das buch numeri jenseits der quellentheorie. eine redaktionsgeschichte von num 20–24 (teil i)

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ZAW 123. Bd., S. 171–183 DOI 10.1515/ZAW.2011.011 © Walter de Gruyter 2011 Das Buch Numeri jenseits der Quellentheorie Eine Redaktionsgeschichte von Num 20–24 (Teil I) Rainer Albertz (Am Stenpatt 8, D-48341 Altenberge; [email protected]) 1. Die Schwierigkeiten der Quellentheorie mit dem Numeribuch Die klassische Drei-Quellentheorie, die zuerst an den Texten des Buches Genesis entwickelt wurde, hatte schon immer Schwierigkeiten, die Ent- stehung des Numeribuches angemessen zu erklären. Viele Beobachtun- gen, die ganz unterschiedlichen Inhalte dieses Buches, das Fehlen eines klaren Aufbaus, 1 die Unklarheit seiner chronologischen und topographi- schen Angaben 2 und das seltsame Durcheinander von narrativen und le- gislativen Abschnitten 3 weisen in Richtung auf einen komplizierten Ent- stehungsprozess, den dieses Buch durchlaufen haben muss. Zu seiner Aufhellung bot aber das relativ schlichte Modell dreier Quellen und zwei bis drei sie verbindender Redaktoren nur ein begrenztes Erklärungs- potential; ja, die Quellentheorie konnte eigentlich nie erklären, warum das Buch Numeri ein so ganz anderes Aussehen als die Bücher Genesis oder Exodus aufweist, obgleich nach ihr hier wie dort dieselben Quel- len zugrunde lagen und die gleichen Redaktoren arbeiteten. Bekanntlich stellte schon M. Noth 1966 in der Einleitung seines Numeri-Kommenta- res fest: »Nimmt man das 4. Mosebuch für sich, so käme man nicht so 1 T. Römer, Israel’s Sojourn in the Wilderness and the Construction of the Book of Numbers, in: R. Rezetko u.a. (Hg.), Reflection and Refraction. Studies in Biblical Historiography in Honour of A. Graeme Auld, VT.S 113, 2007, 419–445, bemerkt dazu zutreffend: »Numbers is indeed the only book of the Pentateuch where commentators need several pages to justify their idea of the structure of the book and to refute others« (427); vgl. z.B. die Diskussion der kontroversen Gliederungsvorschläge bei J.-L. Ska, Introduction to Reading the Pentateuch, 2006, 35–38. 2 Vgl. Ska, Introduction (Anm. 1), 36; so scheint etwa die 40-jährige Wüstenwanderung, die JHWH Israel für die Verschmähung des gelobten Landes auferlegte (Num 14,20–25), für den Autor von Num 21,4ff. nach dem Kadesch-Aufenthalt, für den Autor von Num 33 dagegen vor demselben stattzufinden (vgl. V. 19–36). 3 Während im Eingangs- (Num 1–10) und Schlussteil (Num 25–36) des Buches die legis- lativen und listenartigen Texte vorherrschen, wechseln im Mittelteil (Num 11–24) nar- rative und legislative Abschnitte (vgl. Num 15; 18; 19) in bunter Folge ab. Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 9/15/13 3:57 PM

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Page 1: Das Buch Numeri jenseits der Quellentheorie. Eine Redaktionsgeschichte von Num 20–24 (Teil I)

ZAW 123. Bd., S. 171–183 DOI 10.1515/ZAW.2011.011© Walter de Gruyter 2011

Das Buch Numeri jenseits der QuellentheorieEine Redaktionsgeschichte von Num 20–24

(Teil I)

Rainer Albertz

(Am Stenpatt 8, D-48341 Altenberge; [email protected])

1. Die Schwierigkeiten der Quellentheorie mit dem Numeribuch

Die klassische Drei-Quellentheorie, die zuerst an den Texten des BuchesGenesis entwickelt wurde, hatte schon immer Schwierigkeiten, die Ent-stehung des Numeribuches angemessen zu erklären. Viele Beobachtun-gen, die ganz unterschiedlichen Inhalte dieses Buches, das Fehlen einesklaren Aufbaus,1 die Unklarheit seiner chronologischen und topographi-schen Angaben2 und das seltsame Durcheinander von narrativen und le-gislativen Abschnitten3 weisen in Richtung auf einen komplizierten Ent-stehungsprozess, den dieses Buch durchlaufen haben muss. Zu seinerAufhellung bot aber das relativ schlichte Modell dreier Quellen undzwei bis drei sie verbindender Redaktoren nur ein begrenztes Erklärungs-potential; ja, die Quellentheorie konnte eigentlich nie erklären, warumdas Buch Numeri ein so ganz anderes Aussehen als die Bücher Genesisoder Exodus aufweist, obgleich nach ihr hier wie dort dieselben Quel-len zugrunde lagen und die gleichen Redaktoren arbeiteten. Bekanntlichstellte schon M. Noth 1966 in der Einleitung seines Numeri-Kommenta-res fest: »Nimmt man das 4. Mosebuch für sich, so käme man nicht so

1 T. Römer, Israel’s Sojourn in the Wilderness and the Construction of the Book of Numbers,in: R. Rezetko u.a. (Hg.), Reflection and Refraction. Studies in Biblical Historiographyin Honour of A. Graeme Auld, VT.S 113, 2007, 419–445, bemerkt dazu zutreffend:»Numbers is indeed the only book of the Pentateuch where commentators need severalpages to justify their idea of the structure of the book and to refute others« (427); vgl.z.B. die Diskussion der kontroversen Gliederungsvorschläge bei J.-L. Ska, Introductionto Reading the Pentateuch, 2006, 35–38.

2 Vgl. Ska, Introduction (Anm. 1), 36; so scheint etwa die 40-jährige Wüstenwanderung,die JHWH Israel für die Verschmähung des gelobten Landes auferlegte (Num 14,20–25),für den Autor von Num 21,4ff. nach dem Kadesch-Aufenthalt, für den Autor vonNum 33 dagegen vor demselben stattzufinden (vgl. V. 19–36).

3 Während im Eingangs- (Num 1–10) und Schlussteil (Num 25–36) des Buches die legis-lativen und listenartigen Texte vorherrschen, wechseln im Mittelteil (Num 11–24) nar-rative und legislative Abschnitte (vgl. Num 15; 18; 19) in bunter Folge ab.

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leicht auf den Gedanken ›durchlaufender Quellen‹, sondern eher aufden Gedanken an eine unsystematische Zusammenstellung von zahllosenÜberlieferungsstücken sehr verschiedenen Inhalts, Alters und Charakters(›Fragmentenhypothese‹).«4 Nur weil das Numeribuch Teil des Penta-teuch ist und die Quellentheorie gute Resultate an anderer Stelle erbrachthatte, fühlte sich Noth berechtigt, sie auch hier zu verwenden. Dochwarnte er davor, die Texte des Numeribuches einfach auf die Quellen J, Eoder P aufteilen zu wollen, ohne den besonderen Charakter dieses Bucheszu berücksichtigen. Noth bezeichnete selber eine Vielzahl von Passagendes Numeribuches als ›nicht-quellenhaft« und rechnete mit ihrer spätenEntstehung.5 Damit begann schon er, den Geltungsbereich der Quellen-theorie im Numeribuch einzuschränken.

Die beiden jüngsten deutschen Kommentare zum Numeribuch fol-gen zwar noch dem Paradigma der Quellentheorie, doch weisen sie er-hebliche Anteile des Textes späten Redaktionsschichten zu, so L. Schmidtder Pentateuchredaktion, die er in die erste Hälfte des 4. Jh. v.Chr. da-tiert, aber noch bis in hellenistische Zeit mehrfach ergänzt sieht,6 undH. Seebass einer Numeri-Komposition, die er überhaupt erst an das Endedes 4. Jh. setzt.7 Seebass scheut sich nicht, mehr als die Hälfte der Texteim Numeribuch dieser späten Redaktion zuzuweisen.8 Dies bedeutet,dass bei ihm nur noch weniger als der halbe Textbestand des Buches mitHilfe der Quellentheorie erklärt wird. Dabei wird in beiden Kommenta-ren, so gelehrt sie sind, eine strukturelle Schwäche der Quellentheorieunübersehbar: Da in ihrem Rahmen nie klar definierte Redaktionsschich-ten und Sigla jenseits der drei Quellen, ihrer möglichen Ergänzungen undRedaktoren ausgearbeitet worden sind,9 wird das »nicht-quellenhafte«Material mehr oder minder pauschal einer einzigen späten Schicht zuge-wiesen, obgleich es durchaus einer weiteren Differenzierung bedürfte.

Ich sehe fünf Hauptschwächen der Quellentheorie gegenüber einemflexiblen kompositions- und redaktionsgeschichtlichen Modell:

1. die Beschränkung auf drei wesentliche redaktionelle Ebenen,2. das Festhalten an der ursprünglichen Selbständigkeit der Quellen

selbst dort, wo gegenseitige Bezugnahmen offensichtlich sind,

4 M. Noth, Das vierte Buch Mose. Numeri, ATD 7, 1966, 8.5 Noth, Numeri (Anm. 4), 9.6 S. L. Schmidt, Das 4. Buch Mose. Numeri: Kapitel 10,11–36,12, ATD 7,2, 2004, 3–5.9.7 S. H. Seebass, Numeri. 2. Teilband: Numeri 10,11–22,1, BK IV/2, 2003; Ders., Numeri.

3. Teilband: Numeri 22,2–36,13, BK IV/3, 2007; und die Übersicht: Ders., Das BuchNumeri in der heutigen Pentateuchdiskussion, in: T. Römer (Hg.), The Book of Leviticusand Numbers, BEThL 215, 2008, 234–259, bes. 238f.

8 Vgl. die Aufstellung, Seebass, Buch (Anm. 7), 238f.; hinzu kommen noch einige rechtumfangreiche Nachträge.

9 Abgesehen vom Deuteronomium, das immer als eine Ergänzung zu den Quellenwerkenangesehen wurde.

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3. die unbewiesene Annahme, dass diese literarischen Schichten mehroder minder die gesamte Pentateuch-Erzählung enthalten habenmüssten,10 eine Annahme, die das unterschiedliche literarischeProfil, das jedem der fünf Bücher zukommt, tendenziell einebnet,

4. das Vorurteil, dass die nicht-priesterlichen Schichten weitgehendals vorpriesterlich betrachtet werden,11

5. das Faktum, dass die Theorie nie genau genug dahingehend aus-gearbeitet wurde, dass ältere, jüngere und sehr späte priesterlicheSchichten bzw. Kompositionen unterschieden werden können.12

Insbesondere im Numeribuch, das viel spätes Textmaterial enthält, ist miteiner mehrfachen Abfolge von nicht-priesterlichen und priesterlichen Re-daktionen zu rechnen.

2. Die relative Chronologie der Texteinheiten von Num 20–24

Die Kapitel 20 und 21 gehören zu den schwierigsten Passagen des Nume-ribuches,13 so ist es kein Wunder, dass auch das Erklärungspotential derQuellentheorie hier schon bald an seine Grenzen stieß.14 Die beiden Ka-pitel sind literarisch mit der Bileam-Erzählung (Num 22–24) verbun-

10 Vgl. die Rede von den »durchlaufenden Quellen«, auch wenn der genaue Anfang unddas genaue Ende der einzelnen Quellenwerke bis heute umstritten blieben.

11 Vgl. den Begriff »die alten Quellen«, um J und E im Unterschied zu P zu bezeichnen.12 Vgl. die ungenauen und von den einzelnen Forschern unterschiedlich gebrauchten Sigla Ps

und Pss. Das ganze Interesse lag auf der Herausarbeitung von Pg. Einen ersten Ansatz in dieo.g. Richtung lieferte I. Knohl, The Sanctuary of Silence. The Priestly Torah and the Holi-ness School, 1995, mit der Postulierung der Redaktionsarbeit einer »Holiness School«(HS), die P ergänzt und verändert habe; doch wurde dieser Ansatz bis heute nicht kritischausgearbeitet und für eine Weiterentwicklung des Quellenmodells fruchtbar gemacht.

13 Zusammengehörige priesterliche Passagen (Num 20,1–13.22–29) sind durch eine nicht-priesterliche durchbrochen (20,14–21), und auch die nicht-priesterlichen Passagen20,14–21; 21,1–3.4–9.10–20.21–35 scheinen keine sinnvolle Geschehensfolge darzu-stellen.

14 So hat M. Noth, Nu 21 als Glied der »Hexateuch«-Erzählung, in: Ders., Aufsätze zurbiblischen Landes- und Altertumskunde, Bd. 1, 1971, 75–101, schon 1940 an diesemKapitel aufzeigen wollen, »daß in Nu 21 mit der einfachen Zerlegung des überliefertenBestandes in die vor allem aus Gn und Ex bekannten ›Quellen‹ nicht durchzukommen ist,daß hier vielmehr die redaktionelle Arbeit tiefer eingegriffen und spätere Ergänzungeneinen breiteren Raum eingenommen haben, als man gewöhnlich annimmt« (93). Als »re-daktionell« stufte er dabei 21,4–9.10–20 und die Stellung von 21,1–3 ein. Noch einenSchritt weiter ging jüngst C. Frevel, Understanding the Pentateuch by Structuring the De-sert. Numbers 21 as a Compositional Joint, in: J. van Ruiten / J. C. de Vos (Hg.), TheLand of Israel in the Bible, History and Theology (Festschrift Noort), VT.S 124, 2009,111–135; er möchte die Abschnitte Num 21,1–3.4–9.10–20 als redaktionelle Verarbei-tung älterer oder jüngerer mündlicher Überlieferung begreifen, die nicht Bestandteil deralten Quellen war (ebd., 124–135).

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den,15 der einzigen Erzählkomposition im Numeribuch. So eignen sichdiese Kapitel besonders für eine neue kompositions- und redaktionskriti-sche Untersuchung.

Num 20–24 besteht aus 10 kleineren und größeren textlichen Ein-heiten:

Schon eine oberflächliche Durchsicht der priesterlichen Abschnitte vonNum 20 lässt erkennen, dass die beiden Erzählungen über das Wasser-wunder (V. 1–13) und über den Tod Aarons (V. 22–29) ursprünglich

15 Vgl. den expliziten Rückbezug in Num 22,2: »Als Balak ben Zippor all das sah, wasIsrael den Amoritern angetan hatte«.

1. 20,1–13 die priesterliche Erzählung vom Wasserwunder in Kadesch-Meriba (vgl. Ex 17,1–7), die zu begründen sucht, warum Aa-ron und Mose vor der Einwanderung in das verheißene Landstarben

2. 20,14–21 die nicht-priesterliche Erzählung darüber, wie Israels Bitte,Edom zu durchziehen, zurückgewiesen wird; Israel muss ab-drehen

3. 20,22–29 die priesterliche Erzählung vom Tode Aarons auf dem BergHor als Folge des Strafurteils JHWHs in 20,12; Eleasars Ein-setzung zum Nachfolger

4. 21,1–3 die nicht-priesterliche Notiz von einem Angriff der Kanaanäerauf Israel; dieses erringt aufgrund eines Bann-Gelübdes denSieg; Horma-Ätiologie

5. 21,4–9 die nicht-priesterliche Erzählung von Israels letzten Klagen ge-gen Gott und Mose in der Wüste; JHWHs Strafe, die Bedro-hung durch beißende Schlangen, wird durch ein heilendesSchlangensymbol gestoppt

6. 21,10–20 ein nicht-priesterliches Itinerar, das Israel zu einem Tal in derSteppe Moabs führt, das in Richtung auf den Gipfel des Pisgaliegt

7. 21,21–32 die nicht-priesterliche Erzählung darüber, wie Israels Bitte, dasLand der Amoriter zu durchziehen, mit Feindschaft beantwor-tet wird; Israel schlägt Sihon, den König der Amoriter, undlässt sich in seinem Land nieder

8. 21,33–35 ein kurzer nicht-priesterlicher Bericht darüber, wie Israel Og,den König von Basan, schlug

9. 22,1 eine priesterliche Itinerar-Notiz, die Israel in die Gefilde Mo-abs gegenüber von Jericho führt

10. 22,2–24,19.25 die ausführliche nicht-priesterliche Bileam-Erzählung darüber,wie Balak, der König von Moab, den Seher Bileam engagiert,um Israel zu verfluchen und zu dezimieren; JHWH zwingtBileam, Israel zu segnen; eine abschließende Ankündigung,dass Moab und Edom ihr unsolidarisches Verhalten gegenüberIsrael später vergolten werden wird

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zusammengehörten. Das göttliche Strafurteil über Mose und Aaron vonV. 12 wird zunächst an Aaron exekutiert.16 Der Vers 24 bezieht sichunmittelbar auf den Ungehorsam der beiden Führer zurück (V. 10–11).Beide Teile der Erzählung sind durch die gleiche Ortslage Kadesch(20,1.22a) und Meriba (V. 13.24) verbunden, von wo die Israeliten zumBerg Hor aufbrechen (V. 22b).17

Diese eng verbundenen priesterlichen Erzählungen sind in der vor-liegenden Form durch die nicht-priesterliche Erzählung von Israels Bitte anden König von Edom, sein Land durchziehen zu dürfen (Num 20,14–21),unterbrochen. Auch diese ist in Kadesch lokalisiert, von wo die Botennach Edom gesandt werden (V. 14.16b). Meist wurde die Erzählung vomgescheiterten Edom-Durchzug einer der alten Quellen zugewiesen.18 ErstJ. Van Seters trat dieser frühen Ansetzung entgegen, indem er aufgrundstilistischer Merkmale nachzuweisen suchte, dass Num 20,14–21 vonDtn 2,6.26–28 und wahrscheinlich auch von Jdc 11,16–18 abhängig sei;

16 Wenn C. Frevel, Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern. Zum Ende der Priester-grundschrift, HBS 23, 2000, 328–330, u.a. V. 12 aus Num 21,1–13 vor allem mit demArgument streichen will, dass die Priestergrundschrift das Glaubensmotiv sonst nichtkenne, dann zerstört er aus dem Zwang der Quellentheorie heraus den Skopos derErzählung; V. 12 markiert eindeutig ihren Höhepunkt, worin auch immer der Autor dieSünde von Mose und Aaron in der komplizierten Darstellung von V. 10–11 genau fest-machen wollte. Und die Verwendung des Glaubensmotivs, das sonst charakteristisch fürdie spät-dtr. Pentateuchbearbeitung ist (Gen 15,6; Ex 4,31; 14,31; 19,9; Num 14,11),zeigt nur, dass der priesterliche Autor diese Bearbeitungsschicht kennt.

17 Insbesondere Num 20,1–13 wurde komplizierten literarkritischen Operationen unter-worfen, weil man sich die Zitate aus und Anspielungen an Ex 17,1–7 (V. 3a.5.8bα.11a.13)unter der Annahme, dass der Text der selbständigen Priestergrundschrift angehöre, nurals nachträgliche Überarbeitung vorstellen konnte, so schon J. Wellhausen, Compositiondes Hexateuch und der historischen Bücher des Alten Testaments (1899), 4. Aufl. 1963,106–108, und immer noch Seebass, Numeri II (Anm. 7), 275–279, und Schmidt, Numeri(Anm. 6), 88–91. Löst man sich von dieser Annahme und weist den Text einer Schicht zu,die die nicht-priesterliche Überlieferung kannte, so wird der Text weitgehend einheitlich,vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Nu-meribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch, BZAR 3, 2003, 308–317.344;allerdings wird sich im Folgenden Achenbachs Zuweisung des Textes zum Pentateuch-redaktor nicht bestätigen. – Auch die Lokalisierung des Wasserwunders in Kadesch-Meriba, die gerne der nicht-priesterlichen Überlieferung zugeschrieben wird, gehört zumpriesterlichen Text (Num 20,13). Zwar ist die priesterliche Version der Kundschafter-geschichte in der Wüste Paran lokalisiert (13,3), aber schon in 13,26 wird vom priester-lichen Autor und Redaktor Kadesch als Ziel (he-locale!) der weiteren Wanderungenangesprochen. Die Lokalisierung der Perikope in Kadesch bestätigt auch der spät-pries-terliche Autor von Num 33, vgl. V. 36–40.

18 So etwa Wellhausen, Composition (Anm. 17), 108: J, vielleicht von JE überarbeitet;Noth, Numeri (Anm. 4), 130f.: J und E; Seebass, Numeri II (Anm. 7), 293: J oder E undJE; Schmidt, Numeri (Anm. 6), 94f.: JE und Pentateuchredaktion.

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doch indem er die Passage seinem spät-exilischen Jahwisten zuwies, hielter immer noch an einer vor-priesterlichen Datierung des Textes fest.19

Doch solche vor-priesterlichen Zuweisungen lassen sich nicht halten.In Num 20 finden sich nämlich zwei literarische Verknüpfungen,

welche die unterschiedlichen Ortsangaben, Kadesch und Hor auf dereinen Seite und Edom auf der anderen Seite, miteinander ausgleichenwollen. Die eine, die sich in der priesterlichen Erzählung findet, ist ein-deutig sekundär. Hier heißt es in Num 20,23: »Da sprach JHWH zuMose und Aaron am Berg Hor, an der Grenze (lvbg) des Landes Edom,folgendermaßen.« Die beiden adverbialen Bestimmungen des Ortes sindDubletten; die zweite in V. 23b* (ohne rmXl) hat keinerlei Funktion imKontext der priesterlichen Erzählung, die allein den Berg Hor im Blickhat. Nun könnte man annehmen, V. 23b sei von einem Redaktor einge-fügt worden, als er eine ältere nicht-priesterliche Erzählung (20,14–21) inden jüngeren priesterlichen Kontext einschob. Doch eine solche, theore-tisch durchaus mögliche Erklärung wird durch die Art der zweiten Ver-knüpfung in 20,16b massiv in Frage gestellt. Hier teilt Mose dem Königvon Edom mit: »Siehe, wir sind in Kadesch, einer Stadt in der Nähe zudeiner Grenze (lvbg).« Wieweit diese Feststellung geographisch zutrifft,spielt keine Rolle,20 entscheidend ist die Einsicht, dass sie literarisch fest

19 S. J. Van Seters, The Conquest of Sihon’s Kingdom. A Literary Examination, JBL 91(1972), 182–197, bes. 189–191; Ders., The Life of Moses. The Yahwist as Historian inExodus-Numbers, 1994, 386–393. Schon M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Penta-teuch, 1948, 225, hatte Num 20,14–21 als »ein gemachtes Verbindungsstück ohne alteerzählerische Tradition« charakterisiert, ohne allerdings daraus literargeschichtlicheKonsequenzen zu ziehen. In seinen Bahnen hat dann S. Mittmann, Num 20,14–21 – eineredaktionelle Kompilation, in: H. Gese / H. P. Rüger (Hg.), Wort und Geschichte (Fest-schrift Elliger), AOAT 18, 1973, 143–149, den Text den alten Quellen abgesprochen undfrühestens in die Zeit Josias datiert.

20 Zur Siedlungsgeschichte der Edomiter vgl. die Beiträge von D. V. Edelman, J. R. Barlett,I. Beit Arieh und E. A. Knauf-Belleri in: D. V. Edelmann (Hg.), You Shall Not Abhor anEdomite for He is Your Brother. Edom and Seir in History and Tradition, Archaeologicaland Biblical Studies 3, 1995, 1–11; 13–21; 33–40; 93–118. Für die erzählte Zeit wäre dieFeststellung von Num 20,16 in der Tat verwunderlich, da sich das edomitische Sied-lungsgebiet im 13.–12. Jh. v.Chr. auf das südliche Ostjordanland beschränkte. Erst amEnde des 7. und Anfang des 6. Jh. breitete sich, wie archäologische Funde belegen, dieedomitische Kultur in den östlichen Negev aus, wobei vereinzelte Funde edomitischerKeramik auch aus Kadesch-Barnea belegt sind (s. Beit Arieh, ebd., 37). Geht man jedochvon der Zeit des Erzählers aus, dessen Ansetzung in das 5. Jh. sich hier abzeichnet, dannhätte die Feststellung mehr Anhalt an der Realität, weil die persische Provinz Idumäa dasganze südliche judäische Bergland, die Schephela und den nördlichen Negev umfasste.Kadesch-Barnea lag dann durchaus in Reichweite der Südwestgrenze der Provinz. Soweitaus den aramäischen Ostraca aus der südlichen Schephela und dem Negev erkennbar,hatte die Provinz eine multi-ethnische Bevölkerung; der Anteil der Bewohner mit edomi-tischer Herkunft betrug im 4. Jh. v.Chr. aber immerhin zwischen 20 und 30 Prozent, vgl.

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in der nicht-priesterlichen Erzählung verankert ist; d.h. diese Verknüp-fung stammt von dem Autor von Num 20,14–21. Da nun beide Verknüp-fungen denselben Ausdruck lvbg »Grenze, Gebiet« verwenden, stammensie wahrscheinlich von demselben Autor. Damit wird aber der Schluss un-ausweichlich: Da die eine Verknüpfung fest im nicht-priesterlichen Textverankert ist (V. 16b) und die andere sekundär zu ihrem priesterlichenKontext steht, müssen beide vom Autor der Edom-Erzählung stammen.Er war selber der Redaktor, der seine Erzählung zwischen die priester-lichen Erzählungen einschob und mit ihnen verklammerte. Daraus folgt:Num 20,14–21 setzt die priesterlichen Erzählungen des Kapitels vorausund muss darum nach-priesterlich eingeordnet werden. Diese Möglich-keit wurde schon aufgrund anderer Gesichtspunkte von V. Fritz, E. Blum,T. B. Dozeman und W. Oswald erwogen.21 Meiner Meinung nach ist sie –aus den genannten Gründen – zwingend.

Eine solche eindeutige literargeschichtliche Einordnung vonNum 20,14–21 hat nun auch für die verwandte Sihon-Erzählung(Num 21,21–32) unmittelbare Konsequenzen. Schon J. Van Seters hat imEinzelnen aufgezeigt, dass die Sihon-Erzählung eine ganz ähnliche Spra-che wie die Edom-Erzählung spricht, die stark an Dtn 2,26–37 undJdc 11,19–26 erinnert.22 Auch wenn nicht alle seine Beobachtungenzwingend sind,23 so sind doch die sprachlichen Bezüge zwischen den bei-

A. Kloner / I. Stern, Idumea in the Late Persian Period (Fourth Century B.C.E.), in:O. Lipschits / G. N. Knoppers / R. Albertz (Hg.), Judah and the Judeans in the FourthCentury B.C.E., 2007, 139–144; E. Eshel, The Onomasticon of Mareshah in the Persianand Hellenistic Periods, ebd., 145–156.

21 S. V. Fritz, Israel in der Wüste. Traditionsgeschichtliche Untersuchung der Wüstenüber-lieferung des Jahwisten, MThSt 7, 1970, 29; E. Blum, Studien zur Komposition des Pen-tateuch, BZAW 189, 1990, 118–121; T. B. Dozeman, Geography and Ideology in theWilderness Journey from Kadesh through Transjordan, in: J. C. Gertz / K. Schmid /M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngs-ten Diskussion, BZAW 315, 2002, 173–189, bes. 186f. Im Vordergrund steht hierdie Diskontinuität zu der von Num 14,25 ausgehenden Erzähllinie. Für W. Oswald, DieRevision des Edombildes in Numeri XX 14–21, VT 50 (2000), 218–232, ist neben demnegativen Edombild schon die merkwürdige Einpassung der Erzählung in die Priester-schrift ein Argument, die in V. 16f. eine Annäherung der »eigentlich weit auseinanderliegenden Lokalitäten Kadesch und Edom« erzwinge (ebd., 228).

22 S. Van Seters, Conquest (Anm. 19), 183–189; Ders., Life (Anm. 19), 393–404.23 Das gilt insbesondere für die textlichen Bezüge zu Jdc 11,19–26; dieser Text ist meiner

Meinung nach zeitlich nach Num 20,14–20 einzuordnen, da er die Nähe von Kadesch zuEdom, die dort mühsam redaktionell erst hergestellt wird, in V. 17 schon selbstverständ-lich voraussetzt. Zudem deutet er die östliche Umwanderung von Moab und Edom, diein dem schwierigen Itinerar Num 21,10–20 wahrscheinlich gemeint ist, in diesem Sinneeindeutig aus, vgl. Jdc 11,18. S. auch die Kritik von J. R. Barlett, The Conquest of Si-hon’s Kingdom. A Literary Re-Examination, JBL 97 (1978), 347–351.

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den Numeri-Erzählungen so eng,24 dass sie entweder literarisch vonein-ander abhängen oder von dem gleichen Autor stammen. Entsprechendhat man sie beide auch früher meist denselben Quellenwerken zugeschrie-ben.25 Nun meinte E. Blum, der für die Edom-Erzählung durchaus einenach-priesterliche Datierung in Erwägung zog, eine vor-deuteronomischeAnsetzung der Sihon-Erzählung dadurch verteidigen zu können, dass ereine literarische Abhängigkeit der ersteren von der letzteren annahm.26

Doch spricht gegen eine solche Lösung, dass die Ähnlichkeit der beidenErzählungen bis in die Erzählstruktur hineinreicht: Beide beginnen miteiner ähnlichen Abfolge von Motiven, der Aussendung der Boten (21,21;20,14), der Bitte um Durchzug durch das fremde Territorium, verbundenmit dem Versprechen, nicht vom Weg abzuweichen (21,22; 20,17), und inbeiden wird darauf die negative Reaktion des fremden Königs geschildert(21,23; 20,18.21). Dabei ist die Sihon-Erzählung zu einer regelrechtenGegengeschichte zur Edom-Erzählung stilisiert: Weil Sihon noch aggres-siver auf Israels Bitte reagierte als der König von Edom, darum wurdesein Land erobert und von den Israeliten besiedelt (V. 24.31). Es wärenun aber misslich, ausgerechnet zwei so eng zusammengehörige Erzäh-lungen, die einander, wie R. Achenbach richtig feststellt, »wie ein Dip-tychon aus Mißerfolgs- und Erfolgsgeschichte entsprechen«, zwei unter-schiedlichen literarischen Schichten zuweisen zu wollen.27 Da aber dienach-priesterliche Ansetzung von Num 20,14–21 nunmehr feststeht, isteine solche mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die Sihon-Erzählung(Num 21,21–32) zu folgern, auch wenn diese teilweise ältere Überliefe-rung enthält.28

Die vorgetragene Sicht wird durch die Beobachtung bestätigt, dassder kurze Bericht über den König Og von Basan (Num 21,33–35) ohnejede literarische Unebenheit an die Sihon-Erzählung anschließt. Es ist

24 Vgl. die identischen Wendungen rXb ym ht>n Xl[v] in Num 20,17aβ und 21,22aβ,„ln „lmh „rd[b] in 20,17bα und 21,22bα und „l[v]bg rbin=r>X di in 20,17bβ und21,22bβ; nur leicht abgewandelt finden sich die Ausdrücke lX ,ykXlm xl> in 20,14und 21,21, „jrXb rbi in 20,17aα und 21,22aα, ,rkbv hd>b hun/rbi Xl in 20,17aαund 21,22aα und tXrql Xjyv in 20,20 und 21,23.

25 Vgl. Wellhausen, Composition (Anm. 17), 108: J; Noth, Numeri (Anm. 4), 166: J oder E;Seebass, Numeri II (Anm. 7), 2003, 351: E; Schmidt, Numeri (Anm. 6), 112f.: E.

26 S. Blum, Studien (Anm. 21), 120f.128f.; ähnlich schon Mittmann, Kompilation (Anm.19), 146.

27 S. Achenbach, Vollendung (Anm. 17), 339; er selber weist darum ihren Grundstock auchderselben Redaktionsschicht zu (Hexateuchredaktion), vgl. ebd., 344.

28 Allerdings hat sich längst gezeigt, dass das eingearbeitete Siegeslied (Num 21,26–30),nicht so alt ist, wie man früher annahm. H.-C. Schmitt, Das Hesbonlied. Num21,27aβ–30 und die Geschichte der Stadt Hesbon, ZDPV 104 (1988), 26–43, 38, setzt esan das Ende des 8. Jh., eher in das 7. Jh., S. Timm, Moab zwischen den Mächten. Studienzu historischen Denkmälern, ÄAT 17, 1989, 89, frühestens in das 6. Jh. v.Chr.

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in der Forschung weitgehender Konsens, dass dieser Bericht eine Über-nahme aus Dtn 3,1–3 darstellt. Allerdings ist in ihm die theologischeDimension gegenüber seiner dtr. Vorlage (Dtn 3,1–7) deutlich reduziert.Es fehlt die Erwähnung des Bannes, genauso wie in der Sihon-Erzählung.Es ist in der Forschung gerne der säkulare Charakter der Sihon-Erzäh-lung im Unterschied zur dezidiert theologischen Sicht der dtr. Parallele(Dtn 2,26–28.30–36) geltend gemacht worden, um ihre zeitlichePriorität zu begründen.29 Die Weise, wie mit der dtr. Og-Tradition inNum 21,33–35 umgegangen wird, legt die Einsicht nahe, dass Reduktionbzw. Ausblendung der theologischen Dimension in der Sihon- und übri-gens auch in der Edom-Erzählung als ein bewusstes Stilmittel des hier tä-tigen Autors angesehen werden muss.30

Wie der Rückbezug von Num 22,2 auf die Sihon- und Og-Erzählungzeigt, scheint es derselbe Autor gewesen zu sein, der eine ältere Bile-am-Komposition in seine Bearbeitung des Numeribuches einbezog. WeilIsrael am Ende von Num 21 in das nördliche Ostjordanland (Basan) ge-zogen war, verwendete der Redaktor die priesterliche Itinerar-Notiz vonNum 22,1, um das Volk in die Gefilde Moabs zurückzuführen. Auchdiese Beobachtung unterstützt die These, dass dieser nicht-priesterlicheAutor und Redaktor schon die priesterliche Bearbeitung dieser Kapitelvoraussetzt. Sehr wahrscheinlich wurde auch der vierte Bileam-Spruch(Num 24,14b-19), der nach gängiger Meinung einen Einschub in dieErzählkomposition darstellt31 und von den übrigen Sprüchen abweicht,

29 So etwa Perlitt, Deuteronomium, BK V (3. Lieferung), 1994, 200; Blum, Studien (Anm.21), 128.

30 Nachdem durch die Schichtenfolge in Num 20 die zeitliche Priorität von Dtn 2f. gegen-über Num 21,21–35 begründet ist, gewinnen eine ganze Reihe von Beobachtungen, dieVan Seters, Conquest (Anm. 19) und M. Rose, Deuteronomist und Jahwist. Untersuchun-gen zu den Berührungspunkten beider Literaturwerke, AThANT 67, 1981, 308–310, füreine literarische Abhängigkeit der Sihon-Og-Erzählung von der dtr. Vorlage geltend ge-macht hatten, erst ihre volle Überzeugungskraft: Der singularische Beginn der Botschaftin Num 21,22aα, der bei Israel als Subjekt der Sendung überrascht und auch in V. 22aβbdann pluralisch fortgesetzt wird, erklärt sich durch die identische singularische Formu-lierung in Dtn 2,27aα, die Sinn macht, weil hier Mose Subjekt der Sendung ist (Rose,ebd., 310). Oder die seltsame Rede von der Eroberung »dieser Städte« in Num 21,25,obwohl bisher im Text von solchen Städten gar keine Rede war; sie setzt beim Leser of-fenbar die Kenntnis des Eroberungsberichtes von Dtn 2,32–36 voraus (Van Seters, ebd.,189), etc. Ohne eine anderweitig begründete Richtung der Bezüge bleiben solche text-lichen Beobachtungen oft uneindeutig.

31 Vgl. den Zusammenhang zwischen Num 24,14a und V. 25. Die Sprüche V. 20–24 stellennoch spätere Erweiterungen dar, vgl. M. Witte, Der Segen Bileams – eine redaktionsge-schichtliche Problemanzeige zum »Jahwisten« in Num 22–24, in: J. C. Gertz / K. Schmid /M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngs-ten Diskussion, BZAW 315, 2002, 191–213, 198f., obgleich er selber später die Diffe-

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vom Bearbeiter selber formuliert, um auf eine Zukunft vorauszuschauen,in der nicht nur die Fluch-Attacke der Moabiter, sondern auch das un-solidarische Verhalten der Edomiter (20,14–21) vergolten werden würde(24,17f.).

Von der bisher behandelten nicht-priesterlichen Schicht muss nocheine weitere nicht-priesterliche Redaktionsschicht unterschieden werden.Der literarische Bruch zwischen beiden Schichten wird daran erkennbar,dass das Itinerar 21,10–20, das »im Tal, das in der Steppe Moabs (liegt),(in Richtung auf) den Gipfel des Pisga« endet (V. 20a),32 nicht auf dieGegend von Hesbon zuläuft, in der die Sihon-Erzählung spielt. BeideÖrtlichkeiten sind zwar nicht allzu weit voneinander entfernt (ca. 10 kmLuftlinie); doch während die Lage des Pisga an der Kante des östlichenGrabenbruchs schon nach Westen weist, sind die Aktivitäten der Sihon-und Og-Erzählung noch fest an das Ostjordanland gebunden. SchonJ. Wellhausen erkannte, dass 21,20 weit über die Situation hinausreicht,die in 21,21–32 vorausgesetzt ist.33

Obwohl das Itinerar Num 21,10–20 an der Sihon-Erzählung vorbei-führt, findet sich in ihm (V. 13aβb) ein Hinweis auf das Siedlungsgebietder Amoriter, durch den die Wüste, in der die Israeliten jenseits desOberlaufes des Arnon lagern, mit den folgenden Worten charakterisiertwird: »(die Wüste), die ausgeht von der Grenze der Amoriter, dennder Arnon ist die Grenze Moabs, zwischen Moab und den Amoritern.«Die ausufernde Syntax und die sachliche Abschweifung weisen auf einenachträgliche Einfügung dieser Bemerkung. Die gleich zweimalige Ver-wendung des Begriffes lvbg weist auf den gleichen Autor, der schon die

renzen zwischen 24,14b-19 und V. 20–24 wieder einebnet (ebd., 206). Die sonstige Vor-geschichte der Bileam-Komposition kann hier unberücksichtigt bleiben. Zu weiterenEingriffen des o.g. Redaktors s.u. im 2. Teil des Beitrags.

32 Bei Num 21,20b handelt es sich wahrscheinlich um eine nachträgliche Angleichung anNum 23,28; hier ist der Satz »›der‹ herabblickt auf die Fläche der Einöde« (verbessertnach Sam. und LXX) auf den Berg Pe^or bezogen; wie die falsche feminine Verbform inMT zeigt, entstammt er wahrscheinlich einer schlecht lesbaren Glosse.

33 Vgl. Wellhausen, Composition (Anm. 17), 108f.; Seebass, Numeri II (Anm. 7), 338,weist aus diesem Grund das Itinerar folgerichtig einer anderen Quelle zu (J) als dieSihon-Erzählung (E). Auch Noth, Numeri (Anm. 4), 140, will diesen Tatbestand nichtleugnen, obgleich er damit seiner These, Num 21,10–20 sei ein »redaktionelles Werk«,das geschaffen wurde, um die Lücke zwischen Wüsten- und Landnahme-Erzählungen»recht und schlecht auszugleichen« (ebd., 139), eigentlich widerspricht. Methodischfragwürdig ist es, einen besseren geographischen Übergang zur Sihon-Erzählungdadurch zu schaffen, dass man das Itinerar in V. 13 abschneidet und V. 14–20 einem spä-teren Ergänzer zuschreibt, so etwa Achenbach, Vollendung (Anm. 17), 357; Schmidt,Numeri (Anm. 6), 108. Denn welcher Redaktor sollte einen halbwegs passenden An-schluss nachträglich bewusst zerstört haben? Zu den sachlichen Problemen des Itinerarss.u. im 2. Teil des Beitrags.

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Verknüpfungen in 20,16b.23b* anbrachte. Er wollte damit seine Sihon-Erzählung besser einbinden. Da die Verknüpfung in 21,13aβb eindeutigsekundär in ihren Kontext eingefügt wurde, ist das Itinerar 21,10–20*früher als die Sihon- und Edom-Erzählungen anzusetzen.34

Zwischen dem Itinerar und der vorangehenden Erzählung von derehernen Schlange (Num 21,4–9) ist keinerlei literarischer Bruch erkenn-bar; darum gehört auch sie sehr wahrscheinlich zur gleichen literarischenSchicht. In 21,4a beginnt auch jene mit einem kurzen Itinerar: »Da-rauf brachen sie auf (icn) vom Berg Hor auf dem Weg zum Schilfmeer([vc=,y „rd), um das Land Edom zu umrunden (bbc).« Dieser Rück-bezug auf den Ort, an dem Aaron starb (20,23.27), könnte ein Hinweisdarauf sein, dass auch die zweite nicht-priesterliche Redaktionsschichtdie priesterlichen Erzählungen von 20,1–13.22–29 voraussetzt. Doch hatu.a. E. Blum darauf hingewiesen, dass Israels Marsch zum Schilfmeer in21,4 genau dem zornigen Befehl von 14,25 entspricht,35 mit dem JHWHauf die Verweigerung der Einwanderung in das verheißene Land rea-gierte: »Morgen wendet euch um und brecht auf (icn) in die Wüste aufdem Weg zum Schilfmeer ([vc=,y „rd)!« Es besteht teilweise eine wört-liche Übereinstimmung; beide Verse stammen wahrscheinlich von dem-selben Autor. Nun ist nicht ganz sicher, wo die nicht-priesterliche Kund-schafter-Erzählung (Num 13–14) lokalisiert war; in der priesterlichenVersion war es die Wüste Paran (13,3). Doch wird diese eigentümlicher-weise in 13,26 mit Kadesch in Beziehung gesetzt. So war Kadeschvielleicht der ursprüngliche Ort der nicht-priesterlichen Version (vgl.Dtn 1,46), aber ganz sicher nicht der Berg Hor! Dieser wurde wahr-scheinlich erst von dem priesterlichen Autor, der seine Erzählung vomTod Aarons auf dem Berg Hor in einen nicht-priesterlichen Kontext ein-fügte, auch im Itinerar 21,4 verankert, um einen besseren Übergang zu

34 Dieses Ergebnis widerspricht der von Noth, Nu 21 (Anm. 14), 84–91, begründeten Ten-denz in der neueren Forschung, das Itinerar Num 21,10–20 im Ganzen oder zu großenTeilen als ein ganz spätes redaktionelles Stück zu betrachten, das, weil vom spätpriester-lichen Itinerar Num 33 abhängig, sogar noch nach der Endredaktion des Pentateuchanzusetzen sei (ebd., 94); vgl. Schmidt, Numeri (Anm. 6), 107f.; Frevel, Understanding(Anm. 14), 128–130 u.a. Doch sei daran erinnert, dass Noths Urteil, die VerseNum 21,10f. hingen von 33,43f. ab, mit seiner aus heutiger Sicht durchaus fragwürdi-gen These zusammenhängt, dass sich aus Num 33 noch ein älterer Wallfahrtsweg zumSinai rekonstruieren lasse; vgl. M. Noth, Der Wallfahrtsweg zum Sinai (Nu 33), in:Ders., Aufsätze zur biblischen Landes- und Altertumskunde, Bd. 1, 1971, 55–74, bes.63–65: Hier konnten die in Num 21,10f. genannten Orte ’Obot und ^Ijje-Abarim nichtzur Gruppe der aus den biblischen Erzählungen übernommenen Ortsnamen des spät-priesterlichen Itinerars gehören, weil Noth sie für seine Rekonstruktion des postuliertenWallfahrtsweges benötigte.

35 S. Blum, Studien (Anm. 21), 118.

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schaffen. So ging die zweite nicht-priesterliche Bearbeitung wahrschein-lich der priesterlichen Redaktion voran.36

Ob auch die Horma-Episode (Num 21,1–3) der gleichen Redak-tionsschicht angehört, ist nicht sicher. Auf der einen Seite unterbricht siedie direkte Beziehung zwischen der nicht-priesterlichen Kundschafter-Erzählung und dem Itinerar in 21,4a; auf der anderen Seite bildet sie eineArt von Gegen-Erzählung zu dem gescheiterten Eroberungsversuch inNum 14,40–45 (vgl. Horma in 14,45 und 21,3).

Trotz dieser zuletzt genannten kleineren Unsicherheit lassen sichdie Texte von Num 20–24 nahezu vollständig drei verschiedenen Redak-tionsschichten zuweisen:

– erstens einer nicht-priesterlichen Schicht, die der priesterlichenvorangeht; ihr gehören Num 21,(1–3.)4–20* (ohne »vom Berg Hor« inV. 4 und V. 13aβb) an;

– zweitens einer priesterlichen Schicht, der die Passagen Num20,1–13.22–29* (ohne V. 23b*, abgesehen von rmXl); 21,4* (nur »vomBerg Hor«); 22,1 angehören;

– drittens einer nicht-priesterlichen Schicht, die der priesterlichenfolgt; ihr gehören die Passagen Num 20,14–21.23b* (ohne rmXl);21,13aβb.21–35; 22,2–24,19.25 an.

Verglichen mit den komplizierten Vorschlägen, die auf der Basis derQuellentheorie gemacht wurden, ist das eine eher einfache Entschlüsse-lung der schwierigen literargeschichtlichen Verhältnisse. Abgesehen voneinigen auszusondernden intertextuellen Verknüpfungen können mit ihrdie Texteinheiten weitgehend zusammengehalten werden. Natürlich ber-gen diese in sich noch eine ganze Anzahl kleinerer Ungereimtheiten, aberdie meisten von ihnen lassen sich durch die Annahme erklären, dass hiervorformulierte ältere Traditionen aufgenommen worden sind.37 Dabeisollen vereinzelte spätere Ergänzungen hier und da gar nicht ausgeschlos-

36 Diese Schlussfolgerung wird durch andere Beobachtungen bestätigt: In Num 20,12 ver-wendet der priesterliche Autor einmalig das sonst seinem Milieu fremde Glaubensmotiv,das nicht nur in der nicht-priesterlichen Kundschafter-Erzählung begegnet (14,11), son-dern auch sonst in spät-dtr. Passagen des Pentateuch eine wichtige Rolle spielt (Gen 15,6;Ex 4,1.5.8.31; 14,31; 19,9). Offensichtlich hat er diese nicht-priesterliche Redaktions-schicht gekannt. Desgleichen knüpft seine Verwendung des Motivs vom »Zelt der Be-gegnung« in Num 20,6–8 sowohl an die priesterliche Heiligtumstheologie (hvhy=dvbk,vgl. Ex 24,16f.; 40,34f.; Lev 9,6.23) als auch an die Betonung der divinatorischenFunktion des Zeltes in der spät-dtr. Tradition an (vgl. Ex 33,7–11; Num 11,24f.; 12,5;Dtn 31,15).

37 So etwa in Num 20,1–13; 21,10–20.21–32. Zu erinnern ist daran, dass Noth, Nu 21(Anm. 14), 77f., die literarische Einheitlichkeit der Sihon-Erzählung verteidigte, indemer vor einem Gebrauch der Quellenscheidung warnte, der »zu einer Schraube ohne Endewird und sich zu Unrecht selbst ad absurdum führt.«

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sen werden, aber sie haben im Vergleich zu den formativen Redaktionenweitaus weniger Gewicht.

Die in Teil I gewonnenen redaktionsgeschichtlichen Ergebnisse sol-len in Teil II einem geeigneten Pentateuchmodell zugeordnet und damitidentifiziert werden.

wird fortgesetzt

Despite all efforts to explain the formation of the difficult passage Num 20–21 throughthe means of Source Theory, Biblical scholars have come up against limiting factors sincethe time of Noth. Therefore the present study tries a fresh approach by using compositional-and redaction-historical methods for reconstructing the important stages of the literaryhistory of Num 20–24. Three layers can be detected: First, a non- and pre-Priestly layer inNum 21,(1–3.)4–20* (apart from »from mount Hor« V. 4 and V. 13aβb); second, a Priestlylayer in Num 20,1–13.22–29* (apart from V. 23b*); 21,4* (only »from mount Hor«);22,1; and third, a non- and post-Priestly layer Num 20,14–21.23b*; 21,13aβb.21–35;22,2–24,19.25. Especially the third layer, which includes the stories about the encounterwith Edom and the victory over Sihon, requires a new model of explanation.

Malgré tous leurs efforts en vue d’expliquer la formation de Num 20–21 par la théorie dessources, les exégètes – depuis M. Noth – se sont heurtés à de nettes limites. C’est pourquoil’on tente ici de progresser à l’aide d’une méthode d’histoire de la composition et de la rédac-tion, en vue d’éclairer les étapes essentielles de l’histoire littéraire de Num 20–24. On peuty distinguer trois couches: (1) une couche pré- ou non-sacerdotale en Num 21,(1–3.)4–20*(sans »depuis le mont Hor« v. 4 et v. 13aβb); (2) une couche sacerdotale en Num20,1–13.22–29* (sans v. 23b*); 21,4* (seulement »depuis le mont Hor«); (3) une couchepost- et non-sacerdotale en Num 20,14–21.23b*; 21,13aβb.21–35; 22,2–24,19.25. C’estsurtout cette troisième couche, à laquelle se rattachent également les récits du refus de la tra-versée d’Edom et de la victoire sur Sihôn, qui nécessite un nouveau modèle d’interprétation.

Bei ihrem Bemühen, die Entstehung des schwierigen Textbereiches Num 20–21 mithilfeder Quellentheorie zu erklären, sind die Exegeten seit Noth an deutliche Grenzen gestoßen.Darum wird hier mithilfe einer kompositions- und redaktionsgeschichtlichen Methodik ver-sucht, die wesentlichen Stufen der Literargeschichte von Num 20–24 aufzuhellen. Drei Schich-ten lassen sich erkennen: 1. eine nicht- und vor-priesterliche Schicht in Num 21,(1–3.)4–20*(ohne »vom Berg Hor« in V. 4 und V. 13aβb), 2. eine priesterliche Schicht in Num20,1–13.22–29* (ohne V. 23b*); 21,4* (nur »vom Berg Hor«); 22,1, und 3. eine nicht- undnach-priesterliche Schicht in Num 20,14–21.23b*; 21,13aβb.21–35; 22,2–24,19.25. Beson-ders die dritte Schicht, zu der auch die Erzählungen vom verweigerten Edom-Durchzug undvom Sieg über Sihon gehören, verlangt nach einem neuen Erklärungsmodell.

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