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.SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012): Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick über die Auswirkungen auf das Fremdenrecht der Mitgliedstaaten anhand des EWG-Türkei-Abkommens SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 4-16. doi: 10.7396/2012_2_A Um auf diesen Artikel als Quelle zu verweisen, verwenden Sie bitte folgende Angaben: Rieser-Angulo García, Yvonne (2012). Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick über die Auswirkungen auf das Fremdenrecht der Mitgliedstaaten anhand des EWG-Türkei-Abkommens, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 4-16, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2012_2_A. © Bundesministerium für Inneres Sicherheitsakademie / Verlag NWV, 2012 Hinweis: Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (http://nwv.at) erschienen. Online publiziert: 3/2013

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Page 1: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-Journal ndash Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis

Rieser-Angulo Garciacutea Yvonne (2012)

Assoziationsabkommen der Europaumlischen Union Uumlberblick uumlber die Auswirkungen auf das Fremdenrecht der Mitgliedstaaten anhand des EWG-Tuumlrkei-Abkommens

SIAK-Journal minus Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis

(2) 4-16

doi 1073962012_2_A

Um auf diesen Artikel als Quelle zu verweisen verwenden Sie bitte folgende Angaben

Rieser-Angulo Garciacutea Yvonne (2012) Assoziationsabkommen der Europaumlischen Union Uumlberblick uumlber die Auswirkungen auf das Fremdenrecht der Mitgliedstaaten anhand des EWG-Tuumlrkei-Abkommens SIAK-Journal minus Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2) 4-16 Online httpdxdoiorg1073962012_2_A

copy Bundesministerium fuumlr Inneres ndash Sicherheitsakademie Verlag NWV 2012

Hinweis Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (httpnwvat) erschienen

Online publiziert 32013

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Assoziationsabkommen der Europaumlischen Union Uumlberblick uumlber die Auswirkungen auf das Fremdenrecht der Mitgliedstaaten anhand des EWG-Tuumlrkei-Abkommens

Fuumlr die Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union stellt sich zunehmend die Herausfordeshyrung neue integrationspolitische Maszlignahmen mit auf Assoziierungsabkommen basieshyrenden Rechten von Drittstaatsangehoumlrigen also den sie betreffenden voumllker- und unishyonsrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen Insbesondere hinsichtlich tuumlrkischer Staatsbuumlrger hat sich in Oumlsterreich aber auch in anderen EU-Laumlndern ndash wie etwa in Deutschland Groszligbritannien und in den Niederlanden ndash in den letzten Jahren die Problematik gezeigt dass einige der nationalen Novellen des Fremdenrechts oder Maszligshynahmen zur Foumlrderung der Integration Neuerungen vorsahen die aus assoziationsrechtshylicher Sicht als bdquounzulaumlssige Beschraumlnkungenldquo einzustufen waren

YVONNE RIESER-ANGULO GARCIacuteA

Referentin im Referat bdquoEU-Grundshysatzfragen und Koordinationldquo im

Bundesministerium fuumlr Inneres

WAS VERSTEHT MAN UNTER entwicklungen des Assoziationsverhaumllt-ASSOZIIERUNGEN nisses verantwortlich zeichnen Kurz Sie Unter Assoziierung wird die Verbindung formen das Assoziationsrecht aus und geshyeines Drittstaats mit einer internationalen stalten dieses meist dynamisch1 Im Voumll-Organisation verstanden Eine Assoziie- kerrecht wird unter Assoziierung eine rung ist nicht mit einer Mitgliedschaft Sonderstellung von Staaten Gebieten oder gleichzusetzen dennoch kann sie einer internationalen Organisationen verstanden Mitgliedschaft sehr nahe kommen Der die besonders enge Beziehungen zu einer wesentliche Unterschied zwischen einer internationalen Organisation unterhalten Mitgliedschaft und einer Assoziierung be- gleichzeitig aber nicht Mitglieder dieser steht darin dass der Drittstaat im Rahmen Organisation sind Das Unionsrecht untershyeiner Assoziierung nicht in den Organen scheidet ferner zwischen vertraglicher und der internationalen Organisation mitwirkt konstitutioneller Assoziierung2 Die folshysondern neue gemeinsame Organe fuumlr die gende Analyse beschaumlftigt sich ausschlieszlig-Willensbildung innerhalb der Assoziation lich mit der vertraglichen Assoziierung geschaffen werden In diesen Organen weshalb in Folge bdquoAssoziierungldquo synonym sind stets sowohl die internationale Orga- fuumlr bdquovertragliche Assoziierungldquo verwendet nisation als auch der assoziierte Drittstaat wird vertreten Die Organe der Assoziation Gemaumlszlig Art 217 AEUV3 (vorm 310 EGV4) koumlnnen nicht nur mit der Uumlberwachung kann die Europaumlische Union mit Drittstaashyder Durchfuumlhrung und der Einhaltung des ten Staatenverbindungen oder internatio-Assoziierungsabkommens betraut werden nalen Organisationen Assoziierungsabshysondern auch fuumlr Aumlnderungen und Weiter- kommen uumlber gegenseitige Rechte und

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Pflichten gemeinsames Vorgehen und beshysondere Verfahren abschlieszligen Zustaumlndig fuumlr den Abschluss ist auf Unionsseite der Rat (die Verhandlungen werden von der Europaumlischen Kommission im Auftrag des Rates gefuumlhrt) der dabei der Zustimmung des Europaumlischen Parlaments bedarf Die institutionelle und materielle Ausgestalshytung der einzelnen Assoziierungsabkomshymen ist sehr verschieden denn die Moumlgshylichkeiten des rechtlichen Rahmens sind breit gefaumlchert Gemaumlszlig der dem Europa-recht immanenten bdquoHallstein-Formelldquo5 kann sich ein Assoziierungsabkommen bdquozwishyschen einem Handelsabkommen plus 1 ldquo und bdquoeiner Mitgliedschaft minus 1 ldquo beshywegen In Assoziierungsabkommen deren Zusatzprotokollen sowie in Beschluumlssen von Assoziationsraumlten koumlnnen Regelungen getroffen werden die nicht nur unionsshyrechtlich bedeutsam sind sondern die auch fuumlr das nationale Recht der Mitgliedstaaten der Union weitgehende Konsequenzen hashyben koumlnnen Beispielsweise indem bei spaumlteren Aumlnderungen des nationalen Rechts aus Assoziierungsabkommen abgeleitete Sonderstellungen von (bestimmten Grupshypen von) Drittstaatsangehoumlrigen gewahrt werden muumlssen Je nach politischem Zweck werden drei Kategorien von Assoziierungsshyabkommen unterschieden

erstens die bdquoBeitrittsassoziierung6ldquo (auch bdquodynamische Assoziierungldquo genannt) sie ist der weitreichendste Grad an Beshyteiligung am Unionsrechtsrahmen und ist ausschlieszliglich in den Beziehungen der Union zu europaumlischen Staaten releshyvant Die betroffenen Staaten sollen im Rahmen des Assoziierungsverhaumlltnisses fuumlr einen spaumlteren Beitritt zur Union vorshybereitet werden zweitens die bdquoEntwicklungsassozishyierung7ldquo welche unter dem Aspekt der bdquoEntwicklungspolitik und Entwickshylungshilfeldquo mit meist auszligereuropaumlischen Staaten eingegangen wird und

drittens die bdquoFreihandelsassoziierung8ldquo bei der wirtschaftliche Aspekte im Vorshydergrund stehen

Assoziierungsabkommen werden meist (mit Ausnahme der Abkommen mit Malta und Zypern sowie der fruumlheren Abkomshymen mit Marokko und Tunesien) als geshymischte Abkommen also als Abkommen zwischen der Union und ihren Mitgliedshystaaten mit dem jeweiligen Staat geschlosshysen Bei gemischten Abkommen ist neben der Ratifikation durch die Union auch eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union erforderlich Zu den wichtigsten bilateralen Abkommen9 die sich auf Art 217 AEUV stuumltzen zaumlhlen das 1963 mit der Tuumlrkei geschlossene Abkomshymen von Ankara (mit der Tuumlrkei besteht daruumlber hinaus seit Februar 2008 eine Beitrittspartnerschaft10) und das EG-AKPshyAbkommen11 Auch der Europaumlische Wirtschaftsraum ist primaumlr ein Assozishyierungsverhaumlltnis gemaumlszlig Art 217 AUEV (ex Art 310 EGV) zwischen der Europaumlishyschen Union und den EFTA-Staaten auf Basis einer hoch entwickelten Freihandelsshyzone12 Das EWR-Abkommen wurde ebenshyfalls als gemischtes Abkommen geschlossen ist integrierter Bestandteil des Unionsrechts entfaltet unmittelbare Wirkung und genieszligt Anwendungsvorrang vor entgegenstehenshydem nationalen Recht und Sekundaumlrrecht

Art 217 AEUV ordnet an dass die Assoshyziierung dadurch gekennzeichnet sein soll dass sie den Partnern gegenseitige Rechte und Pflichten einraumlumt und gleichzeitig gemeinsame Vorgehen und besondere Vershyfahren vorsieht Es genuumlgt gemaumlszlig der staumlnshydigen Rechtsprechung des EuGH dass die Abkommen allgemein einer reziproken wirtschaftlichen Interessenslage Rechshynung tragen waumlhrend eine strenge Gegenshyseitigkeit nicht gefordert wird13 Das Abshyschlussverfahren ist in Art 218 AEUV geregelt Das Europaumlische Parlament muss

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dem Abkommen gemaumlszlig Art 218 Abs 6 lit a i) AEUV zustimmen Assoziierungsshyabkommen sehen in der Regel als oberstes Organ einen bdquoAssoziationsratldquo vor der die Durchfuumlhrung des Abkommens uumlberwacht und berechtigt oder auch verpflichtet ist Beschluumlsse zur Durchfuumlhrung und zur Fortentwicklung der Assoziation zu treffen Aus der in Art 217 AEUV vorgesehenen Institutionalisierung der Beziehungen des Assoziierungsverhaumlltnisses kann ein Hinshyweis darauf entnommen werden dass die Beziehungen zum assoziierten Staat auf Dauer bestehen sollen Im Gegensatz zu Handelsabkommen sind Assoziierungsabshykommen daher meist auf unbestimmte Zeit geschlossen Vielfach enthalten Assoshyziierungsabkommen Regelungen deren Wortlaut identisch mit entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts ist Nach der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH sind gleichartige Begriffe in von der Union mit Drittstaaten geschlossenen Abkomshymen allerdings nicht zwangslaumlufig gleich auszulegen wie die ihnen entsprechenden Begriffe des AEUV Vielmehr ist auf Ziel und Zweck der Norm abzustellen (vgl dashyzu EuGH C-27080 Polydor14)

RECHTSWIRKUNGEN DES ASSOZIIERUNGSABKOMMENS VOumlLKER- UND EUROPARECHTshyLICHE VERPFLICHTUNGEN DER SIGNATARSTAATEN Als voumllkerrechtliche Vertraumlge unterliegen Assoziierungsabkommen hinsichtlich ihres Inkrafttretens und ihrer voumllkerrechtlichen Bindungswirkung den Regeln des allgeshymeinen Voumllkerrechts Allerdings gibt es fuumlr die Mitgliedstaaten der Union neben der voumllkerrechtlichen Bindung im Innenshyverhaumlltnis auch eine unionsrechtliche Bindungswirkung die sich aus der Rechtsshynatur von Assoziierungsabkommen abshyleiten laumlsst Die Mitgliedstaaten der Union sind doppelt also voumllkerrechtlich und

unionsrechtlich gebunden15 waumlhrend der assoziierte Drittstaat mangels Mitgliedshyschaft in der Union nur voumllkerrechtlich gebunden ist Die voumllkerrechtliche Binshydungswirkung trifft bei gemischten Abshykommen neben der Union auch ihre Mitshygliedstaaten wenn das Abkommen den uumlbrigen Vertragsparteien gegenuumlber keine ausdruumlckliche Kompetenzteilung offenlegt Hinsichtlich der unionsrechtlichen Binshydungswirkung sind Abkommen der Union auch fuumlr deren Organe und deren Mitshygliedstaaten verbindlich Die unionsrechtshyliche Bindungswirkung tritt mit voumllkershyrechtlichem Inkrafttreten automatisch ein ohne dass es eines weiteren Transformashytionsaktes bedarf Das Abkommen wird damit automatisch zu einem bdquointegrierten Bestandteil der Unionsrechtsordnungldquo Als integrierter Bestandteil der Unionsshyrechtsordnung sind Assoziierungsabkomshymen ndash so wie auch andere voumllkerrechtliche Vertraumlge ndash grundsaumltzlich geeignet im Unishyonsrecht direkte Anwendung zu finden (siehe dazu die Entscheidungen des EuGH Rs 18173 Haegemann Rs 1286 Demirel Rs C-16196 Racke Rs C-1890 Kziber) Damit genieszligen die Assoziierungsabkomshymen gemaumlszlig Art 10 AEUV Anwendungsshyvorrang gegenuumlber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten der Union Auch im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Sekunshydaumlrrecht der Union haben Assoziierungsshyabkommen Vorrang Ein solcher Anwenshydungsvorrang kommt ihnen hingegen nicht im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Prishymaumlrrecht zu Assoziierungsabkommen nehshymen sohin eine bdquoMezzanin-Stellungldquo zwishyschen Primaumlr- und Sekundaumlrrecht ein Dies gilt auch fuumlr Beschluumlsse des Assoziationsshyrats (vgl dazu beispielsweise die Urteile des EuGH in den Rechtssachen C-19289 Sevince und C-23791 Kus) Einzelne Beshystimmungen der Abkommen ihrer Zusatzshyprotokolle und der Beschluumlsse der Assoshyziationsraumlte koumlnnen unmittelbar anwendbar

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sein Dies sind sie dann wenn sie unter Beruumlcksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abshykommens eine klare und eindeutige Vershypflichtung enthalten deren Erfuumlllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhaumlngen (so der EuGH erstmalig 1987 in der Rs 1286 Demirel und in zahlreichen in der Folge ergangeshynen Urteilen)

ASSOZIIERUNG DER UNION UND IHRER MITGLIEDSTAATEN MIT DER TUumlRKEI

Rechtsgrundlagen Assoziierungsshyabkommen Zusatzprotokolle und Beschluumlsse des Assoziationsrates Ein besonders interessantes inhaltlich weitreichendes und historisch bedeutsames Assoziierungsverhaumlltnis der Union ist jeshynes mit der Tuumlrkei Da es (unter anderem auch) auf das nationale Fremdenrecht beshydeutende Auswirkungen hat und in diesem Bereich bereits Gegenstand zahlreicher Verfahren vor dem EuGH war wird dieser Teil der Assoziierung in der Folge naumlher eroumlrtert Die folgende Analyse stellt dabei in erster Linie auf jene Aspekte ab die aus fremdenrechtlicher Sicht in den Mitgliedshystaaten von besonderer Relevanz sind dh auf die Rechte im Bereich Niederlassung und Beschaumlftigung tuumlrkischer Staatsangeshyhoumlriger in der Europaumlischen Union Daneshyben ergeben sich aus der Assoziierung soshywohl fuumlr die Union als auch fuumlr die Tuumlrkei viele weitere nicht minder interessante Aspekte wie beispielsweise wirtschaftlishyche oder etwa soziale deren Analyse einer eigenstaumlndigen Darstellung beduumlrften und den Rahmen dieses Beitrages sprengen wuumlrden Da die folgende Darstellung nur die aus fremden- und beschaumlftigungsrechtshylicher Sicht wichtigsten Aspekte zusamshymenfasst kann anhand dieses Beitrages keine Wertung uumlber das Assoziierungsvershy

haumlltnis im Ganzen getroffen werden Zur Beurteilung der aus der Assoziieshy

rung abzuleitenden Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger sind sowohl das am 12 Sepshytember 1963 zwischen der damaligen EWG16 und der Tuumlrkei geschlossene Assoshyziierungsabkommen17 als auch dessen Zushysatzprotokolle und die Beschluumlsse des mit dem Assoziierungsabkommen geschaffenen EU-Tuumlrkei Assoziationsrats (vormals EWG- bzw EG-Tuumlrkei Assoziationsrat) relevant Sie sind fuumlr die Union ihre Mitshygliedstaaten und die Tuumlrkei rechtsverbindshylich und stehen im selben Rang wie das Assoziierungsabkommen selbst18 Maszligshygeblich fuumlr das nationale Fremden- und Auslaumlnderbeschaumlftigungsrecht sind neben dem Assoziierungsabkommen selbst auch das am 23 November 1970 unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen19 sowie die Beschluumlsse des Assoshyziationsrates EWG-Tuumlrkei Nr 276 vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhshyrung von Art 12 des Assoziierungsabkomshymens und Nr 180 vom 19 September 1980 uumlber die Entwicklung der Assoziation Art 12 des Assoziierungsabkommens sieht vor dass bdquohellip (d)ie Vertragsparteien vershyeinbaren sich von den Artikeln 48 49 und 50 des Vertrages (nunmehr Art 45 AEUV 46 AEUV und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellenldquo Art 36 des Zusatzprotokolls besagt weiter dass die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten und der Tuumlrkei nach den Grundsaumltzen des Art 12 des Assoziierungsabkommens schrittweise hergestellt wird Im Beschluss Nr 276 des Assoziationsrats wurde eine Reihe von Maszlignahmen zur Durchfuumlhrung des Art 12 vorgesehen sein Umfang ist aber relativ begrenzt In der Folge wurde Beschluss Nr 180 des Assoziationsrats erlassen um Art 12 des Assoziierungsabkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls durchzufuumlhshy

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ren Gemaumlszlig dem dritten Erwaumlgungsgrund des Beschlusses Nr 180 soll dieser im soshyzialen Bereich zu einer im Vergleich zu Beschluss Nr 276 besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitnehmer und ihrer Famishylienangehoumlrigen fuumlhren Er enthaumllt auch ein absolutes und umfassendes Vershyschlechterungsverbot (Stillhalteklausel) Auf Grund ihrer Relevanz fuumlr das nationashyle Aufenthaltsrecht werden die genannten Rechtsakte in der Folge zusammenfassend dargestellt20

ASSOZIIERUNGSABKOMMEN EU-TUumlRKEI Innerhalb der Gruppe der von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Assoziierungsabkommen kommt dem Abshykommen mit der Tuumlrkei aus zwei Gruumlnden besondere Bedeutung zu Erstens handelt es sich dabei um eine Beitrittsassoziierung und sohin um die wichtigste Untergruppe der Assoziierungsabkommen in Hinblick auf die Enge des Assoziierungsverhaumlltshynisses mit der Union bdquoWeiterldquo als das Abshykommen mit der Tuumlrkei gehen nur die mit den EFTA-Staaten im Rahmen des EWR getroffenen Sonderbestimmungen und die Abkommen mit der Schweiz Zweitens ist das Abkommen von groszliger historischer Bedeutung21 Es handelt sich nach dem 1961 mit Griechenland geschlossenen Asshysoziierungsabkommen um das zweite Abshykommen dieser Art Bereits im September 1959 hat sich die Tuumlrkei um die Aufnahme als assoziiertes Mitglied der EWG beworshyben Nur zwei Jahre nach der Unterzeichshynung des Abkommens mit Griechenland wurde am 12 September 1963 die Beishytrittsassoziierung der Tuumlrkei von der dashymaligen EWG (die in die EG uumlberging und deren Rechtsnachfolgerin wiederum seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissashybon die Europaumlische Union ist) und der Tuumlrkei in Ankara unterzeichnet Das Abshykommen mit Griechenland und das Abshy

kommen mit der Tuumlrkei enthielten als erste Assoziierungsabkommen Bestimmungen zur Freizuumlgigkeit In beiden Faumlllen wurde erstmalig in einem Assoziierungsabkomshymen ein spaumlterer Beitritt zur Union in Ausshysicht gestellt Im Erwaumlgungsgrund 4 der Praumlambel heiszligt es dass das Abkommen in der Erkenntnis geschlossen sei dass bdquodie Hilfe welche die EWG dem tuumlrkischen Volk (hellip) zuteilwerden laumlsst spaumlter den Beitritt der Tuumlrkei zur Gemeinschaft ershyleichtern wirdldquo22 Die Bestimmungen der Praumlambel geben weiter Aufschluss dashyruumlber dass das Ziel des Abkommens uumlber eine wirtschaftliche Annaumlherung hinausshyging Wirtschaftliche oder kulturelle Unshyterschiede sollten uumlberwunden werden um schlieszliglich einen Beitritt der Tuumlrkei zur Union zu erleichtern Das Abkommen ist ein eindeutiger Hinweis darauf dass beshyreits 1963 Uumlberlegungen zu einem Beitritt der Tuumlrkei zur Europaumlischen Union geshymacht wurden und zur damaligen Zeit beishyderseitiges Interesse an einer spaumlteren Mitshygliedschaft der Tuumlrkei in der Union bestand Der damalige Praumlsident der (ersshyten) Kommission der EWG der Deutsche Walter Hallstein bekraumlftigte dies in seiner Rede anlaumlsslich der Unterzeichnung des Abkommens in der er mehrmals betonte die Tuumlrkei bdquogehoumlre zu Europaldquo23 Art 12 Art 13 und Art 14 des Assoziierungsabshykommens folgen unter Bezugnahme auf die ihnen korrespondierenden Bestimshymungen des EWG-Vertrages (danach EG-Vertrag nunmehr AEUV) dem System der Grundfreiheiten Gemaumlszlig Art 12 des Abshykommens vereinbaren die Vertragsparteien sich von den Art 48 49 und 50 des Vershytrages zur Gruumlndung der Gemeinschaft (nunmehr 45 46 und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustelshylen Gemaumlszlig Art 13 des Assoziierungsabshykommens lassen sich die Vertragsparteien von Art 52 bis 56 und 58 des EWG-Vertrashy

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ges leiten (nunmehr Art 49 bis 52 AEUV und Art 54 AEUV) um untereinander die Beschraumlnkung der Niederlassungsfreiheit aufzuheben Gemaumlszlig Art 14 AEUV vereinshybaren die Parteien sich von den entspreshychenden Bestimmungen des EWG-Vertrashyges leiten zu lassen um die Beschraumlnkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzushyheben Art 9 des Assoziierungsabkommens verbietet weiters unter Bezugnahme auf Art 7 des EWG-Vertrages (jetzt Art 18 AEUV) jegliche Diskriminierung auf Grund der Staatsbuumlrgerschaft Gemaumlszlig Art 2 Abs 3 des Assoziierungsabkommens umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsshyphase eine Uumlbergangsphase und eine Endphase dabei soll die Vorbereitungsshyphase gemaumlszlig Art 3 des Abkommens fuumlnf Jahre dauern und die darauf folgende Uumlbergangsphase die gemaumlszlig Art 4 bdquonicht laumlnger als zwoumllf Jahreldquo dauert schlieszliglich in die Endphase uumlberfuumlhren Die Endphase bringt eine weitgehende Annaumlherung der Tuumlrkei an die Union und die Uumlberpruumlfung der Moumlglichkeit eines Beitrittes Eine Kuumlndigung sieht das Abkommen nicht vor Am 1 Jaumlnner 1996 wurde auf Grundshylage dieses Abkommens eine Zollunion zwischen der damaligen EG (nunmehr EU) und der Tuumlrkei eingerichtet Der von der Tuumlrkei bereits am 14 April 1987 geshystellte Beitrittsantrag fuumlhrte schlieszliglich 1999 am Europaumlischen Rat von Helsinki zur Anerkennung der Tuumlrkei als Kandidashytenland fuumlr einen Beitritt zur Union und fortan zur gleichberechtigten Teilnahme der Tuumlrkei gemeinsam mit den anderen Kandidatenlaumlndern am Beitrittsprozess Am 3 Oktober 2005 begann die analytische Pruumlfung des Besitzstands (das so genannte bdquoScreeningldquo) und somit die Eroumlffnung von Beitrittsverhandlungen 2008 kam es zur Verabschiedung einer uumlberarbeiteten Beishytrittspartnerschaft fuumlr die Tuumlrkei Ein Ende der Beitrittsverhandlungen ist aber aus derzeitiger Sicht nicht absehbar

ORGANE DER ASSOZIIERUNG Gemaumlszlig Art 6 des Assoziierungsabkomshymens wird ein Assoziationsrat errichtet der mit der Umsetzung und Weiterentshywicklung der Assoziierung beauftragt wird24 Art 22 des Assoziierungsabkomshymens legt fest dass der Assoziationsrat bdquozur Verwirklichung der Ziele des Abkomshymens und in den darin vorgesehenen Faumllshylen befugt ist Beschluumlsse (zu) fassen Jede der beiden Parteien ist verpflichtet die zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erfordershylichen Maszlignahmen zu treffen Der Assoshyziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben und uumlberpruumlft regelmaumlszligig die Auswirkungen der Assoshyziationsregelung unter Beruumlcksichtigung der Ziele des Abkommens Waumlhrend der Vorbereitungsphase beschraumlnkt sich diese Pruumlfung jedoch auf einen Meinungsausshytausch Mit Beginn der Uumlbergangsphase fasst der Assoziationsrat geeignete Beshyschluumlsse in Faumlllen in denen ein gemeinshysames Taumltigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint um bei der Durchshyfuumlhrung der Assoziationsregelung eines der Ziele des Abkommens zu erreichen und in denen die hierfuumlr erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorshygesehen sindldquo Gemaumlszlig Art 23 des Abshykommens besteht der Assoziationsrat aus bdquoMitgliedern der Regierungen der Mitshygliedstaaten des Rates und der Kommisshysion der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der tuumlrkischen Regierung anshydererseitsldquo Die Mitglieder des Assoziashytionsrats koumlnnen sich nach Maszliggabe der Geschaumlftsordnung vertreten lassen Der Assoziationsrat handelt einstimmig Der Vorsitz im Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Union und einem Vertreter der Tuumlrkei abwechselnd fuumlr sechs Monate wahrgenommen25 Der Assoziationsrat kann sich bei der Erfuumlllung seiner Aufgaben von von ihm eingesetzten Ausschuumlssen unterstuumltzen lassen Er bestimmt die Aufshy

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gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

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Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

11

SIAK-JOURNAL

12

22012

und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

SIAK-JOURNAL 22012

und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

13

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

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EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 2: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

22012SIAK-JOURNAL

Assoziationsabkommen der Europaumlischen Union Uumlberblick uumlber die Auswirkungen auf das Fremdenrecht der Mitgliedstaaten anhand des EWG-Tuumlrkei-Abkommens

Fuumlr die Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union stellt sich zunehmend die Herausfordeshyrung neue integrationspolitische Maszlignahmen mit auf Assoziierungsabkommen basieshyrenden Rechten von Drittstaatsangehoumlrigen also den sie betreffenden voumllker- und unishyonsrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen Insbesondere hinsichtlich tuumlrkischer Staatsbuumlrger hat sich in Oumlsterreich aber auch in anderen EU-Laumlndern ndash wie etwa in Deutschland Groszligbritannien und in den Niederlanden ndash in den letzten Jahren die Problematik gezeigt dass einige der nationalen Novellen des Fremdenrechts oder Maszligshynahmen zur Foumlrderung der Integration Neuerungen vorsahen die aus assoziationsrechtshylicher Sicht als bdquounzulaumlssige Beschraumlnkungenldquo einzustufen waren

YVONNE RIESER-ANGULO GARCIacuteA

Referentin im Referat bdquoEU-Grundshysatzfragen und Koordinationldquo im

Bundesministerium fuumlr Inneres

WAS VERSTEHT MAN UNTER entwicklungen des Assoziationsverhaumllt-ASSOZIIERUNGEN nisses verantwortlich zeichnen Kurz Sie Unter Assoziierung wird die Verbindung formen das Assoziationsrecht aus und geshyeines Drittstaats mit einer internationalen stalten dieses meist dynamisch1 Im Voumll-Organisation verstanden Eine Assoziie- kerrecht wird unter Assoziierung eine rung ist nicht mit einer Mitgliedschaft Sonderstellung von Staaten Gebieten oder gleichzusetzen dennoch kann sie einer internationalen Organisationen verstanden Mitgliedschaft sehr nahe kommen Der die besonders enge Beziehungen zu einer wesentliche Unterschied zwischen einer internationalen Organisation unterhalten Mitgliedschaft und einer Assoziierung be- gleichzeitig aber nicht Mitglieder dieser steht darin dass der Drittstaat im Rahmen Organisation sind Das Unionsrecht untershyeiner Assoziierung nicht in den Organen scheidet ferner zwischen vertraglicher und der internationalen Organisation mitwirkt konstitutioneller Assoziierung2 Die folshysondern neue gemeinsame Organe fuumlr die gende Analyse beschaumlftigt sich ausschlieszlig-Willensbildung innerhalb der Assoziation lich mit der vertraglichen Assoziierung geschaffen werden In diesen Organen weshalb in Folge bdquoAssoziierungldquo synonym sind stets sowohl die internationale Orga- fuumlr bdquovertragliche Assoziierungldquo verwendet nisation als auch der assoziierte Drittstaat wird vertreten Die Organe der Assoziation Gemaumlszlig Art 217 AEUV3 (vorm 310 EGV4) koumlnnen nicht nur mit der Uumlberwachung kann die Europaumlische Union mit Drittstaashyder Durchfuumlhrung und der Einhaltung des ten Staatenverbindungen oder internatio-Assoziierungsabkommens betraut werden nalen Organisationen Assoziierungsabshysondern auch fuumlr Aumlnderungen und Weiter- kommen uumlber gegenseitige Rechte und

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Pflichten gemeinsames Vorgehen und beshysondere Verfahren abschlieszligen Zustaumlndig fuumlr den Abschluss ist auf Unionsseite der Rat (die Verhandlungen werden von der Europaumlischen Kommission im Auftrag des Rates gefuumlhrt) der dabei der Zustimmung des Europaumlischen Parlaments bedarf Die institutionelle und materielle Ausgestalshytung der einzelnen Assoziierungsabkomshymen ist sehr verschieden denn die Moumlgshylichkeiten des rechtlichen Rahmens sind breit gefaumlchert Gemaumlszlig der dem Europa-recht immanenten bdquoHallstein-Formelldquo5 kann sich ein Assoziierungsabkommen bdquozwishyschen einem Handelsabkommen plus 1 ldquo und bdquoeiner Mitgliedschaft minus 1 ldquo beshywegen In Assoziierungsabkommen deren Zusatzprotokollen sowie in Beschluumlssen von Assoziationsraumlten koumlnnen Regelungen getroffen werden die nicht nur unionsshyrechtlich bedeutsam sind sondern die auch fuumlr das nationale Recht der Mitgliedstaaten der Union weitgehende Konsequenzen hashyben koumlnnen Beispielsweise indem bei spaumlteren Aumlnderungen des nationalen Rechts aus Assoziierungsabkommen abgeleitete Sonderstellungen von (bestimmten Grupshypen von) Drittstaatsangehoumlrigen gewahrt werden muumlssen Je nach politischem Zweck werden drei Kategorien von Assoziierungsshyabkommen unterschieden

erstens die bdquoBeitrittsassoziierung6ldquo (auch bdquodynamische Assoziierungldquo genannt) sie ist der weitreichendste Grad an Beshyteiligung am Unionsrechtsrahmen und ist ausschlieszliglich in den Beziehungen der Union zu europaumlischen Staaten releshyvant Die betroffenen Staaten sollen im Rahmen des Assoziierungsverhaumlltnisses fuumlr einen spaumlteren Beitritt zur Union vorshybereitet werden zweitens die bdquoEntwicklungsassozishyierung7ldquo welche unter dem Aspekt der bdquoEntwicklungspolitik und Entwickshylungshilfeldquo mit meist auszligereuropaumlischen Staaten eingegangen wird und

drittens die bdquoFreihandelsassoziierung8ldquo bei der wirtschaftliche Aspekte im Vorshydergrund stehen

Assoziierungsabkommen werden meist (mit Ausnahme der Abkommen mit Malta und Zypern sowie der fruumlheren Abkomshymen mit Marokko und Tunesien) als geshymischte Abkommen also als Abkommen zwischen der Union und ihren Mitgliedshystaaten mit dem jeweiligen Staat geschlosshysen Bei gemischten Abkommen ist neben der Ratifikation durch die Union auch eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union erforderlich Zu den wichtigsten bilateralen Abkommen9 die sich auf Art 217 AEUV stuumltzen zaumlhlen das 1963 mit der Tuumlrkei geschlossene Abkomshymen von Ankara (mit der Tuumlrkei besteht daruumlber hinaus seit Februar 2008 eine Beitrittspartnerschaft10) und das EG-AKPshyAbkommen11 Auch der Europaumlische Wirtschaftsraum ist primaumlr ein Assozishyierungsverhaumlltnis gemaumlszlig Art 217 AUEV (ex Art 310 EGV) zwischen der Europaumlishyschen Union und den EFTA-Staaten auf Basis einer hoch entwickelten Freihandelsshyzone12 Das EWR-Abkommen wurde ebenshyfalls als gemischtes Abkommen geschlossen ist integrierter Bestandteil des Unionsrechts entfaltet unmittelbare Wirkung und genieszligt Anwendungsvorrang vor entgegenstehenshydem nationalen Recht und Sekundaumlrrecht

Art 217 AEUV ordnet an dass die Assoshyziierung dadurch gekennzeichnet sein soll dass sie den Partnern gegenseitige Rechte und Pflichten einraumlumt und gleichzeitig gemeinsame Vorgehen und besondere Vershyfahren vorsieht Es genuumlgt gemaumlszlig der staumlnshydigen Rechtsprechung des EuGH dass die Abkommen allgemein einer reziproken wirtschaftlichen Interessenslage Rechshynung tragen waumlhrend eine strenge Gegenshyseitigkeit nicht gefordert wird13 Das Abshyschlussverfahren ist in Art 218 AEUV geregelt Das Europaumlische Parlament muss

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dem Abkommen gemaumlszlig Art 218 Abs 6 lit a i) AEUV zustimmen Assoziierungsshyabkommen sehen in der Regel als oberstes Organ einen bdquoAssoziationsratldquo vor der die Durchfuumlhrung des Abkommens uumlberwacht und berechtigt oder auch verpflichtet ist Beschluumlsse zur Durchfuumlhrung und zur Fortentwicklung der Assoziation zu treffen Aus der in Art 217 AEUV vorgesehenen Institutionalisierung der Beziehungen des Assoziierungsverhaumlltnisses kann ein Hinshyweis darauf entnommen werden dass die Beziehungen zum assoziierten Staat auf Dauer bestehen sollen Im Gegensatz zu Handelsabkommen sind Assoziierungsabshykommen daher meist auf unbestimmte Zeit geschlossen Vielfach enthalten Assoshyziierungsabkommen Regelungen deren Wortlaut identisch mit entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts ist Nach der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH sind gleichartige Begriffe in von der Union mit Drittstaaten geschlossenen Abkomshymen allerdings nicht zwangslaumlufig gleich auszulegen wie die ihnen entsprechenden Begriffe des AEUV Vielmehr ist auf Ziel und Zweck der Norm abzustellen (vgl dashyzu EuGH C-27080 Polydor14)

RECHTSWIRKUNGEN DES ASSOZIIERUNGSABKOMMENS VOumlLKER- UND EUROPARECHTshyLICHE VERPFLICHTUNGEN DER SIGNATARSTAATEN Als voumllkerrechtliche Vertraumlge unterliegen Assoziierungsabkommen hinsichtlich ihres Inkrafttretens und ihrer voumllkerrechtlichen Bindungswirkung den Regeln des allgeshymeinen Voumllkerrechts Allerdings gibt es fuumlr die Mitgliedstaaten der Union neben der voumllkerrechtlichen Bindung im Innenshyverhaumlltnis auch eine unionsrechtliche Bindungswirkung die sich aus der Rechtsshynatur von Assoziierungsabkommen abshyleiten laumlsst Die Mitgliedstaaten der Union sind doppelt also voumllkerrechtlich und

unionsrechtlich gebunden15 waumlhrend der assoziierte Drittstaat mangels Mitgliedshyschaft in der Union nur voumllkerrechtlich gebunden ist Die voumllkerrechtliche Binshydungswirkung trifft bei gemischten Abshykommen neben der Union auch ihre Mitshygliedstaaten wenn das Abkommen den uumlbrigen Vertragsparteien gegenuumlber keine ausdruumlckliche Kompetenzteilung offenlegt Hinsichtlich der unionsrechtlichen Binshydungswirkung sind Abkommen der Union auch fuumlr deren Organe und deren Mitshygliedstaaten verbindlich Die unionsrechtshyliche Bindungswirkung tritt mit voumllkershyrechtlichem Inkrafttreten automatisch ein ohne dass es eines weiteren Transformashytionsaktes bedarf Das Abkommen wird damit automatisch zu einem bdquointegrierten Bestandteil der Unionsrechtsordnungldquo Als integrierter Bestandteil der Unionsshyrechtsordnung sind Assoziierungsabkomshymen ndash so wie auch andere voumllkerrechtliche Vertraumlge ndash grundsaumltzlich geeignet im Unishyonsrecht direkte Anwendung zu finden (siehe dazu die Entscheidungen des EuGH Rs 18173 Haegemann Rs 1286 Demirel Rs C-16196 Racke Rs C-1890 Kziber) Damit genieszligen die Assoziierungsabkomshymen gemaumlszlig Art 10 AEUV Anwendungsshyvorrang gegenuumlber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten der Union Auch im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Sekunshydaumlrrecht der Union haben Assoziierungsshyabkommen Vorrang Ein solcher Anwenshydungsvorrang kommt ihnen hingegen nicht im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Prishymaumlrrecht zu Assoziierungsabkommen nehshymen sohin eine bdquoMezzanin-Stellungldquo zwishyschen Primaumlr- und Sekundaumlrrecht ein Dies gilt auch fuumlr Beschluumlsse des Assoziationsshyrats (vgl dazu beispielsweise die Urteile des EuGH in den Rechtssachen C-19289 Sevince und C-23791 Kus) Einzelne Beshystimmungen der Abkommen ihrer Zusatzshyprotokolle und der Beschluumlsse der Assoshyziationsraumlte koumlnnen unmittelbar anwendbar

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sein Dies sind sie dann wenn sie unter Beruumlcksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abshykommens eine klare und eindeutige Vershypflichtung enthalten deren Erfuumlllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhaumlngen (so der EuGH erstmalig 1987 in der Rs 1286 Demirel und in zahlreichen in der Folge ergangeshynen Urteilen)

ASSOZIIERUNG DER UNION UND IHRER MITGLIEDSTAATEN MIT DER TUumlRKEI

Rechtsgrundlagen Assoziierungsshyabkommen Zusatzprotokolle und Beschluumlsse des Assoziationsrates Ein besonders interessantes inhaltlich weitreichendes und historisch bedeutsames Assoziierungsverhaumlltnis der Union ist jeshynes mit der Tuumlrkei Da es (unter anderem auch) auf das nationale Fremdenrecht beshydeutende Auswirkungen hat und in diesem Bereich bereits Gegenstand zahlreicher Verfahren vor dem EuGH war wird dieser Teil der Assoziierung in der Folge naumlher eroumlrtert Die folgende Analyse stellt dabei in erster Linie auf jene Aspekte ab die aus fremdenrechtlicher Sicht in den Mitgliedshystaaten von besonderer Relevanz sind dh auf die Rechte im Bereich Niederlassung und Beschaumlftigung tuumlrkischer Staatsangeshyhoumlriger in der Europaumlischen Union Daneshyben ergeben sich aus der Assoziierung soshywohl fuumlr die Union als auch fuumlr die Tuumlrkei viele weitere nicht minder interessante Aspekte wie beispielsweise wirtschaftlishyche oder etwa soziale deren Analyse einer eigenstaumlndigen Darstellung beduumlrften und den Rahmen dieses Beitrages sprengen wuumlrden Da die folgende Darstellung nur die aus fremden- und beschaumlftigungsrechtshylicher Sicht wichtigsten Aspekte zusamshymenfasst kann anhand dieses Beitrages keine Wertung uumlber das Assoziierungsvershy

haumlltnis im Ganzen getroffen werden Zur Beurteilung der aus der Assoziieshy

rung abzuleitenden Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger sind sowohl das am 12 Sepshytember 1963 zwischen der damaligen EWG16 und der Tuumlrkei geschlossene Assoshyziierungsabkommen17 als auch dessen Zushysatzprotokolle und die Beschluumlsse des mit dem Assoziierungsabkommen geschaffenen EU-Tuumlrkei Assoziationsrats (vormals EWG- bzw EG-Tuumlrkei Assoziationsrat) relevant Sie sind fuumlr die Union ihre Mitshygliedstaaten und die Tuumlrkei rechtsverbindshylich und stehen im selben Rang wie das Assoziierungsabkommen selbst18 Maszligshygeblich fuumlr das nationale Fremden- und Auslaumlnderbeschaumlftigungsrecht sind neben dem Assoziierungsabkommen selbst auch das am 23 November 1970 unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen19 sowie die Beschluumlsse des Assoshyziationsrates EWG-Tuumlrkei Nr 276 vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhshyrung von Art 12 des Assoziierungsabkomshymens und Nr 180 vom 19 September 1980 uumlber die Entwicklung der Assoziation Art 12 des Assoziierungsabkommens sieht vor dass bdquohellip (d)ie Vertragsparteien vershyeinbaren sich von den Artikeln 48 49 und 50 des Vertrages (nunmehr Art 45 AEUV 46 AEUV und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellenldquo Art 36 des Zusatzprotokolls besagt weiter dass die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten und der Tuumlrkei nach den Grundsaumltzen des Art 12 des Assoziierungsabkommens schrittweise hergestellt wird Im Beschluss Nr 276 des Assoziationsrats wurde eine Reihe von Maszlignahmen zur Durchfuumlhrung des Art 12 vorgesehen sein Umfang ist aber relativ begrenzt In der Folge wurde Beschluss Nr 180 des Assoziationsrats erlassen um Art 12 des Assoziierungsabkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls durchzufuumlhshy

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ren Gemaumlszlig dem dritten Erwaumlgungsgrund des Beschlusses Nr 180 soll dieser im soshyzialen Bereich zu einer im Vergleich zu Beschluss Nr 276 besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitnehmer und ihrer Famishylienangehoumlrigen fuumlhren Er enthaumllt auch ein absolutes und umfassendes Vershyschlechterungsverbot (Stillhalteklausel) Auf Grund ihrer Relevanz fuumlr das nationashyle Aufenthaltsrecht werden die genannten Rechtsakte in der Folge zusammenfassend dargestellt20

ASSOZIIERUNGSABKOMMEN EU-TUumlRKEI Innerhalb der Gruppe der von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Assoziierungsabkommen kommt dem Abshykommen mit der Tuumlrkei aus zwei Gruumlnden besondere Bedeutung zu Erstens handelt es sich dabei um eine Beitrittsassoziierung und sohin um die wichtigste Untergruppe der Assoziierungsabkommen in Hinblick auf die Enge des Assoziierungsverhaumlltshynisses mit der Union bdquoWeiterldquo als das Abshykommen mit der Tuumlrkei gehen nur die mit den EFTA-Staaten im Rahmen des EWR getroffenen Sonderbestimmungen und die Abkommen mit der Schweiz Zweitens ist das Abkommen von groszliger historischer Bedeutung21 Es handelt sich nach dem 1961 mit Griechenland geschlossenen Asshysoziierungsabkommen um das zweite Abshykommen dieser Art Bereits im September 1959 hat sich die Tuumlrkei um die Aufnahme als assoziiertes Mitglied der EWG beworshyben Nur zwei Jahre nach der Unterzeichshynung des Abkommens mit Griechenland wurde am 12 September 1963 die Beishytrittsassoziierung der Tuumlrkei von der dashymaligen EWG (die in die EG uumlberging und deren Rechtsnachfolgerin wiederum seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissashybon die Europaumlische Union ist) und der Tuumlrkei in Ankara unterzeichnet Das Abshykommen mit Griechenland und das Abshy

kommen mit der Tuumlrkei enthielten als erste Assoziierungsabkommen Bestimmungen zur Freizuumlgigkeit In beiden Faumlllen wurde erstmalig in einem Assoziierungsabkomshymen ein spaumlterer Beitritt zur Union in Ausshysicht gestellt Im Erwaumlgungsgrund 4 der Praumlambel heiszligt es dass das Abkommen in der Erkenntnis geschlossen sei dass bdquodie Hilfe welche die EWG dem tuumlrkischen Volk (hellip) zuteilwerden laumlsst spaumlter den Beitritt der Tuumlrkei zur Gemeinschaft ershyleichtern wirdldquo22 Die Bestimmungen der Praumlambel geben weiter Aufschluss dashyruumlber dass das Ziel des Abkommens uumlber eine wirtschaftliche Annaumlherung hinausshyging Wirtschaftliche oder kulturelle Unshyterschiede sollten uumlberwunden werden um schlieszliglich einen Beitritt der Tuumlrkei zur Union zu erleichtern Das Abkommen ist ein eindeutiger Hinweis darauf dass beshyreits 1963 Uumlberlegungen zu einem Beitritt der Tuumlrkei zur Europaumlischen Union geshymacht wurden und zur damaligen Zeit beishyderseitiges Interesse an einer spaumlteren Mitshygliedschaft der Tuumlrkei in der Union bestand Der damalige Praumlsident der (ersshyten) Kommission der EWG der Deutsche Walter Hallstein bekraumlftigte dies in seiner Rede anlaumlsslich der Unterzeichnung des Abkommens in der er mehrmals betonte die Tuumlrkei bdquogehoumlre zu Europaldquo23 Art 12 Art 13 und Art 14 des Assoziierungsabshykommens folgen unter Bezugnahme auf die ihnen korrespondierenden Bestimshymungen des EWG-Vertrages (danach EG-Vertrag nunmehr AEUV) dem System der Grundfreiheiten Gemaumlszlig Art 12 des Abshykommens vereinbaren die Vertragsparteien sich von den Art 48 49 und 50 des Vershytrages zur Gruumlndung der Gemeinschaft (nunmehr 45 46 und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustelshylen Gemaumlszlig Art 13 des Assoziierungsabshykommens lassen sich die Vertragsparteien von Art 52 bis 56 und 58 des EWG-Vertrashy

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ges leiten (nunmehr Art 49 bis 52 AEUV und Art 54 AEUV) um untereinander die Beschraumlnkung der Niederlassungsfreiheit aufzuheben Gemaumlszlig Art 14 AEUV vereinshybaren die Parteien sich von den entspreshychenden Bestimmungen des EWG-Vertrashyges leiten zu lassen um die Beschraumlnkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzushyheben Art 9 des Assoziierungsabkommens verbietet weiters unter Bezugnahme auf Art 7 des EWG-Vertrages (jetzt Art 18 AEUV) jegliche Diskriminierung auf Grund der Staatsbuumlrgerschaft Gemaumlszlig Art 2 Abs 3 des Assoziierungsabkommens umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsshyphase eine Uumlbergangsphase und eine Endphase dabei soll die Vorbereitungsshyphase gemaumlszlig Art 3 des Abkommens fuumlnf Jahre dauern und die darauf folgende Uumlbergangsphase die gemaumlszlig Art 4 bdquonicht laumlnger als zwoumllf Jahreldquo dauert schlieszliglich in die Endphase uumlberfuumlhren Die Endphase bringt eine weitgehende Annaumlherung der Tuumlrkei an die Union und die Uumlberpruumlfung der Moumlglichkeit eines Beitrittes Eine Kuumlndigung sieht das Abkommen nicht vor Am 1 Jaumlnner 1996 wurde auf Grundshylage dieses Abkommens eine Zollunion zwischen der damaligen EG (nunmehr EU) und der Tuumlrkei eingerichtet Der von der Tuumlrkei bereits am 14 April 1987 geshystellte Beitrittsantrag fuumlhrte schlieszliglich 1999 am Europaumlischen Rat von Helsinki zur Anerkennung der Tuumlrkei als Kandidashytenland fuumlr einen Beitritt zur Union und fortan zur gleichberechtigten Teilnahme der Tuumlrkei gemeinsam mit den anderen Kandidatenlaumlndern am Beitrittsprozess Am 3 Oktober 2005 begann die analytische Pruumlfung des Besitzstands (das so genannte bdquoScreeningldquo) und somit die Eroumlffnung von Beitrittsverhandlungen 2008 kam es zur Verabschiedung einer uumlberarbeiteten Beishytrittspartnerschaft fuumlr die Tuumlrkei Ein Ende der Beitrittsverhandlungen ist aber aus derzeitiger Sicht nicht absehbar

ORGANE DER ASSOZIIERUNG Gemaumlszlig Art 6 des Assoziierungsabkomshymens wird ein Assoziationsrat errichtet der mit der Umsetzung und Weiterentshywicklung der Assoziierung beauftragt wird24 Art 22 des Assoziierungsabkomshymens legt fest dass der Assoziationsrat bdquozur Verwirklichung der Ziele des Abkomshymens und in den darin vorgesehenen Faumllshylen befugt ist Beschluumlsse (zu) fassen Jede der beiden Parteien ist verpflichtet die zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erfordershylichen Maszlignahmen zu treffen Der Assoshyziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben und uumlberpruumlft regelmaumlszligig die Auswirkungen der Assoshyziationsregelung unter Beruumlcksichtigung der Ziele des Abkommens Waumlhrend der Vorbereitungsphase beschraumlnkt sich diese Pruumlfung jedoch auf einen Meinungsausshytausch Mit Beginn der Uumlbergangsphase fasst der Assoziationsrat geeignete Beshyschluumlsse in Faumlllen in denen ein gemeinshysames Taumltigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint um bei der Durchshyfuumlhrung der Assoziationsregelung eines der Ziele des Abkommens zu erreichen und in denen die hierfuumlr erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorshygesehen sindldquo Gemaumlszlig Art 23 des Abshykommens besteht der Assoziationsrat aus bdquoMitgliedern der Regierungen der Mitshygliedstaaten des Rates und der Kommisshysion der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der tuumlrkischen Regierung anshydererseitsldquo Die Mitglieder des Assoziashytionsrats koumlnnen sich nach Maszliggabe der Geschaumlftsordnung vertreten lassen Der Assoziationsrat handelt einstimmig Der Vorsitz im Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Union und einem Vertreter der Tuumlrkei abwechselnd fuumlr sechs Monate wahrgenommen25 Der Assoziationsrat kann sich bei der Erfuumlllung seiner Aufgaben von von ihm eingesetzten Ausschuumlssen unterstuumltzen lassen Er bestimmt die Aufshy

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gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

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Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

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und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

SIAK-JOURNAL 22012

und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

13

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Doralt (Hrsg) Europarecht Verfassungsshy

recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 3: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

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Pflichten gemeinsames Vorgehen und beshysondere Verfahren abschlieszligen Zustaumlndig fuumlr den Abschluss ist auf Unionsseite der Rat (die Verhandlungen werden von der Europaumlischen Kommission im Auftrag des Rates gefuumlhrt) der dabei der Zustimmung des Europaumlischen Parlaments bedarf Die institutionelle und materielle Ausgestalshytung der einzelnen Assoziierungsabkomshymen ist sehr verschieden denn die Moumlgshylichkeiten des rechtlichen Rahmens sind breit gefaumlchert Gemaumlszlig der dem Europa-recht immanenten bdquoHallstein-Formelldquo5 kann sich ein Assoziierungsabkommen bdquozwishyschen einem Handelsabkommen plus 1 ldquo und bdquoeiner Mitgliedschaft minus 1 ldquo beshywegen In Assoziierungsabkommen deren Zusatzprotokollen sowie in Beschluumlssen von Assoziationsraumlten koumlnnen Regelungen getroffen werden die nicht nur unionsshyrechtlich bedeutsam sind sondern die auch fuumlr das nationale Recht der Mitgliedstaaten der Union weitgehende Konsequenzen hashyben koumlnnen Beispielsweise indem bei spaumlteren Aumlnderungen des nationalen Rechts aus Assoziierungsabkommen abgeleitete Sonderstellungen von (bestimmten Grupshypen von) Drittstaatsangehoumlrigen gewahrt werden muumlssen Je nach politischem Zweck werden drei Kategorien von Assoziierungsshyabkommen unterschieden

erstens die bdquoBeitrittsassoziierung6ldquo (auch bdquodynamische Assoziierungldquo genannt) sie ist der weitreichendste Grad an Beshyteiligung am Unionsrechtsrahmen und ist ausschlieszliglich in den Beziehungen der Union zu europaumlischen Staaten releshyvant Die betroffenen Staaten sollen im Rahmen des Assoziierungsverhaumlltnisses fuumlr einen spaumlteren Beitritt zur Union vorshybereitet werden zweitens die bdquoEntwicklungsassozishyierung7ldquo welche unter dem Aspekt der bdquoEntwicklungspolitik und Entwickshylungshilfeldquo mit meist auszligereuropaumlischen Staaten eingegangen wird und

drittens die bdquoFreihandelsassoziierung8ldquo bei der wirtschaftliche Aspekte im Vorshydergrund stehen

Assoziierungsabkommen werden meist (mit Ausnahme der Abkommen mit Malta und Zypern sowie der fruumlheren Abkomshymen mit Marokko und Tunesien) als geshymischte Abkommen also als Abkommen zwischen der Union und ihren Mitgliedshystaaten mit dem jeweiligen Staat geschlosshysen Bei gemischten Abkommen ist neben der Ratifikation durch die Union auch eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union erforderlich Zu den wichtigsten bilateralen Abkommen9 die sich auf Art 217 AEUV stuumltzen zaumlhlen das 1963 mit der Tuumlrkei geschlossene Abkomshymen von Ankara (mit der Tuumlrkei besteht daruumlber hinaus seit Februar 2008 eine Beitrittspartnerschaft10) und das EG-AKPshyAbkommen11 Auch der Europaumlische Wirtschaftsraum ist primaumlr ein Assozishyierungsverhaumlltnis gemaumlszlig Art 217 AUEV (ex Art 310 EGV) zwischen der Europaumlishyschen Union und den EFTA-Staaten auf Basis einer hoch entwickelten Freihandelsshyzone12 Das EWR-Abkommen wurde ebenshyfalls als gemischtes Abkommen geschlossen ist integrierter Bestandteil des Unionsrechts entfaltet unmittelbare Wirkung und genieszligt Anwendungsvorrang vor entgegenstehenshydem nationalen Recht und Sekundaumlrrecht

Art 217 AEUV ordnet an dass die Assoshyziierung dadurch gekennzeichnet sein soll dass sie den Partnern gegenseitige Rechte und Pflichten einraumlumt und gleichzeitig gemeinsame Vorgehen und besondere Vershyfahren vorsieht Es genuumlgt gemaumlszlig der staumlnshydigen Rechtsprechung des EuGH dass die Abkommen allgemein einer reziproken wirtschaftlichen Interessenslage Rechshynung tragen waumlhrend eine strenge Gegenshyseitigkeit nicht gefordert wird13 Das Abshyschlussverfahren ist in Art 218 AEUV geregelt Das Europaumlische Parlament muss

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dem Abkommen gemaumlszlig Art 218 Abs 6 lit a i) AEUV zustimmen Assoziierungsshyabkommen sehen in der Regel als oberstes Organ einen bdquoAssoziationsratldquo vor der die Durchfuumlhrung des Abkommens uumlberwacht und berechtigt oder auch verpflichtet ist Beschluumlsse zur Durchfuumlhrung und zur Fortentwicklung der Assoziation zu treffen Aus der in Art 217 AEUV vorgesehenen Institutionalisierung der Beziehungen des Assoziierungsverhaumlltnisses kann ein Hinshyweis darauf entnommen werden dass die Beziehungen zum assoziierten Staat auf Dauer bestehen sollen Im Gegensatz zu Handelsabkommen sind Assoziierungsabshykommen daher meist auf unbestimmte Zeit geschlossen Vielfach enthalten Assoshyziierungsabkommen Regelungen deren Wortlaut identisch mit entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts ist Nach der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH sind gleichartige Begriffe in von der Union mit Drittstaaten geschlossenen Abkomshymen allerdings nicht zwangslaumlufig gleich auszulegen wie die ihnen entsprechenden Begriffe des AEUV Vielmehr ist auf Ziel und Zweck der Norm abzustellen (vgl dashyzu EuGH C-27080 Polydor14)

RECHTSWIRKUNGEN DES ASSOZIIERUNGSABKOMMENS VOumlLKER- UND EUROPARECHTshyLICHE VERPFLICHTUNGEN DER SIGNATARSTAATEN Als voumllkerrechtliche Vertraumlge unterliegen Assoziierungsabkommen hinsichtlich ihres Inkrafttretens und ihrer voumllkerrechtlichen Bindungswirkung den Regeln des allgeshymeinen Voumllkerrechts Allerdings gibt es fuumlr die Mitgliedstaaten der Union neben der voumllkerrechtlichen Bindung im Innenshyverhaumlltnis auch eine unionsrechtliche Bindungswirkung die sich aus der Rechtsshynatur von Assoziierungsabkommen abshyleiten laumlsst Die Mitgliedstaaten der Union sind doppelt also voumllkerrechtlich und

unionsrechtlich gebunden15 waumlhrend der assoziierte Drittstaat mangels Mitgliedshyschaft in der Union nur voumllkerrechtlich gebunden ist Die voumllkerrechtliche Binshydungswirkung trifft bei gemischten Abshykommen neben der Union auch ihre Mitshygliedstaaten wenn das Abkommen den uumlbrigen Vertragsparteien gegenuumlber keine ausdruumlckliche Kompetenzteilung offenlegt Hinsichtlich der unionsrechtlichen Binshydungswirkung sind Abkommen der Union auch fuumlr deren Organe und deren Mitshygliedstaaten verbindlich Die unionsrechtshyliche Bindungswirkung tritt mit voumllkershyrechtlichem Inkrafttreten automatisch ein ohne dass es eines weiteren Transformashytionsaktes bedarf Das Abkommen wird damit automatisch zu einem bdquointegrierten Bestandteil der Unionsrechtsordnungldquo Als integrierter Bestandteil der Unionsshyrechtsordnung sind Assoziierungsabkomshymen ndash so wie auch andere voumllkerrechtliche Vertraumlge ndash grundsaumltzlich geeignet im Unishyonsrecht direkte Anwendung zu finden (siehe dazu die Entscheidungen des EuGH Rs 18173 Haegemann Rs 1286 Demirel Rs C-16196 Racke Rs C-1890 Kziber) Damit genieszligen die Assoziierungsabkomshymen gemaumlszlig Art 10 AEUV Anwendungsshyvorrang gegenuumlber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten der Union Auch im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Sekunshydaumlrrecht der Union haben Assoziierungsshyabkommen Vorrang Ein solcher Anwenshydungsvorrang kommt ihnen hingegen nicht im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Prishymaumlrrecht zu Assoziierungsabkommen nehshymen sohin eine bdquoMezzanin-Stellungldquo zwishyschen Primaumlr- und Sekundaumlrrecht ein Dies gilt auch fuumlr Beschluumlsse des Assoziationsshyrats (vgl dazu beispielsweise die Urteile des EuGH in den Rechtssachen C-19289 Sevince und C-23791 Kus) Einzelne Beshystimmungen der Abkommen ihrer Zusatzshyprotokolle und der Beschluumlsse der Assoshyziationsraumlte koumlnnen unmittelbar anwendbar

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sein Dies sind sie dann wenn sie unter Beruumlcksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abshykommens eine klare und eindeutige Vershypflichtung enthalten deren Erfuumlllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhaumlngen (so der EuGH erstmalig 1987 in der Rs 1286 Demirel und in zahlreichen in der Folge ergangeshynen Urteilen)

ASSOZIIERUNG DER UNION UND IHRER MITGLIEDSTAATEN MIT DER TUumlRKEI

Rechtsgrundlagen Assoziierungsshyabkommen Zusatzprotokolle und Beschluumlsse des Assoziationsrates Ein besonders interessantes inhaltlich weitreichendes und historisch bedeutsames Assoziierungsverhaumlltnis der Union ist jeshynes mit der Tuumlrkei Da es (unter anderem auch) auf das nationale Fremdenrecht beshydeutende Auswirkungen hat und in diesem Bereich bereits Gegenstand zahlreicher Verfahren vor dem EuGH war wird dieser Teil der Assoziierung in der Folge naumlher eroumlrtert Die folgende Analyse stellt dabei in erster Linie auf jene Aspekte ab die aus fremdenrechtlicher Sicht in den Mitgliedshystaaten von besonderer Relevanz sind dh auf die Rechte im Bereich Niederlassung und Beschaumlftigung tuumlrkischer Staatsangeshyhoumlriger in der Europaumlischen Union Daneshyben ergeben sich aus der Assoziierung soshywohl fuumlr die Union als auch fuumlr die Tuumlrkei viele weitere nicht minder interessante Aspekte wie beispielsweise wirtschaftlishyche oder etwa soziale deren Analyse einer eigenstaumlndigen Darstellung beduumlrften und den Rahmen dieses Beitrages sprengen wuumlrden Da die folgende Darstellung nur die aus fremden- und beschaumlftigungsrechtshylicher Sicht wichtigsten Aspekte zusamshymenfasst kann anhand dieses Beitrages keine Wertung uumlber das Assoziierungsvershy

haumlltnis im Ganzen getroffen werden Zur Beurteilung der aus der Assoziieshy

rung abzuleitenden Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger sind sowohl das am 12 Sepshytember 1963 zwischen der damaligen EWG16 und der Tuumlrkei geschlossene Assoshyziierungsabkommen17 als auch dessen Zushysatzprotokolle und die Beschluumlsse des mit dem Assoziierungsabkommen geschaffenen EU-Tuumlrkei Assoziationsrats (vormals EWG- bzw EG-Tuumlrkei Assoziationsrat) relevant Sie sind fuumlr die Union ihre Mitshygliedstaaten und die Tuumlrkei rechtsverbindshylich und stehen im selben Rang wie das Assoziierungsabkommen selbst18 Maszligshygeblich fuumlr das nationale Fremden- und Auslaumlnderbeschaumlftigungsrecht sind neben dem Assoziierungsabkommen selbst auch das am 23 November 1970 unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen19 sowie die Beschluumlsse des Assoshyziationsrates EWG-Tuumlrkei Nr 276 vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhshyrung von Art 12 des Assoziierungsabkomshymens und Nr 180 vom 19 September 1980 uumlber die Entwicklung der Assoziation Art 12 des Assoziierungsabkommens sieht vor dass bdquohellip (d)ie Vertragsparteien vershyeinbaren sich von den Artikeln 48 49 und 50 des Vertrages (nunmehr Art 45 AEUV 46 AEUV und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellenldquo Art 36 des Zusatzprotokolls besagt weiter dass die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten und der Tuumlrkei nach den Grundsaumltzen des Art 12 des Assoziierungsabkommens schrittweise hergestellt wird Im Beschluss Nr 276 des Assoziationsrats wurde eine Reihe von Maszlignahmen zur Durchfuumlhrung des Art 12 vorgesehen sein Umfang ist aber relativ begrenzt In der Folge wurde Beschluss Nr 180 des Assoziationsrats erlassen um Art 12 des Assoziierungsabkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls durchzufuumlhshy

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ren Gemaumlszlig dem dritten Erwaumlgungsgrund des Beschlusses Nr 180 soll dieser im soshyzialen Bereich zu einer im Vergleich zu Beschluss Nr 276 besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitnehmer und ihrer Famishylienangehoumlrigen fuumlhren Er enthaumllt auch ein absolutes und umfassendes Vershyschlechterungsverbot (Stillhalteklausel) Auf Grund ihrer Relevanz fuumlr das nationashyle Aufenthaltsrecht werden die genannten Rechtsakte in der Folge zusammenfassend dargestellt20

ASSOZIIERUNGSABKOMMEN EU-TUumlRKEI Innerhalb der Gruppe der von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Assoziierungsabkommen kommt dem Abshykommen mit der Tuumlrkei aus zwei Gruumlnden besondere Bedeutung zu Erstens handelt es sich dabei um eine Beitrittsassoziierung und sohin um die wichtigste Untergruppe der Assoziierungsabkommen in Hinblick auf die Enge des Assoziierungsverhaumlltshynisses mit der Union bdquoWeiterldquo als das Abshykommen mit der Tuumlrkei gehen nur die mit den EFTA-Staaten im Rahmen des EWR getroffenen Sonderbestimmungen und die Abkommen mit der Schweiz Zweitens ist das Abkommen von groszliger historischer Bedeutung21 Es handelt sich nach dem 1961 mit Griechenland geschlossenen Asshysoziierungsabkommen um das zweite Abshykommen dieser Art Bereits im September 1959 hat sich die Tuumlrkei um die Aufnahme als assoziiertes Mitglied der EWG beworshyben Nur zwei Jahre nach der Unterzeichshynung des Abkommens mit Griechenland wurde am 12 September 1963 die Beishytrittsassoziierung der Tuumlrkei von der dashymaligen EWG (die in die EG uumlberging und deren Rechtsnachfolgerin wiederum seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissashybon die Europaumlische Union ist) und der Tuumlrkei in Ankara unterzeichnet Das Abshykommen mit Griechenland und das Abshy

kommen mit der Tuumlrkei enthielten als erste Assoziierungsabkommen Bestimmungen zur Freizuumlgigkeit In beiden Faumlllen wurde erstmalig in einem Assoziierungsabkomshymen ein spaumlterer Beitritt zur Union in Ausshysicht gestellt Im Erwaumlgungsgrund 4 der Praumlambel heiszligt es dass das Abkommen in der Erkenntnis geschlossen sei dass bdquodie Hilfe welche die EWG dem tuumlrkischen Volk (hellip) zuteilwerden laumlsst spaumlter den Beitritt der Tuumlrkei zur Gemeinschaft ershyleichtern wirdldquo22 Die Bestimmungen der Praumlambel geben weiter Aufschluss dashyruumlber dass das Ziel des Abkommens uumlber eine wirtschaftliche Annaumlherung hinausshyging Wirtschaftliche oder kulturelle Unshyterschiede sollten uumlberwunden werden um schlieszliglich einen Beitritt der Tuumlrkei zur Union zu erleichtern Das Abkommen ist ein eindeutiger Hinweis darauf dass beshyreits 1963 Uumlberlegungen zu einem Beitritt der Tuumlrkei zur Europaumlischen Union geshymacht wurden und zur damaligen Zeit beishyderseitiges Interesse an einer spaumlteren Mitshygliedschaft der Tuumlrkei in der Union bestand Der damalige Praumlsident der (ersshyten) Kommission der EWG der Deutsche Walter Hallstein bekraumlftigte dies in seiner Rede anlaumlsslich der Unterzeichnung des Abkommens in der er mehrmals betonte die Tuumlrkei bdquogehoumlre zu Europaldquo23 Art 12 Art 13 und Art 14 des Assoziierungsabshykommens folgen unter Bezugnahme auf die ihnen korrespondierenden Bestimshymungen des EWG-Vertrages (danach EG-Vertrag nunmehr AEUV) dem System der Grundfreiheiten Gemaumlszlig Art 12 des Abshykommens vereinbaren die Vertragsparteien sich von den Art 48 49 und 50 des Vershytrages zur Gruumlndung der Gemeinschaft (nunmehr 45 46 und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustelshylen Gemaumlszlig Art 13 des Assoziierungsabshykommens lassen sich die Vertragsparteien von Art 52 bis 56 und 58 des EWG-Vertrashy

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ges leiten (nunmehr Art 49 bis 52 AEUV und Art 54 AEUV) um untereinander die Beschraumlnkung der Niederlassungsfreiheit aufzuheben Gemaumlszlig Art 14 AEUV vereinshybaren die Parteien sich von den entspreshychenden Bestimmungen des EWG-Vertrashyges leiten zu lassen um die Beschraumlnkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzushyheben Art 9 des Assoziierungsabkommens verbietet weiters unter Bezugnahme auf Art 7 des EWG-Vertrages (jetzt Art 18 AEUV) jegliche Diskriminierung auf Grund der Staatsbuumlrgerschaft Gemaumlszlig Art 2 Abs 3 des Assoziierungsabkommens umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsshyphase eine Uumlbergangsphase und eine Endphase dabei soll die Vorbereitungsshyphase gemaumlszlig Art 3 des Abkommens fuumlnf Jahre dauern und die darauf folgende Uumlbergangsphase die gemaumlszlig Art 4 bdquonicht laumlnger als zwoumllf Jahreldquo dauert schlieszliglich in die Endphase uumlberfuumlhren Die Endphase bringt eine weitgehende Annaumlherung der Tuumlrkei an die Union und die Uumlberpruumlfung der Moumlglichkeit eines Beitrittes Eine Kuumlndigung sieht das Abkommen nicht vor Am 1 Jaumlnner 1996 wurde auf Grundshylage dieses Abkommens eine Zollunion zwischen der damaligen EG (nunmehr EU) und der Tuumlrkei eingerichtet Der von der Tuumlrkei bereits am 14 April 1987 geshystellte Beitrittsantrag fuumlhrte schlieszliglich 1999 am Europaumlischen Rat von Helsinki zur Anerkennung der Tuumlrkei als Kandidashytenland fuumlr einen Beitritt zur Union und fortan zur gleichberechtigten Teilnahme der Tuumlrkei gemeinsam mit den anderen Kandidatenlaumlndern am Beitrittsprozess Am 3 Oktober 2005 begann die analytische Pruumlfung des Besitzstands (das so genannte bdquoScreeningldquo) und somit die Eroumlffnung von Beitrittsverhandlungen 2008 kam es zur Verabschiedung einer uumlberarbeiteten Beishytrittspartnerschaft fuumlr die Tuumlrkei Ein Ende der Beitrittsverhandlungen ist aber aus derzeitiger Sicht nicht absehbar

ORGANE DER ASSOZIIERUNG Gemaumlszlig Art 6 des Assoziierungsabkomshymens wird ein Assoziationsrat errichtet der mit der Umsetzung und Weiterentshywicklung der Assoziierung beauftragt wird24 Art 22 des Assoziierungsabkomshymens legt fest dass der Assoziationsrat bdquozur Verwirklichung der Ziele des Abkomshymens und in den darin vorgesehenen Faumllshylen befugt ist Beschluumlsse (zu) fassen Jede der beiden Parteien ist verpflichtet die zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erfordershylichen Maszlignahmen zu treffen Der Assoshyziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben und uumlberpruumlft regelmaumlszligig die Auswirkungen der Assoshyziationsregelung unter Beruumlcksichtigung der Ziele des Abkommens Waumlhrend der Vorbereitungsphase beschraumlnkt sich diese Pruumlfung jedoch auf einen Meinungsausshytausch Mit Beginn der Uumlbergangsphase fasst der Assoziationsrat geeignete Beshyschluumlsse in Faumlllen in denen ein gemeinshysames Taumltigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint um bei der Durchshyfuumlhrung der Assoziationsregelung eines der Ziele des Abkommens zu erreichen und in denen die hierfuumlr erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorshygesehen sindldquo Gemaumlszlig Art 23 des Abshykommens besteht der Assoziationsrat aus bdquoMitgliedern der Regierungen der Mitshygliedstaaten des Rates und der Kommisshysion der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der tuumlrkischen Regierung anshydererseitsldquo Die Mitglieder des Assoziashytionsrats koumlnnen sich nach Maszliggabe der Geschaumlftsordnung vertreten lassen Der Assoziationsrat handelt einstimmig Der Vorsitz im Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Union und einem Vertreter der Tuumlrkei abwechselnd fuumlr sechs Monate wahrgenommen25 Der Assoziationsrat kann sich bei der Erfuumlllung seiner Aufgaben von von ihm eingesetzten Ausschuumlssen unterstuumltzen lassen Er bestimmt die Aufshy

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gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

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Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

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und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

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und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

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tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 4: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-JOURNAL

6

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dem Abkommen gemaumlszlig Art 218 Abs 6 lit a i) AEUV zustimmen Assoziierungsshyabkommen sehen in der Regel als oberstes Organ einen bdquoAssoziationsratldquo vor der die Durchfuumlhrung des Abkommens uumlberwacht und berechtigt oder auch verpflichtet ist Beschluumlsse zur Durchfuumlhrung und zur Fortentwicklung der Assoziation zu treffen Aus der in Art 217 AEUV vorgesehenen Institutionalisierung der Beziehungen des Assoziierungsverhaumlltnisses kann ein Hinshyweis darauf entnommen werden dass die Beziehungen zum assoziierten Staat auf Dauer bestehen sollen Im Gegensatz zu Handelsabkommen sind Assoziierungsabshykommen daher meist auf unbestimmte Zeit geschlossen Vielfach enthalten Assoshyziierungsabkommen Regelungen deren Wortlaut identisch mit entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts ist Nach der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH sind gleichartige Begriffe in von der Union mit Drittstaaten geschlossenen Abkomshymen allerdings nicht zwangslaumlufig gleich auszulegen wie die ihnen entsprechenden Begriffe des AEUV Vielmehr ist auf Ziel und Zweck der Norm abzustellen (vgl dashyzu EuGH C-27080 Polydor14)

RECHTSWIRKUNGEN DES ASSOZIIERUNGSABKOMMENS VOumlLKER- UND EUROPARECHTshyLICHE VERPFLICHTUNGEN DER SIGNATARSTAATEN Als voumllkerrechtliche Vertraumlge unterliegen Assoziierungsabkommen hinsichtlich ihres Inkrafttretens und ihrer voumllkerrechtlichen Bindungswirkung den Regeln des allgeshymeinen Voumllkerrechts Allerdings gibt es fuumlr die Mitgliedstaaten der Union neben der voumllkerrechtlichen Bindung im Innenshyverhaumlltnis auch eine unionsrechtliche Bindungswirkung die sich aus der Rechtsshynatur von Assoziierungsabkommen abshyleiten laumlsst Die Mitgliedstaaten der Union sind doppelt also voumllkerrechtlich und

unionsrechtlich gebunden15 waumlhrend der assoziierte Drittstaat mangels Mitgliedshyschaft in der Union nur voumllkerrechtlich gebunden ist Die voumllkerrechtliche Binshydungswirkung trifft bei gemischten Abshykommen neben der Union auch ihre Mitshygliedstaaten wenn das Abkommen den uumlbrigen Vertragsparteien gegenuumlber keine ausdruumlckliche Kompetenzteilung offenlegt Hinsichtlich der unionsrechtlichen Binshydungswirkung sind Abkommen der Union auch fuumlr deren Organe und deren Mitshygliedstaaten verbindlich Die unionsrechtshyliche Bindungswirkung tritt mit voumllkershyrechtlichem Inkrafttreten automatisch ein ohne dass es eines weiteren Transformashytionsaktes bedarf Das Abkommen wird damit automatisch zu einem bdquointegrierten Bestandteil der Unionsrechtsordnungldquo Als integrierter Bestandteil der Unionsshyrechtsordnung sind Assoziierungsabkomshymen ndash so wie auch andere voumllkerrechtliche Vertraumlge ndash grundsaumltzlich geeignet im Unishyonsrecht direkte Anwendung zu finden (siehe dazu die Entscheidungen des EuGH Rs 18173 Haegemann Rs 1286 Demirel Rs C-16196 Racke Rs C-1890 Kziber) Damit genieszligen die Assoziierungsabkomshymen gemaumlszlig Art 10 AEUV Anwendungsshyvorrang gegenuumlber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten der Union Auch im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Sekunshydaumlrrecht der Union haben Assoziierungsshyabkommen Vorrang Ein solcher Anwenshydungsvorrang kommt ihnen hingegen nicht im Verhaumlltnis zu entgegenstehendem Prishymaumlrrecht zu Assoziierungsabkommen nehshymen sohin eine bdquoMezzanin-Stellungldquo zwishyschen Primaumlr- und Sekundaumlrrecht ein Dies gilt auch fuumlr Beschluumlsse des Assoziationsshyrats (vgl dazu beispielsweise die Urteile des EuGH in den Rechtssachen C-19289 Sevince und C-23791 Kus) Einzelne Beshystimmungen der Abkommen ihrer Zusatzshyprotokolle und der Beschluumlsse der Assoshyziationsraumlte koumlnnen unmittelbar anwendbar

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sein Dies sind sie dann wenn sie unter Beruumlcksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abshykommens eine klare und eindeutige Vershypflichtung enthalten deren Erfuumlllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhaumlngen (so der EuGH erstmalig 1987 in der Rs 1286 Demirel und in zahlreichen in der Folge ergangeshynen Urteilen)

ASSOZIIERUNG DER UNION UND IHRER MITGLIEDSTAATEN MIT DER TUumlRKEI

Rechtsgrundlagen Assoziierungsshyabkommen Zusatzprotokolle und Beschluumlsse des Assoziationsrates Ein besonders interessantes inhaltlich weitreichendes und historisch bedeutsames Assoziierungsverhaumlltnis der Union ist jeshynes mit der Tuumlrkei Da es (unter anderem auch) auf das nationale Fremdenrecht beshydeutende Auswirkungen hat und in diesem Bereich bereits Gegenstand zahlreicher Verfahren vor dem EuGH war wird dieser Teil der Assoziierung in der Folge naumlher eroumlrtert Die folgende Analyse stellt dabei in erster Linie auf jene Aspekte ab die aus fremdenrechtlicher Sicht in den Mitgliedshystaaten von besonderer Relevanz sind dh auf die Rechte im Bereich Niederlassung und Beschaumlftigung tuumlrkischer Staatsangeshyhoumlriger in der Europaumlischen Union Daneshyben ergeben sich aus der Assoziierung soshywohl fuumlr die Union als auch fuumlr die Tuumlrkei viele weitere nicht minder interessante Aspekte wie beispielsweise wirtschaftlishyche oder etwa soziale deren Analyse einer eigenstaumlndigen Darstellung beduumlrften und den Rahmen dieses Beitrages sprengen wuumlrden Da die folgende Darstellung nur die aus fremden- und beschaumlftigungsrechtshylicher Sicht wichtigsten Aspekte zusamshymenfasst kann anhand dieses Beitrages keine Wertung uumlber das Assoziierungsvershy

haumlltnis im Ganzen getroffen werden Zur Beurteilung der aus der Assoziieshy

rung abzuleitenden Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger sind sowohl das am 12 Sepshytember 1963 zwischen der damaligen EWG16 und der Tuumlrkei geschlossene Assoshyziierungsabkommen17 als auch dessen Zushysatzprotokolle und die Beschluumlsse des mit dem Assoziierungsabkommen geschaffenen EU-Tuumlrkei Assoziationsrats (vormals EWG- bzw EG-Tuumlrkei Assoziationsrat) relevant Sie sind fuumlr die Union ihre Mitshygliedstaaten und die Tuumlrkei rechtsverbindshylich und stehen im selben Rang wie das Assoziierungsabkommen selbst18 Maszligshygeblich fuumlr das nationale Fremden- und Auslaumlnderbeschaumlftigungsrecht sind neben dem Assoziierungsabkommen selbst auch das am 23 November 1970 unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen19 sowie die Beschluumlsse des Assoshyziationsrates EWG-Tuumlrkei Nr 276 vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhshyrung von Art 12 des Assoziierungsabkomshymens und Nr 180 vom 19 September 1980 uumlber die Entwicklung der Assoziation Art 12 des Assoziierungsabkommens sieht vor dass bdquohellip (d)ie Vertragsparteien vershyeinbaren sich von den Artikeln 48 49 und 50 des Vertrages (nunmehr Art 45 AEUV 46 AEUV und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellenldquo Art 36 des Zusatzprotokolls besagt weiter dass die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten und der Tuumlrkei nach den Grundsaumltzen des Art 12 des Assoziierungsabkommens schrittweise hergestellt wird Im Beschluss Nr 276 des Assoziationsrats wurde eine Reihe von Maszlignahmen zur Durchfuumlhrung des Art 12 vorgesehen sein Umfang ist aber relativ begrenzt In der Folge wurde Beschluss Nr 180 des Assoziationsrats erlassen um Art 12 des Assoziierungsabkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls durchzufuumlhshy

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ren Gemaumlszlig dem dritten Erwaumlgungsgrund des Beschlusses Nr 180 soll dieser im soshyzialen Bereich zu einer im Vergleich zu Beschluss Nr 276 besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitnehmer und ihrer Famishylienangehoumlrigen fuumlhren Er enthaumllt auch ein absolutes und umfassendes Vershyschlechterungsverbot (Stillhalteklausel) Auf Grund ihrer Relevanz fuumlr das nationashyle Aufenthaltsrecht werden die genannten Rechtsakte in der Folge zusammenfassend dargestellt20

ASSOZIIERUNGSABKOMMEN EU-TUumlRKEI Innerhalb der Gruppe der von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Assoziierungsabkommen kommt dem Abshykommen mit der Tuumlrkei aus zwei Gruumlnden besondere Bedeutung zu Erstens handelt es sich dabei um eine Beitrittsassoziierung und sohin um die wichtigste Untergruppe der Assoziierungsabkommen in Hinblick auf die Enge des Assoziierungsverhaumlltshynisses mit der Union bdquoWeiterldquo als das Abshykommen mit der Tuumlrkei gehen nur die mit den EFTA-Staaten im Rahmen des EWR getroffenen Sonderbestimmungen und die Abkommen mit der Schweiz Zweitens ist das Abkommen von groszliger historischer Bedeutung21 Es handelt sich nach dem 1961 mit Griechenland geschlossenen Asshysoziierungsabkommen um das zweite Abshykommen dieser Art Bereits im September 1959 hat sich die Tuumlrkei um die Aufnahme als assoziiertes Mitglied der EWG beworshyben Nur zwei Jahre nach der Unterzeichshynung des Abkommens mit Griechenland wurde am 12 September 1963 die Beishytrittsassoziierung der Tuumlrkei von der dashymaligen EWG (die in die EG uumlberging und deren Rechtsnachfolgerin wiederum seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissashybon die Europaumlische Union ist) und der Tuumlrkei in Ankara unterzeichnet Das Abshykommen mit Griechenland und das Abshy

kommen mit der Tuumlrkei enthielten als erste Assoziierungsabkommen Bestimmungen zur Freizuumlgigkeit In beiden Faumlllen wurde erstmalig in einem Assoziierungsabkomshymen ein spaumlterer Beitritt zur Union in Ausshysicht gestellt Im Erwaumlgungsgrund 4 der Praumlambel heiszligt es dass das Abkommen in der Erkenntnis geschlossen sei dass bdquodie Hilfe welche die EWG dem tuumlrkischen Volk (hellip) zuteilwerden laumlsst spaumlter den Beitritt der Tuumlrkei zur Gemeinschaft ershyleichtern wirdldquo22 Die Bestimmungen der Praumlambel geben weiter Aufschluss dashyruumlber dass das Ziel des Abkommens uumlber eine wirtschaftliche Annaumlherung hinausshyging Wirtschaftliche oder kulturelle Unshyterschiede sollten uumlberwunden werden um schlieszliglich einen Beitritt der Tuumlrkei zur Union zu erleichtern Das Abkommen ist ein eindeutiger Hinweis darauf dass beshyreits 1963 Uumlberlegungen zu einem Beitritt der Tuumlrkei zur Europaumlischen Union geshymacht wurden und zur damaligen Zeit beishyderseitiges Interesse an einer spaumlteren Mitshygliedschaft der Tuumlrkei in der Union bestand Der damalige Praumlsident der (ersshyten) Kommission der EWG der Deutsche Walter Hallstein bekraumlftigte dies in seiner Rede anlaumlsslich der Unterzeichnung des Abkommens in der er mehrmals betonte die Tuumlrkei bdquogehoumlre zu Europaldquo23 Art 12 Art 13 und Art 14 des Assoziierungsabshykommens folgen unter Bezugnahme auf die ihnen korrespondierenden Bestimshymungen des EWG-Vertrages (danach EG-Vertrag nunmehr AEUV) dem System der Grundfreiheiten Gemaumlszlig Art 12 des Abshykommens vereinbaren die Vertragsparteien sich von den Art 48 49 und 50 des Vershytrages zur Gruumlndung der Gemeinschaft (nunmehr 45 46 und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustelshylen Gemaumlszlig Art 13 des Assoziierungsabshykommens lassen sich die Vertragsparteien von Art 52 bis 56 und 58 des EWG-Vertrashy

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ges leiten (nunmehr Art 49 bis 52 AEUV und Art 54 AEUV) um untereinander die Beschraumlnkung der Niederlassungsfreiheit aufzuheben Gemaumlszlig Art 14 AEUV vereinshybaren die Parteien sich von den entspreshychenden Bestimmungen des EWG-Vertrashyges leiten zu lassen um die Beschraumlnkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzushyheben Art 9 des Assoziierungsabkommens verbietet weiters unter Bezugnahme auf Art 7 des EWG-Vertrages (jetzt Art 18 AEUV) jegliche Diskriminierung auf Grund der Staatsbuumlrgerschaft Gemaumlszlig Art 2 Abs 3 des Assoziierungsabkommens umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsshyphase eine Uumlbergangsphase und eine Endphase dabei soll die Vorbereitungsshyphase gemaumlszlig Art 3 des Abkommens fuumlnf Jahre dauern und die darauf folgende Uumlbergangsphase die gemaumlszlig Art 4 bdquonicht laumlnger als zwoumllf Jahreldquo dauert schlieszliglich in die Endphase uumlberfuumlhren Die Endphase bringt eine weitgehende Annaumlherung der Tuumlrkei an die Union und die Uumlberpruumlfung der Moumlglichkeit eines Beitrittes Eine Kuumlndigung sieht das Abkommen nicht vor Am 1 Jaumlnner 1996 wurde auf Grundshylage dieses Abkommens eine Zollunion zwischen der damaligen EG (nunmehr EU) und der Tuumlrkei eingerichtet Der von der Tuumlrkei bereits am 14 April 1987 geshystellte Beitrittsantrag fuumlhrte schlieszliglich 1999 am Europaumlischen Rat von Helsinki zur Anerkennung der Tuumlrkei als Kandidashytenland fuumlr einen Beitritt zur Union und fortan zur gleichberechtigten Teilnahme der Tuumlrkei gemeinsam mit den anderen Kandidatenlaumlndern am Beitrittsprozess Am 3 Oktober 2005 begann die analytische Pruumlfung des Besitzstands (das so genannte bdquoScreeningldquo) und somit die Eroumlffnung von Beitrittsverhandlungen 2008 kam es zur Verabschiedung einer uumlberarbeiteten Beishytrittspartnerschaft fuumlr die Tuumlrkei Ein Ende der Beitrittsverhandlungen ist aber aus derzeitiger Sicht nicht absehbar

ORGANE DER ASSOZIIERUNG Gemaumlszlig Art 6 des Assoziierungsabkomshymens wird ein Assoziationsrat errichtet der mit der Umsetzung und Weiterentshywicklung der Assoziierung beauftragt wird24 Art 22 des Assoziierungsabkomshymens legt fest dass der Assoziationsrat bdquozur Verwirklichung der Ziele des Abkomshymens und in den darin vorgesehenen Faumllshylen befugt ist Beschluumlsse (zu) fassen Jede der beiden Parteien ist verpflichtet die zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erfordershylichen Maszlignahmen zu treffen Der Assoshyziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben und uumlberpruumlft regelmaumlszligig die Auswirkungen der Assoshyziationsregelung unter Beruumlcksichtigung der Ziele des Abkommens Waumlhrend der Vorbereitungsphase beschraumlnkt sich diese Pruumlfung jedoch auf einen Meinungsausshytausch Mit Beginn der Uumlbergangsphase fasst der Assoziationsrat geeignete Beshyschluumlsse in Faumlllen in denen ein gemeinshysames Taumltigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint um bei der Durchshyfuumlhrung der Assoziationsregelung eines der Ziele des Abkommens zu erreichen und in denen die hierfuumlr erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorshygesehen sindldquo Gemaumlszlig Art 23 des Abshykommens besteht der Assoziationsrat aus bdquoMitgliedern der Regierungen der Mitshygliedstaaten des Rates und der Kommisshysion der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der tuumlrkischen Regierung anshydererseitsldquo Die Mitglieder des Assoziashytionsrats koumlnnen sich nach Maszliggabe der Geschaumlftsordnung vertreten lassen Der Assoziationsrat handelt einstimmig Der Vorsitz im Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Union und einem Vertreter der Tuumlrkei abwechselnd fuumlr sechs Monate wahrgenommen25 Der Assoziationsrat kann sich bei der Erfuumlllung seiner Aufgaben von von ihm eingesetzten Ausschuumlssen unterstuumltzen lassen Er bestimmt die Aufshy

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gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

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Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

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und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

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und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

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tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

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tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

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Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

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ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

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(2009)

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Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

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10 June 1999

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EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

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vom 09122010

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Beitrittspartnerschaft der Union mit der

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summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

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Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

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Union

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Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

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summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

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Page 5: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

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sein Dies sind sie dann wenn sie unter Beruumlcksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abshykommens eine klare und eindeutige Vershypflichtung enthalten deren Erfuumlllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhaumlngen (so der EuGH erstmalig 1987 in der Rs 1286 Demirel und in zahlreichen in der Folge ergangeshynen Urteilen)

ASSOZIIERUNG DER UNION UND IHRER MITGLIEDSTAATEN MIT DER TUumlRKEI

Rechtsgrundlagen Assoziierungsshyabkommen Zusatzprotokolle und Beschluumlsse des Assoziationsrates Ein besonders interessantes inhaltlich weitreichendes und historisch bedeutsames Assoziierungsverhaumlltnis der Union ist jeshynes mit der Tuumlrkei Da es (unter anderem auch) auf das nationale Fremdenrecht beshydeutende Auswirkungen hat und in diesem Bereich bereits Gegenstand zahlreicher Verfahren vor dem EuGH war wird dieser Teil der Assoziierung in der Folge naumlher eroumlrtert Die folgende Analyse stellt dabei in erster Linie auf jene Aspekte ab die aus fremdenrechtlicher Sicht in den Mitgliedshystaaten von besonderer Relevanz sind dh auf die Rechte im Bereich Niederlassung und Beschaumlftigung tuumlrkischer Staatsangeshyhoumlriger in der Europaumlischen Union Daneshyben ergeben sich aus der Assoziierung soshywohl fuumlr die Union als auch fuumlr die Tuumlrkei viele weitere nicht minder interessante Aspekte wie beispielsweise wirtschaftlishyche oder etwa soziale deren Analyse einer eigenstaumlndigen Darstellung beduumlrften und den Rahmen dieses Beitrages sprengen wuumlrden Da die folgende Darstellung nur die aus fremden- und beschaumlftigungsrechtshylicher Sicht wichtigsten Aspekte zusamshymenfasst kann anhand dieses Beitrages keine Wertung uumlber das Assoziierungsvershy

haumlltnis im Ganzen getroffen werden Zur Beurteilung der aus der Assoziieshy

rung abzuleitenden Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger sind sowohl das am 12 Sepshytember 1963 zwischen der damaligen EWG16 und der Tuumlrkei geschlossene Assoshyziierungsabkommen17 als auch dessen Zushysatzprotokolle und die Beschluumlsse des mit dem Assoziierungsabkommen geschaffenen EU-Tuumlrkei Assoziationsrats (vormals EWG- bzw EG-Tuumlrkei Assoziationsrat) relevant Sie sind fuumlr die Union ihre Mitshygliedstaaten und die Tuumlrkei rechtsverbindshylich und stehen im selben Rang wie das Assoziierungsabkommen selbst18 Maszligshygeblich fuumlr das nationale Fremden- und Auslaumlnderbeschaumlftigungsrecht sind neben dem Assoziierungsabkommen selbst auch das am 23 November 1970 unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen19 sowie die Beschluumlsse des Assoshyziationsrates EWG-Tuumlrkei Nr 276 vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhshyrung von Art 12 des Assoziierungsabkomshymens und Nr 180 vom 19 September 1980 uumlber die Entwicklung der Assoziation Art 12 des Assoziierungsabkommens sieht vor dass bdquohellip (d)ie Vertragsparteien vershyeinbaren sich von den Artikeln 48 49 und 50 des Vertrages (nunmehr Art 45 AEUV 46 AEUV und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellenldquo Art 36 des Zusatzprotokolls besagt weiter dass die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten und der Tuumlrkei nach den Grundsaumltzen des Art 12 des Assoziierungsabkommens schrittweise hergestellt wird Im Beschluss Nr 276 des Assoziationsrats wurde eine Reihe von Maszlignahmen zur Durchfuumlhrung des Art 12 vorgesehen sein Umfang ist aber relativ begrenzt In der Folge wurde Beschluss Nr 180 des Assoziationsrats erlassen um Art 12 des Assoziierungsabkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls durchzufuumlhshy

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ren Gemaumlszlig dem dritten Erwaumlgungsgrund des Beschlusses Nr 180 soll dieser im soshyzialen Bereich zu einer im Vergleich zu Beschluss Nr 276 besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitnehmer und ihrer Famishylienangehoumlrigen fuumlhren Er enthaumllt auch ein absolutes und umfassendes Vershyschlechterungsverbot (Stillhalteklausel) Auf Grund ihrer Relevanz fuumlr das nationashyle Aufenthaltsrecht werden die genannten Rechtsakte in der Folge zusammenfassend dargestellt20

ASSOZIIERUNGSABKOMMEN EU-TUumlRKEI Innerhalb der Gruppe der von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Assoziierungsabkommen kommt dem Abshykommen mit der Tuumlrkei aus zwei Gruumlnden besondere Bedeutung zu Erstens handelt es sich dabei um eine Beitrittsassoziierung und sohin um die wichtigste Untergruppe der Assoziierungsabkommen in Hinblick auf die Enge des Assoziierungsverhaumlltshynisses mit der Union bdquoWeiterldquo als das Abshykommen mit der Tuumlrkei gehen nur die mit den EFTA-Staaten im Rahmen des EWR getroffenen Sonderbestimmungen und die Abkommen mit der Schweiz Zweitens ist das Abkommen von groszliger historischer Bedeutung21 Es handelt sich nach dem 1961 mit Griechenland geschlossenen Asshysoziierungsabkommen um das zweite Abshykommen dieser Art Bereits im September 1959 hat sich die Tuumlrkei um die Aufnahme als assoziiertes Mitglied der EWG beworshyben Nur zwei Jahre nach der Unterzeichshynung des Abkommens mit Griechenland wurde am 12 September 1963 die Beishytrittsassoziierung der Tuumlrkei von der dashymaligen EWG (die in die EG uumlberging und deren Rechtsnachfolgerin wiederum seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissashybon die Europaumlische Union ist) und der Tuumlrkei in Ankara unterzeichnet Das Abshykommen mit Griechenland und das Abshy

kommen mit der Tuumlrkei enthielten als erste Assoziierungsabkommen Bestimmungen zur Freizuumlgigkeit In beiden Faumlllen wurde erstmalig in einem Assoziierungsabkomshymen ein spaumlterer Beitritt zur Union in Ausshysicht gestellt Im Erwaumlgungsgrund 4 der Praumlambel heiszligt es dass das Abkommen in der Erkenntnis geschlossen sei dass bdquodie Hilfe welche die EWG dem tuumlrkischen Volk (hellip) zuteilwerden laumlsst spaumlter den Beitritt der Tuumlrkei zur Gemeinschaft ershyleichtern wirdldquo22 Die Bestimmungen der Praumlambel geben weiter Aufschluss dashyruumlber dass das Ziel des Abkommens uumlber eine wirtschaftliche Annaumlherung hinausshyging Wirtschaftliche oder kulturelle Unshyterschiede sollten uumlberwunden werden um schlieszliglich einen Beitritt der Tuumlrkei zur Union zu erleichtern Das Abkommen ist ein eindeutiger Hinweis darauf dass beshyreits 1963 Uumlberlegungen zu einem Beitritt der Tuumlrkei zur Europaumlischen Union geshymacht wurden und zur damaligen Zeit beishyderseitiges Interesse an einer spaumlteren Mitshygliedschaft der Tuumlrkei in der Union bestand Der damalige Praumlsident der (ersshyten) Kommission der EWG der Deutsche Walter Hallstein bekraumlftigte dies in seiner Rede anlaumlsslich der Unterzeichnung des Abkommens in der er mehrmals betonte die Tuumlrkei bdquogehoumlre zu Europaldquo23 Art 12 Art 13 und Art 14 des Assoziierungsabshykommens folgen unter Bezugnahme auf die ihnen korrespondierenden Bestimshymungen des EWG-Vertrages (danach EG-Vertrag nunmehr AEUV) dem System der Grundfreiheiten Gemaumlszlig Art 12 des Abshykommens vereinbaren die Vertragsparteien sich von den Art 48 49 und 50 des Vershytrages zur Gruumlndung der Gemeinschaft (nunmehr 45 46 und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustelshylen Gemaumlszlig Art 13 des Assoziierungsabshykommens lassen sich die Vertragsparteien von Art 52 bis 56 und 58 des EWG-Vertrashy

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ges leiten (nunmehr Art 49 bis 52 AEUV und Art 54 AEUV) um untereinander die Beschraumlnkung der Niederlassungsfreiheit aufzuheben Gemaumlszlig Art 14 AEUV vereinshybaren die Parteien sich von den entspreshychenden Bestimmungen des EWG-Vertrashyges leiten zu lassen um die Beschraumlnkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzushyheben Art 9 des Assoziierungsabkommens verbietet weiters unter Bezugnahme auf Art 7 des EWG-Vertrages (jetzt Art 18 AEUV) jegliche Diskriminierung auf Grund der Staatsbuumlrgerschaft Gemaumlszlig Art 2 Abs 3 des Assoziierungsabkommens umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsshyphase eine Uumlbergangsphase und eine Endphase dabei soll die Vorbereitungsshyphase gemaumlszlig Art 3 des Abkommens fuumlnf Jahre dauern und die darauf folgende Uumlbergangsphase die gemaumlszlig Art 4 bdquonicht laumlnger als zwoumllf Jahreldquo dauert schlieszliglich in die Endphase uumlberfuumlhren Die Endphase bringt eine weitgehende Annaumlherung der Tuumlrkei an die Union und die Uumlberpruumlfung der Moumlglichkeit eines Beitrittes Eine Kuumlndigung sieht das Abkommen nicht vor Am 1 Jaumlnner 1996 wurde auf Grundshylage dieses Abkommens eine Zollunion zwischen der damaligen EG (nunmehr EU) und der Tuumlrkei eingerichtet Der von der Tuumlrkei bereits am 14 April 1987 geshystellte Beitrittsantrag fuumlhrte schlieszliglich 1999 am Europaumlischen Rat von Helsinki zur Anerkennung der Tuumlrkei als Kandidashytenland fuumlr einen Beitritt zur Union und fortan zur gleichberechtigten Teilnahme der Tuumlrkei gemeinsam mit den anderen Kandidatenlaumlndern am Beitrittsprozess Am 3 Oktober 2005 begann die analytische Pruumlfung des Besitzstands (das so genannte bdquoScreeningldquo) und somit die Eroumlffnung von Beitrittsverhandlungen 2008 kam es zur Verabschiedung einer uumlberarbeiteten Beishytrittspartnerschaft fuumlr die Tuumlrkei Ein Ende der Beitrittsverhandlungen ist aber aus derzeitiger Sicht nicht absehbar

ORGANE DER ASSOZIIERUNG Gemaumlszlig Art 6 des Assoziierungsabkomshymens wird ein Assoziationsrat errichtet der mit der Umsetzung und Weiterentshywicklung der Assoziierung beauftragt wird24 Art 22 des Assoziierungsabkomshymens legt fest dass der Assoziationsrat bdquozur Verwirklichung der Ziele des Abkomshymens und in den darin vorgesehenen Faumllshylen befugt ist Beschluumlsse (zu) fassen Jede der beiden Parteien ist verpflichtet die zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erfordershylichen Maszlignahmen zu treffen Der Assoshyziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben und uumlberpruumlft regelmaumlszligig die Auswirkungen der Assoshyziationsregelung unter Beruumlcksichtigung der Ziele des Abkommens Waumlhrend der Vorbereitungsphase beschraumlnkt sich diese Pruumlfung jedoch auf einen Meinungsausshytausch Mit Beginn der Uumlbergangsphase fasst der Assoziationsrat geeignete Beshyschluumlsse in Faumlllen in denen ein gemeinshysames Taumltigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint um bei der Durchshyfuumlhrung der Assoziationsregelung eines der Ziele des Abkommens zu erreichen und in denen die hierfuumlr erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorshygesehen sindldquo Gemaumlszlig Art 23 des Abshykommens besteht der Assoziationsrat aus bdquoMitgliedern der Regierungen der Mitshygliedstaaten des Rates und der Kommisshysion der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der tuumlrkischen Regierung anshydererseitsldquo Die Mitglieder des Assoziashytionsrats koumlnnen sich nach Maszliggabe der Geschaumlftsordnung vertreten lassen Der Assoziationsrat handelt einstimmig Der Vorsitz im Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Union und einem Vertreter der Tuumlrkei abwechselnd fuumlr sechs Monate wahrgenommen25 Der Assoziationsrat kann sich bei der Erfuumlllung seiner Aufgaben von von ihm eingesetzten Ausschuumlssen unterstuumltzen lassen Er bestimmt die Aufshy

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gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

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Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

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und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

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und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

13

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 6: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-JOURNAL

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ren Gemaumlszlig dem dritten Erwaumlgungsgrund des Beschlusses Nr 180 soll dieser im soshyzialen Bereich zu einer im Vergleich zu Beschluss Nr 276 besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitnehmer und ihrer Famishylienangehoumlrigen fuumlhren Er enthaumllt auch ein absolutes und umfassendes Vershyschlechterungsverbot (Stillhalteklausel) Auf Grund ihrer Relevanz fuumlr das nationashyle Aufenthaltsrecht werden die genannten Rechtsakte in der Folge zusammenfassend dargestellt20

ASSOZIIERUNGSABKOMMEN EU-TUumlRKEI Innerhalb der Gruppe der von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Assoziierungsabkommen kommt dem Abshykommen mit der Tuumlrkei aus zwei Gruumlnden besondere Bedeutung zu Erstens handelt es sich dabei um eine Beitrittsassoziierung und sohin um die wichtigste Untergruppe der Assoziierungsabkommen in Hinblick auf die Enge des Assoziierungsverhaumlltshynisses mit der Union bdquoWeiterldquo als das Abshykommen mit der Tuumlrkei gehen nur die mit den EFTA-Staaten im Rahmen des EWR getroffenen Sonderbestimmungen und die Abkommen mit der Schweiz Zweitens ist das Abkommen von groszliger historischer Bedeutung21 Es handelt sich nach dem 1961 mit Griechenland geschlossenen Asshysoziierungsabkommen um das zweite Abshykommen dieser Art Bereits im September 1959 hat sich die Tuumlrkei um die Aufnahme als assoziiertes Mitglied der EWG beworshyben Nur zwei Jahre nach der Unterzeichshynung des Abkommens mit Griechenland wurde am 12 September 1963 die Beishytrittsassoziierung der Tuumlrkei von der dashymaligen EWG (die in die EG uumlberging und deren Rechtsnachfolgerin wiederum seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissashybon die Europaumlische Union ist) und der Tuumlrkei in Ankara unterzeichnet Das Abshykommen mit Griechenland und das Abshy

kommen mit der Tuumlrkei enthielten als erste Assoziierungsabkommen Bestimmungen zur Freizuumlgigkeit In beiden Faumlllen wurde erstmalig in einem Assoziierungsabkomshymen ein spaumlterer Beitritt zur Union in Ausshysicht gestellt Im Erwaumlgungsgrund 4 der Praumlambel heiszligt es dass das Abkommen in der Erkenntnis geschlossen sei dass bdquodie Hilfe welche die EWG dem tuumlrkischen Volk (hellip) zuteilwerden laumlsst spaumlter den Beitritt der Tuumlrkei zur Gemeinschaft ershyleichtern wirdldquo22 Die Bestimmungen der Praumlambel geben weiter Aufschluss dashyruumlber dass das Ziel des Abkommens uumlber eine wirtschaftliche Annaumlherung hinausshyging Wirtschaftliche oder kulturelle Unshyterschiede sollten uumlberwunden werden um schlieszliglich einen Beitritt der Tuumlrkei zur Union zu erleichtern Das Abkommen ist ein eindeutiger Hinweis darauf dass beshyreits 1963 Uumlberlegungen zu einem Beitritt der Tuumlrkei zur Europaumlischen Union geshymacht wurden und zur damaligen Zeit beishyderseitiges Interesse an einer spaumlteren Mitshygliedschaft der Tuumlrkei in der Union bestand Der damalige Praumlsident der (ersshyten) Kommission der EWG der Deutsche Walter Hallstein bekraumlftigte dies in seiner Rede anlaumlsslich der Unterzeichnung des Abkommens in der er mehrmals betonte die Tuumlrkei bdquogehoumlre zu Europaldquo23 Art 12 Art 13 und Art 14 des Assoziierungsabshykommens folgen unter Bezugnahme auf die ihnen korrespondierenden Bestimshymungen des EWG-Vertrages (danach EG-Vertrag nunmehr AEUV) dem System der Grundfreiheiten Gemaumlszlig Art 12 des Abshykommens vereinbaren die Vertragsparteien sich von den Art 48 49 und 50 des Vershytrages zur Gruumlndung der Gemeinschaft (nunmehr 45 46 und 47 AEUV) leiten zu lassen um untereinander die Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustelshylen Gemaumlszlig Art 13 des Assoziierungsabshykommens lassen sich die Vertragsparteien von Art 52 bis 56 und 58 des EWG-Vertrashy

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ges leiten (nunmehr Art 49 bis 52 AEUV und Art 54 AEUV) um untereinander die Beschraumlnkung der Niederlassungsfreiheit aufzuheben Gemaumlszlig Art 14 AEUV vereinshybaren die Parteien sich von den entspreshychenden Bestimmungen des EWG-Vertrashyges leiten zu lassen um die Beschraumlnkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzushyheben Art 9 des Assoziierungsabkommens verbietet weiters unter Bezugnahme auf Art 7 des EWG-Vertrages (jetzt Art 18 AEUV) jegliche Diskriminierung auf Grund der Staatsbuumlrgerschaft Gemaumlszlig Art 2 Abs 3 des Assoziierungsabkommens umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsshyphase eine Uumlbergangsphase und eine Endphase dabei soll die Vorbereitungsshyphase gemaumlszlig Art 3 des Abkommens fuumlnf Jahre dauern und die darauf folgende Uumlbergangsphase die gemaumlszlig Art 4 bdquonicht laumlnger als zwoumllf Jahreldquo dauert schlieszliglich in die Endphase uumlberfuumlhren Die Endphase bringt eine weitgehende Annaumlherung der Tuumlrkei an die Union und die Uumlberpruumlfung der Moumlglichkeit eines Beitrittes Eine Kuumlndigung sieht das Abkommen nicht vor Am 1 Jaumlnner 1996 wurde auf Grundshylage dieses Abkommens eine Zollunion zwischen der damaligen EG (nunmehr EU) und der Tuumlrkei eingerichtet Der von der Tuumlrkei bereits am 14 April 1987 geshystellte Beitrittsantrag fuumlhrte schlieszliglich 1999 am Europaumlischen Rat von Helsinki zur Anerkennung der Tuumlrkei als Kandidashytenland fuumlr einen Beitritt zur Union und fortan zur gleichberechtigten Teilnahme der Tuumlrkei gemeinsam mit den anderen Kandidatenlaumlndern am Beitrittsprozess Am 3 Oktober 2005 begann die analytische Pruumlfung des Besitzstands (das so genannte bdquoScreeningldquo) und somit die Eroumlffnung von Beitrittsverhandlungen 2008 kam es zur Verabschiedung einer uumlberarbeiteten Beishytrittspartnerschaft fuumlr die Tuumlrkei Ein Ende der Beitrittsverhandlungen ist aber aus derzeitiger Sicht nicht absehbar

ORGANE DER ASSOZIIERUNG Gemaumlszlig Art 6 des Assoziierungsabkomshymens wird ein Assoziationsrat errichtet der mit der Umsetzung und Weiterentshywicklung der Assoziierung beauftragt wird24 Art 22 des Assoziierungsabkomshymens legt fest dass der Assoziationsrat bdquozur Verwirklichung der Ziele des Abkomshymens und in den darin vorgesehenen Faumllshylen befugt ist Beschluumlsse (zu) fassen Jede der beiden Parteien ist verpflichtet die zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erfordershylichen Maszlignahmen zu treffen Der Assoshyziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben und uumlberpruumlft regelmaumlszligig die Auswirkungen der Assoshyziationsregelung unter Beruumlcksichtigung der Ziele des Abkommens Waumlhrend der Vorbereitungsphase beschraumlnkt sich diese Pruumlfung jedoch auf einen Meinungsausshytausch Mit Beginn der Uumlbergangsphase fasst der Assoziationsrat geeignete Beshyschluumlsse in Faumlllen in denen ein gemeinshysames Taumltigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint um bei der Durchshyfuumlhrung der Assoziationsregelung eines der Ziele des Abkommens zu erreichen und in denen die hierfuumlr erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorshygesehen sindldquo Gemaumlszlig Art 23 des Abshykommens besteht der Assoziationsrat aus bdquoMitgliedern der Regierungen der Mitshygliedstaaten des Rates und der Kommisshysion der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der tuumlrkischen Regierung anshydererseitsldquo Die Mitglieder des Assoziashytionsrats koumlnnen sich nach Maszliggabe der Geschaumlftsordnung vertreten lassen Der Assoziationsrat handelt einstimmig Der Vorsitz im Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Union und einem Vertreter der Tuumlrkei abwechselnd fuumlr sechs Monate wahrgenommen25 Der Assoziationsrat kann sich bei der Erfuumlllung seiner Aufgaben von von ihm eingesetzten Ausschuumlssen unterstuumltzen lassen Er bestimmt die Aufshy

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gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

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Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

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und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

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und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

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tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

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uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

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SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

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Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

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(2009)

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Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

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Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

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chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

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der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

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summariesenlargementwestern_balkans

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Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

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Beitrittspartnerschaft der Union mit der

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summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

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consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

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Page 7: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

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ges leiten (nunmehr Art 49 bis 52 AEUV und Art 54 AEUV) um untereinander die Beschraumlnkung der Niederlassungsfreiheit aufzuheben Gemaumlszlig Art 14 AEUV vereinshybaren die Parteien sich von den entspreshychenden Bestimmungen des EWG-Vertrashyges leiten zu lassen um die Beschraumlnkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzushyheben Art 9 des Assoziierungsabkommens verbietet weiters unter Bezugnahme auf Art 7 des EWG-Vertrages (jetzt Art 18 AEUV) jegliche Diskriminierung auf Grund der Staatsbuumlrgerschaft Gemaumlszlig Art 2 Abs 3 des Assoziierungsabkommens umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsshyphase eine Uumlbergangsphase und eine Endphase dabei soll die Vorbereitungsshyphase gemaumlszlig Art 3 des Abkommens fuumlnf Jahre dauern und die darauf folgende Uumlbergangsphase die gemaumlszlig Art 4 bdquonicht laumlnger als zwoumllf Jahreldquo dauert schlieszliglich in die Endphase uumlberfuumlhren Die Endphase bringt eine weitgehende Annaumlherung der Tuumlrkei an die Union und die Uumlberpruumlfung der Moumlglichkeit eines Beitrittes Eine Kuumlndigung sieht das Abkommen nicht vor Am 1 Jaumlnner 1996 wurde auf Grundshylage dieses Abkommens eine Zollunion zwischen der damaligen EG (nunmehr EU) und der Tuumlrkei eingerichtet Der von der Tuumlrkei bereits am 14 April 1987 geshystellte Beitrittsantrag fuumlhrte schlieszliglich 1999 am Europaumlischen Rat von Helsinki zur Anerkennung der Tuumlrkei als Kandidashytenland fuumlr einen Beitritt zur Union und fortan zur gleichberechtigten Teilnahme der Tuumlrkei gemeinsam mit den anderen Kandidatenlaumlndern am Beitrittsprozess Am 3 Oktober 2005 begann die analytische Pruumlfung des Besitzstands (das so genannte bdquoScreeningldquo) und somit die Eroumlffnung von Beitrittsverhandlungen 2008 kam es zur Verabschiedung einer uumlberarbeiteten Beishytrittspartnerschaft fuumlr die Tuumlrkei Ein Ende der Beitrittsverhandlungen ist aber aus derzeitiger Sicht nicht absehbar

ORGANE DER ASSOZIIERUNG Gemaumlszlig Art 6 des Assoziierungsabkomshymens wird ein Assoziationsrat errichtet der mit der Umsetzung und Weiterentshywicklung der Assoziierung beauftragt wird24 Art 22 des Assoziierungsabkomshymens legt fest dass der Assoziationsrat bdquozur Verwirklichung der Ziele des Abkomshymens und in den darin vorgesehenen Faumllshylen befugt ist Beschluumlsse (zu) fassen Jede der beiden Parteien ist verpflichtet die zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erfordershylichen Maszlignahmen zu treffen Der Assoshyziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben und uumlberpruumlft regelmaumlszligig die Auswirkungen der Assoshyziationsregelung unter Beruumlcksichtigung der Ziele des Abkommens Waumlhrend der Vorbereitungsphase beschraumlnkt sich diese Pruumlfung jedoch auf einen Meinungsausshytausch Mit Beginn der Uumlbergangsphase fasst der Assoziationsrat geeignete Beshyschluumlsse in Faumlllen in denen ein gemeinshysames Taumltigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint um bei der Durchshyfuumlhrung der Assoziationsregelung eines der Ziele des Abkommens zu erreichen und in denen die hierfuumlr erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorshygesehen sindldquo Gemaumlszlig Art 23 des Abshykommens besteht der Assoziationsrat aus bdquoMitgliedern der Regierungen der Mitshygliedstaaten des Rates und der Kommisshysion der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der tuumlrkischen Regierung anshydererseitsldquo Die Mitglieder des Assoziashytionsrats koumlnnen sich nach Maszliggabe der Geschaumlftsordnung vertreten lassen Der Assoziationsrat handelt einstimmig Der Vorsitz im Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Union und einem Vertreter der Tuumlrkei abwechselnd fuumlr sechs Monate wahrgenommen25 Der Assoziationsrat kann sich bei der Erfuumlllung seiner Aufgaben von von ihm eingesetzten Ausschuumlssen unterstuumltzen lassen Er bestimmt die Aufshy

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gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

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Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

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und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

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und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

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tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

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tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

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Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 8: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-JOURNAL

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22012

gaben und die Zustaumlndigkeit dieser Ausshyschuumlsse Art 27 des Assoziierungsabkomshymens regelt die Zusammenarbeit des Asshysoziationsrates mit dem tuumlrkischen und dem Europaumlischen Parlament In der Regel tagt der Assoziationsrat einmal jaumlhrlich Seine letzte Sitzung fand am 19 April 2011 in Bruumlssel26 statt Den Vorshysitz fuumlhrte der tuumlrkische Auszligenminister Ahmet Davatoglu Teil der tuumlrkischen Deshylegation war daneben auch der tuumlrkische Minister fuumlr EU-Angelegenheiten und Chefverhandler auf tuumlrkischer Seite Egemen Bagis Da das Treffen unter ungashyrischer EU-Ratspraumlsidentschaft stattfand wurde die Delegation der Europaumlischen Union vom ungarischen Auszligenminister Jaacutenos Martonyi in Vertretung der Hohen Vertreterin der Europaumlischen Union fuumlr Auszligen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton geleitet Seitens der Europaumlischen Kommission nahm Erweiterungskommisshysar Stefan Fuumlle am Treffen teil Themashytisch befasste sich der Assoziationsrat mit den Fortschritten der Tuumlrkei im Beitrittsshyprozess und den bilateralen Beziehungen Das naumlchste und bereits 50 Treffen des Assoziationsrats wird unter daumlnischem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2012 stattfinden

RECHTSVERBINDLICHKEIT DER BESCHLUumlSSE DES ASSOZIATIONSRATS Um den Beschluumlssen des Assoziationsrats dieselbe rechtsverbindliche Wirkung wie den Bestimmungen des Abkommens ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt ins Unionsrecht einzuraumlumen und sie sohin integrierter Bestandteil des Unionsrechts werden zu lassen bedarf es aus rechtsshydogmatischer Sicht eines entsprechenden Delegationsakts Dieser findet sich im zitierten Art 22 des Assoziationsabkomshymens gemaumlszlig Art 22 wird dem Assoshyziationsrat die Kompetenz uumlbertragen

Beschluumlsse zu fassen und die Vertragsparshyteien verpflichten sich ferner darin bdquodie zur Durchfuumlhrung der Beschluumlsse erforshyderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

ZUSATZPROTOKOLL VOM 23 DEZEMBER 1970 Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshykommen vom 23 Dezember 1970 beshyschreibt die Bedingungen und den Zeitplan fuumlr die Umsetzung der Uumlbergangsphase im Sinne der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annaumlherung der Wirtshyschaftspolitik der Vertragsparteien Es gliedert sich in vier Titel Im ersten Titel wird der freie Warenverkehr im zweiten Titel werden die Freizuumlgigkeit sowie der Dienstleistungsverkehr und im dritten Titel wird die Angleichung der Wirtschaftspolishytik behandelt Im vierten Titel finden sich Allgemeine Bestimmungen und Schlussshybestimmungen Es enthaumllt auch wesentliche Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizuumlshygigkeit und zum Niederlassungsrecht Geshymaumlszlig seinem Art 62 sind das Zusatzprotoshykoll und dessen Anhaumlnge Bestandteil des Assoziierungsabkommens Die aus Sicht des Niederlassungsrechts wichtigste Beshystimmung des Zusatzprotokolls ist die so genannte bdquoStillhaltungsklauselldquo in Art 41 Abs 1 Sie ordnet an dass die Vertragsparshyteien bdquountereinander keine neuen Beshyschraumlnkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfuumlhren (werden)27ldquo Art 41 Abs 1 untershysagt damit explizit auch jegliche Einfuumlhshyrung neuer Maszlignahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die in ihrer Wirkung als Beschraumlnkungen der Niedershylassungsfreiheit und des freien Dienstnehshymerverkehrs zu werten sind In den vershybunden Rechtssachen C-3170128 Abatay und C-36901 Sahin hat der Europaumlische Gerichtshof festgestellt dass diese Beshystimmung unmittelbar anwendbar ist Geshymaumlszlig Art 36 des Zusatzprotokolls haumltte die

SIAK-JOURNAL 22012

Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

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und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

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und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

13

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

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Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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recht der Europaumlischen Union (2011)

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im Zusammenspiel von Europarecht und

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(2010)

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(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

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Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

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httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 9: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-JOURNAL 22012

Freizuumlgigkeit der Arbeitnehmer bereits bis 1 Dezember 1986 durch Beschluss des Assoziationsrates hergestellt werden sollen Dieser Beschluss wurde allerdings bis zum heutigen Tage nicht gefasst Trotz des Fristablaufs wurde Art 36 des Zusatzshyprotokolls im Gegensatz zu Art 41 Abs 1 nicht unmittelbar anwendbar (so der EuGH in der Rechtssache 1286 Demirel im Jahr 1987) Abschlieszligend legt das Zusatzprotoshykoll in Art 61 die Dauer der Uumlbergangsshyphase fuumlr zwoumllf Jahre fest29 Im Ergebnis bedeutet das dass fuumlr tuumlrkische Staatsshyangehoumlrige in Bezug auf Niederlassungsshyfreiheit und Dienstleistungsfreiheit jene Rechtslage gilt die in den Mitgliedstaaten der Europaumlischen Union zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geshygolten hat Da Oumlsterreich der Union allershydings erst rund 25 Jahre spaumlter beigetreten ist gilt fuumlr Oumlsterreich als Stichtag der Tag des Beitrittes Oumlsterreichs also der 1 Jaumlnner 1995 Sohin ist fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger die guumlnstigste oumlsterreichische Rechtslage seit dem 1 Jaumlnner 1995 anzuwenden Auch eine nach dem 1 Jaumlnner 1995 geshytroffene guumlnstigere Regelung darf in Beshyzug auf tuumlrkische Staatsbuumlrger nicht zushyruumlckgenommen werden dh auch wenn die zuletzt eingefuumlhrte Regelung immer noch weniger streng waumlre als diejenige die zum 1 Jaumlnner 1995 gegolten hatte muss die bdquobessere Regelungldquo hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsshyfreiheit fuumlr tuumlrkische Staatsbuumlrger weitershyhin gelten Obwohl die 1970 urspruumlnglich geplante vollstaumlndige Freizuumlgigkeit manshygels Beschluss des Assoziationsrates nie eingefuumlhrt wurde kam es dennoch zu weishyteren Beschluumlssen des Assoziationsrates die die Rechte tuumlrkischer Staatsbuumlrger bedeutend gestaumlrkt haben und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf das natioshynale Recht der Mitgliedstaaten hatten Aufenthalts- und beschaumlftigungsrechtlich sind hierbei die Beschluumlsse Nr 276 und

Nr 180 zu nennen welche in der Folge weiter dargestellt werden Daneben hat der Beschluss Nr 380 tuumlrkischen Staatsangeshyhoumlrigen die in der Union gearbeitet hashyben ihren Familienangehoumlrigen und Hinshyterbliebenen den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit ermoumlglicht

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 276 Der Beschluss Nr 276 des Assoziationsshyrats vom 20 Dezember 1976 uumlber die Durchfuumlhrung von Art 12 des Assoziieshyrungsabkommens (Freizuumlgigkeit der Arshybeitnehmer) enthaumllt Durchfuumlhrungsbeshystimmungen zu Art 36 des Zusatzprotokolls (demgemaumlszlig die Freizuumlgigkeit bis 1986 mit Beschluss des Assoziationsrats vollstaumlndig umgesetzt haumltte werden sollen was allershydings wie ausgefuumlhrt bis zum heutigen Tage nicht passiert ist) Allerdings zeigte man sich bei der Umsetzung der endguumlltishygen Arbeitnehmerfreizuumlgigkeit damals schon zoumlgerlich weshalb der Beschluss im Ergebnis mehr als bdquoMinimalkonsensldquo und weniger als de facto bdquoDurchfuumlhrungsbeshystimmungldquo zu werten ist Gemaumlszlig Art 1 Abs 1 definiert sich der Beschluss als bdquoerste Stufe der Freizuumlgigkeitldquo Zentrale Bestimmung ist die Regelung in Art 2 Abs 1 der Rechtsverhaumlltnisse tuumlrkischer Arbeitnehmer bedeutsam staumlrkt Demnach ist tuumlrkischen Arbeitnehmern die bereits ordnungsgemaumlszlig in einem der Mitgliedshystaaten der Union beschaumlftigt sind nach einer durchgehenden Beschaumlftigung von fuumlnf Jahren freier Zugang zum Arbeitsshymarkt zu gewaumlhren Des Weiteren untershysagt Art 7 die Einfuumlhrung neuer Beschraumlnshykungen bezuumlglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt fuumlr Arbeitnehmer (Stillhalteshyklausel bezuumlglich Zutrittsbeschraumlnkungen zum Arbeitsmarkt) die sich legal im Hoshyheitsgebiet der Vertragsparteien aufhalten und arbeiten Fuumlr die Vertragsparteien gilt als Stichtag der Tag der Unterzeichnung

11

SIAK-JOURNAL

12

22012

und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

SIAK-JOURNAL 22012

und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

13

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

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Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

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gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

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uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 10: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-JOURNAL

12

22012

und sohin der 20 Dezember 1976 fuumlr Oumlsterreich gilt auch hier der Tag des Beishytritts zur EU

ASSOZIATIONSRATSBESCHLUSS (ARB) 180 Der Beschluss Nr 180 des Assoziationsshyrates vom 19 September 1980 knuumlpft unshymittelbar an ARB 276 an Er uumlbernimmt alle Bestimmungen des ARB 276 und entwickelt diesen fort Gemaumlszlig seinem Ershywaumlgungsgrund 3 soll ARB 180 zu einer besseren Regelung zu Gunsten der Arbeitshynehmer und ihrer Familienangehoumlrigen im sozialen Bereich fuumlhren und die in ARB 276 geschaffenen Maszlignahmen ershyweitern Waumlhrend ARB 276 nur auf die Freizuumlgigkeitsrechte der Arbeitnehmer abshystellte bezieht ARB 180 nun auch ihre Familienangehoumlrigen mit ein Der Beschluss ergeht im Lichte des Phaumlnomens der zahlreishychen tuumlrkischen Gast- bzw Wanderarbeiter in der Union zu dieser Zeit Ihre Integration in den Mitgliedstaaten der Union soll durch die neu geschaffenen Beguumlnstigungen zur Familienzusammenfuumlhrung erleichtert werden Die Vorschriften des II Kapitels des ARB 180 sind als weiterer Schritt zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizuumlgigshykeit zu werten30 Insbesondere Art 6 Abs 1 enthaumllt eine wesentliche Staumlrkung der Rechte tuumlrkischer Arbeitnehmer in der Union Demgemaumlszlig haben tuumlrkische Arshybeitnehmer die dem regulaumlren Arbeitsshymarkt eines Mitgliedstaates angehoumlren je nach Beschaumlftigungsdauer einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bei dem gleichen oder einem anderen Arbeitgeber In der Rechtssache C-19289 Sevince31 hat der EuGH erstmals festgestellt dass Art 6 Abs 1 ARB 180 in den Mitgliedstaaten der Union unmittelbare Anwendung hat er bezieht sich fortan in zahlreichen Folshygeurteilen darauf Art 6 Abs 1 ARB 180 regelt nach staumlndiger Rechtsprechung des EuGH zwar nur die beschaumlftigungsrechtshy

liche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der tuumlrkischen Arbeitnehmer alshylerdings sind diese beiden Aspekte der persoumlnlichen Situation tuumlrkischer Arbeitshynehmer eng miteinander verknuumlpft Art 6 Abs 1 ARB 180 impliziert ndash indem er diesen Arbeitnehmern nach einem beshystimmten Zeitraum ordnungsgemaumlszliger Beshyschaumlftigung in dem betreffenden Mitgliedshystaat Zugang zu jeder von ihnen gewaumlhlten Beschaumlftigung im Lohn- oder Gehaltsvershyhaumlltnis gewaumlhrt ndash zwangslaumlufig dass bdquoden tuumlrkischen Arbeitnehmern zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zushysteht weil anderenfalls das Recht das sie diesen Arbeitnehmern zuerkennen voumlllig wirkungslos waumlre32ldquo In der Rechtssache C-23791 Kus33 bestaumltigt der EuGH abershymals die direkte Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 des ARB 180 (bdquoEin tuumlrkischer Arshybeitnehmer der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erster oder dritter Gedankenshystrich des Beschlusses Nr 180 erfuumlllt kann sich unmittelbar auf diese Bestimshymungen berufen um auszliger der Verlaumlnshygerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlaumlnshygerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichenldquo) Einen Anspruch auf Arbeitsshyerlaubnis und damit verbunden auf Aufshyenthalt haben ndash unter den in Art 7 angeshygebenen Voraussetzungen ndash auch die Familienangehoumlrigen des betroffenen Arshybeitnehmers Art 13 ARB 180 formuliert ein absolutes und umfassendes Verschlechshyterungsverbot welches gemaumlszlig der staumlndigen Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbar ist Die Anwendung entgegenshystehender nationaler Vorschriften wird dashydurch ausgeschlossen Ein Verstoszlig seitens der Mitgliedstaaten der Union durch anshyderslautende Regelung im nationalen Recht kann gerichtlich geltend gemacht werden was in zahlreichen Verfahren vor dem EuGH so geschehen ist Es duumlrfen daher gem Art 13 ARB 180 fuumlr Arbeitnehmer und ihre Familienangehoumlrigen deren Aufenthalt

SIAK-JOURNAL 22012

und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

13

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

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Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

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EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

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vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

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Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

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Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

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zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

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der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

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Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

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Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

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consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

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SIAK-JOURNAL 22012

und Beschaumlftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemaumlszlig sind keine neuen Beshyschraumlnkungen der Bedingungen fuumlr den Zushygang zum Arbeitsmarkt eingefuumlhrt werden wobei dies unter bestimmten Umstaumlnden auch dann gilt wenn die betreffenden Arshybeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsshymarkt integriert waren (Erstzuzug) Als Maszligstab fuumlr das Vorliegen einer bdquoneuen Beshyschraumlnkungldquo gilt dabei analog zu den zuvor genannten bdquoStillhalteklauselnldquo die Rechtsshylage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziierungsabkommens bzw des Zushysatzprotokolls fuumlr Oumlsterreich also der 1 Jaumlnner 1995 (Zeitpunkt des EU-Beitritts) ARB 180 hat neben dem EuGH auch die Gerichte und Behoumlrden der Mitgliedstaaten in besonderem Maszlige beschaumlftigt da er fuumlr Bestimmungen des nationalen Aufenthalts-rechts von groszliger Tragweite ist34

STREITSCHLICHTUNG Zur Beilegung von Streitigkeiten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis normiert Art 25 des Assoziierungsabkommens dass jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeshyder Streitigkeit in Bezug auf die Anwenshydung oder Auslegung des Abkommens beshyfassen kann soweit diese die Union einen Mitgliedstaat der Union oder die Tuumlrkei betrifft Der Assoziationsrat kann die Streitigkeit durch Beschluss beilegen ihm wird in Art 25 Abs 2 aber auch das Recht eingeraumlumt zu beschlieszligen den EuGH direkt zu befassen Art 25 Abs 3 verpflichshytet die Vertragsparteien die bdquozur Durchfuumlhshyrung des Beschlusses oder Schiedsspruchs erforderlichen Maszlignahmen zu treffenldquo

EuGH-RECHTSPRECHUNG Der EuGH hat sich in zahlreichen Verfahshyren mit der Auslegung des Assoziierungsshyabkommens dessen Zusatzprotokoll und den Beschluumlssen des Assoziationsrates (insbesondere ARB 180) befasst In den meisten Klagen waren die Einfuumlhrung

neuer Beschraumlnkungen seitens der Mitshygliedstaaten der Union bzw die Frage der Ableitung von Niederlassungsrechten aus dem Assoziierungsverhaumlltnis Verfahrensshygegenstand Die Bestaumltigung der aus dem Assoziierungsverhaumlltnis abzuleitenden Privilegien tuumlrkischer Staatsbuumlrger durch den EuGH erfolgte erstmals 1987 in der Rechtssache 1286 Demirel Gleichzeitig verneinte der EuGH im selben Verfahren (wie bereits ausgefuumlhrt) die direkte Anshywendbarkeit des Art 36 des Zusatzprotoshykolls zum Assoziierungsabkommen Die rezentesten Beispiele in denen der EuGH unzulaumlssige Beschraumlnkungen seitens der Mitgliedstaaten gegenuumlber tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen festgestellt und die Mitgliedstaaten zu deren Behebung vershypflichtet hat sind das in Deutschland nach 1973 geschaffene Erfordernis eines Sichtshyvermerks fuumlr tuumlrkische Lkw-Lenker die Mitarbeiter eines Dienstleistungserbrinshygers sind (C-22806 Soysal und Savatli35) die Einfuumlhrung von strengeren Zuwandeshyrungsbestimmungen im Jahre 1994 in England (so der EuGH in den Rechtsshysachen C-3798 Savas36 und C-1605 Tum und Dari37) oder etwa die in Oumlsterreich nach 1995 eingefuumlhrte Bestimmung nach der Antraumlge fuumlr Aufenthaltstitel verpflichshytend nur noch aus dem Ausland zu stellen sind (C-25611 Dereci38 ua)

Aktuell behandelt der EuGH das vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenshyburg am 11 Mai 2011 eingereichte Ersushychen um Vorabentscheidung in der Rechtsshysache C-22111 Leyla Ecem Demirkan gegen die Bundesrepublik Deutschland Der EuGH wurde um Klaumlrung der Fragen ersucht ob auch die passive Dienstleisshytungsfreiheit von Art 41 Abs 1 des Zusatzshyprotokolls zu dem Abkommen EWG-Tuumlrkei umfasst ist und ob fuumlr den Fall dass diese Frage zu bejahen ist sich der assoziationsshyrechtliche Schutz der passiven Dienstleisshy

13

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Doralt (Hrsg) Europarecht Verfassungsshy

recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 12: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-JOURNAL 22012

tungsfreiheit auch auf tuumlrkische Staatsanshygehoumlrige die ndash wie die Klaumlgerin ndash nicht zur Inanspruchnahme einer konkreten Dienstshyleistung sondern zum Besuch von Vershywandten fuumlr einen Aufenthalt bis zu drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschshyland einreisen wollen erstreckt Es gilt festzustellen ob sich die Klaumlgerin auf die bloszlige Moumlglichkeit der Empfangnahme von Dienstleistungen in Deutschland berufen kann Die Entscheidung des EuGH ist noch ausstaumlndig und darf mit Spannung erwartet werden da sie in weiten Teilen zu einer de facto Herstellung der Freizuumlgigkeit fuumlhren koumlnnte

CONCLUSIO Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwishyschen dem Fremdenrecht in den Mitgliedshystaaten und den unionsrechtlichen Vorshygaben Die Mitgliedstaaten sehen sich in ihrem legitimen Anspruch verletzt die in

ihre Kompetenz fallende Zuwanderungsshypolitik autonom zu regeln und neue inteshygrationspolitische Instrumente zu schaffen Quasi uumlber die bdquoHintertuumlr Assoziierungsshyabkommenldquo laufen sie Gefahr in der Weiterentwicklung ihres nationalen Aufshyenthaltsrechts zunehmend eingeschraumlnkt zu werden Zusaumltzlich erfaumlhrt das nationale Recht durch die in Assoziierungsverhaumlltshynissen geschaffenen unionsrechtlichen Vorgaben eine enorme Zersplitterung die die vollziehenden Behoumlrden in der Praxis vor groszlige Probleme stellen kann Ob sich die Rechtsprechung des EuGH in Zukunft aumlndern wird oder den bisherigen Kurs beshystaumltigen oder gar verstaumlrken wird bleibt abzuwarten Zweifelsohne stellt die dershyzeitige Rechtsprechung die Mitgliedstaashyten vor einige Herausforderungen die nicht immer absehbar waren und gerade fuumlr die innere Sicherheit von groumlszligter Releshyvanz sein koumlnnen

1 Weiterfuumlhrend dazu siehe Schweitzer ua

(2007) Rz 1046 ff 2 Vgl weiterfuumlhrend zur vertraglichen und

konstitutionellen Assoziierung Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 ff 3 Vertrag uumlber die Arbeitsweise der Euroshy

paumlischen Union 4 Vertrag uumlber die Gruumlndung der Europaumlishy

schen Gemeinschaft 5 Herrschende Lehre vgl beispielsweise

Fischer ua (2002) Rz 2013 und Schweitzer

ua (2007) Rz 1048 6 Vgl zur Beitrittsassoziierung Schwarze

(2000) Art 310 EGV Rz 10 7 Vgl zur Entwicklungsassoziierung ebd

Rz 11

8 Vgl zur Freihandelsassoziierung ebd

Rz 9 9 In der Vertragsdatenbank des Rates koumlnshy

nen saumlmtliche von der Union (und ihren

Mitgliedstaaten) geschlossenen Vertraumlge

unter httpwwwconsiliumeuropaeu

policiesagreementssearch-the-agreementsshy

databaselang=en abgefragt werden 10 Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei Rechtsakt und Zielsetzung vgl

httpeuropaeulegislation_summaries

enlargementongoing_enlargement

community_acquis_turkeye40111_dehtm 11 Abkommen zwischen der Europaumlischen

Gemeinschaft mit den AKP Staaten (AKP

Internationale Organisation der Staaten

Afrika Karibik und Pazifik) Weiterfuumlhrend

zu den AKP-Abkommen sehr ausfuumlhrlich

bei Fischer ua (2002) Rz 2017ndash2029 12 Zur Assoziierungspraxis siehe auch

Geiger ua (2010) Art 217 AEUV Rz 17 ff 13 Vgl dazu auch ebd Art 217 AEUV Rz 6 14 Judgments No C-27080 of Court of

Justice of the European Communities

February 09 1982 15 Siehe dazu ausfuumlhrlich Schwarze (2000)

Art 310 EGV Rz 16ndash20

Vgl dazu auch Geiger ua (2010) Art 217

AEUV Rz 12ndash13 16 Durch den Vertrag von Maastricht wurshy

den die drei europaumlischen Gemeinschaften

Euratom EGKS und EWG sowie die instishy

14

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Doralt (Hrsg) Europarecht Verfassungsshy

recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

16

Page 13: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

22012 SIAK-JOURNAL

tutionalisierte politische Zusammenarbeit

in den Bereichen Auszligenpolitik Verteidishy

gung Polizei und Justiz unter dem Dach

der Europaumlischen Union zusammengeshy

fasst Die EWG wurde in EG umbenannt

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 (in

Kraft seit dem 01122009) wurde die Eushy

ropaumlische Union zur Rechtsnachfolgerin

der EG 17 bdquoAbkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkeildquo

ABl L 217 vom 29121964 18 bdquoMezzanin-Stellungldquo zwischen Primaumlr-

und Sekundaumlrrecht entgegenstehendes Seshy

kundaumlrrecht und nationales Recht darf

nicht angewendet werden 19 ABl L 293 vom 29121972 20 Zur weiterfuumlhrenden Information siehe

Akyuumlrek (2005) 21 Siehe auch EUR-LEX auswaumlrtige Bezieshy

hungen EU-Tuumlrkei httpeur-lexeuropa

eudedossierdossier_07htm

Eine Kurzanalyse uumlber die Beziehungen

zwischen der Union und der Tuumlrkei siehe

auch httpwwwistanbulpostnet0407

03yaziciogluhtm2 22 Weiterfuumlhrend zur historischen Komposhy

nente des Abkommens vgl Geiger ua

(2010) Art 217 AEUV Rz 20 und Akyuumlrek

(2005) 4 ff 23 Hallstein (1979) 341 24 Saumlmtliche Entscheidungen des Assoziashy

tionsrates von 1964 bis 2000 werden seishy

tens der tuumlrkischen Regierung (auf der

Homepage des Ministeriums fuumlr Entwickshy

lung) unter dem Link ekutupdptgovtrab

okk2pdf in Englisch zur Verfuumlgung gestellt 25 Art 24 Abkommen zur Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl 1964 Nr 217 3687 26 49th EU-Turkey Association Council

(Brussels 19 April 2011) httpconsilium

europaeuuedocscms_datadocspressdata

ener121603pdf

27 Zusatzprotokoll unterzeichnet in Bruumlssel

am 23 November 1970 und durch die Vershy

ordnung (EWG) Nr 276072 des Rates

vom 19 Dezember 1972 (ABl L 293 1) im

Namen der Union geschlossen gebilligt

und bestaumltigt 28 EuGH-Urteil vom 21 Oktober 2003 in

den verbundenen Rechtssachen C-31701

und C-36901 Eran Abatay ua (C-31701)

Nadi Sahin (C-36901) gegen Bundesanshy

stalt fuumlr Arbeit 29 Fuumlr weiterfuumlhrende Information zum hisshy

torischen Werdegang des Zusatzprotokolls

1970 vgl Akyuumlrek (2005) 11ndash12 30 Eine detaillierte Behandlung des Beshy

schlusses und seiner historischen Hintershy

gruumlnde findet sich ebd 69 ff 31 Judgment of the Court of 20 September

1990 S Z Sevince v Staatssecretaris van

Justitie Case C-19289 32 C-19289 Randnummer 29 33 EuGH-Urteil vom 16 Dezember 1992 in

der Rechtssache C-23791 Kazim Kus geshy

gen Landeshauptstadt Wiesbaden 34 Unter httpwwwaufenthaltstitelde

aharb180html sind beispielsweise Allgeshy

meine Anwendungshinweise des deutschen

Bundesministeriums des Innern zum Beshy

schluss Nr 180 des Assoziationsrats EWG

Tuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in der Fassung

2002 vom 2 Mai 2002 abrufbar Inwieweit

diese im Lichte der juumlngsten Entscheidunshy

gen des EuGH noch aktuell sind waumlre

allerdings bei Interesse bei den deutschen

Behoumlrden nachzufragen

Allein von 1987 bis 2000 sind zur Ausleshy

gung der Art 6 und 7 des ARB 180 16 Entshy

scheidungen des EuGH ergangen die alleshy

samt aufenthaltsrechtlichen Bezug enthalten

und fuumlr die betreffenden Behoumlrden der Mitshy

gliedstaaten von Relevanz sind Das deutshy

sche Ministerium des Inneren hat seine Ershy

kenntnisse daraus in den oben zitierten

Allgemeinen Anwendungshinweisen aufgeshy

arbeitet die Entscheidungen des EuGH

von 2000 bis 2012 wurden darin allerdings

noch nicht beruumlcksichtigt der EuGH hat

seitdem noch zahlreiche Verstoumlszlige Deutschshy

lands geortet und Korrektur der entspreshy

chenden nationalen Regelungen angeordshy

net Uumlbersicht der EuGH-Urteile zur

Auslegung von Art 6 und Art 7 ARB 180

bis 2000

Urteil vom 30091987 Rs 1286 ndash Demirel

Urteil vom 20091990 Rs C-19289 ndash

Sevince Urteil vom 16121992 Rs

C-23791 ndash Kus Urteil vom 05101994

Rs C-35593 ndash Eroglu Urteil vom

06061995 Rs C-43493 ndash Bozkurt Urteil

vom 23011997 Rs C-17195 ndash Tetik

Urteil vom 17041997 Rs C-35195 ndash

Kadiman Urteil vom 29051997 Rs

C-38695 ndash Eker Urteil vom 05061997

Rs C-28595 ndash Kol Urteil vom 30091997

Rs C-9896 ndash Ertanir Urteil vom

30091997 Rs C-3696 ndash Guumlnaydin

Urteil vom 19111998 Rs C-21097 ndash

Akman Urteil vom 26111998 Rs C-197 ndash

Birden Urteil vom 10022000 Rs

C-34097 ndash Nazli Urteil vom 16032000

Rs C-32997 ndash Ergat Urteil vom

22062000 Rs C-6598 ndash Eyuumlp 35 EuGH-Urteil vom 19 Februar 2009 in

der Rechtssache C-22806 Mehmet

Soysal Ibrahim Savatli gegen Bundesshy

republik Deutschland Beteiligte Bundesshy

agentur fuumlr Arbeit 36 Leitsaumltze EuGH-Urteil vom 11 Mai

2000 in der Rechtssache C-3798 The

Queen gegen Secretary of State for the

Home Department ex parte Abdulnasir

Savas 37 EuGH-Urteil vom 20 September 2007

in der Rechtssache C-1605 The Queen

auf Antrag von Veli Tum Mehmet Dari

gegen Secretary of State for the Home

Department 38 EuGH-Urteil vom 15 November 2011

in der Rechtssache C-25611 Murat

Dereci Vishaka Heiml Alban Kokollari

Izunna Emmanuel Maduike Dragica Stevic

gegen Bundesministerium fuumlr Inneres

15

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Doralt (Hrsg) Europarecht Verfassungsshy

recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

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Page 14: Assoziationsabkommen der Europäischen Union. Überblick ...€¦ · .SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Rieser-Angulo García, Yvonne (2012):

SIAK-JOURNAL 22012

Quellenangaben

Akyuumlrek Das Assoziationsabkommen

EWG-Tuumlrkei Aufenthalt und Beschaumlftishy

gung von tuumlrkischen Staatsangehoumlrigen

in Oumlsterreich (2005)

FischerKoumlckKarollus Europa Recht

Recht der EUEG des Europarates und

der wichtigsten anderen europaumlischen

Organisationen (2002)

GeigerKhanKotzur EUV AEUV Vertrag

uumlber die Europaumlische Union und Vertrag

uumlber die Arbeitsweise der Europaumlischen

Union Kommentar (2010)

Hallstein Die EWG ndash Eine Rechtsgeshy

meinschaft in Oppermann (Hrsg) Euroshy

paumlische Reden (1979)

Schwarze (Hrsg) EU-Kommentar (2000)

SchweitzerHummerObwexer Das Recht

der Europaumlischen Union (2007)

Abkommen uumlber die Gruumlndung einer

Assoziation zwischen der Europaumlischen

Wirtschaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 217 vom 29121964

Beschluss Nr 276 des Assoziationsrates

EWG-Tuumlrkei vom 20121976 uumlber die

Durchfuumlhrung von Artikel 12 des Assozishy

ierungsabkommens zwischen der Euroshy

paumlischen Wirtschaftsgemeinschaft und

der Tuumlrkei

Beschluss Nr 180 vom 19091980 des

Assoziationsrates EWG-Tuumlrkei uumlber die

Entwicklung der Assoziation zwischen der

Europaumlischen Wirtschaftsgemeinschaft

und der Tuumlrkei

Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabshy

kommen zwischen der Europaumlischen Wirtshy

schaftsgemeinschaft und der Tuumlrkei

ABl L 293 vom 29121972

EuGH-Urteil C-27080 vom 09021982

EuGH-Urteil C-19289 vom 20091990

EuGH-Urteil C-23791 vom 16121992

EuGH-Urteil C-3798 vom 11052000

EuGH-Urteile C-31701 und C-36901

vom 21102003

EuGH-Urteil C-1605 vom 20092007

EuGH-Urteil C-22806 vom 30032006

EuGH-Urteil C-25611 vom 15112011

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Doralt (Hrsg) Europarecht Verfassungsshy

recht der Europaumlischen Union (2011)

Hummer (Hrsg) Neueste Entwicklungen

im Zusammenspiel von Europarecht und

nationalem Recht der Mitgliedstaaten

(2010)

Schroeder Grundkurs Europarecht

(2009)

Streinz Europarecht (2005)

Thun-HohensteinCedeHafner Europa-

recht ein systematischer Uumlberblick mit

den Auswirkungen der EU-Erweiterung

(2005)

Resolution 1244 (1999) adopted by the

Security Council at its 4011th meeting on

10 June 1999

EuGH-Urteil C-41696 vom 02031999

EuGH-Urteil C-24206 vom 17092009

EuGH-Urteile C-30009 und C-30109

vom 09122010

Aktueller Stand des Stabilisierungs- und

Assoziierungsprozesses mit den westlishy

chen Balkanstaaten httpeceuropaeu

enlargementindex_dehtm

Allgemeine Anwendungshinweise des

deutschen Bundesministeriums des Innern

zum Beschluss Nr 180 des Assoziationsshy

rats EWGTuumlrkei (AAH ndash ARB 180) in

der Fassung 2002 vom 02052002

httpwwwaufenthaltstiteldeaharb180

html

Auswaumlrtige Beziehungen der Union mit

der Tuumlrkei httpeur-lexeuropaeude

dossierdossier_07htm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

ehemaligen jugoslawischen Republik Mashy

zedonien httpeuropaeulegislation_

summariesenlargementwestern_balkans

r18013_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit

Kroatien httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_croatia

e50024_dehtm

Beitrittspartnerschaft der Union mit der

Tuumlrkei httpeuropaeulegislation_

summaries enlargement ongoing_

enlargementcommunity_acquis_turkey

e40111_dehtm

Beziehungen zwischen der Union und der

Tuumlrkei Analyse httpwwwistanbulpost

net040703 yaziciogluhtm2

Definition Beitrittspartnerschaften der

Union

httpeceuropaeuenlargementglossary

termsaccession-partnership_dehtm

Entscheidungen des Assoziationsrates von

1964 bis 2000 httpekutupdptgovtr

abokk2pdf

Europa-Mittelmeer-Partnerschaft Barceshy

lona-Prozess httpeuropaeulegislation_

summariesexternal_relationsrelations_

with_third_countriesmediterranean_

partner_countriesindex_dehtm

Vertragsdatenbank des Rates httpwww

consiliumeuropaeupoliciesagreements

search-the-agreements-databaselang=en

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