covid-19 bedingte freiheitsbeschränkungen in der pflege
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COVID-19 bedingte Freiheitsbeschränkungen
in der Pflege
Diplomarbeit
Zur Erlangung des Grades eines Magisters der Rechtswissenschaften
an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät
der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Eingereicht bei:
Univ.-Prof. Mag. Dr. Michael Ganner
(Institut für Zivilrecht)
von
Paul Fiala
Innsbruck, Oktober, 2021
II
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe
verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet und die den benützten Quellen
wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
.................................................................
Innsbruck, Oktober, 2021
III
Erklärung
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im folgenden Text das generische Maskulinum
verwendet. An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass die männliche Sprachform ge-
schlechtsneutral zu verstehen ist.
IV
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................................. VII
1. Einleitung ...............................................................................................................................1
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen ........................................................................................3
2.1. Art 5 Abs 1 lit. e EMRK und Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG .................................................3
2.1.1. Materielle Anforderungen des PersFrG .........................................................................5
2.1.2. Verfahrensrechtliche Anforderungen des PersFrG ........................................................5
3. Einfachgesetzliche Grundlagen zur Vornahme krankheitsbedingter
Freiheitsbeschränkungen ........................................................................................................6
3.1. COVID-19-Maßnahmengesetz ......................................................................................6
3.2. COVID-19-Durchführungsverordnungen ......................................................................7
3.3. Das Epidemiegesetz .......................................................................................................8
3.3.1. Allgemeine Ausführungen zum Epidemiegesetz ...........................................................8
3.3.2. Anzeigepflicht und der Weg zum Absonderungsbescheid ............................................9
3.3.3. Absonderung der kranken, krankheits- oder ansteckungsverdächtigen Person ...........10
3.3.4. Kündigung des Heimvertrags bei Nichtbeachtung des
Absonderungsbescheids ...............................................................................................12
3.3.5. Vollzug des Absonderungsbescheids ...........................................................................13
3.3.6. Exkurs: Beleihung ........................................................................................................14
3.3.7. Gerichtliche Überprüfung der epidemiegesetzlichen Absonderung ............................15
3.3.8. Gesetzesprüfungsverfahren des § 7 Abs 1a Satz 2 – 4 EpiG .......................................15
3.3.9. Verfassungswidrigkeit des gerichtlichen Überprüfungsverfahrens .............................17
4. Das Verhältnis zwischen EpiG und HeimAufG...................................................................18
4.1. Anwendungsbereich des HeimAufG ...........................................................................19
4.2. Definition und materielle Voraussetzungen der Freiheitsbeschränkung......................19
4.2.1. Definition .....................................................................................................................19
4.2.2. Einwilligung des Betroffenen ......................................................................................20
4.2.3. Psychische Krankheit oder geistige Behinderung ........................................................21
4.2.4. Ernstliche und erhebliche Gesundheitsgefährdung ......................................................21
4.2.5. Verhältnismäßigkeitsprinzip ........................................................................................22
4.3. Formelle Voraussetzungen ...........................................................................................23
4.3.1. Anordnung der Freiheitsbeschränkung ........................................................................23
V
4.3.2. Dokumentation .............................................................................................................24
4.3.3. Aufklärung des Patienten .............................................................................................25
4.3.4. Verständigung der Bewohnervertretung ......................................................................25
4.4. Gerichtliches Überprüfungsverfahren der heimaufenthaltsgesetzlichen .
Freiheitsbeschränkung ....................................................................................................26
4.4.1. Ex-lege Bewohnervertretung .......................................................................................26
4.4.2. Verfahren vor dem Bezirksgericht ...............................................................................26
4.4.3. Mündliche Verhandlung während einer Pandemie ......................................................27
5. Rechtsfolgen unzulässiger Freiheitsbeschränkungen ...........................................................28
5.1. Amtshaftung .................................................................................................................29
5.1.1. Bedienstete und beauftragte Personen .........................................................................29
5.1.2. Regress des Bundes ......................................................................................................30
5.1.3. Regress des Einrichtungsträgers ..................................................................................31
5.1.4. Geltung des AHG für Schäden aus dem EpiG? ...........................................................31
5.2. Organhaftung ...............................................................................................................31
5.3. Haftung nach ABGB ....................................................................................................32
5.4. Strafrechtliche Haftung ................................................................................................33
5.4.1. §§ 302, 303 StGB .........................................................................................................34
5.4.2. § 99 StGB .....................................................................................................................35
5.4.3. § 105 StGB ...................................................................................................................35
5.4.4. Einwilligung .................................................................................................................36
5.4.5. Mutmaßliche Einwilligung ..........................................................................................37
5.4.6. Rechtfertigender und Entschuldigender Notstand gem § 10 StGB ..............................37
5.4.7. Irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts gem § 8 StGB ..................38
5.4.8. Verbotsirrtum gem § 9 StGB .......................................................................................39
6. Krankheitsbedingte Freiheitsbeschränkungen im deutschen Recht .....................................40
6.1. Verfassungsrechtliche Grundlagen ..............................................................................40
6.1.1. Art 2 dGG Abs 2 S 2 dGG ...........................................................................................40
6.1.2. Art 104 dGG ................................................................................................................41
6.2. Das Infektionsschutzgesetz – IfSG ..............................................................................44
6.2.1. Definition, Meldepflicht und Zuständigkeit .................................................................44
6.2.2. Absonderung, Absonderungsort und richterliche Zustimmung ...................................45
VI
6.3. Zivilrechtliche Unterbringung - BGB ..........................................................................46
6.3.1. Die Betreuerbestellung nach § 1896 BGB ...................................................................46
6.3.2. Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1906 Abs 4 BGB .......................................47
7. Gegenüberstellung der deutschen und österreichischen Rechtslage ....................................50
7.1. IfSG und EpiG .............................................................................................................51
7.2. 1906 Abs 4 BGB und HeimAufG ................................................................................52
8. Fazit, persönliche Bewertung und Ausblick ........................................................................54
Literaturverzeichnis .....................................................................................................................56
VII
Abkürzungsverzeichnis
aA andere Ansicht
ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch
ABGB-ON Onlinekommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch
Abs Absatz
AHG Amtshaftungsgesetz BGBl 1949/20
Art Artikel
ÄrzteG Ärztegesetz BGBl 1998/169
AußStrG Außerstreitgesetz BGBl I 2003/111
AVG Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl 1991/51
BeckOK Beck’scher Onlinekommentar
BG Bezirksgericht
BGB (deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch dRGBl 1896/195
BGBl Bundesgesetzblatt
BGH (deutscher) Bundesgerichtshof
BlgNR Beilage zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates
BMSGPK Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und
Konsumentenschutz
bspw beispielsweise
B-VG Bundesverfassungsgesetz
ca circa
CuRe COVID-19 und Recht
COVID-19-MG COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl I 2020/12
COVID-19-JuBG COVID-19-Justizbegleitgesetz BGBl I 2020/16
dGG deutsches Grundgesetz dBGBl 1949/1
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention BGBl 1958/210
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
ErläutRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage
EpiG Epidemiegesetz BGBl 1950/186
f und der, die folgende
FamFG deutsches Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dBGBl I 2008/2586
ff und der, die folgenden
VIII
gem gemäß
EF-Z Zeitschrift für Familien- und Erbrecht
GP Gesetzgebungsperiode
GuKG Gesundheits- und Krankenpflegegesetz BGBl I 1997/108
HeimAufG Heimaufenthaltsgesetz BGBl I 2004/11
hL herrschende Lehre
Hrsg Herausgeber
idF in der Fassung
iFamZ Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht
IfSG Infektionsschutzgesetz dBGBl I 2000/1045
iS im Sinn
iSd im Sinn des/der
iVm in Verbindung mit
JBL Juristische Blätter
KSchG Konsumentenschutzgesetz BGBl 1979/140
LG Landesgericht
LGBl Landesgesetzblatt
LH Landeshauptmann
lit litera
LVwG Landesverwaltungsgericht
maW mit anderen Worten
mE meines Erachtens
MüKoBGB Münchener Kommentar zum BGB
OVG Oberstes Verwaltungsgericht
OGH Oberster Gerichtshof
OwiG Ordnungswidrigkeitsgesetz dBGBl I 1987/602
ÖZPR Österreichische Zeitschrift für Pflegerecht
PersFrG BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit BGBl 1988/684
RdM Recht der Medizin
Rsp Rechtsprechung
RZ Österreichische Richterzeitung
Rz Randzahl
S Satz
SPG Sicherheitspolizeigesetz BGBl 1991/566
IX
StGB Strafgesetzbuch BGBl 1974/60
stRsp ständige Rechtsprechung
TbG Tuberkulosegesetz BGBl 1968/127
VfGH Verfassungsgerichtshof
VStG Verwaltungsstrafgesetz BGBl 1991/52
Z Ziffer
zB zum Beispiel
1
1. Einleitung
Spätestens seit den Vorfällen in Ischgl im März 2020 vergeht in der österreichischen Me-
dienlandschaft kein Tag, ohne neue Meldungen über die sich ausbreitende Infektionskrankheit
SARS-CoV-21. Die Verhinderung der Verbreitung des neuartigen Coronavirus hat seitdem für
die hiesigen Entscheidungsträger oberste Priorität. Hierzulande wurden zur Verwirklichung des
angestrebten Zwecks, neben Betriebsbeschränkungen vor allem Eingriffe in die persönliche Frei-
heit als geeignete Mittel angesehen. Generelle Ausgangsbeschränkungen, Einreisetests bei Ein-
tritt in das Bundesgebiet, Ausreisetests bei der Ausreise aus Bezirken mit hohen Inzidenzwerten,
sowie Absonderungen einzelner kranker, krankheitsverdächtiger und ansteckungsverdächtiger
Personen sollten die landesweiten Ansteckungen verringern, sodass eine Überlastung der medi-
zinischen Versorgung vermieden wird.
Vor allem betagte Menschen und Personen, die an Vorerkrankungen leiden, müssen im
Falle einer Infektion mit einem schweren bis letalen Krankheitsverlauf rechnen. Stand 2019 wur-
den 96.458 Personen in stationären Pflegeeinrichtungen betreut, während 153.152 Personen, die
ihren Alltag gesundheitsbedingt nicht mehr selbstständig bewältigen können, durch mobile Pfle-
gedienste zu Hause gepflegt wurden.2 Angehörige dieser Personengruppe wurden aus Schutz vor
einer Infektion auf teils unklare Weise faktisch weggesperrt. Im Folgenden sollen die Stärken
und Schwächen der hiesigen Rechtsordnung im Umgang mit ansteckenden Krankheiten bei pfle-
gebedürftigen Personen aufgedeckt und benannt werden. Die zu behandelnde Frage lautet daher:
Welche rechtlichen Probleme ergeben sich aus einer COVID-19 bedingten Freiheitsbeschrän-
kung von pflegebedürftigen Personen? Eine Analyse der einschlägigen Rechtsgrundlagen und
der bisher ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, ist daher das erklärte Ziel dieser Diplom-
arbeit.
Um aufzuzeigen unter welchen Voraussetzungen eine Freiheitsbeschränkung in der ös-
terreichischen Rechtsordnung möglich ist, wird zunächst auf die verfassungsrechtlichen Grund-
lagen eingegangen. Danach erfolgt ein kurzer Blick in die speziell für die COVD-19-Pandemie
konzipierten Gesetze und darauf beruhenden Verordnungen. In Kapitel 4 wird die epidemiege-
setzliche Absonderung, der Vollzug derselben und das gerichtliche Überprüfungsverfahren dar-
gestellt. Im Anschluss wird die An- und Durchführung einer krankheitsbedingter Freiheitsbe-
schränkungen im Anwendungsbereich des HeimAufG betrachtet. Die Folgen eines unzulässigen
1 COVID-19. 2 STATISTIK AUSTRIA, Betreuungs- und Pflegedienste, http://www.statistik.at/web_de/statis-
tiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/sozialleistungen_auf_landesebene/betreuungs_und_pflegedienste/in-
dex.html (Abgerufen am 2.9.21).
2
Eingriffs in das Recht auf persönliche Freiheit sind in Kapitel 6 behandelt. Zuletzt werden die
einschlägigen Rechtsinstrumente der deutschen Rechtsordnung aufgrund derer eine COVID-19
bedingte Freiheitsbeschränkung möglich ist, angesprochen und mit jenen der österreichischen
Rechtsordnung verglichen.
Durch die Darstellung der einschlägigen Normen wird dem Leser zunächst ein Überblick
über die geltende Rechtslage verschafft. Die im Zusammenhang mit COVID-19 und pflegebe-
dürftigen Personen stehenden gerichtlichen Entscheidungen werden an jeweils passender Stelle
eingearbeitet. Mithilfe der Stimmen aus der Literatur werden die Auswirkungen der gerichtlichen
Entscheidungen auf die einzelnen Regelungen beschrieben, damit das erklärte Ziel einer Analyse
der geltenden Rechtslage erreicht werden kann.
3
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Um auf die für diese Arbeit relevanten Gesetze eingehen zu können, ist es notwendig
einen Blick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu werfen. Darin wird festgelegt unter
welchen Voraussetzungen eine Freiheitsbeschränkung angeordnet werden darf, welche Mindest-
garantien dabei zwingend einzuhalten sind und welche Konsequenzen sich bei einer Nichtein-
haltung ergeben.
2.1. Art 5 Abs 1 lit. e EMRK und Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG
Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit.3 Dieses verfassungsgesetzlich ge-
währleistetes Recht kommt jedem Menschen unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft zu4 und
schützt die körperliche Bewegungsfreiheit der Einzelperson vor unrechtmäßigen Eingriffen des
Staates.5 Nach Öhlinger/Eberhard liegt ein Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit „dem-
nach immer dann vor, wenn Amtsorgane im Zuge einer Amtshandlung intentional und unter An-
wendung physischen Zwanges persönliche Ortsveränderungen überhaupt verhindern oder auf
bestimmte, nach alle Seiten hin begrenzte Örtlichkeiten oder Gebiete, die nicht verlassen werden
dürfen, einschränken.“6
Aufgrund des Art 5 EMRK und der Einführung des PersFrG 1988 besteht in der österrei-
chischen Rechtsordnung ein Nebeneinander des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutzes
auf persönliche Freiheit.7 Gem Art 2 Abs 1 Z 5 erster Fall PersFrG bedarf es wie
in Art 5 Abs 1 lit e EMRK einen Grund zur Annahme, dass die in ihrer Freiheit zu beschrän-
kende Person eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheiten darstellt.8
Grund zur Annahme bedeutet eine Mehrzahl von Anhaltspunkten, die auf eine krankheitsbe-
dingte Gefahr hinweisen.9 Ansteckende Krankheiten sind jene, durch den Gesetzgeber in einem
Katalog festzuschreibende Krankheiten, mit denen sich ein Mensch infizieren kann.10 Unter einer
Gefahrenquelle ist die von einer Person ausgehende Übertragungsgefahr auf eine unbestimmte
Anzahl an Personen zu verstehen.11 Sowohl die EMRK als auch das PersFrG stehen auf derselben
3 Art 5 Abs 1 EMRK BGBl 1958/210; Art 1 Abs 1 PersFrG BGBl 1988/684. 4 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 (2019) Rz 702. 5 Muzak, Bundes-Verfassungsrecht B-VG6 (2020) Art 2 PersFrG 835 Rz 2. 6 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 836. 7 Khakzadeh-Leiler in Kneihs/Lienbacher, Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht22 (2019)
Vorbemerkungen PersFrG, Art 5 MRK Rz 16. 8 Khakzadeh-Leiler in Kneihs/Lienbacher, Bundesverfassungsrecht22 Art 2 PersFrG, Art 5 MRK Rz 67. 9 Kopetzki, in Korinek/Holoubek et al, Bundesverfassungsrecht16 (2000) Art 2 PersFrG Rz 58. 10 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Art 2 PersFrG, Bundesverfassungsrecht16 Rz 59. 11 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Art 2 PersFrG, Bundesverfassungsrecht16 Rz 60.
4
verfassungsrechtlichen Ebene. Beide Bestimmungen verfolgen denselben Schutzzweck und
schaffen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Vornahme krankheitsbedingter
Freiheitsbeschränkung.
Nach Art 2 Abs 1 Z 5 zweiter Fall PersFrG bedarf es vor Anordnung der Freiheitsentzie-
hung der begründeten Annahme, dass die zu beschränkende Person wegen einer psychischen
Krankheit einer Selbst- oder Fremdgefährdung unterliegt. Der Begriff der psychischen Krankheit
ist einer abschließenden Definition nicht zugänglich, doch muss sie um unter die Tatbestände der
EMRK und des PersFrG subsumiert werden zu können zwingend eine auf einem objektiven ärzt-
lichen Gutachten beruhende „wirkliche Geistesstörung“ sein.12 Ein dem Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG
eigenes Tatbestandsmerkmal ist die durch die psychische Krankheit ausgelöste Selbst- oder
Fremdgefährdung.13 Die konkrete Gefährdung muss stets das Leben oder die Gesundheit der
eigenen oder fremden Person betreffen.14 Wegen der zusätzlichen Voraussetzung der Fremd-
oder Selbstgefährdung bietet der Art 2 Abs 1 Z 5 zweiter Fall PersFrG im Verhältnis zu
Art 5 Abs 1 lit e EMRK für die psychisch kranke Person den weiterreichenden Grundrechts-
schutz.15
Welcher Norm der Vorrang bei einer krankheitsbedingten Freiheitsbeschränkung einzu-
räumen ist, lässt sich mit dem in Art 53 EMRK verankerten Günstigkeitsprinzip beantworten16:
Die Günstigkeitsregel des Art 53 EMRK lässt weitreichendere innerstaatliche Regelungen aus-
drücklich zu. Gem Art 8 Abs 3 PersFrG bleiben die Regelungen der EMRK unberührt. Jeder
Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit muss somit kumulativ mit beiden verfassungs-
rechtlichen Normen in Einklang stehen. Eine einfachgesetzliche Regelung krankheitsbedingter
Freiheitsbeschränkungen ist aber aufgrund der engeren Eingriffsschranken an dem strengeren
Regelungsregime des PersFrG zu messen.17
12 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Art 2 PersFrG, Bundesverfassungsrecht16 Rz 64. 13 Art 5 Abs 1 lit e EMRK BGBl 1958/210; Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG BGBl 1988/684. 14 Khakzadeh-Leiler in Kneihs/Lienbacher, Bundesverfassungsrecht22 Art 2 PersFrG, Art 5 MRK Rz 73. 15 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Vorbemerkungen PersFrG, Bundesverfassungsrecht16 Rz 8. 16 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 834.
17 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Vorbemerkungen PersFrG, Bundesverfassungsrecht16 Rz 9.
5
2.1.1. Materielle Anforderungen des PersFrG
Eine Freiheitsbeschränkung ist nur zulässig, wenn ein im Art 2 Abs 1 Z 1 - 7 PersFrG
aufgezählter Grund vorliegt, der Freiheitsentzug auf die „gesetzlich vorgeschriebene Weise“ er-
folgt und „nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist“. Es bedarf daher ein Ausführungsge-
setz des einfachen Gesetzgebers, in der die Freiheitsbeschränkung als letztes mögliches Mittel
(=ultima ratio) zur Gefahrenabwehr angeordnet werden kann.18 Empfehlungen oder Leitlinien
der Ministerien oder anderer Experten sind keine ausreichende Rechtsgrundlage, um in das Recht
auf persönliche Freiheit einzugreifen.19
2.1.2. Verfahrensrechtliche Anforderungen des PersFrG
Jedermann der in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit beschränkt ist, hat
gem Art 6 PersFrG das Recht auf ein wirksames und zugängliches Überprüfungsverfahren.20
Dieses Überprüfungsrecht gewährt nicht nur das Recht auf Prüfung aufrechter Freiheitsbeschrän-
kungen, sondern schließt auch bereits beendete Anhaltungen mit ein. Hinsichtlich der Zulässig-
keit sind sämtliche formellen und materiellen Voraussetzungen der Freiheitsbeschränkung wäh-
rend der gesamten Anhaltung zu prüfen.21 Die Wahrung des rechtlichen Gehörs zählt zu den
Mindestanforderungen eines Verfahrens nach Art 6 PersFrG. Im Unterbringungsverfahren psy-
chisch kranker ist zwingend eine persönliche Anhörung des Betroffenen vorzunehmen. Dies des-
halb, weil es „wegen der Eigenart spezifisch personenbezogener Unterbringungsvoraussetzun-
gen gerade auf eine unmittelbare Wahrnehmung der Haftprüfung ankommt.“22 Die Entscheidung
der Haftprüfungsbehörde ist der von der Freiheitsbeschränkung betroffenen Person nach
Art 6 Abs 1 S 2 PersFrG binnen einer Woche zuzustellen.23 Die beiden für diese Arbeit relevan-
ten Verfahren nach EpiG und HeimAufG sind jeweils Antragsverfahren, weshalb die einwöchige
Frist ab Einlangen des Überprüfungsantrags beginnt.24
Nach Art 7 PersFrG hat Jedermann, der rechtswidrig angehalten oder festgenommen
wurde, einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf volle Genugtuung und Ersatz des ideellen
Schadens. Zweck der Haftentschädigung ist die finanzielle Wiedergutmachung. Ersatzfähig sind
18 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 839. 19 OGH 23.09.2020, 7 Ob 151/20m, iFamZ 2020/212, 380. 20 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Art 6 PersFrG Bundesverfassungsrecht16 Rz 6. 21 Muzak, B-VG6 Art 6 PersFrG 860 Rz 1. 22 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Art 6 PersFrG Bundesverfassungsrecht16 Rz 39. 23 Muzak, B-VG6 Art 6 PersFrG 861 Rz 4. 24 Kopetzki in Korinek/Holoubek et al, Art 6 PersFrG Bundesverfassungsrecht16 Rz 50.
6
die durch die Freiheitsentziehung erlittenen Beeinträchtigungen des Wohlbefindens
(„Haftübel“), sowie die Kosten des Rechtsschutzverfahrens.25
3. Einfachgesetzliche Grundlagen zur Vornahme von krankheitsbedingten
Freiheitsbeschränkungen
Durch das Auftreten der Infektionskrankheit SARS-CoV-2 (= COVID-19) im Frühjahr
2020, kam es in den folgenden Monaten zu einer Regelungsflut. Als Rechtsgrundlage zur Ver-
hinderung der Verbreitung von COVID-19 im öffentlichen und privaten Raum wurde zunächst
das COVID-19-Maßnahmengesetz26 geschaffen. Aufgrund der darin befindlichen Ermächtigung
wurden Verordnungen erlassen, in denen die genaue Ausgestaltung der allgemeinen Ausgangs-
regelungen, der Betretungsverbote öffentlicher Orte sowie Betretungs- und Besuchsverbote von
Alten- und Pflegeheimen festgelegt ist.
3.1. COVID-19-Maßnahmengesetz
Das COVID-19-MG ist die Rechtsgrundlage jener Maßnahmen, die zur Verhinderung der
Verbreitung von COVID-19 notwendig sind. Die Regelungen des bleiben EpiG unberührt und
ergänzen es dort, wo die Maßnahmen zur Bekämpfung einer Infektionskrankheit pandemischen
Ausmaßes nicht ausreichen.27 Der Gesundheitsminister ist gem § 1 Abs 1 COVID-19-MG er-
mächtigt, mittels Verordnung nähere Regelungen in Bezug auf das Betreten bestimmter oder
öffentlicher Orte zu erlassen. Für Alten- und Pflegeheime besteht eine explizite Regelung, wo-
nach die Voraussetzungen des Betretens einer derartigen Einrichtung geregelt werden kann. Ins-
besondere können die Anzahl der Personen, die Zeit des Betretens und die Auflagen, an die ein
Betreten geknüpft ist, festgelegt werden.28
Im Falle des drohenden Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung kann der Ge-
sundheitsminister gem § 6 Abs 1 COVID-19-MG durch Verordnung anordnen, dass das Verlas-
sen des eigenen Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist. Gleichzeitig sind in
Abs 3 jene Ausnahmetatbestände formuliert, nach denen das Verlassen des eigenen Wohnbe-
reichs jedenfalls zulässig ist: Zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Le-
ben (Z 1), zur Betreuung von und zur Hilfeleistung unterstützungsbedürftiger Personen sowie
25 Czech in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art 7 PersFrG 1705 Rz 1. 26 § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl I 2020/12. 27 § 13 Abs 3 COVID-19-MG idF 2021/143; Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch, Corona-HB1.04
Rz 50 (Stand 29.1.2021, rdb.at). 28 § 4a COVID-19-MG idF BGBl I 2021/90.
7
zur Ausübung familiärer Rechte und Pflichten (Z 2), zur Deckung der notwendigen Grundbe-
dürfnisse des täglichen Lebens (Z 3), für berufliche Zwecke, sofern dies notwendig ist (Z 4) und
zum Aufenthalt im Freien zum Zwecke der physischen oder psychischen Erholung (Z 5).29 Die
Vornahme einer Pflegeleistung kann abhängig von der vornehmenden Person unter Z 2 oder Z 4
subsumiert werden.
Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die zuständigen Organe in Voll-
ziehung dieses Gesetzes zu unterstützen.30 Die Angehörigen des Pflegepersonals haben keinerlei
Kompetenz, Zwangsmittel zur Durchsetzung der im COVID-19-MG angeführten Maßnahmen
einzusetzen.31
Bei Nichtbeachtung der Maßnahmen droht eine Verwaltungsstrafe.32 Zurechnungsunfä-
hige Personen müssen sich wie jede andere Person ebenfalls an die Maßnahmen halten. Sie sind
aber dann nicht zu bestrafen, wenn ihnen im Tatzeitpunkt wegen ihres Geisteszustands das Un-
recht der Tat verborgen war. Ihnen kann keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit vorgeworfen wer-
den.33
3.2. COVID-19-Durchführungsverordnungen
Aufgrund des COVID-19-MG hat der zuständige Minister des BMSGPK Durchführungs-
verordnungen erlassen. Darin ist das Betreten öffentlicher Orte, das Besuchen von Alten- und
Pflegeheimen und die allgemeinen Ausgangsbeschränkungen im Detail geregelt.34 Für die allge-
meine Ausgangsbeschränkung sind Ausnahmetatbestände formuliert, bei deren Zutreffen das
Verlassen des eigenen Wohnbereichs erlaubt ist.35 Beim Betreten öffentlicher Orte ist ein Min-
destabstand gegenüber anderen Personen einzuhalten. Daneben haben alle Personen an bestimm-
ten Orten eine Maske zu tragen.36 Für Alten- und Pflegeheime gilt eine strenge Besuchsregelung,
derzufolge Besuch zu Beginn der Pandemie gar nicht, zwischenzeitlich einmal wöchentlich und
nunmehr mehrmals die Woche erlaubt ist.37
29 § 6 COVID-19-MG idF BGBl I 2021/90; Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch (Hrsg),
Corona-HB1.04 Rz 58 (Stand 29.1.2021, rdb.at). 30 § 10 COVID-19-MG idF BGBl I 2021/143. 31 Ganner/Pixner/Pfeil, COVID-19 in der Pflege: ein Überblick ÖZPR 2021/11, 22; Zierl, Freiheitsbeschränkun-
gen und COVID-19, ÖZPR 2020/45, 82 (83). 32 § 8 COVID-19-MG idF BGBl I 2021/90. 33 Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21). 34 vgl COVID-19-Notmaßnahmenverordnung BGBl II 2020/479; COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung
BGBl II 2021/58. 35 Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch (Hrsg), Corona-HB1.04 Rz 73/1 (Stand 29.1.2021, rdb.at). 36 Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch (Hrsg), Corona-HB1.04 Rz 73/3 (Stand 29.1.2021, rdb.at). 37 Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch (Hrsg), Corona-HB1.04 Rz 89/3 (Stand 29.1.2021, rdb.at).
8
Nach Ansicht des EGMR stellen die allgemeinen Ausgangsbeschränkungen keine Frei-
heitsbeschränkung iSd Art 5 Abs 1 lit e EMRK dar. Das Verlassen des Wohnraums ist nämlich
bei Zutreffen der formulierten Ausnahmetatbestände zu jeder Zeit zulässig. Ferner spricht das
Nichtvorhandensein einer individuellen Überwachung gegen eine Freiheitsbeschränkung im ver-
fassungsrechtlichen Sinn. Insgesamt können die Ausgangsregelungen hinsichtlich der Ein-
griffsintensität nicht mit einer epidemiegesetzlichen oder heimaufenthaltsrechtlichen Isolation
gleichgesetzt werden.38 In dieselbe Kerbe schlägt der VfGH, indem er in der allgemeinen Aus-
gangsregelung zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freizügigkeit bejaht, aber
eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit verneint.39
3.3. Das Epidemiegesetz
Um die in Zeiten einer Pandemie an pflegebedürftigen Personen vollzogenen Freiheits-
beschränkungen rechtlich einordnen zu können, ist es notwendig das Epidemiegesetz zu behan-
deln. Im EpiG sind Maßnahmen zur Verhinderung der Weiterverbreitung, der Verhütung und der
Bekämpfung der im Gesetz taxativ aufgezählten ansteckenden Krankheiten festgelegt. Der Mi-
nister des BMSGPK, als zuständiges Organ, kann im Verordnungsweg weitere Krankheiten be-
nennen, die im Falle einer bestehenden internationalen Verpflichtung oder aufgrund epidemio-
logischer Gründe der Meldepflicht unterliegen sollen.40
3.3.1. Allgemeine Ausführungen zum Epidemiegesetz
Die Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz des Bundes im Umgang mit ansteckenden
Krankheiten entspringt dem Tatbestand „Gesundheitswesen“ nach Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG. Zur
Vollziehung ist der an die Weisungen des zuständigen Ministers gebundene Landeshauptmann
und die ihm unterstellten Landesbehörden iS der mittelbaren Bundesverwaltung
gem Art 102 B-VG berufen. Ausführende Landesbehörden sind die Bezirksverwaltungsbehör-
den und der Magistrat in Städten mit eigenem Statut.41
Das EpiG ist nicht nur Rechtsgrundlage für die Absonderung kranker, krankheitsverdäch-
tiger oder ansteckungsverdächtiger Personen, sondern auch für Verkehrsbeschränkungen für die
im Epidemiegebiet aufhältigen Personen. Insbesondere kann die Ein- und Ausreise an bestimmte
38 EGMR 13.4.2021, 49.933/20, RdM-LS 2021/68, 166. 39 VfGH 14.7.2020, V 363/2020, RdM-LS 2020/91, 197 (202). 40 Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg), Handbuch Medizinrecht3 (2020) 1425 Rz 14. 41 Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg), Medizinrecht³ 1421 Rz 6.
9
Gründe wie bspw den Nachweis über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr oder das
Vorliegen eines bestimmten Aufenthaltszwecks geknüpft werden.42
Grds sind Verordnungen nach dem EpiG vom zuständigen Gesundheitsminister zu erlas-
sen. Das EpiG lässt jedoch Raum für Verordnungen des Landeshauptmanns, sofern darin stren-
gere Regelungen vorgesehen sind als in der Verordnung des Gesundheitsministers.43 Aufgrund
dieser Verordnungsermächtigung hat der Tiroler LH zeitlich begrenzte, zusätzliche Maßnahmen
zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Alten- und Pflegeheimen erlassen. So muss
der Einrichtungsbetreiber jedem Bewohner, der länger als sechs Stunden außer Haus war, spä-
testens am Tag nach der Rückkehr einen molekularbiologischen COVID-19-Test (=PCR-Test)
anbieten. Darüber hinaus dürfen Mitarbeiter und Personen die regelmäßig Unterstützungsleis-
tungen erbringen, nur eingelassen werden, wenn sie einen negativen molekularbiologi-
schen COVID-19-Test vorweisen.44
3.3.2. Anzeigepflicht und der Weg zum Absonderungsbescheid
Das „neuartige Coronavirus“ (COVID-19) fällt unter die in § 1 Abs 1 Z 1 EpiG taxativ
aufgezählten Erkrankungen, die nicht erst bei einer Ansteckung, sondern schon bei Verdacht dem
Gesundheitsamt angezeigt werden müssen. Die Benachrichtigung des Gesundheitsamts in deren
Sprengel sich die erkrankte oder krankheitsverdächtige Person aufhält, hat binnen 24 Stunden zu
erfolgen.45 In Alten- und Pflegeeinrichtungen sind der zugezogene Arzt, das die Krankheit diag-
nostizierende Labor, das Pflegepersonal und die Heimleitung selbst zur Anzeige verpflichtet. Das
Pflegepersonal und die Heimleitung aber nur dann, wenn weder ein Arzt, noch ein diagnostizie-
rendes Labor vorhanden ist.46 Im Falle einer Unterlassung der Melde- oder Anzeigepflicht ver-
wirklicht die zur Anzeige verpflichtete Person ein Verwaltungsdelikt und ist mit bis zu
EUR 2.180,- oder ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 6 Wochen zu bestrafen.47
Mit Einlangen der Anzeige beginnt die behördliche Tätigkeit. Zunächst trifft die Gesund-
heitsbehörde Maßnahmen zur Feststellung der Krankheit und ermittelt die Infektionsquelle.48 Die
betroffene Person unterliegt einer Mitwirkungspflicht, weshalb sie der ermittelnden Behörde die
notwendigen Auskünfte erteilen muss. Daneben hat sie sich den angeordneten Untersuchungen
42 § 24 EpiG BGBl 1950/186 idF BGBl I 2021/90. 43 § 43a Abs 2 EpiG idF BGBl I 2020/104. 44 Verordnung über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Tirol betreffend
Alten- und Pflegeheime, LGBl 2021/23. 45 Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg), Medizinrecht³ 1427 Rz 20. 46 § 3 Abs 1, 2 EpiG idF BGBl I 2021/33; Ganner, Grundzüge des Alten- und Behindertenrechts³ 220. 47 § 39 EpiG idF BGBl I 2001/98. 48 Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg), Medizinrecht³, 1430 Rz 26.
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zur Feststellung der Krankheit zu unterziehen.49 Soweit kein strafrechtliches Delikt verwirklicht
wird, ist die betroffene Person bei Nichtbeachtung der Mitwirkungspflicht mit einer Geldstrafe
in Höhe von bis zu EUR 1.450,- oder mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu vier Wochen zu
bestrafen.50
Nach Einlangen der Anzeige hat die Bezirksverwaltungsbehörde zur Verhütung der Ver-
breitung von COVID-19 unverzüglich kranke, krankheitsverdächtige und ansteckungsverdäch-
tige Personen anzuhalten, oder im Verkehr mit der Außenwelt zu beschränken.51 Der Eingriff in
den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit ist
rechtlich nur zulässig, wenn die betroffene Person eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die
Gesundheit anderer Personen darstellt und kein gelinderes Mittel als die Anhaltung geeignet ist,
die Weiterverbreitung der Krankheit zu verhindern.52 Ernstlich bedeutet nach der Rechtspre-
chung eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, während unter Erheblichkeit eine be-
sondere Schwere der drohenden Schädigung iS einer schweren Körperverletzung zu verstehen
ist.53 Ordnet die Gesundheitsbehörde eine Absonderung an, obwohl es zur Verhinderung der
Weiterverbreitung der Krankheit weniger grundrechtseingriffsintensive Mittel gibt, mangelt es
der Freiheitsbeschränkung an einer materiellen Voraussetzung, die in einem gerichtlichen Über-
prüfungsverfahren geltend gemacht werden kann.54
3.3.3. Absonderung der kranken, krankheits- oder
ansteckungsverdächtigen Person
Gem § 7 Abs 1 EpiG bezeichnet der zuständige Bundesminister in einer Verordnung jene
Krankheiten, infolge derer eine betroffene Person im Falle einer Erkrankung, eines Krankheits-,
oder Ansteckungsverdachts abzusondern ist. Diese drei Voraussetzungen sind in der Absonde-
rungsverordnung55 wie folgt definiert: Krank sind jene Personen, deren Erkrankung festgestellt
wurde. Als krankheitsverdächtig gelten jene Personen, bei denen aufgrund von Erscheinungen
das Vorhandensein der Krankheit vermutet wird. Ansteckungsverdächtig sind die Personen, bei
49 Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg), Medizinrecht³, 1430 Rz 27. 50 § 40 Abs 1 lit a EpiG idF BGBl I 2020/136. 51 Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch (Hrsg), Corona-HB1.04 Rz 16 (Stand 29.1.2021, rdb.at) 52 § 7 Abs 1a EpiG idF BGBl I 2016/63. 53 Koppensteiner, Ab wann liegt eine Gefährdung im Sinn des § 3 UbG vor? ÖZPR 2011/21, 24. 54 Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch (Hrsg), Corona-HB1.04 Rz 17 (Stand 29.1.2021, rdb.at). 55 Verordnung des Ministers des Inneren im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht vom
22. Februar 1915, betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und
die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, RGBl. 39/915 idF BGBl II 21/2020.
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denen das Vorhandensein der Krankheit bakteriologisch nachgewiesen ist, aber keinerlei Krank-
heitserscheinungen auftreten, „oder bei denen sonst feststeht, oder erfahrungsgemäß anzuneh-
men ist, dass sie der Ansteckung ausgesetzt waren und die Weiterverbreitung vermitteln kön-
nen“56. Daneben sind in der Absonderungsverordnung die Modalitäten der Absonderung zur
Vorkehrung der Weiterverbreitung der Krankheit festgelegt. Die Absonderung hat in einem sa-
nitär einwandfreien Raum zu erfolgen, in dem sich nur die nötigsten Gebrauchsgegenstände be-
finden dürfen. Für unberufene Personen besteht ein Zutrittsverbot zur abgesonderten Person. Für
Angehörige der Pflegeberufe und pflegende Familienangehörige wurde diesbezüglich ein Aus-
nahmetatbestand formuliert, damit der Zutritt zur gepflegten Person gewährleistet ist und dieser
mangels Pflege kein unwiederbringlicher Nachteil entsteht.57
Die Absonderung der erkrankten oder krankheitsverdächtigen Person erfolgt mittels Be-
scheid, der grundsätzlich schriftlich58, aber für die Dauer der COVID-19 Pandemie auch telefo-
nisch erlassen werden kann.59 Bei Gefahr in Verzug, verfügt die Bezirksverwaltungsbehörde die
Absonderung ohne vorangehendes Ermittlungsverfahren in einem abgekürzte Verfahren durch
einen Mandatsbescheid nach § 57 AVG.60 Adressat eines solchen Absonderungsbescheids ist die
abzusondernde Person selbst, allenfalls ihr Erwachsenenvertreter, nicht jedoch der Heimträger
der Einrichtung in der eine abzusondernde Person lebt.61 Ist ein Absonderungsbescheid an den
Heimträger adressiert, entfaltet er gegenüber der abzusondernden Person keinerlei rechtliche
Wirkung. Die betroffene Person ist in diesem Verfahren weder Partei, noch beschwert.62 Mit der
förmlichen Bekanntgabe, also der Zustellung oder der mündlichen Verkündung des Bescheids
gegenüber dem Adressaten, ist die Absonderung wirksam.63 Bei dem epidemiegesetzlichen Ab-
sonderungsbescheid handelt es sich um einen Hoheitsakt, weil er an eine individuell bezeichnete
Person gerichtet ist, im Außenverhältnis ergeht und in einem förmlichen Verfahren erlassen
wird.64
Aus § 7 Abs 2 EpiG ergibt sich die Wohnung als Ort der Absonderung. Für Bewohner
von Alten- und Pflegeeinrichtungen ist dies ihr Heimplatz. Unproblematisch ist die Isolation für
56 § 1 AbsonderungsVO idF BGBl. II 2020/21; Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg),
Medizinrecht³ 1432, Rz 35. 57 § 6 AbsonderungsVO idF BGBl. II 2020/21; Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg),
Medizinrecht³ 1432 Rz 36. 58 § 62 AVG idF BGBl 1991/51. 59 Keisler/Hummelbrunner, Epidemierecht, in Resch (Hrsg), Corona-HB1.04 Rz 23 (Stand 29.1.2021, rdb.at). 60 Zierl, ÖZPR 2020/45, 82 (83). 61 BG Wels 20.5.2020, 26 Ha 1/20t, iFamZ 2020/138, 249. 62 LVwG Tirol 12.8.2020, 2020/23/1402-1. 63 Hengstschläger/Leeb, Verwaltungsverfahrensrecht5 (2014) 272 Rz 459. 64 Hengstschläger/Leeb, Verwaltungsverfahrensrecht5 249 f, Rz 417.
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an COVID-19 erkrankte Bewohner, die ein Einzelzimmer bewohnen, doch besteht in jenen Ein-
richtungen, in denen sich zwei oder mehrere Bewohner ein Zimmer teilen eine ernstliche und
erhebliche Gesundheitsgefährdung für den oder die nicht infizierten Mitbewohner. Diesfalls ist
der kranke oder krankheitsverdächtige Bewohner für die Dauer der Ansteckungsgefahr in einem
abgegrenzten Bereich der Alten- und Pflegeeinrichtung zu isolieren.65 Kann die Absonderung
weder im Zimmer noch in einem abgegrenzten Bereich innerhalb der Einrichtung durchgeführt
werden, oder wird der verhängten Absonderungsmaßnahme nicht Folge geleistet, ist der Bewoh-
ner in eine Krankenanstalt zu überstellen und dort für die Dauer der Gesundheitsgefährdung ab-
zusondern.66 Die Absonderung endet bei Kranken mit dem Ableben oder mit der Genesung, wäh-
rend bei Krankheitsverdächtigen der im öffentlichen Sanitätsdienst stehende Arzt über die Auf-
hebung der Isolation entscheidet.67 Die gesundheitsbehördliche Anordnung einer Freiheitsbe-
schränkung ist nur für die Dauer der Ansteckungsgefahr zulässig, weil ab Wegfall der Übertra-
gungsmöglichkeine keine Fremdgefährdung mehr besteht.68
3.3.4. Kündigung des Heimvertrags bei Nichtbeachtung des
Absonderungsbescheids
Aus dem zwischen Heimträger und Heimbewohner geschlossenem Heimvertrag entsprin-
gen wechselseitig Rechte und Pflichten. Heimbewohner haben insbesondere die berechtigten In-
teressen der übrigen Heimbewohner zu wahren und die gebotene Rücksicht zu nehmen.69 Wei-
gert sich ein Bewohner fortdauernd, die ihm gegenüber angeordneten COVID-19 Maßnahmen
umzusetzen, kann ein solches Verhalten für den Heimbetreiber einen wichtigen Kündigungs-
grund darstellen. Eine Kündigung des Heimvertrags nach vorangehender Mahnung
iSd § 27i Abs 1 Z 3 KSchG ist dann zulässig, wenn der Bewohner den Heimbetrieb trotz ergrif-
fener zumutbarer Abhilfemaßnahmen fortgesetzt derart schwer stört, dass der weitere Aufenthalt
für die übrigen Einrichtungsbewohner unzumutbar wird.70 Gefährdet eine zurechnungsfähige
Person die übrigen Bewohner durch Missachtung der Absonderung, kann die Kündigung des
Heimvertrags durch den Heimträger zulässig sein. Anders verhält es sich, wenn sich eine Person
65 Keisler/Hummelbrunner, Epiedemierecht, in Resch (Hrsg), Corona-HB1.04 Rz 24 (Stand 29.1.2021, rdb.at). 66 § 7 Abs 2 EpiG idF BGBl I 2021/64. 67 Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg), Medizinrecht³ 1433 Rz 37. 68 Hummelbrunner, Sanitätsrecht, in Resch/Wallner (Hrsg), Medizinrecht³ 1430 Rz 29. 69 Stadler, Rechte der HeimbewohnerInnen, ÖZPR 2021/3, 4 (6). 70 Ganner/Pixner/ Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (22).
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wegen ihres Geisteszustands nicht an die angeordneten Maßnahmen halten kann. Eine Heimver-
tragskündigung kann auch nicht rechtmäßig sein, wenn sich ein Bewohner bspw gegen die vom
Heimträger angeordnete, aber ungesetzliche Quarantäne wehrt.71
3.3.5. Vollzug des Absonderungsbescheids
Gem §28a Abs 1 EpiG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes72 auf Ersu-
chen des Gesundheitsamts als zuständige Behörde zur Durchsetzung der angeordneten Maßnah-
men nach § 7 Abs 1 EpiG verpflichtet. Diese epidemiegesetzliche Rechtsgrundlage zum Vollzug
von Absonderungsmaßnahmen gegenüber Bewohnern, besteht ausschließlich für die Organe des
öffentlichen Sicherheitsdienstes.73 Die Angehörigen der Pflegeberufe haben in stationären Ein-
richtungen aufgrund der dem Heimvertrag und den aus § 1 Abs 1 HeimAufG entspringenden
Schutz- und Sorgfaltspflichten alle Bewohner bei der Umsetzung der sie betreffenden Maßnah-
men besonders zu unterstützen.74 Problematisch im stationären Pflegebereich ist aber, dass den
Gesundheitsberufen keinerlei Kompetenz zur Durchsetzung der angeordneten sanitätsrechtlichen
Absonderungsmaßnahme im Sinne einer hoheitlichen Beleihung zukommt.75 Hält sich ein Be-
wohner nicht an den Absonderungsbescheid, können die Angehörigen der Pflegeberufe keines-
falls die im Bescheid angeordnete Maßnahme mit Zwangsmitteln durchsetzen. Im Falle der Ver-
weigerung hat das Pflegepersonal zur Durchsetzung der Maßnahme die Polizei zu verständigen.
Ein Einsatz der Polizei erscheint aber sowohl im Lichte der Pflege als auch aus Sicht der Bewoh-
ner unangebracht.76
Nicht nur in sondern auch außerhalb stationärer Einrichtungen leben psychisch kranke
Personen, die sich wegen ihres geistigen Zustandes nicht an die sanitätspolizeilichen Maßnahmen
halten können. Ein Absonderungsbescheid wird eine schwer demente Person kaum davon abhal-
ten ihren Bewegungsdrang zu stillen. Hält sich eine solche Person nicht an die angeordnete Ab-
sonderung, kommt zur Gefahrenabwehr für die Dauer der Fremdgefährdung ein Transfer in eine
Krankenanstalt samt anschließendem Aufenthalt in Betracht.77
71 Volksanwaltschaft, Pflegeeinrichtungen in Zeiten der Corona-Pandemie, https://volksanwaltschaft.gv.at/down-
loads/d9l75/PK (abgerufen am 4.8.21). 72 § 5 Abs 2 Z 1-4 SPG BGBl 1991/566 idF BGBl I 2016/61. 73 § 28a EpiG idF BGBl I 2020/136. 74 Zierl, ÖZPR 2020/45, 82 (83). 75 Ganner, Alten- und Behindertenrecht3 214; Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21);
OGH 23.9.2020, 7 Ob 151/20m, iFamZ 2020/212, 380 (381); BG Wels 20.5.2020, 26 Ha 1/20t, iFamZ 2020/138,
248 (249). 76 Zierl, ÖZPR 2020/45, 82 (83). 77 § 7 Abs 2 EpiG idF BGBl I 2021/90.
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Ist die betroffene Person eine K-2 Kontaktperson78, ist sie mangels Fremdgefährdung
zwar nicht abzusondern, kann aber im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden. Hält sich
eine Person nicht an die ihr gegenüber angeordneten Maßnahmen und ist das renitente Verhalten
in der psychischen Krankheit begründet, ist sie mangels Schuldfähigkeit weder mit einer Geld-
noch einer Ersatzfreiheitsstrafe zu belegen.79
3.3.6. Exkurs: Beleihung
Im Falle einer Tuberkuloseerkrankung hat der Krankenanstaltsleiter gem
§ 18 Tuberkulosegesetz die Befugnis zum Zweck des Gesundheitsschutzes Dritter, Freiheitsbe-
schränkungen gegenüber jenen Personen anzuordnen, die in einer Krankenanstalt zur Behand-
lung der Tuberkuloseerkrankung aufgrund einer gesundheitsbehördlichen Anordnung angehalten
werden. Ganner/Pixner/Pfeil80 weisen daher als Lösung des epidemiegesetzlichen Durchset-
zungsproblems auf eine erst zu schaffende Beleihungskonstruktion ähnlich dem § 18 TubG hin:
Unter „Beleihung“ wird nach stRsp die Betrauung natürlicher oder juristischer Personen
mit der Wahrnehmung, oder der Mitwirkung an der Besorgung einzelner hoheitlicher Aufgaben
verstanden.81 Der Krankenanstaltsleiter als natürliche Person wird in § 18 TubG von staatlicher
Seite ermächtigt, eine Freiheitsbeschränkung anzuordnen, die von den Pflegekräften durchzuset-
zen ist.82 Die Beschränkung muss sich auf mehrere Räume (zB Etage, Station) erstrecken, zumal
die Absonderung in einem einzelnen Raum (Isolierzimmer) von einem Arzt gesondert angeord-
net werden muss.83
Im Bereich der Pflege könnten durch die Aufnahme einer Bestimmung in das EpiG, die
für die Wartung der Bewohner zuständigen Personen zur Mitwirkung an der Durchsetzung an
78 BMSGPK, Informationen für Kontaktpersonen 4 f; K2- Kontaktpersonen sind Personen, die kürzer als
15 Minuten in einem Abstand von weniger als 2 Metern Kontakt von Angesicht zu Angesicht mit einer infizierten
Person hatten; oder Personen, die sich mit einer infizierten Person länger als 15 Minuten in einem Abstand von
mehr als 2 Metern, oder weniger als 15 Minuten in einem Abstand von weniger als 2 Metern in demselben Raum
aufgehalten haben; oder Passagiere von Langstreckentransportfahrzeugen, sofern sich eine infizierte Person in des-
sen Sitzreihe, zwei Sitzreihen davor oder dahinter befunden haben. 79 Ganner, Alten- und Behindertenrecht³ 217. 80 Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21). 81 RIS-Justiz RS0049972 82 Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21). 83 § 18 Abs 2 Tuberkulosegesetz BGBl 1968/127 idF BGBl I 2016/63.
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den von den Bezirksverwaltungsbehörden angeordneten sanitätspolizeilichen Maßnahmen ver-
pflichtet werden.84 Im Falle des Vorliegens eines gesundheitsbehördlichen Absonderungsbe-
scheids hätten die Pflegekräfte diesen gleich den Behörden des öffentlichen Sicherheitsdienstes,
mit angemessenem Zwang durchzusetzen.
Die Angehörigen der Pflegeberufe hätten eine taugliche Rechtsgrundlage, um Freiheits-
beschränkungen gegenüber entscheidungsfähigen, aber uneinsichtigen Bewohnern und Klienten
der mobilen Pflege mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchzusetzen. Als rechtlich zulässiges Mit-
tel zur Vornahme einer Freiheitsbeschränkung erachtet der OGH beispielsweise das Anbringen
einer Sensormatte vor dem Bett des Bewohners, aufgrund derer das Pflegepersonal Informatio-
nen über das mögliche Verlassen des Isolationsbereichs erhält. Daneben ist die Zimmerisolation
mit Einzelbetreuung als das letztmögliche, aber zulässige Mittel denkbar.85
3.3.7. Gerichtliche Überprüfung der epidemiegesetzlichen Absonderung
Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Art 6 PersFrG ist der in sei-
ner persönlichen Freiheit beschränkten Person wirksamer Rechtsschutz zu gewährleisten. Der zu
gewährende Rechtsschutz verlangt nach ständiger Rechtsprechung nicht nur die Überprüfung
aufrechter Freiheitsbeschränkungen, sondern auch die nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit
einer bereits vollzogenen Freiheitsbeschränkung.86 Im EpiG gibt es kein eigenes Rechts-
schutzsystem. Vielmehr verweist § 7 Abs 1a Satz 2 EpiG87 auf den zweiten Abschnitt des TubG,
in dem aber nicht nur das obligatorische ex-ante Prüfungsverfahren vorgesehen (§ 15 TubG),
sondern auch das fakultative, antragsgebundene Verfahren zur nachträglichen Überprüfung einer
Soforteinweisung (§ 20 TubG) geregelt ist.88
3.3.8. Gesetzesprüfungsverfahren des § 7 Abs 1a Satz 2 – 4 EpiG
Aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken hat der OGH den Beschluss gefasst, dem
VfGH den § 7 Abs 1a Satz 2 – 4 EpiG89 zur Gesetzesprüfung vorzulegen. Nach Ansicht des OGH
entspricht das im EpiG vorgesehene nachträgliche Überprüfungsverfahren durch den pauschalen
Verweis auf den zweiten Abschnitt des TubG weder der gebotenen Determinierung nach
84 Zierl, COVID-19 und Freiheitsbeschränkungen in stationären Pflegeeinrichtungen, CuRe 2020/79. 85 OGH 23.9.2020, 7 Ob 151/20m, iFamZ 2020/212, 380. 86 RIS-Justiz RS0074643. 87 idF BGBl I 2016/63. 88 OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, RdM 2021/106, 29 (32). 89 idF BGBl I 2016/63.
16
Art 18 B-VG noch einer der beiden zulässigen Formen der sukzessiven Kompetenz gem
Art 94 B-VG.90
Bezüglich des Legalitätsprinzips nach Art 18 B-VG war im Wesentlichen unklar, für wel-
chen Zeitraum und welchen Umfang ein gerichtlicher Überprüfungsantrag bestand. Ferner, ob
die abgesonderte Person zunächst das verwaltungsrechtliche Rechtsmittel der Vorstellung gegen
den Mandatsbescheid erheben muss, bevor sie sich mit einem Überprüfungsantrag an das örtlich
zuständige Bezirksgericht wenden kann. Der Gesetzgeber hat gem
Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B-VG die Behördenzuständigkeit derart zu umschreiben, dass der
Rechtsunterworfene in der Lage ist, das behördliche Verhalten vorherzusehen und die Überein-
stimmung des behördlichen Handelns mit dem Gesetz überprüft werden kann.91
Hinsichtlich der sukzessiven Kompetenz ist der OGH der Ansicht, es ergäbe sich aus dem
Wortlaut des § 7 Abs 1a EpiG kein ausreichender Hinweis auf die Absicht einen Instanzenzug
von einer Behörde an ein ordentliches Gericht zu schaffen. Der vorgesehene Antrag richtet sich
an das BG und eben nicht an ein höheres Gericht, was nach Ansicht des OGH als „Auftrag zur
Neudurchführung“ des Verfahrens zu verstehen ist. § 7 Abs 1a EpiG enthält überdies auch keine
Frist, innerhalb der der Antrag beim Gericht einzubringen ist und auch kein fristauslösendes Er-
eignis.92
Aus Art 94 Abs 2 letzter Satz B-VG ergibt sich nach Kopetzki ein weiteres verfassungs-
rechtliches Problem. Demzufolge dürfen Bundesgesetze, die durch mittelbare Bundesverwaltung
zu vollziehen sind, nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden. Die Vollziehung des
Epidemiegesetzes obliegt der mittelbaren Bundesverwaltung. Ob eine derartige Zustimmung
vorliegt, ist aus den vorhandenen Materialien nicht ersichtlich.93
90 OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, iFamZ 2020/185, 348 (349); OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, ÖZPR 2021/12,
26. 91 OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, RdM 2021/106, 29 (33). 92 OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, iFamZ 2020/185, 348. 93 OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, RdM 2021/106, 29 (33).
17
3.3.9. Verfassungswidrigkeit des gerichtlichen Überprüfungsverfahrens
Der VfGH reagiert insofern, als er § 7 Abs 1a Satz 2 EpiG94 wegen unzureichender De-
termination als verfassungswidrig aufhob. Durch den pauschalen Verweis auf den zweiten Ab-
schnitt des TubG war „der genaue Prüfungsgegenstand nicht mit hinreichender Deutlichkeit er-
kennbar.“95 Betroffene Personen haben nunmehr einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmä-
ßigkeit der angeordneten Absonderung an das Bezirksgericht unter sinngemäßer Anwendung des
§ 17 TubG zu stellen.96 Demzufolge hat das zuständige Bezirksgericht von Amts wegen binnen
drei Monaten ab dem Beschluss der Zulässigerklärung oder ab der letzten Überprüfung über das
weitere Vorliegen der Absonderungsvoraussetzungen zu entscheiden. Nach derzeitigem Stand
der Wissenschaft dauert eine COVID-19 Erkrankung keine drei Monate, weshalb die amtswegige
Überprüfung für die vorliegende Arbeit von geringer Relevanz ist. Abseits der amtswegigen
Überprüfung kann die angehaltene Person die Freiheitsbeschränkung jederzeit auf Antrag beim
Bezirksgericht in dessen Sprengel sich die abgesonderte Person aufhält, für unzulässig erklären
lassen. Die Überprüfungsanträge sind, wenn die betroffene Person nicht anwaltlich vertreten ist,
nach vorheriger telefonischer Kontaktaufnahme beim Bezirksgericht per E-Mail einzubringen.97
Das Bezirksgericht hat binnen einer Woche ab Antrag in einer mündlichen Verhandlung zu ent-
scheiden, ob die Freiheitsbeschränkung zulässig war.98 Die Entscheidung ist am Ende der münd-
lichen Verhandlung zu verkünden, zu begründen und der betroffenen Person zu erläutern. Nach
dem Ende der mündlichen Verhandlung hat das Bezirksgericht wiederum eine Woche Zeit den
verkündeten Beschluss schriftlich auszufertigen.99
Die von einer Verwaltungsbehörde angeordneten gesundheitspolizeilichen Maßnahmen
sind somit vor den ordentlichen Gerichten überprüfen zu lassen. Nach Kopetzki ist jedoch frag-
lich, ob die Kontrolle des verwaltungsbehördlichen Handelns nicht in den Händen der Verwal-
tungsgerichte besser aufgehoben wäre. Die Verwaltungsgerichte sind mit den verwaltungsrecht-
lichen Spezialitäten und Besonderheiten immerhin besser vertraut als die ordentlichen Gerichte.
Auch eine für die Bevölkerung leichter nachvollziehbare, einheitliche Spruchpraxis würde für
eine Kompetenzverschiebung hin zur Verwaltungsgerichtsbarkeit sprechen, zumal neun Verwal-
tungsgerichte 115 Bezirksgerichten gegenüberstehen. Im Bereich der psychiatrischen Anhaltung
94 idF BGBl I 2020/104. 95 VfGH 10.3.2021, G 380/2020-18. 96 § 7 Abs 1a vierter Satz EpiG idF BGBl I 2021/64. 97 § 17 Abs 3, 4 TubG idF BGBl I 2020/104. 98 § 17 Abs 5 TubG idF BGBl I 2020/104. 99 § 15 Abs 4 TubG idF BGBl I 2020/104.
18
sind zur Überprüfung von Freiheitsbeschränkung zwar ebenso die ordentlichen Gerichte zustän-
dig100, doch scheint sich diese Variante durch den Zusammenhang zum Kuratels- und Entmün-
digungsrecht, im Hinblick auf den gemeinsamen Adressatenkreis (psychisch Kranke) und die
langjährige Spruchpraxis des OGH bewährt zu haben. 101
Nach Mokrejs-Weinhappel besteht eine kumulative Kompetenz der Landesverwaltungs-
gerichte. Sonstige Verkehrsbeschränkungen, die nicht dieselbe Eingriffsintensität aufweisen wie
eine Freiheitsbeschränkung, sind ihrer Meinung nach weiterhin von den Verwaltungsgerichten
zu überprüfen.102 Dem entgegnet Kopetzki, dass der Rechtsschutz im Einklang mit den verfas-
sungsrechtlichen Vorgaben entweder bei einem ordentlichen Gericht oder bei einem Verwal-
tungsgericht zu suchen ist. Einig sind sich Kopetzki und Mokrejs-Weinhappel aber darin, dass für
die Zukunft Überlegungen anzustellen sind, ob die Überprüfung von Absonderungen nach dem
EpiG nicht vollends in die Hände der Verwaltungsgerichtsbarkeit gelegt werden soll. 103
4. Das Verhältnis zwischen EpiG und HeimAufG
Sowohl das HeimAufG, als auch das EpiG sind Ausführungsgesetze zu
Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG, auf deren Grundlage Personen wegen einer Krankheit in ihrer Freiheit
beschränkt werden können. Das EpiG ist zur Gefahrenabwehr ansteckender Krankheiten gegen-
über dem HeimAufG spezieller, weshalb diesem im Kollisionsfall aufgrund der lex specialis
derogat leges generalis der Vorrang einzuräumen ist.104 Das HeimAufG tritt als subsidiäre Recht-
fertigungsmöglichkeit hinter das EpiG zurück.105 Im Falle einer Absonderung nach dem EpiG,
haben die Angehörigen des gehobenen Pflegedienstes in Alten- und Pflegeeinrichtungen im In-
teresse des betroffenen Bewohners zusätzlich eine Freiheitsbeschränkung nach dem HeimAufG
anzuordnen. Das ergibt sich aus den Schutz- und Sorgfaltspflichten aus dem Heimvertrag.106
Ein relevanter Unterschied besteht im Tatbestand der Gefährdung. Eine Absonderung
nach dem EpiG kann nur wegen einer akuten Fremdgefährdung rechtmäßig sein, während Frei-
heitsbeschränkungen im Anwendungsbereich des HeimAufG aufgrund einer Fremd-, oder einer
Selbstgefährdung möglich sind.107
100 OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, RdM 2021/106, 29 (33). 101 Kopetzki, "Absonderungen" vor dem Bezirksgericht, RdM 2021/1. 102 Mokrejs-Weinhappel, Die gerichtliche Überprüfung von Anhaltungen wegen COVID-19 nach dem
Epidemiegesetz - Ein Überblick, iFamZ 2020, 84 (85). 103 OGH 2.11.2020, 7 Ob 139/20x, RdM 2021/106, 29 (32). 104 Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21). 105 Bürger/Halmich, Heimaufenthaltsgesetz2 (2019) 27 Rz 13. 106 Ganner, Alten- und Behindertenrecht3, 219. 107 § 7 Abs 1a erster Satz EpiG idF BGBl I 2021/90, § 4 Z. 1 HeimAufG idF BGBl I 2010/18.
19
4.1. Anwendungsbereich des HeimAufG
Gem § 2 Abs 1 ist das HeimAufG auf Alten-, Pflege- und Behindertenheime sowie auf
andere Einrichtungen, in denen wenigstens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Perso-
nen ständig betreut werden anwendbar. Der Anwendungsbereich ist einrichtungsbezogen und
gilt unabhängig von der Bezeichnung der Einrichtung für alle Heime, die von alten oder behin-
derten Menschen bewohnt werden.108 Mit „anderen Einrichtungen“ wird ein „Auffangtatbe-
stand“ für jene Einrichtungen geschaffen, die eben keine Alten-, Pflege- oder Behindertenheime
sind, aber aufgrund einer ähnlichen Organisationsstruktur einem typischen Alten-, Pflege- oder
Behinderteneinrichtung gleichen.109 Klientel der mobilen Pflege und Personen, die
24-Stunden-Betreuung beanspruchen, unterliegen jedoch nicht dem Anwendungsbereich und
können nicht nach den Regeln des HeimAufG in ihrer Freiheit beschränkt werden.110 Der Gel-
tungsbereich knüpft somit ausschließlich an der Institution als solche an. Es bedarf keines wei-
teren Kriteriums wie einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung, um dem
Anwendungsbereich des HeimAufG zu unterliegen.111
4.2. Definition und materielle Voraussetzungen der Freiheitsbeschränkung
Im Folgenden wird auf die heimaufenthaltsgesetzliche Definition einer Freiheitsbe-
schränkung und auf die materiellen Voraussetzungen zur Vornahme einer solchen eingegangen.
4.2.1. Definition
Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben liegt eine Freiheitsbeschränkung
nach § 3 Abs 1 HeimAufG vor, wenn Ortsveränderungen eines Einrichtungsbewohners gegen
oder ohne seinen Willen mit physischen Mitteln, oder deren Androhung, verhindert werden. Der
Begriff der Freiheitsbeschränkung durch körperliche Mittel ist insofern weit auszulegen, als nicht
nur mechanische, sondern auch elektronische und medikamentöse Mittel darunterfallen.112 Das
Fixieren im Bett, das Einsperren im Zimmer, sowie das Festziehen der Rollstuhlbremse stellen
ebenso freiheitsbeschränkende Maßnahmen dar, wie Stockbeschränkungen in räumlich größeren
108 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 (2012), 82; OGH 12.6.2019, 7 Ob 80/19v, iFamZ 2019/158, 144. 109 ErläutRV 353 BlgNR 22. GP 7. 110 Bürger/Halmich, HeimAufG2 32 Rz 5.
111 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 84. 112 Ganner, Grundzüge des Alten- und Behindertenrechts³ (2020) 197.
20
Einrichtungen oder die Verwendung von Sensormatten und GPS-Trackern. Eine durch medika-
mentöse Mittel bedingte Freiheitbeschränkung liegt hingegen nur vor, wenn die Verabreichung
auch eine unmittelbare Verringerung des Bewegungsdrangs erreichen soll.113 Ist der verminderte
Bewegungsdrang nur Begleiterscheinung der medizinisch indizierten Behandlung, liegt keine
Freiheitsbeschränkung vor.114 Es ist unerheblich, ob sich die Bewohner innerhalb der Einrichtung
frei bewegen können. Entscheidend ist nur, dass sie die Einrichtung gegen ihren freien Willen
nicht verlassen können.115 Bloße Zutrittsbeschränkungen zu bestimmten Räumen sind nicht unter
den Begriff der Freiheitsbeschränkung zu subsumieren.116
Der Tatbestand der Androhung ist erfüllt, wenn ein Bewohner wegen des Gesamtein-
drucks der Situation glauben muss, keine Ortsveränderung durchführen zu dürfen, ohne durch
physische Mittel sanktioniert zu werden.117 Die Androhung eine Person an der gewollten Auf-
enthaltsänderung zu hindern, hat sich auf den Einsatz physischer Mittel (zB Angurten, Fixieren
oder Festziehen der Bremsen am Rollator/ Rollstuhl) zu beziehen, nicht jedoch auf andere Nach-
teile wie Essensentzug oder dem Verbot der Teilnahme an Aktivitäten wie dem sonntäglichen
Messebesuch.118 Wird einem Bewohner, der die Einrichtung verlassen möchte, von der Heimlei-
tung oder den Pflegekräften im Vorhinein eine 14-tägige Zimmerquarantäne ab Rückkehr ange-
droht, darf er den Umständen der Gesamtsituation entsprechend glauben, die Einrichtung nicht
verlassen zu dürfen.119
4.2.2. Einwilligung des Betroffenen
Kann ein Bewohner die Bedeutung und Tragweite einer konkreten Handlung verstehen,
dementsprechend einen Willen bilden und sich dem Willen entsprechend verhalten, ist er iSd
§ 24 Abs 2 ABGB entscheidungsfähig. Stimmt eine psychisch kranke oder geistig behinderte,
aber im konkreten Moment entscheidungsfähige Person der freiheitsbeschneidenden Maßnahme
höchstpersönlich, inhaltlich bestimmt und frei von Willensmängeln zu, wird von einer Frei-
heitseinschränkung gesprochen.120 Die Einwilligung ist vertretungsfeindlich, weshalb nur die
113 Ganner, Alten- und Behindertenrecht³ 198; Ganner, Recht der Altenpflege, in Aigner/Kletečka/Kletečka-
Pulker/Memmer (Hrsg), Handbuch Medizinrecht (Stand 1.3.2020, rdb.at); LG Eisenstadt 24.4.2006, 20 R 28/06a,
FamZ 2006/38, 98; OGH 19.3.2014, 7 Ob 32/14b, iFamZ 2014/103, 125. 114 RIS-Justiz RS0121227. 115 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 106. 116 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 106; Ganner, Alten- und Behindertenrecht3 216. 117 ErläutRV 353 BlgNR 22. GP 10. 118 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 127. 119 LG Wels 1.7.2020, 21 R 118/20g, iFamZ 2020/173, 316. 120 Ganner, Recht der Altenpflege, in Aigner/Kletečka-Pulker/Memmer (Hrsg), Medizinrecht
(Stand 1.3.2020, rdb.at).
21
von der freiheitsbeschneidenden Maßnahme betroffene Person selbst wirksam zustimmen
kann.121 Eine Freiheitseinschränkung löst zwar Aufklärungs-, Melde-, Verständigungs- und Do-
kumentationspflichten aus, ist im Nachhinein aber nicht gerichtlich überprüfbar.122 Ist es dem
Bewohner aufgrund seines Gesundheitszustandes (zB Koma) gar nicht möglich einen Fortbewe-
gungswillen zu bilden, scheidet eine Freiheitsbeschränkung per definitionem aus.123
4.2.3. Psychische Krankheit oder geistige Behinderung
Zwingende materielle Voraussetzung, um einen Bewohner in seiner körperlichen Bewe-
gungsfreiheit beschränken zu können ist das Vorhandensein einer psychischen Erkrankung oder
einer geistigen Behinderung.124 Kern beider Tatbestandsmerkmale ist die daraus resultierende
mangelnde Selbstbestimmungsfähigkeit der betroffenen Person.125 Eine Freiheitsbeschränkung
nach dem HeimAufG ist nur dann gerechtfertigt, wenn die psychische Krankheit oder geistige
Behinderung mit einer Selbst- oder Fremdgefährdung in einem Kausalzusammenhang steht. An
geistig gesunden Personen oder psychisch kranken Personen, deren Krankheit im konkreten Ein-
zelfall keine Selbst- oder Fremdgefährdung verursacht, kann keine Freiheitsbeschränkung nach
dem HeimAufG vorgenommen werden.126
4.2.4. Ernstliche und erhebliche Gesundheitsgefährdung
Nach § 4 Z 1 HeimAufG muss aufgrund der psychischen Krankheit oder der geistigen
Behinderung eine ernstliche und erhebliche Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der eige-
nen oder einer fremden Person bestehen (=Selbst-, oder Fremdgefährdung). Ernstlichkeit bedeu-
tet eine aktuelle und konkret vorhandene Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körper-
liche Integrität der eigenen oder einer anderen Person. Erheblichkeit meint eine Gesundheits-
schädigung von mindestens 24 Tagen und vergleichbare Beeinträchtigungen der Gesundheit.127
Nach Ganner128 „handelt es sich hierbei um ein bewegliches System. Die Gefahrenprognose
muss aus Erheblichkeit und Ernstlichkeit in Summe einen Grenzwert überschreiten.“ Da sich
naturgemäß besonders vulnerable Personengruppen in Alten- und Pflegeheimen aufhalten und
121 OGH 12.6.2019, 7 Ob 80/19v, ÖZPR 2019/89, 148 (149). 122 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 135. 123 OGH 9.11.2016, 7 Ob 193/16g, EvBl 2017/86, 608. 124 § 4 Z 1 HeimAufG idF BGBl I 2017/59; Ganner, Recht der Altenpflege, in Aigner/Kletečka-Pulker/Memmer
(Hrsg), Medizinrecht (Stand 1.3.2020, rdb.at). 125 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 140. 126 LG Wels 1.7.2020, 21 R 118/20g, iFamZ 2020/173, 316 (319); Zierl, ÖZPR 2020/45, 82 (84). 127 ErläutRV 353 BlgNR 22. GP 11. 128 Ganner, Alten- und Behindertenrecht3, 216.
22
diese Gruppe nach wissenschaftlichem Stand im Falle einer COVID-19 Infektion einen beson-
ders schweren Krankheitsverlauf zu erwarten hat, ist die Erheblichkeit einer COVID-19 beding-
ten Gesundheitsgefährdung iS einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zu-
mindest bis zum Vorhandensein eines wirksamen Impfschutzes zu bejahen. Mit der Vollimmu-
nisierung der Bewohner und Mitarbeiter dürfte aber nur mehr vereinzelt ein schwerer Krank-
heitsverlauf auftreten129, weshalb die Erheblichkeit der Selbstgefährdung ab dem Zeitpunkt des
Wirksamwerdens des Impfschutzes nicht mehr gegeben sein kann. Fraglich ist auch, ob die Ernst-
lichkeit der Gesundheitsgefährdung während der Dauer der COVID-19 Pandemie permanent für
alle Alten- und Pflegeheimbewohner Österreichs gegeben ist. Sollte ein Bewohner oder ein Ein-
richtungsmitarbeiter mit COVID-19 infiziert sein, wäre das Erfordernis der Ernstlichkeit in die-
ser Einrichtung gegeben. Gibt es in der Einrichtung aber keinen derartigen Fall und liegt die
Einrichtung in einer Gemeinde, in der die Durchseuchungsrate nachweislich gering ist, wäre die
Ernstlichkeit der Gesundheitsgefährdung mangels Infektionsmöglichkeit zu verneinen.130 Im Er-
gebnis ist das Vorhandensein der Ernstlichkeit der COVID-19 bedingten Gesundheitsgefährdung
evidenzbasiert und einzelfallbezogen zu bestimmen.
4.2.5. Verhältnismäßigkeitsprinzip
Neben der durch psychische Krankheit oder geistige Behinderung ausgelösten Selbst-
oder Fremdgefährdung findet das verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprinzip
Eingang in das HeimAufG.131 Die Freiheitsbeschränkung muss zur Verhinderung der Anste-
ckung oder Weiterverbreitung von COVID-19 geeignet, unbedingt erforderlich und bezüglich
Intensität und Dauer im Verhältnis zur konkreten Gefahr angemessen sein.132 Freiheitsbeschrän-
kungen von kranken oder krankheitsverdächtigen Personen verhindern den physischen Kontakt
zu anderen Bewohnern, deren Gesundheit dadurch geschützt wird. Wegen der leichten Übertrag-
barkeit von COVID-19133 ist es notwendig infizierte Personen von gesunden Personen zu tren-
nen, was in einer typischen Alten- und Pflegeeinrichtung aufgrund der Vielzahl von Bewohnern
nur durch eine Absonderung erreicht werden kann. Das Tragen einer Maske oder die Einhaltung
bestehender Abstandsregeln wird häufig am geistigen Zustand der betroffenen Person scheitern.
129 Robert-Koch-Institut, COVID-19 und Impfen: Antworten und häufig gestellte Fragen,
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html (Abgerufen am 28.8.21). 130 Ganner, Alten- und Behindertenrecht3, 216; aA Zierl, ÖZPR 2020/45, 82 (85). 131 § 4 Z 2, 3 HeimAufG idF BGBl I 2010/18. 132 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 144. 133 Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu COVID-19, Kapitel 2, https://www.rki.de/DE/Con-
tent/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html (Stand 14.7.21).
23
Möglich wäre, den erkrankten Bewohner in eine Krankenanstalt überstellen zu lassen, doch ist
für den psychisch kranken oder geistig behinderten, aber mit der Heimumgebung vertrauten Be-
wohner, der Verbleib in der Einrichtung das gelindere Mittel.134 Hinzuzufügen ist, dass sämtliche
andere Möglichkeiten organisatorisch-personeller, baulicher oder pflegerischer Natur auszu-
schöpfen sind, bevor eine Freiheitsbeschränkung angeordnet werden darf.135
4.3. Formelle Voraussetzungen
Neben den materiellen Voraussetzungen sind zur Rechtmäßigkeit einer Freiheitsbe-
schränkung die nachstehenden formellen Voraussetzungen einzuhalten.
4.3.1. Anordnung der Freiheitsbeschränkung
Wer die Anordnungskompetenz einer Freiheitsbeschränkung gem § 5 Abs 1 HeimAufG
in einem Alten-, oder Pflegeheim hat, richtet sich nach der Art der vorzunehmenden Maßnahme.
Freiheitsbeschränkungen, die Bewohner der Einrichtung vor einer Ansteckung oder der Weiter-
verbreitung von COVID-19 schützen, fallen gleichermaßen unter die dem Arzt gesetzlich vorbe-
haltenen Maßnahmen, wie die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung aufgrund einer
COVID-19-Infektion.136 Nach Ganner137 sind Personen des gehobenen Dienstes für Gesund-
heits- und Krankenpflege gem § 5 Abs 1 Z.2 HeimAufG zur Anordnung der Freiheitsbeschrän-
kung für die Fälle zuständig, in denen ein Absonderungsbescheid der Gesundheitsbehörde vor-
liegt, „weil es sich hierbei ausschließlich um die Bestimmung des Aufenthaltsortes und nicht um
medizinische Maßnahmen handelt.“ Die den Absonderungsbescheid verweigernde Person wäre
zur Isolation in eine Krankenanstalt zu überstellen, doch wird durch die zusätzliche Anordnung
einer Freiheitsbeschränkung nach dem HeimAufG ein für die Bezirksverwaltungsbehörden zu
beachtendes gelinderes Mittel geschaffen. Dieser Vorgang ermöglicht dem Bewohner den Ver-
bleib in der Einrichtung.138 Der Arzt und die Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesund-
heits- und Krankenpflege sind im Rahmen des HeimAufG vom Bund mit der Wahrnehmung von
134 Ganner/Pixner/ Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21). 135 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 145. 136 § 2 Abs 2 Z 3, 5 ÄrzteG BGBl I 1998/169 idF BGBl I 2020/16; OGH 23.9.20, 7 Ob 151/20m. 137 Ganner, Alten- und Behindertenrecht3, 220. 138 Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21).
24
Aufgaben der Hoheitsverwaltung, nämlich der Anordnung und Durchführung von Freiheitsbe-
schränkungen beliehen, wodurch sie funktionell als Organe des Staates agieren.139 Welche Per-
sonen konkret zur Vornahme der angeordneten Freiheitsbeschränkung zuständig sind, ist im
HeimAufG nicht ausdrücklich geregelt. Die Anordnungs- und Durchführungsverantwortung
kann auseinanderfallen und mehrere Personen treffen.140 Aus § 15 Abs 2 GukG ergibt sich die
Durchführungsverantwortung allerdings für jene Personen, die die angeordnete Freiheitsbe-
schränkung faktisch vornehmen. Es obliegt dem Einrichtungsträger diesbezüglich organisatori-
sche Vorkehrungen zu treffen.141
Für Freiheitsbeschränkungen, die länger als 48 Stunden andauern oder wiederholt ange-
ordnet werden, ist die Mitwirkung eines Arztes zwingend notwendig.142 Die Kontagiosität
(= Dauer der Ansteckungsfähigkeit) von COVID-19 beträgt nach derzeitigem wissenschaftli-
chem Stand mindestens 10 Tage143, weshalb damit in Zusammenhang stehende Freiheitsbe-
schränkungen den Zeitraum von 48 Stunden regelmäßig übertreffen. Die Mitwirkung geschieht
in Form eines ärztlichen Dokuments, das die Feststellung einer psychischen Krankheit, oder geis-
tigen Behinderung, sowie die daraus resultierende ernstliche und erhebliche Selbst- oder Fremd-
gefährdung zum Inhalt hat.144
Im Zeitpunkt des Wegfalls auch nur einer in § 4 HeimAufG genannten materiellen Vo-
raussetzungen ist die Freiheitsbeschränkung von einer anordnungsbefugten Person sofort aufzu-
heben, andernfalls die Absonderung unzulässig wird. Liegt bspw ein negativer molekularbiolo-
gischer COVID-19-Test vor, fällt das Tatbestandsmerkmal der Fremdgefährdung weg und die
aufrechte Freiheitsbeschränkung ist vom Arzt unverzüglich aufzuheben.145
4.3.2. Dokumentation
In der vom Arzt verpflichtend vorzunehmenden schriftlichen Dokumentation nach
§ 6 HeimAufG sind alle den Bewohner betreffenden Diagnosen und therapeutischen Maßnah-
men zu benennen. Daneben ist nachvollziehbar anzuführen, weshalb gelindere Maßnahmen wie
zB das Tragen einer Schutzmaske nicht zielführend waren.146 Die Dokumentationspflicht wird
139 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 565. 140 Zierl/Wall/Zeinhofer, Heimrecht³ 147. 141 Zierl, Die ärztliche Anordnung von Freiheitsbeschränkungen gemäß HeimAufG, FamZ 2006, 210 (213). 142 § 5 Abs 2 HeimAufG idF BGBl I 2010/18. 143 Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu COVID-19, Kapitel 10, https://www.rki.de/DE/Con-
tent/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html (Stand 14.7.21). 144 Ganner, Alten- und Behindertenrecht3, 208. 145 Bürger/Halmich, HeimAufG2 107, Rz 20. 146 Ganner, Alten- und Behindertenrecht3, 209.
25
in gravierender Weise verletzt, wenn Angaben zum Grund der Freiheitsbeschränkung fehlen. Das
führt zur Unzulässigkeit der angeordneten Maßnahme.147
4.3.3. Aufklärung des Patienten
Der Arzt als die im gegenständlichen Fall anordnungsbefugte Person hat die betroffene
Person gem § 7 Abs 1 S 2 HeimAufG höchstpersönlich und in verständlicher Sprache über die
Art, den Beginn und die voraussichtliche Dauer der Freiheitsbeschränkung aufzuklären. Wird die
Aufklärung unterlassen oder nicht ordnungsgemäß vorgenommen, fehlt eine formelle Voraus-
setzung, die wiederum die Unzulässigkeit der Freiheitsbeschränkung zur Folge hat.148
4.3.4. Verständigung der Bewohnervertretung
Die Einrichtungsleitung ist von der Freiheitsbeschränkung und deren Aufhebung zu in-
formieren, die sogleich ohne unnötigen Aufschub den Vertreter des Bewohners und die Vertrau-
ensperson in Kenntnis zu setzen hat. Dasselbe gilt für jene Beschränkungen, die mit dem Willen
des Bewohners vorgenommen werden.149 Solange die Bewohnervertretung nicht tatsächlich
Kenntnis erlangt, ist die angeordnete Freiheitsbeschränkung formell unzulässig und im nachfol-
genden gerichtlichen Verfahren überprüfbar.150
Nach Strickmann und Bürger/Halmich darf das Fehlen einer formellen Voraussetzung bei
Vorhandensein der materiellen Voraussetzungen nicht zur Aufhebung der Freiheitsbeschränkung
führen, da die beschränkte Person aufgrund der psychischen Krankheit weiterhin eine ernstliche
und erhebliche Gefahr für das Leben und die Gesundheit der eigenen oder einer fremden Person
darstellt.151 Bürger/Halmich sprechen sich jedoch für eine sofortige Aufhebung der Freiheitsbe-
schränkung aus, wenn wegen der Schwere der formellen Mängel eine gerichtliche Überprüfung
der materiellen Voraussetzungen nicht mehr möglich ist.152 Strickmann plädiert auf eine Zwei-
teilung des Gerichtsbeschlusses: Es soll einerseits die Zulässigkeit der materiellen Voraussetzun-
gen und andererseits die Unzulässigkeit der formellen Voraussetzungen ausgesprochen werden.
147 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 6 HeimAufG Rz 15 (Stand 1.10.2017, rdb.at). 148 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 7 HeimAufG Rz 15 (Stand 1.10.2017, rdb.at). 149 § 7 Abs 1 S 2, Abs 2 HeimAufG idF BGBl I 2010/18. 150 RIS-Justiz RS0121228. 151 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 200; Bürger/Halmich, HeimAufG² 147 Rz 8; Barth, Spezielle Fragen zum
Gerichtsverfahren nach HeimAufG (FN 1), RZ 2006, 2. 152 Bürger/Halmich, HeimAufG² 147 Rz 9.
26
Ziel der Zweiteilung ist die Sicherstellung des korrekten „Dokumentationsverhalten“ in der Zu-
kunft.153
4.4. Gerichtliches Überprüfungsverfahren der heimaufenthaltsgesetzlichen
Freiheitsbeschränkung
Nach § 11 HeimAufG kann die in ihrer Freiheit beschränkte Person, ihre Vertrauensper-
son oder ihr gesetzlicher Vertreter beim zuständigen örtlichen Bezirksgericht unter Anwendung
der Regeln des Außerstreitgesetzes die Überprüfung der materiellen und formellen Vorausset-
zungen der Freiheitsbeschränkung beantragen.
4.4.1. Ex-lege Bewohnervertretung
Zur Vertretung ist gem §§ 8 ff HeimAufG ex lege der örtlich zuständige Erwachsenen-
schutzverein (zB Vertretungsnetz) berufen, dessen Vertretungsbefugnis mit der Vornahme oder
ab der Androhung der Freiheitsbeschränkung zu laufen beginnt.154 Zu beachten ist, dass die Zu-
ständigkeit der Bewohnervertretung zur Wahrung des Rechts auf persönliche Freiheit unbescha-
det des Daseins eines anderen gesetzlichen oder gewählten Vertreters nicht ausgeschlossen wer-
den kann.155
4.4.2. Verfahren vor dem Bezirksgericht
Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen hat das Bezirksgericht binnen
sieben Tagen ab Einlangen des Überprüfungsantrags eine Anhörung anzuberaumen, in der sich
der Richter von der beschränkten Person in der konkreten Einrichtung einen persönlichen Ein-
druck zu verschaffen hat.156 Der Richter hört den betroffenen Bewohner und die am Verfahren
beteiligten Auskunftspersonen an, holt Informationen über dessen Gesundheitszustand ein und
erhält so ein erstes Bild der Situation. Zweck dieser ersten Stufe des Überprüfungsverfahren ist
die Aufnahme entscheidungsrelevanter Beweise und die Wahrung des rechtlichen Gehörs.157
Auch wenn der Bewohner wegen seines Gesundheitszustandes „faktisch nicht an der Erstanhö-
rung teilnehmen kann oder mit dem Gericht nicht kommunizieren kann“, ist das Bezirksgericht
153 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 206. 154 Herdega/Bürger, Heimaufenthaltsgesetz, in Resch/Wallner (Hrsg), Handbuch Medizinrecht3 311 Rz 128. 155 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 182; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 8 HeimAufG
(Stand 1.10. 2017, rdb.at) Rz 34 ff. 156 Bürger/Halmich, HeimAufG2 143, Rz 7. 157 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 12 HeimAufG (Stand 1.10. 2017, rdb.at) Rz 4.
27
verpflichtet, sich einen unmittelbaren Eindruck des Bewohners in der Einrichtung zu verschaf-
fen. 158
Nach der Erstanhörung hat das Gericht gem § 13 Abs 1 HeimAufG eine Entscheidung
über die Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung zu treffen. Hält es die Freiheitsbeschränkung für
zulässig, ist binnen 14 Tagen eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Bei Ausspruch der
(materiellen) Unzulässigkeit ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 13 Abs 2 HeimAufG die Frei-
heitsbeschränkung sofort zu beenden, sofern die Heimleitung nicht sogleich einen Rekurs anmel-
det und damit zusammenhängend aufschiebende Wirkung beantragt. Das Gericht kann aus pro-
zessökonomischen Gründen die erste Anhörung (1. Stufe) mit der mündlichen Verhandlung
(2.Stufe) verbinden159, wobei im Unterschied zur Erstanhörung zwingend ein von der Einrich-
tung unabhängiger Sachverständiger beizuziehen ist.160
4.4.3. Mündliche Verhandlung während einer Pandemie
Die Bewohnervertretung hat jüngst in einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren mo-
niert, dass das Erstgericht es unterlassen habe, den wegen eines Infektionsverdachts mit
COVID-19 in seiner Freiheit beschränkten Bewohner zur mündlichen Verhandlung beizuziehen.
Nach Ansicht der Bewohnervertretung habe dies die Nichtigkeit des Verfahrens mangels Ge-
währung des rechtlichen Gehörs iSd § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG und die Unzulässigkeit der ange-
ordneten Freiheitsbeschränkung zur Folge. Im Wesentlichen brachte die Bewohnervertretung
vor, die mit der Anhörung verbundene mündliche Verhandlung habe entgegen dem Gesetzes-
wortlaut der §§ 11, 13 HeimAufG im Gerichtsgebäude und ohne Beiziehung des Bewohners
stattgefunden. Das Rekursgericht entgegnete, dass das rechtliche Gehör gewahrt sei, zumal die
Parteien schriftliche Stellungnahmen abgegeben haben oder abgeben hätten können. Der OGH
stellte fest, dass der von der Bewohnervertretung geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des feh-
lenden rechtlichen Gehörs nicht entscheidungsrelevant gewesen sei, da der Bewohner keinen
verfahrensrelevanten Beitrag leisten konnte und deshalb auch bei Beiziehung kein anderer Ver-
fahrensausgang denkbar gewesen wäre.161 Laut OGH konnte die für das Verfahren wesentliche
158 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 12 HeimAufG (Stand 1.10. 2017, rdb.at) Rz 14. 159 § 12 Abs 2 HeimAufG idF BGBl I 2010/18. 160 § 14 Abs 3 HeimAufG idF BGBl I 2010/18. 161 Ähnlich dazu die Entscheidungen des LG Wels 21 R 118/20g, LG Wels 21R 119/20d jeweils vom 1. 7. 2020
als Rekursgericht aufgrund unterlassener Bestellung eines zur mündlichen Verhandlung zwingend beizuziehenden
Sachverständigen.
28
Frage des Infektionsrisikos des Bewohners und die dagegen bestehende Präventionskonzepte
ausschließlich von einem SV geklärt werden. 162
Nichtigkeitsgründe wirken im Außerstreitverfahren nicht absolut, sondern führen nur
dann zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Neudurchführung des Verfahrens,
wenn der Rechtsmittelwerber durch die Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs einen Nachteil
erleiden würde.163
Seit 6. 5. 2020 kann das Gericht eine mündliche Verhandlung, die ansonsten in der Ein-
richtung vorzunehmen wäre, „unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel
zur Wort- und Bildübertragung durchführen“. Der Gesetzgeber hat bereits am Beginn der Pan-
demie eine Rechtsgrundlage geschaffen, damit das Gericht seinen Aufklärungspflichten nach-
kommen und gleichzeitig den physischen Kontakt zu vulnerablen Personen vermeiden kann.164
Der Ausgang dieser Verfahren ist daher insofern kritikwürdig, als das Erstgericht sich
entgegen den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben zu keinem Zeitpunkt ei-
nen persönlichen Eindruck des Bewohners verschafft hat. Ein wesentliches Tatbestandsmerkmal
des § 12 Abs 1 HeimAufG ist gerade die vom Gericht vorzunehmende Aufklärung der betroffe-
nen Person über Grund und Zweck des Verfahrens. Das wäre in diesem Fall für alle Beteiligten
gefahrlos möglich gewesen. Es wäre dem Erstgericht jedenfalls zumutbar gewesen, die unbedingt
notwendige Aufklärungsarbeit mittels Videotelefonie vorzunehmen.165
5. Rechtsfolgen unzulässiger Freiheitsbeschränkungen
Das zuständige ordentliche Gericht hat bei Entscheidungsreife ausschließlich die Kom-
petenz zur Feststellung, ob eine Freiheitsbeschränkung zulässig ist oder nicht. Die Anordnung
eine Freiheitsbeschränkung aufzuheben, bleibt dem Gericht aufgrund der sich direkt aus dem
Gesetz ergebenden Anordnungs- oder Aufhebungsbefugnis verwehrt.166 Daneben steht für Per-
sonen die unzulässige Freiheitsbeschränkung anordnen oder vollziehen eine strafrechtliche Haf-
tung im Raum.
162 OGH 23.09.2020, 7 Ob 151/20m. 163 RIS-Justiz RS0120213. 164 § 3 Abs 1 Z 2 COVID-19-JuBG BGBl I 2020/16 idF BGBl I 2020/30; Ganner, Wie funktioniert die Überprü-
fung von Freiheitsbeschränkungen in Zeiten einer Epidemie (COVID-19)? ÖZPR 2020/50, 90. 165 Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21). 166 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 206; Bürger/Halmich HeimAufG2 158 Rz 10.
29
5.1. Amtshaftung
Derjenige, dem ein Organ in Ausführung eines Gesetzes einen Schaden rechtswidrig und
schuldhaft zufügt, hat einen Schadenersatzanspruch gegen den Rechtsträger des Organs. Der ent-
standene Personen- oder Vermögensschaden ist stets in Geld zu ersetzen.167 Der Anspruch ver-
jährt nach drei Jahren ab Kenntnis des Schadens.168
§ 24 HeimAufG statuiert eine Haftung des Bundes für Vermögens- oder Personenschä-
den, die die Einrichtungsbediensteten oder -beauftragten in Vollziehung des HeimAufG wem
immer rechtswidrig und schuldhaft zugefügt haben. In Ausführung des HeimAufG sind die an-
ordnenden und durchführenden Pflegekräfte hoheitlich und nicht privatwirtschaftlich tätig und
deshalb als Organe des Bundes tätig.169 Entsteht der Schaden außerhalb des Anwendungsbereichs
des HeimAufG, kommen die für die Beauftragten und Bediensteten vorteilhaften schadenersatz-
rechtlichen Regelungen des AHG nicht zu tragen.170 Die Regel nach § 24 HeimAufG erfährt vor
dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art 5 EMRK und Art 7 PersFrG aber insofern eine
Einschränkung, als rechtswidrig angehaltenen Personen ein verschuldensunabhängiger Schaden-
ersatzanspruch zusteht.171 Der Bund haftet sogar dann, wenn dem Organ gar keine Schuld vor-
zuwerfen ist.172
In Vollziehung der Gesetze bedeutet nicht nur die Anordnung und Durchführung, sondern
auch die Unterlassung einer vorzunehmenden Freiheitsbeschränkung. Bei Unterlassung trotz
Vorliegen aller Voraussetzungen wird die betroffene Person aber naturgemäß nicht in ihrer Frei-
heit beschränkt, weshalb hier das Schuldkriterium des § 24 HeimAufG zusätzlich neben die ob-
jektive Sorgfaltswidrigkeit hinzutritt.173
5.1.1. Bedienstete und beauftragte Personen
Mit bediensteten oder beauftragten Personen sind zunächst die anordnungsbefugten Per-
sonen gem § 5 Abs 1 Z. 1-3 HeimAufG gemeint. Daneben gilt das AHG auch für jede der Ein-
richtung zugehörende anordnungs- oder durchführungsunbefugte Person – sie wird durch die
faktische Vornahme der Freiheitsbeschränkung funktionell als Organ des Bundes tätig.174 In
167 § 1 Abs 1 AHG BGBl 1949/20 idF BGBl I 2013/33. 168 § 6 Abs 1 AHG idF BGBl I 2013/122. 169 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 24 HeimAufG (Stand 1.10.2017, rdb.at) Rz 4. 170 Zierl, Haftung und Rückersatz gem § 24 HeimAufG, EF-Z 2012/119, 190. 171 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 224 f; Herdega/Bürger, Heimaufenthaltsgesetz in Resch/Wallner (Hrsg),
Handbuch Medizinrecht³ 339 Rz 206; Zierl, Haftung und Rückersatz gemäß HeimAufG, ÖZPR 2012/15. 172 Zierl, EF-Z 2012/119, 190 (191) Rz 9. 173 Zierl, ÖZPR 2012/15, 24 (25). 174 Zierl, EF-Z 2012/119, 190 (191) Rz 14.
30
Folge ist jede von den einrichtungszugehörigen Personen gesetzte Handlung oder Unterlassung,
also auch die (Nicht-) Durchführung einer Freiheitsbeschränkung, als hoheitlich anzusehen und
unterliegt dementsprechend dem AHG. Selbiges gilt für sonstige formelle oder materielle Män-
gel in Vollziehung des HeimAufG.175 Im Umkehrschluss gilt das AHG nicht für Personen, die
nicht in der Einrichtung beschäftigt oder bedienstet sind.176 Dem Einrichtungspersonal sei daher
die Einhaltung der formellen Voraussetzungen nahegelegt, weil sie so in den Genuss der Amts-
haftung kommen.177
Bei Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs nach dem AHG muss das schädigende
Organ nicht genannt werden. Vielmehr genügt der Beweis, dass der Schaden ausschließlich
durch das Verhalten eines Organs des beklagten Rechtsträgers entstanden sein konnte.178 Ebenso
wenig hat der Geschädigte das Verschulden des Organs zu belegen.179 Ein Schadenersatzan-
spruch nach dem AHG besteht allerdings dann nicht, wenn die geschädigte Person den Schaden
durch ein Rechtsmittel hätte abwenden können. Der Rechtsmittelbegriff ist in diesem Zusam-
menhang weit auszulegen, weshalb auch Rechtsbehelfe wie der Antrag auf Überprüfung der Frei-
heitsbeschränkung gem § 11 HeimAufG darunterfallen.180
5.1.2. Regress des Bundes
Der Bund kann sich am Einrichtungsträger gem § 24 Abs 2 HeimAufG aber nur regres-
sieren, wenn der Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde. Vorsätzlich handelt
der, der es zumindest ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet den Schaden zu verursa-
chen.181 Grob fahrlässig handelt wiederum derjenige, der auffällig und ungewöhnlich sorgfalts-
widrig handelt, so dass der Schadenseintritt geradezu wahrscheinlich ist.182 Freiheitsbeschrän-
kungen, die aufgrund von Empfehlungen des BMSGPK angeordnet und vollzogen werden, kön-
nen weder der Einrichtung noch dem Personal als grob fahrlässig angelastet werden. Ein Regress
des Bundes gegenüber der Einrichtung ist in diesen Fällen daher nicht möglich.183
175 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 24 HeimAufG (Stand 1.10.2017, rdb.at) Rz 7. 176 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 24 HeimAufG (Stand 1.10.2017, rdb.at) Rz 6. 177 Stadlberger, Strafrechtliche Haftung wegen COVID-19-Maßnahmen in Pflegeeinrichtungen, ÖZPR 2020/88,
156 (157). 178 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 24 HeimAufG (Stand 1.10.2017, rdb.at) Rz 11. 179 Zierl, ÖZPR 2012/15, 24 (26). 180 Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht6 (2019) 356; Zierl, ÖZPR 2012/15, 24 (26). 181 § 5 Abs 1 StGB BGBl. 1974/60. 182 § 6 Abs 3 StGB BGBl. 1974/60 idF BGBl. I 2015/112 183 Stadlberger, ÖZPR 2020/88, 156 (157).
31
5.1.3. Regress des Einrichtungsträgers
Der Regress des Einrichtungsträgers gegenüber dem Schädiger ist wiederum davon ab-
hängig, ob der Schädiger vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Im Falle der grob fahr-
lässigen Verursachung, kann der Richter im Rahmen des richterlichen Mäßigungsrechts den
Rückersatz nach Billigkeit mäßigen.184 Das Amtshaftungsverfahren ist gem § 9 Abs 1 AHG bei
jenem LG zu führen, das für die jeweilige Einrichtung örtlich zuständig ist.
5.1.4. Geltung des AHG für Schäden aus dem EpiG?
Im Gegensatz zu § 24 HeimAufG schweigt das EpiG ob der Geltung des AHG, doch ist
aus den Gesetzesmaterialien auch keine Ablehnung einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit er-
sichtlich.185 Der Bund bedient sich in Ausführung des EpiG der mittelbaren Bundesverwaltung,
weshalb die Landesbehörden funktionell als Bundesbehörden agieren und ihr Verhalten dem
Bund zuzurechnen ist. Schließlich verfügt die Bezirksverwaltungsbehörde die Absonderung mit-
tels Bescheid, während die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu deren Durchsetzung
berufen sind. Schadenersatzansprüche die aus einer unzulässigen Absonderung nach dem Epide-
miegesetz resultieren, sind daher an den Bund zu richten.186 Wird eine Person nach
§ 7 Abs 1a EpiG isoliert, obwohl die diesbezüglichen Voraussetzungen nicht vorliegen, besteht
für die Dauer der Absonderung ein Anspruch auf Schadenersatz.
5.2. Organhaftung
Das ein Spezialgesetz zum DHG187 darstellende OrgHG188, enthält Regelungen über den
Regress zwischen dem Rechtsträger und dem schadensverursachenden Organ. Der Schaden ist
dem Rechtsträger vom Organ ausschließlich bei grob fahrlässiger Verursachung und nur in Geld
zu ersetzen. Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Schaden wegen einer dienstlichen Wei-
sung zugefügt wird. Sie lebt jedoch wieder auf, wenn sie von einem offenbar unzuständigen
Vorgesetzten stammt oder die vorzunehmende Handlung ein Delikt des Strafrechts beinhaltet.189
Der Regress am schadensverursachenden Organ ist deshalb nicht möglich, weil das Befolgen
von Handlungsempfehlungen des BMSGPK eine grobe Fahrlässigkeit ausschließt.
184 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 24 HeimAufG (Stand 1.10.2017, rdb.at) Rz 13. 185 Geroldinger, Amtshaftung wegen Fehlern bei Bekämpfung der COVID-19-Epidemie? JBl 2020, 523 (532). 186 Geroldinger, JBl 2020, 523 (528). 187 Dienstnehmerhaftpflichtgesetz BGBl 1965/80. 188 Organhaftpflichtgesetz BGBl 1967/181. 189 Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht6 357.
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5.3. Haftung nach ABGB
Die zivilrechtliche Haftung nach §§ 1293 ff ABGB kommt dort zur Anwendung, wo das
schadenstiftende Verhalten außerhalb der hoheitlichen Vollziehung stattfindet.190 Freiheitsbe-
schränkungen in einer dem HeimAufG unterliegenden Einrichtung sind stets Hoheitsakte, die im
Rahmen der Amtshaftung abgehandelt werden.191 In Anbetracht der Anzahl der zu Hause ge-
pflegten Personen ist die Vornahme von Freiheitsbeschränkungen auch außerhalb stationärer
Einrichtungen notwendig, um die zu pflegende Person vor Selbst- oder Fremdgefährdungen zu
schützen. In Ermangelung gesonderter gesetzlicher Regelungen gelten für Freiheitsbeschränkun-
gen im extramuralen Pflegebereich die allgemeinen Haftungsregelungen nach
§§ 1293 ff ABGB.192
Der Schadenersatzanspruch kann sich aus dem direkt zwischen Pflegekraft und zu pfle-
gender Person, oder zwischen dem Arbeitgeber der Pflegekraft und der zu pflegenden Person
geschlossenen Behandlungsvertrag ergeben. Im Falle des Fehlens einer direkten Vertragsbezie-
hung zwischen Schädiger und Geschädigten (zB Pflege durch Angehörige) haftet der Schädiger
dem Geschädigten deliktisch. 193
Zur Geltendmachung des verschuldensabhängigen Schadenersatzanspruchs nach
§§ 1295 ff ABGB bedarf es nach den allgemeinen Regeln eines Schadens, der kausal, rechtswid-
rig und schuldhaft verursacht wurde.194 Derjenige, der jemanden durch Privatgefangennahme in
seiner Freiheit beraubt, ist verpflichtet, dem Verletzten die Freiheit wieder zu verschaffen und
volle Genugtuung zu leisten.195 Der für pflegebedürftige Personen aus der Freiheitsbeschränkung
entstandene Schaden ist primär immaterieller Natur („Haftübel“), der mit Hilfe der subjektiven
Schadensberechnung zu berechnen ist. Bei der Berechnung sind insbesondere „Dauer, Intensität
des erlittenen Ungemachs, aber auch die psychophysische Situation des Betroffenen, die Be-
schaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite seiner Psyche
zu berücksichtigen.“196 Das Recht auf persönliche Freiheit ist ein absolut geschütztes Rechtsgut.
Die Vornahme einer freiheitsentziehenden Maßnahme stellt einen rechtswidrigen Eingriff in den
Schutzbereich dar.197 Der Ersatz des ideellen Schadens wird bei fahrlässiger Gefangennahme
190 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht² 228. 191 Zierl, ÖZPR 2012/15, 24. 192 Gepart, Freiheitsbeschränkende Maßnahmen im extramuralen Bereich, ÖZPR 2010/133, 147. 193 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 24 HeimAufG (Stand 1.10.2017, rdb.at) Rz 15. 194 Ganner, Alten- und Behindertenrecht³ 245. 195 § 1329 ABGB RGBl 1916/69. 196 RIS-Justiz RS0031714. 197 Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht6 320.
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abgelehnt, weshalb der Täter zumindest mit Eventualvorsatz handeln muss.198 Hält es der Täter
ernstlich für möglich den Schaden zu verursachen und findet er sich damit ab, handelt er zumin-
dest bedingt vorsätzlich und ist haftbar.199
Im Falle einer Vertragsbeziehung durch den Schädiger, sieht das allgemeine Schadener-
satzrecht Erleichterungen für den Geschädigten vor. Der Schädiger hat aufgrund der Beweis-
lastumkehr gem § 1298 ABGB zu beweisen, dass er nicht schuldhaft gehandelt hat. Daneben
wird die Gehilfenzurechnung nach § 1313a ABGB schlagend. Derzufolge haftet der Vertrags-
partner des Geschädigten für jene Schäden, die seine Gehilfen bei der Erfüllung des Vertrages
verschulden.200
5.4. Strafrechtliche Haftung
Gem § 1 Abs 2 HeimAufG sind Freiheitsbeschränkungen „nur dann zulässig, soweit sie
im Verfassungsrecht, in diesem Bundesgesetz (=HeimAufG) oder in anderen gesetzlichen Vor-
schriften ausdrücklich vorgesehen sind.“ Der Begriff „ausdrücklich“ entfaltet eine Sperrwirkung,
derzufolge keine Freiheitsbeschränkung vorgenommen werden darf, sofern keine gesetzliche
Grundlage besteht. Daraus folgt, dass die von der Lehre entwickelten allgemeinen Rechtferti-
gungsgründe (= rechtfertigender Notstand oder Nothilfe) und bestehende vertragliche Schutz-
pflichten Freiheitsbeschränkungen nach dem HeimAufG nicht legitimieren können.201 Die aus-
drücklich gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgründe nach §§ 3, 10 StGB bleiben in Anwen-
dung des HeimAufG unberührt.202
Außerhalb des Anwendungsbereichs des HeimAufG kommt in Ermangelung anderer Re-
gelungen die strafrechtliche Haftung in Betracht. Betroffen sind insbesondere die Pfleger der
24-Stunden-Betreuung und die Pflegekräfte der mobilen Dienste, für die keine gesonderte
Rechtsgrundlage zur Vornahme freiheitsbeschränkender Maßnahmen besteht.203 Jene Pflege-
kräfte die Freiheitsbeschränkungen an in häuslicher Pflege befindlichem Klientel durchführen,
sind nicht mit Hoheitsmacht ausgestattet und unterliegen daher nicht den vorteilhaften Regelun-
gen des AHG. Die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums über den Umgang mit kranken
oder krankheitsverdächtigen Personen sind im Hinblick auf die drohende Haftung der Pflegekraft
198 Hinteregger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1329 Rz 5 (Stand 1.8.2019, rdb.at). 199 Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht5 323. 200 Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht5 328. 201 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 79. 202 Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußstrG II § 1 HeimAufG, Rz 9 (Stand 1.10.2017, rdb.at);
OGH 29.10.2014, 7 Ob 139/14p, ÖZPR 2015/32, 55. 203 Gepart, ÖZPR 2010/133, 146 (147).
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problematisch. So ist „die betroffene Person so gut wie möglich zu isolieren, insbesondere wenn
noch andere Personen im Haushalt leben.“204 Jene Pflegekräfte, die sich an diese Empfehlung
halten und eine Person (gegen ihren Willen) in ihrer Wohneinheit absondern, verwirklichen das
strafrechtliche Delikt des Freiheitsentzugs gem § 99 StGB. Es kann aber erst im nachfolgenden
gerichtlichen Verfahren geklärt werden, ob etwaige Rechtfertigungs- oder Entschuldigungs-
gründe vorliegen, die die Rechtswidrigkeit oder die Schuld und somit die Strafbarkeit der Pfle-
gekraft entfallen lassen. Diese mit großer Unsicherheit behaftete Rechtslage ist unbefriedigend
und für die Pflegekräfte unzumutbar.
Folgende strafrechtlich relevanten Delikte sind für Vornahme einer unzulässigen Frei-
heitsbeschränkung relevant:
5.4.1. §§ 302, 303 StGB
In Ausführung des HeimAufG handeln sowohl Ärzte als auch Pflegekräfte funktionell als
Beamte des Bundes, weshalb bei fehlerhafter Anordnung oder Durchführung einer Freiheitsbe-
schränkung eine Verwirklichung der Beamtendelikte der §§ 302, 303 StGB in Frage kommt:
Gem § 302 StGB haften Beamte für Schäden die sie im Zuge der Führung ihrer Amtsgeschäfte
wissentlich verursachen. Die anordnenden Pflegekräfte müssen den aus ihrer Sicht rechtswidri-
gen Gebrauch (oder Nichtgebrauch) der Anordnungsbefugnis für gewiss halten. Daneben bedarf
es eines Schädigungsvorsatzes, nach dem der Beamte es ernstlich für möglich hält und sich damit
abfindet einen dem materiellen Recht widersprechenden Hoheitsakt vorzunehmen oder zu ver-
anlassen.205
Nach § 303 StGB sind jene Beamte zu bestrafen, die grob fahrlässig durch eine gesetz-
widrige Anhaltung eine andere Person in ihren Rechten schädigen. Objektiv sorgfaltswidrig und
damit vorwerfbar handelt diejenige Person, die im Vergleich mit dem maßgerechten Menschen
in der Lage des Täters nach allgemeiner Erfahrung der Tatversuchung widerstanden hätte.206
Auch hier handelt das Pflegepersonal aufgrund der Empfehlungen des BMSGPK, weshalb das
Fahrlässigkeitsunrecht und somit die Strafbarkeit entfällt.207
204 BMSGPK, Empfehlungen zu COVID-19: Schutzmaßnahmen für Pflege und Betreuung: Teil-/Stationäre Ein-
richtungen und Mobile Dienste 4. 205 Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil II13 (2018) 239 Rz 24. 206 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht Allgemeiner Teil16 (2020) 178 Rz 26.9. 207 Stadlberger, ÖZPR 2020/88, 156 (157).
35
5.4.2. § 99 StGB
Daneben kommt ein Freiheitsentzug gem § 99 StGB in Betracht.
Das Delikt des Freiheitsentzugs kann innerhalb einer Einrichtung durch Vornahme einer Frei-
heitsbeschränkung von einer nichtdurchführungsbefugten Person verwirklicht werden.208 Außer-
halb einer Einrichtung ist jedes tatbestandsverwirklichende Verhalten strafbar. Ist die Person mit
Hoheitsgewalt beliehen, kommt kein Freiheitsentzug in Frage, weil derartige Taten exklusiv von
§§ 302, 303 StGB erfasst sind.209
Tatobjekte einer Freiheitsentziehung nach § 99 StGB sind jene Personen, die zur willkür-
lichen Ortsveränderung fähig sind und denen der Freiheitsentzug bewusst ist. Ein Freiheitsentzug
ist demnach bei Komapatienten oder Säuglingen ausgeschlossen. 210 Beeinträchtigt der Täter das
Opfer in seiner Fortbewegungsfreiheit, indem er ihm den Rollstuhl wegnimmt, ein stark sedie-
rendes Mittel verabreicht, oder das Opfer durch das Versperren der Haus- oder Zimmertüre ge-
fangen hält, verwirklicht er das Delikt des Freiheitsentzugs dann, wenn sich das Opfer gar nicht,
nur mit erheblichem Kraftaufwand oder Geschick oder unter Gefahr einer Körperverletzung be-
freien kann.211 Bezüglich der Dauer lässt die hL und Rsp bereits eine relativ kurze Zeitspanne
genügen. Sinnvoll erscheint im Hinblick auf die hohe Strafdrohung eine Mindestdauer von zehn
Minuten.212 Eine Einwilligung des Opfers schließt den Freiheitsentzug aus. Auf der inneren Tat-
seite muss sich der Vorsatz auf alle tatbestandsmäßigen Voraussetzungen beziehen.213
5.4.3. § 105 StGB
Wer eine andere Person durch Gewalt oder gefährliche Drohung zu einer Handlung, Dul-
dung oder Unterlassung bewegt, macht sich gem § 105 StGB strafbar. Auf objektiver Tatseite
muss daher entweder eine erhebliche Einwirkung auf den Körper eines anderen, die das Opfer
zu Boden wirft, Schmerzen bereitet oder Widerstand unmöglich macht,214 oder eine Drohung iSd
§ 74 Abs 1 Z 5 StGB vorliegen.215 Es kommt hierbei ausschließlich darauf an, dass das Opfer bei
objektiver und unbefangener Betrachtung den Eindruck gewinnen musste, der Täter könne das
angekündigte Übel tatsächlich zufügen. Daneben muss das Übel derart gewichtig sein, dass es
208 Stadlberger, ÖZPR 2020/88, 156 (158). 209 Bertel/Schwaighofer/Venier, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil I14 (2018) 80 Rz 18. 210 Schwaighofer in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum StGB, 2. Auflage (2017) § 99 Rz 6. 211 Bertel/Schwaighofer/Venier, BT I14 78 Rz 5. 212 Bertel/Schwaighofer/Venier, BT I14 78 Rz 6; Gepart, ÖZPR 2010/133, 146 (147). 213 Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK² § 99 Rz 26 f. 214 Bertel/Schwaighofer/Venier, BT I14 94 Rz 5. 215 Bertel/Schwaighofer/Venier, BT I14 95 Rz 9.
36
auf das Verhalten des Opfers Einfluss nehmen kann.216 Die Ankündigung einer 10-tägigen Iso-
lation bei Rückkehr in die Einrichtung ist ebenso eine gefährliche Drohung wie die Aussage, der
Bewohner würde seinen Heimplatz verlieren, wenn er die Einrichtung aus welchem Grund auch
immer verlässt.217
Eine Nötigung ist aber dann straflos, wenn die Verwirklichung des objektiven Tatbe-
stands als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerspricht.218 Der Nöti-
gungszweck liegt in der Verhinderung der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit, die eine
strafbare Handlung gem §§ 178, 179 StGB darstellt. Die zur Verwirklichung des angestrebten
Zwecks angewendete Gewalt könnte aber deswegen sozial adäquat sein, weil sie der Verhinde-
rung der Ansteckung anderer Menschen dient. Die Nötigung einer zurechnungsunfähigen, mit
COVID-19 infizierten Person könnte daher in Zusammenschau zwischen angestrebtem Zweck
und verwendetem Mittel nicht den guten Sitten widersprechen und somit gerechtfertigt blei-
ben.219 Auch eine Drohung des Verlustes des Heimplatzes oder der Androhung bei Rückkehr in
die Einrichtung in Zimmerisolation zu müssen, ist bei der unkontrollierten Ausbreitung einer
Infektionskrankheit sozial adäquat.220
Zur Verwirklichung der inneren Tatseite reicht der bedingte Vorsatz nach
§ 5 Abs 1 StGB. Die Nötigung ist dann einschlägig, wenn der Freiheitsentzug gem § 99 StGB
wegen der fehlenden Mindestdauer von ca zehn Minuten nicht in Frage kommt.
In weiterer Folge ist auf die in Frage kommenden allgemeinen Rechtfertigungs- und Ent-
schuldigungsgründe einzugehen.
5.4.4. Einwilligung
Die Einwilligung als ungeschriebener, durch Lehre und Rsp konkretisierter Rechtferti-
gungsgrund ist eine ausdrückliche oder konkludente Willenserklärung, durch die umfassend auf
Rechtsschutz verzichtet wird.221 Eine Einwilligung der betroffenen entscheidungsfähigen Person
schließt einen Freiheitsentzug aus. Sie ist rechtswirksam, wenn sie ernstlich, frei und nicht mit
gravierenden Willensmängeln behaftet ist. Die einwilligende Person muss entscheidungsfähig
iSd § 24 ABGB sein, damit sie in der Lage ist, die Situation und die Tragweite ihrer Einwilli-
gungshandlung zu erfassen. Die Einwilligung muss sich daher auf ein konkretes Ereignis und
216 Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK² § 105 Rz 63. 217 Stadlberger, ÖZPR 2020/88, 156 (158). 218 Bertel/Schwaighofer/Venier, BT I14 95 Rz 16. 219 Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK² § 105 Rz 75 ff. 220 Stadlberger, ÖZPR 2020/88, 156 (158). 221 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16, 103 f Rz 15.56 ff; OGH 23.6.2021, 7 Ob 59/21h, JusGuide 2021/34/19682.
37
einen zeitlich abgegrenzten Rahmen beziehen.222 Eine Einwilligung kann von der zu pflegenden
Person jederzeit ausdrücklich oder konkludent widerrufen werden.223
Außerhalb des Anwendungsbereichs greift die strenge Dokumentationspflicht des Heim-
AufG nicht. Pflegekräften aller Art sollten die Einwilligung klar dokumentieren. Für ausgebil-
dete Pflegekräfte gilt § 5 GuKG, demgemäß Angehörige der Pflegeberufe die von ihnen vorge-
nommenen gesundheits- und krankenpflegerischen Maßnahmen zu dokumentieren haben. Pfle-
genden Angehörigen ist die Dokumentation der von ihnen gesetzten Maßnahmen zum Zwecke
der Beweisführung anzuraten.224
5.4.5. Mutmaßliche Einwilligung
Die mutmaßliche Einwilligung als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund kommt dann
in Betracht, wenn die Einwilligung der betroffenen Person nicht mehr erreichbar ist, aber auf-
grund objektiver Indizien aus ex-ante Sicht vom Rechtsgutträger erteilt worden wäre.225 Es muss
aus objektiven Gesichtspunkten klar sein, dass die freiheitsbeschränkte Person der Freiheitsbe-
schränkung zugestimmt hätte.226
5.4.6. Rechtfertigender und Entschuldigender Notstand gem § 10 StGB
Die Notstandssituation ist beiden Strafausschließungsgründen gleich. Es bedarf eines un-
mittelbar drohenden Nachteils für ein Individualrechtsgut des Notstandstäters oder eines Dritten.
Die Prüfkriterien, ob eine derartige Situation gegeben ist, müssen objektiv und aus ex-ante-Sicht
vorliegen. Bedeutend ist der Nachteil dann, wenn er derart gewichtig ist, dass „er auch einen
rechtschaffenden Menschen zu einem Rechtsbruch veranlassen könnte.“227 Das Recht auf Leben
als verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht ist ein notstandsfähiges Individualrechtsgut.
Die zweite Tatbestandsvoraussetzung ist die Notstandshandlung. Die Rettungshandlung
muss im Falle des rechtfertigenden Notstands das einzige und relativ schonendste Mittel sein,
um das höherwertige Rechtsgut zu retten. Darüber hinaus hat das Mittel zur Erhöhung der Ret-
tungschancen geeignet und angemessen zu sein. Beim entschuldigenden Notstand muss das ge-
rettete Rechtsgut gerade nicht höherwertig sein. Hier muss die Notstandshandlung auch nicht das
222 OGH 5.7.2017, 7 Ob 112/17x, JusGuide 2017/42/16173. 223 ErläutRV 353 BlgNR 22. GP 10. 224 Strickmann, Heimaufenthaltsrecht² 136. 225 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 109 f Rz 15.88. 226 Köberl/Sitner, Freiheitsentziehende Maßnahmen bei Demenz im Bereich der Heimhilfe, ZfG 2018, 96;
Gepart ÖZPR 2010/133, 146 (147). 227 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT14, 130 Rz 7 f.
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einzige und mildeste Mittel, aber notwendig und an sich geeignet sein, das Rechtsgut zu retten.
Zuletzt muss der Notstandstäter in Anwendung des rechtfertigenden Notstands um das Vorliegen
der Notstandssituation wissen, während es dem Notstandstäters des entschuldigenden Notstands
gerade darauf ankommen muss, das Rechtsgut zu retten.228
Im Falle einer COVID-19 Infektion einer pflegebedürftigen aber geistig gesunden Person
kann ein Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit zur Vermeidung der Ansteckung anderer
Bewohner solange gerechtfertigt sein, bis die Gesundheitsbehörde tätig wird.229 Im Bereich der
24-Stunden-Betreuung kann ein Freiheitsentzug der zu pflegenden Person gem § 99 StGB als
notwendiges und geeignetes Mittel dann gerechtfertigt oder entschuldigt sein, wenn die Gefahr
der Weiterverbreitung der Krankheit durch die zu pflegende Person akut gegeben ist. Das wäre
beispielsweise dann der Fall, wenn eine infizierte demente Person mit ausgeprägtem Bewegungs-
drang aus Routine täglich mehrmals das Haus verlässt, um spazieren zu gehen oder Bekannte zu
treffen und Dritte dadurch der Gefahr einer Ansteckung aussetzt.
In denkbar vielen Fällen werden die im Eifer des Gefechts vorsätzlich begangenen De-
likte, insb jene nach §§ 99, 105 StGB durch den rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstand
gerechtfertigt oder entschuldigt sein.
5.4.7. Irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts gem
§ 8 StGB
Nach diesem, nur auf Vorsatztaten anwendbaren Irrtum handelt derjenige irrtümlich, der
einen SV annimmt, welcher die Rechtswidrigkeit seiner Tat ausschließen würde.230 Es geht hier-
bei um die irrige Annahme einer Rechtfertigungssituation, weshalb § 8 StGB nur einschlägig ist,
wenn sich der Täter in einem Irrtum über den rechtfertigenden Sachverhalt befindet und unter
Zugrundelegung der Tätervorstellung sämtliche übrige objektive und subjektive Merkmale des
betreffenden Rechtfertigungsgrund erfüllt wären. Der Täter darf nicht mehr tun als er tun dürfte,
würde tatsächlich eine Rechtfertigungssituation vorliegen.231 Wer der irrtümlichen Annahme ei-
nes rechtfertigenden Sachverhalts unterliegt, ist trotz Vorsatz nicht wegen der vorsätzlichen Tat
zu bestrafen. Vielmehr ist der Täter wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen, sofern es ein derartiges
228 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 145 Rz 21.23. 229 Stadlberger, ÖZPR 2020/88, 156 (159). 230 § 8 StGB idF BGBl 1974/60. 231 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 135 f Rz 20.3 ff.
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Fahrlässigkeitsdelikt gibt und der Irrtum über das Vorliegen einer Rechtfertigungssituation auf
Fahrlässigkeit beruht.232
Pflegekräfte dürfen durch die Aussagen der Bundesregierung und diverser Experten be-
rechtigterweise glauben, dass das Einsperren einer kranken, krankheitsverdächtigen oder anste-
ckungsverdächtigen Person in einer Einrichtung oder im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung ge-
rechtfertigt sei. Dies deshalb, weil durch die leichte Übertragbarkeit des Virus ein unmittelbar
drohender bedeutender Nachteil für das Individualrechtsgut körperliche Unversehrtheit eines
Dritten droht und die Isolation das notwendige und an sich geeignetste Mittel ist, den Nachteil
abzuwenden.233
5.4.8. Verbotsirrtum gem § 9 StGB
Derjenige, der eine falsche oder gar keine Vorstellung des Unrechts seiner Tat hat, unter-
liegt einem Verbotsirrtum und handelt nicht schuldhaft.234 Zu unterscheiden ist zwischen einem
direkten und einem indirekten Verbotsirrtum, wobei nur der indirekte ein für diese Arbeit rele-
vanter Irrtum ist. Demzufolge erkennt der Täter das Unrecht seiner Tat deshalb nicht, weil er
über die Grenzen oder über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes irrt.235 Die Rechtsfolgen
beider Verbotsirrtumsarten richten sich nach der Vorwerfbarkeit der begangenen Tat. Nur der
nicht-vorwerfbare Verbotsirrtum ist ein Schuldausschließungsgrund und führt zur völligen Straf-
freiheit.236
§ 9 Abs 2 StGB konkretisiert die Vorwerfbarkeit durch zwei im Gesetz aufgezählte taxa-
tive Kriterien: Ist das Unrecht der Tat für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar, ist der
Irrtum vorwerfbar. Ferner handelt der Täter vorwerfbar, wenn er sich mit den einschlägigen Vor-
schriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf oder sonstigen Umständen nach
dazu verpflichtet wäre.237 Als Pflegekraft war es daher notwendig, sich ab dem Auftreten von
COVID-19 über die relevanten, berufsspezifischen Rechtsvorschriften zu erkundigen. Nach
stRsp ist die Vorwerfbarkeit eines Verbotsirrtums aber dann ausgeschlossen, wenn die irrende
Person von einer verlässlichen, kompetenten Stelle, die den gesamten Sachverhalt kennt, Rat
232 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 137 Rz 20.8. 233 Stadlberger, ÖZPR 2020/88, 156 (160). 234 § 9 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60. 235 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 130 Rz 19.9. 236 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 131 Rz 19.16. 237 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 132 Rz 19.21 ff.
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eingeholt hat.238 Das BMSGPK als zuständige oberste Behörde stellt eine verlässliche kompe-
tente Stelle dar, aufgrund deren Empfehlungen Pflegekräfte Freiheitsbeschränkungen durchge-
führt haben. Empfehlungen einer Behörde sind mangels Kundmachung nicht rechtsverbind-
lich.239 Die empfohlene und in der Praxis häufig vorgenommene „vorsorgliche Isolation“ beruht
auf keiner gesetzlichen Grundlage und ist daher rechtswidrig. Das Verhalten des Pflegepersonals,
das im Vertrauen auf die Rechtsrichtigkeit der erlassenen Empfehlungen Freiheitsbeschränkun-
gen vorgenommen hat, ist nicht vorwerfbar. Jene, die das Delikt des Freiheitsentzugs gem
§ 99 StGB verwirklicht haben, werden durch den indirekten, nicht vorwerfbaren Verbotsirrtum
entschuldigt und nicht bestraft.
6. Krankheitsbedingte Freiheitsbeschränkungen im deutschen Recht
Eine Pandemie beschränkt sich begriffsgemäß nicht nur auf einzelne räumlich abgrenz-
bare Gebiete. Nachdem die einschlägigen Normen der österreichischen Rechtsordnung im Hin-
blick auf die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dargelegt wurden, folgt im nächsten Schritt
ein Blick nach Deutschland. Sinn und Zweck der nachstehenden Kapitel ist die Darstellung jener
Rechtsgrundlagen, aufgrund derer pflegebedürftige Personen in ihrer Freiheit beschränkt werden
können.
6.1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Ein Überblick über die relevanten verfassungsrechtlichen Grundlagen ist notwendige Vo-
raussetzung, um die einfachgesetzlichen Regelungen eines Eingriffs in den Schutzbereich der
körperlichen Bewegungsfreiheit nachvollziehbar darstellen zu können.
6.1.1. Art 2 dGG Abs 2 S 2 dGG
Art 2 Abs 2 S 2 dGG schützt die körperliche Bewegungsfreiheit aller Menschen vor staat-
lichen Eingriffen. Die Fortbewegungsfähigkeit ist für die Anwendbarkeit ausschlaggebend, wes-
halb ausschließlich natürliche Personen als Träger dieses Jedermannsrechts in Frage kommen.240
Der sachliche Schutzbereich umfasst die körperliche Bewegungsfreiheit, unter der die freie Wahl
eines beliebigen Aufenthaltsortes verstanden wird.241 Das gilt sowohl für freiheitsbeschränkende
238 RIS-Justiz RS0089613. 239 Ganner/Pixner/Pfeil, ÖZPR 2021/11, 20 (21). 240 Di Fabio in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar Art 2 Abs 2 Nr 2 Rz 21. 241 Di Fabio in Maunz/Dürig, GG Art 2 Abs 2 Nr 2 Rz 26.
41
(Art 104 Abs 1 dGG) als auch freiheitsentziehende Maßnahmen (Art 104 Abs 2 - 4 dGG), deren
Abgrenzung je nach Eingriffsintensität der Maßnahme erfolgt.242 Eine Freiheitsbeschränkung ist
jede kurzzeitige Beeinträchtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit gegen den Willen des Be-
troffenen. Ein Freiheitsentzug liegt vor, wenn die „Bewegungsfreiheit nach jede Richtung hin
aufgehoben“ wird. Jede Freiheitsentziehung ist einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu
unterziehen und hat sich in zeitlicher Hinsicht stets auf die Dauer der Notwendigkeit zu beschrän-
ken.243
Um eine Person in ihrer Freiheit zu beschränken, bedarf es ein die Eingriffsvoraussetzun-
gen hinreichend deutlich bestimmendes förmliches Gesetz iSd Art 104 Abs 1 Satz 1 dGG.
Daneben ist die Einhaltung der im einfachen Gesetz vorgesehenen Form- und Verfahrensvor-
schriften, die Nichtvornahme physischer oder psychischer Misshandlungen und der Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Strenger, weil eingriffsintensiver, sind die Voraussetzungen
einer Freiheitsentziehung. Zusätzlich zu den Voraussetzungen einer Freiheitsbeschränkung, ist
eine richterliche Entscheidung und bei Fortdauer der Freiheitsentziehung, die Benachrichtigung
eines Angehörigen oder einer sonstigen Vertrauensperson erforderlich.244
6.1.2. Art 104 dGG
Art. 104 dGG sichert die in Art. 2 Abs 2 S 2 dGG postulierte materiell geschützte Freiheit
durch verfahrensrechtliche Regelungen ab. MaW: Art 104 dGG formuliert die verfassungsrecht-
lich gebotenen verfahrensrechtlichen Anforderungen eines Eingriffs in die körperliche Bewe-
gungsfreiheit. Der persönliche Schutzbereich des Art 104 dGG umfasst ebenso wie
Art 2 Abs 2 dGG alle natürlichen Personen. Die Anforderungen zur Vornahme einer Freiheits-
beschränkung sind je nach Art des Eingriffs unterschiedlich konzipiert. Für Freiheitsbeschrän-
kungen und Freiheitsentziehungen wurde in Art 104 Abs 1 dGG ein Gesetzesvorbehalt festge-
schrieben. Die Vorgaben des Abs 1 sind unabhängig davon einzuhalten, ob es sich um eine Frei-
heitsbeschränkung oder eine Freiheitsentziehung handelt. Wie lange ein Eingriff in die körperli-
che Bewegungsfreiheit dauern muss, um als Freiheitsentziehung zu gelten, kann nicht einheitlich,
sondern nur einzelfallbezogen unter Heranziehung der Art und des Umfangs des Eingriffs beant-
wortet werden.245
242 Lang in Eppinger/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz14 Art 2 Rz 84a. 243 Lang in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 2 Rz 87 ff. 244 Lang in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 2 Rz 88 ff. 245 Mehde in Maunz/Dürig, GG Art 104 Rz 1-3.
42
Art 104 dGG regelt nicht nur die verfahrensrechtlichen Anforderungen zur Ausübung
öffentlicher Gewalt, sondern gilt im Rahmen der Drittwirkung auch für Privatpersonen, sofern
diesen die Befugnis zur Vornahme von Freiheitsentziehungen eingeräumt ist. Daraus folgt, dass
der Betreuer oder der Vormund eine richterliche Anordnung einholen muss, bevor eine freiheits-
entziehende Maßnahme vorgenommen werden kann.246
Jeder freiheitsbeschränkenden Maßnahme hat ein förmliches (Bundes- oder Landes-) Ge-
setz zu Grunde zu liegen. Gewohnheitsrecht oder Behördenempfehlungen können keine ausrei-
chende Eingriffsgrundlage bilden.247 Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Eingriffs muss
vom Gesetzgeber hinreichend und unmittelbar bestimmt sein, damit sie den Ansprüchen des Ge-
setzesvorbehalts genügt. Ein derartiges förmliches Gesetz als Grundlage eines Freiheitsentzugs
kann in §§ 28 ff IfSG248 und im § 1906 BGB erblickt werden. Jede Nichtbeachtung der im er-
mächtigenden Gesetz vorgesehenen Form hat einen Verstoß gegen Art 104 dGG zur Folge.249
Aus Art 104 dGG ergibt sich nicht nur die Einhaltung der einfachgesetzlichen Verfah-
rensvorschriften, sondern auch die Notwendigkeit lediglich verhältnismäßige Eingriffe in die
körperliche Bewegungsfreiheit zuzulassen.250 Die Abs 2 - 4 GG enthalten spezielle Garantien,
die ausschließlich auf Freiheitsentziehungen Anwendung finden. Geht der Eingriff über die In-
tensität des Abs 1 hinaus, besteht für die Anordnung der Freiheitsentziehung ein Richtervorbe-
halt.251 Der Richtervorbehalt des Art 104 Abs 2 Satz 1 dGG dient der Verstärkung des Grund-
rechtsschutzes.252 Eine von einer Exekutivbehörde vollzogene Freiheitsentziehung bedarf daher
der unverzüglichen nachträglichen Überprüfung durch einen in sachlicher und persönlicher Hin-
sicht unabhängigen Richter. Auf die richterliche Anordnung kann die betroffene Person nicht
verzichten, selbst wenn sie wollte.253 Die richterliche Anordnung stellt eine eigenständige Sach-
entscheidung dar, zumal der Richter die volle Verantwortung für die freiheitsentziehende Maß-
nahme übernimmt. Die eigenständige Aufklärung und Feststellung der entscheidungsrelevanten
Tatsachen sind notwendige Voraussetzungen für die richterliche Sachentscheidung.254 Zur Wahr-
nehmung der Aufklärungspflicht und der Feststellungspflicht hat das Gericht eine mündliche
Anhörung der betroffenen Person anzuberaumen. Die Unterlassung der Anhörung verstößt nicht
246 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 5. 247 Mehde in Maunz/Dürig, Art 104 GG Rz 41-43. 248 Infektionsschutzgesetz BGBl I 2000/1045. 249 Mehde in Maunz/Dürig, Art 104 GG Rz 52. 250 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 8. 251 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 9. 252 Mehde in Maunz/Dürig, Art 104 GG Rz 72. 253 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 10 f. 254 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 12 f.
43
nur gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör gem
Art 103 dGG, sondern auch gegen Art 104 dGG. Die mündliche Anhörung soll nicht nur der
Wahrung des rechtlichen Gehörs gem Art 103 GG dienen, sondern auch dem Richter die Mög-
lichkeit geben, sich einen Eindruck von der betroffenen Person zu verschaffen. Der Richter hat
sich selbst dann einen Eindruck zu verschaffen, wenn die betroffene Person zur Kommunikation
unfähig ist.255
Aus Art 104 Abs 4 dGG ergibt sich die Benachrichtigungspflicht des Richters gegenüber
den Angehörigen und der Vertrauensperson. Die von der Freiheitsentziehung betroffene Person
hat ein subjektives Recht auf Beachtung dieser Pflicht.256 Sie hat amtswegig und unverzüglich
zu erfolgen.257 Unterlässt der Richter die Benachrichtigung der Angehörigen oder der Vertrau-
ensperson, führt dies nicht per se zur Unzulässigkeit der Freiheitsentziehung.258
Für jene Fälle, in denen keine richterliche Anordnung vorliegt, können Exekutivorgane
Freiheitsentziehungen lediglich dann vornehmen, „wenn der mit der Freiheitsentziehung ver-
folgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die
richterliche Genehmigung vorausgehen müsste.“259 Die Exekutive hat ebenso wie der Richter
auf Grundlage und im Rahmen eines förmlichen Gesetzes zu agieren.260
255 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 14. 256 Mehde in Maunz/Dürig, Art 104 GG Rz 167. 257 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 17 ff. 258 Mehde in Maunz/Dürig, Art 104 GG Rz 175. 259 Mehde in Maunz/Dürig, Art 104 GG Rz 76. 260 Radtke in Eppinger/Hillgruber, BeckOK GG14 Art 104 Rz 21.
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6.2. Das Infektionsschutzgesetz – IfSG
Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten261 dient der Vor-
beugung, der frühzeitigen Erkennung und der Verhinderung der Weiterverbreitung von anste-
ckenden Krankheiten unter Menschen.262
6.2.1. Definition, Meldepflicht und Zuständigkeit
Kranke, krankheitsverdächtige und ansteckungsverdächtige Personen, sowie Ausscheider
sind in § 2 Nr. 4 - 7 IfSG legal definiert.263 COVID-19 ist eine meldepflichtige Krankheit264, die
bei einer Erkrankung, eines Krankheitsverdachts oder beim krankheitsbedingten Tod eines Men-
schen unverzüglich an das Gesundheitsamt zu melden ist. Zuständig ist das Gesundheitsamt, in
dessen Sprengel sich die betroffene Person zuletzt aufgehalten hat, oder das Gesundheitsamt in
dessen Sprengel sich die Pflegeeinrichtung befindet.265 Zur Meldung verpflichtete Personen sind
der Arzt und Angehörige sonstiger Heilberufe, aber auch die Leiter von bestimmten Gemein-
schaftseinrichtungen unter die Pflegeeinrichtungen zu subsumieren sind.266
Das zuständige Gesundheitsamt hat im Fall der Feststellung einer Krankheit, eines Krank-
heitsverdachts, eines Ansteckungsverdachts oder eines Ausscheiders notwendige Schutzmaß-
nahmen zu erlassen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich
ist. Hierbei hat die Behörde jene in §§28a – 31 IfSG genannten Maßnahmen anzuordnen, die
geeignet und erforderlich sind die Verbreitung der Krankheit zu verhindern. Die Behörde hat
keine Wahl, ob sie Schutzmaßnahmen erlässt oder nicht. Vielmehr muss sie Schutzmaßnahmen
erlassen, wenn sie geeignet und erforderlich sind. Die Behörde hat aber dort eine Wahlmöglich-
keit, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen.267
Wird eine Absonderung der betroffenen Person nötig, hat die Behörde die Entscheidungs-
kompetenz, ob sie die Absonderungsanordnung auf § 28 Abs 1 IfSG oder § 30 Abs 1 IfSG
stützt.268
261 Infektionsschutzgesetz dBGBl I 2000/1045. 262 Lutz in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze IfSG § 1 Rz 1, 2. 263 Krank: Person an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist; Krankheitsverdächtig: das Vorliegen der Krank-
heit wird vermutet, weil Krankheitssymptome auftreten; Ausscheider: Person stellt durch die Ausscheidung des
Krankheitserregers eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit dar, ohne krank oder krankheitsverdächtig
zu sein; Ansteckungsverdächtig: Aufnahme des Krankheitserregers kann angenommen werden, ohne dass Person
krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider ist. 264 § 6 Abs 1 lit. t IfSG dBGBl I 2000/1045 idF dBGBl I 2020/1018. 265 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 9 Rz 4, 5. 266 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 8 Rz 1. 267 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 28 Rz 1. 268 OVG Schleswig-Holstein am 7.4.2020, 3 MB 13/20 Rz 10; aA OVG Lüneburg vom 11.5.2020, 13 MN 143/20
Rz 33.
45
6.2.2. Absonderung, Absonderungsort und richterliche Zustimmung
Die auf § 32 IfSG gestützten Landesregelungen zur Eindämmung von COVID-19, sind
entweder Allgemeinverfügungen oder Verordnungen. Allgemeinverfügungen haben sich an ei-
nen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis zu richten. Sie kann jedoch derartig allgemein
gehalten sein, dass sie jede sich im Landesgebiet aufhältige Person trifft.269 Wesentlich für die
Rechtmäßigkeit eines derartigen Rechtsakt ist die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsat-
zes. Die Maßnahme muss zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 geeignet und erfor-
derlich sein.270 Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts oder des Bundesgesundheitsministe-
rium zur Quarantäne zu Hause nach Rückkehr aus einem Risikogebiet stellen keine bindende
Anordnung dar.271
Die besonderen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19
sind eigens in § 28a IfSG geregelt. In Bezug auf Pflegeeinrichtungen sticht jene Regelung heraus,
nach der die Untersagung oder Beschränkung des Besuchs von derartigen Einrichtungen nicht
zur vollständigen Isolation einzelner Personen oder Personengruppen führen dürfen. Den Be-
wohnern ist ein Mindestmaß an sozialen Kontakten zu ermöglichen.272
Die Absonderung kranker, krankheitsverdächtiger oder ansteckungsverdächtiger Perso-
nen, sowie Ausscheidern kann entweder in einer geeigneten Krankenanstalt oder „in sonstiger
geeigneter Weise“ (= Quarantäne zu Hause) erfolgen. Die Absonderung zu Hause greift zwar in
das Grundrecht auf persönliche Freiheit nach Art 2 Abs 2 Satz 2 dGG ein, stellt aber „nur“ eine
Freiheitsbeschränkung dar. Kommt eine Person der Absonderungsanordnung gar nicht oder nur
unzureichend nach, kann sie zwangsweise in einer abgeschlossenen Krankenanstalt oder einer
sonstigen geeigneten Einrichtung isoliert werden. Die zwangsweise Absonderung in einem Kran-
kenhaus ist eine Freiheitsentziehung, bei der ein Richter den verfassungsrechtlichen Vorgaben
entsprechend, eine Genehmigung auszusprechen hat. Der Absonderung in einer sonstigen geeig-
neten Einrichtung273 geht im Vergleich zur zwangsweisen Absonderung in einer Krankenanstalt
keine richterliche Genehmigung voraus.274
§ 30 Abs 2 S 4 IfSG verweist hinsichtlich der Zuständigkeit der richterlichen Absonde-
rungsgenehmigung auf das siebte Buch des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen.
269 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 28 Rz 9. 270 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 32 Rz 1-6. 271 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 28 Rz 3. 272 § 28a Abs 2 IfSG idF dBGBl I 2020/2397. 273 Gemeint ist die Quarantäne zu Hause. 274 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 30 Rz 2.
46
Sachlich zuständig ist aufgrund dieses Verweises das Amtsgericht in deren Sprengel der Frei-
heitsentzug vorgenommen werden soll.275 Damit den zu pflegenden Personen kein unwieder-
bringlicher Nachteil entsteht, wurde ein Ausnahmetatbestand formuliert, der den Pflegekräften
jederzeit Zutritt zur abgesonderten Person gewährt.276
Bei Nichtbeachtung der angeordneten Absonderungsmaßnahmen verwirklicht die be-
troffene Person eine Ordnungswidrigkeit und ist mit bis zu EUR 25.000,- zu bestrafen.277 Kann
diese Person aber aufgrund ihres geistigen Zustands das Unrecht der Tat nicht einsehen, ist ihr
die Handlung nicht vorwerfbar. Sie bleibt straffrei.278
6.3. Zivilrechtliche Unterbringung - BGB
Neben der infektionsschutzrechtlichen Absonderung besteht die Möglichkeit, krankheits-
bedingte Freiheitsbeschränkungen nach den Regeln der zivilrechtlichen Unterbringung vorzu-
nehmen.
6.3.1. Die Betreuerbestellung nach § 1896 BGB
Das Vorhandensein eines Betreuers ist notwendige Voraussetzung, um einer Person gem
§ 1906 Abs 4 BGB die Freiheit entziehen zu können. § 1896 BGB stellt in der deutschen Rechts-
ordnung die Fundamentalnorm des Betreuungsrechts dar und regelt die Voraussetzungen, nach
denen ein Betreuer für eine volljährige Person gerichtlich bestellt werden kann.279 Die zu betreu-
ende Person muss an einer psychischen Krankheit leiden, die durch ein zeitnah und sorgfältig
erstelltes Sachverständigengutachten bestätigt wird.280
Der betroffenen Person ist es wegen der psychischen Krankheit unmöglich, ihre eigenen
rechtlich relevanten Angelegenheiten selbst zu besorgen. Die rechtlich relevanten Angelegenhei-
ten erfassen nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch geschäftsähnliche Handlungen und Re-
alakte.281 Gegen den freien Willen der zu betreuenden Person ist die Bestellung eines Betreuers
unzulässig. Fraglich ist, ob die psychisch kranke Person überhaupt fähig ist, einen freien Willen
275 Lutz in Erbs/Kohlhaas, IfSG § 30 Rz 1 ff. 276 § 30 Abs 4 IfSG idF dBGBl I 2020/1018. 277 § 73 Abs 1a Nr 6 IfSG idF dBGBl I 2021/802. 278 § 12 OWiG dBGBl I 1987/602 idF dBGBl I 2021/2099. 279 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum BGB8 (2020) §1896 Rz 2. 280 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB8 § 1896 Rz 14; Spickhoff in Spickhoff (Hrsg),
Medizinrecht³ (2018) § 1896 Rz 5. 281 Jürgens in Jürgens, Betreuungsrecht6 (2019) BGB § 1896 Rz 9 f.
47
zu bilden. Der freie Wille ist von den zwei Elementen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ge-
prägt. Wer Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung erkennt und jene Aspekte, die für
und wider eine Betreuerbestellung sprechen, abwägen kann, ist einsichtsfähig.282 Steuerungsfä-
higkeit meint die Fähigkeit sich entsprechend der vorangegangenen Willensbildung zu verhal-
ten.283 Fehlt der betroffenen Person ein Element, so liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher
Wille vor. Das Gericht bestellt einen Betreuer von Amts wegen, wenn das Unvermögen der freien
Willensbildung durch ein Sachverständigengutachten festgestellt ist und eine Betreuerbestellung
erforderlich ist.284
Das Prinzip der Erforderlichkeit der Betreuerbestellung ist ein fundamentaler Eckpfeiler
des deutschen Betreuungsrechts. Vor allem bei der Vornahme freiheitsentziehender Maßnahmen
spielt der sich aus zwei Aspekten zusammensetzende Erforderlichkeitsgrundsatz eine wesentli-
che Rolle.285 Neben dem Unvermögen des Betroffenen, die eigenen Angelegenheiten zu besor-
gen (= subjektiver Betreuungsbedarf) muss sich zusätzlich aus der jeweiligen Lebenssituation
der betroffenen Person ein konkreter Bedarf für die Tätigkeit eines Betreuers ergeben
(= objektiver Betreungsbedarf).286 Der Betreuer ist nur für jene Aufgabenkreise zu bestellen, in
denen die zu betreuende Person auf die Hilfe des Betreuers konkret angewiesen ist. Aus diesem
Grund ist der Aufgabenkreis im Betreuerbestellungsbeschluss so konkret wie möglich zu formu-
lieren.287
6.3.2. Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1906 Abs 4 BGB
In § 1906 Abs 4 BGB werden unterbringungsähnliche Maßnahmen der Unterbringung
gem § 1906 Abs 1 BGB gleichgestellt. Daraus folgt, dass zur Durchführung freiheitsentziehender
Maßnahmen die in § 1906 Abs 1 – 3 BGB genannten Voraussetzungen einzuhalten sind. Der
Schutzbereich umfasst „die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur
Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit.288“ Es genügt, dass sich die betroffene Person
aufgrund der vorgenommenen Maßnahme nicht mehr körperlich bewegen könnte, wenn sie es
282 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB8 § 1896 Rz 30. 283 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB8 § 1896 Rz 31. 284 Jürgens in Jürgens, Betreuungsrecht6 § 1896 Rz 12 f. 285 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB8 § 1896 Rz 39. 286 Budzikiewicz in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch18 (2021) § 1896 – 1908a Rz 4. 287 Jürgens in Jürgens Betreuungsrecht6 BGB § 1896 Rz 23. 288 BGH vom 7.1.2015, XII ZB 395/14.
48
wollte. Eine unterbringungsähnliche Maßnahme liegt daher vor, wenn der Betroffene gegen sei-
nen Willen gehindert wird, seinen Aufenthaltsort zu verlassen.289 Willigt die einsichts- und ur-
teilsfähige Person in die freiheitsentziehende Unterbringung ein, liegt per definitionem keine
Freiheitsentziehung vor. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die betroffene Person während
des Freiheitsentzugs ihren Willen ändert. Wird die Einwilligung widerrufen, hat das weitere Fest-
halten eine rechtswidrige Freiheitsberaubung zur Folge.290
Die Anwendung des § 1906 Abs 4 BGB setzt voraus, dass ein Betreuer mit entsprechen-
dem Aufgabenkreis bestellt ist, oder eine Vollmacht iSd § 1906 Abs 5 BGB vorliegt. Im Einklang
mit den Regeln des § 1896 BGB ist der Aufgabenkreis des Betreuers ausdrücklich mit
„Aufenthaltsbestimmung“ zu umschreiben.291 Der Betreuer oder der Bevollmächtigte ist dieje-
nige Person, die die freiheitsentziehende Maßnahme anordnet und verantwortet. Hat die be-
troffene Person weder einen Betreuer noch eine Vollmacht erteilt, oder handelt es sich um Maß-
nahmen zum Schutze fremder Rechtsgüter (=Fremdgefährdung), muss auf das öffentlich-recht-
liche Unterbringungsverfahren nach den jeweiligen Landesgesetzen (PsychKG/PsychKHG) zu-
rückgegriffen werden.292
Die betroffene Person muss sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen
Einrichtung aufhalten. Unter Heim sind alle stationären Einrichtungen unabhängig davon, ob sie
offen oder geschlossen sind, zu verstehen. Eine sonstige Einrichtung kann auch die eigene Woh-
nung der pflegebedürftigen Person sein, sofern „der institutionelle Rahmen vergleichbar einer
Einrichtung gestaltet ist und die Wohnung selbst nur eine „Hülle“ ist.293“ Der institutionelle
Rahmen läge vor, wenn der Betroffene ausschließlich durch ambulante und professionelle Pfle-
gedienste versorgt wird. Im Falle der häuslichen Angehörigenpflege kann daher mangels profes-
sioneller Pflegeleistung nicht von einer „sonstigen Einrichtung“ gesprochen werden.294
Insbesondere mechanische Vorrichtungen und Medikamente sind jene Mittel, die zur
Verwirklichung der unterbringungsähnlichen Maßnahme tauglich sind. Darunter fallen vor allem
Bettgitter, Fixierungsgurte, die Aktivierung der Bremse von Fortbewegungsmitteln, die Weg-
nahme der Straßenkleidung und das Versperren der Zimmertüre. Ebenso fallen sedierende Me-
dikamente darunter, sofern sie primär dazu verwendet werden, um den Bewegungsdrang einer
pflegebedürftigen Person zu mindern. Keine genehmigungsbedürftige Freiheitsentziehung liegt
289 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB8 § 1906 BGB Rz 50. 290 Marschner in Jürgens, Betreuungsrecht6 BGB § 1906 Rz 6 f; Müller-Engels in Hau/Poseck, BeckOK59 BGB
§ 1906 Rz 8. 291 Müller-Engels in Hau/Poseck, BeckOK BGB59 § 1906 Rz 4. 292 Marschner in Jürgens, Betreuungsrecht6 BGB §1906 Rz 32. 293 LG München am 7.7.1999, 13 T 4301-99; aA AG Garmisch-Partenkirchen am 28.5.2019, A XVII 9/18. 294 BayObLG am 4.9.2002, 3Z BR 132/02.
49
vor, wenn sich die Verminderung des Bewegungsdrangs aus einer Nebenwirkung eines zu The-
rapiezwecken verabreichten Medikaments ergibt.295
Eine Freiheitsentziehung kommt erst in Frage, wenn sie über einen längeren Zeitraum
oder regelmäßig erfolgt. Je Eingriffsintensiver die Maßnahme ist, desto weniger Zeit muss ver-
strichen sein, damit „ein längerer Zeitraum“ vorliegt.296 Bei Fixierungen genügt nach Ansicht
des BVerfG bereits eine halbe Stunde um als Freiheitsentziehung zu gelten.297 Eine freiheitsent-
ziehende Maßnahme ist dann regelmäßig, wenn sie stets zur selben Uhrzeit oder aus wiederkeh-
rendem Anlass vorgenommen wird.298
Die Maßnahme muss zum Wohl des Betreuten erforderlich sein, weshalb ein Freiheits-
entzug nur aufgrund einer konkreten und erheblichen Gefahr der Gesundheit der betroffenen
Person möglich ist. Die Gesundheitsgefährdung muss sich aus der psychischen Krankheit oder
geistigen Behinderung ergeben. MaW: die psychische Krankheit oder geistige Behinderung ist
für die Gesundheitsgefährdung kausal. Ein Freiheitsentzug ist erst dann gerichtlich zu genehmi-
gen, wenn sämtliche zur Verfügung stehende Alternativen die konkrete, erhebliche Gesundheits-
gefahr nicht beseitigen können. Insbesondere personelle und organisatorische Defizite vermögen
einen Freiheitsentzug nicht zu rechtfertigen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sämt-
liche vorrangigen Möglichkeiten auszuschöpfen sind, bevor ein Freiheitsentzug als absolut letz-
tes Mittel in Frage kommt.299
Lebt eine an Alzheimer erkrankte Person in einem Gebiet mit hoher Durchseuchungsrate,
kann das Versperren der Haus- oder Zimmertüre das letzte geeignete Mittel sein, um sie von
einer drohenden und erheblichen Gesundheitsgefährdung zu bewahren. Personen, die an ver-
gleichbaren Krankheiten leiden, können sich wegen ihres Geisteszustands nicht an die allgemei-
nen Ausgangsbeschränkungen halten. Spaziert die betroffene Person aus Routine täglich in den
Supermarkt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie sich mit COVID-19 infiziert und aufgrund
ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen einen schweren Krankheitsverlauf zu erwarten hat.
Ohne gerichtliche Genehmigung darf kein Freiheitsentzug vorgenommen werden. Be-
steht Gefahr in Verzug kann der betroffenen Person auch ohne gerichtliche Genehmigung die
Freiheit entzogen werden, sofern die Genehmigung unverzüglich nachgeholt wird.300 Der Be-
treuer ist verpflichtet die unterbringungsähnliche Maßnahme sofort zu beenden, sobald eine der
295 Müller-Engels in Hau/Poseck, BeckOK BGB59 §1906 Rz 25. 296 Marschner in Jürgens, Betreuungsrecht6 BGB §1906 Rz 36. 297 BVerfG am 24.7.2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16. 298 Müller-Engels in Hau/Poseck, BeckOK BGB59 §1906 Rz 26. 299 Marschner in Jürgens, Betreuungsrecht6 BGB §1906 Rz 38 ff. 300 Müller-Engels in Hau/Poseck, BeckOK BGB59 § 1906 Rz 20.
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Voraussetzungen weggefallen sind. Dasselbe gilt für die Einrichtung und das Betreuungsge-
richt.301 Für das gerichtliche Genehmigungsverfahren sind §§ 312 ff FamFG anzuwenden.302 Ört-
lich und sachlich zuständig ist demnach jenes Betreuungsgericht, bei dem ein Betreuerbestel-
lungsverfahren oder das Betreuungsverfahren anhängig ist. Falls keiner der beiden Fälle zutrifft,
das Gericht, in dessen Sprengel der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.303 Das Ge-
richt hat die von der Maßnahme betroffene Person persönlich anzuhören, sich von ihr einen un-
mittelbaren Eindruck zu verschaffen und sie über den Verfahrensverlauf zu unterrichten. Die
Verschaffung des persönlichen Eindrucks dient nicht nur als Beweismittel zur Frage der Not-
wendigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme, sondern auch zur Wahrnehmung des rechtli-
chen Gehörs. Dem Betroffenen ist jedenfalls die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen.304
7. Gegenüberstellung der deutschen und österreichischen Rechtslage
Das Recht auf persönliche Freiheit ist sowohl in Österreich als auch in Deutschland ein
Grundrecht, das nur unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben beschnitten werden
kann. Die Rechtslage des österreichischen und deutschen Betreuungsrechts unterscheidet sich
bereits in den verfassungsrechtlichen Grundlagen gravierend. Während die österreichische Ver-
fassung ein zwingendes gerichtliches Überprüfungsverfahren für jede aufrechte und vergangene
Freiheitsbeschränkung vorsieht, ist in Deutschland eine Freiheitsentziehung nur nach vorange-
hender gerichtlicher Bewilligung möglich. Die deutsche Rechtsordnung fokussiert sich auf eine
ex-ante Prüfung, während in Österreich der Schwerpunkt auf einer ex-post-Überprüfung liegt.
Der auf einfachgesetzlicher Ebene zu vorderst ins Auge springende Unterschied, ist die
Terminologie: In Deutschland wird zwischen einer Freiheitsentziehung und einer Freiheitsbe-
schränkung unterschieden, während in Österreich sämtliche staatliche angeordnete Bewegungs-
beschränkungen vom Begriff der Freiheitsbeschränkung umfasst werden. Der Unterschied ist
deshalb von Bedeutung, weil nur eine Freiheitsentziehung die im dGG vorgegebene richterliche
Genehmigung auslöst. Zur leichteren Verständlichkeit wird in den nachfolgenden Absätzen der
in Deutschland verwendete Begriff Freiheitsentziehung synonym für die österreichische Frei-
heitsbeschränkung verwendet. Auf Freiheitsbeschränkungen iSd deutschen Terminologie und
auf Freiheitsentziehungen nach dem österreichischen Strafrecht ist mangels Relevanz nicht näher
einzugehen.
301 Müller-Engels in Hau/Poseck, BeckOK BGB59 § 1906 Rz 23. 302 Marschner in Jürgens, Betreuungsrecht6 BGB §1906 Rz 42 f. 303 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB8 §1906 Rz 66. 304 Schneider in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB8 § 1906 Rz 77 ff.
51
7.1. IfSG und EpiG
Die Ähnlichkeit der seuchenrechtlichen Regelungen, die im deutschen IfSG und im ös-
terreichischen EpiG zum Ausdruck gebracht werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Ver-
hinderung der Verbreitung von meldepflichtigen und ansteckenden Infektionskrankheiten als der
erklärte Schutzzweck, ist beiden Gesetzen ident. COVID-19 stellt in beiden Rechtsordnungen
eine meldepflichtige Krankheit dar, die der örtlich zuständigen Gesundheitsbehörde zu melden
ist.
Als Taugliches Mittel zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 dient die in
§§ 28 ff IfSG und in § 7 Abs 1a EpiG postulierte Absonderung der kranken, krankheitsverdäch-
tigen oder ansteckungsverdächtigen Person. Da das Zutrittsverbot zur isolierten Person ein im-
manenter Bestandteil der Absonderung ist, wurde für Pflegekräfte in beiden Rechtsnormen ein
Ausnahmetatbestand formuliert. Die Gefahr eines unwiederbringlichen Schadens durch man-
gelnde Pflege wird dadurch hintangehalten.
In Deutschland erfolgt die Absonderung zunächst im Wege einer Allgemeinverfügung
oder einer Rechtsverordnung des jeweiligen Bundeslandes. Hält sich die betroffene Person nicht
an die Rechtsverordnung oder Allgemeinverfügung, ist sie zwangsweise in ein Krankenhaus oder
in einer sonstigen geeigneten Einrichtung (= Quarantäne zu Hause) abzusondern. Die zwangs-
weise Absonderung ist im deutschen Recht aber nur dann ein gerichtlich zu genehmigender Frei-
heitsentzug, wenn die abzusondernde Person in einer Krankenanstalt zu isolieren ist. Die Qua-
rantäne zu Hause als bloße Freiheitsbeschränkung unterliegt keiner richterlichen Genehmigung
und kann nicht auf ihre Zulässigkeit überprüft werden.
In Österreich gründet sich die Absonderung ausschließlich auf den von der Gesundheits-
behörde erlassenen Bescheid. Auch nach der österreichischen Rechtslage ist die abgesonderte
Person bei Nichtbeachtung des Absonderungsbescheids zwangsweise in eine Krankenanstalt zu
verbringen. Einen Richtervorbehalt nach dem Vorbild des Art 104 Abs 2 Satz 2 dGG gibt es in
der hiesigen Rechtsordnung nicht. Obwohl die Umstände die gleichen sind, wird die Absonde-
rung zu Hause nach dem EpiG im Unterschied zur Absonderung zu Hause nach dem IfSG als
Freiheitsentziehung angesehen. In beiden Fällen halten sich die betroffenen Personen so lange
innerhalb eines abgeschlossenen Raumes auf, bis die Ansteckungsgefahr nicht mehr gegeben ist.
Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des PersFrG, muss jeder aufrechte oder
vergangene Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit binnen einer Woche in einem gericht-
lichen Verfahren auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden können.
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Zur Vollziehung des EpiG sind die Gesundheitsbehörden zuständig, denen ausschließlich
die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterstützend zur Seite stehen. Die Zuständigkeit
der Vollziehung des IfSG hängt von der jeweiligen Landesregelungen ab. Die einzelnen Länder
haben durch Verordnung die vollziehenden Behörden zu bestimmen.
7.2. 1906 Abs 4 BGB und HeimAufG
Beide Gesetze regeln die Voraussetzungen der Vornahme freiheitsentziehender Maßnah-
men an psychisch kranken oder geistig behinderten Volljährigen in Pflegeeinrichtungen. Sowohl
in Österreich als auch in Deutschland knüpft der Anwendungsbereich am Einrichtungsbegriff an.
Nur den psychisch kranken und geistig behinderten Personen, die sich in einem Krankenhaus
oder einem Heim aufhalten, kann zum Schutz vor sich selbst (=Selbstgefährdung) ihre Freiheit
entzogen werden. Nach der Regelung des HeimAufG kann eine Freiheitsentziehung auch dann
erfolgen, wenn die betroffene Person eine Dritte Person in ihrer Gesundheit gefährdet (=Fremd-
gefährdung). Der Anwendungsbereich des HeimAufG ist durch den zusätzlichen Anwendungs-
fall der Fremdgefährdung daher „weiter“ als der des § 1906 Abs 4. Ein Freiheitsentzug aufgrund
einer durch psychische Krankheit oder geistige Behinderung bedingten Fremdgefährdung, kann
in der deutschen Rechtsordnung ausschließlich auf den von den einzelnen Bundesländern zu er-
lassenden Regelungen (PsychKG) beruhen.
Der in § 1906 Abs 4 BGB vorliegende Zusatz „oder in einer sonstigen Einrichtung“ zielt
auf die Pflege in den eigenen vier Wänden ab. Ist der mit einer Pflegeinrichtung vergleichbare
institutionelle Rahmen gegeben, kann eine zu Hause gepflegte Person zum Schutz vor einer An-
steckung mit COVID-19 gem § 1906 Abs 4 BGB zB durch das Versperren der Wohnungstüre in
ihrer Freiheit beschränkt werden. Der institutionelle Rahmen ist im Bereich der Angehörigen-
pflege mangels Professionalität der Pflegeleistung nicht gegeben. Eine derartige Regelung
könnte man in die österreichische Rechtsordnung implementieren. Die Verhinderung von einer
erheblichen und ernstlichen Selbst- oder Fremdgefährdung, die mit einer psychischen Krankheit
oder geistigen Behinderung in einem Kausalzusammenhang stehen, erfährt im Bereich der häus-
lichen Pflege in Österreich bis dato keiner Regelung.
Die Mittel zur Vornahme eines Freiheitsentzugs ist beiden Rechtsgrundlagen ident: Bett-
gitter, versperrte Türen, Fixiergurte fallen ebenso unter den Begriff der Freiheitsentziehung wie
die Verabreichung sedierender Medikamente zum Zwecke der Verminderung des Bewegungs-
drangs.
53
Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen besteht bezüglich der An-
ordnungsbefugnis der Freiheitsentziehung: Während nach dem HeimAufG je nach Art der vor-
zunehmenden Freiheitsentziehung zwischen dem Arzt und dem gehobenen Pflegepersonal un-
terschieden wird, hat in Deutschland stets der Betreuer oder die von der zu pflegenden Person
bevollmächtigte Person (auf Anraten des Pflegepersonals) eine Freiheitsentziehung gerichtlich
zu beantragen. Willigt die betroffene Person frei von Willensmängeln in die Freiheitsentziehung
ein, schließt die Einwilligung eine Freiheitsentziehung nach beiden Rechtsordnungen aus.
Im Hinblick auf das gerichtliche Verfahren sind folgende Unterschiede hervorzuheben:
Die österreichische Verfassung gibt vor, dass jede Freiheitsentziehung nachträglich von einem
Gericht auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen ist. Im HeimAufG wurde dem insofern Rechnung
getragen, als das BG auf Antrag der Bewohnervertretung innerhalb einer Woche zu entscheiden
hat. Im Falle der Unzulässigkeit ist die Freiheitsentziehung unverzüglich aufzuheben. Es besteht
in der österreichischen Rechtsordnung somit ein nachträgliches gerichtliches Überprüfungsver-
fahren der aufrechten oder vergangenen Freiheitsentziehung. Nach § 1906 BGB hat das Gericht
die vom Betreuer oder Bevollmächtigten beantragte Freiheitsentziehung auf ihre Zulässigkeit zu
prüfen und ggf zu genehmigen. Die deutsche Rechtsordnung verzichtet auf die nachträgliche
gerichtliche Überprüfbarkeit einer Freiheitsentziehung. Das ist aber nur deshalb möglich, weil
im Einklang mit dem deutschen GG jede Freiheitsentziehung eine Genehmigung durch einen
Richter benötigt und daher ohnehin eine gerichtliche Kontrolle besteht. Ohne richterliche Ge-
nehmigung ist ein Freiheitsentzug nach § 1906 Abs 4 BGB stets unzulässig und wird als straf-
rechtlich relevante Freiheitsberaubung eingestuft.
Zum Zwecke der Verschaffung eines Eindrucks von der betroffenen Person, ist zur Wah-
rung des rechtlichen Gehörs sowohl von den deutschen als auch von den österreichischen Ge-
richten zwingend eine mündliche Anhörung vorzunehmen. In beiden Staaten gab es Fälle, in
denen auf eine mündliche Anhörung mit der Begründung einer bestehenden Gesundheitsgefähr-
dung der Beteiligten, in rechtswidriger Weise verzichtet wurde.
54
8. Fazit, persönliche Bewertung und Ausblick
Die COVID-19-Pandemie hat die rechtlichen Defizite der österreichischen Rechtslage im
Umgang mit ansteckenden Krankheiten zum Vorschein gebracht. Das HeimAufG hat sich ins-
gesamt als krisensicher erwiesen, während beim EpiG in der derzeitigen Form aus rechtsstaatli-
cher Sicht Reformbedarf besteht.
Zusammengefasst sind die drei Problemfelder des EpiG in der aktuellen Fassung der Um-
gang mit psychisch kranken Personen, die ausschließliche Durchsetzungskompetenz des öffent-
lichen Sicherheitsdienstes und das gerichtliche Überprüfungsverfahren:
Für jene Personen die zu Hause gepflegt werden und sich aufgrund ihres geistigen Gesundheits-
zustands nicht an die sanitätsrechtlichen Maßnahmen halten können, sind die Regelungen des
EpiG zahnlos. Sie sind mangels Schuldfähigkeit nicht zu bestrafen. Vielmehr sind sie nach gel-
tender Rechtslage für die Dauer der Ansteckungsgefahr in einem Krankenhaus zu isolieren. Die
fremde Krankenhausumgebung, gepaart mit der Einschränkung der Bewegungsfreiheit führt bei
den betroffenen Personen aber oftmals zu Unruhe und Aggressivität. Der Verbleib zu Hause un-
ter Beobachtung einer Hauskrankenpflege wäre jedenfalls ein gelinderes Mittel als der zwangs-
weise Transport in eine Krankenanstalt. Daneben ist gerade in Zeiten einer Pandemie das Kran-
kenhaus der Ort, in dem die vorhanden personellen und räumlichen Ressourcen klug zu nutzen
sind. Ob ein Krankenhaus heutzutage der richtige Ort ist, um abgesonderte Personen trotz mil-
dem Krankheitheitsverlauf zu überwachen, ist zu hinterfragen.
Innerhalb stationärer Einrichtungen haben die Pflegekräfte keinerlei Kompetenz, um seu-
chenrechtliche Absonderungsmaßnahmen gegenüber geistig gesunden Bewohnern durchzuset-
zen. Die Pflegekräfte haben eine Gesundheitsgefährdung der Einrichtungsangehörigen durch ei-
nen infizierten aber geistig gesunden Bewohner zu verhindern. Ist die Isolation das geeignete
Mittel, können sich die Pflegekräfte ausschließlich auf strafrechtliche Rechtfertigungs- und Ent-
schuldigungsgründe stützen.
Nachdem der VfGH entscheidende Passagen des gerichtlichen Überprüfungsverfahrens
verworfen hat, hat der Gesetzgeber diesbezüglich nun grundrechtskonforme Verfahrensregelun-
gen auszugestalten. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber die Kritik aus Lehre und Rsp
zu Herzen nimmt und ein dem österreichischen Rechtsstaat würdiges Verfahren in das EpiG im-
plementiert.
Das Recht auf persönliche Freiheit ist ein wertvolles Rechtsgut, das durch das Auftreten
der COVID-19-Pandemie nicht nur geringfügig strapaziert wurde. COVID-19 bedingte Frei-
55
heitsbeschränkungen waren zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit und zur Vermei-
dung von schweren bis letalen Krankheitsverläufen bei den besonders vulnerablen pflegebedürf-
tigen Personen zumindest eine Zeit lang notwendig und angemessen. Ab dem Zeitpunkt der Voll-
immunisierung der pflegebedürftigen Personen ändert sich die Ausgangssituation aber dahinge-
hend, dass die vom BGB und HeimAufG verlangte erhebliche und ernstliche Selbstgefährdung
nur mehr in Ausnahmefällen gegeben ist. Die infizierte Person hat im Regelfall keinen schweren
Krankheitsverlauf zu erwarten, kann aber weiterhin eine Fremdgefährdung für ungeimpften Per-
sonen sein.
Den Angehörigen der Hauskrankenpflege sind mE nach, rechtliche Möglichkeiten einzu-
räumen, um Fremdgefährdungen durch Freiheitsbeschränkungen hintanzuhalten. Konkret sollte
ein Passus in das EpiG aufgenommen werden, der die häuslichen Pflegekräfte im Rahmen einer
Beleihung zur Umsetzung der epidemiegesetzlichen Absonderung verpflichtet. Es erscheint un-
tragbar, dass die Pflegepersonen bei der Unterstützung der Umsetzung des Absonderungsbe-
scheids nach geltender Rechtslage Gefahr laufen, strafrechtlich verfolgt zu werden.
Die im Großteil der Bevölkerung nach wie vor vorherrschende negative Konnotation der
Personenbetreuung in Alten- und Pflegeheimen erscheint nach Analyse des Zusammenspiels
zwischen HeimAufG und COVID-19 als unberechtigt. Das Regelungsregime des HeimAufG
stellt klare Handlungsanweisungen für die Vornahme freiheitsbeschränkender Maßnahmen zur
Verfügung, die sich in Zeiten der COVID-19 Pandemie bewährt haben. Die klare Zuständigkeits-
verteilung der Anordnung und Durchführung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, sowie
das zwingend vorzunehmende zeitnahe gerichtliche Überprüfungsverfahren tragen zur Rechtssi-
cherheit bei. Stationäre Einrichtungen hätten jedenfalls ausreichend Handhabe, um die Sicherheit
ihrer psychisch erkrankten Bewohner zu gewährleisten.
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