das feature kahlschlag in der bukowina der ausverkauf der … · 2018-12-21 · 3 hochwertiges...
TRANSCRIPT
1
Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature Kahlschlag in der Bukowina Der Ausverkauf der Altwälder in den Karpaten
Autorin: Andrea Rehmsmeier Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Dlf 2017 Erstsendung: Dienstag, 11.07.2017, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 25.12.2018, 19.15 Uhr Mitwirkende: Autorin: Frauke Poolman Sprecherin 2 (Übersetzungen): Anja Bilabel Sprecher 1 (Mikola Petitschenko): Volker Risch Sprecher 2 (Übersetzer 2): Thomas Balou Martin Sprecher 3 (Übersetzer 3): Hans Gerd Kilbinger Sprecher 4 (Newsreel, Zitate, Ansage): Richard Hucke
Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
© - unkorrigiertes Exemplar -
2
ATMO ANSAGEN AUF DEM BAHNHOF CHERNIVCY, ZUG FÄHRT EIN, ZUGZISCHEN
QUATSCHEN AUF GLEIS
AUTORIN:
Baumstämme, soweit das Auge reicht. 14 Eisenbahnwaggons voller Kiefer
und Tanne – gerade gewachsen und säuberlich von allem Astwerk befreit. In
Tschernivzy ganz im Westen der Ukraine, auf den Gleisen des letzten großen
Bahnhofs vor der Grenze zur Europäischen Union - steht ein ganzer Wald
zum Abtransport bereit. Unzählige Bäume, gerodet für einen hungrigen
Weltmarkt: Rohstoff für Pappen, Pellets und Parkett.
ATMO MIKOLA – VALERA
AUTORIN:
„Stop Korúpzia!“ steht auf den Visitenkarten der beiden kräftigen Männer, die
an diesem Sonntag das nüchterne Kabinett der Bahnhofsaufsicht stürmen.
„Wer hat am Bahnhof die Aufsicht? Was ist das für Holz? Zeigen Sie uns die
Frachtpapiere!“. Die Beamtin schaut überrascht aus ihrem Kursbuch hoch. Sie
richtet sich gerade in ihrem Stuhl auf, und taxiert die Eindringlinge mit
zusammengekniffenen Augen. „Was bitte soll ich tun? Machen Sie einen
Termin, und kommen Sie morgen wieder!“ – „Morgen? Morgen sind diese
Waggons in Europa!“. Doch die uniformierte Frau lässt sich nicht überzeugen.
„Gar nichts werde ich Ihnen zeigen!“, schimpft sie. „Was denken Sie sich
eigentlich?“.
ATMO ZUGZISCHEN QUATSCHEN AUF GLEIS
Autorin:
Während einer der Männer die Diskussion fortsetzt, verlässt der andere das
Büro. Draußen, auf dem Bahnsteig, wählt er die Nummer der Polizei.
O-TON MIKOLA PETICHENKO TELEFONIERT MIT POLIZEI
ÜBERSETZER:
Petitschenko, Mikola ist mein Name. Hier, am Bahnhof von Tschernivzy,
stehen – Moment: zwei, drei, vier ... - fünf Waggons mit hochwertigem
Rundholz. Es gibt weitere Holzladungen, aber dabei soll scheint es sich um
Brennholz zu handeln. Wir von „Stop Korupzia!“ vermuten, dass es sich um
3
hochwertiges Rundholz aus der Ukraine handelt, das falsch deklariert ist. Wir
fordern, dass die Polizei kommt, und dass sie die Frachtpapiere überprüft und
die Angelegenheit klärt.
Musik „Moliendo Café“
Ansage:
Kahlschlag in der Bukowina
Der Ausverkauf der Altwälder in den Karpaten
Ein Feature von Andrea Rehmsmeier
Musik „Moliendo Café“
ATMO VÖGEL FLÜSSCHEN WALD
O-TON ALEKSANDR KISELJUK IM URWALD
ÜBERSETZER:
Hier sehen wir das, was vom Ökosystem Urwald übrig ist. Es gibt Totholz und
sehr alte Bäume. Der da drüben muss gerade vor kurzem umgefallen sein. Es
handelt sich um einen Fichtenwald in seiner ursprünglichen Form, ein paar
Buchen gibt es auch. Die ältesten Bäume sind zwischen 250 und 300 Jahre
alt. Wie konnte dieser Wald überleben, obwohl direkt hinter dem Hügel das
nächste Dorf liegt? Nun, die Anhöhe hier ist so steil, dass man die Bäume
schon aus physischen Gründen nicht roden konnte.
ATMO VÖGEL FLÜSSCHEN WALD SCHRITTE
AUTORIN:
Der Nationalpark Karpaten, nahe der rumänischen Grenze, ist einer von 13
Waldschutzgebieten in der Ukraine. Aleksándr Kiseljúk atmet die harzige Luft.
Dann lässt er seinen Blick einen majestätischen Fichtenstamm hochwandern.
Schnurgerade und ebenmäßig ist der Baum aufgeschossen, jetzt wiegt er in
der schwindelnden Höhe seine Krone in der Brise. Der Blick des Parkdirektors
wird finster.
4
O-TON ALEKSANDR KISELJUK IM URWALD
ÜBERSETZER:
Seit zehn Jahren verkaufen wir unseren Wald nun schon nach Europa. Wir
sind zum Rohstofflager geworden, weil unser Holz so schön billig ist. Ich spüre
jetzt schon, wie alle auf unsere Altwälder schielen, weil da Geld drinsteckt.
ATMO EINSTEIGEN, FAHRT IM REGEN & STARKREGEN IM AUTO
AUTORIN:
Der Wolkenbruch kommt plötzlich. Der Himmel vor der Windschutzscheibe ist
nachtdüster, die Scheibenwischer kommen kaum gegen die herabstürzenden
Regenmassen an. Kiseljúk biegt von der Waldstraße ab: Hier endet das
Territorium des Nationalparks, signalisiert ein Straßenschild. Die Bäume, die
hier die Straßen säumen, gehörten zu einem staatlichen Forstbetrieb.
O-TON ALEKSANDR KISELJUK IM AUTO
ÜBERSETZER:
Diese Straße hier, die die Anhöhe heraufführt, ist für den normalen Verkehr
gesperrt. Gerade vor ein paar Jahren wurde sie gebaut – und, schwupps,
schon ist der ganze Berg kahlgeschlagen. Ich verstehe ja, dass Holz
gebraucht wird. Aber man muss dem Wald doch eine Chance zum
Nachwachsen geben! Einfach so alles kahlschlagen...
MUSIK „Besh O Drom“
AUTORIN:
Wälder, die sich in kahle Flächen verwandeln, Züge mit ukrainischen Bäumen,
die in Richtung Europäische Union davon fahren – solche Bilder bewegen
viele Ukrainer, wie sonst nur die Annexion der Krim und der Krieg im Osten.
Aus diesem Grund hat Kiew im Jahr 2015 einen Exportstopp für hochwertiges
Rundholz erlassen - zunächst für bestimmte Holzarten, seit Anfang 2017 in
vollem Umfang. Eine Maßnahme, die die ukrainischen Wälder vor
Übernutzung, und die holzverarbeitenden Betriebe vor übermächtiger
Konkurrenz aus dem Ausland schützen soll. Die EU-Kommission aber sah
5
einen Verstoß gegen die geltenden Freihandelsvereinbarungen, und drohte,
Finanzhilfen nicht auszuzahlen.
MUSIK „Besh O Drom“
AUTORIN:
Nirgendwo wird das Thema so heiß diskutiert wie in der Búkowina. In dem
Karpaten-Landstrich zwischen der Ukraine und Rumänien sind die Wälder
dicht, und das reiche Ausland ist nah. Búkowina: „von Rotbuchen bewachsen“,
lautet die wörtliche Übersetzung. In der Búkowina der Gegenwart sind die
meisten Buchen den schnell wachsenden Tannen gewichen, und das lang
gestreckte Karpatengebirge ist der Länge nach durchschnitten von einer
Grenze, die angeblich zu den bestgesicherten der Neuzeit gehört: der
Außengrenze der Europäischen Union.
ATMO EINSTEIGEN, AUTOFAHRT MIT MUSIK
AUTORIN:
Mikóla Petitschénko, der Aktivist, ist in der Bukowina berühmt und berüchtigt,
sein Gesicht ist bekannt aus vielen Fernsehinterviews. Für die einen ist er ein
unerschrockener Gerechtigkeits-Kämpfer, für die anderen Persona-non-grata.
Wer ihn kennt, der weiß: Mikóla ist Lebenskünstler - ohne Mittel, aber mit einer
unüberschaubaren Zahl an Kumpels, die ihm ihre Autos leihen und seinen
Kreuzzug gegen die Korruption nach Kräften unterstützten. Recherchen über
Schmiergeld und Schmuggel, das weiß Mikola aus eigener, leidvoller
Erfahrung, sind in dieser Gegend ein waghalsiges Geschäft.
O-TON MIKOLA PETICHENKOS
ÜBERSETZER:
Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, in der Ukraine sei alles besser
geworden. Das war im Jahr 2010. Und tatsächlich: All die Leute, die heute
nicht einmal die Nebenkosten für ihre Wohnungen bezahlen können,
verdienten damals gar nicht so schlecht. Alle schwärmten von Veränderungen.
Darum bin damals ich aus den USA zurückgekehrt, wo ich ein paar Jahre in
der Behindertenbetreuung gearbeitet habe. Ja und dann ... ach, das ist eine
6
lange Geschichte ... dann hatte ich hier meinen Zusammenstoß mit den
Schmugglern.
ATMO AUTO
AUTORIN:
Kurz geschorene Haare, tiefbraune Augen, bärenhafte Statur – alles an dem
43-Jährigen scheint groß und rund. Die Bewegungen seiner Hände aber sind
zackig und rastlos.
O-TON MIKOLA PETICHENKO IM AUTO
ÜBERSETZER:
Damals habe ich Land gekauft, ich wollte ein Freizeitheim für Touristen
aufmachen. Und ich wollte eine Familie gründen – tja, und das war das
Problem. Denn meine Zukünftige – ich dachte wirklich, das wäre sie – war im
„System“.
ATMO AUTO
AUTORIN:
Das „System“: Mikolas Codewort für die Netzwerke, die im ukrainisch-
rumänischen Grenzgebiet vom Zigarettenschmuggel leben - ein
engmaschiges Beziehungsgeflecht aus Funktionären, Forstangestellten und
Financies, Grenzgängern und Grenzschützern, Zertifikatsfälschern und
Zollbeamten.
O-TON MIKOLA PETICHENKO IM AUTO
ÜBERSETZER:
Während ich mit dem Papierkram beschäftigt war, hat sie mein Geld still und
heimlich in den Zigarettenschmuggel investiert. Als ich endlich – viel zu spät –
dahinter kam, sagte ich ihr: „Gib mir mein Geld zurück und scher dich zum
Teufel!“ Da hat sie ihre Kumpanen beauftragt, mich umzubringen – das
glauben Sie nicht? Ich kann Ihnen die Dokumente vom Gerichtsprozess
zeigen! Sie lauerten mir auf, sie haben mich zwei Stunden lang verprügelt, mit
der Pistole am Kopf. Und sie drohten mir: „Sei bloß vorsichtig, wir sind im
System! Wir haben allerbeste Beziehungen nach Kiew. Versuche ruhig, etwas
gegen uns zu unternehmen!“.
7
ATMO AUTO
AUTORIN:
Der Überfall ereignete sich im Jahr 2012. Mikola erkannte die Schläger, und
zeigte sie an. So wie er bislang jeden anzeigt hat, den er als Mitglied des
„Systems“ identifizieren konnte. Seitdem lebt er gefährlich. Sein PKW ging in
Flammen auf, Mikola selbst aber ist bislang immer irgendwie davon-
gekommen.
MUSIK „007 (JAMES BOND THEME)“
AUTORIN:
Das Geschäft mit illegalem Holz ist eine Boombranche der organisierten
Kriminalität: Interpol schätzt den weltweiten Jahresumsatz auf mindestens 11
Milliarden US-Dollar.
MUSIK „007 (JAMES BOND THEME)“
ATMO QUAKEN, KIESSCHRITTE, GATTERTOR
AUTORIN:
Die Bergwelt ist sattgrün, ein vorbeifließender Bach speist unzählige Tümpel.
Wäsche flattert in der Brise, und in den Gewächshäusern kann man Gestalten
entdecken, die sich über Pflanzenstauden beugen. Auf einem umzäunten
Gelände leuchtet eine frisch lackierte Gewerbehalle in Rot und Beige, deren
Tore weit geöffnet sind.
ATMO SÄGE EINSCHRAUBEN, SCHLEIFEN
AUTORIN:
Eine Gruppe Männer hat sich um eine Werkbank versammelt. Evgénij
Mándrik, der Chef des Holzbetriebs, ist ein zierlicher Mann mit auffallend
blauen Augen, die hell aus seinem wettergegerbten Gesicht leuchten. In der
Holzbranche ist er ein Quereinsteiger. Gut zehn Jahre ist es her, seit sich der
ausgebildete Automechaniker überlegt hat, ob ein gut geführter Betrieb in
einem krisengeschüttelten Staat wie der Ukraine wohl eine Chance hat:
nachhaltig, ökologisch, mit angemessenen Gehältern und sozialer
Absicherung für die Angestellten. Heute ist Mándrik der Chef eines
8
Vorzeigeunternehmens, das schon viele seiner Wettbewerber überlebt hat.
Allerdings hat auch er oft zu kämpfen.
O-TON EVGENIJ MANDRIK
ÜBERSETZER:
Meine größte Sorge ist der Nachschub an Rohstoff. Auf einer staatlichen
Holzauktion kann man vielleicht 120 Kubikmeter ergattern – so viel kann man
innerhalb einer Woche verarbeiten. Wir aber müssen damit drei Monate
auskommen, denn die Auktionen finden nur viermal im Jahr statt. Was das
soll, das verstehe mal einer...
ATMO WERKSTATT
AUTORIN:
Mangel an Holz? Mit einem Unternehmenssitz mitten in der Búkowina, wo sich
der Wald nach allen vier Himmelsrichtungen erstreckt? – Tatsächlich.
Mandriks Kollegen machen die gleiche Erfahrung. Denn die Staatliche
Forstagentur, die die Holzauktionen organisiert, ist der Monopolist auf dem
ukrainischen Markt für Rundholz. Und die versorgt nicht nur Staatsbetriebe
unter dem eigenen Dach, sie verdient auch mit an dem Verkauf des begehrten
Rohstoffs an das kaufkräftige Ausland. Darum hat sich Evgénij Mándrik, wie
viele andere Unternehmer auch, dafür eingesetzt, den Holzexport per Gesetz
verbieten lassen. Am Ende, zu seiner eigenen Überraschung, hat es geklappt.
O-TON EVGENIJ MANDRIK
ÜBERSETZER:
Vor dem Moratorium haben wir gedacht, dass es für uns vorbei ist mit dem
Holz. Jetzt ist unsere Seele beruhigt, dass der Nachschub gesichert ist. Die
Europäer zahlen schließlich in harten Euro und Dollar. Aber wir können nur in
Grivna zahlen. Darum würden unsere Funktionäre den Wald am liebsten an
wen auch immer verschachern, nur nicht an uns. Und wir? Sollen wir etwa
Steine säen?
Musikakzent „Tu Romnie“
9
AUTORIN:
Nicht nur die Europäer, sondern auch die Staatliche Forstagentur steht in der
öffentlichen Kritik. In ihren Aufgabenbereich fällt alles, was auch nur entfernt
mit Waldpflege und Holzwirtschaft zu tun hat: Umwelt- und Artenschutz,
Rodung und Wiederaufforstung, Holzverkauf und Holzverarbeitung. Die
Behörde, die ihren Angestellten Monatsgehälter von durchschnittlich 230 Euro
auszahlt, hat ein Korruptionsproblem: Allein im Jahr 2016 wurden 744
Angestellte zur disziplinarischen Verantwortung gezogen, weil sie illegale
Rodungen veranlasst oder gedeckt hatten. 79 von ihnen wurden entlassen.
Gegen den Vorwurf der kommerziell betriebenen Kahlschlagpolitik aber
verwahrt sich die Forstagentur. Sie begründet die vielen Rodungen mit dem
Klimawandel: 2016 seien in den untypischen Dürreperioden der vergangenen
Sommer 36.000 Hektar Wald vertrocknet.
ATMO LOSFAHREN & DURCHS DORF FAHREN
AUTORIN:
Vadím Jakovyschyn hat einen Job, in dem er viel unterwegs ist: Als
Beauftragter für Wiederaufforstung managt der Forstbeamte die
Baumschulen, er legt Samenbanken an und begutachtet die Rodungsplätze.
Auch in seinem Zuständigkeitsgebiet blieb mancherorts nur der Kahlschlag als
Schutz vor einer drohenden Schädlingsplage. Die Gerüchte jedoch, unter dem
Dach der Staatlichen Forstagentur werde mehr gerodet als öffentlich bekannt,
ärgern den jungen Forstwirt.
O-TON VADIM JAKOVYSCHYN IM AUTO
ÜBERSETZER:
Es gibt viele Privatinteressen in der Holzbranche. Warum sonst sollte jemand
Gerüchte darüber verbreiten, was für schlimme Probleme es in unserer
Forstwirtschaft gibt, obwohl es die nie gegeben hat? Und es hat ja geklappt:
Am Ende hat dieses unsinnige Holzexport-Verbot das Parlament passiert.
10
Schuld daran sind Privatunternehmen. Sie haben ein Geschäftsinteresse
daran, unsere staatlichen Betriebe als Konkurrenz auszuschalten.
ATMO LKW STOPPEN
AUTORIN:
Vor der Windschutzscheibe taucht ein hoch beladener LKW auf. Der
Forstbeamte springt aus dem Wagen und winkt den Fahrer an den
Straßenrand. Dann inspiziert er mit Kennerblick die Ladung. Alle Stämme
tragen einen Plastikchip mit einer neunstelligen Nummer, die die Herkunft
jedes einzelnen Stammes rückvollziehbar machen soll.
O-TON VADIM JAKOVYSCHYN
ÜBERSETZER:
Auf der Website unserer Forstagentur kann man diese Nummer eingeben, und
dann erhält man sämtliche Informationen über den Stamm: Art, Länge und
Durchmesser.
ATMO PRODUKTIONSHALLE SÄGEWERK
AUTORIN:
Nachhaltig, rückvollziehbar und transparent für jeden Bürger: Das staatliche
Waldmanagement ist deutlich besser, als Medienberichte die Öffentlichkeit
glauben machen, findet Jakovyschyn. In dem Karpatenstädtchen Starschinzy,
vor dem Gelände eines kleinen Sägewerks, parkt er seinen Wagen. 41
Mitarbeiter hat der Betrieb der Staatlichen Forstagentur. Frauen in Kitteln und
Kopftüchern bedienen die Sägemaschinen: Hier werden Stämme zu Balken,
und Balken zu Brettern. Auf dem Hinterhof liegen haushohe Stapel mit
Buchenbrettern zur Abholung bereit.
11
O-TON TATJANA OSTAFITSCHUK
ÜBERSETZERIN:
Hier lagern wir die Bretter auf Paletten. Und das hier ist unsere
Trocknungsanlage. Hier wird das Holz getrocknet, bis es eine rote Farbe
annimmt. Und dann schicken wir es nach Ägypten.
ATMO SCHRITTE, QUATSCHEN DRINNEN
AUTORIN:
Tatjána Ostafitschúk, die leitende Ingenieurin, ist eine resolute Dame in ihren
40-ern. Verarbeitetes Holz in Form von Brettern oder Möbeln ist von dem
geltenden Holzexportverbot nicht betroffen, und so liefert der kleine
Staatsbetrieb seine Produkte ohne Einschränkung an Kunden von Nahost bis
Europa. Auch im eigenen Land steige das Interesse an hochwertigen
Holzprodukten, berichtet die Ingenieurin. An Aufträgen herrsche kein Mangel,
und auch ein Defizit an Rohstoffen kennt sie nicht.
O-TON TATJANA OSTAFITSCHUK
ÜBERSETZERIN:
Wir brauchen kein Holz von weit her zu bestellen, denn die Forstagentur
betreibt ja ihre eigenen Forstunternehmen. Wir brauchen dort also nur
bekanntzugeben, was wir benötigen. Alles stammt aus unserer Region und ist
zu 100 Prozent zertifiziert. Anderes Holz verarbeiten wir gar nicht, nur unser
eigenes.
ATMO SCHRITTE QUATSCHEN DRAUSSEN
AUTORIN:
Auf den Stapeln prangt eine waldgrüne Plakette mit den Buchstaben „FSC“.
Das internationale Siegel des „Forest Stewardship Council“ ist nachweislich
umweltfreundlichen Betrieben vorbehalten und soll illegale Rodungen
12
ausschließen. Vadím Jakovyschyn lächelt mit unverhohlenem Stolz: Die
ukrainische Holzwirtschaft, sagt er, ist bereit für den Weltmarkt.
O-TON VADIM JAKOVYSCHYN
ÜBERSETZER:
Wenn wir unsere Produkte exportieren wollen, dann will die EU – wie
inzwischen fast alle Staaten - das FSC-Siegel sehen. Heutzutage wollen alle
100-prozentig sicher gehen, dass es sich um Holz aus legalen Rodungen
handelt. Für eine FSC-Zertifizierung muss man bestimmte Auflagen erfüllen,
vom Artenschutz bis zu sozialen Kriterien wie die Einbindung der örtlichen
Bevölkerung. Wir setzen das alles gewissenhaft um, und bislang fahren wir
gut damit. Unser FSC-Zertifikat wurde gerade zum vierten Mal verlängert.
AUTORIN:
Über 50 000 Hektar Wald hat die Staatliche Forstagentur im Jahr 2016 durch
Kahlschlag roden lassen – eine Methode, die auf großflächigen Holzschlag
setzt, ohne die Bäume einzeln zu selektieren. Nach dem Gesetz müssen die
kahlen Flächen nach zwei Jahren wieder vollständig mit jungen Bäumen
bewachsen sein. Laut Forstagentur wird das durchgehend eingehalten. Aus
dem Weltall betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild. Die Auswertung von
Satellitenbildern durch die Organisation Globalforestwatch.org hat ergeben,
dass die Ukraine in den Jahren 2001 bis 2015 knapp 700.000 Hektar
Waldfläche verloren hat. Nachgewachsen ist nur gut die Hälfte.
ATMO JEEP AUF HUCKELPISTE
AUTORIN:
Mikóla hat von einer frischen Rodungsstelle gehört, die er besuchen will.
Hinter der Stadtgrenze öffnet sich der Blick auf eine sattgrüne Bergwelt, schon
bald geht die Straße in Serpentinen über. Doch je weiter sich der Wagen dem
Grenzgebiet nähert, desto öfter fressen sich kahle Flächen in den eigentlich so
dichten Wald. Eine Piste führt mitten ins Dickicht. Der Wagen ächzt: Hier
haben ungezählte, schwer beladene Fahrzeuge tiefe Krater hinterlassen. Von
13
einer Bergkuppe schaut man auf eine Wiesenlandschaft mit ein paar
übriggebliebenen Bauminseln. Mit finsterem Blick lauscht Mikóla dem
Geräusch einer Kettensäge, die irgendwo in der Gegend ihr Werk verrichtet.
O-TON MIKOLA PETICHENKO BEI DEN RODUNGEN
ÜBERSETZER:
Natürlich gehören Rodungen zur Waldpflege dazu. Aber das hier ist doch
keine Waldpflege! Hier legen sie alles in Schutt und Asche. Dabei ist das hier
offiziell ein Landschaftsschutzgebiet, Kahlschlag ist hier verboten! Aber so ist
das überall. Hier haben früher Eichen und Buchen gestanden, aber jetzt
wächst nur Gestrüpp nach. Besonders den teuren Eichen dichten sie
Krankheiten und Pilzbefall an. Dann können sie sie als Brennholz deklarieren
und fällen.
ATMO MÄNNERGRUPPE RUFEN, DORF
AUTORIN:
Unten, im Dorf Drátschinzy, hat sich ein Männergrüppchen rauchend bei der
Bushaltestelle versammelt. Wissen sie, was in den umliegenden Wäldern vor
sich geht?
ATMO JUNGER TYP FLUCHEN UND LACHEN
AUTORIN:
„Unser Land ist ein Saustall“, legt einer los, und lässt eine derbe Schimpftirade
folgen. Die Umstehenden lachen los. Doch sie werden schnell wieder ernst.
Seit Jahren benutzen die Forstfahrzeuge die Dorfstraße für ihre
Holztransporte, berichten sie dann.
O-TON BUSFAHRER IVAN
ÜBERSETZER:
Die fahren hier vorbei. Die steigen nicht aus und sprechen mit den Leuten.
Auch nicht, warum sie so oft des Nachts arbeiten. Sie haben den Auftrag:
Bäume fällen! und den führen sie aus. Wissen Sie, was mich daran am
meisten stört: Früher hat man nur im Winter gerodet. Jetzt aber schlagen sie
auch im Sommer! Wenn die Bäume grün sind! Das ist eine Sünde!
ATMO DORF
14
AUTORIN:
Der Mann stellt sich als Iván vor. Früher war er Polizist, heute beträgt seine
Rente umgerechnet 50 Euro im Monat. Er hat sich einen kleinen Reisebus
gekauft, und verdient damit seinen Lebensunterhalt.
O-TON BUSFAHRER IVAN
ÜBERSETZER:
Wie oft haben wir schon protestiert! Wie oft haben wir die Straße blockiert,
damit die Transporter nicht zum Wald durchkommen. Damit sind wir sogar ins
Fernsehen gekommen – doch keine Reaktion! Nichts hat sich geändert.
Letztes Jahr haben sie mit ihren schweren Maschinen in der Nähe eine
Brücke zerstört. Und wer hat die Reparatur bezahlt? Die Leute, die dort am
Fluss wohnen – mit ihrem privaten Geld!
ATMO MÄNNERQUATSCHEN
AUTORIN:
Wald gerodet wird großflächig, wiederaufgeforstet spärlich, bestätigen die
Dorfleute. Sie zeigen auf die Häuser, die sich entlang der Landstraße
aufreihen: Viele sind verfallen, ihre Fenster sind tot. Der Karpatenwald,
erzählen sie, hat seit Generationen das Leben und den Alltag der Menschen
bestimmt. Er lieferte ihnen Baumaterial, Brennstoff und verlässliche
Arbeitsplätze als Holzfäller, Tischler oder Jäger. Jetzt aber ziehen die jungen
Leute weg. Wer in den ukrainischen Großstädten keine Arbeit findet, verdingt
sich in Rumänien, England oder Deutschland als Kindermädchen oder
Altenpfleger, Trockenbauer oder Fliesenleger. Das Drátschinzy der Gegenwart
ist ein Dorf der Großeltern und Enkelkinder, das von Überweisungen aus dem
Ausland lebt. Doch auch damit, fürchten die Leute, könnte es bald vorbei sein:
Der Klimawandel gefährdet die Grundwasserversorgung. Wie es weitergeht,
das wissen sie nicht.
15
O-TON GREIS
ÜBERSETZER:
Früher gab es so etwas nicht. Aber dann kam diese schreckliche
Sommerhitze, ohne jeden Regen. Die Leute, die höher in den Bergen wohnen,
sind noch schlimmer dran, ihre Brunnen sind noch früher ausgetrocknet. Jetzt
müssen wir unser Wasser kaufen, und das wird immer teurer. Im Sommer
habe ich drei Tonnen in meinen Brunnen gegossen. Am nächsten Morgen
stehe ich auf, da ist es schon versickert.
AUTORIN:
Im Jahr 2014, bevor das Moratorium in Kraft trat, hat die Ukraine 2,5 Millionen
Kubikmeter Qualitäts-Rundholz exportiert, davon 90 Prozent in die
Europäische Union. Ukrainische Bäume für europäische Konsumgüter - wird
es bald so weitergehen, wie es vor 2015 war? Will Brüssel gar die Ukraine
zwingen, ihren Wald dem Kahlschlag preiszugeben? Die EU-Kommission
verwahrt sich gegen diesen Vorwurf. Man teile den Wunsch der ukrainischen
Bevölkerung, Natur und Wälder zu schützen, und werde die Einrichtung von
Schutzzonen unterstützen, teilt sie auf einer Internetseite mit. Das Export-
Moratorium jedoch verstoße gegen den Freihandel, heißt es weiter. Es habe
sich als Instrument des Waldschutzes als untauglich erwiesen. Mehr noch: Es
habe illegalen Kahlschlag und Holzschmuggel profitabler gemacht.
ATMO CAFETERRASSE
AUTORIN:
Mikóla zieht tief an seiner Zigarette. Ja, tatsächlich. Kahlschlag und
Holzschmuggel sind seit Inkrafttreten des Moratoriums keinesfalls geringer
geworden, das hat er selbst beobachtet. Den Holzexport-Stopp zu beenden,
hält er dennoch für falsch.
O-TON MIKOLA PETITSCHENKO
ÜBERSETZER:
Wieviel Holz exportiert die Ukraine dem Moratorium zum Trotz! Wenn sie den
Exportstopp aussetzen, dann werden sie legal noch zehn Mal mehr
exportieren! Und wir, die einfachen Leute, sind machtlos! Dann können wir
16
nicht einmal mehr die Illegalität der Exporte nachweisen. Die Europäer
interessieren sich einen Dreck für die Gründe unseres Moratoriums. Sie
wollen Fenster und Türen aus Naturstoff – und den kriegen sie nirgendwo
billiger als bei uns. Denn bei uns wird der illegale Kahlschlag von der
Regierung und vom Gesetz gedeckt - das ist bequem für alle! Abertausende
Hektar Wald verschwinden – und alle schweigen dazu!
ATMO RANGIEREN
AUTORIN:
Stämme in Stapeln, Bretter in Packen, Späne in Haufen: Das Städtchen
Berehomét, auf halber Strecke zwischen Tschernivzy und der rumänischen
Grenze, ist ein bedeutendes Zentrum des holzverarbeitenden Gewerbes. Hier
reiht sich Sägewerk an Sägewerk. Die Lebensader des Ortes ist seit
Sowjetzeiten eine Eisenbahnstecke, die von hier aus direkt ins rumänische
Radaúti führt – dorthin, wo die österreichischen Konzerne Schweighofer und
Egger sowie weitere rumänische Holzbetriebe ihren Sitz haben. Mikóla
Petischénko steht am Rande des Bahngeländes und beobachtet einen
Lastkran, der Stämme von einem LKW auf die Waggons lädt.
O-TON MIKOLA PETICHENKO
ÜBERSETZER:
Hier, bei den Gleisen, ist der Startpunkt für die Waggons. Schauen Sie sich
diese Fuhre an! Das ist Eiche, die wertvollste Holzart. Vielleicht sind nicht
sämtliche Stämme von höchster Qualität, aber es sind viele gesunde Bäume
darunter, das kann man sehen. Um sie nach Rumänien exportieren zu
können, werden sie als Brennholz deklariert.
ATMO RANGIEREN
AUTORIN:
Wird an Verladestellen wie diesen systematisch hochwertiges Rundholz unter
das minderwertige gemischt? Dieser Verdacht wird in den Medien geäußert.
Auch Mikola ist sich sicher, dass „Brennholz“ das Zauberwort des illegalen
Holzexports ist. Das morsche Holz kranker Bäume, unbrauchbar für die
17
Weiterverarbeitung, ist die einzige Art von Rundholz, die ins Ausland verkauft
werden darf.
O-TON MIKOLA PETICHENKO
ÜBERSETZER:
Brennholz – das kostet Kopeken, und wird in der Ukraine angeblich nicht
nachgefragt. Das Holz, das hier gerade umgeladen wird, ist aber kein
Brennholz, es wird nur zugeschnitten wie Brennholz: in zwei Meter lange
Stücke. In Europa bauen sie dann Möbel daraus – obwohl doch unsere
Beamten hier herumtönen, dass das Holz bei uns keiner haben will. Daran
verdienen sie gutes Geld.
ATMO RANGIEREN DANN MUSIK „HORA EVREIASCA“
AUTORIN:
Es sind Forstbeamte und Waldarbeiter mit einem Monatsgehalt von 230 Euro,
die mehrere teure Autos fahren und ihren Familien Villen auf riesigen
Anwesen bauen. Sie schreiben gesunde Bäume krank, holzen vier Hektar ab,
wo nur drei zum Kahlschlag freigegeben sind, stufen junge Bäume im Alter
hoch, um sie als erntereif zu erklären. Sie rechnen Stammdurchmesser klein,
stellen lächerliche Preise in Rechnung und wirtschaften den Rest in die eigene
Tasche. Der Betrug ist leicht, der Nachweis in der Lieferkette aber schwer.
ATMO STOP AND GO
AUTORIN:
PKW, Transporter, Busse – in quälend langsamem Stop-and-Go bewegt sich
die Autoschlange in Richtung Schlagbaum. Auf einem abgetrennten
Seitenstreifen schleppen verschwitzte Fußgänger zusammengeschnürte
Packen an den wartenden Autos vorbei in Richtung Passkontrolle. Die Grenze
zur Europäischen Union: Hier stoßen zwei Wirtschaftsräume mit extrem
ungleichen Preisniveaus aufeinander – und das eröffnet den Bewohnern des
Grenzgebietes diverse Verdienstmöglichkeiten.
18
ATMO WARTEN, SUMMEN
AUTORIN:
Durch die Windschutzscheibe kann man von ferne die Flagge der Republik
Rumäniens sehen. Dima, der Fahrer, startet den Motor für eine weitere Drei-
Meter-Fahrt. Mikola beobachtet mit Argusaugen drei Kleintransporter, die auf
rumänischer Seite entgegenkommen. Sie fahren an den wartenden Autos
vorbei schnurstracks zum Kontrollpunkt und stoppen am Seitenstreifen. Der
Zollbeamte händigt den Fahrern die Pässe aus, und schon rollen sie über die
Grenze.
ATMO STOP AND GO
O-TON MIKOLA PETICHENKO
ÜBERSETZER:
Diese Busse werden zur Kontrolle nicht geöffnet – sie fahren einer nach dem
anderen in die Ukraine. Den Dokumenten nach sind sie leer. Diese Brüder
verdienen Millionen mit ihrer Ware und zahlen keine Steuern: Kleider,
Baumaterialien, Mäntel, teure Hosen – das geht alles auf den ukrainischen
Markt.
ATMO LIED IM AUTO
AUTORIN:
„Bukovina, meine Heimat“: ein rumänischer Schlager, der die Schönheit der
Karpaten preist. Die Realität aber sieht anders aus: Rodungen haben in den
vergangenen Jahren auch in den rumänischen Karpaten weite Flächen
entwaldet, ein großer Teil davon geht auf das Konto illegaler Holzfäller.
Gute 20 Kilometer sind es von der Grenze bis nach Radauti, ein wichtiges
Zentrum der rumänischen Holzverarbeitungsindustrie. Einer der größten hier
ist ein Betrieb der österreichischen "Holzindustrie Schweighofer".
ATMO HOLZTRANSPORTBAND
19
AUTORIN:
Hallen, LKWs, Kraftwärmekopplungsanlagen, die qualmenden Öfen eines
Biomassekraftwerks und Gebirge aus Holz in allen Stadien der Verarbeitung.
Vor den Toren der Stadt Radaúti teilt sich Schweighofer ein weitläufiges
Gewerbegebiet mit dem Holzkonzern Egger, einem weiteren EU-
Branchenriesen. Schweighofer-Pressesprecherin Luciána Petréscu steht vor
dem verglasten Eingangsportal des Verwaltungsgebäudes, und lädt mit
ausgebreiteten Armen zu einer Tour über das Werksgelände ein.
O-TON LUCIANA PETRESCU
ÜBERSETZERIN:
Wir können stolz sagen, dass seit den Anfangsjahren 800 Millionen Euro in
Rumänien investiert wurden. In unseren fünf rumänischen Produktionsstätten
beschäftigen wir 3100 Mitarbeiter, und wir haben in den vergangenen fünf
Jahren um die 100 Millionen Euro Steuern gezahlt.
ATMO BETRIEBSGELÄNDE NEUTRAL KLOPFEN AUF HOLZ:
AUTORIN:
Schweighofer steht derzeit international in den Schlagzeilen: Umweltverbände
werfen den Österreichern vor, in den Produktionsstätten große Mengen an
illegal gerodetem Holz verarbeitet zu haben. Die Zertifizierungsstelle für
nachhaltigen Holzhandel, Forest Stewardship Council, hat die Vorwürfe
überprüft – und vieles bestätigt gefunden: Im Februar 2017 hat Schweighofer
das FSC-Gütesiegel verloren.
SPRECHER:
„Der internationale FSC Vorstand traf diese Entscheidung aufgrund
zusätzlicher Informationen über mögliche Regelverstöße der Schweighofer
Gruppe bei der Holzvermessung. Für eine Einschätzung zu Umfang und
Auswirkung dieser Regelverstöße ist eine weitere Untersuchung gemäß der
FSC Policy for Association notwendig.“
20
AUTORIN:
Seitdem kämpft Schweighofer bei Kunden und Aktionären gegen sein Image.
O-TON LUCIANA PETRESCU
ÜBERSETZERIN:
Es ist wichtig, zu unterstreichen, dass sich unsere Unternehmenspolitik an
hohen ethischen Standards und Professionalität orientiert. Mit unseren
Zulieferern und Partnern arbeiten wir nur nach zahlreichen Checkups
zusammen. Wir haben ein sehr strenges Due Dilligence System, wir sind stolz
darauf, dass wir freiwillig höhere Standards umsetzen als die Gesetzgebung in
Rumänien es erfordert. Und das verlangen wir auch von allen unseren
Partnern.
ATMO PRODUKTIONSBAND
AUTORIN:
Die Produktionshalle duftet nach Harz: eine Landschaft aus Werkbänken,
rotierenden Walzen, Hebebühnen, Containern, Balustraden. Der Lärm der
Sägeblätter ist ohrenbetäubend. Vasíle Varvarói ist bei Schweighofer
zuständig für den Holzeinkauf.
O-TON VASILE VARVAROI
ÜBERSETZER:
Wir verwenden unser Rohmaterial zu 100 Prozent. Wir stellen hochwertiges
Schnittholz her, aus den Reststoffen produzieren wir Heizpellets und Brickets
für die thermoelektrische Energieerzeugung. Wir nutzen das Holz ganz aus.
ATMO PRODUKTIONSBAND HOLZKLAPPERN
AUTORIN:
Tischlerplatten, Konstruktionsholz und andere hochwertige Produkte gehen in
über 70 Abnehmerstaaten. Bis zu 1,4 Millionen Kubikmeter Holz verarbeitet
allein das Sägewerk in Radaúti pro Jahr – eine von fünf Produktionsstätten,
die Schweighofer in Rumänien betreibt.
21
ATMO BETRIEBSGELÄNDE
Draußen herrscht reger LKW-Verkehr. An der Einfahrtsstraße zum
Betriebsgelände wartet eine neue Holzlieferung auf die Abfertigung.
O-TON VASILE VARVAROI
ÜBERSETZER:
Hier stehen wir an einem der wichtigsten Orte unseres Sägewerks: Der erste
Kontrollpunkt, bevor das Holz in unser Sägewerk hereingebracht wird. Hier
kontrollieren unsere Kollegen alle Dokumente, ob sie der rumänischen und der
europäischen Gesetzgebung sowie unseren internen Standards entspricht.
ATMO LKW
AUTORIN:
Die „internen Standards“ gelten seit Frühjahr 2017 für alle Zulieferbetriebe.
„Timflow“ hat der Konzern das GPS-basierte System genannt, das jede
einzelne Holzlieferung rückvollziehbar machen soll, vom Wald bis zum
Werkstor. Varvarói schaut dem jungen Mitarbeiter über die Schulter, der
neben dem LKW steht, und die GPS-Daten auf dem Lieferschein mit der
Holzladung abgleicht.
O-TON VASILE VARVAROI
ÜBERSETZER:
Hier stehen die GPS-Koordinaten. Die Lieferung kommt aus Ródena, das liegt
etwa 70 Kilometer von Radauti entfernt. Danach kontrolliert er das Holz, ob
das alles plausibel ist. Bevor der Fahrer die Rodungsstelle verlassen hat, hat
er ein Foto von der Ladung gemacht. Und hier gleichen wir ab, ob Foto und
Ladung übereinstimmen.
AUTORIN:
Die internen Kontrollen haben in den vergangenen Monaten eine erhebliche
Zahl an Unregelmäßigkeiten ans Tageslicht gebracht. Von 81 Holzlieferanten
22
hat sich das Unternehmen inzwischen getrennt. Varvaroi hofft, dass
Schweighofer das Nachhaltigkeitssiegel des FSC bald zurückbekommt.
O-TON VASIL VARVAROJ
ÜBERSETZER:
Wir erfüllen alle Anforderungen der FSC-Systems. Auch jetzt, während wir
Gespräche über unsere Reassoziierung führen. Wir führen eine proaktive
Diskussion, und erfüllen alle Standards.
ATMO RUMPELFAHRT
AUTORIN:
Mikóla Petitschénko und sein Freund Dima sind der Eisenbahnstrecke gefolgt,
die vom ukrainischen Berehomét aus nach Rumänien führt. Die kleine Straße
neben den Gleisen ist übersät mit Schlaglöchern. Sie endet auf einem Platz
mit Dutzenden Eisenbahnwaggons. Einige sind leer, andere voll beladen mit
Baumstämmen.
O-TON MIKOLA PETICHENKO IM AUTO
ÜBERSETZER:
Das sind ukrainische Waggons, das können wir an den Nummern an der Seite
nachvollziehen. Das ist Rundholz, aber ob es Nutzholz oder Brennholz ist, das
ist nicht zu erkennen. Fahr doch mal dort drüben hin, vielleicht kann man dort
mehr sehen ...
AUTORIN:
Erlaubtes ukrainisches Brennholz oder illegales ukrainisches Qualitätsholz?
Viele der Waggons tragen einen zusätzlichen Sichtschutz, was sie enthalten,
ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Mikola Petitschenko und sein Freund
brechen die Erkundung ab. Sie führen ohnehin einen Kampf auf verlorenem
Posten.
23
ATMO Pressekonferenz
AUTORIN:
Brüssel am 10. Februar 2017. Gutgelaunt tritt EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker vor die Presse. Er hat gerade seine Konsultationen mit
dem ukrainischen Premierminister Volodymyr Groysman beendet. Es ging um
die Fortschritte bei den Reformen, zu denen die Ukraine verpflichtet ist, seit
sie das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterschrieben
hat.
O-TON JUNCKER
ÜBERSETZER:
Ich muss sagen, dass die Ukraine seit zwei oder drei Jahren ihre Reformen
umfänglicher umsetzt als in all den 20 Jahren vorher. Derzeit bereitet die
ukrainische Regierung einen wichtigen Gesetzesentwurf vor: Das geltende
Moratorium über den Export von Rundholz soll wieder ausgesetzt werden.
Damit sehe ich alle Bedingungen erfüllt, um unsere Finanzhilfen in Höhe von
600 Millionen Euro anzuweisen, auf die die Ukrainer warten.
AUTORIN:
600 Millionen Euro, Teil des groß angelegten EU-Unterstützungsprogramms
für die Ukraine. Im April zahlte die EU-Kommission die Finanzhilfe aus. Im
ukrainischen Parlament läuft das Gesetzgebungsverfahren zur Aussetzung
des Exportmoratoriums.
MUSIKAKZENT
O-TON MIKOLA PETITSCHENKO
ÜBERSETZER:
Wir haben uns zu Protesten in Kiew versammelt, als unsere Regierung
ankündigte, dass sie das Holzexport-Moratorium wieder aufheben will. Ich
habe damals gesagt: Lasst uns mit unseren Plakaten direkt zur Vertretung der
24
Europäischen Union ziehen! Sagen wir den Europäern: „Ihr seid das Problem!
Seht ihr das denn nicht?“. Aber natürlich sehen die Europäer das – es
interessiert sie bloß nicht! Sie küssen unseren korrupten Funktionären die
Hintern. Sie sagen: „Gebt uns euren Wald! Wir kaufen ihn billig, und machen
dann selbst das große Geld damit!“ Am Ende können wir unser Holz als
Bretter und Parkett von ihnen zurückkaufen – und zwar zum europäischen
Preis!“.
MUSIK „BESH O DROM“
AUTORIN:
Das Handy klingelt, es ist Mikólas Kollege aus der Aktivistengruppe, Valéra.
Die Polizei habe die Frachtpapiere der Holzwaggons am Bahnhof Tschernivcy
nicht auftreiben können, berichtet er. Tief zieht Mikola an seiner Zigarette. Ist
es für die Polizei tatsächlich ein Problem, die Legalität einer Holzlieferung zu
überprüfen? Wissen die Beamten mehr als sie zugeben? Wo ist der Zug jetzt?
Ein Rauchwölkchen steigt empor, steht eine Weile über dem Tisch und
verflüchtigt sich in der ukrainischen Sommerbrise.
MUSIK „BESH O DROM“
ABSAGE
Kahlschlag in der Bukowina
Der Ausverkauf der Altwälder in den Karpaten
Ein Feature von Andrea Rehmsmeier
Es sprachen: Frauke Poolman, Anja Bilabel, Volker Risch, Thomas Balou Martin,
Hans Gerd Kilbinger und Richard Hucke
Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Thomas Widdig
Regie: Wolfgang Rindfleisch
Redaktion: Wolfgang Schiller
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2017.
MUSIK „BESH O DROM“