächstin der Kita, in der Schule, in der Uniund auch in den öffentlichen Musik-schulen. Marktkonformität und Kon-kurrenz stehen im Vordergrund statteiner an den Bedürfnissen von Schü-lern und Lehrern orientierten, öffent-lich geförderten, nachhaltigen musik-kulturellen Bildung.Die ver.di-Forderungen auf Seite 3 !

˜ GDM

Keine Streichungvon Musikunterricht!Der Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen in Deutschlanddarf nicht weiter vernachlässigtwerden. Das forderten die Mitglie-der des Gesamtverbandes Deut-scher Musikfachgeschäfte (GDM)in einer Resolution auf dem Tref-fen der Branche in Wallerfangen.

Auch die Ausbildung der Päda-gogen für den Musikunterricht müs-se verstärkt gefördert werden. Diemusikalische Bildung sei heute schonein Opfer der Etatstreichungen. „Wirnehmen es nicht weiter hin“, so GDM-Präsident Arthur Knopp, „dassDeutschland als eine der weltweitführenden Kulturnationen seine Kin-der und Jugendlichen in die Eintönig-keit eines Massenkonsums schickt unddamit das aktive Musizieren zumSchattendasein degradiert.“ Die Mu-sikfachhändler appellierten an diePolitiker in den Kommunen, Ländernund dem Bund, sich nicht nur anKonzerten zu begeistern, sondern auchzu verhindern, dass in ihren Etats diemusikalische Bildung gestrichen werde.

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DE ˜ JMD

! Fortsetzung von Seite 1Netzwerk SinfonischeJugendblasorchester“Die WASBE ist eine weltweite Verei-nigung für Dirigenten, Musiker, Kom-ponisten, Verleger und andere Inte-ressierte im Bereich sinfonischer Blas-orchester und Ensembles. Mit regel-mäßigen Fachtagungen und konkre-ten Serviceleistungen möchte das neugeschaffene „Netzwerk SinfonischeJugendblasorchester“ Ensembles infor-mieren, stärken, beraten und vernet-zen.

Für den 24. und 25. Oktober la-den die JMD und WASBE Deutsch-land zum „1. Sinfonischen Bläsertag“nach Offenbach/Main ein. Leiter undVerantwortliche von bestehenden Sin-fonischen Jugendblasorchestern undKollegen, die ein Sinfonisches Jugend-blasorchester aufbauen möchten, kön-nen in Workshops und Konzertensinfonische Blasmusik praxisnah er-leben, mit anderen Aktiven der „Sze-ne“ in Kontakt kommen und einenmotivierenden und fachlich substan-ziellen Impuls bekommen. Beim Sym-posium entsteht auch eine „taktlos“-Sendung auf Bayern 4 Klassik.

Weitere Informationen und dasausführliche Tagungsprogramm:www.jeunessesmusicales.de

„Die lustigen Weiber von Windsor“lassen sich nicht um den Finger wi-ckeln. Sie drehen den Spieß um undlegen den falschen Casanova „Fal-staff“ aufs Kreuz – reichlich Stofffür die Teilnehmer des 54. Inter-nationalen Opernkurses der JMD.

Im April waren die Nachwuchs-sänger für eine Arbeitsphase zu Gastin der Musikakademie Schloss Wei-kersheim. Regisseur Jakob Peters-

Messer hatte für die Proben die er-forderlichen Requisiten geordert –vom Haushaltsstaubsauger überWäschekörbe mit unzähligen Bett-laken bis hin zu Rasenmähern.Neben ersten szenischen Probenstanden auch Gesangspädagogik,Sprech- oder Bewegungstraining aufdem Kursprogramm. Beweglich seinauf der Bühne und im Kopf – dassollen die jungen Sänger lernen. Wie

wird eine Rolle lebendig? Wann istein Charakter glaubwürdig? Für die-se Fragestellungen bringen die in-ternationalen Teilnehmer gewisser-maßen ihre eigene „Schule“ mit. Zielder Kursarbeit ist es, aus dieser Viel-falt der Impulse eine gemeinsamekünstlerische Sprache zu entwickeln.Aus einer von großer Offenheit undfreundschaftlicher Auseinanderset-zung geprägten Probenarbeit derJungen Oper Schloss Weikersheimwächst so ein Regiekonzept, das fürPublikum und Interpreten gleicher-maßen schlüssig ist. Und Otto Ni-colais komisch-fantastische Oper Dielustigen Weiber von Windsor, in derdie unterschiedlichsten Charakter-typen „aneinandergeraten“, bietetfür junge Sänger vielfache Möglich-keiten, ihr Temperament auszuspie-len und ihr Talent individuell zurGeltung zu bringen.

Davon konnte man sich anläss-lich der Opernpremiere am 22. Juliüberzeugen. Bei der Open-Air-Aufführung im WeikersheimerSchlosshof tobten die „lustigenWeiber“ ebenso temperamentvollwie turbulent über die Bühne.

Mit Staubsauger und Rasenmäher: Arbeitsphase der Jungen Oper

„Lustige Weiber“ in Aktion – mit Staubsauger und Besen. Foto: JMD

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˜ ver.di

! Fortsetzung von Seite 1Nachhaltige musikkulturelleBildung gefordertIn den vergangenen Jahren sei eingroßer Teil fester Musikschullehrer-Stellen infolge des rigiden Sparkur-ses in der Bildungs- und Kulturpolitikabgebaut worden, erklärt ver.di. Statt-dessen würden Musikschullehrkräf-te zunehmend als unfreiwillig „freie“Mitarbeiter prekär beschäftigt. Dieöffentlichen Musikschulen verkämenzur Verfügungsmasse für „unausge-reifte neoliberale Planspiele“ wie Pri-vatisierung, öffentlich-private Partner-schaften (PPP) oder eine undurch-dachte Integration in die allgemeinbildenden Schulen.

Nach Auffasung von ver.di hat diesdeutlich spürbare Folgen für Kinderund Jugendliche. Qualitativ hochwer-tige Angebote würden trotz stetig stei-gender Unterrichtsgebühren reduziert.Der Bundesvorstand der Fachgrup-pe Musik fordert deshalb:• Erleichterung des Zugangs zuMusikschulen (der Besuch einer Mu-sikschule muss prinzipiell allen Men-schen ungeachtet ihrer sozialen Her-kunft und finanziellen Möglichkeitenoffen stehen)• Öffentliche Trägerschaft der Mu-sikschulen statt wachsendem Einflussprivatwirtschaftlicher Interessen

• Investitionen in Ausbau und Neu-einrichtung von Musikschulen• Existenz sichernde Bezahlung füralle Kolleginnen und Kollegen anMusikschulen und in zusammen mitMusikschulen betriebenen Projektendurch tarifgebundene Beschäftigungs-verhältnisse• Schaffung von mehr Vollzeitstel-len• Gesetzliche Verankerung unsererForderungen in einem Musikschulge-setz

Es sei beschämend für ein reichesLand wie die Bundesrepublik, so dieFachgruppe Musik von ver.di, wennall das Positive, was in den letzten Jah-ren über die tief greifende Bedeutungder praktischen Beschäftigung mitMusik bei Bildungsprozessen vonKindern und Jugendlichen festgestelltwurde, nur zu Lippenbekenntnissenvon Politikern führe und diese dasGegenteil von dem unternähmen, wassie in Sonntagsreden versprachen. Mitder gravierendsten Wirtschaftskrise seit1930, die die Nichtverursacher aus-zubaden hätten, sei das Scheitern neo-liberaler Politik angezeigt. Daraus müs-se gelernt und müssten die notwen-digen politischen Konsequenzen ge-zogen werden.

Weitere Informationen:http://bs.risiko09.de/Kontakt: [email protected]://musik.verdi.de ¿

˜ VG Musikedition

Sikorski neuer PräsidentDer Vorstand derVG Musikeditionwählte Axel Si-korski (Bild) zuseinem neuenPräsidenten. ImAmt des Vize-Prä-sidenten wurdeJoachim Veit be-stätigt. Sikorski betonte, er sehe in derBekämpfung des illegalen Fotokopie-rens, das für die Musikverlage jähr-lich Umsatzverluste in zweistelliger Mil-lionenhöhe bedeute, die größte He-rausforderung der nächsten Jahre. Vonbesonderer Bedeutung sei dabei, dassöffentliche wie private Musikschulenzukünftig eine angemessene Vergü-tung für das massenhafte Kopierenvon Noten zahlten.

˜ Werkgemeinschaft Musik

Zirkus und MesseAuf Burg Rothenfels bei Würzburgveranstaltete die WerkgemeinschaftMusik erstmalig eine viertägige Fami-lienmusiktagung mit dem Thema „Zir-kus auf Burg Rothenfels“, die auch inder Osterzeit 2010 wieder durchge-führt werden soll. Anlässlich Haydns

200. Todestags und des Domjubilä-ums haben fast 100 Mitglieder derWerkgemeinschaft am Sonntag nachChristi Himmelfahrt Haydns Harmo-niemesse im Altenberger Dom beiKöln aufgeführt. Die Aufführung wardas Ergebnis der diesjährigen Früh-jahrs-Musiktage, die alle zwei Jahrein Altenberg stattfinden. In der an-schließend stattfindenden Mitglieder-versammlung wurde turnusmäßig einneuer Vorstand gewählt. Mehr dazu:www.werkgemeinschaft-musik.de

…KURZ GEFASST…Auf der Bundesinnungsversammlungin Weimar wurde der amtierende Bun-desinnungsmeister für das Musik-instrumenten-Handwerk, Klavier-und Cembalobaumeister SiegfriedThilemann aus Neuwied, einstimmigfür die nächste Legislaturperiodewieder gewählt (www.biv-musikinstru-mente.de) +++ Die Union deutscherJazzmusiker (UDJ) hat mit MirkoMeurer einen neuen festen Mitarbei-ter eingestellt, womit das UDJ-Büroim Bonner Haus der Kultur wiederregelmäßig besetzt ist. Meurers ersteAufgabe wird die Koordination derJurysitzung anlässlich der Verleihungdes Deutschen Jazzpreises 2009 sein.Dieser Preis wird von der GEMA-Stif-tung ausgestattet und alle zwei Jahreim Rahmen des Berliner Jazzfestesverliehen. ¿

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˜ Verband deutscher Musikschulen

19 Tonträger fürLEOPOLD nominiertAlle zwei Jahre prämiert der Ver-band deutscher Musikschulen(VdM) mit Unterstützung des Bun-desjugendministeriums besondersempfehlenswerte Musik für Kin-der auf Tonträgern. Nach ihrerabschließenden Sitzung hat die Juryunter dem Vorsitz von Reinhartvon Gutzeit die diesjährigen No-minierungen für den Medienpreis„LEOPOLD – Gute Musik für Kin-der“ bekannt gegeben.

19 aus fast 160 Musikproduktio-nen für Kinder haben damit bereitsden Sprung auf die Hörmedien-Emp-fehlungsliste „Gute Musik für Kinder“des VdM geschafft und dürfen mitdem Prädikat „Empfohlen vom Ver-band deutscher Musikschulen“ für sichwerben.

Am 11. September werden bei derPreisverleihung im WDR-Funkhaus inKöln die versiegelten Wertungsum-schläge der Juroren geöffnet und diePreisträger des LEOPOLD bekanntgegeben. Auch die Kinderjury, eineKlasse des Humboldt-GymnasiumsKöln, wird an dem Tag ihren Favori-ten aus dem Wettbewerb mit demSonderpreis „Poldi“ auszeichnen.

˜ Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände

Musikpädagoge Hans Günther Bastianmit Hans Lenz-Medaille ausgezeichnetDem Musikpädagogen Hans Gün-ther Bastian wurde von der Bun-desvereinigung Deutscher Orches-terverbände (BDO) vor rund 500Gästen im Kurhaus Baden-Badendie Hans Lenz-Medaille des Jah-res 2009 verliehen.

Damit wurde von der Dachorga-nisation des instrumentalen Laienmu-sizierens bereits zum vierten Mal einePersönlichkeit geehrt, die sich in be-sonderem Maß um das aktive nicht-professionelle Musizieren in Orches-tern verdient gemacht hat.

In seiner Laudatio unterstrich BDO-Präsident Ernst Burgbacher die weg-weisenden Forschungsergebnisse unddas große Engagement Bastians in demBestreben, die Musik und die musi-

BDO-Präsident Ernst Burgbacher überreichte im Kurhaus Baden-Baden dieHans Lenz-Medaille an Hans Günther Bastian (rechts).

Die Nominierungen für den LEOPOLD 2009/2010• „Schwanensee / Das Ballett nach Peter Iljitsch Tschaikowsky“, Annette Betz imVerlag Carl Ueberreuter, Wien (ab 5 Jahren)• „Hörspielschätze Vol. 1-3 / Märchen der Gebrüder Grimm“, Audio Factory GmbH,Hamburg (ab 6 Jahren)• „Die Prinzessin und Afrika / Kindergeschichten geschrieben und gesprochenvon Arnold Schönberg“, Cybele Records GmbH, Düsseldorf (ab 12 Jahren)• „Hans im Glück“, Edition SEE-IGEL, Reutlingen (ab 5 Jahren)• „Schmetterlingsküsschen“, Edition SEE-IGEL, Reutlingen (ab 6 Jahren)• „Von dem Fischer und seiner Frau“, Edition SEE-IGEL, Reutlingen (ab 5 Jahren)• „Wir Kinder vom Kleistpark machen Musik“ (2008), Elena Marx, Berlin (von 0-10Jahren)• „Der Krieg der Knöpfe / Nach dem Roman von Louis Pergaud / Ein Orchester-spiel mit Musik“, Headroom Verlag, Köln (ab 6 Jahren)• „Die besten Beerdigungen der Welt“, HörCompany, Hamburg (ab 5 Jahren)• „Die verhexte Musik / Ein Musikalisches Märchen“, Membran International GmbH,Hamburg (von 9-11 Jahren)• „Mtoto Boga / Das Kürbiskind – Ein Märchen aus Afrika“, Mombatz Music Pro-duction, Beckum (für Kinder und Erwachsene)• „Luftmusik & Feuerfarbe / Eine spannende musikalische Reise zu den vier Ele-menten Erde, Feuer, Luft und Wasser“, Ökotopia Verlag Wolfgang HoffmannGmbH & Co. KG, Münster (von 4 - 12 Jahren)• „Inspektor Maus / Käsekrimi“, Panama Records, Denklingen-Dienhausen (ab 6Jahren)• „Wilhelm Busch / Unterhaltsames und Ungehöriges für Kinder mit dem duopianoworte“, Random House Audio, Köln (ab 8 Jahren)• „Professor Jecks Zungenbrecher & Co / Sprach- & Liederspiele zum Mitma-chen“, Terzio, München (ab 4 Jahren)• „Wer hat Angst vor Mister Werwolf? / Ein musikalische Detektivgeschichte“,Terzio, München (ab 5 Jahren)• „Pelemele Rockwürste“, Tone De Cologne, Erftstadt (Kierdorf) (von 5-12 Jah-ren)• „Die Geige mit Hilary Hahn“, Universal Music Classics + Jazz, Berlin (ab 7 Jahren)• „Schlagzeug mit Peter Sadlo“, Universal Music Classics + Jazz, Berlin (ab 7Jahren)

Seit 1997 hat sich die Tonträger-branche nun zum siebten Mal um diebegehrte Auszeichnung beworben.Das LEOPOLD-Zeichen signalisiertEltern und Pädagogen, was Expertenaus allen Bereichen des Musiklebensfür unbedingt empfehlenswert halten.Der Westdeutsche Rundfunk ist mitseinem Kulturradio WDR3 Kulturpart-ner des LEOPOLD.

Die Preisträgerbroschüre 2007/2008 mit den bisher prämierten Ton-trägern kann gegen einen adressier-ten, mit 0,85 Euro frankierten undmit „Büchersendung“ versehenen Brief-umschlag kostenlos angefordert wer-den beim: VdM, Plittersdorfer Str. 93,53173 [email protected] ¿

kalische Bildung in der Gesellschaftzu stärken und nachhaltig zu veran-kern. „Durch seine wissenschaftlicheArbeit sind wichtige Forschungsergeb-nisse entstanden, die auch für denBereich der nicht-professionellen Or-chestergemeinschaften in Deutschlandvon Bedeutung sind“, erklärte Burg-bacher.

In seiner Dankesrede unterstrichBastian, er habe sich zeitlebens mitgroßer Überzeugung für das Laien-musizieren eingesetzt. „Mein Engage-ment war mir von Jugend an ein Her-zensthema“, sagte er. „Mich fasziniert,wenn Menschen jeden Alters, vomKleinkind bis zum Greis, im Rahmenihrer Möglichkeiten und Begabung zuSchöpfern von Kultur werden.“ ¿

MUSIK UND GESELLSCHAFT DerBundesfachausschuss Musik und Ge-sellschaft beschäftigte sich in seinerletzten Sitzung u. a. mit den Ergebnis-sen der Foresight-Untersuchung „Mu-sikleben 2020“. Dabei wurden Vorschlä-ge für das Präsidium des DeutschenMusikrats (DMR) verfasst, die angesichtsder Prognosen der Studien zur Förde-rung und nachhaltigen Sicherung derMusikkultur in Deutschland beitragensollen. Darüber hinaus wurde eine Be-schlussempfehlung verabschiedet, diedie UNESCO-Konvention zum Erhaltund zur Förderung kultureller Aus-drucksformen zur Grundlage für die mu-sikpolitische Arbeit des DMR erklärt.

Aus den DMR-BUNDESFACHAUSSCHÜSSEN

MUSIKWIRTSCHAFT Der Bundes-fachausschuss Musikwirtschaft, demDieter Gorny, Vorstandsvorsitzenderdes Bundesverbands Musikindustrie,vorsitzt, besteht aus Repräsentanten vonMusikwirtschaft und Musikverwertungs-gesellschaften. Er koordiniert öffentli-che Maßnahmen zur Aufklärung überdas Musikleben in Deutschland und po-litische Forderungen der Industrie undder Kreativen. Darüber hinaus steht erim direkten Dialog mit Landes- und Eu-ropapolitik und vermittelt Anregungenund Impulse im Kreis politischer Ent-scheidungsträger. In diesem Zuge istEnde des Jahres ein Besuch bei Euro-pa-Abgeordneten in Brüssel geplant.

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DE ˜ GDM

! Fortsetzung von Seite 1Keine Streichung vonMusikunterricht!Zu den Forderungen des Gesamtver-bandes Deutscher Musikfachgeschäfte(GDM) zum schulischen Musikunte-richt erklärt Präsident Arthur Knopp:„Die Musik muss ein unveräußerli-cher Bestandteil unseres Lebens undunserer Kultur bleiben. Wer Kinderndas Spielen eines Musikinstrumentsermöglicht, hilft, ihre Kreativität, In-telligenz und Teamfähigkeit zu för-dern.“ Der GDM-Präsident ermuntertEltern, dafür zu kämpfen, dass ihr Kinddas Spielen eines Musikinstrumentserlernt und damit die Faszination deseigenen Musizierens erlebt. Knopp:„Jedes Kind ist musikalisch.“

Darum luden die GDM-Musikfach-händler bundesweit am 13. Juni zum„Tag der offenen Tür“ ein, an demjeder Besucher Instrumente testen undan kostenlosen Schnupperkursen teil-nehmen konnte. Diese Aktion warBestandteil der Aktivitäten des Deut-schen Musikrats zum „Tag der Mu-sik“, der vom 12. bis 14. Juni zumersten Mal in Deutschland stattfand.

Elektronischer Datenaustausch

Auf ihrem Branchentreff im saar-ländischen Wallerfangen haben sichdie Musikfachhändler im GDM mitden deutschen Herstellern und Ver-trieben darauf geeinigt, ihre elektro-nischen Artikeldaten mit Bild- undTextinformationen in einem einheit-lichen Format auf einer für alle Fach-händler nutzbaren Plattform bereit-zustellen. Damit einhergehend mussder elektronische Datenaustausch zwi-schen Lieferanten und Händlernschnellstmöglich realisiert werden. DieLieferantenvertreter sicherten die zeit-nahe Umsetzung dieser Anliegen zu.

Eine Umfrage unter den Teilneh-mern des Branchentreffs hat demGDM-Präsidium beste Noten für dieOrganisation und Ausgestaltung at-testiert. 95 Prozent der Befragten ha-ben positive Impulse und Nützlichesfür ihre tägliche Arbeit erhalten. Be-sonders wichtig war für die Teilneh-mer die Möglichkeit, sich mit Liefe-ranten und Kollegen auszutauschen.Als nachhaltig positiv wurden vor allemdie Diskussion mit Herstellern undVertrieben und der Drum Circle be-wertet.

Die Urkunde und der FAMos-Preis wurden im Rahmen des Branchentreffs desGDM an Verlagsinhaber Gerhard Halbig von GDM-Präsident Arthur Knopp(rechts) und dem FAM-Vorsitzenden Ulrich Jesse (links) überreicht.

Der Preis „FAMos“ des ForumsAktiver Musikalienhändler (FAM)im Gesamtverband Deutscher Mu-sikfachgeschäfte (GDM) geht imJahr 2009 an die VerlagsgruppeDux/Holzschuh.

In der Verleihungsurkunde heißtes: „Mit ihren Verlags-Ausgaben ver-folgt die Verlagsgruppe eine attrakti-

„FAMos“-Auszeichnung an Dux/Holzschuhve Produktgestaltung und eine deut-lich erkennbare kundenorientierteAusrichtung für den Unterricht unddas Einzelspiel. Die Zusammenarbeitmit dem Handel ist geprägt, durch eineschnelle und sorgfältige Auslieferung,gute Bezugsbedingungen und ein ge-meinschaftliches Wirken im Verbundmit dem Musikalienfachhandel.“

Eine Expertentagung in Weimarzum Thema „Musik in der Grund-schule“ diskutierte Möglichkeiten,wie fachfremd Musik unterrichten-de Lehrer bundesweit unterstütztwerden könnten. Über 80 Prozentdes Musikunterrichts an Grund-schulen wird momentan fachfremderteilt.

Zunächst stellten die Teilnehmerbereits existierende Modelle derWeiterbildung für fachfremd bzw.„fachnah“ Musik Unterrichtende vor.Danach wurden Problemfelder defi-niert und Lösungsvorschläge gesam-melt. Es folgte die Bewertung derVorschläge in Bezug auf ihre Mach-barkeit. Zwei Handlungsfelder kris-tallisierten sich heraus: der Umgangmit den Institutionen (Schulverwal-tung, Kultusministerium), die das FachMusik trotz anders lautender Bekennt-nisse zunehmend marginalisieren, unddie Konzeption einer – womöglichbundesweit nutzbaren – Basis-Qua-lifikation.

Es wurden folgende Aufträge andie Verbände formuliert: Sponsoren-Suche (z. B. Stiftungen, Play Fair, An-bieter von Kommunikationssystemen,Unternehmen), Werbung für prakti-sches Musizieren (vor allem für dasSingen), Bereitstellung von Argumen-tationshilfen (für die qualifizierte Er-teilung des Fachs Musik) und Her-

stellung einer Synopse der bereits vor-handenen und bewährten Weiterbil-dungsmodelle.

Über den Diskussionen schweb-ten zwei dunkle Wolken: erstens dieGefahr, dass Weiterbildung von Bil-dungspolitikern als Ersatz für die Aus-bildung von Fachlehrern missbrauchtwird, und zweitens die Befürchtung,die Reduzierung von Studiengängenkönne zur gänzlichen Streichung derFachausbildung führen.

Um die Tagung mit konkretenVorhaben zu beenden, übernahmenTeilnehmer aus der Liste der „nächs-ten Schritte“ Aufgaben:

1. Synopse der Weiterbildungsmo-delle auf den Web-Seiten der beidenVerbände.

2. Erstellung von Qualitätsstandardsfür die Weiterbildung (auf der Grund-lage der Synopse der bereits existie-renden Modelle).

3. Zusammenstellung von Mate-rialien und Methoden für fachfremdMusik Unterrichtende.

4. Die Erweiterung des Angebo-tes auf den Bundeskongressen um eineSchiene für fachfremd Musik Unter-richtende.

Eine zweite Tagung ist für März2010 in Weimar geplant.

Anregungen zu diesem Thema an:[email protected]

Micaela Grohé

˜ Arbeitskreis für Schulmusik / Verband Deutscher Schulmusiker

Tagungsthema: Musik in der Grundschule

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Zum zweiten Mal fand sich dasDoktorandennetzwerk des AMPF(Arbeitskreis für Musikpädagogi-sche Forschung) zu einer eigenenForschungstagung zusammen, die-ses Jahr ausgerichtet von Lina Ham-mel (Uni Köln) und Nina Dyllick(Musikhochschule Köln) in derKlosteranlage Altenberg bei Köln.

Von den 27 teilnehmenden Dok-toranden stellten sechs ihre For-schungsprojekte vor, die eine metho-dische und thematische Vielfaltoffenbarten. Inhaltlich befassten sichdie Projekte mit musikalischer Selbst-wirksamkeit (Thomas Busch, Uni Bre-men), Gitarrenspiel als Unterrichtsan-gebot im Förderschwerpunkt Lernen(Lars Petzold-Turcanu), Musikpäda-gogik in der DDR (Sabine Roterberg,Musikhochschule Köln), der Rolle vonMetaphern beim Sprechen über Musik(Daniel Hesselmann, MusikhochschuleKöln), politischem Denken von Mu-siklehrenden (Sebastian Eigenrauch,Musikhochschule Essen) und musik-pädagogischer Diagnose als Grund-lage für das Arbeiten in heterogenenGruppen (Martin Weber, Uni Köln).

In den anschließenden halbstün-digen Diskussionen standen den Dok-toranden beratende Professoren zurSeite, über beide Tage verteilt Chris-tine Stöger (Musikhochschule Köln),Heinz Geuen (Musikhochschule Köln),

˜ Arbeitskreis für Musikpädagogische Forschung

Doktoranden präsentierten ihre Forschung

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Thomas Ott (Uni Köln) und Christi-an Rolle (Musikhochschule Saarbrü-cken). Alle vier äußerten sich begeis-tert über die Initiative und das hoheNiveau der Doktorandentagung.

Auf dem Programm standenweiterhin die Vorstellung wissenschaft-licher Software, eine Interpretations-werkstatt sowie ein Seminar zumThema Konstruktivismus in der Mu-sikpädagogik unter der Leitung vonHeinz Geuen. Weitere Informationen:www.ampf.info/netzwerk/ ¿

Das Jugendmusikfest Sachsen-Anhalt findet in diesem Jahr vom18. September bis 2. Oktober un-ter dem Motto „Die Gedanken sindfrei“ statt.

Zum 14. Mal erhält der musikali-schen Nachwuchs des Landes imRahmen des Festivals ein Auftrittspo-dium. Das Programm bietet nebenKonzerten der Auswahlorchester desLandes sowie der Preisträger des Wett-bewerbs „Jugend musiziert“ Auftrittevon Ensembles aus den Musikschu-len, Workshops mit Profimusikern undeine Werkstatt für junge Komponis-ten. Weitere Informationen:www.jugendmusikfest.de

˜ Landesmusikrat Sachsen-Anhalt

Freie Gedanken

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Der Bayerische Musikrat (BMR) hatdie „Hammelburger Thesen –Grundsätze zur Musik an Schulen“verabschiedet, die sich als Leitpro-gramm und Forderungskatalog analle richten, die bildungspolitischVerantwortung tragen.

BMR-Präsident Thomas Goppel:„In einer Zeit, in der insgesamt dieSchule im Umbruch ist und das Zielreiner Wissensvermittlung die Rich-tung vorgibt, ist es wichtig, dass sichdas Fach Musik als wesentlicher Fak-tor zur gesamtganzheitlichen Förde-rung der Persönlichkeit von Kindernund Jugendlichen positioniert.“

Laut Verfassung des FreistaatsBayern soll „Schule nicht nur Wissenund Können vermitteln, sondern auchHerz und Charakter bilden“. Daraufberuft sich der BMR und seine Mit-gliedsverbände und formuliert in denHammelburger Thesen die daraus re-sultierende Notwendigkeit, sich im Be-reich Musik für eine kompetente undfür alle zugängige Bildungsarbeit ein-zusetzen.

˜ Landesmusikrat Bayern

Grundsätze zurMusik an Schulen

Neue GeneralsekretärinIrmgard Schmid (im Bild oben mitPräsident Thomas Goppel) ist neueGeneralsekretärin des BayerischenMusikrats.

„Wir freuen uns, aus einem Be-werberkreis von über 60 Kandidatenmit Irmgard Schmid eine so überzeu-gende und in den Sachthemen, dieden Musikrat betreffen, so kompe-tente Persönlichkeit gefunden zu ha-ben“, betonte BMR-Präsident ThomasGoppel. „Damit kann sich der Baye-rische Musikrat nun mit einer voll-zähligen Mannschaft wieder zielgerich-tet den dringlichen Aufgaben dermusikalischen Bildung und Musikpfle-ge in Bayern widmen.“ Die neue Ge-neralsekretärin trat ihre Arbeitsstelleam 1. Juli an.

© BMR/Christiane Franke

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Für den Berliner Chortreff 2009im Herbst haben sich in diesemJahr 39 Chöre angemeldet – so vielewie noch nie.

Ihre stilistische Bandbreite reichtvon klassischen Vokalensembles biszu Jazz- oder Gospelchören. Sehr er-freulich ist die Tatsache, dass diesmalbesonders viele Kinder- und Jugend-chöre dabei sind. Die meisten En-sembles nehmen am integrierten Ber-liner Landes-Chorwettbewerb teil, umsich für den Deutschen Chorwettbe-werb 2010 zu qualifizieren.

Der Berliner Chortreff gibt denunterschiedlichsten Chören Raum fürBegegnungen und die Präsentationihrer künstlerischen Ausdrucksfähig-keiten. Begegnung und Austausch vonChören unterschiedlicher Gattungenund Altersstufen geben wertvolleImpulse für die Vielfalt des Chorle-bens in Berlin.

Ein bisschen Zeit zum Üben bleibtnoch: Der Berliner Chorwettbewerbfindet am Wochenende vom 3. bis4. Oktober statt.www.landesmusikrat-berlin.de

˜ Landesmusikrat Berlin

So viele Chöre wienie beim BerlinerChortreff im Herbst

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Noch nie war die Teilnahme sogroß: 27 Chöre sind beim Landes-chorwettbewerb Brandenburg da-bei. Das zeigt, wie stark das Inte-resse in Brandenburg an der Chor-musik in den vergangenen Jahrengewachsen ist. Durchgeführt wirdder Wettbewerb in zwei Phasen.

Am 9. Mai fand in der Lehrer-Paul-Bester-Halle Schöneiche bei Berlin dererste Teil des 5. Landeschorwettbe-werbs Brandenburg statt. Er stand unterder Schirmherrschaft von HeinrichJüttner, Bürgermeister der Gemein-de. Kinder, Jugend- und Jazzchörestellten sich dem Urteil der Jury. Derzweite Teil, die Wertung der Erwach-senenchöre, wurde Ende Juni in Temp-lin ausgetragen.

Zur Jury der ersten Phase gehör-ten Ulrich Marckardt (Berlin), KlausHähnel (Gotha), Berit Walther (Jena)und Detlef Stanoschefsky (Berlin).Interessiert lauschten die Chormitglie-der und viele Zuhörer aus Schönei-che den musikalischen Darbietungenund erwarteten mit großer Spannungdas Ergebnis der Jury.

Von den acht angetretenen Chö-ren wurde zum 8. Deutschen Chor-

˜ Landesmusikrat Brandenburg

Chorwettbewerb mit Rekordteilnahmewettbewerb das A-cappella-Ensemble„vokalverkehr“ aus Schöneiche bei Ber-lin delegiert. Dieser Chor erhielt auchden Sonderpreis des Präsidenten desBrandenburger Landtags, GunterFritsch, der ihn auch persönlich über-reichte. Der Sonderpreis des Minis-terpräsidenten des Landes Branden-burg, Matthias Platzeck, ging für diebeste Interpretation eines deutschenVolksliedes an den Knabenchor derSingakademie Frankfurt/Oder. DerSonderpreis von Bürgermeister Hein-rich Jüttner wurde für die beste Inter-pretation eines zeitgenössischen Chor-werkes an den Paul-Dessau-ChorZeuthen verliehen.

„Bassini“: Entdeckungdes Kontrabasses„Bassini“, das Kontrabass-Seminarfür Schüler und Laien aller Leis-tungsstufen, fand an vier Tagen imMai im Schloss Trebnitz bei Mün-cheberg unter der bewährten Lei-tung von Markus Rex, dem stell-vertretenden Solobassisten im Kon-zerthausorchester Berlin, statt.

Mit über 40 Teilnehmern war derKurs überaus gut besucht. Im Vorder-grund standen das Vermitteln von gutentwickelter Kontrabass-Technik so-wie das Entdecken der vielfältigenklanglichen Möglichkeiten mit diesemInstrument. Auch die Freude am ge-meinsamen Musizieren und das Ken-nenlernen Gleichgesinnter spielteneine große Rolle.

Erstmals wurde „Bassini“ durcheinen Meisterkurs von Gast-Profes-sor Klaus Trumpf, dem ehemaligenSolo-Kontrabassisten der StaatskapelleBerlin und langjährigen Professor fürKontrabass an der Hochschule fürMusik und Theater in München, einge-leitet. Ein Vortrag des Kursleiters zurMethodik auf dem Kontrabass, inten-sive Klavierproben mit dem Pianis-ten des Seminars, Robert Starke, unddas gemeinsame Musizieren aller imKontrabass-Orchester rundeten dasKursprogramm ab. Zum Abschluss gabes ein Konzert aller Teilnehmer inder Stadtpfarrkirche Müncheberg.

„Bassini“ ist ein Projekt des Lan-desmusikrats Brandenburg, gefördertvom Ministerium für Wissenschaft,Forschung und Kultur des LandesBrandenburg unter der Schirmherr-schaft der Ministerin Johanna Wan-ka in Kooperation mit der Musikwerk-statt Eden Oranienburg. Es dient derbundesweiten Initiative „Pro Kontra-bass“ des Verbandes der Musikschu-len in Deutschland (VdM).

Ute Wonneberger

Beim Chorwettbewerb in Schöneiche (v. l. n. r.): Konstanze Sander (General-sekretärin des Landesmusikrats Brandenburg), Berit Walther (Jurorin), das Acapella-Ensemble „vokalverkehr“, in dessen Mitte der Präsident des LandtagsBrandenburg und Juryvorsitzende, Ulrich Marckardt, sowie Detlef Stanos-chefsky (Juror). Foto: Matthias Schulz

Kontrabass-Seminar im Schloss Trebnitz: Die jungen Teilnehmer erlebten dievielfältigen klanglichen Möglichkeiten ihres Instruments. ¿

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Bei einem Informationsgespräch,zu dem die Hörfunkkommissionder ARD Vertreter der ARD-Lan-desrundfunkanstalten und derKonferenz der Landesmusikräteeinlud, wurde zwischen beidenGremien für die Zukunft eine engeZusammenarbeit vereinbart.

In der Gesprächsrunde wurdenfolgende Punkte festgehalten:

ˇ Der öffentlich-rechtliche Rund-funk ist einer der bedeutendsten Kul-turkommunikatoren. Er stellt ein ei-genständiges Kulturgut in unsererGesellschaft dar.

ˇ Die Programmvielfalt im öffent-lichen Rundfunk ist insbesonderedurch die Landesrundfunkanstaltengewährleistet. Nur gemeinsam mit ih-nen lässt sich die vielfältige regionaleKulturszene in der Öffentlichkeitdarstellen.

ˇ Kultursendungen sind kein Spar-potenzial.

ˇ Als ein wesentlicher Bestand-teil der kulturellen Bildung ist der öf-fentliche Rundfunk ein Muss fürDeutschland als Kulturnation.

ˇ Für die Programmangebote al-ler Landesrundfunkanstalten muss eineBestandssicherung auch bei der Digi-talisierung der terrestrischen Verbrei-tung gelten. Dieses ist nur zu errei-chen, wenn entsprechende – digitaleVerbreitung ermöglichende – Fre-quenzbereiche für die Sender vorge-halten werden. Nur unter dieser Vo-raussetzung sind medienspezifischeEntwicklungsmöglichkeiten für die

Landesrundfunkanstalten auch zukünf-tig zu sichern.

Inhalt einer engen Zusammenar-beit der beiden Gremien soll zukünf-tig sein:

ˇ Die unterschiedlichen Koope-rationen, insbesondere bei Förderpro-jekten im Bereich der musikalischenJugendarbeit und der Laienmusik,sollen gepflegt und nach Möglichkeitausgebaut werden.

ˇ Ein Vertreter der Hörfunkkom-mission der ARD soll im Rundfunk-ausschuss der Konferenz der Landes-musikräte ständiges Mitglied werden.

ˇ In halbjährlichen Abständen sollder Informationsaustausch fortgesetztwerden.

Anwesend im Hauptstadtstudioder ARD waren: Ulrike Liedtke alsVorsitzende des Rundfunkausschus-ses der Konferenz der Landesmusik-räte, Karl-Jürgen Kemmelmeyer alsStellvertretender Vorsitzender desRundfunkausschusses der Konferenzder Landesmusikräte, Christian Höpp-ner als Präsident des Landesmusik-rats Berlin und Generalsekretär desDeutschen Musikrats und Ernst Folzals Vorsitzender der Konferenz derLandesmusikräte sowie JohannesGrotzky, Hörfunkdirektor des Baye-rischen Rundfunks, Christoph Singeln-stein, Hörfunkdirektor des RundfunksBerlin-Brandenburg, Heinz Sommer,Hörfunkdirektor des Hessischen Rund-funks, und Hans Dieter Heimendahl,Stellvertreter des Programmdirektorsvon Radio Bremen.

˜ Gesprächsrunde

Landesmusikräte und Hörfunkdirektorenbeschließen enge Zusammenarbeit

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Zum 29./30. August und 19./20September lädt ein Kompositions-workshop des LandesmusikratsNRW Jugendliche und Erwachse-ne, die Interesse an kreativer Ar-beit haben, nach Bonn ein.

Ort ist das Rheinische Landesmu-seum, das den Workshop als Koope-rationspartner begleitet. Dozenten sindzwei Spezialisten für Musik der Ge-genwart und ihre Vermittlung: derKomponist David Graham und diePianistin Susanne Kessel. WeitereMusiker helfen, die entstandenen

˜ Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen

Einladung zum Kompositions-WorkshopAuf der Mitgliederversammlungdes Landesmusikrats Schleswig-Holstein im Rendsburger Nordkol-leg wurde das Präsidium im Amtbestätigt.

Präs identbleibt Klaus Vol-ker Mader (Bild).Neben den Wah-len und weiterenvereinsrechtlichenThemen wurdeüber die Fortfüh-rung des Projekts„Instrument desJahres“, den vomDeutschen Musikrat ausgerufenen„Tag der Musik“, die bevorstehendenLandtagswahlen im Mai 2010, denStand der Musiklehrerausbildung in

˜ Landesmusikrat Schleswig-Holstein

Präsidium mit Klaus Volker Mader bestätigtSchleswig-Holstein und die Situationder Veranstaltungsorte in der Landes-hauptstadt Kiel diskutiert.

Empfang für PreisträgerEnde Juni empfing Ministerpräsi-dent Peter Harry Carstensen dieersten Preisträger des Bundeswett-bewerbs „Jugend musiziert“ ausSchleswig-Holstein in der Staats-kanzlei.

Carstensen beglückwünschte dieTeilnehmer zu ihrem hervorragendenAbschneiden auf dem Bundeswett-bewerb in Essen und bedankte sichbei Eltern und Lehrern für ihre Un-terstützung. Weiterer Dank ging andie Sparkassenstiftung für die jahre-lange, verlässliche Hilfe.

Kompositionen zu realisieren. Es gibtdie Möglichkeit der aktiven und derpassiven Teilnahme (50/10 Euro).Anmeldeschluss ist der 21. August.

Der Workshop vermittelt kreati-ves Arbeiten zur Weiterentwicklungeigener Kompositionsentwürfe sowohlder professionellen als auch der Laien-musiker.

Weitere Informationen und An-meldung: Musikprojekte GbR, Hed-wig Otten, Tel.: 0221/376 21 30 und0173/538 41 44,E-mail: [email protected]

Das NRW KULTURsekretariat, derLandesmusikrat NRW, der Landes-verband der Musikschulen inNRW, die Stiftung „Jedem Kind einInstrument“ und die Hochschulefür Musik Köln am Standort Wup-pertal veranstalteten in Verbindungmit dem Kultursekretariat NRWGütersloh ein mehrteiliges Fach-gespräch zum Thema „Musikali-sche Bildung und Interkultur“.

Über 80 Fachleute der musikali-schen Bildung gingen in drei Arbeits-gruppen Fragen bezüglich der Situa-tion und den Chancen der Musik-schulen, Musikhochschulen und Pri-

vatmusiklehrern nach. Einigkeit be-stand darin, dass die derzeitigen Un-terrichts- und Studienangebote vonMusikschulen und Musikhochschu-len die Musik von Migranten unzu-reichend berücksichtigen. Erforderlichseien neue Angebote der Hochschu-len zur Qualifikation von Lehrkräf-ten für Instrumente der Weltmusik.Die kommunalen Musikschulen, aberauch solche in freier bzw. privatrecht-licher Trägerschaft, befänden sich über-wiegend in einer personellen, logisti-schen und finanziellen Situation, dieeine Ausweitung der Unterrichtsan-gebote kaum erlaube.

Fachgespräch über Musikbildung und Interkultur

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Der Landesmusikrat Saar nutzte den „Tag der Musik“ zu einem kräf-tigen Impuls und wies mit einer Veranstaltung in der CongresshalleSaarbrücken auf die Bedeutung der musikalischen Jugendarbeit hin.

Idee war, die Landesjugendensembles des Saarlandes in einem gemeinsa-men Konzert bzw. in einer gemeinsamen Begegnung zusammenzuführenund vorzustellen. Über die Presse und durch Sendungen und Hinweise desSaarländischen Rundfunks wurde die Öffentlichkeit aufmerksam gemacht.An Vereine und Verbände gingen Informationen.

Die Aktion startete mit einem Drum Circle, einem Percussions-Projekt,auf dem Vorplatz der Congresshalle, gefolgt von einem Konzert der Landes-Schüler-Bigband des Saarlandes (Saarländischer Landesverband Jazz) im Fo-yer der Halle. Das Hauptprogramm im Großen Saal bestritten dann das Schü-lerorchester des Orchestervereins Wadgassen (Bund Saarländischer Musik-vereine), der neugegründete Landes-Jugend-Chor (Saarländischer Chorver-band) und das Landes-Jugend-Symphonie-Orchester Saar.

Trommeln zumTag der Musik:Drum Circlevor derCongresshalleSaarbrücken.

˜ Landesmusikrat Saarland

Impuls für die musikalische Jugendarbeit

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˜ Deutscher Musikwettbewerb

Ausschreibung für Interpreten und KomponistenNoch bis zum 16. November kön-nen sich junge Musiker zum Deut-schen Musikwettbewerb 2010(DMW) anmelden, der vom 15. bis27. März 2010 in Bonn stattfindet.Der Wettbewerb ist ausgeschrie-ben für die Kategorien Gesang, Vio-loncello, Trompete, Tuba, Gitarre,Orgel, Schlaginstrumente, Klavier-partner, Duo Violine/Klavier, DuoFlöte/Klavier, Klaviertrio, Bläser-quintett und Ensembles für NeueMusik.

Für das Orchesterfinale und dasAbschlusskonzert der Solisten stehterneut das Beethoven Orchester Bonnzur Verfügung. Den Preisträgern undStipendiaten des Deutschen Musik-wettbewerbs winken Geldpreise undFördermaßnahmen wie die Bundes-

auswahl Konzerte Junger Künstler, dieVermittlung von Preisträgerkonzertenoder die Produktion einer Debüt-CD.

Der Deutsche MusikwettbewerbKomposition ist zum zweiten Malausgeschrieben. Nach erfolgreichemStart mit gleich drei Preisträgern, dieWerke für die Besetzung Klarinette/Klavier bzw. Saxofonquartett schufen,werden im Rahmen des DMW Kom-position 2010 Werke für Kontrabasssolo oder für Cembalo solo gesucht.Die speziell für diesen Wettbewerbkomponierten Werke können bis zum10. Dezember eingesendet werden.

Teilnehmen können Komponistenbis zum Alter von 31 Jahren, die diedeutsche Staatsbürgerschaft besitzenoder an einer Musikhochschule inDeutschland studieren oder seit

mindestens fünf Jahren inDeutschland leben. Für dieJury konnten erneut die Kom-ponisten Christian Jost, Char-lotte Seither und ManfredTrojahn sowie der Deutsch-landfunk-FachredakteurFrank Kämpfer und der Pia-nist und Musikwissenschaft-ler Siegfried Mauser gewon-nen werden.

Die Ausschreibungenzum DMW 2010 und zumDMW Komposition stehenim Internet zum Downloadbereit:www.musikrat.de/dmwOder anfordern unter:[email protected]: 0228/2091-160

Plakat zum Deutschen MusikwettbewerbKomposition 2010.

Gestalteten den Debütabend in Essen (von links): Johannes Bultmann, Manfred Trojahn, Bowen Liu, ThomasRabbow, Martin Sadowski, Malte Giesen und Michael Kaufmann. Foto: Frank Vinken

(Klavier). Außerdem war das DuoChristian Künkel (Posaune)/ MareileSchmidt (Cembalo) mit einem Pro-gramm aus dem 17. und 18. Jahrhun-dert zu hören.

Ania Wegrzyn (Sopran) und TrungSam (Klavier) boten Lieder von RichardStrauss und Leonard Bernstein dar unddas Ensemble „Classic & Drums“ (Ju-lian Belli, Jakob Spahn und MariaOllikainen) präsentierte ein buntesProgramm mit Werken von Schu-mann, Henze, Norgard und Piazzollafür Schlaginstrumente, Violoncello undKlavier.

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Im Rahmen der „Langen Nacht mitGewinnern des Deutschen Musik-wettbewerbs“ im RWE-Pavillon derPhilharmonie Essen gaben im MaiStipendiaten und Preisträger desDeutschen Musikwettbewerbs ihrPhilharmonie-Debüt. Fünf ausge-wählte Ensembles – alle Teilneh-mer der Bundesauswahl Konzer-te Junger Künstler – präsentiertenein facettenreiches Programm mitMusik aus fünf Jahrhunderten.

Feierlicher Höhepunkt des Abendswar die Uraufführung der drei beimersten Deutschen MusikwettbewerbKomposition prämierten Werke und

Lange Preisträgernacht mit Uraufführung in der Philharmonie Essendie anschließende Preisverleihung, ge-staltet vom Intendanten der Philhar-monie, Johannes Bultmann, von Man-fred Trojahn, Juror des Komposi-tionswettbewerbs, und Thomas Rab-bow, Projektleiter des DMW.

In seiner Ansprache betonte Man-fred Trojahn, wie wichtig für Kom-ponisten – neben dem finanziellenAspekt – die Wiederaufführung ih-rer Werke sowie der Kontakt zu qua-lifizierten jungen Musikern auch au-ßerhalb der Zirkel der Neuen Musiksei. Der Deutsche MusikwettbewerbKomposition biete in dieser Hinsichteine gute Chance.

In seiner Gratulation drückte erHochachtung vor den Arbeiten sei-ner jungen Kollegen aus, die mit gro-ßer Ernsthaftigkeit an die Aufgaben-stellung des Wettbewerbs herange-gangen seien und die von einer hete-rogenen Jury zu den ersten Preisträ-gern bestimmt wurden.

Wie schon im letzten DMR aktu-ell berichtet, wurden als Gewinner desWettbewerbs Martin Sadowski, Mal-te Giesen und Bowen Liu gekürt. Inter-preten der zur Uraufführung gebrach-ten Stücke waren das sonic.art Saxo-phonquartett und das Duo JohannesZurl (Klarinette)/Nicholas Rimmer

Plakat zum DMW 2010. © Grafik Design Erdmann¿

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Virtuoses spielfreudig gemeistert: das Duo Mareile Schmidt-Christian Künkel.

˜ Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler

Top-Rezensionen für junge EnsemblesWie DMR aktuell bereits in seinerJanuar-Ausgabe berichtete, gab eszu den Konzerten von Ensemblesder 52. Bundesauswahl KonzerteJunger Künstler glänzende Kriti-ken in bundesdeutschen Zeitun-gen. Hier – zum Abschluss derSaison – Auszüge aus Rezensio-nen zu Konzerten weiterer En-sembles.

Jedes Ensemble hat durchschnitt-lich knapp 20 Konzerte gegeben undmit jedem Auftritt wichtige Erfahrun-gen gesammelt. Bei nahezu allen Kon-zerten zeigten sich Publikum undPresse begeistert:

Ménage a Cinq begeisterte durchvirtuose Spielfreude, seine noch etwasstrenge Präzision und großartiges Zu-sammenspiel. Vor allem die Zugabe, einStück aus Hindemiths „Kleiner Kammer-musik“ löste langen Beifall aus für einKonzert wie ein Klangfarbenmosaik.

(Westfälische Nachrichten)

Das Trio Vox Cellestis überzeugtemit seiner Mischung aus Liederabendund instrumentaler Kammermusik – unddurch Virtuosität. Gädker, schon jetztein ausgezeichneter und vielseitigerBühnensänger und Schauspieler, beein-druckte in der lyrischen Sonnenunter-gangsimpression von Walter Scotts „Sun-set“ ebenso wie in dem schwermütig düs-teren Trauerlied der „Holden Maid vonInverness“ von Robert Burns. Dem Duo[Peter-Philipp und Hansjacob Steaemm-ler] gelang es bei den „Fünf Stücken imVolkston“, hinter deren eingänglich volks-tümlicher Melodik die meisterhafte Kom-ponierkunst Schumanns deutlich wer-den zu lassen. Die weist dem Cellisten

vornehmlich die wohllautend kantable,dem Pianisten die virtuose Seite zu, lässtaber auch beide an der Grundaufgabedes anderen teilnehmen, so dass dieMusiker mit überraschenden dynami-schen Gestaltungen, kontrastierendenTempoänderungen und einer Abwechs-lung zwischen Liedhaftigkeit, Feierlich-keit und Beschwingtheit das Publikumunterhaltsam beeindruckten.

(Rhein-Neckar-Zeitung)

Die Interpretation des Piazzolla Tan-gos durch das Duo war eine musikali-sche Extraklasse für sich. Klug durch-dacht gestaltete Maria Ollikainen ihrenPart am Klavier, spielte die oft sehr schwie-rigen Passagen und rasanten Läufe mitscheinbarer Leichtigkeit und einem Lä-cheln im Gesicht; immer war ihr An-schlag einfühlsam differenziert und wohldosiert ihr Pedaleinsatz. Nicht minder ge-konnt, virtuos und technisch perfekt Gab-riel Adriano Schwabe am Violoncello.

(Hessische/NiedersächsischeAllgemeine)

Ania Wegrzyn (Sopran) und TrungSam (Klavier) präsentierten mit perfek-ter Dramaturgie im Kleinen wie imGroßen ihr Programm, das auch nochzum schönen Mai passte. Die interpre-tatorische Intelligenz der beiden bewiessich erst recht bei Claude Debussys„Ariettes oubliées“. Da ließ Sam seinenimitatorischen Herzregen niederperlen,setzte klar, doch nicht überdeutlich diePausen zur Betonung des Liebesverratsein und gab dem Reigen der Holzpfer-de einen beunruhigend forciertenSchwung. Lässige Chromatik, glissan-donahe Legatobögen und eine rege Be-weglichkeit Wegrzyns zeigten, dass hinter

schweren Worten ein Rest Unernst blin-zelt, die Kunst selbst.

(Fränkischer Tag)

Das Duo hinterließ durch exaktesZusammenspiel, besonders erblühendeAgogik, die Leichtigkeit, mit der selbstdie virtuoseste Herausforderung spiel-freudig gemeistert wurde, einen tiefenund nachhaltigen Eindruck. So erlebt mandabei eine große innermusikalische Ent-wicklung in Giralomo Frescobaldis „DueCanzoni per Basso solo“ und „Bassocontinuo“. Die Cembalistin [MareileSchmidt] ziert den Notentext mannig-fach originell aus, und der Posaunist[Christian Künkel] stimmt mit leichtemSpiel mit seiner Duo-Partnerin musika-lisch vollends überein.

(Hildesheimer Allgemeine Zeitung)

Das Werk bot beiden Solisten [Ja-kob Spahn, Violoncello und Julian Belli,

Für den Kongress des DeutschenMusikrats zum Thema „Zukunftder Musikberufe“, der vom 5.bis 7. Juni in der Musikakade-mie Rheinsberg stattfand, hat dasDeutsche Musikformationszen-trum (MIZ) aktuelle Daten, Fak-ten und Hintergrundinforma-tionen zum Thema zusammen-gestellt und aufbereitet.

Das so entstandene Dossier gibteinen detaillierten Einblick in dieInfrastruktur der musikalischen Aus-und Fortbildung und dokumentiertdie Entwicklung der Studierenden-und Absolventenzahlen an künst-

Dossier zum Thema„Zukunft derMusikberufe“

lerischen und wissenschaftlichenHochschulen.

In zahlreichen Übersichten spie-geln sich darüber hinaus die Ar-beitsmarkt- und Beschäftigungs-situation in Musikberufen – vonder freiberuflichen künstlerischenTätigkeit über die Situation der Or-chester und Musiktheater bis zurMusikwirtschaft. MusikpolitischeDokumente, Positionspapiere, Un-tersuchungen und Fachpublikatio-nen fokussieren zentrale Diskus-sionsfelder und regen zur intensi-veren Auseinandersetzung mit demThema an.

Das Zentrum des Dossiers bil-det eine topografische Darstellungder Ausbildungslandschaft für künst-lerische Musikberufe, die das MIZin Kooperation mit dem Leibniz-Institut in Leipzig erstellt hat. Siebildet den Auftakt einer Serie vonKarten zum Musikleben, die sichmit zentralen Bereichen der Musik-kultur, darunter die Orchesterland-schaft, der Musikinstrumentenbau,die Musikschulen und die Musik-forschung beschäftigen wird. Mehrdarüber im kommenden MUSIK-FORUM.www.miz.org/musikberufe.html ¿

Schlagzeug] die Möglichkeit, ihre tech-nische Souveränität auf den Instrumentenzu beweisen, von zarten Klängen, die mandem Schlagzeug gar nicht zutraute, biszu einer leidenschaftlichen Virtuosität aufdem Cello. Jakob Spahn bewies zuvorseinen hohen Ausbildungsstand in der25 Minuten dauernden Sonate F-Durop. 5 Nr. 1 von Beethoven, ihn beglei-tete der Pianist Nicholas Rimmer als kon-genialer Partner. (Salzgitter Zeitung)

Symposium Junger Künstlergab Einblick in BerufsalltagWelche Fotos soll ich auf meineWebsite stellen? Wie werden Veran-stalter auf mich aufmerksam? Waspassiert, wenn ich erkranke und einKonzert absagen muss? Wie gestalteich ein attraktives Konzertprogramm?Muss ich Umsatzsteuer abführen, undwie viel? Was macht die GEMA? Wasdie GVL? Kann ich in die KSK aufge-nommen werden? Soll ich mir eineKünstleragentur suchen?

Dies sind nur einige Fragen, dieMitglieder der 54. BundesauswahlKonzerte Junger Künstler beim mehr-tägigen Symposium Junger KünstlerEnde Juni in der Musikakademie Wei-kersheim bewegten. In verschiedenenWorkshops gingen Fachleute aus denBereichen Musikrecht, Öffentlichkeits-arbeit und Programmgestaltung aufdie Ideen und Probleme der Musikerein, informierten und berieten sie. DasSymposium gab Einblick in den Be-rufsalltag eines Musikers und dientespeziell der Vorbereitung auf die 54.BAKJK, die in der Saison 2010/2011auf Konzerttournee durch ganzDeutschland geht. Bis Herbst diesesJahres müssen die Ensembles derBAKJK zusammenfinden und Kon-zertprogramme konzipieren, die dannan die Veranstalter von Kammerkon-zerten übermittelt werden. ¿

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˜ Deutscher Orchesterwettbewerb

Sentimental Mood und Thüringer BratwurstMit einem fulminanten Abschluss-konzert endete der 3. Bigbandlei-ter-Workshop des Deutschen Or-chesterwettbewerbs (DOW) unterder künstlerischen Leitung vonJiggs Whigham. Unter dem Motto„Go East“ fand diese bundesweiterfolgreiche Fördermaßnahme fürBigbanddirigenten im April in derMusik- und Kunstschule Jena statt.

Mit der Blue Beans Bigband undder Master of Muppet Jugend Bigbandunter der Leitung von Klaus Wege-ner kamen gleich zwei aktuelle DOW-Teilnehmerbands in den Genuss, alsWorkshopensembles zu fungieren. 16Bigbandleiter waren aus dem gesam-ten Bundesgebiet angereist, um alsaktive oder passive Teilnehmer fünfTage unter der fachkundigen Anlei-tung des international renommiertenJazzpädagogen und -posaunisten JiggsWhigham und seines Assistenten Mar-tin Gerwig mit beiden Bands zu pro-ben. Im theoretischen Teil wurden pro-benspezifische Probleme besprochen.Außerdem standen ein Improvisati-onsworkshop und ein Vortragsabendauf dem Programm, bei dem weg-weisende Aufnahmen und Videos derJazz- und Bigbandgeschichte vorge-stellt wurden.

Das bis auf den letzten Platz ge-füllte Abschlusskonzert im Konzert-saal der Musik- und Kunstschule Jenabegeisterte Bands, Bigbandleiter undZuschauer gleichermaßen. Klaus Wege-ner, der durch seinen unermüdlichenEinsatz maßgeblich zum Erfolg derVeranstaltung beigetragen hatte, dank-te in seiner kurzen Eröffnungsrede allenBeteiligten, besonders DOW-Projekt-leiter Helmut Schubach und Organi-sator Herwig Barthes für die exzel-lente Vorbereitung. Gleichzeitig wieser darauf hin, dass es an der Musik-schule Jena und in beiden Bigbandseinen Posaunenmangel gebe. Das ließsich Whigham nicht zweimal sagen:Nach einer kurzen Dankesrede an alleBeteiligten, in der er u. a. auch demBratwurststand in der Jenaer Innen-stadt für die leckeren „Thüringer“dankte, ließ er sich von einem Band-musiker eine Posaune geben und in-tonierte spontan den Duke Ellington-Klassiker In A Sentimental Mood.

Bigbands haben in den letzten Jah-ren stetig an Stellenwert gewonnenund sind an allen Institutionen desmusikalischen Lebens wie Schulen undMusikschulen, aber auch in der frei-en Szene nicht mehr wegzudenken.Viele Leiter haben selbst in diesenBands gespielt, aber in den seltens-ten Fällen eine Ausbildung oder einCoaching in diesem Bereich bekom-men. Ziel des Workshops ist es, ei-

Jiggs Whigham (links) probte und konzertierte in Jena mit jungen Musikern und gab im Workshop wertvolle Tipps fürBigbandleiter. Fotos: Tobias Stepper

nen Austausch über bigbandspezifi-sche Herausforderungen in Gang zusetzen und das eigene Verhalten inBezug auf Bewegung und Körperspra-che von einem renommierten Profiüberprüfen zu lassen. Auf diese Wei-se sollen die Teilnehmer wichtige neueImpulse für die eigene Probenarbeiterhalten.

Whigham gilt als einer der renom-miertesten Jazzposaunisten, Bigband-leiter und Jazzpädagogen weltweit.Zurzeit leitet er die BBC Bigband inLondon und als „Professor auf Lebens-zeit“ die Abteilung für Popularmusikan der Hochschule für Musik „Hanns

Eisler“ Berlin. Er war außerdem Lei-ter der Schweizer Radio Band (1984bis 1986) und Dirigent und künstle-rischer Leiter der RIAS Big Band Ber-lin (1995 bis 2000). Als Posaunistspielte er u. a. im Glenn Miller Or-chestra, bei Stan Kenton sowie in denBigbands von Kurt Edelhagen, CountBasie, Peter Herbolzheimer sowie inder WDR Bigband.

Beim Deutschen Orchesterwett-bewerb (DOW) treffen sich seit über20 Jahren die besten Orchester und

Formationen der instrumentalenAmateurmusik. Mittlerweile nehmenmehr als 130 Ensembles mit über5000 Musikern am erstmals 1986 aus-getragenen Orchesterwettbewerb teil.Die Einbindung internationaler Juro-ren und Fachleute machen ihn zudem

zu einer internationalen Kommuni-kationsplattform. Der Wettbewerbrichtet sich an Amateurorchester ausden Bereichen der sinfonischen Mu-sik, der Zupf-, Blas-, Akkordeonmusikund des Jazz. Neben der Begegnungund dem Leistungsvergleich dokumen-tieren Stipendien und Fortbildungs-veranstaltungen für Dirigenten allerSparten, die Vergabe von Komposi-tionsaufträgen und Kompositionsprei-sen, Tondokumentationen der Orches-ter sowie Literaturlisten die nachhaltige

Förderung dieses Wettbewerbs. DerDOW wird vom Beauftragten derBundesregierung für Kultur undMedien finanziert.

Herwig BarthesWeitere Informationen:www.musikrat.de/dow

˜ Bundesjazzorchester

Aufbruch in neue Welten – mit Niels Klein„Progressions“ heißt das Pro-gramm, mit dem das Bundesjazz-orchester (BuJazzO) im Herbstneue Welten erobern wird.

Niels Kleins Musik vermittelt einGefühl von Spannung und Vorwärts-bewegung. Mit seinen Kompositionenfür Jazzorchester schafft er ein neuesGenre, das auf dem Boden vielermusikalischer Quellen wächst, dabeiaber neuartige Formen und Farbenhervorbringt. Sie lassen den Zuhörerin ein zutiefst gegenwärtiges und gleich-zeitig nach vorn gewandtes Univer-sum eintauchen, das ihn erst wiederloslässt, wenn die Oberflächenspan-nung nachlässt. Eine Synthese vonRuhe und Bewegung, von Klang undRhythmus.

Mit „Progressions“ präsentiert dasBuJazzO eine zeitgenössische Bigband-musik, in der die einzelnen Musikernicht nur „Section-Statisten“ sind, son-dern ihre persönliche musikalische

Sprache einbringen dürfen, sollen undmüssen. Durch Aufspaltung der Bandin improvisierende Untergruppen ent-stehen unwiederholbare „Instant-Kom-positionen“ und oftmals verschwim-men die Grenzen zwischen festgeleg-

tem und improvisiertem Material sostark, dass Hornist Arkady Shilkloperden Begriff „Komprovisation“ erfand,um die Musik zu beschreiben.

Niels Klein gilt als einer der profi-liertesten jungen Musiker der aktuel-len deutschen Jazzszene. Er arbeiteteals Saxofonist und Klarinettist bereitsmit Jazzmusikern wie Peter Erskine,Vince Mendoza, Nils Wogram, AlbertMangelsdorf, der WDR-BigBand, JeffHamilton, Underkarl, Florian Ross,Markus Stockhausen, Arkady Shilklo-per u. v. a. Als Leader sowie als Side-man trat er auf zahlreichen nationa-len und internationalen Festivals auf,wie dem Jazzfestival Berlin, Jazzbalti-ca Salzau, Moers Festival, Kopenha-gen Jazz Festival. 2009 arbeitete ererstmals auch als Dirigent der NDR-Big-Band. Besonderes Interesse weckteNiels Klein immer wieder mit seineneigenen Projekten sowie als Kompo-nist für Jazz-Orchester oder anderengrößeren (auch klassischen) Ensembles.

Bisher geplante Konzerte mit demBuJazzO: Potsdam (13.9.), Viersen(20.9.) und Düsseldorf (8.11.).Schafft ein neues Genre: Niels Klein. ¿

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E ˜ Bundesjugendorchester / Bundesjazzorchester

Synthese: Mit jungem Jazz undjunger Klassik nach Südafrika20 Jahre Mauerfall ist für die jun-gen Musiker des Bundesjazzorches-ters und des Bundesjugendorches-ters Anlass für eine Konzerttourneemit Musik des „Third Stream“, derVereinigung von Jazz und Klassik.

Die beiden nationalen Jugendor-chester feiern mit dieser Kooperationdie Öffnung ihrer Genres für Neuesund die Entstehung einer dritten Strö-mung ganz bewusst im Zusammen-hang mit dem ZusammenwachsenDeutschlands und als Symbol für diegrenzüberschreitende Kraft von Mu-sik. Sie sind sich sicher, dass diese Sym-bolkraft nicht nur in Deutschland ver-standen wird, sondern ebenso im kul-turellen Vorprogramm der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika.Dafür stehen Kompositionen für über100 Mitwirkende, Jazzer und Klassi-ker auf dem Programm. Dirigent undPianist der ersten drei Konzerte inDeutschland ist Dennis Russell Davies.Die weiteren Konzerte in Südafrikawerden von Bernd Ruf geleitet, derderzeit zu den führenden Dirigentenim Bereich „Classical Crossover“ zählt.

Nach mehr als sechs Jahren wirdes damit erstmals wieder zu einerZusammenarbeit der beiden Nach-wuchsklangkörper unter dem Dachdes Deutschen Musikrats kommen.Hatten sich bei einer gemeinsamenArbeitsphase im Januar 2003 beideEnsembles sowohl gemeinsam, alsauch jeder für sich auf der Bühnepräsentiert, werden nun ausschließ-lich Originalkompositionen für zweiOrchester aufgeführt: Die Rhapsodyin Blue von George Gershwin ist wohldas berühmteste Beispiel für den star-ken Einfluss des Jazz auf die klassi-sche Musik, hier aufgeführt sowohlim Gewand eines Jazz- als auch einesSinfonieorchesters. Die ihm folgen-den Komponisten ließen später bei-de Orchester gemeinsam auf dieBühne treten und führten zwei bisdahin weitestgehend getrennt existie-rende und sich unabhängig entwickeln-de Musikgattungen zusammen.

Auftragskompositionen

Die Tradition des Jazz erklärt denhohen Anteil der anglo-amerikani-schen Komponisten in diesem Gen-re: Neben Gershwin kommen Kom-positionen von Sir John Dankworthund Laurie Johnson zur Aufführung.Aus diesem Grund haben die beidenJugendorchester Auftragskompositio-nen an drei deutsche Komponistenvergeben: Auf der einen Seite ist diesMoritz Eggert als einem aus der Tra-

dition der klassischen Musik kommen-den Komponisten, auf der anderenSeite stehen der Keyboarder, Jazz-Pia-nist und Komponist Wolfgang Dau-ner sowie der Saxofonist und Band-leader Niels Klein.

Neben Konzerten in Berlin, Bonnund Stuttgart wird die Großformationmit finanzieller Hilfe des AuswärtigenAmtes, des Goethe-Instituts, der Fir-men Daimler und Deutsche Banksowie der Deutschen Welle in Süd-afrika gastieren. Konzerte in Pretoria,Johannesburg, Bloemfontein, Port Eli-sabeth und Kapstadt sowie Workshopsund Schulbesuche u. a. in Sterkspruit,einer Kleinstadt an der Grenze zuLesotho, stehen auf dem dicht gedräng-ten Tourplan der Jugendlichen.

Gastgeber vor Ort ist MIAGI, diesüdafrikanische Sektion der Jeunes-ses Musicales International. MIAGIarbeitet, wie das Bundesjugendorches-ter, mit internationalen Partnern wieder FESNOJIV, dem venezolanischenJugendorchestersystem, eng zusam-men. So sind sich die beiden Organi-sationen südlich des Äquators auchinhaltlich ähnlich. Beide verbinden dielangfristige Arbeit mit Jugendorches-tern, Jugendjazzorchestern, Ensemblestraditioneller Musik und hervorragen-den Festivals mit sozialem Engagement.

MIAGI-Direktor Robert Brooks istdavon überzeugt: „Kunst und kultu-relle Aktivitäten dienen als Katalysa-toren für Revitalisierung und Rege-neration von Gesellschaften und habeneinen Einfluss auf die Gesundheit, dieKriminalitätsrate und das Sozialver-halten, vor allem dort, wo Bedürfnis-se am größten sind. Musik hat eineunglaubliche Macht und Heilskraft füreine Gemeinschaft“. Sönke Lentz

˜ Bundesjugendorchester

Generationswechsel zum 40sten

Zum Jubiläum mit von der Partie in der „U21“ der Sinfonieorchester: Ex-BJOlerund Startrompeter Reinhold Friedrich. Foto: Steffen Thiele

Konzerttermine:

23. Aug. Berlin,Konzerthaus25. Aug. Bonn, Museumsplatz26. Aug. Stuttgart, Liederhalle30. Aug. Pretoria, State Theatre31. Aug Johannesburg,

Linder Auditorium1. Sept. Bloemfontein,

Sand du Plessis Theatre2. Sept. Sterkspuit, School3. Sept. Port Elisabeth,

Feather Market Hall6. Sept. Kapstadt, City Hall (Bild)

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Mit einer Tournee feierte das Bun-desjugendorchester (BJO) sein 40-jähriges Jubiläum. Mit dabei: dasehemalige Mitglied Reinhold Fried-rich, heute bekannter Startrompe-ter.

„Es gibt einen ganz großen Unter-schied zwischen den Profimusikern,die im Jugendorchester waren unddenen, die nicht im Jugendorchestergespielt haben. Letztere kommen mitgroßem Stress ins Profiorchester undgrenzen sich nach rechts und links ab,während jugendorchestererfahreneLeute ein viel größeres soziales Know-how haben. Das ist spürbar.“ Rein-hold Friedrich weiß, wovon er spricht:Als Jugendlicher selbst Mitglied imBundesjugendorchester, kam er nunzum 40. Jubiläum als Solist zu „sei-nem“ Ensemble zurück und erinnertsich gerne an die Zeit in der „U21“der Sinfonieorchester.

Mit einem grandiosen Konzert imMünchner Herkulessaal ging die mehr-wöchige Arbeitsphase zu Ende: Un-ter der Leitung von Peter Hirsch ga-ben das Bundesjugendorchester undFriedrich Konzerte in Interlaken, Ham-burg, Köln, Garmisch-Partenkirchen,Fürth und in der bayerischen Landes-hauptstadt. Insgesamt besuchten mehrals 3500 Zuhörer die Konzerte. „Wirfreuen uns, dass so viele Menschenmit uns unser 40-jähriges Bestehengefeiert haben. Es war eine tolle Jubi-läumstournee – trotz oder vielleichtauch gerade wegen dieses anspruchs-vollen, modernen und vielfältigen Pro-gramms“, sagte Projektleiter SönkeLentz.

Tatsächlich zeichnete sich das Pro-gramm durch eine besondere Viel-schichtigkeit aus und ließ Raum fürden frischen Wind, der dem Orches-ter immer wieder nachgesagt wird:Mit Alban Bergs Drei Orchesterstückenhat sich das vom Deutschen Musik-

rat getragene Bundesjugendorchesterzur Jubiläumstournee ein Werk aus-gesucht, das auch für Profiorchesterbesondere Schwierigkeiten birgt. Inder Interpretation des BJO kommtBergs Mammutwerk aufgeräumt, ener-gisch und leidenschaftlich daher. EinFeuerwerk junger Musik, präsentiertvon jungen Talenten.

„Wenn man solche Werke in soeinem Orchester erarbeiten kann, dannwird man es später im Profiorchesterleichter haben“, ist sich die 16-jähri-ge Geigerin Julia sicher, die wie vieleihrer Kollegen ihr Instrument späterzum Beruf machen möchte. Unter derLeitung von Peter Hirsch, der als Spe-zialist für Neue Musik gilt, wurdendarüberhinaus das von Arnold Schön-berg hochromantisch instrumentier-te g-moll-Klavierquartett von Johan-nes Brahms erarbeitet, das klanglichempfindliche Trompetenkonzert vonJoseph Haydn und …miramondo mul-tiplo… für Trompete und Orchestervon Olga Neuwirth, ein Werk, in dasdie Komponistin unter anderem Zi-tate von Händel eingewoben hat unddessen Titel sich mit „vielfältige Wel-ten“ übersetzen lässt. Die Ansprücheder Werke waren unterschiedlich, abergerade das, so meinen die jungenMusiker, mache die Arbeit im BJOaus: „Wir können davon ausgehen,dass wir alle bisher weniger zeitge-nössische Musik gespielt haben als zumBeispiel klassische Musik. Und trotz-dem gibt es bei Haydn genauso hoheAnforderungen wie bei Neuwirth“, sagtKlarinettistin Anika Weichelt.

Die Konzerte des BJO wurden vonverschiedenen Sendeanstalten mitge-schnitten: Neben der bereits gesen-deten Live-Übertragung des Konzertsin der Kölner Philharmonie durch denWDR haben auch der NDR (Ham-burg) und BR (München) die Kon-zerte übertragen. Anke Steinbeck

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˜ Bundesjazzorchester

Erfolgreiche Big BandFestival-Premiere aufBonner MuseumsplatzIm Rahmen der Bonner Veranstal-tungen zu „60 Jahre Grundgesetz“und aus Anlass der Wahl des Bun-despräsidenten in Berlin führte dieProjektgesellschaft des DeutschenMusikrats auf Anregung des Bon-ner Bundestagsabgeordneten Ste-phan Eisel auf dem Museumsplatzein erstes bundesweites Festival fürJazzorchester durch.

An den drei Tagen spielten vorjeweils mehr als 1000 Zuschauernnicht nur das Bundesjazzorchester(BuJazzO) und das Landesjugendor-chester Nordrhein-Westfalen sondernauch die Bigband des WestdeutschenRundfunks, Peter Herbolzheimers„Master Class“ und „Grey Hair Con-vention“ sowie die Uni-Bigband Bonn.

Auch die ganz jungen Leute ka-men zum Zug: Ein Workshop für Schü-lerbigbands unter der Leitung von PeterHerbolzheimer brachte über 150 jungeMusiker zusammen, die ihre musika-lischen Ergebnisse im Verlaufe des Fes-tivals erstmalig einer so großen Zu-hörerschaft präsentieren konnten. Fürden Gastgeber – die Bundesstadt Bonn– trat die Bigband der Musikschuleunter der Leitung von Bela Weißbachauf und löste beim Publikum Begeis-terungsstürme aus.

Das Festival war eingebettet in einvielfältiges Kultur- und Politikpro-gramm, an dem sich zahlreiche Bon-ner Institutionen beteiligten, darunteralle Museen und das gesamte ehe-malige Regierungsviertel am Rhein.Als Förderer für das Big Band Festi-val konnten sowohl das Bundesjugend-ministerium als auch der Bundesbe-auftragte für Kultur und Medien ge-wonnen werden.

BuJazzO gastiertein BratislavaUnter der Leitung von Steffen Schorngastierte das BuJazzO am 20. Juni inder slowakischen Hauptstadt Bratis-lava. Anlass war die Veranstaltungs-reihe des Auswärtigen Amtes in Zu-sammenarbeit mit den DeutschenBotschaften vor Ort unter dem Mot-to „20 Jahre Freiheit in Europa –Deutschland dankt seinen Nachbarn“.Das BuJazzO spielte im Rahmen ei-nes ausgewählten bunten Kulturpro-gramms auf dem zentralen Platz Na-mestie SNP am Rand der Altstadt undpräsentierte sein Programm „WomenIn Jazz“, das den Solistinnen JuliaHülsmann und Meike Goosmanngewidmet ist. ¿

˜ Jugend jazzt: 7. Bundesbegegnung

Deutschlands Jazztalente brachten Hannover zum SwingenHannover lenkte mit der 7. Bun-desbegegnung „Jugend jazzt“ vom11. bis 14. Juni die bundesweiteJazzöffentlichkeit auf sich. ZentralesEreignis: der Wettstreit von Com-bos aus allen Teilen Deutschlands.

Die Landessieger von „Jugend jazzt“fochten vor den Ohren hochkaräti-ger Jazzexperten gewissermaßen die„Deutsche Meisterschaft der Jungjaz-zer“ aus. Und dies erstmals in einemGymnasium vor jeweils mehreren hun-dert Schülern.

Hauptkonzerte der Bundesbegeg-nung waren das abschließende sonn-tägliche Preisträgerkonzert im Gale-riegebäude der Königlichen GärtenHerrenhausen im Beisein von Bun-desjugendministerin Ursula von derLeyen – sie überreichte auch die Preise– sowie am Vorabend im Theater amAegi das Konzert unter dem Motto„German Jazz Generations“. Dabeimusizierten die Jazzexperten, die alsJuroren, Dozenten und Berater wäh-rend der Bundesbegegnung fungier-ten, höchstselbst, darunter wohlklin-gende Namen der deutschen Jazzszenewie Julia Hülsmann (Klavier), SandraHempel (Gitarre), Céline Rudolph(Gesang), Frederik Köster (Trompe-te), Joe Gallardo (Posaune), Michael

Küttner (Schlagzeug), Emil Mangels-dorff (Saxofon) und Sigi Busch (Bass).

In attraktiven Doppelkonzertenin verschiedenen hannoverschen Spiel-stätten am Donnerstag und Freitagpräsentierten sich die jungen Talenteaus ganz Deutschland zusammen mitJazzbands aus der Region. Einbezo-gen in diese Konzerte waren u. a. derJazzclub Hannover, der Club „Marle-ne“, das „Ferry“ im Freizeitheim Linden,der „Kulturpalast“ an der Deisterstraße,die Konzertreihe „Jazz am Ballhof“,das Bechstein-Centrum in der König-straße und der Hermannshof in Völksen.

Förderer der 7. Bundesbegegnung„Jugend jazzt“ waren neben dem Bun-desministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend und dem Deutsch-landfunk das Land Niedersachsen, dieNiedersächsische Lottostiftung, dieNiedersächsische Sparkassenstiftungund die Landeshauptstadt Hannover.Als Kooperationspartner fungierten dieTellkampfschule, Partnerschule desJazzclub Hannover, der Jazzclub, dieMusikschule der LandeshauptstadtHannover, die Hochschule für Mu-sik und Theater sowie die Jazzmusi-kerinitiative Hannover.

Preisträger der 7. Bundesbegegnung „Jugend jazzt“ 2009

1. Preis (Studiopreis des Deutschlandfunk): „Besaxung“, Hessen2. Preis (Recording-Preis): „Quartet No 2“, Sachsen3. Preis (Konzertpreise): „News From The North“, Niedersachsen, „Trafo“, Bayern,„Cinematic Experience“, Nordrhein-Westfalen, „Freaky Fingers“, Sachsen-Anhalt,„Silence Polution“, Schleswig-Holstein4. Preis (Mentorenpreise): „Quartet No. 2“, Sachsen, „News From The North“,Niedersachsen, „Cinematic Experience“, Nordrhein-Westfalen5. Preis (Solistenpreise): Philipp Gerschlauer (Saxofon/„Besaxung“), Matthias Petri( Bass/„Silence Polution“), Matias Andreasen (Schlagzeug/„Silence Polution), Kons-tantin Döben (Trompete/„Cinematic Experience“), Julius Eberhard (Klavier/„Quar-tet No. 2“), Paul Immel-Kandl (Schlagzeug/„Quartet No. 2“)6. Preis (BuJazzO-Stipendium): Julian Fischer (Gitarre/„Jazz AG Kippenberg Gym-nasium), Janning Trumann (Posaune/„News From The North“)7. Preis (Zentraler-Jazz-Workshop-Preis): Alle Teilnehmer-Ensembles

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„Gruppenbild mitDame“ (oben): dieTeilnehmer von„Jugend jazzt“ mitBundesministerinUrsula von der Leyen(Bildmitte).

„Deutsche Meister derJungjazzer“ (links):Die hessische Band„Besaxung“ erspieltesich den 1. Preis.

Fotos: Christian Behrens

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bewerb erlebten wir fantastische künst-lerische Leistungen, harmonischesZusammenspiel auf allerhöchstemNiveau und eine große Zahl vonGeschwisterpaaren, die sich in dieserKategorie präsentierten.“

Erstmals hatten auch Bassisten denSprung in den Bundeswettbewerb ge-schafft. Sie stellten in beeindrucken-der Weise die Bandbreite des E-Bas-ses vor. Damit hat die erste der vierneuen Pop-Kategorien erfolgreich bei„Jugend musiziert“ Einzug gehalten.Im kommenden Jahr wird dann Pop-Gesang zu hören sein.

Während der Wettbewerbstage lud„Jugend musiziert“ in Kooperation mitdem NRW Kultursekretariat und demNetzwerk Neue Musik 15 Landes-preisträger Baglama aus NRW und Ber-lin zu einer „Bundesbegegnung“ ein.

Ein informativer Tag, mit Wer-tungsspielen, einer Podiums-diskussion und einem ab-schließenden Konzert machtedas interessierte Publikum am1. Juni mit der türkischenLanghalslaute bekannt.

Am 6. Juni nahmen in derPhilharmonie Essen im Rah-men eines Festaktes ausge-wählte herausragende Bun-despreisträger Sonderpreiseaus den Händen privater Stif-ter und stiftender Institutio-nen in Empfang: Den „Spar-kassen-Sonderpreis fürFamilienensembles“ in Höhevon 5000 Euro erhielten dieSchwestern Vanessa und Jes-sica Porter aus Laupheim für

˜ Jugend musiziert: 46. Bundeswettbewerb

Junge Musiker setzen hohe Maßstäbefür das KulturhauptstadtjahrFrischer Wind bei stabiler Wetter-lage – so konnte man die Atmos-phäre beim 46. Bundeswettbewerb„Jugend musiziert“ beschreiben,der am 6. Juni in Essen zu Endeging.

Denn viel Neues, aber auch Be-kanntes und Vertrautes war zu erle-ben: Dazu gehörten das hohe musi-kalische Niveau, Teilnehmerzahlen,die die des Vorjahres erneut überstie-gen, die heitere, kameradschaftlicheAtmosphäre zwischen den Jugendli-chen aus allen Teilen Deutschlandsund der 30 Auslandsschulen undschließlich die eindrucksvolle Preis-statistik: 427 Teilnehmer, die in Solo-oder Ensemble-Kategorien angetretenwaren, schlossen den 46. Bundeswett-bewerb „Jugend musiziert“ mit einem1. Preis ab, 581 von ihnen erhielteneinen 2. Preis, 643 wurden mit ei-nem 3. Bundespreis ausgezeichnet.

Das Begegnungszelt vor der Folk-wang Musikschule lud ein zum Aus-tausch, zu gemeinsamen Mahlzeitenund zu knapp 100 Ergebnisbekannt-gaben. An manchen Tagen feiertenfast 1000 Gäste im Zelt Momentegroßen Glücks und Stolzes über dieerbrachten Leistungen.

Unbestrittener Höhepunkt war derBesuch von BundesjugendministerinUrsula von der Leyen beim 2. Preis-trägerkonzert. In ihrer Rede danktesie allen Verantwortlichen für dieOrganisation und die Durchführungvon „Jugend musiziert“, insbesonderedem Hauptsponsor, der Sparkassen-Finanzgruppe, ohne dessen finanzi-elles Engagement ein Wettbewerb in

dieser Dimension nicht realisierbar sei.Den größten Raum in ihrer Anspra-che nahm jedoch die Würdigung derEltern aller Teilnehmer ein. Ihr herz-licher Dank galt deren persönlichemEinsatz, der selbstverständlich erbrachtwerde und nicht nach Zeit und Geldfrage. Die Überzeugung, dass einequalifizierte Musikausbildung auch dieEntwicklung von Schlüsselqualifika-tionen wie Toleranz, Hilfsbereitschaftund Mitgefühl befördert, mache El-tern zu wichtigen Multiplikatoren derIdee „Jugend musiziert“. Sie sei einerder Gründe, weshalb bei „Jugend musi-ziert“ 2009 auf regionaler Ebene mehrals 23000 Kindern starteten.

RekordteilnehmerzahlenKein Bundeswettbewerb hat jemals

so viele Teilnehmer verzeichnet wie„Jugend musiziert“ 2009. Dies ist eindeutliches Indiz dafür, wie bekanntund beliebt der Wettbewerb inzwi-schen ist. Neun Tage lang, vom 29.Mai bis zum 6. Juni, hatte „Jugendmusiziert“ 2232 Jugendliche, allesamtbereits 1. Preisträger auf Landesebe-ne, zum Bundesfinale nach Essen ein-geladen. Ein erstes Signal für das kom-mende Kulturhauptstadtjahr 2010. Anmehr als 20 Wettbewerbsorten prä-sentierten sich die Nachwuchsmusi-ker vor 31 Jurygremien in zehn In-strumental- und Vokal-Kategorien.Wesentliche finanzielle und ideelle Un-terstützung erhielt „Jugend musiziert“von Experten des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Essen, umdie enormen logistischen Herausfor-derungen zu meistern.

Nach neun Wettbewerbstagenstanden am 5. Juni schließlich die Er-gebnisse und Preisträger fest. „Dasmusikalische Niveau ist erneut gestie-gen, die Musikbeiträge in den fünfPreisträgerkonzerten belegten daseindruckvoll“, freute sich der Vorsit-zende von „Jugend musiziert“, Rein-hart von Gutzeit. In vielen Wettbe-werbskategorien sei das Niveau bereitsjetzt den Anforderungen an den Mu-sikhochschulen vergleichbar. Gutzeit:„Aus zwei Kategorien sind besonderserfreuliche Nachrichten zu vermelden:Die noch junge Kategorie Musical hatsich ungeheuer positiv entwickelt. DieJury war begeistert, was dort an mu-sikalischen, schauspielerischen und tän-zerischen Leistungen präsentiert wur-de. Zu den schönsten Überraschungendes Bundeswettbewerbs 2009 gehörtjedoch die Kategorie Klavier vierhän-dig. Bis vor wenigen Jahren versam-melten sich dort eher Pianisten, diesich in der Solowertung Klavier ge-ringe Chancen auf einen 1. Bundes-preis ausrechneten. In diesem Wett-

Den musikalischen Leistungen zollteauch die BundesjugendministerinRespekt: Ursula von der Leyenbesuchte das 2. Preisträgerkonzertauf Zeche Zollverein. Fotos: Erich Malter

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Grenzenloser Jubel und Freudensprünge:Teilnehmerinnen nach einer Ergebnis-bekanntgabe.

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ihre hervorragende Leistung in derKategorie „Schlagzeug-Ensemble“. DieDeutsche Stiftung Musikleben über-reichte unter anderem den mit 6000Euro dotierten „Eduard-Söring-Preis“an das Berliner Streicherduo PhilippWollheim/Adam Tomaszewski undden neu eingerichteten „Exzellenz-Preis“ an Johannes Lang für seineHöchstpunktierung in drei verschie-denen Wettbewerbskategorien. DieWalter-Kaminsky-Stiftung verlieh ei-nen Sonderpreis in Höhe von 1500Euro an die 20-jährige Nesma Mah-goub aus Alexandria, die in der Kate-gorie Musical einen 1. Bundespreismit Höchstpunktzahl erhalten hatte.Der Gesamtwert aller Sonderpreise2009 beträgt über 100000 Euro, eineListe aller beim 46. Bundeswettbe-werb vergebenen Preise wird in denkommenden Tagen veröffentlicht.Weitere Info: www.jugend-musiziert.org

…und jetzt kommtdie „WESPE“!Kaum ist der 46. Bundeswettbe-werb „Jugend musiziert“ zu Endegegangen – kommt WESPE!

Mit WESPE, den Wochenendender Sonderpreise, setzt „Jugend mu-siziert“ neue Initiativen und Schwer-punkte. Mehr noch als im Bundes-wettbewerb geht es darum, das instru-mentale Können in den Dienst derInterpretation eines Werks zu stellenund sich noch nicht aufgeführten, we-niger bekannten oder besondersschwierig zu interpretierenden Kom-positionen zu widmen.

„Jugend musiziert“ will die bestenjungen Interpreten zur Auseinander-setzung mit Unbekanntem und zumWagnis des Neuen ermuntern. Pro-duktive Neugierde und Kreativitätsollen gefördert werden. Dabei spieltneben dem Wettbewerbs- auch derBegegnungscharakter eine wichtigeRolle: Hier treffen sich unter demgemeinsamen Nenner eines bestimm-ten Sonderpreises unterschiedlicheBesetzungen und Altersgruppen.

Die beiden Wochenenden derSonderpreise finden statt vom 18. bis20. September in Münster und vom25. bis 27. September in Freiburg.

13 Stiftungen und Institutionenstellen für die jeweils beste Interpre-tation eines Werks in sieben Katego-rien Sonderpreise im Gesamtwert von31000 Euro zur Verfügung.

WESPE 2009 wird ermöglicht ausMitteln des Bundesministeriums fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend,der Sparkasse-Finanzgruppe, der StadtFreiburg und dem Netzwerk NeueMusik, einer Initiative der Kulturstif-tung des Bundes mit seinem Partnermehr!klangfreiburg.

˜ PopCamp

Besetzung der fünften Staffel stehtMitte Mai hat die Jury des Pop-Camp Live-Audits in der CD-Ka-serne in Celle nach umfassenderBeratung die PopCamp-Teilneh-mer für 2009 bekannt gegeben.

Die fünfte Staffel des Meisterkur-ses für Populäre Musik bilden dieMusiker der Bands Abel & Cain ausDüsseldorf, Baby Benzin aus Ham-burg, Christian Troitzsch aus Leipzig,Frieder aus Stuttgart und Luis & La-serpower aus Mannheim.

Am 16. Mai präsentierten sich dieBands in einem 20-minütigen Set live,

PopCamp-Termine 2009

6.-12. September: PopCamp AP 1, Tros-singen7. September: PopCamp live im Ritter-garten Tuttlingen, präsentiert von „DasDing“ (SWR)29. November– 5. Dezember: PopCampAP 2, Rheinsberg/Berlin4. Dezember: PopCamp live im Kessel-haus der Kulturbrauerei Berlin, präsen-tiert von radioeins (rbb)

dann standen sie der fünfköpfigen Juryunter der Leitung von Udo Dahmen,Vizepräsident des Deutschen Musik-rats und Direktor der PopakademieBaden-Württemberg, Rede und Ant-wort zu Fragen der Zielsetzung, Mo-tivation und Bandkonstellation. An-schließend zog sich die Jury zur ge-wissenhaften Beratung zurück.

„Auch in diesem Jahr konnten dieJuroren des PopCamp Live-Audits aufBasis einer breiten musikalischen Viel-falt auf hohem Niveau entscheiden“,betont PopCamp-Projektleiter MichaelTeilkemeier. Das Juryteam bildetenAxel Erler (Sony/ATV Music Publi-shing), Anke Lange (PopCamp Do-zentin, m3 Team), Henning Rüme-

napp (künstlerischer Leiter PopCamp),Dieter Schubert (A.S.S. Concerts) undKai Thomsen (PopCamp-Dozent, CD-Kaserne).

Dank des vielseitigen musikali-schen, stilistischen und kreativen Ideen-reichtums der ausgewählten PopCamp-Teilnehmer wird der Meisterkurs fürPopuläre Musik auch in diesem Jahrseinem Motto „Vielfalt statt Main-stream“ gerecht.

Das Spitzenförderprojekt „Pop-Camp – Meisterkurs für PopuläreMusik“ liegt in Trägerschaft der ge-

meinnützigen Projektgesellschaft desDeutschen Musikrats und wird vomBeauftragten der Bundesregierung fürKultur und Medien gefördert.

Michael Teilkemeier

Abel & Cain Frieder

Christian Troitzsch Baby Benzin

Luis & Laserpower

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Starke Partner für PopCampDer Meisterkurs für Populäre Musiksetzt seinen Weg in Begleitung star-ker Partner fort. Wie im vergangenenJahr wird das Unternehmen NewYorker auch in diesem Jahr wiederTextilien für die PopCamp-Teilneh-mer zur Verfügung stellen: Aktuellwerden die Hoodies (Kapuzenjacken)im Paket mit Polo-Shirts kombiniert.

Neuer Partner im PopCamp ist dasUnternehmen Bose, das den Meister-kurs im Rahmen der beiden Arbeits-phasen tatkräftig unterstützen wird.Bose stellt den fünf Teilnehmern wäh-rend der jeweils einwöchigen Arbeits-phasen in Trossingen und Rheinsbergje ein Soundsystem „L1® Model II -Double Bass Package mit ToneMatch®Audio Engine“ zur Verfügung. Mitdiesem Premium System für Musikerkann das Zusammenspiel zwischenBands und Dozententeam weiter ver-bessert und intensiviert werden.

Im Rahmen der Medienpartner-schaften konnten neue Kooperatio-nen mit dem Radiosender bigFM unddem Portal „Radio Award für neueMusik“ geschlossen werden. bigFMbetreibt eine PopCamp-Website, dieden fünf Teilnehmern 2009 ein inte-ressantes Forum bietet. Der RadioAward, eine gemeinsame Online-Platt-form der drei ARD-Jugendwellen Fritz(rbb), MDR Sputnik und You FM (hr),nimmt die eingerichtete PopCamp-Gruppe ins Visier. ¿

Bild unten:Gruppenbild beim PopCamp-LiveAudit in Celle. Foto: Jonathan Gröger

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˜ Dirigentenforum

Erneuter Erfolg bei internationalem DirigierwettbewerbFrancesco Angelico gewann den2. Preis beim Malko-Wettbewerbund setzte somit die Reihe inter-nationaler Erfolge der Stipendia-ten des Dirigentenforums fort.

Nie zuvor hatte es so viele Bewer-bungen für den renommierten Wett-bewerb in Kopenhagen gegeben. Vonden fast 300 Bewerbern qualifizier-ten sich insgesamt 30 junge Dirigen-ten. Sie präsentierten sich mit demDanish National Symphony Orches-tra der Jury, in der u. a. Dirigenten-persönlichkeiten wie Dmitrij Kitajenkound Jorma Panula saßen. In drei Run-den überzeugte der junge ItalienerFrancesco Angelico die Jury und wurdenach dem Abschlusskonzert am 16.Mai im Konzerthaus Kopenhagenschließlich mit dem mit 10000 Eurodotierten zweiten Preis ausgezeichnet.Der erste Preis ging an den Amerika-ner Joshua Weilerstein.

Francesco Angelico Foto: Jakob Boserup

Der internationale Malko-Wettbe-werb (Malko Competition for YoungConductors) wird seit 1965 im drei-jährigen Turnus ausgetragen. JungeDirigenten im Alter von 20 bis 35Jahren werden mit insgesamt siebenPreisen im Wert zwischen 1500 und20000 Euro ausgezeichnet. DenGewinner erwarten zahlreiche Enga-gements mit renommierten skandi-navischen Orchestern.

Francesco Angelico studiert seit2006 Dirigieren in der Klasse von EijiOue an der Hochschule für Musikund Theater Hannover. Im Frühjahr2007 war er Assistent von Lutz deVeer an der Staatsoper Hannover fürDallapiccolas Il prigioniero. FrancescoAngelico ist seit 2007 Stipendiat desDirigentenforums und besuchte Kursebei Georg Fritzsch, Colin Metters undPeter Gülke. Im Januar dieses Jahreskonnte er den 1. Deutschen Operet-

tenpreis für junge Dirigenten, eine Ini-tiative der Oper Leipzig und des Di-rigentenforums, für sich entscheiden.

Das Dirigentenforum ist ein Pro-jekt des Deutschen Musikrats, wel-ches talentierte, hoffnungsvolle Nach-wuchsdirigenten fördert. In mehr als20 Veranstaltungen pro Jahr bietet esseinen Stipendiaten die Möglichkeit,mit bedeutenden Berufsorchesternund erfahrenen Dirigenten zusammenzu arbeiten.Weitere Info:www.musikrat.de/dirigentenforum

Herbert Blomstedt (rechts) übergab das Stipendium an Dirigent Patrick Lange.

Erstes Eugen Jochum-Stipendium anDirigent Patrick Lange vergebenIm Rahmen eines Konzertes mitdem Sinfonieorchester des Baye-rischen Rundfunks, welches un-ter Leitung von Herbert Blomstedtstand, wurde Anfang Mai das ers-te Eugen-Jochum-Stipendium imMünchner Gasteig vergeben.

Der Präsident der Eugen-Jochum-Gesellschaft, Georg Simnacher, Ma-estro Herbert Blomstedt und EugenJochums Tochter, Veronika Jochumvon Moltke, erinnerten bei der Ver-leihung an den großen Dirigenten undermunterten den Stipendiaten, sich andessen Schaffen und Wirken zu orien-tieren. Das Stipendium war von derGesellschaft in Zusammenarbeit mitdem Sinfonieorchester des BayerischenRundfunks (BR) und dem Dirigenten-forum des Deutschen Musikrats ent-wickelt worden. Es ist mit 5000 Eurodotiert und beinhaltet die Verpflich-tung zu Konzerten in Ottobeuren.

Auf dem Konzertprogramm desAbends standen mit Sinfonien vonWolfgang Amadeus Mozart (KV 338)und Anton Bruckner (9. Sinfonie) diebeiden Komponisten, mit deren Wer-ken sich Eugen Jochum zeit seinesSchaffens intensiv auseinandersetzte.Als Gründer und erster Chefdirigentdes BR-Sinfonieorchesters, das in die-sem Jahr seinen 60. Geburtstag fei-ert, wird Eugen Jochums Wirken undseine Sicht auf den Dirigentenberufdurch das neu ausgelobte Stipendi-um einer nachwachsenden Genera-tion junger Dirigenten vermittelt.

Der Stipendiat Patrick Lange istseit 2008 Chefdirigent des Orchest-re de Chambre de Genève undzugleich 1. Kapellmeister an der Ko-mischen Oper Berlin. Er studierteDirigieren an den Musikhochschulenin Würzburg und Zürich. Im Sommer2005 wurde er von Claudio Abbadozum Assistenzdirigenten des GustavMahler Jugendorchesters (GMJO)ernannt. Für seine Tätigkeit beimGMJO erhielt er im April 2007 denEuropäischen Förderpreis der Euro-päischen Kulturstiftung. Seit 2005 istPatrick Lange Stipendiat des Dirigen-tenforums und besuchte bereits Kur-se bei Eri Klas, Sebastian Weigle, MarcPiollet und Kurt Masur.

˜ Deutscher Chorwettbewerb: Masterclass

Noch Restplätze für Swing und ScatBei der 3. Masterclass für Swing-und Scat-Vocals des DeutschenChorwettbewerbs (9.–16. August)sind noch weinige freie Restplät-ze zu vergeben.

Für rund eine Woche ist das Klos-ter Ilbenstadt im Niddatal Zentrumgrooviger Jazzklänge, denn für diesenZeitraum wird die Weltspitze desVokaljazz bei der internationalen Mas-terclass für Swing- und Scat-Vocalszu Gast sein.

Die Teilnehmer haben währendder Masterclass Gelegenheit, mit Kir-by Shaw (USA), Bob Stoloff (USA),Roger Treece (USA), Andrea Figallo(I), Wolfgang Schäfer (D) und Reinettevan Zijtveld-Lustig (NL) zusammen-zuarbeiten. Matthias Becker, selbstinternational renommierter Jazzvocalistund Jazzchorleiter, wird wie bei denvorangegangenen Workshops dieGesamtleitung übernehmen.

Anmelden können sich Teilneh-mer der bisherigen Deutschen Chor-wettbewerbe, interessierte Dirigentenvon klassischen, Jazz-, Pop- und Gos-

pelchören, Studierende an Akademienund Musikhochschulen sowie Chor-sänger. Erstmals bei diesem Seminarkönnen sich auch Vokalensembles umein Coaching bewerben. Eine Jurywählt im Vorfeld die besten Grup-pen aus.

Die Teilnehmer erwartet ein vol-ler Stundenplan, in den alle prakti-schen Aspekte der Leitung von Jazz-chören einbezogen werden: Stimm-bildung, Harmonielehre, Arrangement,Improvisation, Stilistik, Rhythmik, Pro-bentechnik und Literaturhinweise.Höhepunkt des einwöchigen Semi-nars wird das Abschlusskonzert am15. August im Dr. Hochs Konserva-torium Frankfurt/M mit dem DCW-Preisträgerchor „Soundsation“ aus Neu-Isenburg sein.

Anmeldung telefonisch unter0228-2091-151 oder im Internet:www.musikrat.de/dcw

Leitet einen der Workshops: AndreaFigallo, Mitglied der weltbekanntenLondoner A cappella-Gruppe FlyingPickets und Experte vor allem für diestimmliche Umsetzung von Bass- undPercussionsparts. Foto: Jan Karow

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Foto: BR/Heinzel

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˜ Edition Zeitgenössische Musik

Musik für übers SofaPistolenschüsse im Klavierkorpus,vorbeifahrende Autos, kurzeHaydn-Zitate, Unterhaltungsmu-sik aus dem Nebenzimmer, ausextremer Ferne mikrofonierteKontrabassklarinettenklänge, ver-mischt mit Umgebungsgeräuschen:Hannes Seidls Musik für übers Sofaist fest im wie auch immer „profa-nen“ Jetzt verankert.

Gedacht, um zu Hause gehört zuwerden, verweben sich in den Stü-cken Alltagsgeräusche mit Kunstmu-sik; die Stücke zitieren sich gegensei-tig, Klänge werden entwertet. Die CDbeansprucht Eigenständigkeit, sie si-muliert kein Konzert, ist kein Abbild– die Möglichkeiten der CD-Produk-tion wie Wiederholung, Lautstärke-sprünge, Zitat, Mikrofonwechsel etc.

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Konzert des Deutschen Musikrates: Förderungfür 32 Projekte der Zeitgenössischen Musik

gewählt wurden, sind nicht nur inden üblichen Metropolen angesie-delt, sondern auch in Mittel- undKleinstädten quer durch ganzDeutschland. Die komplette Listeder bewilligten Projekte ist im In-ternet einsehbar.

Im Herbst 2009 gibt es dienächste Chance für Antragsteller,wobei das Zeitfenster dann für Ver-anstaltungen bis Ende 2011 geöff-net ist. Einreichfrist ist der 15. Sep-tember.

Alle Informationen stehen imInternet bereit (Ausschreibung, An-tragsformular, Kontaktdaten zumProjektbüro):www.musikrat.de/konzert ¿

Agnes Degen

Zahlreiche Ensembles, Veran-stalter und Institutionen aus ganzDeutschland beantragten imFrühjahr wieder eine finanziel-le Unterstützung aus dem För-derprogramm „Konzert desDeutschen Musikrates“.

Die Vielfalt der Projekte zeigtesich dabei nicht nur in den Auf-führungsformen und interpretato-rischen Besetzungen, sondern auchin den inhaltlichen Konzeptionen,die nicht selten politische oder ge-sellschaftliche Brennpunkte thema-tisieren, Grenzen zu anderen Küns-ten überschreiten oder mit multi-medialer Technik experimentieren.

Die 32 Projekte, die von derJury für einen Förderzuschuss aus-

Annäherung an Neue Musik: Jenaer Schüler analysierten ein Werk von Jay Schwartz und entwarfen Eigenkompositionen.

Fotos: Johannes Radsack

Regelmäßig werden vom VerbandDeutscher Schulmusiker und an-deren Institutionen Lehrerfortbil-dungen zu den Unterrichtsmate-rialien „Abenteuer Neue Musik“angeboten.

Die nächste Fortbildung findet am6. und 7. November im TheaterhausStuttgart statt und richtet sich anMusiklehrer der Klassenstufen 8-13.

Der Komponist Markus Hechtleund die Musiklehrerin Silke Egeler-Wittmann werden die Unterrichtsein-heiten zu Hechtles Ensemblekompo-sition Screen erläutern, die im Internetveröffentlicht sind:www.abenteuer-neue-musik.de

Anmeldung bis zum 16. Oktoberbei: Musik der Jahrhunderte,Siemensstraße 13, 70469 Stuttgart

Lehrerfortbildung zu„Abenteuer Neue Musik“

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Die Reihe „Abenteuer Neue Musik“,mit der der Deutsche Musikrat ge-meinsam mit Schott Music undnmzMedia pädagogisches Materialfür den Musikunterricht publiziert,zielt nicht nur darauf ab, dass Schü-ler Neue Musik historisch einord-nen und bewerten. Vielmehr sol-len sie zu eigener künstlerischerKreativität angeregt werden undso einen sinnlichen Zugang zurzeitgenössischen Kunstmusik undzur Ästhetik verschiedener Kom-ponisten unserer Zeit bekommen.

Die Komposition Music For FiveStringed Instruments von Jay Schwartzdiente als Ausgangspunkt und Inspi-rationsquelle für eine Unterrichtsstre-cke, die der Musiklehrer Philipp Schäff-ler entwickelte und mit einer 10. Klasse

Hören, forschen, gestalten: Unterrichts-material zur Porträt-CD von Jay Schwartz

am Christlichen Gymnasium in Jenadurchführte. Das Stück liegt in einerelektronischen und einer instrumen-talen Version vor und eröffnet so einSpannungsfeld, in dem die Schülersich positionieren mussten.

Schäfflers Projekt beginnt damit,bei den Schülern ein Gespür für dieverschiedenen Aufgaben und Funk-tionen von Musik zu entwickeln: Esgibt Musik zum Tanzen, zur Entspan-nung, als Gemeinschaftserlebnis oderzur Untermalung von Filmen – aberes gibt auch Musik, deren einzigerZweck darin liegt, gehört zu werden.

Malend und beschreibend erarbei-ten die Schüler spielerisch eine Ana-lyse von Schwartz’ Musik und unter-suchen musikalische Parameter wieLautstärke, Rhythmik, Tonhöhe oder

Spielweise – anhand des Notenbil-des und immer wieder im Abgleichmit dem Hörerlebnis. In einem zwei-ten Schritt entwerfen sie in Gruppeneigene Kompositionen, bei denen siein ähnlicher Weise wie Jay Schwartzdie Entwicklung der musikalischenParameter gestalten.

Höhepunkt der achtwöchigen Un-terrichtsstrecke bildete ein ganztägi-ger Workshop, bei dem der Kompo-nist die Klasse besuchte, über seineMusik erzählte und die Kompositions-entwürfe der Schüler begutachtete.Dieser Workshoptag sowie Interviewsmit Jay Schwartz und Philipp Schäff-ler sind in kurzen Videofilmen imInternet zu sehen. Ebenso stehen dortder detaillierte Ablauf der Unterrichts-stunden sowie die verwendeten Ar-beitsblätter und die musikalischenErgebnisse kostenfrei zur Verfügung.Zur Nachahmung wird geraten:www.abenteuer-neue-musik.de

Kerstin Jaunich

WER 6574 2 (ab 1. August 2009)

werden hier genutzt, um die Hörsitu-ation zu Hause mit der dazugehöri-gen urbanen Klanggrundierung ausAutos, Geschrei, Popmusik – kurz:den Einbrüchen des Realen zu the-matisieren und zu verarbeiten.

In diesem Sinn verfolgt Seidl einKomponieren, das auf die gegenwär-tigen Veränderungen der Wahrneh-mung von Musik reagiert und eineRückbindung an die Realität voran-treibt. Das Resultat ist eine Musik, dieihre Legitimation nicht aus einer aufsErhabene zielenden Äußerlichkeitbezieht, die ihren Materialien keineverborgenen „Wahrheiten“ abzurin-gen sucht, sondern sich als lebendige,diesseitige Kunstform im kulturellenDiskurs behauptet.

Markus Kritzokat¿

Lebendige Kunst: Hannes Seidl

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DMR aktuell 16

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Konzerttermine 2009

24. September: Warschau, Konzertsaal des Polnischen Rundfunks6. Oktober: Dresden, Festspielhaus Hellerau

Herausgeber:Deutscher Musikrat e. V.Schumannstraße 17, 10117 Berlin[[email protected]]undDeutscher Musikrat gemeinnützigeProjektgesellschaft mbHWeberstraße 59, 53113 Bonn[[email protected]]

Verantwortlich i. S. d. Pressegesetzes:Christian HöppnerRedaktionsleitung:Christian Höppner[[email protected]]Dr. Peter Ortmann [[email protected]]

Redaktion:Ariane Hannus [[email protected]]Susanne Fließ [[email protected]]

Schlussredaktion/Produktion:Werner Bohl, BWM: e-Publishing[[email protected]]

˜ IMPRESSUM DMR aktuell

˜ European Workshop for Contemporary Music

„Augen-Blicke“ sprengen Grenzen der InstrumentalmusikElektronik und Multimedia stehen2009 im Mittelpunkt des Festivalsfür Neue Musik „WarschauerHerbst“, dem langjährigen Partnerdes Deutschen Musikrats bei derOrganisation des European Work-shop for Contemporary Music.

So werden die rund 20 jungenMusiker aus Deutschland, Polen undanderen europäischen Ländern beiihrer siebten Arbeitsphase unter derLeitung von Rüdiger Bohn erstmalsein Werk einstudieren, das die Gren-zen der zeitgenössischen Instrumen-talmusik überschreitet und sich an-deren (Zeit-)Künsten öffnet.

Statt sich aber der Computermu-sik und Videokunst zu bedienen –wie es in der zeitgenössischen Musiken vogue ist – geht das Auftragswerkdes deutschen Komponisten AndréWerner zurück zu den Anfängen dertechnisch fixierten Abbildung vonRealität: zur Fotografie.

Angeregt von Johann Peter He-bels Erzählung Unverhofftes Wieder-sehen beschäftigt sich Werner in derKomposition mit dem technisch-che-mischen Phänomen der – vorüber-gehenden – Konservierung. Bei derFotografie wird ein Moment im zeit-lichen Ablauf fixiert und tritt beimspäteren Ansehen mit der fortlaufen-den „Erlebniszeit“ des Betrachters inBeziehung. Das einzelne Bild „entkop-pelt“ vorgefundene wie auch arran-gierte Situationen aus einem Zeitflussund hält Geschichte an. Aus dieserBipolarität heraus entwickelte André

Werner das dramaturgische Konzeptder Komposition Augen-Blicke fürAltstimme und Ensemble. Immerwieder kontrastieren Momente desAnhaltens und Einfrierens von Mu-sik mit fortspinnenden, prozesshaften„Zeitabläufen”. Musikalisch formuliertwird dies z. B. mit wechselnden In-strumentationen und Texturen sowiegelegentliches Einflüstern von Text-fragmenten aus Hebels Erzählung.

Mit Auftragswerk betraut: AndréWerner komponiert die Augen-Blicke.

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: privat

Der European Workshop for Contemporary Music unter Leitung von Rüdiger Bohn. Foto: Rolke

Augen-Blicke ist ein Auftragswerkdes Deutschen Musikrats und desWarschauer Herbstes für den Euro-pean Workshop for ContemporaryMusic 2009. Mit André Werner (Jahr-gang 1960) wählten die Veranstaltereinen Komponisten, der wie keinanderer gattungsübergreifende Kon-zepte entwirft und psycho-akustischePhänomene in seine Werke einbezieht.Annäherungen von Instrumentalmusikan die menschliche Stimme und dasstarke Interesse am Musiktheater bil-den Schwerpunkte seiner Arbeit. SeinŒuvre umfasst Werke für Orches-ter, Streichquartett, Klavierlied, Kam-merensemble (oft in Zusammenhangmit Live-Elektronik) ebenso wie dieZusammenarbeit mit bildenden Künst-lern. 1998 wurde eine Porträt-CD zuAndré Werner in der Reihe „EditionZeitgenössische Musik“ veröffentlicht.

Neben Augen-Blicke von AndréWerner und Heike Schuppelius wirddas diesjährige Programm des En-semble-Workshops komplettiert durch ¿

Die szenische Darstellung vonAugen-Blicke konzipiert die BerlinerKünstlerin Heike Schuppelius, diegemeinsam mit dem European Work-shop for Contemporary Music undder Solistin Maria Kowollik bei derfast 30-minütigen Performance auf derBühne zu sehen sein wird. Sie fertigtlive Wasserzeichnungen auf besondersbeschichtete Stoffbahnen an, die imVerlauf des Stückes erscheinen undwieder verschwinden. Andere spezi-elle Materialien werden während derAufführung „belichtet“, wodurch Mo-tive in ihrem Entstehen sichtbar ge-macht werden. Wie in einem Fotola-bor wird der Zuschauer Zeuge einesEntwicklungsprozesses, der – zumKlang bzw. Bild geworden – entwe-der bleibt, sich weiterentwickelt oderwieder vergeht.

Im Auftrag des Deutschen Musik-rats entsteht derzeit erstmals einemobile Kompakt-Ausstellung mitdem Titel „Klangkunst – A NewGerman Sound“, die sowohl Ge-schichte und Konzepte der Klang-kunst in Deutschland präsentiert,als auch aktuelle Werke sinnlicherfahrbar macht.

Unter der kuratorischen Leitungvon Johannes S. Sistermanns und Ste-fan Fricke werden zehn Künstler be-auftragt, klingende Kunstwerke zugestalten, die zu einem Gesamtexpo-nat kombiniert werden. Dieses wirderstmals Anfang Oktober im Rahmender Dresdner Tage der zeitgenössi-schen Musik gezeigt, bei denen auchder European Workshop for Contem-porary Music konzertiert. Im Anschlussgeht die (Hör-)Schau auf Reisen in dieganze Welt.

Ausstellung zur aktuellen Klangkunst

Thalleïn von Iannis Xenakis – als Re-pertoirestück der Neuen Musik – sowiedurch ein Auftragswerk des jungenpolnischen Komponisten Filip Matus-zewski.

Das Konzert in Warschau ist zuhören am 24. September im Konzert-saal des Polnischen Rundfunks. Da-nach reist der European Workshopfor Contemporary Music mit seinemProgramm erstmals nach Dresden, woer am 6. Oktober im FestspielhausHellerau für das deutsche Publikumkonzertiert. Olaf Wegener

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Es ist 62 Jahre her, als die Generalversamm-lung der Vereinten Nationen den ersten Welt-tag ausrief. Seitdem erfreuen sich nationaleund internationale Gedenktage großer Be-liebtheit. Sie erinnern an aktuelle Themenund Probleme und erfahren im Zuge derGlobalisierung eine immer höhere Aufwer-tung. Trotzdem stellt man sich bei der Masse– die UN ruft mittlerweile zu 70 Welt- undInternationalen Tagen auf – die Frage nachdem Mehrwert und Nutzen solcher Tage.Zweifelsohne sind die Konzeption und vorallem die Nachhaltigkeit von großer Bedeu-tung. Gedenktage existieren nicht um ihrerselbst Willen, sondern haben ein Ziel: öffent-

Zum ersten Mal erlebte Deutschland vom 12. bis 14. Juni einen „Tag derMusik“. Es wurde buchstäblich ein Feier-Tag, denn zur Freude von rund

560000 Besuchern griffen Zigtausende von Laien- und Profimusikern indie Tasten, wurden landauf, landab Saiten gezupft, Hörner geblasen undfröhliche Trommelrhythmen geschlagen. Und doch stellt sich mit einigemAbstand zu dem erfolgreichen Projekt die Frage: Steht es um die Musik inunserem Land so schlecht, dass wir einen „Tag der Musik“ brauchen?

Erster „Tag der Musik“ bringt eine Welle öffentlicher, politischer und medialerWahrnehmung in Gang. Eine Bilanz von Katja Sandschneider

DIE Vielfalt AN DER WURZEL PACKEN

liche Aufmerksamkeit und eine daraus re-sultierende langfristige Verbesserung von Rah-menbedingungen. Sie werden nicht ausge-rufen, wenn keine Probleme vorherrschen.

Und deshalb auch die Frage: Benöti-gen wir in Deutschland einen „Tag derMusik“?

Nie war Musik in unserer Gesellschaftpräsenter als heute; die Kultur- und Kreativ-wirtschaft liegt gemessen an der Bruttowert-schöpfung nur knapp hinter der Automobil-industrie. Doch gleichzeitig haben die Schnell-lebigkeit in unserer heutigen Gesellschaft, dertechnische Fortschritt und die Informations-flut durch die Medien uns und unsere Wahr-

nehmung entscheidend geprägt. So hat sichauch die Wahrnehmung von Musik geändert.Durch eine permanente Berieselung schei-nen wir Qualität durch Quantität ersetzt zuhaben. Und nicht nur bei der Musikwahr-nehmung hängt der Qualitätssegen schief:100 000 Kinder und Jugendliche stehendeutschlandweit auf den Wartelisten derMusikschulen, bis zu 90 Prozent des Musik-unterrichts entfallen schätzungsweise an deut-schen Grundschulen oder werden fachfremdunterrichtet, der Schutz des geistigen Eigen-tums ist durch massenhaft illegale Downloadsenorm gefährdet, seit 1992 wurden die Plan-stellen in Kulturorchestern um über 17 Pro-

Bild oben:

Es muss ein Ruck durch das Wurzelwerk imMusikland Deutschland gehen: Tänzerinnender Musikschule Leipzig „Johann Sebastiander Musik“. Foto: Markus R. Wiese

AKZENTE

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zent gekürzt. Die Liste an defizitären Berei-chen ließe sich noch wesentlich erweitern.

Schnell wird deutlich: Die Rahmenbedin-gungen im Musikland Deutschland müssenerheblich verbessert werden. Hierzu bedarfes einer Bewusstseinsschärfung sowohl in derPolitik als auch in der Gesellschaft. Und da-rum ist die Antwort auf unsere Frage ein-deutig: Ja, wir brauchen einen Tag der Mu-sik!

Initiative für das MusiklandDeutschland

Es geht nicht darum, einen Tag im Jahrbesonders viel zu musizieren, sondern mitdiesem Tag das Bewusstsein für die Notwen-digkeit von Musik zu schärfen und ihr so dengesellschaftspolitisch notwendigen Raum zuverschaffen. Der Tag der Musik ist also nichtnur ein Tag voller Musik. Er ist eine Initia-tive für das Musikland Deutschland und –vor dem Hintergrund der genannten Rah-menbedingungen – längst überfällig.

So haben der Deutsche Musikrat und derVerein Tag der Musik in diesem Jahr zumersten Mal zur bundesweiten Beteiligungaufgerufen: mit über 90 000 Musikern einechter Erfolg für eine so junge Initiative. Ur-sprünglich als Auftaktjahr geplant, wurde inden vergangenen Monaten schnell deutlich,dass auch in der Breite das Bedürfnis einessolchen Musiktages sehr groß ist. Aber nichtnur die Masse der Beteiligungen war beein-druckend, auch die Vielfalt: Von Musikschul-konzerten und Trommel-Workshops über Be-nefizkonzerte und Festgottesdienste bis hinzu Rundfunkkonzerten und Opernaufführun-gen bot der Tag der Musik ein Schaufensterfür die kulturelle Vielfalt und Lebendigkeitdes Musiklandes Deutschland. Zusätzlich wur-den in Absprache mit den jeweiligen Lan-desmusikräten Leuchtturmprojekte aus derProfiszene ausgewählt, wie z. B. die OperLeipzig und das Radio-Sinfonieorchester Stutt-gart.

Bundespräsident Köhlerunterstützt als Schirmherr

Neben den vielen positiven Rückmeldun-gen aus der Musikszene gab es auch einerege politische Resonanz. So hat Bundesprä-sident Horst Köhler in diesem Jahr die Schirm-herrschaft für den Tag der Musik übernom-men, was eine große Unterstützung für dieIdee der Initiative darstellt. Auch Bundesmi-nisterin Ursula von der Leyen und ChristianWulff, Ministerpräsident von Niedersachsen,haben mit deutlichen Stellungnahmen denTag der Musik unterstützt. So hat der Tag

AKZENTE

Bedürfnis für Musiktag ist groß:Junge Geigerin beim Tag der Musik inHamburg. Foto: Romanus Fuhrmann

Der „Tag der Musik“:Zahlen und Faktenˇ insgesamt 1500 Veranstaltungenˇ 90000 Beteiligteˇ 560 000 Besucherˇ Leuchtturmprojekte:

– Oper Leipzig– Radio-Sinfonieorchester Stuttgart– Konzerthausorchester Berlin– Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks– Märkischer/Berliner Turnerbund– Thüringer Blockflötenorchester– Kirchenchöre St. Petri Hamburg

ˇ Partner:– ARD– Deutscher Kulturrat– Deutscher Bühnenverein

U [email protected]

der Musik 2009 sein Ziel erreicht: eine ersteWelle der öffentlichen, politischen und me-dialen Wahrnehmung.

Kein Grund für die Verantwortlichen, sichauf dem Erfolg auszuruhen. Gerade jetzt giltes, die Mobilisierung aller Musikakteure inDeutschland weiter voranzutreiben, um daskünstlerische Potenzial und die kulturelleVielfalt noch weiter ausschöpfen zu können.Mit einer großen Zentralveranstaltung in Berlinwird 2010 eine weitere Tür zur Einbindungder Öffentlichkeit aufgestoßen. Denn nur miteiner Bewusstseinsänderung und -schärfungfür die Bedeutung kultureller Bildung undTeilhabe in unserer Gesellschaft ist es lang-fristig möglich, die Rahmenbedingungen positivzu verändern. Dafür steht die musikpolitischeArbeit des Deutschen Musikrats.

Dem Wertewandel eineneue Richtung geben

Bewusstseinswandel braucht Impulse. Esmuss ein Ruck durch das Wurzelwerk imMusikland Deutschland gehen und genaudeshalb ist der Tag der Musik nicht eine Ini-tiative für den Deutschen Musikrat oder eineandere Institution, sondern in erster Linie füralle in Deutschland musizierenden Menschen.Mit einem bewusst offenen Konzept zähltjede Veranstaltung: von der Kita-Gruppe biszum Rundfunkorchester.

Als zukunftsweisende Initiative versteht sichder Tag der Musik als Chance: die Chancein krisenhaften Zeiten, Prioritäten neu zusetzen; die Chance, Gruppendynamik posi-tiv zu nutzen, und die Chance, dem Werte-wandel in unserer Gesellschaft eine neueRichtung zu geben.

Die Autorin:Katja Sandschneider ist Referentin im Generalsekretariatdes Deutschen Musikrats.

Schaufenster für einelebendige Musikszene:Streichergruppe aufder Open-Air Bühne beimTag der Musik in Hamburg.

Foto: Patricia Gläfcke

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Edvard Grieg nicht nur alsnorwegischen Komponisten

zu begreifen, ihn vielmehr als pro-minenten Vertreter europäischerMusiktradition einzuordnen –darum ging es dem Internationa-len Edvard-Grieg-Kongress 2009,der im Mai in Berlin stattfand.

Patrick Dinslage zu einem internationalen Kongress in Berlin,der den norwegischen Komponisten neu einordnete:

GRIEG – DER EuropäerPatrick Dinslage, Leiter der Edvard-Grieg-

Forschungsstelle an der Universität der KünsteBerlin und Präsident der Internationalen Ed-vard-Grieg-Gesellschaft, war an der Organi-sation des Kongresses – sein Zweck ist dieFörderung des wissenschaftlichen Austauschs– maßgeblich beteiligt. Mit ihm sprach Chris-tian Höppner über die Inhalte der Tagung.

˜ Grieg in seiner „grenzüberschreitenden Wir-kung“ – was waren die einzelnen Themen Ih-res Kongresses?

Patrick Dinslage: Der Kongresstitel lau-tete „Grieg im europäischen Kontext“. Dabeihaben sich 30 Referenten aus zwölf europäi-schen Ländern, aus den USA und aus Japanmit insgesamt fünf Themenfeldern beschäf-tigt, wie z. B. Grieg und die Hausmusik, Griegund sein Liedschaffen oder Grieg und dieKammermusik. 2011 wird sich der nächsteInternationale Edvard-Grieg-Kongress in Ko-penhagen dem Thema „Grieg und Dänemark“widmen.˜ Was ist der Hintergrund für dieses Kon-gressthema?

Dinslage: In den vergangenen Jahrzehn-ten hat sich die Forschung fast ausschließlichmit Edvard Grieg als norwegischem Kompo-nisten beschäftigt. Ich habe stets darauf ver-wiesen, dass diese Betrachtung zu einseitigist: Man muss zusätzlich herausarbeiten, welcheRolle Grieg im europäischen musikalischenVerbund und im Wechselspiel mit andereneuropäischen Komponisten gespielt hat.

So gibt es ein Paradebeispiel, das auch aufdieser Konferenz immer wieder herangezo-gen wurde: Zwischen 1886 und 1887 wur-den in Europa drei große Violinsonaten kom-poniert – Johannes Brahms’ A-Dur-Sonateop. 100, César Francks A-Dur-Sonate sowiedie dritte von Griegs Violinsonaten, die c-Moll-Sonate op. 45. Im gleichen Zeitraum wur-den also an weit auseinanderliegenden Or-ten in Europa drei Meisterwerke der gleichenGattung komponiert, ohne dass die Autorenvoneinander wussten. Solche Querverbindun-gen aufzuzeigen und Grieg als ein Glied dereuropäischen Musikgeschichte zu begreifenund darzustellen, war das Anliegen dieses Kon-gresses.

Drehscheibe der musikalischen Entwicklung: Kongressteilnehmer auf den Spuren von EdvardGrieg in dessen Studienstadt Leipzig; links der Leiter der Berliner Grieg-Forschungsstelle,Patrick Dinslage. © privat

˜ Welche Resonanzen gab es auf diesen Kon-gress außerhalb des engen Forschungszirkels?

Dinslage: Der Kongress ist großzügig vomNorwegischen Außenministerium, von derKöniglichen Norwegischen Botschaft in Ber-lin und von der Universität der Künste Berlin(UdK) unterstützt worden. Auf der Ebene Ber-liner Landespolitik hat es leider keinerlei Re-sonanz gegeben. Dafür erschien gleich nachdem Kongress ein großer Artikel in der geis-teswissenschaftlichen Beilage der FAZ. Darüberhinaus konnten wir zwei gelungene Festkon-zerte mit Griegs Musik veranstalten. Im ers-ten Konzert spielten Studierende der UdK:Das Programm bestand im ersten Teil ausKammermusik, der Cellosonate sowie demg-Moll- Streichquartett; im zweiten Teil spielteein Streichorchester Griegs Zwei Elegische Me-lodien und die beliebte Holberg-Suite. Das zweiteKonzert wurde von norwegischer Seite ge-staltet. Hier bot der Bariton Njål Sparbo, derkurze Zeit nach dem Kongress in Bergenanlässlich von Griegs Geburtstag mit dem

Edvard-Grieg-Preis 2009 ausgezeichnet wurde,gemeinsam mit dem Pianisten Einar Røttin-gen sämtliche 22 Grieg-Lieder mit deutschenTexten in einem Liederabend dar.

˜ Wie weit hat Berlin seine Wirkung als mu-sikhistorischer Ort auf den diesjährigen Kon-gress entfaltet?

Dinslage: Edvard Grieg war selbst oft inBerlin, wenngleich er die Stadt nicht sonder-lich mochte. Für ihn war Berlin nur ein Ortauf der Durchreise nach Leipzig. Er hat ineinem Interview im Zusammenhang mit sei-nem letzten Berlinbesuch 1907 folgendendenkwürdigen Satz geäußert: „Berlin ist näm-lich die Stadt, in der man immer übernach-tet, wenn man vom Norden kommt.“ Ande-rerseits hatte Grieg eine besondere Vorliebefür die Berliner Philharmoniker entwickelt.Er schätzte das Orchester sehr, und diesesEnsemble zu dirigieren, war ihm immer eingroßes Anliegen und eine besondere Freu-de. Mehrere Male hatte er Gelegenheit dazu,

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MUSIK�ORUM44

Moritz Eggert (43),Pianist undKomponist

Nie den Mut verlieren– riskieren!Wie man Kreativität fördern kann, ist eineFrage, die ein Pädagoge sicherlich besserbeantworten kann – ich weiß auch nicht,ob Kreativität ein Heilmittel für alles istoder wirklich „unterrichtet“ werden kann.Für mich stellte sich zum Beispiel nie dieFrage nach einem anderen Beruf als einemschöpferischen, ich hätte gar nicht andersgekonnt (sprich: hätte in anderen Berufenversagt!). Es war also eine für mich lebens-rettende Entscheidung, Komponist zuwerden.

Was man aber tun kann, ist, eine Freudeam Schöpferischen zu vermitteln. Die sollteaber nie in Statements wie „Wir sind alleKünstler“ münden, das ist eine Idealisie-rung die nicht funktioniert. Heute wollenalle Künstler und berühmt sein, bewundertwerden. Den Traum vom Superstar träumenimmer mehr. Andy Warhol hat das voraus-gesehen. Das Missverständnis ist hierbeizweierlei: Erstens ist natürlich keiner derheutigen „Superstars“ kreativ, sonderneinfach nur eine Projektion der (monetären)

Interessen anderer, und zweitens ist derwahre Quell des Kreativen nicht der Wunsch,bewundert zu werden – dieser kann nurMotivation, aber nicht Auslöser eines krea-tiven Gedankens sein.

Insofern bleibt uns nichts anderes übrigals Ausschau zu halten und Talente zu för-dern. Das ist grundsätzlich nie falsch.

Kreativität ist nur dann erhaltbar, wennman bei sich selber ist, wenn man eins istmit seinem Werk. Oder, wie es Ray Bradburyeinmal ausgedrückt hat: „Schreibe nur das,was Du liebst.“ Muss man sich verbiegen,etwas fürs Feuilleton schreiben, um einerSzene anzugehören oder um bewundert zuwerden, wird es auf Dauer für die eigeneKreativität nicht gut sein.

Das soll nicht heißen, dass alles immer„happy“ sein muss – schöpferische Arbeitist hart, tut weh und macht auch nicht immerSpaß. Da trennt sich die Spreu vom Weizen– für viele ist ja künstlerische Arbeit eineArt lustiges Hobby, echte (harte) kreativeArbeit kennen sie nicht. Wir haben heuteunglaublich viele „Lifestylekünstler“, dieeigentlich nicht wirklich Kunst machen müs-sen, aber irgendwelchen missverstandenenRufen nach „Lasst uns alle kreativ sein“

folgen. Das finde ich persönlich entsetzlich,denn es erzeugt eine Art weißes Rauschen,das das Auffinden von guten Sachen er-schwert.

Auch die Resultate von Kunst müssennicht nur „happy“ machen, sie dürfen auchweh tun. Als Dogma ist aber sowohl „happy“wie „Kunst muss weh tun“ nicht brauchbar.Beides muss stets möglich sein. Letztlichsollte aber etwas dabei herauskommen,das einem in irgendeiner Form Freudemacht, das einen Ton trifft, der für einenselber authentisch ist. Das ist der einzigeWeg, dabei zu bleiben. Nichts ist schlim-mer als der predigende Künstler, der vorlauter Verboten für sich selber auch gegen-über anderen anfängt zu verbieten.

Wie man dauerhaft Zugänge zu Kreati-vität findet? Neugierig bleiben, neue The-men angehen, nicht auf der Stelle treten,ständiger Perspektivwechsel, sich aufmögliches Scheitern einlassen, nie den Mutverlieren, riskieren! Nie arrogant werdenund sich für über den Dingen stehendhalten, sich auch für Banales interessierenund auch Details ernst nehmen.

Und am wichtigsten: sich für das Lebeninteressieren! Das Leben muss an ersterStelle stehen – das Leben tritt nie auf derStelle, findet automatisch neue Zugänge,ist nie langweilig. Man kann am Leben ver-zweifeln, aber auch das ist künstlerischerBezugspunkt.

Ohne das Leben sind wir nichts, dahermuss auch Kunst sich für das Leben interes-sieren.

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sowohl in Berlin als auch auf Konzertreisendes Orchesters. Aber letzten Endes war Griegzeitlebens viel öfter in Leipzig als in Berlin.Dort hatte er studiert und pflegte eine freund-schaftliche Beziehung zu Max Abraham, demdamaligen Leiter des Musikverlags Peters.Zudem wurden viele seiner Werke im Leip-ziger Gewandhaus uraufgeführt. Leipzig warin der zweiten Hälfte des 19. JahrhundertsDrehscheibe und Kreuzungspunkt der musi-kalischen Entwicklung. Bevor Berlin Leipzigden Rang ablief, war Sachsens Metropole eineeuropäische Musikhauptstadt, gleichbedeu-tend mit Paris und Wien. Ein guter Grundfür Grieg, sich dort immer wieder aufzuhal-ten, oft mehrere Monate lang, um Freundeund Kollegen zu treffen. Und das, obwohlihm in Leipzig nicht alle wohlgesonnen wa-ren. Der Musikkritiker Eduard Bernsdorf, Chef-kritiker der Zeitschrift „Signale für die musi-

kalische Welt“, erschwerte Grieg das Lebenungemein. Geradezu mit konstanter Bosheitschrieb er über jede neue Aufführung vonGriegs Musik in Leipzig eine vernichtendeKritik.

˜ Wie präsent ist Grieg heute in Berlin?Dinslage: Wir haben in Berlin die glück-

liche Situation, dass die Edvard-Grieg-For-schungsstelle seit dreieinhalb Jahren unter demDach der UdK Berlin angesiedelt ist. Auch inden Berliner Kultur- und Konzertprogram-men ist Grieg sehr präsent. Im Kulturprogrammdes Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) istGriegs Musik wie in keinem anderen deut-schen Bundesland vertreten. An keiner an-deren deutschen Musikhochschule dürfte soviel Grieg gespielt werden wie an der UdK.Unsere Forschungsstelle hat als Hochschul-institut die dezidierte Aufgabe, ihre Ergeb-

nisse auch den Studierenden der UdK zurVerfügung zu stellen. Die Studierenden ha-ben so die Chance, die Forschungsergebnis-se künstlerisch weiterzuentwickeln, womitsie dann wiederum zum kulturellen Ange-bot innerhalb der Stadt beitragen können.

˜ Wie gut ist das Leben von Grieg erforscht?Dinslage: Viele Aspekte von Griegs Schaf-

fen sind weitgehend gut erforscht. Andererseitsgibt es aber Bereiche, von denen wir nochviel zu wenig wissen. Ich denke da z. B. andie Einflüsse von Griegs Musik auf andereeuropäische Komponisten. Besonders in Frank-reich waren Komponisten stark von Grieginspiriert, so z. B. Claude Debussy oder MauriceRavel, der gesagt hat, er fühle sich nebenDebussy mit keinem Komponisten näherverwandt als mit Grieg.

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Lehrerin, Musikpädagogin, Lokal-, Kultur- und Sozialpolitikerin,Sängerin, Chorleiterin – die vielen Facetten der Lore Auerbach

Der Athener Perikles bemerkte: „Wer an den Dingen der Stadt keinenAnteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger.“

Den Vorwurf des idiótes, also des Privatmenschen, kann man Lore Auerbach,die so rege und vielseitig auf kultureller und politischer Ebene tätig warund ist, wahrlich nicht machen.

DAS POLITISCHE ENGAGEMENT

Leben für die Musik UND

Bei der Vergabe des Prætorius Musikprei-ses Niedersachsen hielt der Musikwissenschaft-ler und Musikpädagoge Richard Jakoby eineLaudatio auf eine Laufbahn jenseits des Kar-rieredenkens und erinnerte damit an den ent-scheidenden Beitrag, den 22 Millionen eh-renamtlich engagierte Bürger in Deutschlandleisten. Hier seine Rede im Wortlaut:

Wenn man in Lore Auerbachs Leben undWirken sichtend einsteigen will, ist man zu-nächst einmal ratlos; es geht einem wie wohldem Komponisten oder dem Dichter, dervor dem provokativen weißen Blatt sitzt undnicht weiß, wo er bei der Fülle der Ideen an-fangen soll. Bei Lore Auerbach überschnei-den sich die hauptberuflichen Tätigkeiten miteiner übergroßen Zahl ehrenamtlicher Leis-tungen, für die sie hier geehrt werden soll.Beide Felder greifen ineinander, ergänzen sichmit fließenden Übergängen. Die Vielfalt derWirksamkeiten kann eigentlich von einerPerson kaum geleistet werden; als Erklärunghilft da vielleicht eine Sentenz von MartinWalser: „Jeder Mensch besteht doch aus vie-len Tonarten, er ist nicht immer ein und der-selbe. Spätestens Marcel Proust hat das ge-zeigt: Wir sind nicht bloß ein Individuum,wir alle sind eine ungeheure Montage.“

In Amsterdam als Tochter politischer Flücht-linge aus Deutschland geboren, besuchte siedie Schule in den Niederlanden, England undDeutschland. Es folgte nach dem Abitur dasStudium an der Pädagogischen Hochschuleund dann am Vorgängerinstitut der Hoch-schule für Musik und Theater Hannover mitAbschlüssen als Realschullehrerin und staat-lichen Prüfungen mit den SchwerpunktenElementare Musikerziehung und Chorleitung;anschließend dann Positionen an der Jugend-musikschule und der Musikschule Hildesheim,deren Gründungsleiterin sie war, sowie an

der Fachschule und der höheren Fachschulefür Sozialpädagogik Hildesheim. Neben ih-rer Mitgliedschaft im Niedersächsischen Land-tag mit dem Schwerpunkt Wissenschaft undKultur sowie Medien absolvierte sie berufs-begleitend ein Drittstudium in Kulturpäda-gogik in Hildesheim. Als Dozentin in Fortbil-dungskursen bei unterschiedlichen Trägernbewährte sie sich ebenso wie als Lehrbeauf-tragte für den Bereich der musikalischenGrundausbildung, als Jurorin bei Chorwett-bewerben, mitverantwortliche Führungskraftbei nationalen und internationalen Jugend-musikfestivals, Sängerin in einem semipro-fessionellen Chor und selbst Leiterin verschie-dener Chöre.

Die Liste weiterer jetziger und frühererEhrenämter kann nur skizzenhaft und mitdem Mut zur Lücke dargestellt werden:

• Mitglied und 1. Bürgermeisterin im Ratder Stadt Hildesheim

• Stellvertretende Vorsitzende im Landes-musikrat Niedersachsen

• Führungspositionen im Präsidium desDeutschen Musikrats, in der Föderation Jun-ger Chöre EUROPA CANTAT, im Arbeits-kreis Musik in der Jugend seit fast 50 Jahren,im Hörfunkrat des Deutschlandradio, im Beiratder Bundesakademie für kulturelle BildungWolfenbüttel, in der Landesvereinigung kul-turelle Bildung Niedersachsen und in der Ar-beitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände,im Beirat des Niedersächsischen Härtefondsfür Verfolgte des Naziregimes, im Schiedsge-richt der SPD, im Kuratorium der Stiftung„El Puente", in der Hildesheimer Universitäts-gesellschaft, in den Freundeskreisen der Kir-chenmusik St. Andreas, in der jüdischen Ge-meinde sowie im Kulturring.

Erwähnung verdienen auch neben vielenFachpublikationen ihre ehrenamtlichen Über-setzungen für das „Europa Cantat Magazine“

und das „International Choral Bulletin“ u. a.mehr.

Dem Prætorius Musikpreis sind schon vieleanerkennende Ehrungen vorausgegangen, da-runter die Verdienstkreuze des Niedersäch-sischen Verdienstordens und des Bundesver-dienstordens, das Ehrendoktorat und dieEhrenbürgerschaft der Stadt Hildesheim.

Im von Wassily Kandinsky herausgegebe-nen Almanach „Der blaue Reiter“ (1912) sagtArnold Schönberg bezüglich der persönlichenHandschrift eines Komponisten im Zusam-menhang mit der Erörterung zum Verständ-nis von den Wirkungen der Künste: „Mir wardaraus klar, dass es sich mit dem Kunstwerkso verhalte wie mit jedem vollkommenenOrganismus. Es ist so homogen in seiner Zu-sammensetzung, dass es in jeder Kleinigkeitsein wahrstes, innerstes Wesen enthält. Wennman an irgendeiner Stelle des Körpers hi-neinsticht, kommt immer dasselbe, kommtimmer Blut heraus.“ Erlauben Sie mir eineGedankenspielerei im Anschluss an Schön-berg: Wenn man in die Spiritualität von LoreAuerbach hineinstechen könnte, käme wohlimmer ein Ehrenamt heraus.

Im Sinne Schönbergs ist auch die Wirk-samkeit Lore Auerbachs im politisch-sozia-len und ästhetischen Bereich trotz vielfälti-ger Facetten als einheitlicher Organismus zuerkennen. In ihr personifiziert sich sozusagenein ehrenamtliches Gesamtkunstwerk. Woman sie gebraucht hat, war sie mit gesellschafts-politischer Wachsamkeit bereit, Verantwor-tung zu übernehmen. Sie zeigt, was Menschenfür die Gesellschaft leisten können, ausstrah-lend über eigene, lokale Grenzen hinaus,bundesweit und ins internationale Feld hi-nein.

Lassen Sie mich schließen mit einem ge-sellschaftspolitischen Seufzer: Schade, dass esnicht mehr Lore Auerbachs gibt.

PORTRÄT

Lore Auerbach

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rivat

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Laudatio von Richard Jakoby

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PORTRÄT

55 Jahre nach seinem Debüt bei den Stock-holmer Philharmonikern führt er noch regel-mäßig den Taktstock, etwa bei der DeutschenKammerphilharmonie Bremen, oder über-reicht das Eugen Jochum-Stipendium an denDirigentennachwuchs (! siehe DMR aktuellS. 14 in diesem Heft). Blomstedt hat mit allengroßen Orchestern der Welt zusammenge-arbeitet und gehört zweifellos zu den bedeu-tendsten Dirigenten unserer Zeit.

Nicht um Bilanz zu ziehen, sondern umBeweg- und Hintergründe einer Karriere, eineskünstlerischen Lebens aufzuhellen, unterhieltsich Andreas Bausdorf für das MUSIK-FORUM mit dem berühmten Orchesterlei-ter – dessen Weg zum Dirigenten nicht freiwar von Zufällen und kleinen „Unfällen“.

Fanden Sie bei Ihrer Mutter, einerausgebildeten Pianistin, Unterstützung, als Sieden Berufswunsch äußerten, Musiker zu wer-den? Ihr Vater war adventistischer Predigerund hätte Sie wohl lieber in diesem Berufgesehen.

Herbert Blomstedt: Meine Mutterhatte keine besonderen Wünsche, aber siehat auch nicht protestiert, denn sie war,obwohl mir das als junger Bursche nichtbewusst war, eine Vollblutmusikerin.

Sie nahmen schon mit 17 Jahren alsGeiger das Musikstudium auf und kameneher durch Zufall bei Pflichtstunden in Chor-leitung zum Dirigieren …

Blomstedt: Chorleitung studierte ichschon, bevor ich in die Dirigentenklasseaufgenommen wurde. In Stockholm gibt eseine schöne, kleine anglikanische Kircheim Diplomatenviertel. Dort suchte eineGruppe von Engländern, die für alte eng-lische Kirchenmusik von Thomas Tallis undWilliam Byrd schwärmten, einen Chorleiter.

Er ist ein musikalischer Welt-bürger und Grandseigneur

der alten Schule. Dieser Tagefeierte der schwedisch-amerikani-sche Maestro Herbert Blomstedtseinen 82. Geburtstag. Und nochimmer ist er unermüdlich unter-wegs – mit der Musik und für dieMusik.

Man engagierte mich auf Empfehlung derHochschule und so wurde ich mit diesemRepertoire richtig bekannt – herrliche Musik!

Doch den entscheidenden Einfluss aufmich hatte mein Geigenlehrer in Göteborg,einer der Konzertmeister des Sinfonieor-chesters. Die fünf Jahre vor dem Studiuman der Musikhochschule waren sehr wich-tig. Er war ein hervorragender Lehrer. ZumBeginn der Stunde spielte ich Etüden, danneinen Sonatensatz oder ein Konzert und inden letzten zehn Minuten immer Kammer-musik, natürlich vom Blatt. Sein Zimmerwar voll bis unters Dach mit Büchern undNoten. Ich fühlte mich wie in einem Heilig-tum. In der Mitte des Raums standen zweiQuartettnotenständer mit eingebautemLicht, das man an Winterabenden entzün-dete. Nie werde ich diese romantischeStimmung vergessen.

Im Jahr 1950 schlossen Sie ihr Stu-dium ab, ließen jedoch umgehend weitereStudien in Musikgeschichte, Psychologie undReligionswissenschaft folgen. War es schwierigeine Anstellung als Dirigent zu finden?

Blomstedt: Meine Situation war vielleichtmit der meines Freundes Peter Gülke ver-gleichbar. Ich hatte großes theoretischesWissen, aber eine Dirigentenanstellung war

nicht leicht zu bekommen. Ich bewarb michum eine Organistenstelle in der Matthäus-kirche in Stockholm, doch ich wurde nichtberücksichtigt. Zur Orgel war ich gekom-men, nachdem ich bemerkt hatte, dass einTeil des Repertoires für Violine auch fürOrgel bearbeitet war. So wechselte ich undspielte dann auch leidenschaftlich gern Orgel.Es gab einen besonderen Antrieb, eine un-begrenzte Neugier, ein Gefühl von „Ichmuss spielen“. Man „warf“ sich geradezu indie Noten, auch mit unserem Streichquar-tett konnten wir nie genug bekommen.Die Qualität der Interpretation war nichtentscheidend. Wir spielten alle Mozart-und Haydn-Quartette, ein Werk nach demanderen, wiederholten so gut wie nie etwasund wollten stets nur Neues kennen lernen.Man lernte vom Blatt zu spielen und aufseine Mitspieler zu hören, eine wirklichgute Schule. Es klang bestimmt scheußlich,und so nannten wir uns das „Metzger-“oder „Schlachter-Quartett“.

Sie besuchten ab 1950 regelmäßigMeisterkurse bei Igor Markevitch in Salzburg,für den Sie später auch die Leitung von Meis-terkursen übernahmen. Was zeichnete seinenUnterricht aus und wie fasste Markevitch denDirigentenberuf auf?

VON ANTRIEB UND UNBEGRENZTER

Beweg- und Hintergründe einer Dirigentenkarriere: Maestro Herbert Blomstedt im

Foto

s: Martin U

. K. Leng

emann

»Sie spielen, ich höre, man reagiertaufeinander, nimmt Impulse auf.So beginnt etwas zu wachsen«:Herbert Blomstedt

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Blomstedt: Das ist eine interessanteFrage. Markevitch, der heute wohl gar nichtmehr so bekannt ist, war ein begnadeterMusiker und ein Wunderkind als Kompo-nist. Nach dem Zweiten Weltkrieg spezia-lisierte er sich aufs Dirigieren und machterasch Karriere. Es gibt DVDs und Filme,die seine beeindruckende Kontrolle sowohlüber das Orchester als auch über sich selbstzeigen. Dieser Stil sagte nicht allen zu. Manwarf ihm, dem Russen, Kälte und Berech-nung vor.

Ich brauchte damals Dirigiertechnik, dennich war nur auf Begeisterung programmiert.Mein Lehrer in Stockholm, ein Urmusikantund tüchtiger Cellist im Orchester der Phil-harmonie, kannte das Repertoire und war injeder Hinsicht professionell, hatte aber kaumüber Dirigiertechnik nachgedacht. Da konntemir Markevitch wirklich helfen, denn er hatteein System zur Dirigiertechnik entwickelt.

Erstmals traf ich ihn im Jahr 1950, als erin Salzburg für den ursprünglich angekündig-ten Karajan einsprang. Wir waren etwa 15Studenten, darunter Sawallisch und späterauch Barenboim. Sawallisch verschwandnach zwei Wochen, denn er war damalsschon Chef in Augsburg. Die anderen Stu-denten blieben, auch wenn einige IgorsKurs als zu schulisch und nicht künstlerischgenug empfanden. Sie mochten es nicht,wenn er sie korrigierte und ihnen sagte, dassder Taktstock so oder so geführt werdensolle. Ich brauchte das, denn ich war völligwild und fing gerade erst an, darüber nach-zudenken, was eigentlich beim Dirigierenpassiert, fing an, mir Fragen zu stellen: Waswillst du? Warum klingt es so, wenn ich esauf diese oder andere Weise mache? Wiewirkt es sich auf das Gesamtergebnis aus?

In einer Probe stand Igor direkt nebenmir, als ich ihn mit einem Schlag nach rechtsvor dem gesamten Orchester und den ande-ren Studenten mit dem Stock am Mundtraf. Er fuhr mit der Hand über den Mundund hatte Blut an seinen Fingern. Ich warvöllig fertig, doch er sagte nichts. Bis end-lich doch sein lapidarer Kommentar kam:„I told you to be more flexible.“ Diese Be-merkung werde ich nie vergessen. Er nutztedie Situation, um mir eine Lehre zu erteilen.Er war der geborene Pädagoge, und ichbewunderte ihn für seine Kenntnisse.

War es von Bedeutung, dass Marke-vitch zunächst Komponist war und Partiturenmöglicherweise anders las?

Blomstedt: Es war natürlich eine Revo-lution, in den 50er Jahren mit dem LondonSymphony Orchestra und nur drei Probenfür Sacre eine perfekte Schallplattenaufnah-me zu präsentieren. Übrigens war Marke-vitch der Ansicht, die grundlegende Technikdes Geigenspiels habe sich seit LeopoldMozart kaum entwickelt. Für das Klavier-spielen gelte das ebenso. Doch für das Diri-gieren gäbe es nichts Vergleichbares. Jeder,der ein wenig Talent habe, fange einfachan. Für einige, die dann Karriere machten,gehe es gut, andere kämen überhaupt nichtvoran, wüssten jedoch nicht warum. Marke-vitch war, ganz im Gegensatz zu vielenseiner Kollegen, überzeugt, dass Diri-gieren erlernbar sei. !

»Vieles beimDirigieren istTalentsache undPersönlichkeit.Technisches isterlernbar«Herbert Blomstedt

Neugier Gespräch mit Andreas Bausdorf

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War es Zufall oder ein Zeichen fami-liären Zusammenhalts?

Blomstedt: Darüber habe ich noch nieso richtig nachgedacht. Mein Engagementin Norrköping war sicherlich der auslösendeFaktor, dass der Rest der Familie nachkam.Für meine Mutter ging mit meinem Berufals Musiker wohl ein Traum in Erfüllung,obwohl sie es mir nie sagte. Sie hatte mei-nem Vater, dem Prediger, immer in seinenVersammlungen geholfen und zu seinenVorträgen gespielt. Bald konnte sie dasnicht mehr, denn ihre Finger wurden steif.Als meine Eltern nach Norrköping zogen,saß sie schon im Rollstuhl. Wir wohntenganz nah beieinander, doch leider starb sienach drei Jahren. Als ich das „AmericanConservatory of Music“ in Chicago besuchte,fand ich im Archiv das Programm ihresDiplomkonzerts: Schumanns g-Moll-Sonateund Werke von Liszt und Chopin. Das hatmich sehr bewegt, heute ist das Diplomübrigens hier in meiner Wohnung.

War der Umgang der Eltern mit denKindern streng?

Blomstedt: Ich fand es nicht besondersstreng. Meinem Bruder ging es wohl anders,und meine Schwester – sie war elf Jahrejünger – hat sehr unter dem strengen Vatergelitten. Für meinen Vater war es GottesWille, wenn etwas ohne sein Tun geschah,wie etwa talentierte Söhne zu haben. Esklingt vielleicht vermessen, so etwas zu

denken, aber für ihn war immer die Frage:Was möchte Gott? Talent muss man pflegenund vermehren. Er hatte seine Zweifel,doch er liebte Musik. Wenn ich in seinemZimmer stand und Geige übte, bemerkteich, dass er manchmal von seinen Büchernaufschaute und nur auf die Musik hörte.Niemals sagte er, „Das machst du gut“ oder„Das musst du besser üben“. Ein verstohle-ner Blick sagte alles, es interessierte undbewegte ihn, und mir tat es gut.

Mein Vater blieb zurückhaltend, auchals er sah, wie sich meine Karriere entwi-ckelte. Er wollte nie zeigen, dass er stolzwar. Es war gut so, denn ich erwartetenicht mehr.

Im Jahr 1955 heirateten Sie ihreFrau Traute und wurden gemeinsam Elternvon vier Töchtern. Hatte Ihre Frau eine ver-gleichbare Affinität zur Musik wie Sie?

Blomstedt: Meine Frau liebte die Musik.Sie spielte als Teenager, bevor sie nachSchweden kam, ein wenig Klavier. In mei-ner Gegenwart war sie damit eher zurück-haltend. Sie war die perfekte Frau für mich.Sie kam aus Deutschland, dem Land von

Beethoven und Goethe – für uns, trotz desKriegs, das Zentrum der Welt. Traute wardie Tochter einer schwedischen Mutter undeines dänischen Vaters. Ihre Eltern betriebenein Physiotherapie-Institut in Hamburg.Eine Tante von ihr, bei der meine MutterBehandlungen nahm, wohnte in Göteborg.Sie erzählte von ihrer Nichte aus Hamburg.Meiner Mutter gefiel, was sie hörte, und alsdie Nichte nach dem Krieg zur Tante nachGöteborg kam, lernten wir uns kennen. Siekam aus Deutschland, war schwedischerAbstammung, liebte die Musik und war sehrfromm. Kurz, sie war genau die Richtigefür mich.

Sowohl die Staatskapelle Dresden alsauch das Gewandhausorchester Leipzig hattenim Jahr 1968 ihre tschechischen Chefdirigen-ten verloren. Schon im Jahr 1970 wollte manSie als Chefdirigent für die Staatskapelle gewin-nen. Warum zögerten Sie zunächst, in dieDDR zu gehen?

Blomstedt: Es gab Gründe. Es war dasfalsche Land, ein scheußliches Land, eineböse Diktatur. Aber es war immerhinDeutschland, das Land von Bach und Hän-del. Die Musik, die dort gemacht wurde,war fantastisch. Andererseits bewegte michdas graue und manchmal auch blutrote Um-feld. Die Kontraste waren einfach enorm.Sollte ich wirklich in einem kommunisti-schen Land arbeiten? Ich fragte mich, obman mich überhaupt dulden würde, dennman wusste doch, wofür ich stand. DerStaat wollte mich nicht, aber das Orchester.Und das blieb stur. Ich war von dieser Liebevöllig überwältigt. Das geht nur mit einerguten Portion Selbstdisziplin, sonst wirdman verwöhnt. Natürlich fragte ich IgorMarkevitch, der mir einen Brief schrieb undsagte: „Du musst das annehmen.“

Sie sagten einmal, künstlerisch habedie Zeit in Dresden für Sie eine Wende gebracht,denn Sie hätten mit diesem guten Orchesterganz neue Möglichkeiten des Ausdrucks ent-deckt …

Blomstedt: Die Staatskapelle ist – wiejedes wirklich großartige Orchester – einegenuine Einheit, mit nichts anderem ver-gleichbar. Der Sport, die Orchester der Weltin Nr. 1 bis Nr. 10 einzustufen, ist irrsinnig.Es gibt einige sehr gute Orchester, die abersehr verschieden sind. Die Kapelle war da-mals wie ein übrig gebliebener Edelstein,mit einem ganz besonderen Klang. DieMusiker sind sehr stolz auf ihre Traditionund haben äußerste Demut vor der Musik.Kein Dirigent, der diese Demut nicht teilt,hat dort eine Chance. Sie wissen genau, was

»Man fängt immerwieder bei Null an.Es gibt keine Garantie«

„Sie war genau dieRichtige für mich“:1955 heiratete Blomstedtseine Frau Traute.

Foto: privat

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PORTRÄT

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sie wollen, und haben ihre Ideale. Es gibtkeine Grenze, wie schön es werden kann,und dafür muss man sich voll einsetzen.

Dieses Orchester übt eine enorme Selbst-disziplin aus. Der Künstler ist das Orchester.Da kann vorne ein überragender Dirigentstehen, das Orchester ist und bleibt dieHauptsache. Wir fanden einen guten Modusmiteinander – so kann man Selbstvertrauenaufbauen. Und: Das Orchester hat wirklichWort gehalten und mich auf Händen ge-tragen.

In Ihrer langen Karriere haben Siealle großen Orchester dieser Welt dirigiert.Ist Selbstvertrauen immer noch ein Punkt,der Sie beschäftigt?

Blomstedt: Selbstvertrauen muss manhaben, sonst kann man nicht dirigieren.Aber man muss genau die Grenze wissen,wo Selbstvertrauen in Arroganz umschlägt.Man sollte über sich Bescheid wissen, dennsonst hört man ja auf zu arbeiten. Ich habeimmer noch einen Riesenrespekt vor derersten Probe. Bin ich berechtigt, vor diesemguten Orchester zu stehen? Hätte ich michnicht noch ein bisschen besser vorbereitenkönnen? Dieses Gefühl verlässt einen – vorguten Orchestern – nie.

Und das, obwohl Sie die Werke dochin der Regel auswendig können und oft diri-giert haben?

Blomstedt: Man fängt immer wiederbei Null an. Wenn man einmal etwas gutgemacht hat, heißt das nicht, dass dasmorgen auch noch so ist. Da gibt es keineGarantie. Ein Orchester wie die Staats-kapelle Dresden bereitet sich für jede Probemaximal vor. Das strömt aus ihnen. Sie er-warten vom Chef oder dem Gast dasselbeNiveau und sind sehr enttäuscht, wenn esnicht da ist. Es gibt im Gegensatz dazu auchOrchester, die furchtbar unangenehm undaggressiv werden. Das Schöne bei derStaatskapelle ist: Sie spielen, ich höre, manreagiert aufeinander und nimmt gegenseitigImpulse auf. So beginnt etwas zu wachsen.

Auf Dresden folgte San Francisco.Einen größeren Gegensatz der Lebensum-stände und wohl auch Orchesterkulturen ver-mag man sich kaum vorzustellen.

Blomstedt: Ich war erstaunt über dieÄhnlichkeiten. Die äußeren Umständewaren total verschieden, aber in der musi-kalischen Arbeit war es vergleichbar. DasOrchester in San Francisco ist ungeheuerkonzentriert und ambitioniert. Sie sindstrengstens ausgewählt, phänomenale Musi-ker.

Sie führten das Orchester in dieNähe der „Big Five“.

Blomstedt: Ich hatte in Dresden sehrgute Erfahrungen gesammelt und etwas ge-

lernt. Erst, wenn man weiß, was mit einemOrchester möglich ist, kann man das Un-mögliche versuchen. Die Kapelle hat mirgezeigt, wie weit es gehen kann.

Dem Orchester in San Francisco fehltediese Tradition, die Idee von der Schönheit,die wir anstrebten. Es war wunderbar fürmich, etwas geben zu können, was dortgebraucht wurde. Das Orchester hat essehr dankbar aufgenommen, und wir sindzusammengewachsen.

Die Leipziger Ausgabe der BILD-Zeitung– nicht immer das schönste Blatt, aber einSeismograf für die allgemeine Stimmung –macht alljährlich eine Umfrage zu den 100wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt.In meiner Zeit waren die ersten vier Perso-nen immer Musiker. Der erste war natür-lich Bürgermeister Wolfgang Tiefensee, einMusiker. Dann folgte ich, der aktuelleGewandhauskapellmeister, der dritte warmein Vorgänger im Amt, der in der Stadtlebt, und der vierte war der Thomaskantor.Es sind besondere Verhältnisse in Leipzig –in Bonn oder München undenkbar.

Ich konnte nicht Nein sagen zu Leipzig,denn es gibt in Deutschland, wahrscheinlichin der ganzen Welt, keine vergleichbareKonstellation; am ehesten noch in Cleve-land, einer relativ kleinen Stadt, wo es nichtsvon Weltrang außer dem Orchester gibt.Sein Dirigent ist „Mr. Cleveland“.

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»Erst, wenn man weiß,was mit einem Orchestermöglich ist, kann man dasUnmögliche versuchen«

„Man sollte über sichBescheid wissen, denn sonsthört man ja auf zu arbeiten“:Blomstedt bei der Vorbereitungeiner Orchesterprobe.

Foto: privat

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Weltweit haben Sie sich für nordischeKomponisten wie Sibelius, Nielsen u. a. einge-setzt.

Blomstedt: Da war ich nicht sehr er-folgreich, leider. In Göteborg, wo ich auf-wuchs und Abitur machte, wurden beideKomponisten groß gefeiert. Nielsen wareinige Jahre unter Stenhammar 2. Kapell-meister in Göteborg und eng mit ihm be-freundet. Als Stenhammar im Jahr 1914oder 1915 erstmals die vierte Sinfonie vonSibelius in Göteborg aufführte, verließ dasPublikum demonstrativ den Saal. Nachdem letzten Satz war nur noch eine Handvoll Leute da. Am nächsten Tag rügte Sten-hammar das Publikum in der Lokalzeitung:„Sie haben etwas Großes verpasst und wis-sen nicht, was sie versäumt haben. NächsteWoche ändern wir das Programm undspielen die Sinfonie noch einmal.“ Da warder Saal dann voll.

Ich spiele sehr gerne Sibelius, denn er istals Komponist noch origineller als Nielsen.Unverwechselbar. Vor 20 Jahren machteich mit den Münchener Philharmonikerneine Sinfonie von Sibelius. Zu meinem gro-ßen Erstaunen fand ich im Programmheftdrei Beiträge, deren Autoren Sibelius nega-tiv bewerteten. Das traf mich sehr, dennwir hatten uns bemüht, das Schönste heraus-zuholen. Doch die Zeiten haben sich ge-ändert. Vor kurzer Zeit machte ich die 7.Sinfonien von Sibelius und Bruckner mitden Bamberger Symphonikern. Das Orches-ter spielte hervorragend und der Kritikersetzte sich am nächsten Tag in seinemArtikel ausführlich mit der Kritik Adornosan Sibelius auseinander, um den Gegen-beweis anzutreten.

Nielsen hat es schwerer. Wenn ich Niel-sen mache, reagiert das Publikum immersehr positiv. Doch ich habe nur wenigeKollegen, die ihm eine Chance geben. Manmuss den Unterklang finden, der sich nichtso ohne Weiteres ergibt.

Sie haben als Adventist nie einenZweifel daran gelassen, dass Ihnen der Sabbatheilig ist, Sie somit für Proben am Samstagnicht zur Verfügung stehen. Kann ein jungerAdventist heute eine ähnliche Weltkarrieremachen?

Blomstedt: Man muss überzeugt sein.Die heutigen Orchestermanager sind docheiniges gewohnt. Der eine Dirigent kommtnur für ein besonders hohes Honorar, dernächste nur, wenn er ein bestimmtes Re-pertoire machen kann etc. Ich will damitnicht sagen, dass Gott schon demjenigenbeisteht, der konsequent ist. So einfach istes nicht. Meinen eigenen Werdegang kannich nur als Wunder bezeichnen. Wenn ichmich an Markevitch erinnere, einen tech-nisch und musikalisch unglaublich begab-ten Musiker… er war nie Chef eines rich-tig guten Orchesters. Und ich, sein Schüler,bekomme alles geschenkt. Ich wachse undkann mich entwickeln. Sei es in Dresden,Leipzig oder San Francisco. Ich habe nichtdarum gebeten. Überhaupt ist der Werde-gang von Musikern ein interessantes undzu analysierendes Thema. Wenn man Musi-kerbiografien liest, ist die Aufzählung vonErfolgen eine langweilige Lektüre. Aber dieEntwicklung von Dirigenten, die Gründe,warum der eine mit diesem OrchesterErfolg hat und der andere mit jenem, undwas dabei herauskommt, das ist wirklichinteres-sant zu lesen.

Was raten Sie jungen Musikern, dieeine Dirigentenkarriere anstreben? WelcheQualitäten und Persönlichkeitsmerkmalemüssen zusammenkommen, damit sie eineechte Chance haben, neben der ohnehin not-wendigen Portion Glück?

Blomstedt: Man muss eine umfassendeBildung haben und eine musikalische Per-sönlichkeit sein. Bei Dirigenten kann mandas früh feststellen, denn sie spielen ja nicht,sondern entwickeln den Klang mit ihrenHänden. Die Persönlichkeit spielt eine sehr

»Musiker müssenein Gespür für die Zeithaben, in der die Musikentstanden ist«

»Unsere Zeit scheintmir gesichtlos,gerade weil sie so vieleGesichter hat«

große Rolle und die technische Ausrüstungist wichtig. Die Musik wird zunehmendkompliziert, alte Musik, neue Musik, soviele Stilarten. Die Orchester werden imPrinzip besser und besser, denn es gibtimmer besser ausgebildete Musiker. Da wirdder Anspruch an den Dirigenten automa-tisch höher, besonders wenn er sich aufeiner Position halten soll.

Ich war in der Jury des Mahler-Dirigenten-wettbewerbs in Bamberg. Das war ausge-sprochen lehrreich. Das Orchester schickteeinen Musiker in die Jury, der die Meinungder Musiker vermitteln sollte. Sie unter-stützten einen Bewerber, der überhauptnicht in Frage kam. Er fuchtelte herum,hatte keine Kontrolle über sich selbst, besaßallerdings schon einige Erfahrung. SolcheAnsichten zu hören, ist manchmal nieder-schmetternd. Andererseits werden zehnJurymitglieder nie dieselbe Meinung haben.Und letztlich muss man sich gegenseitigrespektieren.

Sie beschäftigen sich – über dieMusik hinaus – mit Kunst und Kultur. LesenSie Belletristik?

Blomstedt: Selbstverständlich, aber nochmehr Kunst und Philosophie. Für mich istdas eine Einheit. Ich kann nicht genugbetonen, dass Musiker nicht nur Musikersind, sondern ein Gespür für die Zeit habenmüssen, in der die Musik entstanden ist.Die gesellschaftlichen Entwicklungen inder Zeit Bachs oder Beethovens – das istungeheuer interessant, doch sollte man esnicht als Pflichtlektüre empfinden. Manmuss eintauchen aus einem Bedürfnis he-raus, denn die Musik ist ja Ausdruck einerbestimmten Zeit und Epoche. Man kannimmer lernen, besonders von anderenEpochen, denn unsere Zeit scheint mir ge-sichtslos, gerade weil sie so viele Gesichterhat.

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s: Martin U

. K. Leng

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Ganz eigene Ansichten

Zunächst einmal entsteht Kreativität in einemselbst. Sie bricht sich Bahn durch Denken,durch eine große Leidenschaft für eine Sache(oder mehrere Interessensgebiete). Kreativi-tät erzeugt Druck, sie drängt nach außen.Sie muss bereits in der Familie entdecktund gefördert werden und diese Förderungmuss sich dann in der Gesellschaft fortset-zen. Das Bildungssystem muss genügendFördermittel zur Verfügung stellen, d. h. imGrunde genommen auch einen Bildungs-apparat mit ebenfalls kreativen Ausbildern,Lehrern, Dozenten usw. Deshalb ist es einVerbrechen an unser aller Zukunft, wenn ge-rade im Bildungswesen Gelder verweigertund gestrichen werden. Kreativität ist einrettender Gegenpol für ein nur noch aufhohe Gewinne ausgerichtetes Gesellschafts-system, in das wir mehr und mehr hinein-schlittern. Fraglos verfügt die vergleichs-weise kleine Gruppe von Managern undPolitikern auch über Kreativität, aber nichtzum Nutzen der gesamten Gesellschaft, unddas ist unerträglich und zynisch im Zusam-menhang mit diesem wunderbaren Begriff„Kreativität“.

Kreativität geht nicht ohne Unterstützungvon Sponsoren, da ohne Geld Ideen nichtverwirklicht werden können. Kultur trägtsich nicht durch sich allein. Sie ist aber fürdie Gesellschaft ein wichtiger Gradmesser,das reinigende Gewissen, Aufklärung, Bil-dung und Erziehung zugleich.

Wie Kreativität ein Leben lang erhaltenbleiben kann, weiß ich nicht so genau. Ichweiß aber, dass ich offen bin für die Dinge,die kulturell und politisch passieren. Ich binalso neugierig, kritisch, aktiviere immer wie-der Mut zur Durchsetzung meiner Ideen,hinterfrage mich stets, bin nie ganz zufrie-den, will immer mehr als ich zunächst kann,lerne von anderen, unentwegt.

Im Grunde genommen münden ja alleFragen in eine. Es müssen immer ausrei-chende Mittel zur Verfügung gestellt wer-

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den für die Aus- und Weiterbildung vonKindern und Jugendlichen und Erwachsenen.Talente müssen entdeckt und gefördertwerden. Man muss die Kunst und Kulturfördern, die die Menschen sensibilisiert fürsich und die Welt, in der wir leben.

Die Beantwortung all dieser Fragen fälltmir sehr schwer, da sie in starkem und un-überhörbarem Maß auf die Frage nach Geldzielen, eben gerade vor dem Hintergrundder Finanz- und Wirtschaftskrise, die leidernicht zu verhindern war – eben durch dasFehlen bzw. die Inaktivität verantwortungs-bewusster und kreativer Politiker in Kunst,

Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Meineigenes Schicksal und mein Leben in einemunbefriedigenden, weltfremden, unterdrü-ckerischen und traumtänzerischen gesell-schaftlichen System erzählt eine andereGeschichte, nämlich die einer Mangelwirt-schaft, die gerade dadurch auch in höchs-tem Maß Kreativität auf allen Gebieten desLebens erzeugte.

Mich beschäftigt daher vielmehr dasProblem „Mangel und Kreativität“ gegen-über „Überfluss und Kreativität“.

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Uschi Brüning (62),Jazz- und Soul-sängerin,Songautorin

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Dass mit diesem Zitat der amerikanischenSängerin Rihanna nicht nur der Auftakt desFusionsorchesters der integrativen Band „JustFun“ der Musikschule Bochum und der Da-menswingband „Die Schicken Swingschnit-ten“ der Musikschule Fürth gemeint war, son-dern ebenso der grundsätzliche Wert musikali-scher Bildung, stellte Köhler in seinem Gruß-wort schnell heraus: Musik helfe dabei, eineeigenständige Persönlichkeit zu werden, „dieihrer selbst sicherer ist, weil sie die Erfahrungkennt, aus eigenen Anlagen und eigenen Fähig-keiten etwas zu machen“. Ebenso führe ge-meinsames Musizieren „die unterschiedlichstenMenschen zusammen, Menschen, die vielleichtsonst gar nicht zusammenkämen“. Der Bun-despräsident: „Was trägt besser als Musik zurIntegration bei?“

Please, don’t stop the music!“Mit diesen Worten eröffnete

Bundespräsident Horst Köhler imMai den 20. Musikschulkongressdes Verbandes deutscher Musik-schulen (VdM) im InternationalenCongress Centrum Berlin. Er standunter dem Motto „MusikalischeBildung öffnet Grenzen – Musik-schulen für Vielfalt, Integration undQualität“.

Bewusst machte Köhler auf den gesellschaft-lichen Wert des Musizierens aufmerksam: „Ohnemusikalische Bildung wäre unsere Gesellschaftnicht nur ärmer – sie wäre in vieler Hinsichteinfach schlecht dran. Wir brauchen musika-lische Bildung, und wir brauchen Musikschulennicht nur für die persönliche Entwicklung dereinzelnen Schüler.“

Weiter betonte er: „Wir brauchen musi-kalische Bildung und Musikschulen auch, damites unserer Gesellschaft und unserem Landgut geht. Deshalb braucht musikalische Bil-dung einen festen Platz in der Bildungspoli-tik – und darum sollten wir sie uns auch et-was kosten lassen. Das ist eine notwendigeInvestition in die Zukunft. Ich bin mir sicher:Sie wird sich auszahlen – auch wenn das inGeld dann nicht direkt messbar ist.“

Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpoliti-schen Gesellschaft und Geschäftsführer derRUHR 2010 (Durchführungsgesellschaft fürdie Kulturhauptstadt 2010), hob in seinemEröffnungsvortrag zu „Musikschulen und dieEntwicklung der kommunalen Bildungsland-schaft“ hervor: „Die Musikschule leistet einenwesentlichen Beitrag zur kulturellen Grund-versorgung, spricht sozial Schwache an undist eine öffentliche Angelegenheit.“ Im Wech-selspiel von Markt, Staat und Zivilgesellschaftkomme hierbei „der öffentlichen Hand gera-de in diesen finanzkritischen Zeiten eine zent-rale Rolle zu“.

Da die Musikschulen einen öffentlichenBildungsauftrag zu erfüllen hätten, der nichtallein dem Markt und der Zivilgesellschaftüberlassen bleiben könne, sei die Politik auf

BILDUNG.FORSCHUNG

Bundespräsident Horst Köhler beim 20. Musikschulkongress

»WIR BRAUCHEN DIE

Von Claudia Wanner

Beispiel für Integration: Die Deutsche Streicherphilharmonie und das Tanzensemble der Musik- und Kunstschule Velbert präsentierten im Kon-gressprogramm Die Jahreszeiten von Peter Tschaikowsky. – Musikschulen für Vielfalt: Die Kongressbesucher konnten direkten mitwirken – etwain der Arbeitsgruppe „Die Sprache der Trommel“ mit Mamadou M’Baye (Bild rechts). Alle Fotos: Claudia Wanner

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des Verbandes deutscher Musikschulen in Berlin:

Musikschulen«

Ebene von Ländern und Kommunen gefor-dert, die Kontinuität und Qualität des Musik-schulangebots zu sichern. Scheytt hielt fest:„Musikschulen brauchen fest angestellte Lehr-kräfte. Nur mit Honorarkräften können siekeine verlässlichen Kooperationspartner fürGanztagsschulen sein.“ Entsprechend forderteer, Musikschulen durch gesetzliche Regelun-gen aus der Freiwilligkeit herauszuführen. „Derwahre Wert der Kultur liegt in ihrer Unbe-zahlbarkeit. Daher dürfen wir Musikschulennicht Marktgesetzen ökonomischer Zweck-rationalität überlassen. Musikschulen sind einSchmuckstück, ein wundervolles Element jederkommunalen Bildungslandschaft.“

Weiter auf der nächsten Seite !

„Musikschulen sind eine öffentlicheAngelegenheit“: Oliver Scheytt, Präsidentder Kulturpolitischen Gesellschaft.

„Musikalische Bildungbraucht breitestegesellschaftlicheUnterstützung“:Bundespräsident

Horst Köhler in seinerEröffnungsrede.

Immer wieder hat der Bundespräsidentin den vergangenen Jahren zum The-ma der musikalischen Bildung inDeutschland Stellung genommen. Hiereinige seiner Aussagen, die er beim Ber-liner VdM-Kongress, bei der Verleihungder Zelter- und Pro Musica-Plakette undim Rahmen des Programms „JedemKind ein Instrument“ getroffen hat.

„Wer heute anfängt, ein Instrumentzu spielen oder seine Stimme zu bilden,der muss sozusagen gegen den Stromschwimmen: Inmitten einer Welt, in der,spätestens durch das Internet, buchstäb-lich alles, auch jede Art von Musik, aufKnopfdruck zu haben ist, muss er lernen,dass Musik und Musizieren mit Anstren-gung, Ausdauer, Konzentration und Hin-gabe zu tun haben.“

„Musikalische Bildung ist viel zu wichtig,um nur einigen wenigen Privilegiertenvorbehalten zu sein. Sie muss unser allerAnliegen sein und sie muss im frühenKindesalter einsetzen.“

„Musikalische Bildung ist eine notwen-dige Investition in die Zukunft.

„Wir sollten die vielen Gesang- undMusikvereine in unserem Land als einenSchatz betrachten, den es zu hegen undzu pflegen gilt. Sie tragen einen ganzwesentlichen Teil zur musikalischenBildung und zum gesellschaftlichenZusammenhalt in unserem Land bei.“

„Musikalische Bildung ist keine privateNebensache. Musikalische Bildung musszu den Selbstverständlichkeiten gehören,wie das Lernen von Lesen, Schreiben undRechnen.“ ˇ

„In der Musik kommt es nicht daraufan, der Lauteste oder der Schnellste zusein. Man muss Noten lernen, aber auchlernen, aufeinander zu hören.“

„Der chinesische Philosoph Konfuziussoll gesagt haben: ‚Musik erzeugt eine Artvon Vergnügen, ohne die der Menschnicht leben kann‘.“

Köhler: »Musikalische Bildungist keine private Nebensache«

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MUSIK�ORUM54

! Als erneut größter Kulturkongress Deutsch-lands ging der vom Bundesjugendministeriumund dem Berliner Bildungssenat geförderteMusikschulkongress am 17. Mai nach dreiTagen mit einem Besucherrekord von über2200 Teilnehmern, Gästen und Musikern zuEnde.

In fast 50 Arbeitsgruppen und weiterenForen bot er aktuelle und innovative Unter-richtskonzepte für musikpädagogische Ange-bote ab dem frühen Lebensalter, für Klassen-musizieren, Instrumental- und Vokalunterricht,Ensemblespiel, Musikunterricht für Menschenmit Migrationshintergrund bis hin zu Ange-boten für den dritten Lebensabschnitt ebensowie Informationen zum Berufsbild des Musik-schulpädagogen oder zum Qualitätsmanage-ment an Musikschulen.

Neue Unterrichtskonzepte

Eckart Altenmüller, Direktor des Institutsfür Musikphysiologie und Musiker-Medizinan der Hochschule für Musik und TheaterHannover, erläuterte in seinem Referat „MitMusik die Hirnentwicklung fördern: Musi-kalische Früherziehung als ‚Nervenwachstums-faktor‘“ die Erkenntnisse zur Hirnforschungbei Neugeborenen und Kleinkindern.

Prognosen der Zukunftsforschung für denBildungsbereich präsentierte Gerhard de Haan,Professor für Allgemeine Erziehungswissen-schaft/Umweltbildung an der Freien Univer-sität Berlin und Mitglied im FachausschussWissenschaften der Deutschen UNESCO-Kommission, in seinem Vortrag zu „Bildungs-landschaften – Aus der Zukunft in die Ge-genwart geschaut“.

Berliner Politik will in denBildungs-Dialog eintreten

Von großer Brisanz war auch das BerlinerMusikschulforum „Musikschule(n) Berlin(s)– ein Strukturimpuls des VdM“, in dem ineiner Diskussionsrunde von der Berliner Se-natsverwaltung für Bildung, Wissenschaft undForschung wie von den Bezirken die Notwen-digkeit zur Sicherung und Entwicklung derMusikschulstruktur wahrgenommen underkannt wurde. Dabei werden die Empfeh-lungen der vom Land Berlin einberufenenExpertenkommission eine Rolle spielen. DasLand Berlin hat hierzu angekündigt, mit demVdM in einen Dialog über den Abschlussbe-richt der Expertenkommission einzutreten.

Als Beispiel für eine Integration besonde-rer Art nannte der Bundespräsident in seinerEröffnungsrede die Deutsche Streicherphil-harmonie, „das Orchester, in dem die bestenJugendlichen aus allen Musikschulen unter

BILDUNG.FORSCHUNG

hervorragenden Dirigenten spielen dürfen“.Köhler wies daraufhin, dass das Orchestereine Idee und eine Einrichtung sei, die ausder DDR käme.

Begeisterung rief die Deutsche Streicher-philharmonie dann auch am selben Abendim Sendesaal im Haus des Rundfunks desMedienpartners rbb (Rundfunk Berlin-Bran-denburg) hervor, als das Ensemble unter derLeitung von Michael Sanderling – nach ei-ner Interpretation von Schostakowitschs Kam-mersymphonie – zusammen mit dem Tanz-ensemble der Musik- und Kunstschule Velbert

in einer musikalischen und tänzerischen Dar-bietung die Jahreszeiten von Peter Tschaikowskyaufführte.

Die Kongressdokumentation ist nachzulesen unter:U www.musikschulen.deDie Eröffnungsrede des Bundespräsidenten ist als Video(nmzMedia) aufrufbar unter:

U www.nmz.de/media

Die Autorin:Claudia Wanner, LL.M., Juristin und Diplom-Kultur-managerin, ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit desVerbandes deutscher Musikschulen.

Kommunale Musikschulen sind eine öffent-liche Aufgabe in öffentlicher Verantwortungund Finanzierung. Die Musikschulen stehenfür die musikkulturelle Vielfalt und Leben-digkeit des Musiklandes Deutschland. AlsBildungs- und Kultureinrichtungen beglei-ten sie die Bürger ein Leben lang durch alleEntwicklungsstufen und Musikstile. Die kom-munalen Musikschulen sind die Kompetenz-zentren für die instrumentale und vokaleBildung – von der elementaren Musikerzie-hung über die Breitenförderung bis zur Stu-dienvorbereitung. Sie sind wesentlicher Be-standteil des Kulturangebots.

Das ist der Geist, in dem der Musikschul-kongress des Verbandes deutscher Musik-schulen (VdM) stattfand – Fortführung be-ziehungsweise Aufbruch zu neuen Ufern. Inden Beiträgen von Bundespräsident HorstKöhler wie des VdM-BundesvorsitzendenWinfried Richter und des Präsidenten der Kul-turpolitischen Gesellschaft, Oliver Scheyt,wurde deutlich, dass die öffentliche Aufga-be „kommunale Musikschule“ von einer ge-samtgesellschaftlichen Verantwortung ge-tragen wird, die auch bedeutet, diese Bil-dungs- und Kultureinrichtungen besser aus-zustatten. Dazu sollten gehören:

1. Jedem Bürger und jeder Bürgerin,gleich welcher ethnischen Herkunft, sozia-len Situation und gleich welchen Alters mussder Zugang zu einer umfassenden, kontinu-ierlichen, qualifizierten und auf Nachhaltig-keit angelegten musikalischen Bildung ga-rantiert sein.

2. Die kommunalen Musikschulen als Bil-dungs- und Kultureinrichtungen müssen alsPflichtaufgabe gesetzlich verankert sein.

3. Die Musikschulen müssen entsprechendden an sie gerichteten zunehmenden ge-

sellschaftlichen Anforderungen ausreichendpersonell und finanziell ausgestattet sein.

4. Die Musikschulen müssen der originä-re Partner bei der musikalischen Bildung inder Zusammenarbeit insbesondere mit derallgemein bildenden Schule, den Kinderta-gesstätten sowie weiteren Einrichtungen derBildungs-, Jugend-, Kultur- und Sozialarbeitsein.

Die kulturelle Vielfalt im Sinne derUNESCO-Konvention zum Schutz und zurFörderung der Vielfalt kultureller Ausdrucks-formen sollte sich zum zentralen Thema dermusikpolitischen Arbeit auch der kommu-nalen Musikschulen entwickeln. Sie ist derargumentative und politische Schlüssel,Ressourcen für die auf Langfristigkeit undQualität angelegte musikalische Bildung zuerhalten und auszubauen.

Die kommunalen Musikschulen sind auf-grund ihres gesellschaftspolitischen Auftra-ges für die außerschulische musikalische Bil-dung und das Kulturleben in der Pflicht, einqualitätsgesichertes, kontinuierliches und ander kulturellen Vielfalt ausgerichtetes Lehr-und Veranstaltungsangebot vorzuhalten.Neben diesem gesellschaftspolitischen Auf-trag begründet sich die originäre Partner-schaft zwischen den kommunalen Musikschu-len und den weiteren Bildungs- und Kultur-einrichtungen durch die strukturell abgesi-cherte Angebotsbreite und die Qualitäts-sicherung. Daraus ergibt sich die Verlässlich-keit der Bildungs- und KultureinrichtungMusikschule für ein lebenslanges Lernen –von der Frühförderung bis zur vierten Le-bensphase.

In diesem Sinne hat der VdM mit demMusikschulkongress einen deutlichen Mei-lenstein gesetzt. ˜

Anmerkungen von Christian Höppner zum Musikschulkongress

Kulturelle Vielfalt eröffnet Perspektiven

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55MUSIK�ORUM

Hochqualifizierte Ausbildung:Die Sängerinnen des Mädchenchors Hannovererarbeiten nicht nur Werke aller Stilepochen,sie erlernen auch Theorie, Stimmbildung undBühnenpräsenz. Foto: Nico Herzog

Da inzwischen zwei Elterngenerationennicht mehr in der Lage sind, mit ihren Kin-dern zu singen, dieser integrative Lebensbe-standteil also in der Familie verloren gegan-gen ist, steht die Musikhochschule in der Ver-antwortung, die Singkultur wissenschaftlich,künstlerisch und pädagogisch zu untersuchenund zu begleiten und sie in unsere sich stetigverändernde Gesellschaft zu integrieren. Esgeht dabei nicht nur darum, das Singen indie Gesellschaft zurückzutragen, sondern einegrundlegende künstlerische und pädagogischeBefähigung zu vermitteln. In der Ausbildungder Grundschullehrer und Erzieher fehlt esan fachkompetenter Vermittlung vor allemin drei Bereichen: Förderung der Kinderstim-me, Kriterien zur Liedauswahl und Entwick-lung des musikalischen Hörens auf der Basisdes Singens. Es kommt zu gravierenden Man-gelerscheinungen im Umgang mit der Kin-derstimme im Vorschulbereich. Ihre gesun-de, sorgfältige Ausbildung ist nicht mehr ge-währleistet. Die Folgen sind Fehlbildungenbeim kindlichen Singen mit verheerenden Aus-wirkungen im Basis- wie Spitzenbereich.

Kindern beste Ausbildungsqualität anzu-bieten ist mittlerweile allgemeiner Konsens.Selbstverständlich betrifft dies auch den künst-lerisch-pädagogischen Bereich der Sing- undChorerziehung; auch gilt es, mit innovativenVeranstaltungen ein breites Publikum zummitvollziehenden Musikhören zu aktivieren

und dadurch Singen und Musizieren erneutals elementare Kulturtechnik zu installieren.

Eltern, Musikpädagogen und Medien sindmittlerweile ernsthaft bestrebt, eine neue Kulturdes Singens zu entwickeln und zu pflegen.Wer im Kindergarten oder in der Grundschulefür Kinder verantwortlich ist, sollte singenkönnen. Dabei geht es zunächst um das Sin-gen als einfachsten und wirksamsten Wegzu einer „allgemeinen Musikalisierung“ in Ver-bindung mit allgemeinen Erziehungsinhalten,die zur Entwicklung der Persönlichkeitsbil-dung beitragen, wie Schulung der Konzent-rationsfähigkeit, Verständnis für Disziplin,Förderung des Selbstbewusstseins durchöffentliche Auftritte, positiv beeinflusstesSozialverhalten, Toleranz, Gemeinschaftsgeist/Zusammenleben in einer Gruppe.

Die desolate Singesituation in unsererGesellschaft verlangt aber dringend nach ei-ner Verbesserung der Ausbildungssituationzur Förderung sowohl des elementaren Sin-gens auf breiter Basis als auch der Fähigkei-ten zur Leitung anspruchsvoller Chorensemb-les. Erzieher müssen fachimmanent ausgebildetwerden, die Chorleiterausbildung für Kinder-und Jugendchöre gehört in das Ausbildungs-system der Musikhochschule. Nur so kön-nen wir der defizitären Ausbildung den Kehr-aus machen. Das Sing-Potenzial unserer nach-wachsenden Generationen ist nach wie vorvorhanden, noch immer ist das ureigenste

Instrument des Kindes im frühen Beginn undim Kindesalter die Stimme, deren gesundeEntwicklung nicht Erziehern oder Kinderchor-leitern überlassen bleiben darf, die keinerleiFachkompetenz besitzen, ja, in der Regel nichteinmal Musik studiert haben.

Der defizitären musikalischen Grundaus-bildung in Kindergärten und Grundschulenund dem damit verbundenen Verlust derSingfähigkeit in weiten Teilen der Gesellschaftsteht ein weit gefächertes Angebot einer blü-henden Chorlandschaft im nationalen undinternationalen Bereich gegenüber.

Überlegungen zur Verbesserung der Ge-samtsituation des Singens und der vokalprak-tischen Ausbildung vom Kindergartenalter biszum Musizieren in einem Spitzenensembleführten im Jahr 2005 dazu, die besondereAusbildungssituation der beiden in Hanno-ver wirkenden Chor- und Singschulen – Kna-benchor Hannover und Mädchenchor Han-nover – für die Breitenarbeit in Kindergartenund Grundschule zu nutzen. Es entstand dieIdee eines Chorzentrums Hannover. Dennbeide Chöre haben trotz des Trends familiä-rer und institutioneller Vernachlässigung dervokalen Praxis im Primarbereich keine Nach-wuchssorgen – es drängen viel mehr Kinderin diese beiden Chor- und Singschulen alsAufnahmekapazitäten vorhanden sind.

Das Basismodell

Das Basismodell des Chorzentrums istseither in verschiedenen Einrichtungen undInstitutionen auf den Weg gebracht:

˜ In ausgewählten Kindertagesstätten,in denen eher sozial benachteiligte Kinderbetreut werden, arbeiten Studierende der Ele-mentaren Musikpädagogik (EMP), der Rhyth-mik und der Bachelor/Master-Studiengängegemeinsam mit Erzieherinnen, indem sie dievokalen Inhalte stärker als bisher gewichtenund die Kinder stimmbildnerisch betreuen.Ziel dieses Projekts ist es, Kindern innerhalbder Kindergärten einen gesunden und spie-lerischen Umgang mit ihrer Stimme zu ver-mitteln und ihnen altes und neues Liedgutnäher zu bringen, das die Kinderstimme inihrer Entwicklung und in der Singqualitätfördert und fordert. Die didaktisch-methodi-sche Betreuung erfolgt durch ausgebildeteMusiklehrer und die EMP-Dozenten derHochschule für Musik und Theater Hanno-

Modell Chorzentrum Hannover:Gudrun Schröfel beschreibt den Weg vom Singen imKindergarten bis zum Masterstudiengang für Chorleitung

EINE HAND FÜR KinderMusik ist ein integraler Bestandteil der menschlichen Existenz“,

„Singen ist das Fundament zur Musik“, „Eine unverkrampfte Sing-kultur gibt dem Instrumentalspiel eine gesunde Basis“. Wir kennen solcheoder ähnliche Statements. Wahrheit ist aber: Das Singen ist uns weitge-hend abhanden gekommen.

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ver (HMTH). Zugleich bedeutet der gemein-same Unterricht von Mentoren, Musikstudie-renden und Erziehern eine Fortbildung fürLetztere. Sie fügen das Liedgut in den Unter-richtsplan des Kindergartens ein und wieder-holen es täglich, so dass über die Jahre eineNachhaltigkeit entstanden ist.

Die Finanzierung übernehmen die Rota-ry Clubs der Stadt Hannover unter dem Motto„Eine Hand für Kinder – Singen im Kinder-garten“. Die Firma Sennheiser hat die Ele-mentare Musikpädagogik inzwischen mit ei-nem Förderbetrag von 10000 Euro für weitereProjekte unterstützt.

˜ Als weitere Ausbildungsstufe setztedie Hochschule für Musik und Theater einPilotprojekt von Chorklassen in Gang: Inzunächst vier ausgewählten Grundschulenwurden Schwerpunktklassen eingerichtet; dieTeilnahme daran soll obligatorisch für diegesamte Grundschulzeit sein, damit interes-sierte Gymnasien die Idee „Chorklasse“ wei-terführen mit der Zielsetzung, die sängerisch-musikalische Qualität auch im allgemeinenKlassenverband zu steigern. Mitglieder desMädchenchors Hannover übernahmen Pa-tenschaften mit Chorklassenschülern einzel-ner Grundschulen, der Chor veranstaltet ge-meinsame Mitsingkonzerte. Studierende derHMTH aus den pädagogischen Studiengän-gen (Schulmusik, EMP und Musikerziehung-Gesang) stehen den Fachlehrern als Choras-sistenten und Stimmbildner hilfreich zur Seite.

Die Grundschullehrer engagieren sich mitEnthusiasmus für die Idee, so dass sich imLauf der Jahre ein erfolgreiches Chorklassen-system in ganz Niedersachsen entwickelte.

˜ Die Musikschule mit ihrem Stufen-system der vokalen Ausbildung ist inhaltlich indie Gesamtkonzeption integriert: Singgrup-pen für 4- bis 6-Jährige und 6- bis 8-Jährige,Vorchor für 8- bis 10-Jährige und Kinder- undJugendchor für Kinder ab zehn Jahren.

˜ Diese durchgängige Struktur – von vierJahren an bis hinein ins Jugendalter – lässt zujedem Zeitpunkt der Entwicklung eine Wahl-möglichkeit zum Eintritt in die Chor- undSingschulen (Knabenchor Hannover und Mäd-chenchor Hannover) oder zum Verbleib inder Vokalausbildung der Musikschule offen.

˜ Insofern ist die Gesamtkonzeption völligdurchlässig: Jedes Kind kann vom Basismo-dell hinüberwechseln zum SpitzenmodellChorzentrum.

Das Spitzenmodell

˜ Das vierstufige Ausbildungssystem derbeiden Chorschulen Knabenchor Hannoverund Mädchenchor Hannover besteht ausVokaler Grundstufe, Vorklasse, Nachwuchs-

chor und Konzertchor. Kinder ab sechs Jah-ren erfahren eine hochqualifizierte Ausbil-dung nicht nur im Erarbeiten von Chorwer-ken aller Stilepochen, sondern auch in Theorie,Analyse, Stimmbildung und Bühnenpräsenz.Die Kooperation mit Kindergärten, Grund-schulen, Gymnasien und Musikschulen führtzum Zusammenwirken bei diversen Projek-ten. Beide Chöre arbeiten in verschiedenenKonzertprogrammen zusammen.

˜ Parallel zur Förderung der Kinder mitvokalem Schwerpunkt hat die HMTH eineMusik-Vorschule unter der Gesamtthematik„Konzerthaus Musikhochschule“ für Kindervon drei bis fünf Jahren eingerichtet. Schwer-punkt des Kurses ist die Thematik „Hören –Spielen – Hören“. Studierende aus den Klas-sen der Instrumentalklassen oder die Profes-soren selbst spielen Solo- oder Ensemblestü-cke für die Kinder. Die Studierenden der EMPentwickeln unter dem Aspekt einer altersan-gemessenen Vermittlung Zugangsweisen, diedie thematisch-motivischen Besonderheitender jeweiligen Komposition im Sinn der Früh-erziehung methodisch aufbereiten. Dabei ste-hen Instrumente und ihre Spieltechniken sowieder vokalpädagogische Ansatz im Sinn von„Spielen und Hören“ im Mittelpunkt der„Konzertstunde“.

So standen im vergangenen Wintersemesteru. a. auf dem „Programm“ der Musik-Vor-schule: Sergej Prokofjew (Scherzo aus derViolinsonate op. 94a No. 2), Johann Sebas-tian Bach (Suite für Violoncello, 2. Bourrée),Agnes Dorwarth (Articulator 1), Camille Saint-Saëns (Sonate für Oboe, 2. Satz), Kai Stens-gaard (Spanish Dance für Marimba, Gustav-Mahler (3. Sinfonie, 2. Abteilung No. 3), Wolf-gang Amadeus Mozart (Arie des Cherubinaus Le nozze di Figaro), Johannes Brahms (So-nate für Klarinette und Klavier, op. 120 Nr.2, Es-Dur, 2. Satz), Engelbert Humperdinck,(Ein Männlein steht im Walde, Szene aus Hänselund Gretel) und Georg Philipp Telemann (2.Fantasie a-Moll für Flöte solo).

Ein intensiver Kontakt zwischen Lehren-den und Eltern führt dazu, dass alle Kinderdie Stücke auch zu Hause hören und Kin-derkonzerte der verschiedenen Veranstalterin Hannover (Oper: Veranstaltungen für Kin-der ab vier Jahren; z. B. Bi-Ba-Butzemann biszur Kinderoper Sigurd der Drachentöter vonAndy Pape, NDR-„Zwergenabonnement“) re-gelmäßig besuchen.

˜ Eine Verknüpfung mit dem Institut fürFrühförderung (IFF), besonders auch in derVorklasse (VIFF), ist angestrebt.

˜ Die HMTH betrachtet die Förderungder vokalpädagogischen Ausbildung in Nie-dersachsen als künstlerisch, pädagogisch undgesellschaftlich notwendige Aufgabe und hatte

die Mitwirkung am Aufbau eines Chorzent-rums Hannover gleich im Jahr 2005 in ihreZielvereinbarungen aufgenommen. Ein Stu-diengang, der angehenden Kinder- und Ju-gendchorleitern höchste Ausbildungsqualitätgewährleistet, war die konsequente Folge zurProfessionalisierung des Berufsbildes.

Singen als Kommunikation

Der Masterstudiengang zur Ausbildung vonKinder- und Jugendchorleitung hat im Win-tersemester 2008/2009 die ersten Studieren-den aufgenommen. Junge Chorleiter erwer-ben hier nicht nur Fachkompetenz in Melo-dieführung und Chorleitung, sondern auchWissen über die Entwicklung der Kinderstim-me, ihre Mutation und ihre verantwortungs-bewusste Führung, über die Auswahlkriterienfür altersspezifische Chorliteratur, die gesun-de Weiterentwicklung der stimmlichen Fähig-keiten wie auch über die Vermeidung vonstimmlichen Überforderungen. Sie lernenStimmphysiologie und diagnostisch zu hören,um Stimmbildung nicht als „Warming up“auszuführen, sondern gezielt Übungen ein-setzen zu können, die geeignet sind, die indi-viduelle Kinderstimme gesund zu führen unddie etwaigen Schwierigkeiten der Chorlite-ratur hilfreich vorzubereiten.

Bei all den entwickelten Strukturen han-delt es sich um den Versuch, das Singen alsein Mittel der Kommunikation, als eine Formgesteigerten Ausdrucksvermögens in die Ge-sellschaft zurückzutragen, quasi als ein an-thropologisches Selbstverständnis, denn Sin-gen fordert Leib, Seele und Geist des Menschenund kann gesund erhalten. Wie bei keinemanderen Bildungsinhalt verbindet sich imgemeinsamen Singen und Musizieren vonKindern und Jugendlichen die Erfahrung vonSelbstbestätigung mit der Wertschätzung undAnerkennung der Welt des anderen. Wie inkeiner anderen Sphäre öffentlichen Lebensverbinden sich im gemeinsamen Singen undMusizieren künstlerische, soziale, pädagogi-sche und gesellschaftliche Ideale. In anderenLändern gehört Singen zum Schulalltag ebensowie der Gong und die große Pause.

Das Sing-Potenzial ist auch bei uns vor-handen. Doch müssen wir unserer Verant-wortung nachkommen und dafür sorgen, dassin der Basis-Ausbildung musikalische Hand-lungskompetenz gewährleistet ist.

Die Autorin:Prof. Gudrun Schröfel ist Vizepräsidentin der Hochschulefür Musik und Theater Hannover.

MUSIK�ORUM56

BILDUNG.FORSCHUNG

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NEUE TÖNE

Die Kulturstiftung des Bundes wird dieseZielsetzung des „Netzwerks Neue Musik“ mitinsgesamt zwölf Millionen Euro über vier Jahrebis Ende 2011 fördern. Die Zusammenschlüsseregionaler Partner, die sich zuvor im Rahmeneiner Ausschreibung mit langfristigen Kon-zepten und Plänen gemeinsam beworbenhaben, bilden ganz neue Synergien und zu-kunftsträchtige Bündnisse. Kooperationen, diekonkrete und umsetzungsfähige Ideen dafürliefern, wie Neue Musik stärker in der Öf-fentlichkeit und im Kulturleben etabliert wer-den kann und nachhaltig die Ohren, Köpfeund Herzen eines neu zu gewinnenden Pub-likums erreicht. Ganz oben auf der Agendasteht dabei die Nachhaltigkeit, die die Bünd-nisse für sich selbst als Ausführende und Ver-mittler entwickeln wollen.

Die Aufgabenstellung, kultur- und bildungs-politisch außerordentlich relevant, ist ebensokomplex wie spannend. Sie verlangt von denMachern weitaus mehr als nur interessanteKonzerte zu organisieren und sich dabei auchlängerfristig untereinander inhaltlich abzustim-men. Sie zielt weiter und ins Herz des gegen-wärtigen Kulturverständnisses. Die Partner sindnämlich aufgefordert, nach Wegen zu suchenund Pläne zu entwerfen, wie sie sowohl einjunges wie auch das traditionelle Publikumstets aufs Neue für die zeitgenössische Mu-sik gewinnen und begeistern wollen.

Der Wert zeitgenössischer Klänge vermit-telt sich ja nicht mehr von allein. Mit denBildungsmechanismen von einst, die ehedemkulturelle Wertstellungen und gesellschaftli-che Bedeutungen absichern konnten, ist dasPublikum von heute kaum noch zu erreichen.Eher durch ein Tun, das glaubhaft für seineSache einsteht und das Publikum dort „ab-holt“, wo es gerade ist, und es vor allem invielerlei Hinsicht „mitnimmt“.

In diesem Sinn fanden im Jahr 2008 bun-desweit insgesamt 480 Netzwerk-Veranstal-tungen in allen denkbaren Formen und For-

Das ist einmalig: Über 255Netzwerk-Partner aller Art

und musikalischer Herkunft gingendeutschlandweit Anfang 2008 in15 Projekten an den Start, um dieNeue Musik endlich ins Zentrumder kulturellen Öffentlichkeit zurücken.

maten statt: einmalige Konzerte, Einführun-gen und Vorträge, oftmals aber auch mehr-tägige Kurse, Workshops und ganze Lehr-gänge. Wesentlich mehr als reine Zahlen wer-den die Nachhaltigkeit und die erzielten Tie-fenwirkungen über den Erfolg des bundes-weiten Förderprojekts entscheiden. Die För-dersumme von zwölf Millionen Euro, aufgrunddes Matching-Fund-Prinzips um üppige zehnMillionen neuer Eigen- und Drittmittel ver-mehrt, sowie der großzügige Förderzeitraumvon vier Jahren sind nur Rahmenbedingun-gen für das, was es zu erreichen gilt. Da wirddie zeitliche Tiefendimension der Praxis, dieNachhaltigkeit über 2011 hinaus entwickelnmuss, entscheidender sein als alles Evaluieren.

Was sich schon jetzt – nach einem JahrLaufzeit des Netzwerks – erkennen lässt, isteine Neubewertung seines Gegenstandes„Neue Musik“, die durch das Förderprojekt

Das Netzwerk Neue Musik und die Musikkultur in Deutschland. Von Bojan Budisavljevic

Ohren, Köpfe und Herzen erreichen: Das Ensemble „Die Redner“ (Netzwerk Musik Saar)führte im Februar im Saarländischen Staatstheater erstmals sein Musiktheaterprojekt „EuroVisionBrandt De Gaulle“ auf. Foto: Jean M. Laffitau

und vor allem seine Netzwerk-Partner ange-stoßen wurde. Die Neue Musik erscheint hiernicht als stets umstrittene Epochen-, Stil- oderauch nur Geschmackszuschreibung, sondernals eine umfassende und stets aktuelle Quer-schnittsaufgabe des gesamten Musiklebens.Sie findet nicht in abgeschlossenen Zirkelnund exklusiven Szenen statt, ist nicht bloßMittel künstlerischer Ausdifferenzierungen undAusschlüsse. Neue Musik, wie sie sich imNetzwerk und seinen Projekten herauskris-

tallisiert, ist dem Begriff wie der Sache nacheine zentrale Aufgabenstellung aller hier undheutzutage an der Musikkultur Beteiligten.

Keinen anderen Schluss lässt nach einemJahr allein der Querschnitt zu, den die 255Netzwerk-Partner des Projekts quer durchsdeutsche Musikleben legen. Von der Grund-bis zur Hochschule, vom – mit Mauricio Kagelgesprochen – Zwei-Mann-Orchester bis zumStaatstheater, vom freien Ensemble bis hinzur großen Institution, vom Laien bis zumProfi, vom Hardware-Hacker bis zum musik-kulturellen Etablissement reicht das Spektrumall derer, die sich mit Begeisterung und ei-nem starken Bedürfnis nach neuen Ausdrucks-und Entfaltungsräumen der Praxis musikali-scher Gegenwart neu verschrieben haben, dieihrem Publikum das wertvolle Kulturgut NeueMusik auf vielfältig innovative Art und Wei-se vermitteln wollen.

Neue Musik und das Musikleben inDeutschland? Eine womöglich noch fremdeNähe. Im und durch das Netzwerk Neue Musikaber wächst zusammen, was immer schonzusammengehörte.

U www.netzwerkneuemusik.de

Der Autor:Bojan Budisavljevic, Kulturhistoriker und Festivalleiter,ist seit 2007 künstlerischer Leiter des Netzwerks NeueMusik, eines Förderprojekts der Kulturstiftung des Bundes.

UNDMiteinander mittendrin

57MUSIK�ORUM

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MUSIK�ORUM58

Das Libretto Helges Leben der Kultauto-rin Sibylle Berg haben die jungen Komponis-ten Mark Moebius und Karola Obermüllerals Ausgangsstoff für eine abendfüllende Opergenommen, die von zwei Regisseu-ren inszeniert und von zwei Dirigen-ten einstudiert und geleitet wurde.Gerade die Unterschiedlichkeit ihrerkünstlerischen Handschriften und dieReibungsflächen divergierender Äs-thetiken wurde zum entscheidendenStilprinzip der umjubelten Uraufführung EndeMai. Alle sechs Künstler verbindet die „Aka-demie Musiktheater heute“, deren Stipendia-ten sie von 2006 bis 2008 waren.

wohl große Theater wie das internationalrenommierte Théâtre de La Monnaie in Brüsselals auch junge Spielstätten wie das Radial-system in Berlin. Anhand der gemeinsamerlebten Aufführungen werden die Themenintensiv und kontrovers diskutiert, die die Sti-pendiaten beschäftigen.

Der erste Workshop 2009 führte die Sti-pendiaten auf das Ultraschall Festival. Die sechsbesuchten Konzerte machten die jungen Künst-ler insbesondere mit Musik von Enno Pop-

neuerung im Musiktheaterbereich lässt sichnicht einfordern, ohne jungen Talenten einForum zum Experimentieren zu bieten.“

Die guten Kontakte zu Vertretern großerOpernhäuser in Europa, die sich aus denzahlreichen Workshops ergeben, sind ebenfallswichtig für die berufliche Zukunft der Teil-nehmer der Akademie. Zahlreiche Stipendi-aten und Alumni besetzen heute herausra-gende Positionen der deutschen Opernland-schaft und prägen mit ihren Inszenierungen

Es ist ein ungewöhnlichesMusiktheater-Projekt,

entstanden in einem Kollektivjunger Künstler am TheaterBielefeld.

Workshops, Gespräche,Theaterbesuche

Seit September 2001 werden jährlich 15junge begabte Menschen aus den BereichenDirigieren, Dramaturgie, Kulturmanagement,Komposition und Regie sowie Kostüm- undBühnenbild begleitend zu ihrem Beruf oderStudium in die „Akademie Musiktheater heute“aufgenommen.

Kernstück des Förderprogramms der Deut-sche Bank Stiftung sind Workshops in Deutsch-land und anderen europäischen Ländern. Dazugehören neben den gemeinsamen Besuchenausgewählter Musiktheaterproduktionen auchGespräche mit renommierten Persönlichkeitenaus dem Opernbetrieb, etwa mit dem Regis-seur Sebastian Baumgarten oder dem Diri-genten Stefan Soltesz. Besucht werden so-

pe, Wolfgang Heiniger, Hannes Seidl und Irister Schiphorst vertraut, die sich wie der Diri-gent Roland Kluttig in spannenden Hinter-grundgesprächen fachlichen Kontroversenstellten. Besonders fesselnd für die Stipendi-aten war das Erlebnis des szenischen Kon-zerts Diamanten der niederländischen For-mation VocaalLAB. Der dreitägige Aufenthaltin Berlin gewährte nicht nur einen breit gefä-cherten Einblick in die Neue Musik, sondernthematisierte mit zwei Ausstellungsbesuchenauch die Performancekunst und deren Ein-fluss auf das Musiktheater.

Einen Schwerpunkt des Akademiepro-gramms bilden Besuche der Stipendiaten vonUraufführungen und neue Formen experi-mentellen Musiktheaters. Dieses entsprichtauch dem Anliegen der Deutsche Bank Stif-tung, im Opernbereich neue Impulse zu set-zen. „Eine lebendige Kunst- und Kulturszenebraucht mutige Nachwuchskünstler, die be-kannte Wege verlassen und damit Grenzenüberschreiten“, erläutert Michael Münch,Vorstand der Deutsche Bank Stiftung. „Er-

Die „Akademie Musiktheater heute“ setztwichtige Impulse für die Erneuerung des Musiktheaters. Von Oliver Brandt

NEUE TÖNE

Oper von morgenFÜR DIE

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das Musiktheater von heute: Der junge Diri-gent Constantin Trinks, ehemaliger Stipen-diat der „Akademie Musiktheater heute“,wurde für die Spielzeit 2009/10 zum neuenGeneralmusikdirektor am Staatstheater Darm-stadt berufen. Karsten Wiegand, Stipendiatim Zeitraum 2004-2006, lenkt als Opern-direktor die Geschicke des Deutschen Natio-naltheaters in Weimar.

Netzwerkbildung undKontaktpflege

Ein Netzwerk zwischen Studenten undBerufsanfängern im Bereich des Musikthea-ters zu knüpfen, den Austausch über die je-weiligen Fachgrenzen hinweg zu fördern –das sind wichtige Anliegen der „AkademieMusiktheater heute“. Der Netzwerkgedan-ke der Akademie ist seit ihrer Gründung vonJahr zu Jahr mehr zum Tragen gekommen.Denn auch nach dem Ende der aktiven Sti-pendiatenzeit findet ein anhaltender Gedan-kenaustausch statt.

Die von der Akademie regelmäßig veran-stalteten Alumnitreffen unterstützen die Netz-werkbildung und Kontaktpflege der ehema-

ligen Stipendiaten. Beim jährlich stattfinden-den Festakt der Akademie haben Stipendia-ten und Alumni Gelegenheit, ihre künstleri-schen Positionen auszutauschen und ge-meinsame Projekte zu entwickeln. So arbei-ten Alumni und aktuelle Stipendiaten zusam-men an Produktionen renommierter Häuseroder an interessanten freien Projekten, undimmer wieder ergeben sich fruchtbare Quer-verbindungen, die die gegenwärtige Musik-theaterszene beleben.

Inspiration und Austausch

Ein mit hochrangigen Fachleuten besetz-tes Kuratorium steht der Akademie beratendzur Seite, darunter auch der Frankfurter Opern-intendant Bernd Loebe. Er betont die Bedeu-tung von künstlerischem Austausch und in-terdisziplinärer Zusammenarbeit von Nach-wuchskünstlern: „Der Blick über den Teller-rand inspiriert das eigene künstlerische Schaf-fen. Ein lebendiges Netzwerk, wie das der‚Akademie Musiktheater heute’, fördert die-sen Austausch und liefert wichtige neue Im-pulse für die Opernwelt in Deutschland.“

Gemeinsam mit dem von der DeutscheBank Stiftung geförderten Opernstudio derOper Frankfurt sind Musiktheaterprodukti-onen geplant. Stipendiaten der Akademie er-halten damit die Chance, in einem professio-nellen Kontext ungewohnte Arbeitsweisenzu erproben und neue künstlerische Wegezu gehen.

Akademie-Programm startetwieder im Herbst

Jedes Jahr im Frühjahr werden wieder jungeOpernschaffende gesucht, die im Musik-theater etwas bewegen möchten. Um aus denzahlreichen Bewerbungen 15 geeignete Sti-pendiaten zu finden, tritt eine sechsköpfigeFachjury zusammen, die sich aus prägendenPersönlichkeiten des Opernbetriebs zusam-mensetzt. Bewerben können sich Studentenund Berufseinsteiger in den Sparten Dirigie-ren, Dramaturgie, Kulturmanagement, Kom-position und Regie sowie Kostüm- und Büh-nenbild. Die Altersgrenze für die Bewerbungliegt bei 32 Jahren. Das zweijährige Akade-mieprogramm ist studien- und berufsbeglei-tend angelegt und startet alljährlich im Herbst,wenn die 15 neuen Stipendiaten bei einemFestakt an der Oper Frankfurt in die „Akade-mie Musiktheater heute“ aufgenommen wer-den.

Der Autor:Oliver Brandt arbeitet seit 2008 in der Deutsche BankStiftung und ist als Projektleiter für die Programmplanungder „Akademie Musiktheater heute“ verantwortlich.

Reibungsflächen divergierender Ästhetiken:Ende Mai hatte die abendfüllende OperHelges Leben, ein Projekt der „AkademieMusiktheater heute“, Premiere in Bielefeld.Bildmitte: Gesprächsrunde beim Workshopanlässlich des Berliner Ultraschall-Festivals2009.

Agnes Fabich

Ottendörfer/

Fotos: Philipp

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MUSIK�ORUM60

Doch was verbirgt sich tatsäch-lich hinter der „Musikwirtschaft“? Wel-che Branchen zählen dazu? Lassensie sich tatsächlich als einheitlichesGanzes beurteilen oder sind sie derartheterogen, dass eine Bündelung undeinheitliche Behandlung den Anlie-gen der einzelnen Branchensegmentenicht gerecht wird?

Trotz fehlender Klassifizierung derMusikwirtschaft subsumieren diePolitik und der Wirtschaftszweig selbstdarunter vor allem die Branchen derTonträgerhersteller, Musikverlegerund Konzertveranstalter. Wenn aller-dings in den Medien von „der Musik-wirtschaft“ berichtet wird, ist damitzumeist allein die Tonträgerwirtschaftgemeint. Diese mangelnde Differen-zierung hat sich derart durchgesetzt,dass selbst in politischen Debattenbei der Diskussion der Musikwirtschafthäufig nur die Tonträgerindustrie mitihren spezifischen Problemen imFokus steht.

Der Mangel an inhaltlich differen-zierterer Betrachtung und Artikula-tion wird dem spezifischen Hand-lungsbedarf der Teilbereiche nicht gerecht.Während z. B. die Tonträgerhersteller undMusikverleger bei jeder Gelegenheit mitdurchaus nachvollziehbarer Intensität für ei-nen wirksameren Schutz des geistigen Eigen-tums kämpfen, haben die Konzertveranstal-ter just in diesen Tagen das Problem, dass siesich gegen den Verlust des Vorsteuerabzugsinfolge ungewollter Umsatzsteuerbefreiungenund gegen einen maßlos überzogenen Schutzder durch die GEMA wahrgenommenen Ur-heberrechte zur Wehr setzen müssen. DieGEMA will gerade die Gebühren für die Nut-zung ihres Repertoires durch die Konzertver-anstalter um das Sechsfache (!) erhöhen.

Jens Michow über die „Musikwirtschaft“ und Definitionsprobleme für Politik und Medien

Seitdem die Politik das wirtschaftliche Potenzial der Kreativwirtschafterkannt hat, beschäftigen sich Parlamente, Ministerien und Parteien

in nie dagewesenem Umfang auch mit der Musikwirtschaft. Vorträge,Branchenhearings, Podiumsdiskussionen und vor allem die „Initiative Musik“sind die erfreulichen Indikatoren dieses neu erwachten politischen Enga-gements.

nehmer mit mangelnder Expertise auf denMarkt treten. Auch hier divergieren alsoInteressen – und das stets wünschenswerte„An-einem-Strang-Ziehen“ ist nicht immer ganzleicht.

Zu beobachten ist zudem, dass dem Be-reich der Tonträgerwirtschaft die weitüberwiegende Aufmerksamkeit auchder politischen Debatte gewidmet wird.So werden beispielsweise in der ge-meinsamen Pressemitteilung des Bun-desministeriums für Wirtschaft (BMWi)sowie des Beauftragten für Kultur undMedien, die im Nachgang zu dem vomBMWi Anfang Mai veranstalteten Bran-chenhearing zur Musikwirtschaft ver-öffentlicht wurde, ausführlich die Prob-leme der Tonträgerwirtschaft darge-stellt. Demgegenüber wird die Kon-zertwirtschaft – trotz ihrer wirtschaft-lich herausragenden Bedeutung –lediglich als ebenfalls zur Musikwirt-schaft gehörend erwähnt. Mehr nicht.Und diese Beobachtung spiegelte sichleider ebenso deutlich auch in der Be-setzung des Programms des Hearingswieder, auch wenn zumindest ein Ver-treter der Konzertwirtschaft als Refe-rent geladen war.

Natürlich ist es nachvollziehbar, dassnicht in jeder Debatte jeder Teilbe-reich der gesamten Kreativwirtschaftunter die Lupe genommen werdenkann. Aber ist die Konzertwirtschaftaus politischer Sicht tatsächlich so un-bedeutend, dass man sie als Annex

zu anderen Teilbereichen der Musikwirtschaftso stiefmütterlich behandelt? Zur Veranstal-tungswirtschaft zählen natürlich auch weite-re Branchen, die nicht dem Musikbereich zu-zurechnen sind. Ihr wirtschaftlich bedeutends-ter Teil jedoch, nämlich der Konzertveran-staltungsbereich mit seinen 2,8 Milliarden EuroUmsatz, ist ein wichtiger Teil der Musikwirt-schaft und sollte daher auch so wahrgenom-men werden.

Um nicht missverstanden zu werden: Hiersoll keineswegs einem Separatismus einzel-ner Bereiche der Musikwirtschaft das Wortgeredet werden. Es macht keinen Sinn, inTeile zu spalten, die durchaus gemeinsame

ODER

ZWANGSEHE VON EINZELTEILEN?

Pars pro toto

Das allein mag transparent machen, dassder politische Handlungsbedarf der einzel-nen Sparten der Musikwirtschaft nicht nurim Bereich spezifischer Problemstellungen desUrheberrechts divergiert. So sieht die Kon-zertwirtschaft ganz andere Defizite bei denrechtlichen Rahmenbedingungen als andereBereiche der Musikwirtschaft. Tatsache ist auch,dass es dem Konzertgeschäft nicht besonderszuträglich ist, dass sich neuerdings Tonträger-firmen auf dieses fremde Terrain begeben,anstatt sich auf ihr Kerngeschäft zu konzent-rieren. Immerhin dürfte nicht von der Handzu weisen sein, dass das KonzertgeschäftSchaden nehmen könnte, wenn neue Teil-

WIRTSCHAFT.RECHT

Paradoxon: Künstler wie die Musiker der deutschen PopbandSilbermond, die zugleich auch Urheber von Songs sind, lebenmehr und mehr von Live-Auftritten. Doch will die GEMA dieVeranstalter ihrer Konzerte demnächst heftig zur Kasse bitten.

© LEA

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Schnittflächen haben. Die Subsumption derKonzertwirtschaft unter die Musikwirtschaftist daher auch keineswegs eine „Zwangsehe“,sondern eine sinnvolle Zuordnung.

Was die Konzertwirtschaft jedoch nichthinnehmen kann, ist der Versuch, die vielenspezifischen Anliegen der Konzertbranchedurch Auftritte und Anhörungen der Vertre-ter anderer Verbände zu konsumieren. DieMusikwirtschaft ist nun einmal so heterogenaufgestellt, dass jeder Bereich unvermeidbarfür sich allein betrachtet werden muss, zumalwenn es um die politischen Rahmenbedin-gungen geht. Und dass dabei die Konzert-wirtschaft häufig hintangestellt wird, ist nichtnachvollziehbar.

Hilfreich wäre insbesondere eine differen-ziertere Terminologie. So sollte deutlich zwi-schen den Begriffen Musikindustrie undMusikwirtschaft getrennt werden. Beides wirdallzu häufig in einen Topf geworfen, obwohlbeide Begrifflichkeiten für unterschiedlicheTeilsegmente der Musikwirtschaft stehen: DerBegriff „Industrie“ bezeichnet bekanntlich je-nen Teil der Wirtschaft, der durch die Pro-duktion und Weiterverarbeitung von mate-

Marktführern des Wirtschaftsbereichs zu su-chen. Denn wenn diese – mehr als es bereitsdurch die aktuellen wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen z. B. im Bereich der Konzert-wirtschaft geschieht – weiter geschwächtwerden, brechen nicht nur dem Gesamtmarkt„Kreativwirtschaft“ unverzichtbare Eckpfeilerweg, von denen viele andere Bereiche desMarkts wirtschaftlich abhängig sind.

Der mit rund 3,9 Milliarden Euro nichtunbeträchtliche Umsatz der gesamten Ver-anstaltungsbranche ist bekannt. Doch dürfteleicht nachvollziehbar sein, dass von der die-sen Umsatz tätigenden Branche und derenwirtschaftlicher Prosperität noch ganz erheb-liche Umsätze tausender Dienstleistungs-unternehmen des Landes abhängig sind. Diedeutsche Veranstaltungsbranche bedauert, dassdie aktuelle Diskussion um die Kreativwirt-schaft diesem Aspekt und dem hohen Po-tenzial bisher vergleichsweise wenig Beach-tung geschenkt hat.

Der Autor:Jens Michow, Medienanwalt in Hamburg, ist Präsidentdes Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft.

Unter dem Titel „Funkstille für Mikrofone“berichtete das MUSIKFORUM in seinerJanuar-Ausgabe (1/2009) über die Gefahreines „Super-GAUs“ für die Konzert- undEventbranche. Dieser könnte drohen, wenndie Bundesregierung bei der geplanten Neu-vergabe von Funkfrequenzen einseitigTelekommunikations- und Breitband-Inter-net-Anbieter bevorteilen sollte – mit dermöglichen Folge, dass spätestens im Jahr2015 keine drahtlose Tonübertragung mehrüber Funkmikrofone bei Veranstaltungenaller Art zur Verfügung stünde.

Die beabsichtigte Überlassung von Funk-frequenzen an das Breitband-Internet unddie Handy-Wirtschaft – sie wurden frei durchdie Digitalisierung des Fernsehens – führtezu geharnischtem Protest der Kulturszene,von Konzert-, Sport- und Kongressveran-staltern sowie Theater- und TV-Produzen-ten und Künstlern.

Was ist inzwischen auf politischer Ebenegeschehen?

Auf den Beschluss der Bundesregierungvom 4. März zu einer neuen Frequenzbe-reichszuweisungsverordnung hin mahnteder Bundesrat Mitte Mai Korrekturen an.So sei vor der tatsächlichen Frequenzver-gabe eine befriedigende Lösung für die Stör-problematiken für drahtlose Produktions-mittel aufzuzeigen. Außerdem müsse denNutzern von drahtlosen Mikrofonen bereitsvor Beginn des Versteigerungsverfahrensein gleichwertiges Ersatzspektrum verbind-lich benannt werden.

Mit diesen Auflagen stimmte der Bun-desrat am 12. Juni grundsätzlich dem Re-gierungsbeschluss zu, wonach der Frequenz-bereich 790 bis 862 MHz nun über dieBundesnetzagentur an neue Mobilfunk-anwendungen versteigert bzw. vergebenwerden kann. Freilich ging die Länderver-tretung davon aus, dass die Verwertungs-erlöse aus einer Versteigerung zur Deckungder Umstellungskosten für Rundfunk-sendeunternehmen und Sekundärnutzer

(z. B. Konzert- und Eventproduktionen) ein-gesetzt werden.

Erstattung in „geeigneterForm“ (?)

Viele Fragen nicht nur technischer Artsind offen geblieben. Auch gerade die nachden Umstellungskosten.

Der Bundesrat hatte gefordert, dass derBund diese Kosten den die Frequenzenbisher nutzenden Kultur-und Bildungsein-richtungen bzw. den sie tragenden Kom-munen oder Ländern „in geeigneter Form“erstattet. Auch der Bund erklärte sich be-reit, die Kosten „in angemessener Form“zu tragen, die sich „nachweislich aus not-wendigen Umstellungen bis zum Ende desJahres 2015 bei denjenigen ergeben, diedie Frequenzen 790 bis 862 Megahertzbisher nutzen“ (Rundfunksendeunterneh-men und Sekundärnutzer).

Doch damit ist längst nicht wieder Ruhein der Kultur- und Veranstalterszene ein-gekehrt. Vor allem fragt man sich hinsicht-lich der Umstellungskosten: Was bedeuteteine Erstattung in „geeigneter Form“ oder„angemessener Form“?

Das MUSIKFORUM wird das Themaweiter verfolgen…

Werner Bohl

Funkfrequenzen für Mikrofone:Noch vieles im Unklaren!

˜ NACHGEHAKT

riellen Gütern gekennzeichnet ist. Der Be-griff „Musikindustrie“ passt daher uneinge-schränkt – aber auch ausschließlich – auf denTon-/Bildtonträgerbereich, weshalb ihr Bran-chenverband in nachvollziehbarer Weise denBegriff „Industrie“ in seinen Verbandsnamenintegriert hat.

Aber klar sein sollte für die Politik undvor allem auch für die Medien: Musikindus-trie ist weder ein Pars pro toto noch ein Sy-nonym für Musikwirtschaft. Wer über dieMusikindustrie berichtet oder spricht, musswissen, dass er über die Tonträgerwirtschaft,nicht jedoch über die weiteren Sparten derMusikwirtschaft spricht.

Zusammenfassend ist den einzelnen Teil-segmenten der Musikwirtschaft und jedem,der sich mit der Musikwirtschaft befasst, an-zuraten, zukünftig deutlicher zu definieren,ob tatsächlich vom gesamten Wirtschaftsbe-reich oder nur einem Teilbereich die Redeist. Wenn es der Politik tatsächlich Ernst da-mit ist, die Kreativwirtschaft als „bedeuten-den Wirtschaftsfaktor unseres Landes“ zufördern, wird sie nicht umhin kommen, mehrals bisher das Gespräch mit den tatsächlichen

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Ziel des Förderpreises ist es, auf die Be-deutung musikalischer Breitenbildung für diegesellschaftliche Entwicklung aufmerksam zumachen. Der INVENTIO soll musikpädago-gische Innovationen unterstützen und damitAnreize für die Initiierung weiterer Projektegeben.

Unter der Leitung von DMR-VizepräsidentHans Bäßler gehörten der Jury der Vorsit-zende der Konferenz der Landesmusikräte,Ernst Folz, das Vorstandsmitglied a. D. derStiftung „100 Jahre YAMAHA“, Asmus J. Hintz,der Generalsekretär des Deutschen Musik-rats, Christian Höppner, und der Präsidentder Deutschen Gesellschaft für Musikpsycho-logie, Andreas C. Lehmann, an.

Die sieben Preisträger 2008

Die Juroren zeichneten folgende Projektemit dem INVENTIO 2008 aus:

˜ Die Hochschule für Musik und Dar-stellende Kunst Frankfurt/Main und dieCrespo Foundation für ihr Projekt „Prima-canta“ – ein Weiterbildungsprojekt für Grund-schullehrer, dessen Ziel es ist, die Singkom-petenz bei Frankfurter Grundschulkindern zuentwickeln.

˜ Das Institut für Musikpädagogik derUniversität für Musik und DarstellendeKunst Graz für sein Prüfungsverfahren imRahmen des Lehramtsstudiums. Bei diesemVerfahren müssen die Studierenden eigenekünstlerische Projekte schriftlich konzipieren,öffentlich szenisch realisieren und vor einemPrüfungssenat reflektieren. Die Studierendenwerden dadurch nicht nur künstlerisch, son-dern auch in Konzeption und Managementherausgefordert.

˜ Das filmteam hamburg und das Team„Elbphilharmonie – Musik im Fluss“ fürdas künstlerische Schüler- und Studentenpro-jekt „Elbphilharmonie – Musik im Fluss“. Ham-burger Schüler hielten in Filmen, Hördoku-menten und einer Fotoausstellung sowie in15 künstlerisch-musikalischen Bausteinen dieEntstehung der Elbphilharmonie fest. Dabeiwurden die Teams von professionellen Künst-lern unterstützt.

˜ Die Mainzer Musikpädagogin Angeli-ka Jekic für „Unter 7 und über 70“, ein Pro-jekt, bei dem Kindergartenkinder zusammenmit Senioren in einem gemeinsamen Musik-

Der Deutsche Musikrat (DMR)und die Stiftung „100 Jahre

YAMAHA“ zeichneten mit demINVENTIO 2008 bereits zum fünf-ten Mal innovative musikpädago-gische Projekte aus.

unterricht musizieren, singen, sich dadurchbegegnen und gemeinsam lernen und erle-ben. Das Konzept wurde von der Initiatorinam Institut für Elementare MusikerziehungMainz (IfEM) entwickelt.

˜ Die Deutsche Orchester-Stiftung fürdie DVD-Produktion Abenteuer Klassik, diedas Orchesterleben für den Musikunterrichtin den Schulen bis hin zur Instrumentenkun-de darstellt. Den Schwerpunkt und Hinter-grund der DVD bildet die gleichnamige Fern-sehserie des WDR, bei der Mitglieder desBundesjugendorchesters während einer Pro-benphase für eine Aufführung von Till Eulen-spiegel begleitet wurden.

Verantwortung für die Musikin der Gesellschaft prämiert

Zudem vergab die Jury zum zweiten Malden Sonderpreis „INVENTIO – Verantwor-tung für die Musik in der Gesellschaft“, derden besonderen Einsatz von Persönlichkei-ten für das Thema der musikalischen Brei-tenbildung auszeichnet. Verliehen wurde derPreis in diesem Jahr an zwei Preisträger:

˜ Albert Schmitt, Managing Director „DieDeutsche Kammerphilharmonie Bremen“, fürsein Engagement in der kulturellen Basis-arbeit, die insbesondere den musikalischenNachwuchs betrifft. Durch den Einzug derKammerphilharmonie in die Gesamtschule-Ost des sozial benachteiligten Bremer Stadt-teils Osterholz-Tenever ermöglichte er einedichte Zusammenarbeit von Profimusikernund jungen Menschen.

˜ Ernst Elitz, bisheriger Intendant vonDeutschlandradio Kultur und Deutschland-funk, für die Programmgestaltung insbeson-dere von Deutschlandradio Kultur. Durch ihnwurden Strukturen für die breitenwirksameVermittlung hochdifferenzierter musikalischerInhalte geschaffen. Er machte beide Senderzu einer der ersten Adressen in der deut-schen Medienlandschaft. Seine Programm-gestaltung gab auch der musikalischen Bil-dung einen wirkungsmächtigen Ort.

Die Verleihung des INVENTIO 2008 fandim Juni im Rahmen von „Schulen musizie-ren“ in der Laeiszhalle in Hamburg statt.

INVENTIO 2008 für musikpädagogische Projekte

VERDIENTER LOHN FÜR

Ehrung in der Hamburger Laeiszhalle (von links): die INVENTIO-Preisträger 2008,Albert Schmitt und Ernst Elitz, bei der Verleihung zusammen mit Philippe Tirfoin(YAMAHA-Stiftung) und Hans Bäßler (Deutscher Musikrat).

DOKUMENTATION

Ideen und Innovation

Foto: Thomas Meyer/Verband Deutscher Schulmusiker

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PRÄSENTIERT

Verortet in den konkreten soziokulturellenZusammenhängen einer Stadt, thematisch undprogrammatisch jedoch weit darüber hinausreichend, das ist die Interkulturelle Akade-mie Augsburg. Sie ist eine vergleichsweisejunge Gründung, 2005 von zwei in Augsburgansässigen Institutionen ins Leben gerufen.Ein vitales Forum, das sich dem Dialog, derPartizipation und der Inklusion, der Dazuge-hörigkeit oder Wertschätzung, verschriebenhat. Zwei Institutionen initiierten die Akade-mie: das Kulturhaus Kresslesmühle und derMesopotamien Verein.

Die Kresslesmühle als ein innerstädtischesKommunikationszentrum mit einer breitenAngebotspalette von sozialen, künstlerischen,kulturellen, kommunikativen und politischenAktivitäten war von Anbeginn ein Ort derIntegration und der Begegnung mit kulturel-ler Vielfalt. Ein wichtiger Schwerpunkt war dieBeschäftigung mit der „Gastarbeiterfrage“und den damit verbunden Integrationsmaß-nahmen, Konsequenz des hohen Ausländer-anteils bei den Bewohnern der AugsburgerAltstadt, insbesondere von Assyrern, die ausreligiösen Gründen verfolgt wurden und nachEuropa flüchteten.

Das Thema Integration hatte eine weite-re Vereinsgründung zur Folge: Mitte der 70erJahre war die Anzahl der in Augsburg ansäs-sigen Assyrer so angestiegen, dass man die

Notwendigkeit sah, die Belange und Interes-sen der Landsleute im sozialen und kulturel-len Bereich zu vertreten. Es entstand einBeratungs- und Informationszentrum, aberauch eine Begegnungsstätte für Jung und Alt.So wurde 1978 der Mesopotamien VereinAugsburg gegründet.

Die Kresslesmühle zählt, nicht nur auf kom-munaler Ebene, zu den wichtigen Impulsge-bern in der Frage der Wahrnehmung und desUmgangs mit den Wirklichkeiten der plura-len Stadtgesellschaft auf der sozialen, kultu-rellen und bildungspolitischen Ebene. So wieder Mesopotamien Verein den Fokus auf dieIntegration Zugewanderter in der neuenHeimat Augsburg legte. Dadurch konnte derVerein sich im Laufe der Jahre zu einem fes-ten Bestandteil der Stadtkultur etablieren.

Da beide Institutionen das Thema „Inte-gration“ verband, wurde 2005 die Interkul-turelle Akademie gegründet, um verstärkt inSeminaren, Tagungen und Vorträgen aktu-elle Themen der Integration zu behandeln unddabei mit ganz unterschiedlichen Gesell-schaftsgruppen zu arbeiten. „Augsburg, dieStadt des Religionsfriedens, fühlt sich diesenThemen verbunden und verpflichtet“, so Hans-Joachim Ruile, Geschäftsführer des Kulturhau-ses Kresslesmühle, dem Akademie-Träger.„Die Akademie will den Dialog zwischen den140 Nationen der Stadt fördern, so dass dasfriedliche Miteinander der vielfältigen Kultu-ren und Sprachen bewahrt wird.“

Hinter den Themenfeldern „Zivilgesell-schaft und religiöse Vielfalt“, „Integration undBildung“, „Vielkulturelle Stadt“ und „LeitkulturMultikulti“ verbergen sich kompetent besetzte

InterkulturelleAkademie Augsburg

und attraktive Symposien, die vielfach die StadtAugsburg mit ihrer spezifischen Fragestellungals Ausgangspunkt haben, dann aber durchausgrundsätzlich und offen Phänomene und Fra-gestellungen diskutieren. So fand im April die-ses Jahres unter dem Themenfeld „Leitkul-tur Multikulti“ eine Fachtagung mit dem Titel„Theater, Diversity und Urban Cultures“ statt,die die Rolle so genannter „post“-migranti-scher Jugendkulturen als künstlerische undsozialkulturelle Herausforderung für den Thea-terbetrieb und die Jugendarbeit in der viel-kulturellen Stadt beleuchtete. Dass es dabeinicht nur um typische Jugendkultur ging,macht die Referentenliste deutlich. So gehörteBarbara Kantel, die Leiterin der theaterpäda-gogischen Abteilung des StaatsschauspielsHannover, ebenso dazu wie Thomas Laue,Chefdramaturg am Schauspiel Essen.

Als nächstes Projekt wird im kommendenSeptember die Reihe „Orient und Okzident“fortgesetzt. Schwerpunkte werden hier derIslam im Wandel und in seiner Ausprägungin Europa sein; auch die aktuelle Lage im Na-hen Osten wird angesprochen. Im Novem-ber findet das jährliche „Festival der 1000Töne“ statt. Diese interkulturelle Veranstal-tungsreihe gibt einen Überblick über die großeVielfalt der Kulturen in Augsburg und beweistdamit, dass das Miteinander der Kulturen undkulturelle Vielfalt eine Heimat für alle ermög-lichen.

Im Rahmen des Symposiums „Kunst undKultur, Migration und Diversity und Kosmo-politismus“ am 27. und 28. November wer-den namhafte Referenten zu Wort kommen,darunter der Publizist und langjährige Leiterder Werkstatt der Kulturen, Berlin, AndreasFreudenberg, der Publizist Mark Terkessidisund die Münchner Soziologin Regina Röm-hild. Susanne Fließ

Kontakt:Interkulturelle Akademie AugsburgOrganisation und Träger:Kulturhaus Kresslesmühle gGmbHBarfüßerstraße 4, 86150 AugsburgTel. 0821/3 71 70Fax 0821/[email protected] www.kresslesmuehle.de

Mesopotamien Verein Augsburg e.V.Mendelssohnstraße 21, 86154 AugsburgU www.bethnahrin.de

In der Rubrik „Präsentiert“ stellt das MUSIKFORUM kurz und bündig Projekteund Initiativen aller Sparten im deutschen und internationalen Musikleben vor:

˜ Die Inkulturelle Akademie Augsburg fördert den Dialog der Kulturen von140 Nationen, die in der drittgrößten bayerischen Stadt vertreten sind.

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REZENSIONEN

chormusik / sinfonik

Felix Mendelssohn Bartholdy

„Einen Mendelssohn singt man ebennicht wie einen Brahms.“ – DiesenSatz hätte auch Frieder Bernius inseiner Rede vom 3. Februar zur Ge-samteinspielung des geistlichen Chor-werks anlässlich des 200. Geburts-tags von Felix Mendelssohn Bartholdyformulieren können.

Die beim Carus-Verlag erschiene-ne Einspielung des Lobgesang lässt einefortwährende Suche nach Transpa-renz der Musik und dem Idiom ei-ner klanglich-historischen Authenti-zität spüren. Nicht selten hört manAufnahmen und Aufführungen derMendelssohn-Musik mit Besetzungen,die der Uraufführung des Lobgesangsmit über 400 Musikern nahe kom-men möchten. Die Theatralik, Dra-matik und Voluminösität eines sol-chen Klangmassenerlebnisses stelltBernius jedoch nicht in den Vorder-grund – er strebt nach Klarheit, Far-bigkeit und Nachvollzug der mendels-sohnschen Komposition.

Schon in der orchestralen Einlei-tung des Werks vermittelt Bernius mitder Deutschen Kammerphilharmo-nie Bremen die Differenziertheit unddie musikalischen Konturen durcheine Durchlässigkeit und Transparenzdes Orchesterklangs. Die grazilen, tän-zerischen und bewegten Tempi kom-men dem Bach-Verehrer Mendels-sohn näher als die „verbrahmsten“Interpretationen, die nach einem gro-ßen und überwältigenden Klang stre-ben. Bernius versteht es, die Stärkender mendelssohnschen Kompositiondurch Reduzierung auf die eigent-liche Kontur hervorzuheben, wobeidadurch unter Umständen die Mög-lichkeiten verschenkt werden, die dasWerk in seiner Erhabenheit und Größehätten monumentaler wirken lassenkönnen. Trotzdem wird das Orches-ter durch größte Musikalität und Ge-staltungstiefe geleitet. Ein ausgewo-gener Klang zwischen Bläsern und

Streichern und eine binnendifferen-zierte Gestaltung jeglicher Themenund Phrasen sind die Folge.

Der von Frieder Bernius gegrün-dete Kammerchor Stuttgart artikuliertpräzise und kann sich mit warmem,homogenem und präzisem Klangsowie durch Abgrenzung zu „Opern-chorinterpretationen“ profilieren. Inder Balance zum Orchester kann sichder Chor behaupten, was nicht zuletztdurch die hochqualitative Aufnahme-technik möglich wurde. Der dichteKlang des Chors verhilft vor allemden choralähnlichen Sätzen mit vielWärme zu einer runden Form. Jedochsind die Forte-Bereiche des Chors aneinigen Stellen zu stark von Berniusfokussiert. Wünschenswert wäre einAusbau der leisen Chorpassagen.

Die drei Solisten (Maria Bernius,Christiane Karg und Werner Güra)gestalten sprachlich, technisch undklanglich hervorragend. An manchenStellen fehlt durch das angestrebteklangliche Ideal etwas die Lebendig-keit, Natürlichkeit und Dramatik dereinzelnen Werkteile (Ich harrete desHerrn, Stricke des Todes). Dennochwerden sehr ansprechende Solopar-tien auf höchstem Niveau geboten.

Fazit ist, dass diese Aufnahme einewesentliche Ergänzung zum bisheri-gen CD-Angebot leistet. Durch diemusikalische, technische und diffe-renzierte Gestaltung in Kombinationmit der hochkarätigen und glänzen-den Besetzung unter Leitung vonFrieder Bernius mit klarer historisch-authentischer Vorstellung konnte derLobgesang in einer neuen Tonspracheerklingen, in der Mendelssohn ebennicht wie ein Brahms gesungen wird.Diese Einspielung kann zukünftig alsReferenzaufnahme verstanden wer-den und ist deshalb gerade im Men-delssohn-Jahr sehr zu empfehlen.

Kai Schmidt

MUSIK�ORUM64

Lobgesang, Symphonie-Kantate op. 52Kammerchor Stuttgart, Deutsche Kammerphilharmonie BremenLeitung: Frieder BerniusCarus-Verlag, EAN: 4009350832131, CV-Nr.: 83.213/00

Mit der bei Genuin erschienenen CDSchöne Nacht kann der junge deut-sche Männerchor Camerata MusicaLimburg unter der Leitung von JanSchumacher ein sensationelles De-büt feiern. Der Chor liefert hoch sen-sible und facettenreiche Interpreta-tionen von bekannter und wenigerbekannter Männerchor-Literatur derRomantik. Insbesondere bestechen dieobertonreiche Piano-Kultur, die Ho-mogenität, die dynamische Wand-lungsfähigkeit der Stimmen und zu-dem die kultivierte Strahlkraft desChors mit Kern und immer angeneh-mem Timbre.

Dabei steht der mit nur 16 bzw.17 Männern singende Chor in einerhervorragenden Tradition klein be-setzter deutscher Männerchöre zumBeispiel aus Regensburg, Uetersen,Calw, dem Siegerland, München odereben mehrfach Limburg, die fast alleaus ehemaligen Knabenchor-Sängernzusammengesetzt sind und die beifrüheren deutschen Chorwettbewer-ben erste Preise errungen haben. Unterdiesen günstigen Voraussetzungengründete sich im Jahr 1999 die Ca-merata Musica Limburg. Man hört,dass die Mitglieder gerne zusammen-kommen und intensiv musikalischarbeiten.

Schon in den ersten Stücken derCD, filigranen Volkslied-Bearbeitun-gen des Engländers Vaughan Williams,wird die große Gestaltungsfähigkeitdes Chors deutlich. Schumacher lie-fert hier und auch in den schwedi-schen Trouvaillen von Tullberg undAlfvén strukturell hervorragend dif-ferenzierte Interpretationen. Die Kronedieser CD gebührt aber den schlich-ten Sätzen von Silcher und Nagel. Hierzeigt der Chor eine nur selten anzu-treffende organisch-schlanke Umset-zung, samt-weich im piano und den-noch tragfähig und anrührend –Chorkultur par excellence!

Camerata Musica LimburgSchöne Nacht – Romantic Partsongs for Male ChoirAlison Browner (Sopran), Christoph Prégardien (Tenor), Andreas Weller (Tenor),Andreas Frese (Klavier); Leitung: Jan SchumacherGenuin 89138

Die hohe Musikalität des künst-lerischen Leiters Jan Schumacher wirdnicht zuletzt an seiner Fähigkeit deut-lich, Chorsänger mit solistischemPotenzial zu einer homogenen Ein-heit zu verschmelzen. Er schafft es,dass man manch altbekannte Kom-position völlig neu hört. So macht eraus Prachts Das Morgenrot ein deli-kat gestaltetes Kabinettstück. Hervor-zuheben sind außerdem die sensibelbegleitenden Chorpassagen bei denWerken mit solistischen Anteilen.Kritik – aber auf sehr hohem Niveau– kann man allenfalls an wenigenklanglichen Unebenheiten im erstenTenor und an geringfügigen Intona-tionsschwankungen üben.

Die CD wird durch mehrere aus-gezeichnete Solisten bereichert. Soglänzt Christoph Prégardien – ebenfallsfrüherer Limburger Domsingknabe –einmal mehr als geschmackvoll in-terpretierender Tenorsolist in fünfTiteln. Alison Browner überzeugt mitvollmundig-schönem Mezzosopran inSchuberts Ständchen, Andreas Wel-ler meistert Schuberts heikle Nacht-helle tonschön, mit guter Technik underuptiven Ausbrüchen. Hervorzuhe-ben ist letztendlich die differenziert-flexible Klavierbegleitung durch An-dreas Frese, der zugleich im erstenChortenor singt.

Die Aufnahmetechnik ist exzel-lent. Ein informatives und aufwän-dig gestaltetes Booklet ergänzt dierundum überzeugende Veröffentli-chung. Fazit: Sehr empfehlenswert!Von diesem Ensemble wird man nochhören. Das deutsche Männerchorwe-sen lebt – allen Unkenrufen und denbekannten Nachwuchsproblemenzum Trotz.

Klaus-Jürgen Etzold

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BUCHTONTRÄGER

Der Auftakt ist der wichtigste Teil einerjeden Phrase, denn in ihm wohnenin höchst verdichteter Form alle In-haltsstoffe der nachfolgenden musi-kalischen Aussagen. Er ist – ganz imSinne von Hermann Hesse – derKeimling künstlerischer Ausdrucks-fähigkeit und Ausdruckskraft. Was hierangelegt ist, findet im Idealfall seinenselbstverständlichen Fluss in der nach-folgenden Phrase.

Leider findet sich das Bewusstseinüber die immense Bedeutung desAuftakts in immer weniger Aufnah-men oder Konzerten wieder. Die Vor-herrschaft einer klangästhetischen Be-trachtung verdrängt zunehmend denhorizontalen, vertikalen und emotio-nalen Zugang beim lebenslangen Pro-zess des immer wieder einmaligen Aktsder Werkinterpretation.

Die soeben erschienene Einspie-lung des Dena Piano Duos mit derSonate für zwei Klaviere in D-Dur,KV 448 von Wolfgang AmadeusMozart und der Fantasie in c-Moll,KV 475 mit der von Edvard Griegfrei hinzukomponierten Begleitung ei-nes zweiten Klaviers reiht sich nichtin diese Globalisierung der Klangäs-thetik ein, sondern gibt in einer bei-spiellos gelungenen Interpretation denBlick auf sich eröffnende und nochverborgene Geheimnisse frei. TinaMargareta Nilssen und Heide Görtzzeichnen dafür verantwortlich, dassdie Idee vom „Neuen Hören“ Raumgreifen kann. Mit Respekt und Ver-antwortungsbewusstsein gestalten siemusikalische Flusslandschaften miteiner beeindruckenden Vielfalt anKlangfarben und Spannungsverläu-fen.

Die Formel „Panta rhei“ (Allesfließt) in der platonschen Weiterent-wicklung der Flusslehre von Heraklitist etwa beim Andante der Mozart-Sonate in beglückender Weise erfahr-bar. Die Duftigkeit – nicht zu ver-

wechseln mit Leichtigkeit – und Fi-nesse in der Artenvielfalt der Artiku-lation, die Natürlichkeit subkutanwahrnehmbaren Ein- und Ausatmensund der rote Faden, der den Hörerdurch die gesamte Aufnahme beglei-tet, führen zu den selten geworde-nen Erlebnissen, dass sich beim wie-derholten Hören dieser Aufnahmeimmer wieder neue Sicht- bzw. Hör-achsen erschließen.

Zusammen mit der aufschlussrei-chen Werkeinführung von PatrickDinslage ist diese Einspielung eindramaturgischer Glücksfall nicht nurgeglückter Auftakte.

Christian Höppner

The Sun Ain’t Gonna Shine AnymoreTod und Sterben in der RockmusikRoland Seim, Josef Spiegel (Hg.)Telos Verlag, Münster 2009, 267 S., ISBN-13/EAN 978-3-933060-26-6, 16,80 Euro

Gestorben wurde schon immer, ge-tötet auch. Trotzdem wird im gesell-schaftlichen Diskurs „Tod und Ster-ben“ nach wie vor tabuisiert, weil esunbequem ist. Wenn diese Topoi dannauch noch von Rockmusikern inTexten oder auf Plattencovern behan-delt werden, resultieren aus derEmpörung nicht selten Verbote undZensurmaßnahmen.

Mit dem Buch The Sun Ain’t GonnaShine Anymore liefert der kulturwis-senschaftliche Telos Verlag den Ka-talog zur gleichnamigen Ausstellungim Rock’n’Pop-Museum in Gronau,die bis zum 16. August läuft. DieHerausgeber Roland Seim und JosefSpiegel zeigen Beispiele zum Thema„Tod und Sterben in der Rockmu-sik“ anhand von über 200 farbigenCover-Abbildungen, von den Beatlesbis hin zu Cannibal Corpse.

Vielseitige Beiträge zahlreicherAutoren schildern den Umgang mitTod, Mord, Selbstmord oder Welt-untergang in unterschiedlichen Mu-sikgenres und Jugendkulturen wiePunk, HipHop, Gothic oder Rock àla Marilyn Manson. Letzterem wirdim Kontext von Amokläufen an Schu-len gerne eine Mitschuld zugeschrie-ben, weil die Täter oftmals seine Musikhörten und manche Texte die Ästhe-tisierung des Sterbens zum Inhalthaben.

Besorgten Pädagogen und Elternliefern Buch und Ausstellung Einbli-cke in die Musikkulturen und helfenzu verstehen, dass Gewaltdarstellungoder Todesfaszination in der Musiknicht Aufrufe zum aktiven Töten sind,sondern sich letztlich als Stilmittelentlarven, zum Zwecke der Provoka-tion oder der Erregung von Aufmerk-samkeit.

Obwohl Buch wie Ausstellungkeinen Anspruch auf Vollständigkeiterheben, eröffnen sie tiefer gehendeBetrachtungsweisen und sind allen zu

empfehlen, die sich über die reineMusikkonsumentenrolle erheben undsich eindringlicher mit dem Themabeschäftigen möchten.

Magnus See

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Mozart/GriegWerke für zwei Klaviere Vol. 2Dena Piano Duo2L, Oslo (www.2L.no), ISRC: NOMPP0809010-090, EAN13: 7041888513728Katalog-Nr.: 2L57SABD

Page 81: Das Magazin des deutschen Musiklebens. · 2020-02-13 · Das Magazin des deutschen Musiklebens. m 8,50 63280 juli–september 2009___3 7. jahrgang Wem gehört die Musik? Dieter Gorny:

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Das nächste MUSIKFORUMerscheint am 15. Oktober

SondermüllDie Apokalypse ist da – täglich schmerzhafterfahrbar. In der Bahn, im Flugzeug, imFahrstuhl, im Kaufhaus. All überall erlebenwir den Supergau einer akustischen Umwelt-verschmutzung in bisher nicht gekanntemAusmaß. Lautsprecher geben Sondermüllvon sich, der entweder die Trommelfelleplatzen lässt oder einen unverständlichenSilbensalat darstellt. Ganz zu schweigen vomgrausamen „Denglisch“ mancher Mitarbeiterder Deutschen Bahn.

ReinigungsdienstBahnhofsplätze mit den musikalischen

Perlen des kulturellen Erbes zu beschallen,um Nichtsesshafte und Kleinkriminelle zuvertreiben, ist krank. Managern, die solcheEntscheidungen treffen – zum Beispiel amHamburger Hauptbahnhof –, sollte eineKreativ-Erfahrungs-Reha verordnet werden.Oder die Versetzung in den Reinigungs-dienst des Bahnhofsvorplatzes.

GeräuscheschrottStraßenmusikanten verfolgen mich bei

fast jedem Aufenthalt im öffentlichen Nah-verkehr. Der Geräuscheschrott dieser meistunsauber und schrecklich spielenden Zeit-genossen müsste unter die Lärmschutzver-ordnung fallen – und nicht etwa das Klavierspielende Kind, dessen Berliner Eltern wegeneiner Stunde sonntäglichen Übens zu einerGeldbuße verurteilt worden sind.

MUSIK�ORUM

� Musik und Mauerfall20 Jahre Mauerfall – Anlass für das MUSIK-FORUM zur Reflektion. In der kommen-den Ausgabe untersucht die Redaktion:Welchen Stellenwert nahmen Musik undmusikalische Bildung in der DDR ein? Wiewurde Musik vermittelt? Inwieweit wurdedas Kreativpotenzial der neuen Bundeslän-der nach der Wende genutzt? Das MUSIK-FORUM beschäftigt sich mit den Beson-derheiten der Kulturförderung in der DDR,vergleicht die musikalischen Bildungsange-bote der DDR und BRD, stellt künstleri-sche Zusammenarbeiten vor und zeichnetUmbrüche nach, die die kulturelle Szeneder neuen Bundesländer nach dem Fall derMauer erfahren hat.

„Slow Hear“:Wissen, was man hört.

© Georg-Paul Meister/PIXELIO

… und fünf Minuten StilleDer Deutsche Musikrat könnte doch die

Initiative „Slow Hear“ initiieren und damitan die inzwischen international erfolgreicheIdee von „Slow Food“ anknüpfen. Slow stehtja nicht nur für die dringend notwendigeEntschleunigung unserer Sinneswahrneh-mung im Zeitalter multimedialer Reizüber-flutung, sondern auch für den ganzheitlichenZugang zu kreativer Erfahrung.

Fünf Minuten Stille am „Tag der Musik“– der kreativ-gesellschaft.de würde dasgut tun.

Karl Senftenhuber