autorität der zeichen versus zeichen der autorität. statussymbol und repräsentationsproblematik...

15

Click here to load reader

Upload: robert-weimann

Post on 21-Jul-2016

216 views

Category:

Documents


2 download

TRANSCRIPT

Page 1: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Orbis Litterarum 1981, 42, 221-235

Autoritat der Zeichen versus Zeichen der Autoritat. Statussymbol und Reprasentationsproblematik in Konig Lear Robert Weimann, Berlin, Deutsche Demokratische Republik

Die zunehrnende Ambivalenz von Autoritat und deren Reprisenta- tion irn Herrschaftszerernoniell, das Auseinandertreten von Macht, Ansehen, Amt, Gesetz und den sie legitimierenden Voraussetzungen wie Weisheit, Erfahrung und Gerechtigkeit, die Aufspaltung also von Zeichen und Sinn wird im K6nig Lear und Shakespeare-Stucken der naheren zeitlichen Umgebung @.a. Heinrich K und Map fur MuJ) als konstitutiv fiir den dramatischen Vorgang erkannt. Der am konsequentesten im Lear gestaltete Konflikt envachst aus der Autoritltskrise der nachreformatorischen Zeit in ihrer Spannung zwischen feudaler Reprisentanz und protestantischer Innerlichkeit, die, nicht ohne die implizierten sozialen Konsequenzen, den Blick auf eine hohere Menschlichkeit freigibt. Der Umstand, daB die zei- chenhafte Reprasentation der Autoritat in der Stindegesellschaft auf dem Theater als Zeichen des Zeichens erscheint, ermiiglicht und verdeutlicht diesen neuen Realismus der Weltbetrachtung.

Erst in den Problemstucken, vor allem in MuJfiir MaJ (1604), wendet sich Shakespeare der Darstellung jenes Dilemmas zu, das aus den Begrenztheiten und Versuchungen einer ))kleinen, kurzen Autoritatcc (little brief authority;' 11, 2, 120) folgert. Das wird in diesem Problemstuck zum beherrschenden Thema; dabei offenbart sich )>der Halbgott Autoritatcc (the demigod authori- ty; I, 2, 14) als eine willkiirliche Einrichtung, der genau jene Ambivalenz zukommt, die im Aufbau des Stuckes selbst angelegt ist - zumal dort, wo schreiende Ungerechtigkeit und unvermutete Gnade, Strenge des Gesetzes und uberraschende Barmherzigkeit aufeinandertreffen. Wenn, wie Ernest Schanzer meinte, das Stuck Widerspriiche in seiner Publikumslenkung auf- weist, ))so dab unsichere oder geteilte Reaktionen darauf im BewuBtsein der Zuschauer miiglich oder sogar wahrscheinlich sindcc,* dann hat dies auch n i t einem Durcheinander widerspriichlicher Autoritat in der Rechtsprechung zu tun: die eine zeitbegrenzt und korrumpierbar, die andere fast uberirdisch in der Kraft des Verzeihens. Wenn am Ende der grausame Zwang der Staats- macht aufgeht im Joch der Barmherzigkeit, so tut sich - iiber den Stuckab-

Page 2: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

222 Robert Weimann -

schluB hinaus - ein Abgrund auf zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen denen, die zeitweilig, fur einen kurzen Augenblick, dem Gesetz vorstehen und ihren schuldigen und unschuldigen Opfern. Angesichts dieses Abgrundes erscheint jedwede Autontat gefahrdet; sie verfallt dem Irrtum und Mia- brauch, nur die Macht ihrer Mittel vermag diese zu kaschieren:

Weil Autoritlt, wenn sie auch wie andre irrt, Doch eine Art von Heilkraft in sich trigt, Die das Laster oben zudeckt.

(Because authority, though it err like others, Hath yet a kind of medicine in itself That skins the vice o’the top.) (11, 2, 136-138)

DaB Autoritat irren kann, bedeutet doch so vie1 wie: Sie ist nicht langer fertig vorgegeben; sie darf gepriift und muD errungen werden.

Das kommt bereits der heillosen Welt in Ktinig Lear nahe, in der ein kostbares Kleid alles verhiillt, so daB ))Der starke Speer des Rechts bricht harmlos abcc. Im Hinblick auf die Stellung von Konig Lear zu den Problemstucken sei hier nur vorweggenommen, daB der von Troilus vorwegzitierte >)Wahnsinncc im nDi- skurscc (madness of discourse; Troilus und Cressida, V, 2, 140) nun von Lear selbst alsbald zu einem unvorhersehbaren Hohepunkt gefiihrt wird. In Konig Leur steht ))madness of discoursecc fur eine neue Art des Reprasentationsver- lusts: Dieser ))Wahnsinncc im ))Diskurscc steht der Sprache der herrschenden Politik und Rechtsprechung diametral gegenuber: Die neue Autoxitat der Zei- chen trifft auf die verburgten Zeichen der Autoritat. In Zuspitzung der Repra- sentationsknse darf dieser subversive Diskurs auf vollig unreprisentative Er- fahrungsbereiche zuriickgreifen: Der Konig, der im Wahnsinn spricht, mu0 durch die Welt der Bettler gehen, um wahrhaft koniglich zu werden. Anders als in MuJfiir Ma$?, verwandelt sich diesmal der Herrscher ))in einen wirklichen Bettler, nicht in einen verkleideten Bettelmon~hcc.~ Er muD seinen Verstand verlieren, nicht nur einer verriickten Regung folgen; er mu0 Amt und Wurden schmahlich preisgeben, nicht nur - wie der Herzog - leihweise zur Verfiigung stellen. Erst wenn die Begrenztheit der Zeichen von ))Talar und Pelza auch die Grenzen der Reprbentation erkennen la&, erst wenn die wStiefelcc und ))Leihgabenc( des Privilegs abgestreift sind, erst dann ))kann man ... sehn, wie es in der Welt hergeht, ohne Augencc.

Das aber heiBt: ein neuer Realismus zeichnet sich ab, in dem geistige Erkenntnis und soziale Reprasentanz, der Akt des Reprasentierens und die

Page 3: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Statussymbol und Reprasentationsproblematik in Konig Lear 223

Welt der Reprasentierten nicht mehr wie von selbst zusammen gehoren. Der schmale Pfad zwischen der Autoritat der Wissenden und Sehenden und der Autoritat der Amter und Institutionen ist an einem Scheideweg angelangt. Die Legitimation durch Erkenntnis (und Erlebnis, GenuD, Liebe) und die Legitimation durch Macht (und Ansehen, Gesetz, Gewohnheit) gehen ge- trennte Wege, die - bis hin zu Antonius ynd Cleopatra - jeden integralen Autoritatsbegriff in Shakespeares Texten ausschliel3en werden. Was am Ende bleibt, ist eine poetische Projektion der ))Autoritatcc, die vom Leid ihrer Opfer, nicht vom Buchstaben ihrer Vollstrecker ausgeht. Die Signifikation von ))authoritycc ist in heftige Bewegung geraten; sie hat die in der Zeitge- schichte ungeheuerliche Strecke von der Autoritat der Macht zur Autoritat der Erkenntnis zuriickgelegt. Das ist ein Leidensweg; die Tragik des Stuckes hat mit der unertraglichen Pein zu tun, die es in Lears Welt bereitet, Legitima- tion und Erkenntnis, Reprasentanz und Wissen, Amt und Weisheit in eins zu tun.

Dies ist zweifellos der Hohepunkt von Shakespeares erstaunlicher Umwer- tung von ))authority((, aber es ist nicht sein letztes Wort dazu. In seinen spaten Stiicken erneuert und erweitert sich das Bild der Autoritat noch einmal. Diese ist von vielen Gefahren umgeben, wenn sie, wie im Sturm, sich aller gewalttatigen Garantien entledigt, um nur noch den Kiinsten und neuen (nicht allen) Gruppen von Menschen zu dienen. Wahrend nun Gesetz und Gerechtigkeit, Politik und Moral wieder naher zusammenriicken, bleibt doch Caliban, der Ausgebeutete, drauDen und das Gefiihl der Sicherheit streng begrenzt; es gibt keine GewiDheit, daD dieses groDere Model1 der Autoritat nicht miobraucht oder gestiirzt werden kann, daD es nicht mit all ))den wolkengekronten Tiirmen, den prachtigen Pallstencc im Chaos enden wird. Das Versprechen der Freiheit ist unvollstandig und prekar, aber es tont am hellsten in der gegenseitigen Bindung junger Menschen. Und im Hinblick auf ihre Jugend und Hoffnung, endlich, steht oder fallt nAutoritatcc.

Shakespeares Vision von der erlosenden Kraft der Jugend mag womoglich - nach Frances Yates - eine historische Situation im Zusammenhang mit der sogenannten uelisabethanischen Erneuerungcc umschreiben (in deren Mittel- punkt die hoffnungsvollen Kinder Jakobs I. tan den)^. Dariiber hinaus mu0 ndas Erbe der Autoritat, gemessen an den Zielen der Jugend,(( in jedem Fall als ))eins der groDen Themen Shakespearesd bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang weist die so gestellte Frage nach der Autoritat der Vater gerade auch auf die groDte der Tragodien zuriick. Sie ist indes nicht auf

Page 4: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

224 Robert Weimann

Konig Lear beschrankt, sondern laDt sich zuriickverfolgen bis in das tragische Dilemma von Hamlet und teilweise auch Brutus, das gerade auch aus ihrer ambivalenten Haltung zum Geist der Vater (der Geist Casars darin einbegrif- fen) folgert. Indem Shakespeare das Erbe der Vater und Vorfahren akzentu- iert und dennoch als problematisch, wiewohl unausweichlich, darstellt, schafft er den tragischen Helden aus einem Diskurs, der am Ende Autoritat nur dann noch duldet, wenn sein eigner Gegenstand - also die Fiktion figiirlicher Humanitit - diese als angemessen zu bejahen vermag. So kann die fast selbstzerstorische Auseinandersetzung um die Gultigkeit des Erbes der Vater dam beitragen, die Wege der Reprasentation mit der Welt des wirklich gelebten Lebens und zugleich mit dem Spiel mit den Zeichen von Zeichen erneut zusammenfuhren.

I In Konig Lear erreicht die Autoritatskrise der Zeit einen unvergleichlichen Hohepunkt. Die dramatische Reprasentation von Herrschaft, Besitz und Erbschaft wird davon so tief betroffen. Das ist ein beispielhafter Vorgang, der das Stuck am Ende zur Tragiidie der Reprasentation uberhaupt werden IaDt. Der Akt der Reprasentation als krisenhafter Vorgang der Stellvertre- tung, der Delegation, der Interessenwahrnehmung wird selbst zum Thema erhoben und die Frage wird gestellt: Wodurch und womit kann Macht dele- giert werden? Wie kann der einzelne fiir ein Amt, oder ein Amt fiir den einzelnen und die vielen ein-stehen? 1st es iiberhaupt miiglich, die gesellschaft- liche Welt der Politik und des Zeremoniells und die (nicht weniger vergesell- schaftete) Welt des Gefiihls, des Denkens, der Liebe, der Liebesbezeugung miteinander, also unter einem Legitimationsgestus zu versohnen? Wie das Stuck zeigt, stoDen diese beiden Welten - und mit ihnen grundverschiedene Versionen von >)authority(< in den jeweiligen Diskursformen - unvereinbar aufeinander.

Beginnen wir unsere Lektiire mit den soeben bereits zitierten Zeichen zeitgenossischer Autoritiit, in denen sich - im theatralischen Vorgang - die sozialen und die semiotischen Dimensionen der Repriisentation sogleich ganz eng verflechten: ))Talar und Pelzcc (Robes und furr’d gowns; IV, 6, 165), wie auch die kostbaren Stiefel und Gewiinder des Kiinigs repriisentieren die Welt der Machtigen. Diese Kleidungsstiicke sind theatralische Zeichen, doch das von ihnen Bezeichnete hat nur wenig mit der Pracht des Ansehens zu tun, die sie - als vorgegebenes Signifikat einer hierarchisch eingekleideten Stande-

Page 5: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Statussymbol und Reprasentationsproblematik in Konig Lear 225

gesellschaft - vor sich hertragen. Der kostbare Aufzug blendet nur: Diese Bilder der Autoritat sind bruchig. Die so eingekleidete )>authority(( ist gekenn- zeichnet durch einen Zwiespalt zwischen den Zeichen ihres Image und den Funktionen ihres Gebrauchs. Lear spricht es aus: Der zahnefletschende Hund, der den Bettler jagt, zeigt den wirklichen Gebrauch von >)the great image of authority((.

Lear: ... Sahst du wohl eines Pachters Hund einen Bettler anbellen? Gloster: Ja, Herr! Lear: Und der Wicht lief vor dem Koter: da konntest du das groBe Bild der Autoritat erblicken; dem Hund im Amt gehorcht man. Du schuft’ger Biittel, weg die blut’ge Hand! Was geiBelst du die Hure? Peitsch dich selbst; Dich liistet heiB mit ihr zu tun, wofiir Dein Arm sie staupt. Der Wuch’rer hangt den Gauner; Zerlumptes Kleid bnngt kleinen Fehl ans Licht, Talar und Pelz birgt alles. Hiill in Gold die Siinde, Der starke Speer des Rechts bricht harmlos ab; In Lumpen, - des Pygmaen Halm durchbohrt sie. Kein Mensch ist siindig; keiner, sag’ ich, keiner; Und ich verbiirg’ es, wenn - versteh, mein Freund, - Er nur des Klagers Mund versiegeln kann. Schaff Augen dir von Glas, Und tu wie ein schabiger Politiker, Als sahst du die Dinge, die du doch nicht siehst. Nun, nun, nun, nun! Zieht mir die Stiefel ab! Starker, starker - so!

(Lear; ... Thou hast seen a farmer’s dog bark at a beggar? Gloster: Ay, sir. Lear: And the creature run from the cur? There thou mightst behold the great image of authority: a dog’s obey’d in office. Thou rascal beadle, hold thy bloody hand. Why dost thou lash that whore? Strip thy own back; Thou hotly lusts to use her in that kind For which thou whip’st her. The usurer hangs the cozener; Through tatter’d clothes small vices do appear; Robes and furr’d gowns hide all. Plate sin with gold, And the strong lance of justice hurtless breaks; Arm it in rags, a pigmy’s straw does pierce it. None does offend, none - I say none; I’ll able ’em. Take that of me, my friend, who have the power To seal th’ accuser’s lips. Get thee glass eyes, And, like a scurvy politician, seem To see the things thou dost not. Now, now, now, now! Pull off my boots. Harder, harder - so.) (IV, 6 , 154-175)

Page 6: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

226 Robert Weimann

Mi t den kostbaren Kleidern ist eine problematische Autoritit vorgegeben. Talar und Pelz konnen nicht wirklich reprasentieren. Diese Reprasenta- tionskrise sozialer Zeichen wird hier zum dramatischen Vorgang: Er kulmi- niert darin, daB Lear zweimal die Zeichen dieser Zeichen - die Stiefel und zuvor andere Leihgaben der Macht, die ))lendingscc (111, 4, 107) - abstreift. Sie haben ausgedient als Bilder einer Macht, die Lear nicht mehr besitzt oder begehrt. Ihr Verlust macht ihn sehend - und zugleich auch wahnsinnig.

In der Standegesellschaft sind die kostbaren Stiefel hochst konkrete Status- symbole, autorititsbehaftete Zeichen der Herrschaftlichkeit. Da sich Lear von ihnen trennt, verwirft er auch den Anspruch auf jene Machtbefugnis, den Goneril dem ))idle old man(< nachsagt, der moch immer jene Amter versehen mochte,/Die er doch abgegeben hatcc (that still would manage those authorities/That he hath given away! I, 3, 17ff.). Wie die Stiefel, ist diese ))Autoritatcc ein Attribut jener Machtbefugnis, die - in Pluralform mit dem Verbum ))manage(( verbunden - als Amtsbefugnis zugleich auch veraul3e- rungsfiahig, als ablegbar oder expropriierbar, charakterisiert wird.

Dem tritt nun - ganze vierzig Zeilen spiter - eine ganz andere Auffassung von ))authority(( gegeniiber. Diese horen wir aus dem Mund von Kent, der dem bereits ))armen ... Konigcc (I, 4, 19) seine Dienste anbietet:

Kent: ... ihr habt etwas in eurem Wesen, das ich gern Herr nennen mkhte. Lear: Was ist das? Kent: Autoritlt.

(Kent: ... you have that in your countenance which I would fain call master. Lear: What’s that? Kent: Authority,)

(I, 4, 27-30)

Der Gegensatz, ja der Konflikt beider Bedeutungsinhalte verliuft zwar nicht auf der Linie der mit der Reformation verbundenen Umwalzung, etwa von der alten zur neuen Kirche, umspannt jedoch ein semantisches Feld, das durch den Gegensatz von Feudalismus und Protestantismus aktualisiert und als politisch-theologischer Raum dem zeitgenossischen Diskurs zur Verfii- gung stand. Darin war - nach den Worten von Christopher Hill - Raum einerseits fiir ))cine auBere und ... gegebene Autoritatcc, andererseits f i i ueine innere (internal) Autoritat, deren Gultigkeit in Diskussiond mit Gkichge- sinnten iiberpriifbar war.

Kents Gebrauch von )>authority(( ist natiirlich nicht identisch mit dem modern-protestantischen; das ist schon insofern nicht moglich, als sich bei

Page 7: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Statussymbol und Reprtisentationsproblematik in Konig Lear 227

Kent eine moderne Verinnerlichungstendenz mit der Treue zur feudalen Lehnshoheit der Personlichkeit auch noch jenseits des Amtes verbindet. Viel- mehr unterliegt ))authority(( in Konig Lear diversen Spielarten der Umgestal- tung; das Konzept bezeugt und bewegt den ProzeD jener Verweltlichung, der die Anverwandlung des Protestantismus im Zeichen einer spaten nationalen Renaissance begleitet. Die dabei vollzogene Spaltung der Autoritat fiihrt zu jener ngespaltenen Autoritatcc, eben zu einer ))bifold authoritycc (Troilus und Cressida, V, 2, 142), mit epochaler Konsequenz fur das Verhaltnis von Den- ken, Schreiben und Handeln: nauthoritycc spaltet sich in seine funktional bestimmten (auf Amts- und Machtausubung gestiitzten) und in seine persona- len (auf personliche Wiirde und moralischen Rang) sowie seine geistigen (auf Erkenntnis, Wissen, Logik gestiitzten) Dimensionen und Kriterien. Ganz gewil3 sind vergleichbare Differenzierungen diskursiver Interessen und Tatig- keiten schon im Diskurs des spaten Mittelalters, ja des klassischen Altertums und vor allem des Hellenismus nachweisbar; allein bei Shakespeare wird diese Aufspaltung konstitutiv fur einen dramatischen Vorgang und Konflikt, der im Zentrum seiner groaten Tragodie steht. Man mu13 diese Aufspaltungen mitvollziehen, um die bittere, sarkastische Ironie in ))the great image of authoritycc zu verstehen. Hinter dem ))groDen Bild der Autoritatcc steht ja nicht so sehr das Bildnis eines machtigen Amtes, sondern - wie der erweiterte Kontext der soeben zitierten AuDerung belegt - eine umfassendere Sicht auf Machtbefugnis und Machtgebrauch. Der bellende Koter ist - als dramatische Metapher - auch ein ironisch verkurztes Symbol: als solches das Vehikel einer enttauschten Erwartung, daD da Recht sein miisse, wo schon Herrschaft ist. Diese Hoffnung auf Recht und die Autoritat durch Machtgebrauch gehen getrennte Wege: Eben das fiihrt zur ))bifold authoritycc, eben das macht die Autoritatskrise im nachreformatorischen Kontext dieser Tragodie aus, daD Amt und Wissen, Reprasentanz und Erkenntnis nicht miteinander gehen. So kommt es, daD in diesem Text Zeichen und Sinn, das ngrol3e Bildcc und die tatsachliche Bedeutung von ))Autoritatcc, so ironisch auseinanderklaffen. In einer positiven Sinngebung ist beides, das Recht und die Gerechtigkeit, Funktion und ))imagecc, schon nicht mehr reprasentierbar.

Dadurch kommt ))authority(( in Shakespeares Texten so widerspriichlich zur Sprache: ))Talar und Pelzcc bezeichnen das image, das Ansehen der Mach- tigen, darunter auch das des ))Richterscc (yond justice; IV, 6 , 152); doch das Tun des ))Richterscc und das des ))Diebscc sind austauschbar: xhange places and, handy-dandy, which is the justice, which is the thief?(( (1 53f.) Begierde

Page 8: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

228 Robert Weimann

und Appropriation bestimmen das Handeln hier wie dort. Austauschbar sind natiirlich nicht die wirklichen Zeichen und die im sechzehnten Jahrhundert strikt vorgegebenen Statussymbole von Hoch und Niedrig, wohl aber - im Theater - die Zeichen der Zeichen. Handydandy - das ist, auf den Begriff gebracht, die verkehrende Macht der Mimesis, und erst die bringt es an den Tag: Das ngrok Bild(c der Autoritat hat keine konstante Bedeutung, wohl aber eine Kehrseite der Korruption und Gewalt, wodurch die Funktion der Macht kein wirklich ))groBes Bild(c, das Walten des Gesetzes keine wirkliche Gerechtigkeit ergibt. Genau diese Differenz zwischen dem Bild beziehungs- weise dem Zeichen der Autoritat und seiner moglichen Bedeutung birgt Raum fur jene unermeflliche Ironie, die in der Reprasentation von Autoritat als ))the great imagecc beschlossen liegt.

I1 Richten wir den Blick einmal uber Kiinig Lear hinaus, so wird mittels dieser Differenz bei Shakespeare immer wieder zyischen der Darstellung und der Bedeutung der Macht und ihrer Insignien zu unterscheiden sein. Das ist besonders augenscheinlich dort, wo sich Herrschaft in Schaustellung entfaltet - ein im England der absolutistischen Monarchie besonders funktionsreicher Vorgang.' Dafiir gibt es kein besseres Beispiel als der Gebrauch von )xeremo- nycc als einer bereits vom ordinaren Machtvollzug abgehobenen Reprasenta- tionsform von Herrschaft. Der Shakespearsche Spielraum zwischen der Dar- stellung und der Bedeutung von ))ceremony(( belegt und erhellt das nicht minder weite Spektrum von ))authority((. In Julius Caesar trifft die Praxis herrschaftlicher Selbstrechtfertigung durch zeremonielle Schaustellung auf das antisymbolische Republikanertum der Volkstribunen: Wahrend Caesar namlich Zeremonien die Fiille erlangt (Set on, and leave no ceremony out; I, 2, l l) , wollen die Tribunen Flavius und Marullus die Heiligenbilder von Caesars Zeremonien und Trophaen frei wissen: >)Disrobe the image/If you do find them deck'd with ceremonies((; I, 1, 65f.) Offensichtlich bedienen diese Zeichen sehr widerspriichliche Funktionen, die im jeweils verschiedenen politischen AnstoB sozialen Handelns und Kommunizierens begriindet liegen. Was diese Funktionen leisten, ob sie zum Guten oder Schlechten verhelfen, ist wiederum so offen wie der Brauch und MiBbrauch von Macht.

Das verdeutlicht sich in der g rokn Rede uber xeremonyci in Heinrich J! So wie Bedeutung und Gebrauch der Zeichen fiir Casar nicht identisch sind

Page 9: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Statussymbol und Reprasentationsproblernatik in Konig Lear 229 ~ ~~~ ~ ~~

mit dem Zweck, den sie fur Flavius und Marullus erfiillen, so liegen auch in Heinrichs Rede uber ))ceremony(( gegensatzliche Autoritaten miteinander in Widerstreit. Dabei unterscheidet der Konig selbst zwischen ))worth((, dem wirklichen, menschlichen Gebrauchswert, und den herrschaftlichen Zeichen der ))Zeremoniecc wie Balsam, Zepter und Krone.

Was hat ein Konig, das dem Einzlen fehlt, Als allgemeine Zeremonie nur? Und was bist du fur ein Gott, der mehr erleidet Von ird'scher Not, als deine Diener tun? Was ist dein Jahrsertrag? was deine Renten? 0 Zeremonie, zeig mir deinen Wert! Was ist die Seele deiner Anbetung? Bist du was sonst als Stufe, Rang und Form, Die Schau und Furcht in andern Menschen schafft? ... Ich, der ich's bin, durchschau dich, und ich weiB, Es ist der Balsam nicht, der Ball und Zepter, Das Schwert, der Stab, die hohe Herrscherkrone, Das eingewirkte Kleid mit Gold und Perlen, Der Titel, strotzend vor dem Konig her, Der Thron, auf dem er sitzt, des Pompes Flut, Die anschlagt an den hohen Strand der Welt: Nein, nicht all dies, du Prunk der Zeremonie, kann, auf majestat'schem Bette ruhend, je so gesund schlafen wie der arme Sklav ...

(And what have kings, that privates have not too, Save ceremony - save general ceremony? And what art thou, thou idol Ceremony? What kind of god art thou, that suffer'st more Of mortal griefs than do thy worshippers? What are thy rents? what are thy comings-in? 0 Ceremony, show me but thy worth! What is thy soul of adoration? Art thou aught else but place, degree, and form, Creating awe and fear in other men? ... I am a king that find thee; and I know 'T is not the balm, the sceptre, and the ball, The sword, the mace, the crown imperial, The intertissued robe of gold and pearl, The farced 'title running 'fore the king, The throne he sits on, nor the tide of pomp That beats upon the high shore of this world - No, not all these, thrice-gorgeous ceremony, Not all these, laid in bed majestical, Can sleep so soundly as the wretched slave ...) (IV, 1, 234-264)

Page 10: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

230 Robert Weimann

Der Gebrauch von ))ceremony(( in Shakespeares Text ist fur uns deswegen so aufschluBreich, weil damit - durchaus im Gefolge des nachreformatorischen BewuDtseins des Werts oder Unwerts kirchlicher Zeremonie - eine im sech- zehnten Jahrhundert ganz wesentliche Legitimationsform hofisch-absoluti- stischer Machtentfaltung angetastet wird. Die Aufrechterhaltung der Macht des Kiinigtums war in eiisabethanischer Zeit auf ihre ))Sichtbarkeitcr angewie- sen: ))Elizabethan powercc, so sagt Stephen Greenblatt, ))depends on its visibi- lity((.* Elisabeth wie auch Jakob sahen ihr konigliches Amt als einen politi- schen Akt der Selbstdarstellung auf offentlicher Biihne ())We princes are set on stages in the sight and view of all the w o r l d ~ ) ~ . In diesem Sinne ist - wie Stephen Orgel gezeigt hat - die ))Illusion der Machtcc auf der Buhne ein hochgradiges Politikum, das von der Macht der Illusion - innerhalb und auaerhalb des Theaters - nicht zu trennen ist.I0 Indes: zwischen den Zeichen wirklicher Konigsmacht und der Nachahmung dieser Zeichen mit Hilfe the- atralischer Zeichen bestand nun aber jene wesentliche Differenz, die aus dem Eingebundensein der Mimesis in einen spielerischen ProzeD der Kommunika- tion und Verstandigung uber Herrschaft (nicht aber: als Herrschaft) folgert. Gegen die Zeichen wirklicher Macht steht die Macht der sekundaren Zeichen, eben jene Mimesis von Krone, Szepter, Zeremoniell, die in ihrem Abgehoben- sein vom Zeichenaustausch wirklicher Machentfaltung griindet und gerade dadurch ein htiheres AusmaD der Spanne und der Spannung zwischen dem Reprasentieren und dem Reprasentierten, zwischen Zeichen und Bezeichne- tem, Darstellen und Bedeuten ergriinden kann.

Fassen wir ))Zeremoniecc in ihrer absolutistischen Herrschaftsfunktion, so besteht diese gerade darin, daD sie alle Zeichen der Macht aufbietet mit dem Ziel und der Pramisse zugleich, daD zwischen Zeichen und Bedeutung eine volle Geschlossenheit und Kongruenz wirkt. Gerade das ist die Prunkfunk- tion der wirklichen Goldkrone, da13 sie - anders als das blecherne Utensil des Schauspielers - mit dem bedeutenden Glanz der Herrschaft wirklich Identidt erstrebt. In diesem Sinne ist die klinigliche Zeremonie pure Repri- sentation, darin jedem Zeichen eine untrennbar fixierte Bedeutung, jedem image eine unverriickbare soziale Funktion vorgegeben ist. Doch diese ge- schlossene Reprasentationsform von Herrschaft wird nun im Theater aufge- brochen. An die Stelle des wirklichen Agenten koniglicher Macht tritt ein Akteur, der nur vorgibt: Die theatralische Mimesis ermiichtigt ihn zur spieleri- schen Freiheit, das zu reprasentieren, was er in Wirklichkeit - als Mime - gar nicht ist. Diese Ermichtigung durch Mimesis hat etwas Unheimliches:

Page 11: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Statussymbol und Reprasentationsproblematik in Konig Lear 23 1

Wirkliche Empfindung wird durch unwirklichen AnlaD mobilisiert; der Akt der Nachahmung ist zugleich ein Akt der Tauschung, der Entwirklichung vorgetauschter Verhaltnisse durch Aneignung ihres Scheins, durch Beherr- schung der Zeichen der Zeichen der Macht.

Eben diese ))Eigenmachtigkeitcc der Mimesis und die damit verbundene ))radical potentiality of the theatercc" konstituiert den Kontext, in dem die Autoritat von Krone und Szepter in ihren menschlichen Grenzen demon- striert werden kann. Durch die in Shakespeares Tevt gestellte Frage nach dem )>Wertcc der Zeremonie erweist sich, daD diese - die selbst reines Zeichen ist - einen problematischen Bezug zum Lebens-Sinn hat. Da entpuppt sich xeremonycc als nidolcc, als ))Gotzecc, weil sie nichts einbringt: keine Pacht, keinen Ertrag, rein gar nichts Greifbares kann sie liefern, es sei denn ))Stufe, Rang und Formcc. Sie ist auch keine Hilfe, die dem Machtigen Trost verschafft oder ihm gar innere Zufriedenheit, Ruhe, erquickenden Schlaf verleiht. Und das heiDt nichts anderes, als daD nZeremoniecc - im Vorgang theatralischer Kommunikation und Verstandigung - solchen Kriterien unterworfen wird, die der Zeichenfunktion des ))Prunkscc vorausliegen und seinem herrschaftli- chen Signifikat zuwiderlaufen. Gefragt wird nach einem Gebrauchswert und einem Tauschwert, der auch ))Pachteinnahmencc (rents) und ))Einkommencc (comings-in), also burgerlichen Lebensertrag, umschlieDt.

Da nun die alten, primaren Zeichen der Zeremonie mit der neuen Bedeu- tung ihrer sekundaren Bezeichnung im Theater zusammenstoDen, wird der Begriff >)ceremony(( - wie auch ))authoritycc - in Shakespeares Texten vieldeu- tig, ja semantisch uberdeterminiert. So wie das ))groDe Bild der Autoritatcc auf einen UberschuD an Bedeutung befragt wird, so muD der dreifach gesteigerte ))Prunk der Zeremoniecc (thrice gorgeous ceremony; 262) sich auch die Suche nach einem Wert jenseits von Herrschaft und Unterdruckung gefallen lassen.

rrr Kehren wir zu der oben zitierten AuDerung Lean zuriick, so hat Shakespeare selbst diese offene, durch mimetische Performanz bestimmte, heterogene Form der Reprkentation in einen bemerkenswerten Gegensatz zum politi- schen Diskurs seiner Zeit gestellt. Dieser Diskurs bedient die herrschenden Funktionen von nauthoritycc, aber verzichtet auf Erkenntnis und auf Wissen als Autoritatsgrund. Und so sagt Lear: Handele wie ein whabiger Politikercc

Page 12: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

232 Robert Weimann

(scurvy politician), wchaff Augen dir von Glascc - ersetze dein eigenes, das menschlich eindrucksreichste Wahrnehmungsorgan durch etwas Fremdes - und ))gib vor, Dinge zu sehen, die du nicht siehstcc (seem/To see the things thou dost not; IV, 6, 170-172).

Gegen das Bild politischer Entfremdung und okonomischer Unterdruk- kung steht - gleichsam als diametral entgegengesetzte theatralische Tatigkeit - die durch Blindheit, Wahnsinn und Verkleidung beforderte Mimesis des Reprasentationsverzichts. Diese beginnt bei der Darstellung krisenhaften Verhaltens, das durch Verlust von Rang und Wurden (Gloster, Lear, Edgar) neues Profil und hohere Menschlichkeit erringt. Das endet bei der Forderung - aus dem Munde von Lear und Gloster - nach der gerechten Verteilung der Guter. Die Umverteilung des Reichtums ist ein wiederkehrendes Thema; es wird gerade in jenem Zusammenhang artikuliert, wo das Nicht-sehen-Kon- nen aus dem Nicht-fiihlen-Kiinnen des Reichen herkommt, also ein Defizit an sozialer Erfahrung und an Empfindung verrIt. Gloster reicht seine Borse dem Amen Tom mit diesen Worten:

... daI3 ich elend bin, Macht dich begliickter. - So ist’s recht, ihr Gctter! - LaBt stets den iipp’gen wollusttrunknen Mann, Der eurer Satzung trotzt, der nicht will sehen, Weil er nicht fiihlt, schnell eure Macht empfinden: Verteilung tilgte so das Ubermal3 Und jeder hltt’ genug.

(... that I am wretched Makes thee the happier. Heavens, deal so still! Let the superfluous and lust-dieted man That slaves your ordinance, that will not see Because he does not feel, feel your power quickly; So distribution should undo excess, And each man have enough.) (IV, 1, 67-72)

Gegen die Anspriiche der Satten und der Reichen verkorpert das Nirgendwo des xhristlichen Kommunismuscc (John F. Danbyl2) ein hiihergradig univer- sales Prinzip der Erfahrung und Verteilung, unter dem sich auch und gerade die Interessen der Minderprivilegierten subsumieren lassen. .Mit dem Stich- wort der nVerteilungcc (distribution) wird mittelbar auch die Frage nach den Eigentumsverhiiltnissen gestellt. Die Reprasentation der Besitzinteressen wird verweigert oder durch die Mimesis des Wahnsinns, der Blindheit und der

Page 13: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Statussymbol und Reprasentationsproblematik in Konig Lear 233

Verkleidung effektvoll durchkreuzt. Aus der damit umschriebenen Reprasen- tationskrise der Klassenherrschaft kommen die Trager wie die Opfer dieser Herrschaft zu Not und Tod; ihr Untergang erfolgt indes nicht vor dem Horizont einer utopischen Revolution der Verhaltnisse, wohl aber im Zeichen einer hohergradig universalen Reprasentanz des Allgemeinen- Menschlichen.

Diese Lesart der Tragodie gewinnt an Gewicht, sobald wir den Weg des Titel- helden von Anfang an als Ausweg aus einer unertraglichen Krise der Reprasen- tation verstehen konnen. Zu Beginn vergibt der alternde Lear Herrschaft, Landbesitz und Staatsgeschaft (we will divest us both of rule,/Interest of territo- ry, cares of state; I, 1,48f.). Er will den nNamencc und die Insignien des Konig- tums, nicht aber dessen Mittel bewahren (Only we shall retain/The naml, and all th’ addition to a king:/The sway, revenue, execution of the rest/Beloved sons, be yours; (1 34-137). Mit anderen Worten: Lear ist selbst der zielstrebigste Agent der Reprasentationskrise, der er von Anfang an Vorschub leistet. Er mochte im Signum, im ))Namencc, in den Zutaten (addition) des Konigs schon das Unterpfand erblicken, das ihn zur Reprasentation autorisiert. Das aber heifit: Reprasentation wird im sensibelsten Punkt des Zusammenhalts von Zei- chen und Macht auf eine harte Probe gestellt. Die Tragodie Lears beginnt dort, wo der Name aufhort, fur die Sache zu stehen, wo das Wortzeichen als Funktion wirklicher Bedeutung versagt.

So beginnt das ganze Stuck mit der Frage nach der Problematik der Reprasentation, inszeniert in der Zeremonie der Reichsteilung, die sogleich einen tragisch-folgenreichen Konflikt zwischen Herrschaftseffekt und Liebes- verlangen heraufbeschwort. Diese Eingangszene ist als grofier Vorgang ent- worfen: Es ist die letzte, hochste Reprasentation der unteilbar erwunschten Macht des Konig-Vaters uber Lander und Herzen, die noch einmal, ein letztes Mal, in einer ))soul of adoration((, in ))place, degree and form((, in ))awe and fear in other men(( gipfelt - ganz im Sinne des herrschaftlichen Zeremoniebe- griffs in Heinrich V: (IV, 1,241 ff.). Doch die von Lear erwartete Liebesbezeu- gung der Tochter zeigt im unerbittlichen Konflikt von Zeremonie und Wahr- heit die zweifache Grenze der Reprasentation: Zum einen wird die Liebesver- sicherung, also die der Macht des Konig-Vaters fiber die Herzen, von Reagan und Goneril als ein reiner Akt hofischen Zeremoniells verstanden und ent- sprechend absolviert. Zum anderen wird dieser Akt jedoch von Lear und erst recht von Cordelia unter dem Gesichtspunkt des Abbilds und des Ausdrucks wahrhaften Empfindens verstanden. Der Gegensatz zwischen dem zeremo-

Page 14: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

234 Robert Weimann

niellen Diskurs von Reagan und Goneril und der Gefuhlsaskese der wahr- heitsliebenden Cordelia eroffnet einen Widerspruch, der sogleich gegensatzli- che Normen der Autorisation sozialen Handelns in das Stuck einfuhrt. Re- agan und Goneril dienen der reinen Reprasentanz des erwarteten Machteffekts. Wahrend Lear den Herrschaftseffekt der Zeremonie mit Menschlichkeit, also mit dem wahrhaften Ausdruck der Elternliebe, vereinen zu konnen glaubt, geht Cordelia noch einen Schritt weiter: Sie vermag die Zeichen wirklicher Liebe nicht mit dem Zeremoniell der Macht zu ver- mischen. Zwischen nStufe, Rang und Formcc der hofischen Welt und dem nWertcc der von ihr empfundenen Liebe steht die Scheidewand einer be- klommenen Zuriickhaltung. Die in ihr Schweigen hineingelegte Verweigerung des feudalen Herrschaftseffektes enthalt eine Weigerung, HScheu und Furchtcc, ))awe and fear in other mencc, uberhaupt als ))worthcc (wert) anzuerkennen.

Wahrend also die Wortzeichen bei Goneril und Reagan ein konventionelles Signifikat und eine rein soziale Funktion (unabhangig von ihrem Wahrheits- gehalt) erfillen, sieht Cordelia die Zeichen ihrer Sprache als einen mehr individuellen Ausdruck ihres Empfindens. Zwei Reprasentationsmodelle prallen aufeinander, in denen sich feudalpolitische, machiavellistisch-moderne und protestantisch-verinnerlichte Autorisationsformen des Diskurses kreuzen und schlieDlich lebhaft miteinander kollidieren. Im Zentrum der Kollision, als ihr Agent und zugleich ihr Opfer, steht Lear selbst. Er kann nicht fassen, daD Cordelia die Zeremonie (fiir sie die iiffentliche Schaustellung ihres wahren Empfindens) als ein falsches Repriisentationsgeschehen ausschlagt. Lear - das ist die GroDe dieses Protagonisten - erhofft eine Integration von Zeremo- nie und ))Wertcc, Macht und Diskurs, materieller und geistig-verinnerlichter Autoritat; darauf baut das gesamte Projekt seiner Gewalteinteilung, sein Altenteil, genahrt aus Liebe und Macht zugleich. Dagegen ist Cordelias Verweigerung ein schwerer Schlag: Der Bruch zwischen dem Sinn ihrer Liebe und den Zeichen ihrer Sprache ())my love’s/More ponderous than my ton- gue<(; 72f.) ist ein folgenschwerer Einbruch in die von Lear genahrte Illusion einer bleibenden Eintracht zwischen. innerer und aukrer Autoritat, Sprache und Herrschaft. Indem Lear in die grol3e Repriisentationskrise des unterge- henden Feudalismus geht, wo das Verhiltnis von Zeichen und Bedeutung nur als Formalitat gilt, begegnet er dem Prinzip der protestantischen Verin- nerlichung, worin das Verhaltnis von Wort und Empfindung bereits inkom- mensurabel geworden ist.

Page 15: Autorität der Zeichen versus Zeichen der Autorität. Statussymbol und Repräsentationsproblematik in König Lear

Statussymbol und Reprasentationsproblematik in Konig Lear 23 5

ANMERKUNGEN 1. Shakespeare-Zitate durchweg nach: William Shakespeare, The Complete Works,

hg. von Peter Alexander (London und Glasgow 1951). Die Verdeutschung folgt der von mir durchgesehenen und gelegentlich prazisierten Ubertragung von Schlegel/ Tieck.

2. Ernest Schanzer, The Problem Plays of Shakespeare (London 1953), S . 6. 3. J. W. Lever, Einleitung zu Measure for Measure. Arden Edition (London 1965),

4. Vgl. Frances A. Yates, Shakespeare's Last Plays. A New Approach (London 1979,

5. Ebenda. 6. Christopher Hill, ))The Problem of Authority((, in Religion and Politics in 17th

Century England (Brighton 1986), S . 37-50; Zitat S. 47. 7. Vgl. dazu Stephen Greenblatt, ))Invisible Bullets: Renaissance Authority and Its

Subversion((, in Political Shakespeare. New Essays in Cultural Materialism. hg. von Jonathan Dollimore und Alan Sinfield, (Manchester 1985), S. 44f. Ferner: Stephen Orgel, The Illusion of Power: Political Theater in the English Renaissance (Berkeley und Los Angeles 1975).

S. xcvii.

S. 13-19.

8. Greenblatt, a. a. O., S. 44. 9. Zit. in J. E. Neale, Elizabeth I and her Parliaments: 1584-1601 (London 1957), S.

119. Diese Worte miissen in ihrem vollen Kontext gelesen werden: Es geht um die Aburteilung von Mary Stuart, wodurch der Plural ))we princes(( eine sinistre Nebenbedeutung (gerade im Hinblick auf ))stages(() assoziiert, dem dann auch prompt ein durchsichtig inszenierter Machiavellismus in Elisabeths Rede folgt.

10. Neben der oben (Anm. 8) zitierten Arbeit von Orgel vgl. die brillianten Studien von Louis Adrian Montrose und Steven Mullaney zu diesem Problemkreis. Ferner: Jonathan Goldberg, James I and the Politics of Literature (Baltimore und London 1983).

1 1 . Michael Bristol, Carnival and Theater. Plebeian Culture and the Structure of Autho- rity in Renaissance England (New York und London 1985), S. 113.

12. John F. Danby, Shakespeare's Doctrine of Nature. A Study of ))King Learcc (London 1961), S. 186.