betrachtungen über die species vortrag, gehalten bei der jahresversanunlung der deutschen...

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JOURNAL fur 0R$1THOLOGIE. Wlerter Jahrgang. l lilllll l • .II I I IIII II IIII I I • I I III11 11 IN I IIII N° 22. Juli. 1856. m '" . . . . IIIII I l III II II I I .......... ia---- I l Betraehtungen tiber die Species. Wortra~, gehalten bei der Jahresversammlung tier deutschen Ornithologen-Gesellschaft in C/Jthen am 4. Juni 1856~ von t'rtnz Charles Lucien Bonaparte. *) Es giebt keine schlimmeren Zust~inde, als Willkiir und Anarchie; am unertraglichsten aber sind sie in der Wissenschaft. Und doch wird das sch0nste Gebiet der Naturgeschichte yon ihnen regiert; denn will- kiirlich und anarchisch ist gr6sstentheils die neuere Aufstellung der Arten~ welche, je nachdem es dem Urheber beliebt, bald Species~ bald Race, bald Varlet/it benannt werden. Dieses Unwesen muss ein Ende nehmen. Erst seit L innd eigentlich hat die Bestimmung der lebenden Spe- cies, wie sie in unseren Tagen gang und g',ibe ist, eine feste Grund- ]age erhalten. Dagegen wird die Bestimmung der verschiedenen Typen der verloren gegangenen Species mit Hinsicht auf die verschiedenen geologischen Epochen bei der Nachwelt far das Hauptverdienst des unsterblichen Cuvier gelten. Und die Vergleichung dieser beiden It:a- tegorien yon Species, oder, so zu sagen, die Erh~irtung ihres Stamm- baumes, hat einer der gr0ssten Naturforscher unserer Zeit, A gas s i z in Amerika, sich zur Aufgabe gemacht. ">) Diesen in franz6sischer Sprache gehaltenen Vortrag geben wir, nach dem uns yore Prinzen zur VerSffentlichung fibergebenen C o n c e p t e hier wieder und zwar auf ausdrficklichen Wunsch Sr. Hoheit in deutscher Uebersetzung~ welche Hr. R. W entzel zu besorgen die Giite hatte. D. Herausg. ,lourn. f. Ornith.~ IV. Jahrg., Nr. 22, Jail 1856. 17

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JOURNAL fur

0R$1THOLOGIE. W l e r t e r J a h r g a n g .

l lilllll l • .II I I IIII II IIII I I • I I II I11 11 IN I IIII

N ° 22. Juli. 1856. m ' " . . . . IIIII I l III II II I I • . . . . . . . . . . i a - - - - I l

Betraehtungen tiber die Species. W o r t r a ~ ,

gehalten bei der Jahresversammlung tier deutschen Ornithologen-Gesellschaft in C/Jthen am 4. Juni 1856~

von

t'rtnz Charles Lucien Bonaparte. *)

Es giebt keine schlimmeren Zust~inde, als Willkiir und Anarchie; am unertraglichsten aber sind sie in der Wissenschaft. Und doch wird das sch0nste Gebiet der Naturgeschichte yon ihnen regiert; denn will- kiirlich und anarchisch ist gr6sstentheils die neuere Aufstellung der Arten~ welche, je nachdem es dem Urheber beliebt, bald Species~ bald Race, bald Varlet/it benannt werden. Dieses Unwesen muss ein Ende nehmen.

Erst seit L innd eigentlich hat die Bestimmung der lebenden Spe- cies, wie sie in unseren Tagen gang und g',ibe ist, eine feste Grund- ]age erhalten. Dagegen wird die Bestimmung der verschiedenen Typen der verloren gegangenen Species mit Hinsicht auf die verschiedenen geologischen Epochen bei der Nachwelt far das Hauptverdienst des unsterblichen Cuvie r gelten. Und die Vergleichung dieser beiden It:a- tegorien yon Species, oder, so zu sagen, die Erh~irtung ihres Stamm- baumes, hat einer der gr0ssten Naturforscher unserer Zeit, A gas s i z in Amerika, sich zur Aufgabe gemacht.

">) Diesen in franz6sischer Sprache gehaltenen Vortrag geben wir, nach dem uns yore Prinzen zur VerSffentlichung fibergebenen C o n c e p t e hier wieder und zwar auf ausdrficklichen Wunsch Sr. Hoheit in deutscher Uebersetzung~ welche Hr. R. W entzel zu besorgen die Giite hatte. D. Herausg.

,lourn. f. Ornith.~ IV. Jahrg., Nr. 22, Jail 1856. 1 7

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Vor Allem aber wird man fragen, was denn Species sei? und besonders, ob sis als etwas Festes oder Veriinderliches zu betrachten? ])as Erstere behaupten, heisst geradezu das Absurde behaupten, und zwar etwas so Absurdes, dass es einem Jeden in die Augen springen muss, der nur im Geringsten in der Wissenschaft bewandert ist. Die andere Hypothese aber wiirde, ohne gehiirige Erkliirung und Begriin- zung, aus der Wissenschaft nahen wagen mtichte.

So wollen wir den.n mit einem hunderts, mit Prof. Isidor Geoffroy St. len, dass ,,die Merkmale der Species

ein Chaos machen, dem Niemand sich zu

der klarsten Ktipfe unseres Jahr- H i l a i r e, als Grundsatz aufstel-

keine unbedingt feste, abet noch viel weniger unbegr~inzt ver/inderliche sind. Fest sind sie fiir jede Species, so lange diese unter denselben Umst/inden sich fortpflanzt. Sie ver~indern sich, wenn die sie umgebenden Umst~inde sich ver~ndern. ~'

Bleiben die Umst~inde sich gleich, so bleiben es auch die Species. Der erhaltende Einfluss wirkt dann allein mit aller seiner Kraft. Der ver~indernde Einfluss vermag gegen ihn nur aufzukommen, wenn die ganze, die Species umgebende Welt eine andere wird.

Daher schreibt sich auch die ausserordentliche Ver~inderlichkeit der Hausthiere. Die zum gr0ssten Theil geographischen Racen bezeichnen sich dutch Modificationen, welche mehr oder weniger mit den Umst~in- den vortibergehen, die sie erzeugt haben, und die gewtihnlich yon der aus der Vervielf~iltigung der Individuen hervorgehenden allm~hlichen Ausbreitung und yon den mehr oder wenig'er bedeutenden Unterschie- den in Gegend, Kiima, Lebensweise und selbst in Gewohnheiten abh~in- gen. Diese Racen aber, so charakteristisch verschieden sie auch er-. scheinen mtigen~ verschwinden ganz oder bestehen wenigstens nicht mehr lange fort, sobald die Umst~inde aufhtiren, dutch welche sie er- zeugt wurden. Ihre voriibergehende Existenz hsst sich mit Nichts pas- sender vergleichen, als mit tier Existenz der Hybriden, welche bei aller Fruchtbarkeit sich doch nicht regelmassig reproduciren, oder vt~llig erltischen, indem sie wieder in eine der Species zuriickkehren, yon denen'sie vermOge wiederholter Kreuzungen herstammen. Die Ueber- g~ing'e zwischen den verschiedenen Racen und ihrem Typus sind die besten Beweise, welche wit beibringen kOnnen, um die vermeintlichen Species zu beseitigen, die unter die Racen zu verweisen sind, mit denen jedoch der griindliche Zoolog sich darum nicht minder angele- gentlich zu beschiiftigen hat.

Bediirfte es far unsere Behauptungen noch der Beweise, so war- den uns deren hinreichend gewici~ige und unwiderlegliche in den Haus-

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thieren zuriickkehren ~ so bedeutend warden.

sieh darbieten~ die wieder wild werden und zu ihrem Urtypus nachdem sie Unterschiede durchgemacht haben, welehe sind, dass sie im Naturzustande fiir generiseh gelten

Und naeh solehen Beispielen, die wir t~iglieh vor Augen haben, und die nur eine mehr als homerisehe Blindheit verkennen kann, wollte man noeh zweifeln an der Abstammung der Species, die sieh olrenbar im Laufe der Jahrhunderte und unter den Umwiilzungen, welche unser Erdball erlitten hat~ nur modifizirt haben? Absolute Unveriinderliehkeit ist, wir wiederholen es, eine Absurditiit; und nur wenn man diese Ab- surditiit zur zweiten Macht erhebt, k(innen die Anthropologen, welehe dieselbe vertheidigen, in Bezug auf den gemeinsamen Ursprung der versehiedenen Mensehenracen sich mit uns begegnen! Oder Will man unserer handgreiflichen Lehre yon der b e g r i i n z t e n W a n d e l b a r k e i t die Lehre yon den successiven Sehtipfungen und die Lehre yon der sogenannten Uebertragung entgegenstellen? Und sollten die ehemaligen, untergegangenen Thiere bei ihrem Tode gar keine Naehkommensehaft hinterlassen haben~ da wir doeh ihnen iihnliehe Thiere Uberall erblieken? Nein[ mit einmiithiger Ueberzeugung wollen wir es aussprechen: die vorfluthlichen Krokodile, Elephanten und Rhinoceros sind die Vorfahren der in unserer Zeit lebenden; und diese Thiere wUrden nieht mehr exi- stiren k0nnen ohne die manniehfaehen Veriinderungen, welche ihre Or- ganisation in Folge der Umstiinde, die hir ihre Abk(immlinge zur zweiten Natur wurden, zu bestehen hatte. Ieh sage: manniehfaehe Ver/inde- rungen, weil die Zahl der Arten offenbar eher zunehmen zu wollen seheinL als abzunehmen.

Bei dieser Lage der Dinge k/Jmmt uns die Definition, welche Prof. Isidor Geoffroy St. Hilaire yon dem Begriff ,Species ~ giebt, vortrefflieh zu Statten. Sic lautet: ,Die Species ist eine Gesammtheit oder eine Reihe yon Individuen, welche sich dutch eine Vereinigung yon unter- scheidenden Eigenthtimlichken eharakterisiren~ deren Uebertragung na- tiirlich und regelmiissig~ unter den gegenwfirtigen Verhfiltnissen aber unbestimmt ist." Wir wiederholen diese Definition hier~ in der Hoff- nung, dass sic, yon der hohen Auctoritfit des Congresses der deutschen Ornithologen gutgeheissen~ wenigstens als Leitfaden dazu wird dienen k0nnen, nut die wirklichen Species der VOgel zur Geltung zu brin- gen, die scheinbaren aber aus dem wissenschaftlichen Verzeichnisse zu streiehen.