das autoritätsverhältnis zwischen göttern und menschen bei plautus’ amphitruo

30
Bachelorarbeit im Fach Latein Das Autoritätsverhältnis zwischen Göttern und Menschen bei Plautus’ Amphitruo eingereicht von: Alexander Bishop Kendzia Prüfer (Betreuer): Prof. Nicola Hömke Prüfer: Prof. Bernd Roling Alexander Bishop Kendzia Matrikelnummer: 4575589 Ortolanweg 72 12359 Berlin [email protected]

Upload: alexanderkendzia

Post on 28-Dec-2015

26 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Bachelorarbeit im Fach Latein

Das Autoritätsverhältnis zwischen Göttern und Menschen bei

Plautus’ Amphitruo

eingereicht von:

Alexander Bishop Kendzia

Prüfer (Betreuer): Prof. Nicola Hömke

Prüfer: Prof. Bernd Roling

Alexander Bishop Kendzia

Matrikelnummer: 4575589

Ortolanweg 72

12359 Berlin

[email protected]

Alexander Bishop Kendzia

1

Inhalt 1. Einführung ....................................................................................................................................... 2

2. Die Religion der Römer und Amphitruo: viel Juppiter (und ein bisschen Merkur) .............................. 5

2.1 Juppiter ..................................................................................................................................... 5

2.2 Mythos....................................................................................................................................... 9

2.3 Merkur .................................................................................................................................... 12

3. Das Lustspiel beim Karneval: alles steht Kopf – wirklich alles? Die Saturnalien, Plautus und

Amphitruo. ........................................................................................................................................ 13

3.1 Saturnalien .............................................................................................................................. 13

3.2 Autoritätsverhältnisse .............................................................................................................. 15

4. Die Verhältnisse im Einzelnen: ein nicht ganz so flotter Dreier und ein bisschen Spaß muss schon

sein ................................................................................................................................................... 17

4.1 Spaß ........................................................................................................................................ 17

4.2. Allmacht ................................................................................................................................ 23

5. Fazit ............................................................................................................................................... 26

6. Literaturverzeichnis ....................................................................................................................... 27

7. Selbständigkeitserklärung .............................................................................................................. 29

Alexander Bishop Kendzia

2

Elles [les tragicomédies de Jean Rotrou] signifient encore

l’ambigu mystère qui [...] entoure [les rois], et qui fait leurs fautes

elles-mêmes peuvent être paradoxalement des signes de leur voca-

tion à la grandeur.1

1. Einführung

Diese Arbeit untersucht das Autoritätsverhältnis zwischen Göttern und Menschen im Amphitruo

des Titus Maccius Plautus. Es ist dabei zu unterscheiden zwischen dem inneren und dem äußeren

Autoritätsverhältnis. Unter dem „inneren“ versteht sich das Autoritätsverhältnis innerhalb des

Stückes und seiner Figuren, also konkret zwischen den Göttern Juppiter und Merkur und den

Menschen Amphitruo mit seinem Sklaven Sosia, Alkmene mit ihrer Sklavin Bromia, und

Amphitruos Schiffskapitän Blepharo. Das „äußere“ Autoritätsverhältnis bezieht sich auf den

Rahmen, der auf das Stück und in dem das Stück selbst wirkt: das römische Publikum und sein

Religionsverständnis, die poetische Form der Komödie und schließlich der Autor Plautus. Innere

und äußere Verhältnisse müssen beim Theater keineswegs immer übereinstimmen. Bühnenpro-

vokationen können immer da geschehen, wo es Bühnenaufführungen gibt, und im allgemeinen

tun sie es auch. Die Frage dabei ist immer, wie weit Autor2, Regisseur und Veranstalter mit Pro-

vokationen gehen zu können glauben, ohne mit Publikum und Verwaltungsautoritäten so weit in

Konflikt zu geraten, dass es ihren Erfolg gefährdet – und ob sie es überhaupt wollen.

Im Amphitruo des Plautus verführt der oberste der Götter, Juppiter, aus offensichtlich

selbstsüchtigen Motiven – es geht um seinen Spaß – die verheiratete und sehr auf ihre Treue be-

dachte junge Frau Alkmene. Er wird dabei von einem seiner Söhne, dem Gott Merkur, tatkräftig

unterstützt. Beide Götter wissen sehr wohl, dass sie damit Alkmene und ihren Gatten Amphitruo

in äußerste Verzweiflung stürzen werden. Gerade dieses von ihnen verursachte Chaos scheint

den Göttern aber zusätzliches Gaudium zu bereiten. In letzter Sekunde verhindert Juppiter dann

1 Jacques Morel in Thomas Baier in Baier (1999) 234 über die Tragik-Komödien Rotrous, von denen Les Sosies

nach Plautus‘ Amphitruo ist. 2 Es ist zweifellos ein Mangel der deutschen Sprache, dass im traditionellen Sprachgebrauch allgemeine Menschen-

bezeichnungen fast immer die männliche grammatische Form haben, auch wenn sie Frauen mit einbezie-

hen. Der flüssigeren Lesbarkeit wegen, und weil in der antiken Überlieferung die Protagonisten auch fast

immer Männer sind, habe ich mich dazu entschieden, es dabei zu belassen und weibliche Formen nur dann

zu benutzen, wenn explizit Frauen gemeint sind – obwohl diese Lösung nur eine von vielen unbefriedigen-

den ist.

Alexander Bishop Kendzia

3

ex machina eine blutige Katastrophe und zieht sich mit Merkur auf den Olymp zurück. Auch

nach dem Fallen des Vorhangs glaubt man noch das göttliche Schenkelklopfen ob des gelunge-

nen Ausflugs nach Theben nachhallen zu hören – und mit ihm das des römischen Publikums.

Juppiter war jedoch bei den Römern nicht nur der höchste Gott, sondern als Staatsgott

auch der Garant des römischen Wohlergehens. Sein Kult scheint als Staatskult der Mittelpunkt

des sakralen Lebens der res publica gewesen zu sein und Roms Größe ohne Juppiter, zumindest

aus Sicht der zeitgenössischen Römer, nicht denkbar.3 Noch über 400 Jahre nach Plautus

4, das

heißt auch nach dem Eindringen der griechischen Aufklärung, war der Juppiter-Kult für Rom so

bedeutend, dass seine Nichtbeachtung eine der Hauptursachen für die Christenverfolgungen war.

Haben die Römer also einen Gigolo und Partylöwen verehrt, der es mit der rechten Ord-

nung nicht immer ganz so genau nahm? Glaubten sie, dass so einer genau der Richtige ist, um

ihre Stärke zu bewahren? Der Grundmythos des Amphitruo funktioniert kurz gesagt so: Höchster

Gott begattet Frau, um für die Menschen einen Wohltäter zu zeugen (Herkules). Dieses Thema

gibt es auch im Christentum. Aber man stelle sich vor, ein frecher Theatermann hätte diesen

christlichen Mythos plautinisch auf die Bühne bringen wollen: Der Herrgott, nachdem er es

schon einmal vor neun Monaten mit Maria getrieben hatte, meint, seinem Drange folgend, die

Hochschwangere in der Nacht vor ihrer Niederkunft noch einmal besuchen zu müssen. Und weil

sie im Bett so gut ist, verlängert er die Nacht auch noch um das Dreifache. Geholfen wird ihm

vom Erzengel Gabriel, der in Menschengestalt vor dem Liebesgemach Wache hält und alle, die

ihm zu Nahe kommen, gehörig verdrischt – auch Marias Gatten Joseph. Um gynäkologische

Feinheiten wie unbefleckte Empfängnisse würde sich ein eher im Derben agierender Autor vom

Schlage eines Plautus sicherlich nicht groß scheren, ist doch auch Alkmenes doppelte Befruch-

tung mit einem dreimonatigen Zwischenraum versehen worden, ohne dass das den Gehalt des

Stückes in den Augen seines Publikums nennenswert gemindert zu haben scheint5. Ein solches

Stück würde heutzutage wahrscheinlich als geschmacklos abgetan werden. Mit einem

Blasphemievorwurf und Gefahr für sein Leben hätte dieser Autor heute im Europa des 21. Jahr-

hunderts nicht mehr zu rechnen. Sollte aber Mohammed im weitesten Sinne auf solch schlüpfrige

3 Vgl. Koch (1937) 122. 4 Sedgwick (1960) 75 setzt das Stück mit Hinweis auf Sosias Schlachtenbericht und Antiochus’ Niederlagen gegen

Hannibal auf 189 v. u. Z. an. 5 Vgl. Segals (1987) 6f Ausführungen zu Plautus‘ riesigem Erfolg in der Antike.

Alexander Bishop Kendzia

4

Weise dargestellt werden, müsste der Autor sehr wohl um sein Leben fürchten, wie etwa die

Fatwa gegen Salman Rushdie und die Morddrohungen gegen die Karikaturisten der Zeitung

Jyllands-Posten gezeigt haben.

Aber vielleicht sind die abrahamischen Religionen eben grundverschieden von der rö-

misch-griechischen. Und vielleicht gerät auch der Blick eines Betrachters, der in einer von einer

abrahamischen Religion maßgeblich beeinflussten Kultur sozialisiert wurde, schnell verengt,

wenn er sich seiner oder ihrer eigenen Prägung nicht bewusst bleibt.6 Diese Abhandlung wird

daher zuerst die römische Religion am Anfang des 2. Jahrhunderts v. u. Z., mit besonderer Rück-

sicht auf die Stellung Juppiters und Merkurs darin, betrachten und den Amphitruo auf Reflektio-

nen davon überprüfen.

Vielleicht war es aber auch möglich, dass Plautus sich seine Darstellung des höchsten

Gottes deshalb leisten konnte, weil er die Geschichte im exotischen griechischen Milieu7 ansie-

delte. Darunter könnte auch römische Komödie als solche, wie sie in den Stücken von Plautus

und Terenz überliefert ist, fallen, die immerhin nur weniger als ein Jahrhundert vor Plautus unter

griechischer Vermittlung in Rom heimisch geworden war. Im zweiten Schritt wird sich diese Ar-

beit also mit den theaterspezifischen Umständen des Amphitruo beschäftigen.

Schließlich wird untersucht, was im Amphitruo eigentlich genau zwischen Göttern und

Menschen passiert, und welche Schlussfolgerungen sich daraus bezüglich dem Autoritätsverhält-

nis zwischen Göttern und Menschen ergeben.

6 Vgl. die moralisch abwertenden Urteile über den Amphitruo in Eckard Lefèvre in Baier (1999), der Amphitruo als

ein „Stück ohne Moral“ (24) und als Satire auf Juppiter (28) bezeichnet. Lore Benz in Baier (1999) 55 zi-

tiert L. W. Landbeater (1986): „... there is a curious penchant among the Romans, and Plautus in particular,

to mortalize their divinities to the point of ethical nihilism.“ Derartigen Anschauungen begegnet man in der

Forschungsliteratur auf Schritt und Tritt. 7 Vgl. William Beare in Lefèvre (1973) 142f, vor allem 142: „Die Bauernsöhne, die in Rom Ferien machten [...],

hatten nur vage Vorstellungen von griechischer Kunst, griechischer Literatur oder griechischer Philosophie.

Nur ein Aspekt griechischen Lebens interessierte sie wirklich, nämlich griechische Sittenlosigkeit.“ Vgl.

auch Gordon Williams in ibid 86, der von „[...] der imaginativen Freiheit, welche Szenen boten, welche im

fernen Griechenland spielten“ spricht.

Alexander Bishop Kendzia

5

2. Die Religion der Römer und Amphitruo: viel Juppiter (und ein bisschen

Merkur)

2.1 Juppiter Will man die Religion der Römer dahingehend beschreiben, was in und an ihr eigentlich „rö-

misch“ und was an äußeren Einflüssen von seit der frühesten erkennbaren Zeit bis zur ihrer Ab-

lösung durch das Christentum assimiliert bzw. was auch im Laufe der Jahrhunderte abgestoßen

wurde und sich veränderte8, so kann man bald in das Dilemma geraten, das auch viele Altphilo-

logen erfahren, wenn sie sich daran versuchen, im Amphitruo echt Plautinisches von griechi-

schen Vorlagen und Einflüssen zu trennen9: es entsteht der Eindruck, dass nur wenig Römisches

bzw. Plautinisches mehr übrig bleibt10

.

In Rom wurden Hunderte von Göttern verehrt, schon allein deswegen, weil jede Familie

in den lares familiares bzw. di parentes eigene spezifische Schutz- und Hilfsgötter hatte. Dane-

ben gab es die allgemeinen Götter, die von allen geachtet wurden, wie zum Beispiel Agrar-, Wet-

ter- und Fruchtbarkeitsgötter. Mit jeder Eroberung kamen die Gottheiten der hinzugekommenen

Völkerschaften hinzu. Oft waren die Riten identisch, oft überschnitten sie sich und es fanden

Angleichungsprozesse statt. Die römische Götterwelt war also keine statisch festgelegte Angele-

genheit, sondern in einem dauernden Entwicklungsfluss und spiegelte somit die ethnische Viel-

falt des wachsenden Machtbereichs Roms wider11

. So konnte es beispielsweise sein, dass Mars

und Quirinus lange Zeit nebeneinander mit wichtigen staatlichen Kulten eine prominente Stel-

lung einnehmen konnten, obwohl die Forschung bis heute Mühe hat, die Qualitäten und Aufga-

8 Vgl. Muth (1988) 226ff. 9 Siehe z. B. Eduard Fraenkel Plautinisches im Plautus (Berlin 1922), auf den in der Forschungsliteratur immer wie-

der Bezug genommen wird. Die Menge der Abhandlungen, die sich mit diesem Thema – sei es bezüglich

des Mythos‘, der Theaterform oder spezifischeren Punkten wie der Rolle des Sklaven – beschäftigt haben,

ist unüberschaubar. Dazu Segal (1987), 3f: „ [...] a possessive family of scholars have stressed the Roman

playwright’s ‘echt-attisches’ parentage, considering the value of Plautus to consist solely in what may be

discerned of his Greek models which lie beneath an exterior defaced by jokes, puns, songs, and

anachronisms.” 10 Vgl. Wolf Steidle (1979), paraphrasiert und zitiert von Lefèvre in Baier (1999): „[...] Änderungen gegenüber dem

Original der Νέα [Kωμωδία] könnten ‚nur Details oder allenfalls die Hinzufügung oder Streichung einzel-

ner Szenen betreffen‘.“ 11 Vgl. Muth (1988) 227ff, sowie Hanson (1959) 50: „Roman religion, like Roman culture in general, was [in Plau-

tus‘ time] already a complex hybrid [...]“

Alexander Bishop Kendzia

6

benbereiche dieser beiden Götter genau zu unterscheiden12

. Es war dann möglich, als das Erzäh-

len von griechischen Göttermythen in Rom populär wurde, für den griechischen Götterpantheon

die römischen Pendants zu identifizieren. Was die kultische Wichtigkeit einzelner Götter an-

langt, gab es für das Rom zu Plautus‘ Zeiten jedoch in der Götterhierarchie etwas anders gelager-

te Schwerpunkte, als bei den Griechen: die bedeutenderen Götter mit Staatskulten waren die er-

wähnten Mars und Quirinus, dazu Vesta, Ceres – und über allen der „Gottvater“ Diespiter, oder

auch Iuppiter13

.

So bunt und vielfältig die römische Religion auch auf den ersten Blick erscheinen mag,

so gab es doch vor allem zwei Konstanten, die auch beide bei der Analyse des Amphitruo von

Belang sein werden: Über dem göttlichen Fußvolk, in dem es ein beständiges Kommen und Ge-

hen gab, thronte seit jeher jahrhundertelang bis zu seiner Entmachtung durch Kaiser Konstantin

immer nur Juppiter; und zweitens: die Römer kannten keinen Mythos – jedenfalls nicht in der

griechischen Form anthropomorpher Göttersagen – zumindest nicht, bis die eigenen Dichter, un-

ter anderem auch Plautus, sie ihnen nahe brachten14

.

Juppiter kam wohl schon mit den ersten indogermanischen Einwanderern nach Italien

und so auch nach Rom. Er kann von Anfang an mit dem griechischen Zeus gleichgesetzt wer-

den15

. Seine Funktionen waren vielfältig: u. a. war er Gott des lichten Himmels (Iuppiter Caeles-

tis), ein Wettergott (Iuppiter Tempestas), Gott des Donners (Iuppiter Tonans) und des Blitzes

(Iuppiter Fulgur)16

. Er scheint außerdem schon seit frühester erkennbarer Zeit von den Römern

als ihr Schutzherr angesehen worden zu sein, und damit – was noch wichtig sein wird – als

Schutzherr eines ethnisch und sozial keineswegs einheitlichen Gemeinwesens. Carl Koch führt

aus17

, dass die Vorstellung einer von einem ihr geneigten Gott geschützten Schicksalsgemein-

schaft in Iuppiter Optimus Maximus ihren kultischen Ausdruck fand. In den Ständekämpfen des

5. Jahrhunderts, nach Beseitigung des Königs und der etruskischen Fremdherrschaft, standen

12 Mars ist vermutlich lazischen, Quirinus sabinischen Ursprungs. Im Laufe der Zeit hat jedoch der Quirinus-Kult an

Bedeutung zugunsten Mars‘ abgenommen. Vgl. Muth (1988) 227f. 13 Auch Juno und Minerva spielten seit der Königszeit eine sehr prominente Rolle. Ihr Kult war mit dem Juppiters

verschmolzen. Vgl. Muth (1988) 243. 14 Nach Varro (116-27 v. u. Z.) gab es bei den Römern drei Arten von Theologie: die des Volkes und des Staates,

die der Philosophen und die der Dichter. Bei Muth (1988) 202, nach Augustinus, De civitate Dei VI 5. 15 Muth (1988) 243. 16 Ibid f. 17 Koch (1937) 121ff = V. Kapitel: „Der politische Wille Roms und die Juppiter-Auffassung des republikanischen

Staatskultes.“

Alexander Bishop Kendzia

7

sich Patriziat und Plebejer, wiederum gespalten in die Aristokratie zugewanderter Geschlechter

und minderer Familien, unversöhnlich gegenüber. Diese Risse in der Gesellschaft hat die res

publica nie überwinden können. Was sie aber zusammenhielt und nach außen stark machte, war

eben Juppiter Optimus Maximus18

. Der Staatskult für Juppiter ist von der römischen Republik

also nicht zu trennen. Der Triumphzug durch Rom nach einer gewonnenen Schlacht, beispiels-

weise, war keine Ehrung für den siegreichen Feldherrnund seiner Armee, sondern eine für

Juppiter, der wieder einmal gesiegt hatte19

. Von Juppiter hing also das Wohlergehen des Staates

ab20

. Daher war es überaus wichtig, ihn richtig zu ehren, ihm sozusagen das zu geben, was seins

war. Nur so konnte man mit Berechtigung hoffen, dass Juppiter den Römern geneigt blieb. Das

berühmte do ut des war also nicht, wie Hanson es in seiner Kritik desselben ausführt21

, ein Ver-

trag zwischen Gleichrangigen, der genau regelt, wer was wann gegen welche Gegenleistung tut.

Es war eine Abmachung zwischen einem sehr Mächtigen und vielen sehr viel Machtloseren, in

dem die Machtloseren nur darauf hoffen konnten, dass der Mächtige sich daran hält22

. Es kam

also nicht darauf an, hingebungsvoll einen liebenden Gott zu verehren, sondern vielmehr darauf,

einen mächtigen und durchaus eigene Interessen verfolgenden Gott gnädig zu stimmen. Daher

auch die immer wieder in der Forschungsliteratur erwähnte Kühle und innere Distanziertheit des

römischen Kultes. Daher auch die Attraktion, die ekstatische und emotional anregendere Kulte

gerade auf niederere Bevölkerungsschichten ausübten, wie zum Beispiel die der Mater Magna,

des Mithras oder später des Jesus Christus, weil nämlich innere Hingabe bei den Römern selbst

nicht gefordert war23

.

Die frühen Römer werden in der Literatur immer wieder als ein eher derbes Bauernvolk

geschildert24

. Diese Derbheit, das Italum acetum des Horaz25

, kommt auch in Plautus‘ Humor

18 Ibid 127f. 19 Der Sklave hinter dem Feldherrn auf der Quadriga, der die Strahlenkrone hielt, musste dem General ständig ein-

flüstern, dass dieser kein Gott sei: „hominem te esse memento.“ Bei Muth (1988) 210. 20 Merkur im Amphitruo 39-40: „[...] meruimus / et ego et pater de uobis et re publica“ („[...] wir haben uns verdient

gemacht, / Ich und der Vater, um euch und um die Republik“). NB: Alle Übersetzungen sind meine. 21 Hanson (1959) 85ff. 22 Vgl. Merkur im Amphitruo 284: „aïn vero, verbero ? deos esse tui similis putas ?“ („Du meinst das wirklich,

Schlingel, deinesgleichen sei wie die Götter?“) und Amphitruo selber 1144: „[...] te oro promissa ut serues

tua.“ („[...ich] bitte dich, dass du deine Versprechen hältst.“) 23 Vgl. Muth (1988) 213. 24 Vgl. Muth (1988) 238f über die frühe römische Religion, Lefèvre über die Saturnalien in Stierle (1988) 46 und die

vielen Studien, die sich mit italischem Stegreiftheater beschäftigen. Da die Überlieferung von italischem

Stegreifspiel wie Mimus, Feszenninen und Atellane notwendigerweise sehr dünn ist, da es sich ja eben um

Improvisationstheater handelte, wird römische Grobschlächtigkeit häufig in Abgrenzung von der griechi-

Alexander Bishop Kendzia

8

zum Vorschein und hat viele moderne Intellektuelle zu abschätzenden Meinungen über Plautus

geführt26

. Im täglichen Leben korrespondiert diese Derbheit aber mit bäuerlicher Pragmatik: Man

benutzt das Werkzeug, welches funktioniert. Wenn es nicht mehr funktioniert, oder wenn man

ein besseres findet, wird es repariert oder ausgetauscht. Dies trifft auch auf den Götterkult zu.

Daher die Bereitschaft der Römer, fremde Kulte zu integrieren, wenn sie sahen, dass sie funktio-

nierten. Religion war eine ernste und praktische Angelegenheit. Aus diesem Grunde konnte der

griechische Geschichtsschreiber Polybios im 2. Jahrhundert v. u. Z. schreiben, „die Römer seien

frömmer als die Götter“27

, obwohl ihre Art zu verehren eher sachlich und distanziert war. Zum

Beispiel hat eben ihre Art Juppiter zu verehren, in ihren Augen funktioniert: die römische res

publica war groß und mächtig geworden. Die eigene Geschichte wurde die Bestätigung und

Rechtfertigung des Staatskultes für Juppiter. Daher auch die römische Obsession für ihre eigene

Geschichte, die sich literarisch in der von ihnen so gepflegten Geschichtsschreibung niederge-

schlagen hat.

Die Verehrung Juppiters könnte also mit dem Verhältnis von Hörigen zum einem Feu-

dalherrn verglichen werden28

. Die Hörigen haben ein Interesse, den Feudalherrn bei Laune zu

halten, damit ihre eigene Gemeinschaft gedeiht. Der Feudalherr hat seinerseits ein Interesse, dass

die Gemeinschaft der Hörigen gedeiht, weil er das Seine nur von ihnen erhalten kann. Dies wür-

de das Eingreifen Juppiters am Ende des Amphitruo erklären: so lustig es auch gewesen ist, unter

den Menschen für ein bisschen Aufruhr zu sorgen und sie konfus hin- und herrennen zu sehen,

so wichtig ist es dann doch, sie wieder zu beruhigen und für Ordnung zu sorgen. Dies schließt

keineswegs aus, dass der anthropomorphe Juppiter im Amphitruo nicht vielleicht doch so etwas

wie echte Zuneigung zu Alkmene besitzt. Was das Machtverhältnis angeht, so ist Plautus jedoch

kompromisslos: Das eine Mal, dass ein Mensch im Amphitruo wirklich den Machtanspruch

schen Neuen Komödie herausgefiltert. Die römische Komödie, gerade auch die von Plautus, gilt immerhin

als eine Verschmelzung italischer Stegreiftradition mit der Neuen Komödie. Die italischen Theaterformen

erscheinen in diesem Vergleich regelmäßig als besonders vulgär, obszön und auf spontane Situationskomik

ausgerichtet. Man betrachte nur die Artikel von Lefèvre, Benz, Ulrike Auhagen und Barbara Sherberg in

Baier (1999) und ihre umfangreichen Literaturverzeichnisse. 25 Sat. 1, 7, 32 in Lefèvre in Stierle (1988) 46. 26 Vgl. Anm. 9. Siehe auch Gilbert Norwood (1932) in Segal (1987) 4: „The genuinely Greek passages should be

distinguished from the far larger bulk where the original has been smothered by barbarous clownery, intol-

erable verbosity, and an almost complete indifference to dramatic structure.“ 27 In Historien VI 56, 6-8, in Muth (1988) 221578. 28 Dieser Vergleich hinkt natürlich, dient aber hier nur zur Veranschaulichung eines Abhängigkeitsverhältnisses

zwischen einem Herrn und weitgehend machtlosen Hörigen.

Alexander Bishop Kendzia

9

Juppiters herausfordert29

, schickt der Gott kurz mal Blitz und Donner und stellt klar, wer hier das

Sagen hat. Amphitruo, als Soldat der Sprache von Hierarchie und Gewalt mächtig, akzeptiert

dann auch sofort das Unvermeidliche: da Auflehnung zwecklos ist, erinnert er lediglich Juppiter

an dessen Versprechen (1144):

faciam ita ut iubes et te oro promissa ut serues tua.

Ich werde tun wie du es wünschst und bitte dich, dass du deine Versprechen

hältst.

Daraus folgt: wenn der Schutzherr der Stadt seinen Pflichten des Schutzes der Stadt nachkommt,

muss man es eben hinnehmen, wenn es ihn dann und wann einmal nach ihrer attraktiven Sterbli-

chen gelüstet.

Als Juppiter dann im 4. Jahrhundert u. Z. mit dem Schutz des inzwischen riesig und rissig

gewordenen Reiches offensichtlich überfordert war, hat Konstantin den durch äußerst zähen

Überlebenswillen beeindruckenden Christengott bei der berühmt gewordenen Schlacht an der

Milvischen Brücke ausprobiert. Er funktionierte – und Juppiter wurde in den Ruhestand ver-

setzt30

.

2.2 Mythos

Amphitruo basiert auf dem Mythos von der Zeugung und Geburt des Herakles. Dieser Mythos ist

griechisch. Von Plautus auf die römische Bühne gebracht, wird er dennoch in den Kontext der

römischen Religion gebracht, da zwar das griechische Milieu (Theben) erhalten bleibt und die

Menschen durch ihre Namen eindeutig als Griechen gekennzeichnet werden, die Götter jedoch

29 Amphitruo 1050-1052:

[... omnes] óptruncabo in aedibus.

neque Iuppiter neque di omnes id prohibebunt, si volent,

quin sic faciam uti constitui.

[... alle] werd‘ im Haus ich schlachten!

Weder Juppiter noch alle and’ren Götter werden das verhindern,

Selbst wenn sie’s wollten, dass ich tu‘, was ich beschloss.

30 Von einer solchen Perspektive aus ist die ganze in der Forschung geführte Debatte, ob Konstantin nun gläubiger

Christ war oder nicht, belanglos: als pragmatischer Römer wird er daran geglaubt haben, was seinen Zweck erfüllte. Beim Christengott war das der Fall. Das wird Konstantin gereicht haben, um sich als „Christ“ zu

bezeichnen. Die Ironie der Geschichte ist lediglich, dass man daraus folgernd sagen könnte, dass das Reich

das Christentum benutzen wollte, um sich selbst zu bewahren, im Endeffekt aber das Christentum das

Reich benutzte, um sich zu stärken und weiter zu wachsen – auch über das Reich hinaus und überhaupt

auch ohne es.

Alexander Bishop Kendzia

10

mit ihren römischen Namen auftreten. Die Sagen von Göttern in Menschengestalt, die den Men-

schen ähnlich fühlen und handeln, nur eben mit Unsterblichkeit und mehr Macht ausgestattet

sind, hatte für die griechische Religion die Bedeutung, dadurch die Götter zu sehen. Karl

Kerényi bezeichnet die griechische Religion als eine „Religion der Schau“31

. Demgegenüber ist

die scheinbare Mythenlosigkeit der römischen Religion frappant. Frappant zum einen, da es eine

typisch römische Eigenart gewesen zu sein scheint, da Götterbilder und Mythen bei anderen ita-

lischen Völkern und bei den Etruskern durchaus vorhanden gewesen sind32

. Zum anderen, da die

römische Religion keine von den Griechen grundverschiedene gewesen ist, wie beispielsweise

die monotheistische der Juden. Hier wie da gab es einen endlosen Polytheismus. Alle wichtigen

Allgemeingötter hatten entweder mehr oder weniger direkte Entsprechungen, oder aber Entspre-

chungen entstanden durch Angleichungen und Übernahmen im Rahmen von immer intensiverem

Kulturkontakt. Koch spricht sogar von einer bewussten Entmythisierung als ein entscheidendes

Merkmal römischer Religiosität33

, in dem Sinne, dass die Römer der Überzeugung waren, die für

sie richtige Verehrungsart auszuführen34

, die wiederum durch das Funktionieren in der Ge-

schichte bestätigt worden war35

. Das führte soweit, dass in den Staatskult übernommene fremde

Kulte, z. B. der der Mater Magna, ohne die kultische Verwendung des Mythos eingerichtet wur-

den36

.

Muth erklärt, dass sich die Götter der Römer in actu, das heißt im Moment eines göttli-

chen Erscheinens bzw. Eingreifens, als ein numen (von nuere „abnicken“), also als ein Zeichen,

offenbarten37

. Es wird also für das Erkennen des Göttlichen keine Sage benötigt. Koch und

Kerényi stellen fest, dass das Leben der den Göttern geweihten Priestern der gelebte Mythos ge-

wesen sei38

. Die Vestalinnen für Vesta und der flamen dialis für Juppiter führten ein von stren-

gen Bestimmungen geregeltes göttliches Leben nicht nur als andauernde Kulthandlung, sondern

als beständig stattfindenden Mythos. Kerényi streicht noch die Bedeutung von Vorzeichenerken-

nung bei den Römern heraus und bezeichnet daher die römische Religion im Gegensatz zur grie-

31 Kerényi (1963) 158. 32 Ibid 229. 33 Koch (1937) 130. 34 Vgl. Muth (1988) 220, Cicero und Sallust folgend: „Sie [die Römer] waren überzeugt, daß sie die anderen Völker

in Hinsicht auf die religio überträfen.“ 35 Koch (1937) 128f. 36 Kerényi (1963) 229. 37 Muth (1988) 204. 38 Koch (1937) 19 und Kerényi (1963) 230.

Alexander Bishop Kendzia

11

chischen als eine „Religion des Hinhorchens“. Was den Griechen ihr νους ist, ihr Wissen um die

Götter, so Kerényi, ist den Römern das numen, das Verstehen des göttlichen Willens39

.

Was heißt das aber für einen griechischen Mythos, der auf einer römischen Bühne den

Hintergrund für eine Theaterhandlung darstellt? Die Annahme, dass der griechische Mythos nun

völlig unzusammenhängend mit römischen Göttervorstellungen willkürlich Handlungen von

Göttern darstellen könnte, lässt sich zumindest aus dem Amphitruo nicht ableiten. Juppiter ist im

Amphitruo frivol, aber mächtig; er handelt hier und da willkürlich, ist sich aber schlussendlich

seiner Verantwortung für die Sterblichen bewusst; seine Verdienste um die res publica40

als auch

seine Anwesenheit bei der Entscheidungsschlacht der Thebaner mit den Teloboern werden von

Merkur hervorgehoben (249):

namque ego fui illi in re praesenti et meu‘ quom pugnatum est pater.

Denn ich war mittendrin im Kampfe und so auch mein Vater.

Juppiter kümmert sich also um die Thebaner und hat bei ihnen sozusagen noch etwas gut. Mer-

kur fordert dafür und für die Wohltaten anderer Götter von den Menschen Verehrung (39-45):

debetis velle quae velimus : meruimus

et ego et pater de vobis et re publica ;

nam quid ego memorem (ut alios in tragoediis

uidi, Neptunum, Virtutem, Victoriam,

Martem, Bellonam commemorare quae bona

vobis fecissent) quis benefactis meu‘ pater,

deorum regnator, architectust omnibus ?

Wollen müsst ihr, was wir wollen: wir haben uns verdient gemacht,

Ich und der Vater, um euch und um die Republik;

Denn was soll ich erinnern (so wie ich sah,

Dass anderer in Tragödien – Neptun, Virtus, Victoria,

Mars und Bellona, ob was sie euch getan,

Gedacht wurde), mit welchen Segenstaten mein Vater,

Der Götter Herrscher, euch allen dies erschafft?

Der Götter Machtanspruch wird an keiner Stelle im Stück bestritten. Der griechische Mythos

mag oder mag nicht eine Rolle im römischen Religionsverständnis gespielt haben, Plautus hat

ihn jedoch keinesfalls im Gegensatz dazu dargestellt.

39 Kerényi (1963) 161. 40 Siehe Anm. 18.

Alexander Bishop Kendzia

12

2.3 Merkur

Ach ja, Merkur ... Fast hätte sich der Gott der Diebe und Betrüger vor der Festnahme in dieser

Studie davon gestohlen. Vermutlich etruskischer Herkunft41

, wurde sein Kult erst relativ spät in

Rom heimisch. Erst 495 v. u. Z. bekam er seinen ersten Tempel in der Nähe des Circus maximus.

Bedeutend als Gott der Kaufleute, wurde die Vorstellung von ihm im 4. Jahrhundert mehr und

mehr mit der des griechischen Hermes verschmolzen42

. Zu Plautus‘ Zeiten wird dieser Prozess

als abgeschlossen zu betrachten sein. Er ist damit ein gutes Beispiel für die oben beschriebene

Flexibilität der römischen Religion. Obwohl er im Amphitruo in der Gestalt eines menschlichen

Sklaven auftritt – und von seinem Vater Juppiter praktisch wie ein, wenn auch göttlicher, Sklave

behandelt wird – lässt er doch keinen Moment Zweifel darüber aufkommen, wer Gott und wer

nur Mensch ist, und wer über wem steht, so besonders direkt in Zeile 284 zu Sosia:

aïn vero, verbero ? deos esse tui similis putas ?

Du meinst das wirklich, Schlingel, deinesgleichen sei wie die Götter?

Als Götterbote ist Merkur besonders geeignet, den einleitenden Prolog zu sprechen und das Pub-

likum mit dem Hinweis, dass es von ihm als Gott der Kaufleute schließlich Glück bei geschäftli-

chen Unternehmungen erhoffe, zu gottgefälligem Benehmen aufzufordern (13-16):

haec ut me uoltis adprobare, adnitier

lucrum ut perenne uobis semper suppetat,

ita huic facietis fabulae silentium

itaque aequi et iusti hic eritis omnes arbitri.

So wie ihr wollt, dass ich dies segne, mich bemühe,

Dass langer Wohlstand euch beständig sei,

So werdet ihr diesem Spiel Beachtung geben

Und alle ehrliche und gerechte Richter sein.

In den direkten Zusammenstößen mit Sosia und Amphitruo ist es deutlich, dass sie es mit Merkur

als Gott (auch in Gestalt eines eher ängstlichen Sklaven) nicht aufnehmen können: Merkur ver-

teilt die Prügel und bezieht selbst keine. Dies ist immerhin bemerkenswert, da Merkur in der Ge-

stalt des Sosia auch Sosias Körperstatur hat und Sosia daher im direkten handgreiflichen Zu-

sammenstoß mit ihm auf Augenhöhe kämpfen sollte. Die Götter-Menschen-Hierarchie wird also

41 Muth (1988) 269f. 42 Ibid 270.

Alexander Bishop Kendzia

13

auch mit einem Gott in Sklavengestalt bestätigt und das Autoritätsverhältnis notfalls auch durch

das Gesetz der Straße gesichert.

3. Das Lustspiel beim Karneval: alles steht Kopf – wirklich alles? Die Saturna-

lien, Plautus und Amphitruo.

3.1 Saturnalien

Segal, Lefèvre und andere betonen, dass Komödien nur zu bestimmten staatlichen Festen aufge-

führt wurden43

. Begründet wird dies unter anderem mit dem aufmüpfigen Charakter der römi-

schen Komödie. Die Figur des schlauen und gewitzten Sklaven, geistig seinem Herren überle-

gen, und in der Komödie der eigentliche Träger des Komischen, ist auch schon in der griechi-

schen Neuen Komödie angelegt. Doch während jener Sklave in der Neuen Komödie seine Fä-

higkeiten schlussendlich zum Wohle seines Hauses einsetzt, geht es ihm in der römischen darum,

seinen Herren unter zu kriegen und selbst wie ein Herr behandelt zu werden44

. Wichtig ist hierbei

die Formulierung „behandelt zu werden“ und eben nicht „selbst zu werden“. Dem revolutionären

Potential einer solchen Umkehrung wird der Sprengstoff entzogen, indem es als staatlich sankt i-

oniertes Spiel auf ganz bestimmte Gelegenheiten beschränkt wird: den römischen Saturnalien,

dem Vorläufer des späteren Karnevals, wo die Narren die Könige bzw. die Sklaven die Herren

werden – für einen Tag. Dann ist der Spuk vorbei und die Verhältnisse wieder wie vorher45

.

Während der Saturnalien aßen die Sklaven mit ihren Herren, wurden oft genug von ihren

Herren bedient, und konnten sagen, was sie wollten. Die Ausgelassenheit des Festes lässt sich

dadurch veranschaulichen, dass ein rex bibendi gewählt wurde, im Allgemeinen auch ein Sklave.

Was jedoch gesagt wurde, war am nächsten Tag, wenn das Fest vorbei war, wieder vergessen

und vergeben46

. Die Saturnalien waren also kein Protest gegen die bestehende Ordnung, sondern

43 Segal (1987) 8 und überhaupt passim, und Lefèvre in Stierle (1988) 45. Vgl. auch Horaz in Epist. 2, 1, 145-148, in

Segal (1987) 8: „Fescennina per hunc inventa licentia morem / versibus alternis opprobria rustica fudit“

(„Spontanen Spott und wechselseit‘gen Bauernschmäh / Erschaffte die Freiheit durch diese Sitte [d. h. die-se Festtage]“).

44 Lefèvre in Stierle (1988) 32f. 45 Vgl. Michail Bakhtin in Lefèvre in Stierle (1988) 45: „Die Rechte der Narrenkappe waren im Mittelalter genauso

heilig und unantastbar wie jene des Pileus während der römischen Saturnalien.“ 46 Lefèvre in Stierle (1988) passim.

Alexander Bishop Kendzia

14

ein Ventil in einer ansonsten von strikter Hierarchie, Nüchternheit und militärischer Disziplin

geprägten Gesellschaft. Sie waren ludi, Spiele, oder wie Segal es in Anlehnung an Sigmund

Freud ausdrückt, „a holiday for the superego“47

. Die Saturnalien, am 17. Dezember vermutlich

als Erinnerung an das goldene saturnische Zeitalter, als es noch keine Unterschiede zwischen den

Menschen gab, gefeiert48

, waren nicht das einzige Fest mit Ständeumkehrungsbezug. Bei ande-

ren Gelegenheiten49

wurden dann nur Komödien aufgeführt50

. Und weshalb Komödien nur bei

staatlichen Festen zu sehen waren, wird bei einer Betrachtung der Handlungen der erhaltenen

römischen Komödien (auch der von Terenz) deutlich ersichtlich: die Sklaven „have the license to

go too far“51

. Anders als in der Neuen Komödie „verlieren [sie] leicht jedes Maß“52

. Der Spaß-

faktor, wenn man zusieht, wie kleine Leute es denen da oben mal so richtig zeigen, ist auch heute

noch die Grundlage vieler Komödien.

Die Gefahr, dass sich jemand von „da oben“ mal persönlich angesprochen fühlte und das

Bühnengeschehen dann nicht mehr ganz so lustig fand, und der Theaterautor dann vielleicht

doch Repressalien zu fürchten hatte, ist durchaus real gewesen. Naevius hat diese Erfahrung ma-

chen müssen53

, und es ist sicherlich nicht vermessen, anzunehmen, dass er keine einsame Aus-

nahme gewesen ist. Um sich davor zu schützen, wird es damals wie heute unter repressiven Au-

toritäten ein Ausweg gewesen sein, die Handlung einfach zu exotisieren. Von Griechenland war

weit weg, aber jeder hatte eine Vorstellung davon, sollte sie nun stimmen oder nicht54

. Hier

konnte ein Autor freier schreiben55,56

. Diese Tatsache mag ein Grund dafür sein, dass alle erhal-

tenen Stücke der römischen Komödie Palliaten sind, von der Togata aber nur Fragmente übrig

sind: das römische Publikum wird jene schlicht besser und des immer wieder Aufführens für

lohnender befunden haben57

. Plautus‘ eine Thema war also die Umkehrung des Autoritätsver-

hältnisses zwischen Herren und Sklaven, das andere war Liebe. Und da es bei Plautus generell

47 Segal (1987) 13. 48 Lefèvre in Stierle (1988) 35. 49 Vgl. Ovid, der in den Fasti III, V, 785f erwähnt, dass die Liberalia am 17. März Spiele gehabt haben. Bei Lefèvre

in Stierle (1988) 46. 50 So Manfred Fuhrmann in Lefèvre in Stierle (1988) 3827. 51 Segal (1987) 144. 52 Lefèvre in Stierle (1988) 38. 53 Manfred Fuhrmann in Lefèvre (1973) 88. 54 Siehe Anm. 7. 55 Segal (1987) 40f. 56 Es wird sich auch gut getroffen haben, dass mit den Stücken der Mittleren und Neuen Komödie ein schier uner-

schöpflicher Fundus an Vorlagen dem des Griechischen Mächtigen zur Verfügung stand. 57 Lefèvre in Stierle (1988) 42f.

Alexander Bishop Kendzia

15

etwas handfest zugeht, kann „Liebe“ auch schlicht durch „Sex“ ersetzt werden. Beide Motive

sind der rote Faden, der alle erhaltenen plautinischen Stücke miteinander verbindet58

.

3.2 Autoritätsverhältnisse

Was die Umkehrung des Autoritätsverhältnisses zwischen Herren und Sklaven betrifft, scheint

der Amphitruo auf den ersten Blick etwas heraus zu fallen: weder begehrt Sosia gegen Amphi-

truo auf, noch ordnet sich dieser jenem unter. Auch Merkur erfüllt brav die Anweisungen seines

Vaters und Vorgesetzten. Bei genauerem Hinsehen können jedoch auch hier die für die plauti-

nische Komödie typischen Humorszenarien erkannt werden. Es ist der gewitzte Sklave Sosia, der

aus der Tragödie eine Komödie, oder wie Plautus es Merkur sagen lässt (59), eine tragicomoedia

macht. Dies nicht nur nach der antiken Dramentheorie, in der Tragödien im adligen und göttli-

chen Milieu spielen, Komödien jedoch im bürgerlichen, sondern auch nach modernen Maßstä-

ben, weil vor allem er den Humor in eine an und für sich tragische Handlung hineinbringt59

. Ge-

genüber dem vermutlich eher einfachen Publikum von Plautus60

dürfte er der Sympathieträger

gewesen sein, der es sich, als alle anderen sich in der Entscheidungsschlacht gegen die Teloboer

totschlugen, in einer Taverne gut gehen ließ – mit ungemischtem Wein, wie er selbst betont

(431). Von seinem Herrn mit einem unmöglichen Auftrag des nachts losgeschickt, bastelt er aus

dem Hörensagen die Geschichte vom Schlachtverlauf nach dem Grundsatz zusammen, „sag der

Herrin, was auch immer sie hören will, aber sag es gut“ (200). Von Merkur seiner Identität be-

raubt, fällt er nicht etwa in eine (gewalttätige) Krise, wie später sein Herr Amphitruo, sondern

ganz in der Art eines Clowns, der bei jeder noch so großen Katastrophe immer wieder auf die

Füße fällt, findet er auch darin das Positive (461-462):

nisi etiam is [Amphitruo] quoque me ignorabit : quód ille faxit Iuppiter,

ut ego hòdie raso capite calvos capiam pilleum.

Wenn auch er [Amphitruo] mich nicht erkennt: das mache jener Juppiter,

Dass ich heut‘ kahl und glattrasiert die Freiheitsmütz‘ mir nehm!

Auch im direkten Zusammensein mit seinem Herrn zeigt sich der Sklave deutlich überlegen, in-

dem er nicht nur die Geschehnisse sehr weitgehend durchschaut (785-786):

58 Vgl. die umfassenden Untersuchungen von Lefèvre in Stierle (1988) und in Lefèvre (1973), sowie Segal (1987). 59 Vgl. mit der Humortheorie in Segal (1987) 110. 60 Vgl. George E. Duckworth in Lefèvre (1973) 42, sowie Segal (1987) 2, der von „a huge, unruly–and probably

drunken–crowd“ spricht.

Alexander Bishop Kendzia

16

tu [Amphitruo] peperisti Amphitruonem alium, ego alium peperi Sosiam ;

nunc si patera pateram peperit, omnes congeminauimus.

Du [Amphitruo] gebarst einen zweiten Amphitruo, ich einen zweiten Sosia;

Wenn jetzt der Kelch ‘nen zweiten Kelch gebar, sind wir alle doppelt.

Sosia versucht auch sofort ganz pragmatisch, mit allen Widrigkeiten konstruktiv umzugehen.

Sein Herr dagegen verliert sich in einer Endlosschleife von Anschuldigungen gegen seine Frau

(Szene II.ii) und dreht schließlich durch (IV.iii).

Allerdings wird dadurch das Autoritätsverhältnis Sklave-Herr noch nicht hinreichend in

Frage gestellt. Für das Publikum besteht jedoch der Spaß auch darin, wie der Herr leidet, wäh-

rend der Diener triumphiert. Dass der Diener Sosia hier als Persönlichkeit seinen Herren in den

Schatten stellt, ist oben beschrieben worden. Was das Leiden des Herren für das Publikum be-

deutet, kann gut mit dem Interesse verglichen werden, welches zum Beispiel heutiges Lesepubli-

kum an Prominenten-Zeitschriften findet: auch die Mächtigen, Reichen und Berühmten bekom-

men Krebs, haben Liebeskummer und werden gedemütigt. Sie mögen eben berühmt, reich und

mächtig sein, aber im Grunde sind sie nicht unbedingt besser dran als die einfachen Leute61

. Der-

selbe Mechanismus wirkt im Amphitruo: eigentlich völlig unschuldig, nur durch das kapriziöse

Handeln des obersten der Götter, auf den pikanterweise von allen ständig geschworen wird, wer-

den in ihren eigenen Augen ein erfolgreicher, mutiger und tadelloser General zum gesellschaftli-

chen Nichts, und eine treue, liebende und gerechte62

adlige Frau zur Schlampe degradiert. Für

Amphitruo, dem Namensgeber dieser tragicomoedia, kulminiert die zerbröselte Autorität in IV.ii

im Verhalten des vermeintlichen Sosia, eigentlich ja Merkur, für das allwissende Publikum im

schlichten Abwenden von ihm des ihm unterstehenden Schiffskapitäns Blepharo (1035):

Vos inter vos partite ; ego abeo, mihí negotium est ;

Teilt nur zwischen euch; ich gehe, hab‘ zu tun.

Die römische Komödie, gespielt an den Saturnalien und anderen ludi, behandelt also aus-

giebig Autoritätsverhältnisse, stellt sie in Frage und kehrt sie auch um. Doch was tut sie bezüg-

lich des Autoritätsverhältnisses zwischen Göttern und Menschen in dem einzigen überlieferten

Stück der Palliata, wo Götter prominent vorkommen? Nichts! Abgesehen von dem, was schon

61 Selbstverständlich gibt es auch andere Motive, bunte Blätter zu konsumieren. 62 Man beachte ihr Eintreten für den vermeintlichen Sosia in 520.

Alexander Bishop Kendzia

17

vorher, das heißt vor den Festtagen, festgefügt war: Die Götter sind viel zu mächtig, als dass die

Menschen sich mit ihnen anlegen sollten. Es ist im Interesse der Menschen, zu gehorchen und

hinzunehmen. Sollten sie das einmal, wie Amphitruo in seinem Wutausbruch63

vergessen, be-

kommen sie in einer Comic-Art, die an Asterix & Obelix erinnert, die göttliche Keule übergezo-

gen. Wieder bei Sinnen, entsinnt sich auch Amphitruo dieses Autoritätsverhältnisses: „Oh Herr,

du hast mit meiner Frau geschlafen? Kein Problem. Immer wieder gerne.“64

Im Amphitruo des

Plautus lacht das Publikum nicht über die Götter, sondern mit ihnen65

.

4. Die Verhältnisse im Einzelnen: ein nicht ganz so flotter Dreier und ein biss-

chen Spaß muss schon sein

4.1 Spaß

Juppiter erscheint der hochschwangeren Alkmene einen Tag vor ihrer Niederkunft als ihr vom

gewonnenen Krieg heimkehrender siegreicher Ehemann und General, um mit ihr einen Tag vor

der offiziellen Heimkehr der Armee schon vorab ein bisschen privat sein zu können und die

63 Siehe Anm. 28. 64 Echtes Zitat (1144-1146):

faciam ita ut iubes [...]

ibo ad uxorem intro [...]

nunc, spectatores, Ioui‘ summi caussa clare plaudite.

Ich werde tun, wie du es wünschst [...]

Ich geh‘ zu meiner Frau hinein [...] Jetzt, Publikum, klatscht grandiosen Beifall für den großen Juppiter!

(Der Sinn wäre auch dann nicht verändert, wenn es nicht Amphritruo ist, der die letzte Zeile spricht, wie es

Sedgwick (1960) 132 für möglich hält.)

Interessant wäre natürlich ein letztes Auftreten Alkmenes nach Juppiters Offenbarung. Aber was sollte sie

sagen? Wenn sie zeigt, dass Juppiters Verführung ihr nichts ausgemacht, könnte Amphitruo wieder ausflip-

pen; geht sie dagegen Juppiter an, müsste nach der Logik des göttlich-menschlichen Autoritätsverhältnisses

Juppiter auch ihr gegenüber Strenge wahren. Also lässt Plautus sie weise im Haus bei ihren Babies. In die-

sem Zusammenhang ist Ludovica Radifs (2001) 371 Lesart bemerkenswert, nach der Alkmene weiß, dass

es Juppiter ist, mit dem sie zusammen ist, und nach der sie selbst nur nach außen die Ahnungslose spielt,

um die Form zu wahren. Zumindest als Inszenierungsidee für die Rolle der Alkmene wäre das interessant. 65 Wie überhaupt das göttliche Lachen eines der markantesten Merkmale der griechischen Religion – und übernom-

men auch der römischen „Theologie der Dichter“ (vgl. Anm. 14, Varros Klassifizierung) – ist. Am bekann-

testen, aber nicht der einzige, ist vielleicht der Mythos von Hephaistos‘ Fesselung von Aphrodite und Ares.

Der Gegensatz zu den abrahamischen Gottesvorstellungen könnte kaum größer sein: der HERRGOTT, ,

und sind ausgesprochen humorlos.

Alexander Bishop Kendzia

18

glückliche Heimkehr zu feiern. Kein anderer Grund, als der von Juppiters Lust, wird in dem

Stück erkennbar. Der zukünftige Wohltäter und Held der Menschen, Herkules, ist bereits ge-

zeugt. Alkmene ist mit ihm im siebten Monat schwanger. Herkules‘ Zeugung muss notwendi-

gerweise das letzte Mal gewesen sein, dass Juppiter Alkmene beigewohnt hat. Aus der Art, wie

die glückliche Heimkehr des vermeintlichen Amphitruo als etwas Langersehntes geschildert wird

(Alkmenes Haltung in der Abschiedsszene von Juppiter-Amphitruo in I.iii und die des echten

Amphitruo bei seiner Heimkehr II.i und ii), wird es danach kein Treffen mehr von Alkmene mit

einem der beiden Amphitruen gegeben haben. Auch, dass Juppiter schon vor etwa neun Mona-

ten, als nach Plautus‘ Version Iphikles von Amphitruo gezeugt wurde, mit dabei war, passt nicht,

denn auch Herkules hätte ja dann schon damals gezeugt werden können66

. Diese Konstellation

lässt den Schluss zu, dass Juppiter einen Feldurlaub Amphitruos vortäuschte, um Alkmene mög-

lichst ungestört für sich alleine zu haben67

. Es ging ihm folglich um mehr, als nur darum, den

Menschen einen Helden zu zeugen, sondern auch, oder vielmehr überhaupt, um seinen Spaß. Er

nimmt es durchaus in Kauf, dass Alkmene und Amphitruo in eine tiefe Ehekrise gestürzt werden

66 In diesem Punkt weicht Plautus‘ Fassung vom überlieferten Mythos ab, in dem Herkules kurz vor Iphikles und

beide erst um die Heimkehr Amphitruos herum (also zu dem Zeitpunkt, in dem Plautus‘ Amphitruo spielt)

gezeugt wurden. Vgl. Apollod. 2. 4. 7-8. NB: Ob diese Verschiebung der Zeugungen der beiden Jungen auf

Plautus selber oder eine Vorlage zurückgeht, lässt sich nicht bestimmen, da über Plautus‘ Vorlagen nur

spekuliert werden kann. 67 Viele Altphilologen vermuten hier grobe dramaturgische Schnitzer von Plautus, oder zumindest Kontaminationen

von Kopisten, z. B. Norwood (siehe Anm. 26); Blänsdorf (2000) 154; Johannes Th. Kakridis & Wolf

Steidle in Sherberg in Baier (1999) 132. Natürlich ist so etwas nie völlig auszuschließen. Es ist allerdings

kaum nachvollziehbar, dass einem solch versierten Theatermann wie Plautus, dessen dramaturgisches

Feingefühl kaum eine kompositorische Möglichkeit ungenutzt ließ, solch ein Fehler unterlaufen ist. Auch

die Kopisten-These ist zu verwerfen, da Merkur auf diesen merkwürdigen Umstand in 480-485 direkt hin-

weist:

hodie illa [Alcumena] pariet filios geminos duos :

alter decumo post mense nascetur puer

quam seminatust, alter mense septumo ; eorum Amphitruonis alter est, alter Iouis :

uerum minori puero maior est pater,

minor maiori.

Heute wird sie [Alkmene] Zwillinge gebären:

Der eine Junge wird zehn Monate, nachdem er

Gezeugt, geboren, der and‘re sieben;

Davon der eine Amphitruos, der andere Juppiters:

Jedoch der jüngere den ält’ren Vater, Den jüngeren der ält’re hat.

Man wird also davon ausgehen müssen, dass Plautus das so gewollt hat. Dazu Segal (1987) 1: „Of all the

Greek and Roman playwrights, Titus Maccius Plautus is the least admired and the most imitated. ‘Serious’

scholars find him insignificant, while serious writers find him indispensable.”

Alexander Bishop Kendzia

19

würden, sollte Alkmene nach Amphitruos Heimkehr auf jenen überraschenden „Feldurlaub“ zu

sprechen kommen. Diese beiden Aspekte sind typisch für das Verhältnis zwischen Göttern und

Menschen, wie es sich im Amphitruo zeigt: Es geht den Göttern vor allem um ihre Possen. Wenn

dabei Menschen zu Schaden kommen, ist das zweitrangig. Merkur lässt an Juppiters Interessen

keinen Zweifel (112-114):

et meu‘ pater nunc intus hic cum illa [Alcumena] cubat,

et haec ob eam rem nox est facta longior,

dum cum illa quacum uolt uoluptatem capit ;

Und mein Vater liegt jetzt hier drin mit jener [Alkmene],

Und drum ward diese Nacht verlängert,

Solange er mit ihr, so wie’s ihm passt, die Lust ergreift;

oder 131-132:

pater nunc intus suo animo morem gerit :

cubat complexus quoiius cupiens maxume est ;

Der Vater lässt sich’s jetzt da drinnen so recht wohlergehen:

Liegt in den Armen derer, die so heiß er liebt;

oder 464-465, nachdem er Sosia vertrieben hat:

amoui a foribus maxumam molestiam,

patri ut liceret tuto illam [Alcumenam] amplexarier.

Von der Tür hab‘ ich verscheucht ‘ne große Plage,

Damit der Vater jene [Alkmene] sicher herzen kann.

Oder besonders perfide 470-473:

erroris ambo ego illos [Amphitruonem et Sosiam] et dementiae

complebo atque Amphitruonis omnem familiam,

adeo usque satietatem dum capiet pater

illius [Alcumenai] quám amat.

Jene beiden [Amphitruo und Sosia] werde ich erfüllen

Mit Täuschung und mit Wahnsinn, sowie Amphitruos ganzes Haus,

Bis dass dann Sättigung von jener [Alkmene] hat der Vater,

Die er liebt.

Alexander Bishop Kendzia

20

Oder auch Juppiter selber, der nach der dreifach verlängerten Nacht, während Amphitruo schon

misstrauisch durch die Stadt streift, es nicht lassen kann, seine „Frau auf Pacht“68

noch ein letz-

tes Mal zu genießen (980-981):

uolo deludi illunc [Amphitruonem], dum cum hac usuraria

uxore nunc mi morigero.

Jenen [Amphitruo] will ich gefoppt, solang‘ ich mich

Dieser Leihfrau noch erfreu‘.

Ein weiterer Aspekt fällt auf: die Götter erscheinen im Amphitruo allwissend, indem sie

über die Zukunft Kenntnis haben. So kündigt Merkur in Szene I.ii den gesamten Verlauf des

weiteren Stückes an (486-493)69

:

sed Alcumenai huius honoris gratia

pater curauit uno ut fetu fieret,

uno ut labore apsoluat aerumnas duas

et ne in suspicione ponatur stupri

et clandestina ut celetur consuetio.

quamquam, ut iam dudum dixi, resciscet tamen

Amphitruo rem omnem. quid igitur ? nemo id probro

profecto ducet Alcumenae ;

Doch Alkmenen zu Gefallen besorgte es

Der Vater, dass mit einer Niederkunft nur

Und einmal Wehen beide Mühen sollen geschafft;

Und dass kein Verdacht um sie entstehe,

Geheim sein Umgang mit ihr bleibe.

Obwohl, wie ich bereits gesagt, dennoch wird

Amphitruo das Ganze wissen. Was also? Niemand,

Fürwahr, wird es gegen Alkmenen halten.

Auch Juppiters Monolog in III.i kann so verstanden werden (869-877):

simul Alcumenae, quam vir insontem probri

Amphitruo accusat, ueni ut auxilium feram :

nam mea sit culpa, quod egomet contraxerim,

68 Blänsdorf (2002) in seiner Übersetzung für uxor usuraria (Zeile 980f). 69 Im Stegreiftheater allgemein, dessen italische Varianten Plautus‘ Theater mitgeprägt haben, ist das Heraustreten

von Schauspielern aus ihren Rollen nicht unüblich. So könnten die Darsteller von Merkur und Juppiter in

den folgenden Zitaten auch als allwissende Erzähler gesehen werden. Jedoch bleiben beide, nach ihren

Texten zu urteilen, in ihren Rollen. Außerdem wären ein dem Publikum zuzwinkernder Schauspieler und

die Figur eines allwissenden Gottes in dieser auf Situationskomik ausgerichteten Theaterform kein Wider-

spruch, sondern würden sie nur noch um eine Ebene mehr bereichern.

Alexander Bishop Kendzia

21

si id Alcumenae †innocenti† expetat.

nunc Amphitruonem memet, ut occepi semel,

esse adsimulabo | atque in horum [Amphitruonis et Alcumenai] familiam

hodie frustrationem iniciam maxumam ;

post igitur demum faciam res fiat palam

atque Alcumenae in tempore auxilium feram

Zugleich zu Alkmenens Hilfe, die ihr Gatte

Amphitruo des Ehebruchs anklagt, bin ich gekommen:

Denn wär’s wohl meine Sache, da ich’s verbockt,

Wenn‘s ohne Schuld Alkmenen angehängt.

Jetzt, als ob Amphitruo ich sei, wie ich’s

Schon mal gemacht, werd‘ ich ihrem [Amphitruo und Alkmenens] Haus

Heute große Verwirrung stiften;

Schließlich also dann offenbar ich alles

Und prompt werd‘ Alkmenen zur Seite stehen ich.

Juppiter weiß also ganz genau, dass seine Versuche, Alkmene vor Amphitruos Verdächtigungen

zu schützen, die immerhin in der Scheidungsdrohung gipfeln, nicht fruchten werden, dass sie erst

durch sein persönliches Auftreten als Juppiter geschützt sein wird. Trotzdem unternimmt er es,

als Amphitruo Alkmene noch einmal zu beruhigen. Es gelingt ihm in Szene III.ii, aber natürlich

würde das Alkmene nicht im geringsten schützen, denn Amphitruo würde sich an dieses Ge-

spräch mit seiner Gattin, da ja nicht er dabei war, nicht erinnern können. Die ganze Szene III.ii

zwischen Juppiter und Alkmene würde die Ehekrise nur verschärfen. Der Zweck jedoch ist klar:

Juppiter kriegt Alkmene noch einmal ins Bett und hat außerdem einen Heidenspaß daran, unter

der Menschen für Chaos zu sorgen: Juppiter 949-953:

euocate huc Sosiam ;

gubernatorem qui in mea navi fuit

Blepharonem arcessat qui nobiscum prandeat.

†is adeo inpransus ludificabitur†,

quom ego Amphitruonem collo hinc opstricto traham.

Ruf mir Sosia hierher;

Er soll den Blepharo, den Steuermann auf

Meinem Schiff, herholen, damit mit uns er esse.

Jedoch wird er ohne Mahl genarrt werden,

Wenn ich Amphitruo am Kragen von hier wegschleppe.

Im Gegensatz zu Merkurs und seinen eigenen Äußerungen ist es Juppiter also völlig egal, ob

Alkmene in suspicione ponatur stupri.

Alexander Bishop Kendzia

22

Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, an einzelnen Textstellen aufzuzählen, wo

die Götter in diesem Stück ihren Spaß ausdrücken: praktisch in allen Szenen, in denen die Götter

in Menschengestalt auftreten. Egal, ob monologisch Merkur im Prolog und in I.ii, oder Juppiter

in III.i und am Ende von III.iii; oder ob zusammen mit den Menschen (Merkur mit Sosia in I.i

und mit Amphitruo IV.ii; Juppiter mit Alkmene in I.ii, III.ii und III.iii, in den Fragmenten mit

Amphitruo IV.ii): immer entsteht der Eindruck, dass sie sich köstlich amüsieren. Merkur kündigt

die Party im Prolog dann auch den Zuschauern entsprechend an (151-152):

adeste : erit operae pretium spectantibus

Iouem et Mercurium facere hic histrioniam.

Bleibt: es wird sich lohnen hier zu sehen,

Wie Juppiter und Merkur Theater machen!

In diesem Licht betrachtet, erscheint Juppiters Fürsorge für Alkmenes Unschuld und glat-

tes Gebären nicht ganz so selbstlos: Sein kleiner Spross, Herkules, wird ein funktionierendes El-

ternhaus brauchen; um so mehr, als auch Juppiter weiß, dass mit dem Zorn seiner eigenen Gattin

Juno immer zu rechnen sein wird. Eine verstoßene und von einer Zwillingsgeburt geschundene

Alkmene ist da kein guter Anfang. Dass der anthropomorph dargestellte Juppiter, da mit allzu

menschlichen Trieben ausgestattet, vielleicht auch wirklich so etwas wie fürsorgliche Liebe für

Alkmene empfindet, mag nicht völlig ausgeschlossen sein. Das hat allerdings seine Grenzen, an-

sonsten hätte er Alkmene kein zweites Mal (nach dem ersten Mal vor sieben Monaten) besucht

und sie so in äußerste Nöte gestürzt. In diesen Zusammenhang gehört auch Merkurs Äußerung

(493-495), dass

nam deum

non par videtur facere, delictum suom

suamque culpam expetere in mortalem ut sinat.

Denn scheint’s

Doch keinem Gott zu ziemen, zuzulassen,

Dass sein Vergehen und sein‘ Schuld vom Menschen gefordert wird.

Und Juppiters schon einmal weiter oben zitierte (869-872):

simul Alcumenae, quam vir insontem probri

Amphitruo accusat, ueni ut auxilium feram :

nam mea sit culpa, quod egomet contraxerim,

Alexander Bishop Kendzia

23

si id Alcumenae †innocenti† expetat.

Zugleich zu Alkmenens Hilfe, die ihr Gatte

Amphitruo der Unzucht anklagt, bin ich gekommen:

Denn wär’s wohl meine Sache, da ich’s verbockt,

Wenn‘s ohne Schuld Alkmenen angehängt.

Es ist nicht schlechtes Gewissen, das Juppiter und Merkur da leitet: dann müssten sie hier ihre

Intrige abbrechen. Aber dies ist genau der Zeitpunkt, wo es erst richtig losgeht: Alkmene wird

ein zweites Mal verführt und Amphitruo so zum Narren gehalten, dass er schließlich durchdreht.

Nein, es ist die Einstellung, die bereits weiter oben mit einem Feudalherrn verglichen wurde:

Wenn er mit seiner Willkürherrschaft zu weit geht, verlieren selbst Hörige den Respekt und

könnten aufbegehren, weil sie sich nicht mehr vom Herrn geschützt fühlen; oder aber die

Hörigengemeinschaft fällt durch innere Konflikte auseinander und wird keine Tribute mehr auf-

bringen können. Folglich passt auch der flapsige Schlussauftritt Juppiters als er selbst (1141-

1143):

tu [Amphitruo] cum Alcumena uxore antiquam in gratiam

redi : hau promeruit quam ob rem uitio uorteres ;

mea vi subactast facere. ego in caelum migro.—

Du [Amphitruo] geh mit Alkmenen zurück in früh’re Gunst.

Sie hat das nicht verdient, worum du sie bezichtigst:

Meine Macht hat sie bezwungen. – Ich fahre auf zum Himmel.

Vi ist das Stichwort: Juppiter hatte gerade durch seinen Blitz Amphitruo wirkungsvoll zurecht-

gewiesen.

4.2. Allmacht

Die Götter vergessen nie ihre Stellung und den ihnen zustehenden Tribut: Wenn Juppiter in Zeile

966 zum Opfer für sich selbst schreitet, so ist das nicht nur Ironie. Es ist auch eine Erinnerung an

die Thebaner und die römischen Zuschauer, was sich gehört, nachdem man geschworen hat:

ego rem divinam intus faciam, uota quae sunt.

Das Opfer will da drin ich leisten, das, was ich gelobt.

Etwas, das Sosia, glücklich und mit Hilfe der Götter heimgekehrt, unterlassen hatte und was

Merkur gleich als Begründung für die bevorstehenden Prügel dazu nimmt (180-185):

Alexander Bishop Kendzia

24

sum vero verna verbero : numero mihi in mentem fuit

dis advenientem gratias pro meritis agere atque adloqui ?

ne illi edepol si merito meo referre studeant gratiam,

aliquem hominem adlegent qui mihi advenientem os occillet probe,

quoniam bene quae in me fecerunt ingrata ea habui atque inrita.

:: facit ille quod uolgo hau solent, ut quid se sit dignum sciat.

Ich bin ein echt verkomm’ner Sklave: Hab ich doch glatt vergessen

Den Göttern für die gute Heimkehr rechtens Dank zu sagen!

Wenn jene nun nach meinem Verdienst mir danken wollten,

Irgendeinen Kerl sie schickten, mir die Schnauze zu polieren,

Denn alles, was sie mir wohlgetan, ist von mir ungeachtet.

:: Er macht, was man nicht sollte, so dass er weiß, was er verdient.

Aus diesen Zeilen wird ersichtlich, dass es für Götter offensichtlich keine Rolle spielt, ob der

ihnen untergebene Mensch nun innerhalb des Menschengeschlechtes Sklave oder Freier ist. Da-

her kann man nicht davon ausgehen, dass es etwas Unerhörtes war, wenn Sklaven, welche die

meisten Schauspieler damals waren, Götter spielten. Plautus hat sich dennoch nicht die Ironie

entgehen lassen, die entsteht, wenn ein Sklave einen Gott (nämlich Merkur) spielt, der seinerseits

wieder einen Sklaven (nämlich Sosia) spielt (26-31):

etenim ille quoius huc iussu uenio, Iuppiter

non minu‘ quam vostrum quiuis70

formidat malum :

humana matre natus, humano patre

mirari non est aequom sibi si praetimet ;

atque ego quoque etiam, qui Iovis sum filius,

contagione mei patris metuo malum.

Denn jener, auf dessen Befehl ich hierher kam, Juppiter,

Nicht wen’ger als einer hier von euch, fürchtet Prügel:

Geboren von Menschenmutter, gezeugt von Menschenvater,

Ist es normal sich nicht zu wundern, wenn er Angst hat;

Und sogar ich, der Sohn des Juppiter, angesteckt

Von meinem Vater, ich fürchte mich vor Schlägen.

„Jener Juppiter“ wird möglicherweise von einem eher ängstlichen Schauspieler gespielt. Und so

fürchtet vielleicht der einen Gott spielende Sklave die Autorität seines sterblichen Herren, seine

göttliche Position innerhalb des Stückes berührt das aber nicht.

70 Vostrum quiuis gibt einen Hinweis auf die soziale Stellung zumindest eines beachtlichen Teils des Publikums.

Vgl. Anm. 60.

Alexander Bishop Kendzia

25

Die Götter sind also aus Menschensicht allwissend und allmächtig (wenn sie es auch un-

ter sich, das heißt in der Welt des Mythos, nicht sind)71. Insofern fügt sich auch die von Bromia

erzählte Schlangenepisode (1107-1119) ein: der kleine Iphikles, Amphitruos Sohn, ist der hilflo-

se menschliche Neugeborene; Juppiters Sohn jedoch, der kleine Halbgott Herkules, nimmt sich

der Situation sofort an, springt aus der Wiege und tötet die angreifenden Schlangen. Was mär-

chenhaft-fantastisch klingt, ist im Rahmen des Stückes durchaus schlüssig und beweist den Men-

schen – sowohl den dargestellten auf der Bühne als auch den anwesenden im Theater – dass die

Götter zwar schon mal mit den Menschen ihren Schabernack treiben, dies den Menschen selber

aber nicht zusteht. Noch einmal der bereits damit zitierte Merkur (284-286):

aïn vero, verbero ? deos esse tui similis putas ?

ego pol te istis tuis pro dictis et male factis, furcifer,

accipiam ; modo sis veni huc : invenies infortunium.

Du meinst das wirklich, Schlingel, deinesgleichen sei wie die Götter?

Na warte bloß, du Schuft, wie ich für deine Worte und Schlechtigkeiten

Dich empfangen werde! Komm nur her: Unglück wirst du finden!

Wenn es in diesem Stück so etwas wie Blasphemie gibt, dann sind es Sosias Vermutun-

gen über Sol, die den von Merkur eben zitierten Zeilen vorangehen (282-283):

credo edepol equidem dormire Solem atque adpotem probe ;

mira sunt nisi inuitauit sese in cena plusculum

Ich glaube doch, der gute Sol schläft einen Rausch aus;

‘S wär schon komisch, wenn er sich beim Mahl nicht übernommen hätte.

Sowie Amphitruos auch schon zitierte Herausforderung an die Götter (1050-1052):

[...omnes] óptruncabo in aedibus.

neque Iuppiter neque di omnes id prohibebunt, si volent,

quin sic faciam uti constitui.

[...alle] werd‘ im Haus ich schlachten!

Weder Juppiter noch alle and’ren Götter werden das verhindern,

Selbst wenn sie’s wollten, dass ich tu‘, was ich beschloss.

71 Die Mythen gesamt betrachtet, sind die Götter nicht immer allwissend und allmächtig.

Alexander Bishop Kendzia

26

Diese kleinen Sünden bestrafen die Herren sofort und gewalttätig. Blasphemie in Plautus‘

Amphitruo findet sich jedoch nicht in der Darstellung der Götter oder des Verhältnisses dieser

mit den Menschen.

5. Fazit

Die Götter sind erst einmal um ihre eigenen Interessen bemüht. Dass sie dabei möglicherweise

Menschen in tiefe Krisen stürzen, berührt sie nicht. Lediglich sorgen sie dafür, dass die von ih-

nen bevorzugte Gemeinschaft nicht auseinanderfällt. Ethisches Verhalten beschränkt sich für die

Menschen im Bezug zu den Göttern fast ausschließlich auf Gehorchen72

. Das ethische Verhalten

der Menschen untereinander ist Menschensache; so auch das ethische Verhalten der Götter un-

tereinander Göttersache. Der römisch-griechische höchste Gott hat den Menschen eben nicht

zehn Gebote gegeben, die die Menschen im Verhalten untereinander zu Ehren des Gottes beach-

ten sollen, und die die Menschen dann auch von einem gerechten, liebenden und fürsorglichen

Gott einfordern können, wie das beim abrahamischen Gott der Fall ist. Juppiter ist dagegen

selbstgerecht, liebt dann und wann eine schöne Frauen und sorgt sich vor allem um seine eige-

nen Angelegenheiten. Er ist dies, weil er als Hauptattribut mächtig ist. Insofern führt die

Amphitruo-Kritik, Juppiter sei lächerlich und unmoralisch gezeigt, ins Nirgendwo, weil sie zu

sehr durch eine von christlicher Kultur geprägte Brille geschaut ist.

Die römische und die griechische Religion sind sich einander sehr ähnlich, da fast alle

wichtigen Götter eine Entsprechung auf beiden Seiten haben. Und auch, wenn der Anglei-

chungsprozess eher einseitig auf römischer Seite stattfand, so beweist dies doch nur die Ähnlich-

keit beider Religionen, weil er eben ohne Kulturkämpfe – im Gegensatz beispielsweise zur späte-

ren Konfrontation mit dem Christentum – stattfinden konnte. Für die Griechen hatte der Mythos

von in ferner Urzeit angesiedelten Legenden mit menschengestaltigen Göttern einen religiösen

Offenbarungscharakter. Inwieweit die griechischen Göttermythen nun für die Römer des 2. Jahr-

hunderts eine religiöse Rolle gespielt haben, ist für die Betrachtung des Autoritätsverhältnisses

72 Als eine Ausnahme kann vielleicht das Schwören gelten, da Juppiter auch der Gott der Schwüre ist. Aber da

scheint der Zusammenhang darin zu liegen, dass die Römer eben gewohnt waren, immer auf einen Gott zu

schwören, und dass der falsche Schwur ein Missbrauch des Gottesnamens darstellen würde.

Alexander Bishop Kendzia

27

zwischen Göttern und Menschen im Amphitruo nicht erheblich, da, wie diese Untersuchung ge-

zeigt hat, Plautus‘ Version des Mythos von Amphitruo und Alkmene in keinem Widerspruch zu

römischen Gottes- und Kultvorstellungen steht. An einigen Stellen gibt es außerdem deutliche

Anspielungen auf urrömische Gegebenheiten, die sicherlich nicht von einer griechischen Vorlage

stammen73

. Daraus folgt, dass es auch für einen römischen Theatergänger, der mit den griechi-

schen Mythen nicht vertraut war, möglich war, der Handlung zu folgen und sie in den Kontext

seiner eigenen Weltsicht einzuordnen.

Für die meisten Theaterbesucher vom Amphitruo wird neben den Witzen der Genuss je-

doch in der „victimization of the ruling class“74

bestanden haben. Sie sahen vermutlich eben

nicht einen edlen Herren und eine edle Dame, denen von den Göttern übel mitgespielt wird, son-

dern nur einen mächtigen Herren und eine mächtige Herrin, also Leute, die reich sind und sonst

bestimmen, und denen es die Götter mal so richtig zeigen und sie auf den Boden des Mensch-

seins herunter zerren. Insofern werden die Götter also nicht lächerlich gemacht75

, sondern brin-

gen für einen Moment zumindest ein Gefühl von ausgleichender Gerechtigkeit: vor den Göttern

sind alle Menschen gleich.

6. Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Apollodorus. The Library, transl. by James G. Frazer. Vol. I, Books 1-3.9. (Loeb Classical Li-

brary no. 121). London, Cambridge, Ma. 1921. Zugriff am 03.10.2013, 9.06 Uhr, via:

www.theoi.com/Text/Apollodorus2.html.

73 U. a. Merkur über die res publica und andere Verdienste der Götter (39-45). Für eine nähere Betrachtung derarti-

ger Stellen siehe die ganzen Studien, die Plautinisches von Attischen trennen (vgl. Amn. 9). 74 Segal (1987) 152. 75 Vgl. Anm. 6. – Dies weist auch satirische, skeptische oder zynische Lesarten von Juppiter zurück, wie sie etwa

von Segal und anderen in Segal (1987) 186f als Ergebnis eines wachsenden Einflusses der griechischen

Aufklärung vertreten werden. Sicherlich war der griechische Kultureinfluss in Form von Mythen, Theater

und Philosophie im Rom des 2. Jahrhunderts v. u. Z. schon manifest und sicherlich kann man nicht immer

genau zwischen allen Komponenten trennen. Es darf aber auch nicht vergessen werden: bei Plautus‘ Thea-

terstücken handelt es sich um Stücke für ein großteils ungebildetes Publikum an karnevalesken Festtagen.

Alexander Bishop Kendzia

28

T. Macci Plauti Comoediae, recognovit W. M. Lindsay. Oxford 1955.76

T. Macci Plauti Amphitruo, übers. & hrsg. von Jürgen Blänsdorf. Stuttgart 2002.

Sekundärliteratur

Auhagen, Ulrike. „Elemente des Stegreifspiels im Amphitruo-Prolog“ in Thomas Baier (Hg.)

Studien zu Plautus‘ Amphitruo. Tübingen 1999: 111-129.

Baier, Thomas. „‹On ne peut en l’imitant.› Rotrous Sosies, eine Nachgestaltung des plautinischen

Amphitruo“ in Thomas Baier (Hg.) Studien zu Plautus‘ Amphitruo. Tübingen 1999: 203-

237.

Beare, William. „Plautus und sein Publikum“ in Eckard Lefèvre (Hg.) Die römische Komödie:

Plautus und Terenz. Darmstadt 1973: 136-145.

Benz, Lore. „Dramenbearbeitung und Dramenparodie im antiken Mimus und im plautinischen

Amphitruo“ in Thomas Baier (Hg.) Studien zu Plautus‘ Amphitruo. Tübingen 1999: 51-

95.

Blänsdorf, Jürgen. Nachwort zu T. Macci Plauti Amphitruo. Übers. & hrsg.. Stuttgart 2002.

Fuhrmann, Manfred. „Die römische Komödie“ in Eckard Lefèvre (Hg.) Die römische Komödie:

Plautus und Terenz. Darmstadt 1973: 88-92.

Hanson, John A. „Plautus as a Source Book for Roman Religion” in Transactions and Proceed-

ings of the American Philological Association. Vol. 90 (1959): 48-101. Zugriff am

26.08.2013, 05.54 Uhr, via: www.jstor.org/stable/283695.

Kerényi, Karl. Die Religion der Griechen und Römer. München, Zürich 1963.

Koch, Carl. Der römische Juppiter. Habil. Frankfurt am Main 1937.

Lefèvre, Eckard. „Plautus‘ Amphitruo zwischen Tragödie und Stegreifspiel“ in Thomas Baier

(Hg.) Studien zu Plautus‘ Amphitruo. Tübingen 1999: 11-50.

Lefèvre, Eckard. „Saturnalien und Palliata“ in Karlheinz Stierle (Hg.) Poetica. Zeitschrift für

Sprach- und Literaturwissenschaft. Bd. 20. Amsterdam 1988: 32-46.

Muth, Robert. Einführung in die griechische und römische Religion. Darmstadt 1988.

76 Dieser Arbeit zugrunde liegende Textausgabe.

Alexander Bishop Kendzia

29

Radif, Ludovica. „Giove istrione? il ‘deus in machina’ di Plaut. Amph. 89-93” in Maia: Rivista

di letterature classiche. (2001) 53, 2: 359-374.

Sedgwick,Walter B. Plautus. Amphitruo. Ed. with introd. & notes. Manchester 1960.

Segal, Erich. Roman Laughter. The Comedy of Plautus. New York, Oxford ²1987.

Sherberg, Barbara. „Zur Vaterrrolle des Juppiter im Amphitruo des Plautus“ in Thomas Baier

(Hg.) Studien zu Plautus‘ Amphitruo. Tübingen 1999: 131-143.

Williams, Gordon. „Tradition und Originalität bei Plautus und Terenz“ in Eckard Lefèvre (Hg.)

Die römische Komödie: Plautus und Terenz. Darmstadt 1973: 73-87.

7. Selbständigkeitserklärung

Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit in allen Teilen selbständig verfasst und keine anderen

als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Ich erkläre weiterhin, dass die vorliegende Arbeit

noch nicht im Rahmen eines anderen Prüfungsverfahrens eingereicht wurde.

Berlin, am 18.09.2013

Alexander Bishop Kendzia.

Wortanzahl (ohne Deckblatt, Inhalts- und Literaturverzeichnis, sowie Fußnoten): 7757.