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Blick in die Gemeinde 1 Reise nach Israel und Palästina Bewegende Eindrücke im so un- heilschwangeren Heiligen Land Die diesjährige PAGE-Reise der Evan- gelischen Kirchengemeinde Balingen stand nicht nur unter religionsge- schichtlichen Vorzeichen. Die be- währte PAGE-Reisemanagerin, Ursel Schmidt-Dannert, konnte nämlich die Israelkenner Lisbeth und Karl Her- mann Blickle für die Teilnahme gewin- nen. Deren langjährige Beziehungen zu friedensfördernden, nichtstaatli- chen Einrichtungen in Israel und Pa- lästina ermöglichte den Teilnehmern viele persönliche Begegnungen, ohne die die Reise wie ein Fass ohne Boden geblieben wäre. Nachdem unser Bus noch ein paar ver- sprengte Jungpilger am Stuttgarter Flugplatzgelände aufgepickt hatte, in einer Abstellkammer des Münchener Flughafens die Wartezeit durch ge- mischtes Doppel im Tischfußball ver- kürzt wurde, war man dann endlich kurz vor Mitternacht in der Luft bei ko- scherem Nachtmahl und wenig Schlaf. Der Empfang in Jerusalem war sehr warm, wettermäßig und auch bezüg- lich unseres blitzgescheiten Reisefüh- rers Nidal, der uns in den nächsten Ta- gen mit überragenden Hintergrund- wissen biblische und andere Schau- plätze quer durch das Land nahe brachte. Zwei Stunden Rekreations- zeit im RIZ genügten, und schon ging es auf zum geschichtsträchtigen Öl- berg, der uns schon einmal einen er- sten Überblick über die Heilige Stadt verschaffte. Grandios der Blick über den Tempel- berg auf die historische Altstadt von Je- rusalem, zu Füßen der größte jüdische Friedhof des Landes, an den Hängen die letzten Zeugen des legendären bi- blischen Olivenhains, sattgrüne Man- delbäume, in allen Farben blühende Akazien am Straßenrand, als Haus- schmuck knallrot strahlende Bougain- villea-Arten und natürlich der legen- däre multifunktionale Johannisbrot- baum. Irritierend allerdings die wie Fremd- körper im sonst rein palästinensi- auf dem Tempelberg

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Blick in die Gemeinde 1

Reise nach Israel und PalästinaBewegende Eindrücke im so un-heilschwangeren Heiligen Land

Die diesjährige PAGE-Reise der Evan-gelischen Kirchengemeinde Balingen stand nicht nur unter religionsge-schichtlichen Vorzeichen. Die be-währte PAGE-Reisemanagerin, Ursel Schmidt-Dannert, konnte nämlich die Israelkenner Lisbeth und Karl Her-mann Blickle für die Teilnahme gewin-nen. Deren langjährige Beziehungen zu friedensfördernden, nichtstaatli-chen Einrichtungen in Israel und Pa-lästina ermöglichte den Teilnehmern viele persönliche Begegnungen, ohne die die Reise wie ein Fass ohne Boden geblieben wäre.

Nachdem unser Bus noch ein paar ver-sprengte Jungpilger am Stuttgarter Flugplatzgelände aufgepickt hatte, in einer Abstellkammer des Münchener Flughafens die Wartezeit durch ge-mischtes Doppel im Tischfußball ver-kürzt wurde, war man dann endlich kurz vor Mitternacht in der Luft bei ko-scherem Nachtmahl und wenig Schlaf.

Der Empfang in Jerusalem war sehr warm, wettermäßig und auch bezüg-lich unseres blitzgescheiten Reisefüh-rers Nidal, der uns in den nächsten Ta-gen mit überragenden Hintergrund-wissen biblische und andere Schau-plätze quer durch das Land nahe brachte. Zwei Stunden Rekreations-zeit im RIZ genügten, und schon ging es auf zum geschichtsträchtigen Öl-berg, der uns schon einmal einen er-sten Überblick über die Heilige Stadt verschaffte.

Grandios der Blick über den Tempel-berg auf die historische Altstadt von Je-rusalem, zu Füßen der größte jüdische Friedhof des Landes, an den Hängen die letzten Zeugen des legendären bi-blischen Olivenhains, sattgrüne Man-delbäume, in allen Farben blühende Akazien am Straßenrand, als Haus-schmuck knallrot strahlende Bougain-villea-Arten und natürlich der legen-däre multifunktionale Johannisbrot-baum.

Irritierend allerdings die wie Fremd-körper im sonst rein palästinensi-

auf dem Tempelberg

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Blick in die Gemeinde2

schen Ost-Jerusalem eingenisteten jü-dischen Wohnbunker – stacheldraht-bewehrt und gesichert als wäre man in Stammheim. Geballte Bibelgeschichte dann beim Schlendern durch die sich am Hang entlang ziehenden Straßen: die inter-religiöse Kapelle und Moschee der Him-melfahrt Jesu (einschließlich „Origi-nal“-Fußabdruck) am höchsten Punkt des Ölbergs; das schon von der Kreuz-fahrern als letzte Ruhestätte dekla-rierte Mariengrab und nicht zuletzt der ziemlich authentische Garten Gethse-mane. Eine Oase der Ruhe und des Friedens. Die Narben der bis zu 1000 Jahren al-ten, von Wind und Wetter gekrümm-

ten Ölbäume, legen bildhaft Zeugnis ab von dem wundgeplagten Leben in dieser Gegend bis zum heutigen Tag. Aber schon bannt sich der Blick auf das farbenfrohe Giebelmosaik der weithin sichtbaren Frontseite der Kirche der Nationen - Jesus Christus als Mittler zwischen Mensch und Gott. Unsere Fremdsprachenkenntnisse konnten

wir uns in der Pater Noster Kirche auf-frischen: auf Majolikaplatten ist als Klosterwandschmuck das Vaterunser in 140 Sprachen verewigt – ein-schließlich plattdeutsch und in Blin-denschrift. Nicht alle Osttore in die Altstadt Jeru-salems sind momentan geöffnet: das Goldene Tor wurde bereits vor über 400 Jahren trotzig von Muslimen zuge-mauert, denn jüdische Gläubige ge-hen davon aus, das durch dieses Tor der Messias das Tempelplateau betre-ten wird. Bleibt für uns Gegenwärtige das Löwentor, durch das auch die Is-raelis im Sechstagekrieg 1967 in die Altstadt drangen.

Bei gefühlten 50 Grad Celsius im Schatten erobert nun bei steilem An-stieg die Balinger Crew erwartungsvoll die heilige Stadt. Auf dem Programm (und dem von Scharen betender und singender Nonnen, Ordensbrüdern und Pilgern aus aller Welt) standen die 14 Stationen der momentan (seit dem 19. Jhrt.) gültigen Via dolorosa-Route mit allem, was biblisch dazugehört: u.a. die Geißelungs- und Verurtei-lungskapelle, Stationen, wo Jesus ex-akt gestürzt war (rotmarkierte Säule) und schließlich als Höhepunkt die Gra-beskirche. Eigentlich verschachteln sich dort auf mehreren Stockwerken rund 30 Kir-chen aller möglichen Konfessionen (au-ßer den Protestanten); entsprechend streng wird z.B. auf die Einhaltung der Kehrwoche oder den Schlüsseldienst geachtet. Dem einträchtigen Handel rund um diese heilige Stätte tut dies keinen Abbruch. Ohne Probleme kann der Besucher z. B. eine Dornenkrone aus Plastik erstehen (made in China). An der unbeleuchteten Grabesstätte von Jesus Christus defiliert Tag für Tag eine endlose Schlange von Menschen

Blick in die Gemeinde 3

aus aller Welt vorbei, teilweise tief be-eindruckt von diesem heiligen Ort, teil-weise nur um die Qualität des Blitz-lichts ihrer Fotoausrüstung zu testen. Ums Eck in einem Garten befindet sich natürlich auch „der Nabel der Welt“. Krachmüde vom ersten Tag voller ge-gensätzlicher aber tief beeindrucken-der Erlebnisse sank man zu Bette, wur-de aber in aller Herrgottsfrühe von ei-nem blechernen Geräusch im Hotelflur wieder aus dem Schlaf gerissen. Gelo-gen: es erklang in edlen Tönen ein ver-trautes Morgenlied aus dem Wunder-horn von Herrmann – dem Truchtel-finger. So spirituell gestärkt ging es dann gleich in Richtung der von Israel besetzten Westbanks/Westjordanland – Gott sei Dank bei funktionierender Klimaanlage im Bus, denn die Sonne zeigt auch an diesem Tag kein Erbar-men.Vorbei an belebten Beduinenzelten in bergiger Landschaft, friedlich weiden-den Schafen und gut bewaffneten Checkpoint-Wächtern drangen wir Richtung jordanischer Grenze vor, bo-gen rechtzeitig am bereits sichtbaren Toten Meer ab und bremsten schließ-lich vor einem sich mächtig auftür-menden kalkigen Felsmassiv. Der müh-same Aufstieg (man konnte sich in der Schwebebahn kaum bewegen) auf das 440m hohen Plateau wurde durch ei-nen prächtigen Ausblick über eine wüstenhafte von Wadis durchzogene Landschaft belohnt. Eine ideale Lage für die Festung Massada, deren teil-weise aufwändig restaurierten Reste wir nun durchmaßen. König Herodes gönnte sich hier weiland (um Christi Geburt herum) in seinem dreistöcki-gen Palast großräumige, mosaikver-zierte Luxusbäder. Das nötige Wasser dazu gelangte über ein ausgefeiltes Zisternen- und Kanalsystem vom Tal

hoch in die Festung.. Als die Römer frech geworden und um 70 n. Chr. hier in der Morgenfrühe ein letztes jüdi-sches Widerstandsnest stürmten, fan-den sie zu ihrem Schrecken nur Lei-chen vor: die zelotischen Kämpfer brachten in der Nacht vor dem Fall der bröckelnden Festung zuerst die Frau-en und Kinder und dann sich selber um – weiß Gott warum! Deshalb schnell wieder den Berg hinab geschwebt, im Ahava-Fabrikverkauf zum Sonderpreis salzige Original-Kosmetik des nahen Gewässers er-standen und dann ab ins Wasser. Nein - oben drauf! Der hohe Salzgehalt des Toten Meers ermöglichte ohne Proble-me ein Mittagsschläfchen auf tragen-der Wasseroberfläche, zumal wir uns zuvor noch in Jericho mit palästinensi-schem Mittagsmahl und einheimi-schem Bier gestärkt hatten.

Wieder zurück in Israel bot uns das Jü-dische Viertel in Westjerusalem Bibel-geschichte zum Aussuchen. Auf dem Berg Zion vor den Toren der Stadt ruht König David – unbeeindruckt von lär-menden Schülerscharen, die auch vor dem Abendmahlsaal in einem ehema-ligen franziskanischen Kloster unbe-fangen umhertosten. Kaiser Wilhelm der Zwote – auch weniger von einem Glauben als vielmehr von imperialer Großmachtsucht geprägt - hinterließ im Christlichen Viertel eine Duftspur. Er weihte u.a. die lutherische Erlöser-kirche ein, von deren Glockenturm aus die kreislaufgestählte Balinger Truppe einen prächtigen Blick über die Alt-stadt werfen konnte.Durch das mit Zinnen und Türmchen geschmückte, imposante Damaskus-tor ging es hinein ins muslimische Viertel und damit in eines der ältesten Souks des gesamten Nahen Ostens. Die Tradition dieses Basars geht noch

auf der Via Do-lorosa

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Blick in die Gemeinde2

schen Ost-Jerusalem eingenisteten jü-dischen Wohnbunker – stacheldraht-bewehrt und gesichert als wäre man in Stammheim. Geballte Bibelgeschichte dann beim Schlendern durch die sich am Hang entlang ziehenden Straßen: die inter-religiöse Kapelle und Moschee der Him-melfahrt Jesu (einschließlich „Origi-nal“-Fußabdruck) am höchsten Punkt des Ölbergs; das schon von der Kreuz-fahrern als letzte Ruhestätte dekla-rierte Mariengrab und nicht zuletzt der ziemlich authentische Garten Gethse-mane. Eine Oase der Ruhe und des Friedens. Die Narben der bis zu 1000 Jahren al-ten, von Wind und Wetter gekrümm-

ten Ölbäume, legen bildhaft Zeugnis ab von dem wundgeplagten Leben in dieser Gegend bis zum heutigen Tag. Aber schon bannt sich der Blick auf das farbenfrohe Giebelmosaik der weithin sichtbaren Frontseite der Kirche der Nationen - Jesus Christus als Mittler zwischen Mensch und Gott. Unsere Fremdsprachenkenntnisse konnten

wir uns in der Pater Noster Kirche auf-frischen: auf Majolikaplatten ist als Klosterwandschmuck das Vaterunser in 140 Sprachen verewigt – ein-schließlich plattdeutsch und in Blin-denschrift. Nicht alle Osttore in die Altstadt Jeru-salems sind momentan geöffnet: das Goldene Tor wurde bereits vor über 400 Jahren trotzig von Muslimen zuge-mauert, denn jüdische Gläubige ge-hen davon aus, das durch dieses Tor der Messias das Tempelplateau betre-ten wird. Bleibt für uns Gegenwärtige das Löwentor, durch das auch die Is-raelis im Sechstagekrieg 1967 in die Altstadt drangen.

Bei gefühlten 50 Grad Celsius im Schatten erobert nun bei steilem An-stieg die Balinger Crew erwartungsvoll die heilige Stadt. Auf dem Programm (und dem von Scharen betender und singender Nonnen, Ordensbrüdern und Pilgern aus aller Welt) standen die 14 Stationen der momentan (seit dem 19. Jhrt.) gültigen Via dolorosa-Route mit allem, was biblisch dazugehört: u.a. die Geißelungs- und Verurtei-lungskapelle, Stationen, wo Jesus ex-akt gestürzt war (rotmarkierte Säule) und schließlich als Höhepunkt die Gra-beskirche. Eigentlich verschachteln sich dort auf mehreren Stockwerken rund 30 Kir-chen aller möglichen Konfessionen (au-ßer den Protestanten); entsprechend streng wird z.B. auf die Einhaltung der Kehrwoche oder den Schlüsseldienst geachtet. Dem einträchtigen Handel rund um diese heilige Stätte tut dies keinen Abbruch. Ohne Probleme kann der Besucher z. B. eine Dornenkrone aus Plastik erstehen (made in China). An der unbeleuchteten Grabesstätte von Jesus Christus defiliert Tag für Tag eine endlose Schlange von Menschen

Blick in die Gemeinde 3

aus aller Welt vorbei, teilweise tief be-eindruckt von diesem heiligen Ort, teil-weise nur um die Qualität des Blitz-lichts ihrer Fotoausrüstung zu testen. Ums Eck in einem Garten befindet sich natürlich auch „der Nabel der Welt“. Krachmüde vom ersten Tag voller ge-gensätzlicher aber tief beeindrucken-der Erlebnisse sank man zu Bette, wur-de aber in aller Herrgottsfrühe von ei-nem blechernen Geräusch im Hotelflur wieder aus dem Schlaf gerissen. Gelo-gen: es erklang in edlen Tönen ein ver-trautes Morgenlied aus dem Wunder-horn von Herrmann – dem Truchtel-finger. So spirituell gestärkt ging es dann gleich in Richtung der von Israel besetzten Westbanks/Westjordanland – Gott sei Dank bei funktionierender Klimaanlage im Bus, denn die Sonne zeigt auch an diesem Tag kein Erbar-men.Vorbei an belebten Beduinenzelten in bergiger Landschaft, friedlich weiden-den Schafen und gut bewaffneten Checkpoint-Wächtern drangen wir Richtung jordanischer Grenze vor, bo-gen rechtzeitig am bereits sichtbaren Toten Meer ab und bremsten schließ-lich vor einem sich mächtig auftür-menden kalkigen Felsmassiv. Der müh-same Aufstieg (man konnte sich in der Schwebebahn kaum bewegen) auf das 440m hohen Plateau wurde durch ei-nen prächtigen Ausblick über eine wüstenhafte von Wadis durchzogene Landschaft belohnt. Eine ideale Lage für die Festung Massada, deren teil-weise aufwändig restaurierten Reste wir nun durchmaßen. König Herodes gönnte sich hier weiland (um Christi Geburt herum) in seinem dreistöcki-gen Palast großräumige, mosaikver-zierte Luxusbäder. Das nötige Wasser dazu gelangte über ein ausgefeiltes Zisternen- und Kanalsystem vom Tal

hoch in die Festung.. Als die Römer frech geworden und um 70 n. Chr. hier in der Morgenfrühe ein letztes jüdi-sches Widerstandsnest stürmten, fan-den sie zu ihrem Schrecken nur Lei-chen vor: die zelotischen Kämpfer brachten in der Nacht vor dem Fall der bröckelnden Festung zuerst die Frau-en und Kinder und dann sich selber um – weiß Gott warum! Deshalb schnell wieder den Berg hinab geschwebt, im Ahava-Fabrikverkauf zum Sonderpreis salzige Original-Kosmetik des nahen Gewässers er-standen und dann ab ins Wasser. Nein - oben drauf! Der hohe Salzgehalt des Toten Meers ermöglichte ohne Proble-me ein Mittagsschläfchen auf tragen-der Wasseroberfläche, zumal wir uns zuvor noch in Jericho mit palästinensi-schem Mittagsmahl und einheimi-schem Bier gestärkt hatten.

Wieder zurück in Israel bot uns das Jü-dische Viertel in Westjerusalem Bibel-geschichte zum Aussuchen. Auf dem Berg Zion vor den Toren der Stadt ruht König David – unbeeindruckt von lär-menden Schülerscharen, die auch vor dem Abendmahlsaal in einem ehema-ligen franziskanischen Kloster unbe-fangen umhertosten. Kaiser Wilhelm der Zwote – auch weniger von einem Glauben als vielmehr von imperialer Großmachtsucht geprägt - hinterließ im Christlichen Viertel eine Duftspur. Er weihte u.a. die lutherische Erlöser-kirche ein, von deren Glockenturm aus die kreislaufgestählte Balinger Truppe einen prächtigen Blick über die Alt-stadt werfen konnte.Durch das mit Zinnen und Türmchen geschmückte, imposante Damaskus-tor ging es hinein ins muslimische Viertel und damit in eines der ältesten Souks des gesamten Nahen Ostens. Die Tradition dieses Basars geht noch

auf der Via Do-lorosa

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Blick in die Gemeinde4

in osmanische Zeit zurück, mit jahr-hundertalten Gewölbegängen, einem Wirrwarr von engen Gassen und ei-nem unerschöpflichen Warenangebot einschließlich Devotionalien aller Her-ren Religionen. Und endlich der Tempelberg: der Ort, wo sich Christen, Juden und Muslime am nächsten kommen - entsprechend groß sind die Spannungen an diesem heiligen Ort. Die berühmte Klagemau-er, ein Rest des 2. Tempels, liegt in be-klagenswerter Umgebung: Dieser „Western Wall“ liegt ja, wie der ge-samte Tempelberg, im von Israel an-nektierten Ost-Jerusalem und kann ge-genwärtig nur unter strengen Sicher-heitsvorkehrungen besucht werden. Welch ein Widerspruch tut sich da vor unseren eigenen Augen auf: hier die gläubigen Juden – tief versunken im Gebet an der Mauer, direkt daneben schwerbewaffnet die Verkörperung der israelischen Staatsgewalt. Nur über eine scheußliche Rampe ge-langten wir dann hoch zum Tempel-berg - drittwichtigste muslimische Stätte nach der Kaaba in Mekka und Medina und so natürlich auch. „Nabel der Welt“ einer parkartigen Anlage mit der geschichts-trächtigen Al-Aqsa-Moschee und dem großartigen Felsendom. Allein die goldene, weithin sichtbare Kuppel dieses Meisterwerks islamische Baukunst verschlägt einem den Atem, von den strahlendblauen Mosaiken, mit denen das Oktogon ver-ziert ist, ganz zu schweigen. Ein wür-diger Ort zu Ehren Abrahams, der an dieser Stelle seinen Sohn Isaak opfern wollte. Der Schrein (also kein Dom und keine Moschee) schützt den Fel-sen, auf dem vormals die Bundeslade lag und schemenhaft ein Original- Fuß-abdruck – diesmal von Mohammed – zu entdecken ist, der ja von hier aus gen Himmel fuhr.

Der Zutritt des Felsendoms und auch der Al Aqsa-Moschee ist inzwischen für Nichtmuslime verboten. Strenggläubi-ge Juden meiden den gesamten Tem-pelberg, andere würden dort am liebsten wieder einen Tempel richten.Bewegend bis erschütternd der Be-such der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, wo uns unsere eigene, jün-gere Geschichte drastisch vor Augen geführt wurde. Zum Beispiel in der Kin-dergedenkstätte – ein Ort der Anklage und Erinnerung: in nachtdunkler Halle ertönen die Namen der von Deut-schen ermordeten Kinder ununterbro-chen aus dem Off. In ein Wellenbad von Gefühlen tauch-ten wir auch bei den persönlichen Be-gegnungen, die uns durch das großar-tige Engagement von Lisbeth und Karl-Hermann Blickle ermöglicht wur-den. Als Vorstände des Stuttgarter Lehrhauses, einer Stiftung für interre-ligiösen Dialog, öffneten sie uns Tür und Tore zu zivilgesellschaftlichen In-stitutionen, die der Friedensarbeit im Heiligen Land dienen.So beeindruckte uns das Engagement der christlichen Betreiber der Evan-gelical Home & School in Ramallah, der Hauptstadt Palästinas. 1954 von ei-ner Schwesternschaft als Heim und Schule für sozial benachteiligte Kinder gegründet, bietet heute die staatlich anerkannte Einrichtung sowohl Kin-dertagesstätte, Förderschule, Gymna-sium als auch Berufs- und Technolo-giezentrum für insgesamt über 800 junge Menschen aus der ganzen Umge-bung an. Von der Qualität angehen-der Hotelfachkräfte konnten wir uns bei einem köstlichen Mittagsmahl über-zeugen.Hoffnung für eine bessere Zukunft keimte auch auf beim Gespräch mit Vertretern der PPC (Palestinian Peace Coalition) in Ramallah. Gewaltfreiheit

Blick in die Gemeinde 5

lautet ihre politische Maxime; ihr Ziel ist eine Zwei-Staaten-Regelung nach dem Modell der Genfer Initiative von 2003. Schlechtes Omen: im Konfe-renzraum im 12. Stock war es bitter-kalt!Dann holte uns die Wirklichkeit wieder ein: Schikane am Checkpoint zwi-schen Ramallah und Jerusalem, weil unser Omnibus kein PKW ist; der Blick auf die stacheldrahtbewehrte Mauer (Teil der insgesamt 760 km Sperranla-ge, die das Westjordanland von Israel trennt und in der Stadt Jerusalem im-merhin für eine trügerische Ruhe sorgt); das heruntergekommene rund 40 000 Menschen umfassende Flüchtlingslagers Qalandia. Beim Pas-sieren dieses urbanen Niemandslands bekamen wir einen deprimierenden Eindruck von der bescheidenen Le-bensqualität palästinensischer Fami-lien, die dort teilweise schon seit Jahr-zehnten hausen. Die Arbeitslosigkeit in dem von der UNO mehr schlecht als recht betreuten Gebiets beträgt über 35%.Krasse Gegensätze auch beim Besuch Bethlehems. Eine von Sperrmauern umzingelte biblische Landschaft: Oli-venhaine, Weinberge Obstplanta-gen,– auch Hirten auf dem Felde meint man vor den Toren der Stadt auszu-machen. Deutlicher zu sehen sind aber die illegal aus dem Boden schie-ßenden jüdischen Siedlungen, die im-mer näher an diesen bedeutenden christlichen Wallfahrtsort rücken. Wir reihten uns denn auch vor der Ge-burtskirche ein in die Pilgerschar aus aller Welt, duckten uns vor dem winzi-gen Tor der Demut und gelangten schließlich in leichtem Gedränge bis zur Geburtsgrotte von Jesus. Um den Zeitpunkt allerdings, wann Weihnach-ten zu sein hat, wer wann seine Messe feiern darf und natürlich um die Putz-

ordnung an dieser Heiligen Stätte wird zwischen den ansässigen Konfessio-nen schon seit Jahrhunderten trefflich gestritten. Christliche Bevölkerung gibt es in dieser nachweislich 2300 Jah-re alten Stadt kaum noch. Eine berufli-che Existenz in diesem offenen Ge-fängnis Bethlehem ist schwer möglich. Umso bewundernswerter das politi-sche Engagement unserer Gesprächs-partnerin bei DIYAR, einem lutherisch geprägten, ökumenisch orientierten Kulturzentrum für die palästinensi-sche Bevölkerung der Umgebung. Die Referentin konterte unseren Hinweis auf die überaus hohe internationale Unterstützung der Palästinenser im

Westjordanland, dies sei keine Ent-wicklungshilfe, sondern Wiedergut-machung einem geschundenen Volk gegenüber.Nach einem bewegenden Friedenge-bet von Ursel Schmidt-Dannert in der Lutherkirche verließen wir Bethlehem wieder. Zuvor glänzte Hasan, unser türkischstämmiger Fachmann vom

Besuch bei DIYAR

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Blick in die Gemeinde4

in osmanische Zeit zurück, mit jahr-hundertalten Gewölbegängen, einem Wirrwarr von engen Gassen und ei-nem unerschöpflichen Warenangebot einschließlich Devotionalien aller Her-ren Religionen. Und endlich der Tempelberg: der Ort, wo sich Christen, Juden und Muslime am nächsten kommen - entsprechend groß sind die Spannungen an diesem heiligen Ort. Die berühmte Klagemau-er, ein Rest des 2. Tempels, liegt in be-klagenswerter Umgebung: Dieser „Western Wall“ liegt ja, wie der ge-samte Tempelberg, im von Israel an-nektierten Ost-Jerusalem und kann ge-genwärtig nur unter strengen Sicher-heitsvorkehrungen besucht werden. Welch ein Widerspruch tut sich da vor unseren eigenen Augen auf: hier die gläubigen Juden – tief versunken im Gebet an der Mauer, direkt daneben schwerbewaffnet die Verkörperung der israelischen Staatsgewalt. Nur über eine scheußliche Rampe ge-langten wir dann hoch zum Tempel-berg - drittwichtigste muslimische Stätte nach der Kaaba in Mekka und Medina und so natürlich auch. „Nabel der Welt“ einer parkartigen Anlage mit der geschichts-trächtigen Al-Aqsa-Moschee und dem großartigen Felsendom. Allein die goldene, weithin sichtbare Kuppel dieses Meisterwerks islamische Baukunst verschlägt einem den Atem, von den strahlendblauen Mosaiken, mit denen das Oktogon ver-ziert ist, ganz zu schweigen. Ein wür-diger Ort zu Ehren Abrahams, der an dieser Stelle seinen Sohn Isaak opfern wollte. Der Schrein (also kein Dom und keine Moschee) schützt den Fel-sen, auf dem vormals die Bundeslade lag und schemenhaft ein Original- Fuß-abdruck – diesmal von Mohammed – zu entdecken ist, der ja von hier aus gen Himmel fuhr.

Der Zutritt des Felsendoms und auch der Al Aqsa-Moschee ist inzwischen für Nichtmuslime verboten. Strenggläubi-ge Juden meiden den gesamten Tem-pelberg, andere würden dort am liebsten wieder einen Tempel richten.Bewegend bis erschütternd der Be-such der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, wo uns unsere eigene, jün-gere Geschichte drastisch vor Augen geführt wurde. Zum Beispiel in der Kin-dergedenkstätte – ein Ort der Anklage und Erinnerung: in nachtdunkler Halle ertönen die Namen der von Deut-schen ermordeten Kinder ununterbro-chen aus dem Off. In ein Wellenbad von Gefühlen tauch-ten wir auch bei den persönlichen Be-gegnungen, die uns durch das großar-tige Engagement von Lisbeth und Karl-Hermann Blickle ermöglicht wur-den. Als Vorstände des Stuttgarter Lehrhauses, einer Stiftung für interre-ligiösen Dialog, öffneten sie uns Tür und Tore zu zivilgesellschaftlichen In-stitutionen, die der Friedensarbeit im Heiligen Land dienen.So beeindruckte uns das Engagement der christlichen Betreiber der Evan-gelical Home & School in Ramallah, der Hauptstadt Palästinas. 1954 von ei-ner Schwesternschaft als Heim und Schule für sozial benachteiligte Kinder gegründet, bietet heute die staatlich anerkannte Einrichtung sowohl Kin-dertagesstätte, Förderschule, Gymna-sium als auch Berufs- und Technolo-giezentrum für insgesamt über 800 junge Menschen aus der ganzen Umge-bung an. Von der Qualität angehen-der Hotelfachkräfte konnten wir uns bei einem köstlichen Mittagsmahl über-zeugen.Hoffnung für eine bessere Zukunft keimte auch auf beim Gespräch mit Vertretern der PPC (Palestinian Peace Coalition) in Ramallah. Gewaltfreiheit

Blick in die Gemeinde 5

lautet ihre politische Maxime; ihr Ziel ist eine Zwei-Staaten-Regelung nach dem Modell der Genfer Initiative von 2003. Schlechtes Omen: im Konfe-renzraum im 12. Stock war es bitter-kalt!Dann holte uns die Wirklichkeit wieder ein: Schikane am Checkpoint zwi-schen Ramallah und Jerusalem, weil unser Omnibus kein PKW ist; der Blick auf die stacheldrahtbewehrte Mauer (Teil der insgesamt 760 km Sperranla-ge, die das Westjordanland von Israel trennt und in der Stadt Jerusalem im-merhin für eine trügerische Ruhe sorgt); das heruntergekommene rund 40 000 Menschen umfassende Flüchtlingslagers Qalandia. Beim Pas-sieren dieses urbanen Niemandslands bekamen wir einen deprimierenden Eindruck von der bescheidenen Le-bensqualität palästinensischer Fami-lien, die dort teilweise schon seit Jahr-zehnten hausen. Die Arbeitslosigkeit in dem von der UNO mehr schlecht als recht betreuten Gebiets beträgt über 35%.Krasse Gegensätze auch beim Besuch Bethlehems. Eine von Sperrmauern umzingelte biblische Landschaft: Oli-venhaine, Weinberge Obstplanta-gen,– auch Hirten auf dem Felde meint man vor den Toren der Stadt auszu-machen. Deutlicher zu sehen sind aber die illegal aus dem Boden schie-ßenden jüdischen Siedlungen, die im-mer näher an diesen bedeutenden christlichen Wallfahrtsort rücken. Wir reihten uns denn auch vor der Ge-burtskirche ein in die Pilgerschar aus aller Welt, duckten uns vor dem winzi-gen Tor der Demut und gelangten schließlich in leichtem Gedränge bis zur Geburtsgrotte von Jesus. Um den Zeitpunkt allerdings, wann Weihnach-ten zu sein hat, wer wann seine Messe feiern darf und natürlich um die Putz-

ordnung an dieser Heiligen Stätte wird zwischen den ansässigen Konfessio-nen schon seit Jahrhunderten trefflich gestritten. Christliche Bevölkerung gibt es in dieser nachweislich 2300 Jah-re alten Stadt kaum noch. Eine berufli-che Existenz in diesem offenen Ge-fängnis Bethlehem ist schwer möglich. Umso bewundernswerter das politi-sche Engagement unserer Gesprächs-partnerin bei DIYAR, einem lutherisch geprägten, ökumenisch orientierten Kulturzentrum für die palästinensi-sche Bevölkerung der Umgebung. Die Referentin konterte unseren Hinweis auf die überaus hohe internationale Unterstützung der Palästinenser im

Westjordanland, dies sei keine Ent-wicklungshilfe, sondern Wiedergut-machung einem geschundenen Volk gegenüber.Nach einem bewegenden Friedenge-bet von Ursel Schmidt-Dannert in der Lutherkirche verließen wir Bethlehem wieder. Zuvor glänzte Hasan, unser türkischstämmiger Fachmann vom

Besuch bei DIYAR

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Blick in die Gemeinde6

Stuttgarter Lehrhaus, als interreligiö-se Instanz: er als Muslim las aus einer hebräischen Bibel einen arabischen Text vor, der dann von einer palästi-nensischen Christin unmittelbar ins Deutsche übersetzt wurde (oder war es umgekehrt?)Einige Kilometer weiter tauchte Efrata auf, eine von Israel 1980völker-rechtswidrig gegründete Siedlung im besetzten Gebiet. Eine streng kontrol-lierte „By-pass-Straße“ verbindet den Raum direkt mit Jerusalem. Hier tauschten wir uns mit zwei neu-orthodoxen Rabbinern in ihrer Syn-agoge aus. Zuerst ein predigthafter Vortrag eines US-amerikanischen Cha-rismatikers, der immerhin das Chris-tentum nicht mehr als Zufall oder Irr-tum der Geschichte brandmarkte. Dann Rabbiner Gehoshua Ahrens aus Deutschland, der uns äußerst zuvor-kommend und einfühlsam in die Ritua-lien des Sabbat-Empfangs-Gottes-dienstes einführte. Eine Synagoge mit-ten in Palästina – (Alp-)Traum oder Wirklichkeit?Unterbrochen wurden unsere zuneh-menden Irritationen über die poli-tisch-religiöse Situation in diesem Pul-verfass der Erde durch wieder mehr entspannende, aber auch bewegende Eindrücke in Galiläa. Auf dem Weg dorthin durchquerten wir zunächst wie-der das besetzte Westjordanland. Um-säumt von teilweise schroffen, kar-gen, Kalkbergen, schlängelt sich der Jordanfluss durch eine äußerst fruchtbare Ebene, wo alles an Feld-früchten, Obst (einschließlich Bana-nen), Weinreben und Gewürzen ge-deiht, was sich die arabische und ko-schere Küche wünschen kann. Der Jor-dan selbst - durch die ständige Was-serentnahme inzwischen eher ein Rinn-sal als ein namhafter Fluss, schafft es gerade noch, die Abwässer aus Israel

und Jordanien in Richtung Totes Meer zu transportieren. Dass wir uns in Galiläa wieder auf is-raelischem Staatsgebiet befanden, wurde uns übrigens eindrucksvoll vor Augen geführt, als ein junger mit Ma-schinengewehr bewehrter Soldat unse-ren Bus betrat und mit strengem Blick die Kontrolle des Gefährts überwach-te. Einladender dagegen der See Geneza-reth: umgeben von üppiger Vegetati-on inklusive Palmen, Eukalyptusbäu-men, Hibiskus und den blütenprächti-gen Bougainvileaeen, begrenzt von den Ausläufern der Golanhöhen mit friedlich weidenden Schafherden, die hoffentlich ein saftiges Grasbüschel von einer Tretmine unterscheiden kön-nen. Kein Wunder, dass sich einst in Ti-berias am westlichen Seeufer ein geis-tiges und religiöses Zentrum der Ju-den entwickeln konnte – im Hinterland erquickende Thermalquellen, vor Au-gen im Strandlokal der schmackhafte Petrusfisch. Heutzutage kann sich kaum ein Tourist oder Pilger am See dieser etwas marktschreierisch ange-priesenen Leckerei entziehen, auch wenn die Barsche längst nicht mehr aus dem Heiligen Gewässer gefischt werden, sondern sich – nicht ganz bi-belkonform - als Massengut in schnö-den Zuchtbecken vermehren. Im 115 n.Chr. von einem Erdbeben zer-störten jüdischen Fischerdorf Betseida wurden immerhin in einem jüngst frei-gelegten Gebäude Anker, Angelhaken und Netzflickzeug gefunden. Ein Muss für jeden Bibelfreund: der Berg der Seligpreisungen mit wunder-barer Aussicht über den See. Vis-á-vis der Kirche der Brotvermehrung mit ih-ren prächtigen Mosaiken aus byzanti-nischer Zeit feierten wir auch einen ei-genen, kleinen Gottesdienst im Frei-en. Altdekan Baumann durfte dazu die

Blick in die Gemeinde 7

Sonnenbrille während seiner Predigt anbehalten. Kapernaum beeindruckte durch den hohen archäologischen Wert der erst in jüngerer Zeit freigelegten basalti-schen Fundamente. Von 2000 v.Chr. bis 1000 n. Chr. breitete sich hier eine geschlossene Siedlung aus. Zu Jesu Zeiten war Kapernaum wohl ein leb-hafter Fischerort; aus Simon – ge-nannt Petrus – und seinem Bruder An-dreas wurden dort „Menschenfischer“ gemacht.Nazareth, heute eine moderne Stadt mit über 120 000 mehrheitlich arabi-schen Bewohnern, glänzt zunächst durch ein unorthodoxes Verkehrswe-sen, wo der Glauben zum Teil die Ver-kehrsregeln ersetzt. Also ging es zu Fuß bergan, vorbei an Pilgerscharen und Devotionalenständen, bis wir vor der gewaltigen 1969 neuerrichteten Verkündigungskirche standen – eine zweistöckige Basilika mit prächtigem Altarraum. Im Kreuzgang des Vorhofs zeigen reichverzierte Wandmosaike kunstvolle Mariendarstellungen aus al-ler Herren Länder. Das deutsche Er-zeugnis fällt allerdings in seiner Aus-strahlungskraft ein bisschen ab – also musste Gotthilf Baumann selber ein Plädoyer über die Bedeutung der Ma-ria vor Ort abliefern.Haifa - göttlich die Lage in einer weit-läufigen Bucht am strahlend blauen Mittelmeer. Hier leben Juden und Ara-ber, Muslime und Christen in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz Haus an Haus, Tür an Tür. Der Bürger-meister erklärt dies mit dem glückli-chen Umstand, "dass drei Touristen diese Stadt nie besucht haben: Moses, Jesus und Mohammed." Überregiona-ler Hafen, modernste Industrien und Verkehrswesen, Spitzenuniversität – „in Tel Aviv wird gelebt, in Jerusalem gebetet aber in Haifa wird gearbeitet“.

Also siedelten vor fast 150 Jahren auch einige 100 schwäbische Schaffer aus dem Raum Ludwigsburg in Palästi-na an. Sara Carmel, die Tochter des Templerforschers Alex Carmel konnte uns einiges über diese württembergi-schen Templer berichten. Sie wollten ursprünglich zwar im Heiligen Land den Messias treffen, beschieden sich dann aber auf das, was sie konnten: schaffe, schaffe, Häusle baue (statt missionieren) – und das sehr erfolg-reich. In der German Colony stehen noch viele ursprüngliche, überwie-gend zweigeschossige Häuser in Reih und Glied mit roten Ziegeldächern und blumengeschmückten Vorgärten, mit

Palmen statt Apfelbäumen bepflanzt und einem sinnigen Bibelspruch über der Haustüre. Die Templer grenzten sich allerdings als Kolonialisten leicht hochnäsig ab gegenüber den nach ih-rem Empfinden eher müßiggängeri-schen, einheimischen Arabern und et-was eifersüchtig der neuen jüdischen Siedlerkonkurrenz gegenüber, die als

Brotvermehrungs-kirche am See Genezareth

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Blick in die Gemeinde6

Stuttgarter Lehrhaus, als interreligiö-se Instanz: er als Muslim las aus einer hebräischen Bibel einen arabischen Text vor, der dann von einer palästi-nensischen Christin unmittelbar ins Deutsche übersetzt wurde (oder war es umgekehrt?)Einige Kilometer weiter tauchte Efrata auf, eine von Israel 1980völker-rechtswidrig gegründete Siedlung im besetzten Gebiet. Eine streng kontrol-lierte „By-pass-Straße“ verbindet den Raum direkt mit Jerusalem. Hier tauschten wir uns mit zwei neu-orthodoxen Rabbinern in ihrer Syn-agoge aus. Zuerst ein predigthafter Vortrag eines US-amerikanischen Cha-rismatikers, der immerhin das Chris-tentum nicht mehr als Zufall oder Irr-tum der Geschichte brandmarkte. Dann Rabbiner Gehoshua Ahrens aus Deutschland, der uns äußerst zuvor-kommend und einfühlsam in die Ritua-lien des Sabbat-Empfangs-Gottes-dienstes einführte. Eine Synagoge mit-ten in Palästina – (Alp-)Traum oder Wirklichkeit?Unterbrochen wurden unsere zuneh-menden Irritationen über die poli-tisch-religiöse Situation in diesem Pul-verfass der Erde durch wieder mehr entspannende, aber auch bewegende Eindrücke in Galiläa. Auf dem Weg dorthin durchquerten wir zunächst wie-der das besetzte Westjordanland. Um-säumt von teilweise schroffen, kar-gen, Kalkbergen, schlängelt sich der Jordanfluss durch eine äußerst fruchtbare Ebene, wo alles an Feld-früchten, Obst (einschließlich Bana-nen), Weinreben und Gewürzen ge-deiht, was sich die arabische und ko-schere Küche wünschen kann. Der Jor-dan selbst - durch die ständige Was-serentnahme inzwischen eher ein Rinn-sal als ein namhafter Fluss, schafft es gerade noch, die Abwässer aus Israel

und Jordanien in Richtung Totes Meer zu transportieren. Dass wir uns in Galiläa wieder auf is-raelischem Staatsgebiet befanden, wurde uns übrigens eindrucksvoll vor Augen geführt, als ein junger mit Ma-schinengewehr bewehrter Soldat unse-ren Bus betrat und mit strengem Blick die Kontrolle des Gefährts überwach-te. Einladender dagegen der See Geneza-reth: umgeben von üppiger Vegetati-on inklusive Palmen, Eukalyptusbäu-men, Hibiskus und den blütenprächti-gen Bougainvileaeen, begrenzt von den Ausläufern der Golanhöhen mit friedlich weidenden Schafherden, die hoffentlich ein saftiges Grasbüschel von einer Tretmine unterscheiden kön-nen. Kein Wunder, dass sich einst in Ti-berias am westlichen Seeufer ein geis-tiges und religiöses Zentrum der Ju-den entwickeln konnte – im Hinterland erquickende Thermalquellen, vor Au-gen im Strandlokal der schmackhafte Petrusfisch. Heutzutage kann sich kaum ein Tourist oder Pilger am See dieser etwas marktschreierisch ange-priesenen Leckerei entziehen, auch wenn die Barsche längst nicht mehr aus dem Heiligen Gewässer gefischt werden, sondern sich – nicht ganz bi-belkonform - als Massengut in schnö-den Zuchtbecken vermehren. Im 115 n.Chr. von einem Erdbeben zer-störten jüdischen Fischerdorf Betseida wurden immerhin in einem jüngst frei-gelegten Gebäude Anker, Angelhaken und Netzflickzeug gefunden. Ein Muss für jeden Bibelfreund: der Berg der Seligpreisungen mit wunder-barer Aussicht über den See. Vis-á-vis der Kirche der Brotvermehrung mit ih-ren prächtigen Mosaiken aus byzanti-nischer Zeit feierten wir auch einen ei-genen, kleinen Gottesdienst im Frei-en. Altdekan Baumann durfte dazu die

Blick in die Gemeinde 7

Sonnenbrille während seiner Predigt anbehalten. Kapernaum beeindruckte durch den hohen archäologischen Wert der erst in jüngerer Zeit freigelegten basalti-schen Fundamente. Von 2000 v.Chr. bis 1000 n. Chr. breitete sich hier eine geschlossene Siedlung aus. Zu Jesu Zeiten war Kapernaum wohl ein leb-hafter Fischerort; aus Simon – ge-nannt Petrus – und seinem Bruder An-dreas wurden dort „Menschenfischer“ gemacht.Nazareth, heute eine moderne Stadt mit über 120 000 mehrheitlich arabi-schen Bewohnern, glänzt zunächst durch ein unorthodoxes Verkehrswe-sen, wo der Glauben zum Teil die Ver-kehrsregeln ersetzt. Also ging es zu Fuß bergan, vorbei an Pilgerscharen und Devotionalenständen, bis wir vor der gewaltigen 1969 neuerrichteten Verkündigungskirche standen – eine zweistöckige Basilika mit prächtigem Altarraum. Im Kreuzgang des Vorhofs zeigen reichverzierte Wandmosaike kunstvolle Mariendarstellungen aus al-ler Herren Länder. Das deutsche Er-zeugnis fällt allerdings in seiner Aus-strahlungskraft ein bisschen ab – also musste Gotthilf Baumann selber ein Plädoyer über die Bedeutung der Ma-ria vor Ort abliefern.Haifa - göttlich die Lage in einer weit-läufigen Bucht am strahlend blauen Mittelmeer. Hier leben Juden und Ara-ber, Muslime und Christen in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz Haus an Haus, Tür an Tür. Der Bürger-meister erklärt dies mit dem glückli-chen Umstand, "dass drei Touristen diese Stadt nie besucht haben: Moses, Jesus und Mohammed." Überregiona-ler Hafen, modernste Industrien und Verkehrswesen, Spitzenuniversität – „in Tel Aviv wird gelebt, in Jerusalem gebetet aber in Haifa wird gearbeitet“.

Also siedelten vor fast 150 Jahren auch einige 100 schwäbische Schaffer aus dem Raum Ludwigsburg in Palästi-na an. Sara Carmel, die Tochter des Templerforschers Alex Carmel konnte uns einiges über diese württembergi-schen Templer berichten. Sie wollten ursprünglich zwar im Heiligen Land den Messias treffen, beschieden sich dann aber auf das, was sie konnten: schaffe, schaffe, Häusle baue (statt missionieren) – und das sehr erfolg-reich. In der German Colony stehen noch viele ursprüngliche, überwie-gend zweigeschossige Häuser in Reih und Glied mit roten Ziegeldächern und blumengeschmückten Vorgärten, mit

Palmen statt Apfelbäumen bepflanzt und einem sinnigen Bibelspruch über der Haustüre. Die Templer grenzten sich allerdings als Kolonialisten leicht hochnäsig ab gegenüber den nach ih-rem Empfinden eher müßiggängeri-schen, einheimischen Arabern und et-was eifersüchtig der neuen jüdischen Siedlerkonkurrenz gegenüber, die als

Brotvermehrungs-kirche am See Genezareth

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Blick in die Gemeinde8

Zionisten aus aller Welt gleichfalls das Gelobte Land bestellen wollten. Die überwiegend braune Gesinnung der „christlichen Zionisten“ während des Dritten Reichs führte dann auch zum Rauswurf der Templer aus dem Heili-gen Land. Ihren sauber gepflegten Friedhof konnten wir noch besichti-gen; auf dem Grabstein der Familie We-berruss steht geschrieben „Auf Wie-dersehn“.Auch besagter Kaiser Wilhelm der Zwo-te lobte damals bei seinem Tripp ins Heilige Land die Templer: „Ich bin er-freut, dass Ihr verstanden habt, durch Euer persönliches Leben Eueren Nach-barn ein gutes Beispiel zu geben, und dass Ihr gezeigt habt, wie man es ma-

chen muss, um in diesen Ländern dem deutschen Namen Achtung zu ver-schaffen". Zur Belohnung hinterließ er ihnen auf dem Carmelberg eine stattli-che preußische Kanone. Wir genossen eher den fantastischen Blick auf die Bucht von Haifa und den heiligen Ba-hai-Schrein mit seiner goldenen Kup-pel direkt vor uns. Das Bab-Mausoleum in einem prachtvoll ange-

legten persischen Park stellt das Wahr-zeichen der Stadt dar.Wir blieben aber auf der Suche nach deutschen Spuren und trafen in Scha-we Zion am Mittelmeer den 86-jährigen Amos Fröhlich aus Tuttlingen. Er und seine Familie konnten ihre Hei-mat gerade noch rechtzeitig vor den Novemberpogromen 1938 verlassen, genauso wie eine jüdische Aussiedler-gruppe aus Rexingen bei Horb. Beson-ders willkommen waren die Flüchtlin-ge im arabischen Palästina aber auch nicht. Also zogen die jüdischen Neu-siedler über Nacht blitzschnell aus vor-gefertigten Holzbalken ihre Häuser mit Schutzeinrichtungen hoch und konnten sich so der Gewalt der einhei-mischen Araber gegenüber erwehren (Turm-und-Palisaden-Strategie). In solch einem stattlichen Gebäude er-fuhren wir vom patriotischen Zeitzeu-gen Amos Fröhlich einiges über die Le-bensweise der Moshaw-Genossen-schaften in ihrem Dorf.Die traumhafte (weil fast unbewohn-te) Mittelmeerküste bekleidete uns weiterhin, bis wir im lebenslustigen, kosmopolitischen, wolkenkratzerver-hangenen Tel Aviv einfuhren. Unser Quartier lag aber Gott sei Dank im noch mittelalterlich anmutenden, ehe-maligen Fischerort Jaffa. Enge kopf-steingepflasterte Gassen strahlen ara-bisch-orientalisches Flair aus, Fleder-mauskolonien bevölkern halbzerfalle-ne Gewölbe (wohl noch aus osmani-scher Zeit), im Hafen baumeln Netze vor den letzten noch ausfahrenden Fischkuttern. Der Eroberer David und sein Sohn König Salomon ließen hier einst Zedernholz aus dem Libanon ein-schiffen zum Bau des 1. Tempels in Je-rusalem. Aber der imposante Leucht-turm blinkt nicht mehr - umso mehr hingegen die Beleuchtungen der Knei-pen, Bars und Clubs in der Altstadt.

Blick in die Gemeinde 9

Hier wird die Nacht zum Tage für Ein-heimische wie auch für schwäbische Touristen, die auch tagsüber beim Kruschteln auf den wuseligen Floh-märkten voll auf ihre Kosten kommen (eine ABBA-LP für schlappe 10 Sche-kel). Die Gentrifizierung schleicht sich allerdings auch in Jaffa ein: Teuer sa-nierte Wohnareale, alte und neue Ge-schäfte mit Kunsthandwerk vom Feinsten – nichts für den kleinen Geld-beutel der noch übrig gebliebenen ara-bischen Bevölkerung.Natürlich treffen wir auch in Jaffa auf christliche Spuren: garantiert hat der Jünger Petrus hier Simon den Gerber in seinem Haus besucht, sicher haben die Kreuzfahrer hier eine Festung Got-tes errichtet und die Franziskaner auf deren Ruinen ein Kloster mit der statt-lichen, weithin sichtbaren St. Peterkir-che gepflanzt. Zurück zur Gegenwartsgeschichte: am letzten Tag unserer Bildungstour-nee trafen wir beim Verein Hinuch Le Shalom – Education for Peace auf is-raelische Vertreter der Genfer Initiati-ve. Ein Gewerkschaflter wies auf die riesigen Einkommensunterschiede der Menschen im Staat Israel hin ebenso wie auf die Verschiebung der politi-schen Koordinaten durch die großen Einwanderungswellen v.a. aus der ehe-maligen SU und der arabischen Welt auf Kosten der Sozialdemokratie im Land. Auf der Grundlage des „Law of re-turn“, ist nämlich den Juden aus aller Welt seit 1950 die Einwanderung nach Israel erlaubt. Der ehemalige Presse-sprecher von Ministerpräsident Barak, ein hochmotivierter Mitstreiter der Genfer Initiative, warb auch uns ge-genüber für das ständige Bemühen, ei-nen tragfähigen Friedensvertrag zwi-schen Israel und Palästina zustande zu bringen. Er wünschte uns eine ange-nehme Heimkehr nach Deutschland

mit hoffentlich positiver Verwirrung hinsichtlich der Eindrücke von der poli-tischen Situation in einem unfriedli-chen Land.Und so war es auch: eine Bildungsrei-se voller widersprüchlicher Impressio-nen, Erlebnisse und Begegnungen, ging zu Ende. Noch benebelt vom An-blick fantastischer Kulturlandschaften und Stacheldraht, von Begegnungen mit Menschen aller politischen oder re-ligiösen Schattierungen, gepaart mit eigenen religiösen Erfahrungen und Ir-ritationen, quetschten wir uns bei strahlender Sonne wieder in den Flie-ger, um dann, in München angekom-men, vor Nässe und Kälte schier zu er-frieren.

Das gute Gelingen der Reise verdan-ken wir natürlich zuvörderst dem Enga-gement von Ursel Schmidt-Dannert, ih-rem Team und der Familie Blickle aber auch dem guten Miteinander in der buntgemischten Gruppe von Jung und Alt, Schwaben und Nichtschwaben.

Rudolf Kraus

Jaffa

Diskussion mit dem Reiseleiter

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Blick in die Gemeinde8

Zionisten aus aller Welt gleichfalls das Gelobte Land bestellen wollten. Die überwiegend braune Gesinnung der „christlichen Zionisten“ während des Dritten Reichs führte dann auch zum Rauswurf der Templer aus dem Heili-gen Land. Ihren sauber gepflegten Friedhof konnten wir noch besichti-gen; auf dem Grabstein der Familie We-berruss steht geschrieben „Auf Wie-dersehn“.Auch besagter Kaiser Wilhelm der Zwo-te lobte damals bei seinem Tripp ins Heilige Land die Templer: „Ich bin er-freut, dass Ihr verstanden habt, durch Euer persönliches Leben Eueren Nach-barn ein gutes Beispiel zu geben, und dass Ihr gezeigt habt, wie man es ma-

chen muss, um in diesen Ländern dem deutschen Namen Achtung zu ver-schaffen". Zur Belohnung hinterließ er ihnen auf dem Carmelberg eine stattli-che preußische Kanone. Wir genossen eher den fantastischen Blick auf die Bucht von Haifa und den heiligen Ba-hai-Schrein mit seiner goldenen Kup-pel direkt vor uns. Das Bab-Mausoleum in einem prachtvoll ange-

legten persischen Park stellt das Wahr-zeichen der Stadt dar.Wir blieben aber auf der Suche nach deutschen Spuren und trafen in Scha-we Zion am Mittelmeer den 86-jährigen Amos Fröhlich aus Tuttlingen. Er und seine Familie konnten ihre Hei-mat gerade noch rechtzeitig vor den Novemberpogromen 1938 verlassen, genauso wie eine jüdische Aussiedler-gruppe aus Rexingen bei Horb. Beson-ders willkommen waren die Flüchtlin-ge im arabischen Palästina aber auch nicht. Also zogen die jüdischen Neu-siedler über Nacht blitzschnell aus vor-gefertigten Holzbalken ihre Häuser mit Schutzeinrichtungen hoch und konnten sich so der Gewalt der einhei-mischen Araber gegenüber erwehren (Turm-und-Palisaden-Strategie). In solch einem stattlichen Gebäude er-fuhren wir vom patriotischen Zeitzeu-gen Amos Fröhlich einiges über die Le-bensweise der Moshaw-Genossen-schaften in ihrem Dorf.Die traumhafte (weil fast unbewohn-te) Mittelmeerküste bekleidete uns weiterhin, bis wir im lebenslustigen, kosmopolitischen, wolkenkratzerver-hangenen Tel Aviv einfuhren. Unser Quartier lag aber Gott sei Dank im noch mittelalterlich anmutenden, ehe-maligen Fischerort Jaffa. Enge kopf-steingepflasterte Gassen strahlen ara-bisch-orientalisches Flair aus, Fleder-mauskolonien bevölkern halbzerfalle-ne Gewölbe (wohl noch aus osmani-scher Zeit), im Hafen baumeln Netze vor den letzten noch ausfahrenden Fischkuttern. Der Eroberer David und sein Sohn König Salomon ließen hier einst Zedernholz aus dem Libanon ein-schiffen zum Bau des 1. Tempels in Je-rusalem. Aber der imposante Leucht-turm blinkt nicht mehr - umso mehr hingegen die Beleuchtungen der Knei-pen, Bars und Clubs in der Altstadt.

Blick in die Gemeinde 9

Hier wird die Nacht zum Tage für Ein-heimische wie auch für schwäbische Touristen, die auch tagsüber beim Kruschteln auf den wuseligen Floh-märkten voll auf ihre Kosten kommen (eine ABBA-LP für schlappe 10 Sche-kel). Die Gentrifizierung schleicht sich allerdings auch in Jaffa ein: Teuer sa-nierte Wohnareale, alte und neue Ge-schäfte mit Kunsthandwerk vom Feinsten – nichts für den kleinen Geld-beutel der noch übrig gebliebenen ara-bischen Bevölkerung.Natürlich treffen wir auch in Jaffa auf christliche Spuren: garantiert hat der Jünger Petrus hier Simon den Gerber in seinem Haus besucht, sicher haben die Kreuzfahrer hier eine Festung Got-tes errichtet und die Franziskaner auf deren Ruinen ein Kloster mit der statt-lichen, weithin sichtbaren St. Peterkir-che gepflanzt. Zurück zur Gegenwartsgeschichte: am letzten Tag unserer Bildungstour-nee trafen wir beim Verein Hinuch Le Shalom – Education for Peace auf is-raelische Vertreter der Genfer Initiati-ve. Ein Gewerkschaflter wies auf die riesigen Einkommensunterschiede der Menschen im Staat Israel hin ebenso wie auf die Verschiebung der politi-schen Koordinaten durch die großen Einwanderungswellen v.a. aus der ehe-maligen SU und der arabischen Welt auf Kosten der Sozialdemokratie im Land. Auf der Grundlage des „Law of re-turn“, ist nämlich den Juden aus aller Welt seit 1950 die Einwanderung nach Israel erlaubt. Der ehemalige Presse-sprecher von Ministerpräsident Barak, ein hochmotivierter Mitstreiter der Genfer Initiative, warb auch uns ge-genüber für das ständige Bemühen, ei-nen tragfähigen Friedensvertrag zwi-schen Israel und Palästina zustande zu bringen. Er wünschte uns eine ange-nehme Heimkehr nach Deutschland

mit hoffentlich positiver Verwirrung hinsichtlich der Eindrücke von der poli-tischen Situation in einem unfriedli-chen Land.Und so war es auch: eine Bildungsrei-se voller widersprüchlicher Impressio-nen, Erlebnisse und Begegnungen, ging zu Ende. Noch benebelt vom An-blick fantastischer Kulturlandschaften und Stacheldraht, von Begegnungen mit Menschen aller politischen oder re-ligiösen Schattierungen, gepaart mit eigenen religiösen Erfahrungen und Ir-ritationen, quetschten wir uns bei strahlender Sonne wieder in den Flie-ger, um dann, in München angekom-men, vor Nässe und Kälte schier zu er-frieren.

Das gute Gelingen der Reise verdan-ken wir natürlich zuvörderst dem Enga-gement von Ursel Schmidt-Dannert, ih-rem Team und der Familie Blickle aber auch dem guten Miteinander in der buntgemischten Gruppe von Jung und Alt, Schwaben und Nichtschwaben.

Rudolf Kraus

Jaffa

Diskussion mit dem Reiseleiter