assessment der mobilität und des sturzrisikos in der geriatrie

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Abschlussarbeit ÖÄK Diplomlehrgang Geriatrie Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Franz Böhmer Prim. Univ. Prof . Dr. Monika Lechleitner Rückfragen: Österreichische Akademie der Ärzte GmbH Weihburggasse 2/5 A-1010 Wien Tel.: +43 1 512 63 83

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Page 1: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

Abschlussarbeit

ÖÄK Diplomlehrgang Geriatrie

Wissenschaftliche Leitung:

Prof. Dr. Franz Böhmer

Prim. Univ. Prof . Dr. Monika Lechleitner

Rückfragen:

Österreichische Akademie der Ärzte GmbH Weihburggasse 2/5 A-1010 Wien Tel.: +43 1 512 63 83

Page 2: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

1

Assessment der Mobilität und

des Sturzrisikos

in der Geriatrie

Abschlussarbeit für den Diplomlehrgang Geriatrie

der Österreichischen Akademie der Ärzte, Referat für Geriatrie(ÖGGG)

und der Österreichischen Ärztekammer

Dr. med. Christa Chhatwal

Page 3: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

2

Inhaltsverzeichnis

Einleitung………………………………………………………….. Seite 3

Allgemeines zur Mobilität………………………………………… Seite 3

Stürze und Sturzrisiko……………………………………………. Seite 5

Frailty………………………………………………………………. Seite 6

Geriatrisches Assessment………………………………………. Seite 7

Gütekriterien und Voraussetzungen für Assessments…… Seite 8

Bedingungen, unter denen Assessments durchgeführt

werden sollten………........……………………………....…. Seite 9

Darstellung der Mobilität im geriatrischen Basisassessment Seite 10

Esslinger Transferskala nach Runge und Rehfeld……… Seite 10

Timed Get up & go Test ( TUG)……………………………. Seite 12

Tinetti-Testverfahren………………………………………… Seite 14

SPPB- Short Physical Performance Battery……………… Seite 18

Six-Minute Walking Test…………………………………….. Seite 20

Weitere Mobilitätstests bei älteren Patienten

Gehgeschwindigkeit, Dual-Tasking, Sturzangst…………. Seite 21

Möglicher Algorithmus der Assessments

im stationären und ambulanten Setting………………….. Seite 23

Literaturliste………………………………………………………. Seite 25

Page 4: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

3

Einleitung:

Vor dem Hintergrund der derzeitigen demographischen Entwicklung mit steigender

Lebenserwartung und sukzessiver Zunahme der Bevölkerungsgruppe der älteren

Menschen ist es unabdingbar, sich auch mit den physiologischen

Altersveränderungen zu beschäftigen, die Bewegung und Beweglichkeit eines

Menschen beeinflussen. Es besteht jedoch ein fließender Übergang zu

pathologischen Veränderungen, nämlich dann, wenn diese Veränderungen zu einer

Beeinträchtigung von Selbständigkeit und Lebensqualität führen. Folgen einer

zunehmenden Dekompensation unseres lokomotorischen Systems, das alle

wesentlichen Elemente für eine sichere Fortbewegung und Haltungsstabilität

beinhaltet, sind Stürze, Frakturen, Immobilität und Pflegeabhängigkeit. Ziel jedes

Einzelnen und unseres Gesundheitssystems mag es daher wohl sein neben der

Prävention auch frühzeitig Störungen zu erkennen und Interventionen zu setzen, um

die Autonomie und Lebensqualität älterer Menschen zu erhalten und die Häufigkeit

von Institutionalisierung und Pflegebedürftigkeit zu vermindern. Damit können

möglicherweise viel Leid aber auch Kosten erspart werden.

Im Rahmen der Vorarbeiten für die Neuauflage des Geriatrischen Basisassessments

durfte ich in der Arbeitsgruppe die Erarbeitung der Mobilitätsassessments

übernehmen. Ich hatte daher Gelegenheit, mich intensiver mit diesem Problemfeld

auseinanderzusetzen und habe es daher auch als Thema für meine Diplomarbeit

gewählt.

Allgemeines zur Mobilität:

Mobilität bezeichnet einerseits die passive Beweglichkeit z.B. unserer Gelenke und

andererseits die Fähigkeit, sich aktiv bewegen zu können. Die Fähigkeit zur

Eigenbewegung setzt zunächst den mentalen Prozess des Wollens und

Entschlusses sowie der Koordination der Muskulatur voraus (1). Als basalste aktive

Eigenbewegung ist der Lagewechsel im Liegen oder im Sitz zu sehen. Dies ist

Voraussetzung, um eine ausreichende Durchblutung unseres Gewebes zu

gewährleisten und Druckulcera und Kontrakturen zu verhindern. Die nächsten

Mobilitätsstufen sind der Transfer zwischen den einzelnen Positionen wie

Page 5: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

4

Rückenlage, Sitz und Stand, und das Gehen und die Fortbewegung mit oder ohne

verschiedenste Hilfsmittel wie Gehhilfen, Rollstuhl oder Fahrzeuge.

Neben emotionalen und kognitiven Faktoren sind die für die Mobilität wesentlichen

Voraussetzungen : Beweglichkeit und Flexibilität, statisches und dynamisches

Gleichgewicht, Propriozeption , Sensorium, Kraft und Ausdauer; (Reaktions-)

Geschwindigkeit und strukturelle Parameter wie neuro-muskuloskelettaler Status und

Leistungsfähigkeit des kardiovaskulären und pulmonalen Systems. Diese Parameter

sind in unterschiedlichem Maße beteiligt an den einzelnen funktionelle Bewegungen

wie Aufsetzen, Aufstehen, Gehen, Stufensteigen, Bücken, Knien, Heben und Tragen.

Die angeführten Funktionen wiederum sind essentiell um Aktivitäten wie

Selbstpflege, Haushaltsführung, Einkaufen, Garten, Sport und Reisen unabhängig

und sicher durchzuführen.(2)

Physiologische Veränderungen im Alter, besonders die Mobilität betreffend, sind:

- eine herabgesetzte Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche

Umweltbedingungen

- Abnahme der muskulären Leistungsfähigkeit durch Reduktion der

Kapillaren und Mitochondrien (3) und Reduktion der Muskelmasse

( Sarkopenie)

- Abnahme der Knochenfestigkeit durch verminderte Mineralien-

einlagerung, Verminderung der Vitamin D3-Konzentration und

Überwiegen des Knochenabbaus mit Abnahme des trabekulären und

kortikalen Knochens und damit erhöhter Frakturanfälligkeit (5)

- Verminderte Elastizität der Sehnen , Bänder und des Knorpels mit

Einschränkung der Gelenksbeweglichkeit und erhöhtem Arthroserisiko

- Reduktion des körperlichen Aktivitätsniveaus

- Abnahme der Sinnesleistungen im visuellen, akustischen und

vestibulären System

- Reduzierte Propriozeption

- Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit der Nerven

- eingeschränkte Belastungsbreite und verminderte Reservekapazität (3)

Page 6: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

5

- Abnahme der anaeroben und aeroben Leistungskapazität durch ein

reduziertes maximales Herzzeitvolumen und reduzierte maximale

Ventilationsleistung (3)

Beim Gehen zu beobachtende Veränderungen sind( 4, 22) :

- eine reduzierte Gehgeschwindigkeit

- verkürzte Schrittlänge

- verlängerte Doppelstandbeinphase

- verringerte Kadenz

- verringerte Exkursionen in Hüft- und Sprunggelenk

- verringerte Kraft des Abstoßens

- Verlagerung des Oberkörperlots nach ventral

- reduziertes Mitschwingen der Arme

Diese Veränderungen zeigen große individuelle Unterschiede und treten

unterschiedlich stark in den verschiedenen Organsystemen in Erscheinung.(4). Der

Übergang zur krankhaften Veränderung ist fließend. Durch das Auftreten von

zusätzlichen Erkrankungen und verschiedensten körperlichen, mentalen oder

psychosozialen Stressfaktoren kann eine Dekompensation des Bewegungssystems

eintreten. Dies kann über Funktionsstörungen in einer Kaskade aus Sturz, Fraktur

und Schmerz, Sturzangst und Depression, bis hin zu Immobilität und

Pflegebedürftigkeit enden .

Ein frühzeitiges Erkennen von Beeinträchtigungen in Teilbereichen der Mobilität,

ermöglicht rechtzeitig erweiterte diagnostische und therapeutische Maßnahmen.

Stürze und Sturzrisiko:

Mehr als 30% der Personen über 65 Jahre stürzen einmal oder mehrmals im Jahr,

bei Über 80-Jährigen oder Pflegeheimbewohnern ist die Häufigkeit über 50%.

Sturzfolge ist in 5% eine Fraktur.(6) Intrinsische lokomotorische Stürze ( ohne

gravierende äußere Krafteinwirkung oder akuten Bewusstseinsverlust ausgelöst)

sind in der Regel nicht monokausal sondern multifaktoriell bedingt. Neben den oben

beschriebenen physiologischen Alterungsprozessen wirken Multimorbidität mit

Page 7: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

6

funktionellen Folgen und körperliche Inaktivität ursächlich. (7)Bei zusätzlichem

Vorliegen einer Osteoporose erhöht sich auch das Frakturrisiko beträchtlich.

Unabhängige Sturzrisikofaktoren (7):

- Verminderte Muskelleistung der unteren Extremitäten

- Störung des Gleichgewichts v.a. zur Seite

- Körperliche Inaktivität

- Sturzangst

- Vorangegangene Sturzereignisse

- Multimedikation ( 4 oder mehr Substanzklassen)

- Einnahme bestimmter Medikamentengruppen (Neuroleptika,

Antidepressiva, Benzodiazepine, Antikonvulsiva )

- Visusverminderung

- Kognitive Störungen

- Niereninsuffizienz ( GFR < 65 ml/min), Vitamin D-Mangel

- Harninkontinenz

Je mehr Risikofaktoren kombiniert vorliegen, umso höher wird auch das Risiko eines

Sturzes. Gleichzeitig repräsentieren diese Risikofaktoren auch mögliche

therapeutische Ansatzpunkte im Sinne der Sturzprävention. (7) Lokomotorische

Störungen sind einer quantifizierenden Diagnostik und Verlaufskontrolle zugänglich.

Frailty (8)

Fried et al. haben den Begriff der Frailty ( Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit) geprägt und

damit ein klinisches Syndrom bei zu Hause lebenden älteren Menschen bezeichnet.

Es ist Ausdruck einer erhöhten Vulnerabilität gegenüber verschiedensten

Stressoren,und prädiktiv für erhöhte Morbidität, erhöhte Sturzgefährdung,

Verschlechterung der Mobilität und ADL-Fähigkeiten, erhöhte Pflegebedürftigkeit ,

Hospitalisierung und Mortalität. Voraussetzung ist das Vorliegen von mindestens 3

der unten angeführten Punkte. Liegen nur 1-2 Symptome vor, wird dies als Prefrailty

bezeichnet. Sie führt in einem hohen Prozentsatz zur Ausbildung des Vollbilds der

Frailty in den folgenden 3-4 Jahren. Komorbiditäten sind ein Risikofaktor für Frailty,

ADL- Einschränkungen als Folge zu sehen. Wichtige Ursachen des Syndroms sind

Page 8: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

7

eine chronische Unterernährung mit mangelnder Zufuhr an Proteinen, Vitaminen und

Spurenelementen, Ausbildung einer Sarkopenie und körperliche Inaktivität. Diese

Faktoren sind gleichzeitig auch Ansatz möglicher therapeutischer Interventionen.

Kriterien nach Fried et al.

- Muskelschwäche( Handkraft abhängig vom BMI <29-32 kg bei Männern,

<17-21 kg bei Frauen)

- Reduzierte gewohnte Gehgeschwindigkeit ( abhängig von der Körpergröße

>6-7 sec für 4,5 m Gehstrecke)

- Subjektiv berichtete Erschöpfung

- Unfreiwilliger Gewichtsverlust ( >5 kg oder > 5% des Körpergewichts im

letzten Jahr)

- Reduzierte körperliche Aktivität

Geriatrisches Assessment

Assessment in der Geriatrie ist eine standardisierte Erfassung, Bestandsaufnahme

und Dokumentation der organmedizinischen, kognitiv-mentalen, psychischen,

sozialen und umgebungsbezogenen Dimensionen, Funktionen und Ressourcen

älterer und multimorbider Patienten mit dem Ziel der weiteren Diagnostik ,Versorgung

und Behandlungsplanung. So sollenFunktionen und Lebensqualität verbessert oder

erhalten werden, und größtmögliche Selbstständigkeit erreicht werden. Das

Assessment dient aber auch der Qualitätssicherung mittels Dokumentation der

Wirksamkeit von therapeutischen Interventionen und Fortschritten, und der

Motivation von Patienten und therapeutischem Team. Dargestellt werden können

natürliche Verläufe, Therapie- und Rehabilitationsverläufe. Das Assessment wird im

multiprofessionellen Team erhoben und dient auch dem Informationsaustausch

innerhalb und zwischen den Berufsgruppen.

Page 9: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

8

In dieser Zusammenfassung wird im Konkreten auf die Beurteilung von

Mobilitätsstörungen und Sturzrisiko als zentrale Probleme des Alterns eingegangen.

Personen mit hohem Risiko für Mobilitätsprobleme, Stürze, ADL-Einschränkungen

und Frailty sollen identifiziert werden.

Da es ein breites Spektrum an Mobilitäts- und Aktivitätsstufen und funktionellen

Fähigkeiten- von fit bis frail - bei älteren Menschen gibt, ist es auch eine Anforderung

an Assessments, dies in ausreichendem Maße abzubilden. Eine

Verlaufsbeobachtung über längere Zeiträume wird damit ebenfalls erleichtert.

Gütekriterien und Voraussetzungen für Assessments:

-Praktikabilität ( Anwendbarkeit)

Geringer Sach- und Zeitaufwand und einfache Ausbildung der Anwender ohne

gravierende Belastung des Patienten

-Validität ( Gültigkeit):

Ein Instrument misst tatsächlich das, was es messen soll

-Reliabilität ( Zuverlässigkeit):

Bei wiederholten Messungen unter gleichen Bedingungen wird das gleiche Resultat

erzielt, sowohl bei Anwendung durch dieselbe Person zu unterschiedlichen

Zeitpunkten (Intraraterreliabilität ) als auch durch Wiederholung der Messung durch

verschiedene Anwender (Interraterreliabilität )

-Responsivität( Empfindlichkeit):

Die minimale Veränderung, die gemessen werden kann, wird aus der Zufallsvariation

berechnet. Nur klinisch relevante Veränderungen sollen erfasst werden.

Die Veränderungssensitivität ist umso höher, je mehr unterschiedliche Items ein

Instrument enthält und je differenzierter die Abstufungen sind. Dies ist aber

naturgemäß mit einem höheren Aufwand verbunden.

Page 10: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

9

Generell lassen Summenscores nur begrenzt auf den tatsächlichen Zustand eines

Patienten schließen und sind nur im Kontext zu werten. Auch sagen

Assessmentergebnisse nichts über ursächliche Zusammenhänge aus.

-Diagnostische Sensitivität:

Gibt die Wahrscheinlichkeit an , Kranke zu erfassen und entspricht der Zahl der wahr

positiven Patienten zur Zahl der Kranken.

-Diagnostische Spezifität:

Ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit Gesunde richtig auszuschließen und entspricht

dem Verhältnis der echt negativen Patienten zur Zahl der Gesunden.

-Flooring Effect:

objektive Zustandsveränderungen, die sich unterhalb des Erfassungsbereichs eines

Instrumentes abspielen, werden nicht erkennbar.

-Ceiling Effect:

objektive Zustandsveränderungen, die sich oberhalb des Differenzierungsbereichs

eines Instrumentes abspielen werden nicht erfasst.

Bedingungen, unter denen Assessments durchgeführt werden sollten:

- Ausreichend Ruhe,

- gute Lichtverhältnisse,

- genügend Platz für freies Hantieren mit Gehhilfsmitteln und evtl.

Begleitung oder Sicherung,

- geeignete – am besten eigene gewohnte Hilfsmittel

- Information des Patienten über das geplante Vorgehen

- Ausreichende Schulung des Testers

Page 11: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

10

Darstellung der Mobilität im geriatrischen Basisassessment :

Esslinger Transferskala nach Runge und Rehfeld (9)

1. Ziel:

Erfassung der erforderlichen Hilfe für einen schmerzlosen und gefahrlosen Transfer

sowie die Mobilität in der Ebene und auf den Stufen.

2. Durchführung:

Testung der angeführten Mobilitätsstufen.

Der benötigte Grad an Hilfe wird in Stufen H0 bis HX eingeteilt.

Hilfsmittel dürfen verwendet werden.

Der Transfer wird so durchgeführt wie der Patient es selbst gewohnt ist.

Tageschwankungen werden notiert, es wird die schlechtere Einstufung gewählt.

Bei offenkundigen Schmerzen oder Sturzgefahr ist prinzipiell eine Stufe höher

einzustufen.

3. Testdauer:

Abhängig von der Selbstständigkeit und Mobilität des Patienten.

4. Interpretation:

Änderungen der Mobilitätsstufen und personellen Hilfe auch bei nicht gehfähigen

Patienten leicht nachvollziehbar. Als Fortschritt wird angesehen, wenn weniger

personelle Hilfe benötigt wird, unter Berücksichtigung der verbesserten Mobilität.

5. Vorteile:

Alltagsrelevant, schnell zu erheben, gute Reliabilität und Validität, nachvollziehbar

auch für Laien, klinisch sinnvolle Ergänzung zu einem Summenscore, lässt sich

statistisch weiterverwenden, Planung der weiteren Versorgung.

6. Nachteile:

Für Patienten, die bereits zu Beginn den Transfer allein durchführen und

selbstständig gehfähig sind: Ceiling Effekt

Page 12: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

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Esslinger Transferskala - Hilfestufen

H0: keine personelle Hilfe erforderlich, sicher und ohne Schmerzen

H1: spontane Laienhilfe ausreichend oder Anleitung bzw. Überwachung

notwendig, offenkundige Schmerzen, unmittelbare Sturzgefahr

H2: geschulte Laienhilfe erforderlich, nach ca. zweimal je ½ Stunde

Schulungszeit

H3: professioneller Helfer erforderlich, Therapeut oder gut ausgebildete

Pflegekraft (z.B. Bobath Ausbildung bei Insultpatienten)

H4: 2 professionelle Helfer oder 1 Helfer und zusätzlich ein technisches Gerät (Lifter,

Rutschbrett, Drehbrett,...)

HX: Transfer bzw. Mobilitätsstufe nicht möglich; nicht beurteilbar

Esslinger Transferskala

Bemerkungen

Lagewechsel im Liegen (RL - SL) H0 H1 H2 H3 H4 HX ....................................

Aufsetzen (RL - QB) H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

freier Sitz H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Aufstehen von Bettkante H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Transfer Bett - Sessel / RS H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Aufstehen von Sessel / RS H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Transfer Sessel / RS – Bett H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Stehen mit Anhalten H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Der Transfer von RL über QB zum Sessel /RS und zurück kann auch als Gesamtheit

bewertet werden mit HO bis HX

Mobilitätsstufen

Stehen frei H0H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Gehen / RS fahren 1-5m auf Station H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

6 – 50 m auf der Station H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

mehr als 50m im freien Gelände H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Stiegensteigen bis 15 Stufen H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Stiegensteigen mehr als 15 Stufen H0 H1 H2 H3 H4 HX .....................................

Page 13: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

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Die jeweilige Hilfestufe wird markiert.

Unter Bemerkungen können ev. Besonderheiten und Hilfsmittel aufgeschrieben

werden

*Gehhilfen: 0=keine, 1=1 Stock, 2=2 Stöcke, 3=4-Punktstock, 4=1 Krücke, 5=2

Krücken, 6=Rollator, 7=Gehgestell, 8=Rollstuhl

Timed Get-Up & Go-Test (TUG) ( 10)

1.Ziel:

Unterscheidet prinzipiell zwischen selbstständig und nicht selbstständig gehfähig

2.Durchführung:

Sitz auf Stuhl mit Armlehnen (Sitzhöhe ca. 46 cm)

Nach Aufforderung aufstehen

Mit gewohnter Gehgeschwindigkeit 3 m hin- und zurückgehen (Markierung am

Boden)

Wieder hinsetzen

Ablauf darf 1x geübt und demonstriert werden

Benötigte Zeit und Hilfsmittel notieren

Personelle Hilfe nicht erlaubt

3. Testdauer:

je nach Mobilität 1-5 Minuten

4. Interpretation:

erhöhter Zeitbedarf korreliert mit dem Grad der funktionellen Mobilität und

Hilfsbedarf bei den ADL´s

< 10 sec: Alltagsmobilität uneingeschränkt

11-19 sec: geringe Mobilitätseinschränkung in der Regel ohne Alltagsrelevanz

20-29 sec: relevante Mobilitätseinschränkung, funktionelle Einschränkungen

wahrscheinlich, Gehgeschwindigkeit noch bei ca. 0,5m/sec

Page 14: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

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> 30 sec: ausgeprägte Einschränkung, personelle Hilfe, adäquate Hilfsmittel

erforderlich

erhöhtes Sturzrisiko bei TUG > 14 sec ( 11, 12 )

5. Vorteil:

alltagsrelevant; schnell zu erheben; gute Reliabilität und Validität ; geeignet für

Verlaufsmessungen

6. Nachteil:

Ceiling und Flooring-Effekt, keine Aussage über Gangbildveränderungen.

Bei unauffälligem TUG mögliche Erweiterung mit einer double task - Aufgabe

TTeessttdduurrcchhffüühhrruunngg mmooddiiffiizziieerrtteerr TTUUGG ((DDoouubbllee TTaasskk)) (( 1122 ))

TUG kognitiv:

Durchführung des TUG während der Patient ausgehend von einer beliebigen

Zahl zwischen 20 und 100 jeweils um 3 rückwärts zählt

Interpretation: Erhöhtes Sturzrisiko bei Zeitbedarf > 15 Sek.

TUG manuell:

Durchführung des TUG während der Patient einen vollen Becher Wasser

trägt.

Interpretation: Erhöhtes Sturzrisiko bei Zeitbedarf > 14.5 Sek.

Page 15: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

14

Tinetti-Testverfahren ( modifiziert) ( 13 )

1. Ziel

Beurteilung von Gleichgewicht, posturaler Stabilität, Gangbild und -sicherheit,

Erfassung eines erhöhten Sturzrisikos

22.. DDuurrcchhffüühhrruunngg

Stuhl ohne Armlehnen ( Sitzhöhe 46 cm) – stabiler Sitz—ohne Gebrauch der

Arme Aufstehen– unmittelbare Stehbalance—Füße schließen– 3x leichter Stoß

gegen Sternum—Augen schließen für 10sec. —mind.3 m Gehen—360°Drehung–

Rückweg—ohne Stütz der Arme Hinsetzen

Hilfsmittel erlaubt, wenn notwendig

Tinetti - Balancetest

Gleichgewicht im Sitzen:

unsicher 0

sicher, stabil 1

Aufstehen vom Stuhl:

nicht möglich 0

nur mit Hilfe 1

div. Versuche, rutscht nach vorn 2

braucht Armlehnen oder Halt 3

in einer fließenden Bewegung 4

Balance in den ersten 5 Sekunden:

unsicher (Schwanken, Korrekturschritte) 0

sicher, aber nur mit Halt 1

sicher, ohne Halt 2

Page 16: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

15

Stehsicherheit:

unsicher (Schwanken, Korrekturschritte, sucht Halt) 0

sicher, aber ohne geschlossene Füße 1

sicher, mit geschlossenen Füßen, ohne Halt 2

wenn nicht oder nur mit Halt/Hilfe möglich - Testende des Balanceteils

Balance (mit geschlossenen Augen und Füßen):

unsicher (Schwanken, Korrekturschritte, nur mit HM/Halt) 0

sicher, ohne Halt 1

Drehung 360° (mit offenen Augen):

unsicher (Schwanken, Korrekturschritte, nur mit HM/Halt) 0

diskontinuierliche Schritte 1

kontinuierlich und sicher 2

Stoß gegen die Brust (leicht 3x, mit geschlossenen Füßen):

würde ohne Hilfe oder Halt fallen 0

muss Korrekturschritte ausführen, behält aber Gleichgewicht 1

gibt sicheren Widerstand 2

Hinsetzen:

lässt sich plumpsen, schätzt Distanz falsch, braucht Lehne od. Halt 0

flüssige Bewegung 1

Gesamtpunkte Balancetest (max. 15) ____ Pkt.

Hilfsmittel: o keines o ja ____________________

Page 17: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

16

Tinnetti – Gehprobe (die ersten 2-3 Schritte werden nicht mitbeurteilt, Beobachtung

von der Seite und von hinten, Bereitstellung des adäquaten Hilfsmittels)

Schrittauslösung (nach Aufforderung):

Gehen ohne fremde Hilfe nicht möglich--Testende 0

zögert, mehrere Versuche, stockend 1

beginnt zu gehen ohne Zögern, fließende Bewegung 2

Schritthöhe:

Schlurfen, oder übertriebenes Hochziehen 1

Schritthöhe 2.5 – 5 cm 2

Schrittlänge (Distanz zw. Zehe des Standbeins u. Ferse des Schwungbeins):

weniger als Fußlänge 1

mindestens Fußlänge 2

Schrittasymmetrie:

Schrittlänge variiert, oder Patient hinkt (immer mit gleichem Fuß nach vor) 0

Schrittlänge beidseits gleich 1

Gangkontinuität:

Phasen mit beiden Beinen am Boden 1

Beim Absetzen des einen Fußes wird der andere gehoben, keine Pausen 2

Wegabweichung:

Abweichung, Schwanken 1

Füße werden entlang einer imaginären Linie abgesetzt 2

Page 18: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

17

Rumpfstabilität:

Rücken und Knie nicht gestreckt, unsicher, Arme werden zur

Stabilisierung benötigt (Hilfsmittel) 0

Rücken und Knie gestreckt, kein Schwanken 1

Schrittbreite:

Gang breitbeinig oder überkreuzend 0

Füße berühren sich beinahe beim Gehen 1

Gesamtpunkte der Gehprobe (max. 13) _____

HM o keines o ja __________

Gesamtpunkte Tinetti Balance und Gang (max. 28 Pkt.)

3. Testdauer:

Abhängig von Mobilität der Testperson und Erfahrung des Untersuchers 5-10min.

4. Interpretation

24-27 Punkte: Mobilität leicht eingeschränkt

20-23 Punkte: Sturzrisiko leicht erhöht 19-24 Pkt.

<20 Punkte: Sturzrisiko deutlich erhöht v.a. Gehtest zeigt hohe praediktive Validität

5. Vorteile

Einziges Instrument, das auch die Gangqualität beurteilt, kann auch wegweisend

sein bei neurologisch bedingten Gang- und Balancestörungen, deckt ein weites

Spektrum an Mobilitätsstufen ab.

6. Nachteile

genaue Beobachtung notwendig, Schulungsbedarf, Gehstrecke von mehreren

Metern notwendig, Summenscore nur begrenzt aussagekräftig.

Es gibt ein breites Spektrum an Testmodifikationen, die nicht gänzlich miteinander

vergleichbar sind und in der Literatur nicht immer exakt beschrieben sind (14 )

Page 19: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

18

SPPB – Short Physical Performance Battery ( 15 )

1. Ziel:

Erfassung der drei wichtigen Mobilitätskriterien Kraft, Gleichgewicht und

Gehgeschwindigkeit

2. Durchführung

A Balancetest:

Freier Stand ohne Hilfsmittel muss möglich sein (erlaubt sind jeweils 3 Versuche)

Hilfe, um in die Positionen zu kommen, ist erlaubt

Tester zeigt jede Bewegung vor

Bewegung der Arme oder Kniebeugen erlaubt, Füße müssen in Position

verbleiben

1. Side by Side/ Füße Seite an Seite: (Patient darf selbst wählen, welches Bein vorne

od. hinten platziert wird)

1 Pkt. > 10 sec

0 Pkt. <10 sec

2.Semi-Tandem: (Ferse des einen Fußes neben der Großzehe des anderen Fußes)

1 Pkt. > 10 sec

0 Pkt. < 10 sec

3.Tandem Stand: (Ferse des einen Fußes direkt vor dem anderen Fuß)

2 Pkt. > 10 sec

1 Pkt. 3 – 9 sec

0 Pkt. < 3 sec

MMaaxxiimmaalleerr PPuunnkkttwweerrtt == 44

Page 20: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

19

B Gehgeschwindigkeit:

Gewohnte Gehgeschwindigkeit, Hilfsmittel ist erlaubt, keine Hilfsperson, 2 Versuche,

der schnellere wird gewertet, Zeitmessung mit Stoppuhr; aus dem Stand von der

Startlinie bis erster Fuß komplett über der Ziellinie (dahinter ca. 2m freier Spielraum)

Gehstrecke

2.4m 4m

0Pkt. nicht möglich nicht möglich

1 Pkt. > 5.7 sec ( < 0.43 m/sec) >8.7 sec

2 Pkt. 4.1 – 5.6 sec ( 0.44 – 0.60 m/ sec) 6.2-8.7 sec

3 Pkt. 3.2 – 4.0 sec ( 0.61 – 0.77 m/ sec) 4.8-6.2 sec

4 Pkt. < 3.1 sec ( < 0.78 m/ sec) <4.8 sec

Max. Punktewert = 4

C Aufstehtest (Chair Rising oder Chair Stand up Test ):

Aufstehen von normalem Sessel ohne Benützung der Armlehnen (Arme vor der Brust

verschränkt). Wenn ein Probeversuch gelingt, soll der Patient nach dem

Startkommando so schnell wie möglich 5x aufstehen, Messung endet wenn Patient

wieder sitzt.

Zeitmessung mit Stoppuhr:

0 Pkt > 60 sec oder nicht möglich

1 Pkt > 16.6 sec

2 Pkt 13.7 – 16.6 sec

3 Pkt 11.2 – 13.6 sec

4 Pkt < 11.2 sec

Max. Punktewert = 4

Max. Gesamtpunktezahl aller 3 Teile sind 12 Pkt.

Page 21: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

20

3. Zeitbedarf

je nach Mobilitätsgrad 5-10min.

4. Interpretation

Niedrige Scores sind prädiktiv für das Risiko, Defizite in den ADLs zu entwickeln,

Stürze zu erleiden, für Einweisungen in Langzeitpflegeeinrichtungen und für erhöhte

Mortalität

5. Vorteile

Erfassung wichtiger Mobilitätsfaktoren ( Beinkraft, Gleichgewicht, Koordination und

Gehgeschwindigkeit), einfach durchführbar, hohe Veränderungssensitivität ( 29)

6. Nachteile

Exakte Zeitmessung notwendig, trotzdem gewisse Schwankungsbreite, eine

Messung ist erst sinnvoll, wenn der Patient bereits frei stehen und kurze Strecken

selbstständig gehen kann(Flooring-Effekt), bei sehr fitten Patienten Ceiling–Effekt.

Six- Minute Walking Test ( 16,17,18)

Der Test misst die körperliche Leistungsfähigkeit und aerobe Ausdauer anhand der

maximalen Gehstrecke in Metern, die in 6 Minuten zurückgelegt werden kann.

Hilfsmittel, Begleitung und Pausen sind erlaubt. Die Länge der Probestrecke sollte

mindestens 30 m betragen. Bei Auftreten von Schmerzen oder kardiorespiratorischen

Problemen soll jederzeit abgebrochen werden. Durch die American Thoracic Society

wurden Richtlinien für die Durchführung des Tests bei Risikopatienten

veröffentlich(19).

Der Test ist vorrangig untersucht bei Patienten mit pulmologischen und

Herzkreislauferkrankungen sowie bei neurologischen Grunderkrankungen. Er ist aber

auch ein Indikator für die Fähigkeit, sich im Outdoorbereich bewegen und z.B. auch

eine Straße in adäquater Geschwindigkeit überqueren zu können. Es besteht ein

gute Korrelation mit der Muskelkraft der unteren Extremitäten, Gleichgewicht und

Page 22: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

21

Selbsteinschätzung der körperlichen Funktionsfähigkeit. Die Anwendung für

Verlaufskontrollen ist geeignet.

Weitere Mobilitätstests bei älteren Patienten

Die Beurteilung der Mobilität wie Transfers, Gehen und Stufensteigen ist auch ein

Bestandteil anderer gebräuchlicher Assessments wie dem Functional Independence

Measurement (FIM)(24) mit verfeinerter Abstufung und dem Barthel Index (23) mit

gröberer Skalierung.

Verschiedene Aspekte des statischen und dynamischen Gleichgewichts werden in

der Berg Balance Scale(25) geprüft. Dieser Test ist etwas zeitaufwändiger, erfordert

einige Hilfsmittel und ist daher im klinischen Alltag schwierig einzusetzen und nur für

erweiterte Fragestellungen zu empfehlen. Ein Teilaspekt der funktionellen Balance

wird im Functional Reach(26) erhoben, der auch als isolierter Test bewertet werden

kann. Die Anpassungsfähigkeit beim Gehen an verschiedenste Bedingungen wie

Tempo, Hindernisse und Veränderungen der Kopfposition, wie sie auch im Alltag

relevant sind, können durch den Dynamic Gait Index (27,28) getestet werden. Einer

aufwändigeren 8-Items Version steht eine leicht und rasch durchführbare Version mit

4 Subtests gegenüber.

Ein Test, der sich zur Durchführung bei älteren Personen mit relativ hohem

Funktionsstatus eignet, ist der Fullerton Functional Fitness Test (2,30). Er umfasst 6

verschiedene funktionelle Aufgabenstellungen, die Kraft und Beweglichkeit der

oberen und unteren Extremitäten, aerobe Ausdauer, Koordination und Gleichgewicht

darstellen. Grenzwerte erleichtern die Identifikation von Risikopatienten.

Ziel dieser Assessments ist es eine mögliche Sturzgefährdung und Verlust an

funktionellen Fähigkeiten frühzeitig zu erkennen und therapeutische Interventionen

einleiten zu können.

Erhebung der Gehgeschwindigkeit:

Die Messung der Gehgeschwindigkeit kann auf zweierlei Weisen erfolgen:

Bewältigung einer Gehstrecke in einer vorgegebenen Zeit (wie beim 6 Minute -

Walking Test) oder Zeit für eine vorgegebene Gehstrecke (s. Frailty- Kriterien). Hier

Page 23: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

22

ist besonders zu beachten, dass vor allem auf kurzen Strecken ein Vorlauf und

ausreichend Raum nach der Ziellinie von zumindest 2 - 2,5 m zu gewährleisten

sind, um Beeinflussungen des Ergebnisses durch Beschleunigung oder

Verlangsamung auszuschließen. Vorgabe kann sein in gewohnter

Gehgeschwindigkeit, so schnell wie möglich oder auch langsam zu gehen. So

können Gangbildveränderungen teilweise deutlicher zu Tage treten und körperliche

Leistungsreserven unter unterschiedlichen Umgebungsbedingungen gezeigt werden.

Gesunde ältere Menschen zeigen eine durchschnittliche Gehgeschwindigkeit von 1,2

-1,4 m/sec.

Dual-Tasking und Gehen:( 20,21)

Den Gang in einer Dual-Tasking-Situation zu prüfen, wurde bereits 1995 durch

Lillemor Lundin- Olsson angeregt, die beobachtete hatte, dass Patienten, die nicht in

der Lage waren gleichzeitig zu gehen und zu sprechen („Stops walking while talking“)

ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko aufwiesen. Ein Einfluss auf das Gehvermögen unter

Dual-Task Bedingungen (z.B. Rechnen oder Aufzählen) bei gestörten zerebralen

Exekutivfunktionen (wie bei dementiellen Syndromen) ist bereits frühzeitig zu

erkennen. In klinischen Ganganalysen zeigen sich dabei eine deutliche Erhöhung der

Variabilität der Schrittlänge und –dauer und Verlangsamung der Gehgeschwindigkeit.

Mobilität und Sturzangst:

Die Angst vor dem Sturz ist ein relativ weit verbreitetes Phänomen und betrifft sowohl

Menschen, die bereits ein oder mehrere Sturzereignisse hinter sich haben als auch

Personen , die noch nicht gestürzt sind. Folge dieser Angst sind primär eine

Abnahme der körperlichen Aktivität, sozialer Rückzug und Depression. So wird eine

Negativspirale in Gang gesetzt, die zunehmende Muskelschwäche, Funktions- und

Aktivitätsverlust und ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko verursachen kann. Da

Sturzangst von Patienten meist nicht spontan berichtet wird, ist es angebracht durch

gezieltes Abfragen verschiedener angstauslösender Situationen das Ausmaß der

Problematik zu erfassen. Als geeignetes Assessmentinstrument hat sich dafür die

FES-I (Falls Efficacy Scale- International) erwiesen, von der zuletzt auch eine

Kurzform erarbeitet wurde(31)

Page 24: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

23

Möglicher Algorithmus der Assessments:

Da es im klinischen Alltag weder die personellen noch die zeitlichen Ressourcen gibt,

alle Assessments bei jedem Patienten durchzuführen und auch Patienten nur

begrenzt belastbar sind, besteht der Bedarf einer sinnvollen Auswahl des richtigen

Instruments für die spezifische Situation des Patienten. Auch sind Ziel und

Aussagekraft der Tests zu kennen und zu berücksichtigen. So kann es beabsichtigt

sein Rehabilitations- und Therapieverläufe darzustellen, Risikopatienten in Bezug auf

ein erhöhtes Sturzrisiko zu erfassen oder funktionelle Problembereiche bewusster

wahrzunehmen. Die folgenden Diagramme sind ein Versuch, aus jahrelangen

Erfahrungen und unzähligen Aufzeichnungen verschiedenster Assessments bei

unterschiedlichsten Patientengruppen einen klaren Ablauf der Tests darzustellen, um

in kurzer Zeit die wesentlichen Informationen zu erhalten.

AGR – Tagesklinik / ambulantes Setting

Erfassung des Sturzrisikos von gehenden

älteren PatientInnen > 60 Jahre

S

T

U

R

Z

R

I

S

I

K

O

Stürze letztes Jahr?

und / oder

Gang- u. Gleichgewichtsprobleme?

und / oder

beginnende ADL-Einschränkungen?

Chair

rising

test

nein keine

weiteren

Assessment < 13 Sek.

ja

Gehhilfsmittel

notwendig?

ja

TUG

>14 Sek.

erhöhtes Sturzrisiko;

weitere Diagnostik und

therapeutische Interventionen

SPPB

(Tandemtest und

gewohnte

Gehgeschwindigkeit)

und / oder

Tinetti-Test

> 13 Sek.

keine

weiteren

Assessments

– ev.

6 Minute

Walk Test

nein

< 14 Sek.

> 10 Pkt.

< 10 Pkt.

Page 25: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

24

AGR – stationäres Setting

Erfassung des Mobilitätsverlaufs und Sturzrisikos

bei stationären älteren PatientInnen über 60 Jahre

Transfer

Bett-Sessel-Bett

selbstständig?

Esslinger Transfer

Skala

ev. 6 minute Walk Test

Freier Stand möglich?

Selbstständig

Gehen

mit / ohne

Hilfsmittel

möglich?

Chairrising-Test

möglich?

Tandem und

gewohnte

Gehgeschwindigkeit

(SPPB)

und / oder

Tinetti - Test

TUG

< 13 Sek. ?

Aufstehen vom

Sessel ohne

Anhalten / Stütz

möglich?

S

T

U

R

Z

R

I

S

I

K

O

ja

ja

ja

ja

nein

nein nein

nein

nein ja

ja

nein

Page 26: Assessment der Mobilität und des Sturzrisikos in der Geriatrie

25

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