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Aspekte der externen und internen Sprachgeschichte des Italienischen III – 1. TEIL 02.11.2009

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Aspekte der externen und internen Sprachgeschichte des Italienischen III

– 1. TEIL

02.11.2009

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DIE GESCHICHTE DES SPRACHHISTORISCHEN DENKENS IN ITALIEN (14. BIS 19. JAHRHUNDERT)

Wissenschaftsgeschiche

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DIE BESCHÄFTIGUNG MIT HISTORIOLINGUISTISCHEN ASPEKTEN IN ITALIEN IN VORWISSENSCHAFTLICHER ZEIT

I.

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SPRACHHISTORISCHES DENKEN IM AUSGEHENDEN MITTELALTER

Dante Alighieri

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

• Informationen zu Dante– Geb. 1265 in Florenz– Gest. 1321 in Ravenna– Dichter, Philosoph, Politiker• Wichtige Werke

– Vita nuova– Convivio– Divina Commedia– De vulgari eloquentia– De Monarchia

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

Sprachhistorisches Gedankengut in De vulgari eloquentia im Überblick

Latein ist unveränderlich (Latein wird als Kunstsprache betrachtet, die sich natürlichen Veränderungen entzieht)Alle (natürlichen) Volkssprachen verändern sich in Zeit und RaumHebräisch ist die Ursprache aller MenschenTurmbau zu Babel (Verwirrung)Entstehung verschiedener Sprachfamilien mit zunehmender Diversifizierung

(…)

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

• Die Unbständigkeit des Menschen hat eine Unbeständigkeit der Sprache zur Folge– „ Non etenim admiramur si extimationes

hominum qui parum distant a brutis, putant eandem civitatem sub inmutabili semper civicasse sermone, cum sermonis variatio civitatis eiusdem non sine longissima temporum successione paulatim contingat et hominum vita sit etiam ipsa sua natura brevissima.“

– De vulgari eloquentia Liber I Capitulum ix

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

• Gemeinsamer Ursprung der romanischen Sprachen, der allerdings nicht mit dem Lateinischen identifiziert wird– „…tertium tenuit ydioma, licet nunc tripharium

videatur; nam alii oc, alii oïl , alii sì affirmando locuntur; ut puta Yspani, Franci et Latini. Signum autem quod ab uno eodemque ydiomate istarum trium gentium progrediantur vulgaria, in promptu est, quia multa per eadem vocabula nominare videntur, ut Deum, celum, amorem, mare, terram, est, vivit, moritur, amat, alia fere omnia.“• De vulgari eloquentia Liber I Capitulum viii

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

• Latein = gramatica [sic]– unveränderlich (inalterabilis) in

Zeit und Raum• „Hinc moti sunt inventores

gramatice facultatis; que quidem gramatica nichil aliud est quam quedam inalterabilis locutionis idemptitas diversis temporibus atque locis. “– (De vulgari eloquentia Liber I Capitulum ix)

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

• “…perché lo latino è perpetuo e non corruttibile, e lo volgare è non stabile e corruttibile.”– Convivio Trattato I Capitolo v

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Die Entstehung der romanischen Sprachen nach Dante

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„Fuit ergo hebraicum ydioma illud quod primi loquentis labia fabricarunt.“

Externe Sprachgeschichte

Interne Sprachgeschichte

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

• Variationslinguistik ante litteram• Sprache verändert sich in Zeit

und Raum• Die von den Menschen

verwendete Sprache ist raschen Veränderungen unterworfen (in Abhängigkeit von der menschlichen Unbeständigkeit)

• Als unveränderliche Sprache wurde daher das Lateinische (= Grammatik) erschaffen

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Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter: Dante

• Komparatistik ante litteram– Sprachvergleich• Die Ähnlichkeit der romanischen

Sprachen (lingua oc, lingua oil, lingua si) lässt darauf schließen, dass sie einen gemeinsamen Ursprung haben

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SPRACHHISTORISCHES DENKEN IN DER FRÜHEN NEUZEIT

Der Humanismus

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Sprachhistorische Reflexion im 15. Jahrhundert

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Der kulturhistorische Kontext• Das Zeitalter des Humanismus– Hinwendung zur Antike– Intensives Studium antiker Quellen– Rekonstruktion der klassischen

lateinischen Sprache– Frage nach der Beschaffenheit des

Lateinischen in der Antike– Frage nach der Dekanenz des

Lateinischen während der Völkerwanderung

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Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum

• „Sprachhistorische Reflexion“ im Humanismus• Das Hauptziel des frühen Humanismus war

– wie bereits erwähnt – eine Wiederbelebung der geistigen Errungenschaften der klassischen Antike.

• Das philologische Interesse der Humanisten des späten 14. sowie des frühen 15. Jahrhunderts beschränkte sich auf die Suche nach verschollenen lateinischen Schriften in den europäischen Bibliotheken.

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Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschafenheit des Lateinischen im Altertum

– Poggio Bracciolini (1380-1459) entdeckte z.B. Institutio oratoria von Quintilian, De rerum natura von Lukrez, Silvae von Statius, De re architectura von Vitruv, Punica von Silius Italicus, Argonautica von Valerius Flaccus sowie zehn Reden Ciceros.

– Das philologische Interesse der Humanisten des späten 14. sowie des frühen 15. Jahrhunderts beschränkte sich auf die Suche nach verschollenen lateinischen Schriften in den europäischen Bibliotheken.

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Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum

• Im Mittelpunkt sprachplanerischer Bemühungen stand die Wiederherstellung des klassischen Lateins.

• In diesem geistigen Klima sind Werke wie Lorenzo Vallas Elegantiarum Latinae Lingue libri sex (1435-1444) entstanden.

• In sprachgeschichtstheoretischer Hinsicht interessierten sich die Gelehrten vor allem für die Beschaffenheit und Entwicklung des Lateinischen, während die Geschichte der italoromanischen Volkssprachen allenfalls indirekt im Zusammenhang mit der lateinischen Sprachgeschichte behandelt wurde.

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Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum

• Im März 1435 diskutierten Leonardo Bruni und Flavio Biondo im Vorzimmer des Papstes Eugen IV. über die Beschaffenheit der lateinischen Sprache in der Antike und Spätantike. – Flavio Biondo richtete seine Streitschrift De verbis

romanae locutionis an Leonardo Bruni. – Ausgangspunkt war die in Brunis Schrift An vulgus et

literati eodem modo per Terentii Tullique tempora Romae locuti sint vertretene Auffassung, dass bereits in der Antike von den Ungebildeten ein volgare gesprochen wurde, das dem des Quattrocento nicht unähnlich war.

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Die sprachhistorische Auffassung von Leonardo Bruni• Apud veteres: bei den Alten, d.h. in der

Antike• unum (…) sermonem omnium: nur eine

einzige Sprache, d.h. das Lateinische• nec alium vulgarem, alium litterarium:

keine Vulgärsprache, nur die Gelehrtensprache (= klass. Latein)

• Ego autem (…) distinctam fuisse vulgarem linguam a litterata existimo: Ich bin der Auffassung, dass die Vulgärsprache von der Gelehrtensprache verschieden war

21http://www.bibliotecaitaliana.it/repository/bibit/bibit000097/bibit000097.xml

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Die sprachhistorische Auffassung von Leonardo Bruni

• Hinweis auf die Unterschiede morphosyntaktischen, semantischen und phonetischen Unterschiede zwischen der „latina lingua“ und der „[lingua] vulgaris“

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Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum

• Das Bewusstsein, dass die Germaneneinfälle im spätantiken Italien bei der Herausbildung der italienischen Sprache bzw. der italienischen Dialekte eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten, ist zuerst von Flavio Biondo zu einer Sprachursprungstheorie entwickelt worden.

• Er hat sich nicht nur in seinem Traktat De verbis romanae locutionis mit der Geschichte des Lateinischen und der Entstehung des volgare beschäftigt, sondern auch in seiner Schrift Italia illustrata (1448-1453), wobei die Korrumpierung des Lateinischen nicht mehr bei der Eroberung Italiens durch Goten und Vandalen angesetzt wurde, sondern erst bei der Langobardenherrschaft.

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Flavio Biondo

• Flavio Biondo gilt als der eigentliche Begründer der archäologischen Wissenschaft• 1432 ernannte Papst Eugen IV. Biondo

zu seinem Kanzleisekretär.• Als großer Kenner der Antiquitäten

widmete der Aufgabe des Sammelns der Materialien für seine historischen, archäologischen und topographischen Arbeiten zu.

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Die sprachhistorische Auffassung von Flavio Biondo• „barbarica mixtam

loquelam habeamus vulgarem“: die (ital.) Volkssprache ist durch den Kontakt mit den Barbaren (Germanen) entstanden

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http://www.uan.it/alim/letteratura.nsf/(testiID)/D962B070E2A9AEEEC12573E700689E7A!opendocument

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Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum

• Poggio Bracciolini setzte sich ebenfalls mit dem Einfluss von Sprachkontakt auf die Herausbildung des Italienischen auseinander.

• Er verweist zusätzlich auf Ereignisse wesentlich älteren Datums, nämlich aus der Zeit der römischen Eroberungen.

• In Begriffen der modernen Linguistik kann man von einem Konflikt zwischen Anhängern der Substrattheorie (Etrusker, Kelten etc.) auf der einen Seite und von Vertretern der Superstrattheorie (Goten, Langobarden etc.) auf der anderen sprechen.

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Die Frage nach dem Einfluss vorrömischer Sprachen

• Bei der Frage nach dem Ursprung der italienischen Sprache rückte sporadisch das Etruskische ins Blickfeld diachroner Sprach-betrachtung, so etwa in Pier Francesco Giambullaris Gello, de l’Origine della lingua fiorentina (1546).

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Die Frage nach dem Einfluss der Germanen bei der Herausbildung romanischer Sprachen im 16. und 17. Jh.

• Girolamo Muzio (1496-1576), dessen sprachtheoretische Schriften 1583 posthum unter dem Titel Battaglie in Difesa dell’italica lingua erschienen sind, beispielsweise glaubte nicht an den Einfluss des Etruskischen bei der Herausbildung des Toskanischen. • Seiner Meinung nach wurde die Sprache der

Etrusker vollkommen von der Sprache Roms verdrängt.

• Für ihn spielten die germanischen Eroberer eine entscheidende Rolle.

• Er verband die Frage nach dem sprachlichen Einfluss der Germanen vor allem mit ihrer Siedlungsgeschichte.

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Die Frage nach dem Einfluss der Germanen bei der Herausbildung romanischer Sprachen im 16. und 17. Jh.

• Claudio Tolomei (1492-1556) führt im Cesano de la lingua toscana (1555) das volgare auf das Lateinische zurück, verweist aber auch auf Einflüsse aus dem Etruskischen und Germanischen.

• Benedetto Varchi (1503-1565) betont im Ercolano (1564/1570) weniger die durch die Barbaren herbeigeführte sprachliche Korrumpierung, sondern vielmehr die Geburt einer neuen Sprache.

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Die Frage nach dem Einfluss der Germanen bei der Herausbildung romanischer Sprachen im 16. und 17. Jh.

• Ludovico Castelvetro (1505-1571) entwickelte in seiner Correzione d’alcune cose del Dialogo delle lingue di Benedetto Varchi (1563/1572) eine sehr ausgeglichene Theorie zum Ursprung des volgare.

• Er verwirft die These von der Existenz eines italienischen volgare im antiken Rom, die von Leonardo Bruni ins Gespräch gebracht worden war, und verweist implizit auf die Existenz einer vulgärlateinischen Sprache.

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Die Frage nach dem Einfluss der Germanen bei der Herausbildung romanischer Sprachen im 16. und 17. Jh.

• Drei Entwicklungsstufen nach Castelvetro• Die zunehmende Wichtigkeit

der vulgärlateinischen Varietät in Rom.

• Die Dominanz des Vulgärlateinischen während der Gotenherrschaft.

• Der Übergang vom korrumpierten Latein zum volgare während der Herrschaft der Langobarden nach mehreren Generationen.

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Die Frage nach dem Einfluss der Germanen bei der Herausbildung romanischer Sprachen im 16. und 17. Jh.

• Mit Celso Cittadinis Schriften Trattato della vera origine e del processo e nome della nostra lingua (1601) und Origini della volgar toscana favella (1604) setzte eine philologische Wende in der diachronen Sprachforschung auf der Grundlage intensiver antiker und spätantiker Quellenstudien ein.

• Cittadini setzt den Sprachwandel bereits vor der Barbarenherrschaft beim Vulgärlatein der Antike an.

• Er geht in Übereinstimmung mit Varchi von einer diglossischen Zweiteilung des Lateinischen aus.

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Die sprachhistorische Forschung des 18. Jahrhunderts entwickelte erneut ein starkes Interesse für das Etruskische, das von vielen Autoren mit dem Hebräischen in Verbindung gebracht wurde, so z.B. von Scipione Maffei (Degli itali primitivi, 1727) und Marco Guarnacci (Origini italiche, 1767). Scipione Maffei

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Ireneo Affò betrachtet im Ragionamento istorico dell’origine e del progresso della volgar poesia, welches dem Dizionario precettivo e critico della poesia volgare (1777) vorangeht, das Lateinische als Ergebnis einer Sprachmischung zwischen Latein und Griechisch.

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Zur selben Zeit rückte die Rolle der Germanen bei der Genese des Italienischen erneut in den Mittelpunkt sprachhistorischer Diskussionen, die allerdings auf ein geteiltes Echo stieß.

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Zu prominenten Gegnern der Germanenthese gehörten u.a. Gian Vincenzo Gravina (Della ragion poetica, 1708)

• und Scipione Maffei (Verona illustrata, 1732)

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Zu den Befürwortern zählten neben Ludovico Muratori auch

• Giusto Fontanini (Biblioteca dell’Eloquenza volgare, 1726),

• Pietro Giannone (Istoria civile del regno di Napoli, 1723),

• Umberto Benvoglienti (Storia della lingua italiana, 1771),

• Ferdinando Galiani (Del dialetto napoletano, 1779),

• Girolamo Rosasco (Della lingua toscana) u.v.a.

Ferdinando Galiani

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Das Interesse an historischen Sprachzuständen wurde in der frühen Neuzeit nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit alten literarischen Texten genährt.

• Der aus Modena stammende Gelehrte Giovanni Maria Barbieri (1519-74) hatte sich bereits im 16. Jahrhundert mit der provenzalischen und sizilianischen Lyrik des Mittelalters befasst.

• Seine Arte del rimare blieb allerdings unvollendet und unveröffentlicht.

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Erst 1790 wurde sie von dem Bibliothekar Girolamo Tiraboschi (1731-94) wiederentdeckt und schließlich unter dem Titel Dell’origine della poesia rimata herausgegeben. – Für die sprachwissenschaftliche

Forschung ist dieses Werk von besonderer Bedeutung, da es einige (im Original nicht mehr existierende) Gedichte der Scuola siciliana in ihrer sizilianischen Ursprungsform ohne die sonst übliche Toskanisierung der Texte enthält.

Girolamo Tiraboschi

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Die Beschäftigung mit alten Schriftquellen hat verschiedene Bibliothekare dazu veranlasst, sich über sprachgeschichtliche Probleme Gedanken zu machen.

• Der Direktor der Biblioteca Estense in Modena, Ludovico Antonio Muratori (1672-1750), gilt wohl nicht zu Unrecht als einer der Wegbereiter der modernen Geschichtswissenschaft.

Ludovico Antonio Muratori

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählen die 25 Bände umfassenden Rerum italicarum scriptores (1723-51), die Antiquitates italicae medii aevi (1743), der Novus thesaurus veterum inscriptionum (1738-42), die zwölfbändigen Annali d’Italia (1744-49) sowie die Dissertazioni sopra le antichità italiane (1751).

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Muratori hat sich in seinen Schriften mit unterschiedlichen sprachhistorischen Themen beschäftigt, z.B. mit dem Ursprung des Italienischen aus der diatopischen und diastratischen Variation des Lateinischen, mit dem Einfluss des Germanischen auf den italienischen Wortschatz sowie mit der Etymologie einzelner Wörter.

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Girolamo Tiraboschi, der Nachfolger Muratoris als Leiter der Biblioteca Estense, hat eine monumentale Storia della letteratura italiana (1772-82) verfasst, die allerdings weit mehr ist als eine einfache italienische Literaturgeschichte, wie der Titel zunächst vermuten lässt.

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Der sprachhistorische Diskurs im Italien des 18. Jahrhunderts

• Es handelt sich vielmehr um eine allumfassende kulturgeschichtliche Darstellung Italiens von den Etruskern bis zur Neuzeit, im Rahmen derer auch zahlreiche sprachhistorische Fragestellungen behandelt werden, so z.B. der Wandel vom Lateinischen zum Italienischen oder die Beschaffenheit der lateinischen Sprache im Altertum.

• Tiraboschi geht in Übereinstimmung mit Castelvetro von einer inneren Differenzierung und sprachkontaktbedingten Veränderung der lateinischen Alltagssprache bereits vor der Völkerwanderung (it. invasioni barbariche) aus.

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Page 45: Aspekte der externen und internen Sprachgeschichte des Italienischen III – 1. TEIL 02.11.2009

Die Biblioteca Estense

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Periodisierungsmodelle

Giuseppe BarettiHistory of the Italian Tongue (1757)

Erste knappe Sprach-geschichte des Italienischen auf literarischer Basis

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Periodisierungsmodelle

Giuseppe Baretti, History of the Italian Tongue (1757)

(1) Die erste Phase ist durch mündliche Kommunikation und das völlige Fehlen schriftlicher Überlieferung in der Volkssprache geprägt.

(2) In der zweiten Phase werden in Italien neben dem Lateinischen das Provenzalische und Sizilianische verwendet.

(3) In der dritten Phase fehlt zwar noch eine gesamtitalienische Standardsprache, jedoch ist bereits eine zunehmende Erstarkung des Florentinischen zu beobachten.

(4) Die vierte Phase (buon secolo) fällt mit dem Wirken von großen Dichtern wie Petrarca zusammen.

(5) Die fünfte Phase (cattivo secolo) ist geprägt durch den Barockdichter Giambattista Marino.

(6) Als sechste Phase können wir Barettis eigene Zeit interpretieren, die literaturästhetisch weder als gut noch als schlecht eingestuft wird.

(7) Die siebte Phase befasst sich mit der Zukunft des Italienischen, dem nach Meinung des Verfassers Gefahr durch den zunehmenden Einfluss des Französischen und Deutschen drohte.

The Italian library containing an account of the lives and works of the most valuable authors of Italy, with a preface, exhibiting the changes of the tuscan language, from the barbarous ages to the present time

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Periodisierungsmodelle

Ugo Foscolo

Epoche della lingua italiana (1825)

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Periodisierungsmodelle

(1) Die erste Epoche reicht von 1180 bis 1230. Sie ist geprägt durch das Fehlen einer eigenständigen italienischen Literatur. Gedichtet wird auf Latein und Provenzalisch (z.B. durch Sordello da Goito).

(2) In der zweiten Epoche (1230-1280) tritt mit der Scuola siciliana zum ersten Mal eine italienische Literatur in Erscheinung.

(3) In der dritten Epoche (1280-1330) wirken die Dichter des dolce stil nuovo (Guido Cavalcanti, Cino da Pistoia etc.) sowie Dante mit seiner Divina Commedia.

(4) Die vierte Epoche (1350 bis 1400) wird bestimmt durch das literarische Wirken Giovanni Boccaccios und Francesco Petrarcas. Als positiv hervorgehoben wird der Ausbau des Florentiner Dialektes zur angesehenen Literatursprache (insbesondere durch Boccaccios Decameron), als negativ hingegen das Engagement des späten Petrarca für das Lateinische.

(5) Das Hauptmerkmal der fünften Epoche (1400-1500) ist der rasche Verfall der Literatursprache nach dem Tode Boccaccios, der erst zur Zeit von Lorenzo de’ Medici zum Stillstand kommt.

(6) Die sechste Epoche (1500-1600) wird bestimmt vom wiedererwachten Interesse an der Literatur der großen Trecentisten und den Protagonisten der Questione della lingua (insbesondere Pietro Bembo ).

Sprachgeschichte auf literatur-wissen-schaftlicher Basis

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Literaturhinweise

• Gauger, H.-M./Oesterreicher, W./Windisch, R.: Einführung in die romanische Sprachwissenschaft. Darmstadt 1981, S. 14-44.

• Linke, A./Nussbaumer, M./Portmann, P.R.: Studienbuch Linguistik. Tübingen 52004, S. 419-459.

• Paul, H.: Prinzipien der Sprachgeschichte. Tübingen 1975 (11880, 51920), S. 1-36.

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