archivar 2006-1

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1 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1 59. Jahrgang · Februar 2006 · Heft 1 INHALT Organisationsreformen und ihre Auswirkungen auf die archivische Arbeit – Baden-Württemberg und Nordrhein- Westfalen im Vergleich. 65. Südwestdeutscher Archivtag in Lindau i. Bodensee ........................................................................ 3 Einführung. Von Irmgard Christa Becker .......................... 3 Aufbruch – Umbruch. Ein altes Staatsarchiv im neuen Landesarchiv NRW. Von Mechthild Black-Veldtrup ...... 3 Auf einer Stufe zukunftsfähig? Die staatliche Archivver- waltung Baden-Württemberg in der Verwaltungsreform. Von Robert Kretzschmar .................................................... 6 Mehr Aufgaben, neue Bestände: die baden-württember- gischen Kreisarchive und die Verwaltungsstrukturre- form. Von Manfred Waßner ................................................. 12 Noch kein Happy-End in Sicht – Ein neues Verhältnis zwischen dem Landesarchiv und den Kommunalarchi- ven in NRW? Von Thomas Wolf ........................................... 14 Podiumsdiskussion (A. Metz, U. Schludi, S. Sudmann) .... 16 Archivgut als bewegliches Kulturgut Ziele einer Reform des Kulturgutschutzrechts aus der Perspektive der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder – ein Positionspapier. Einführung und Textab- druck. Von Udo Schäfer ....................................................... 19 Archivgut als Gegenstand des Kulturgutschutzes. Von Klaus Oldenhage ................................................................. 21 Das Normensystem zum Schutz von Kulturgütern in Deutschland – unter besonderer Berücksichtigung von Archivgütern. Von Kerstin Odendahl ................................ 23 „Das deutsche Archivwesen im Nationalsozialismus.“ Der 75. Deutsche Archivtag 2005 in Stuttgart. Tagungsbericht von Robert Kretzschmar .................................................................. 28 Berichte zu den Sektionssitzungen und zur Podiumsdiskus- sion auf dem 75. Deutschen Archivtag ....................................... 33 Sektionen ................................................................................ 33 Sektion 1: Aspekte nationalsozialistischer Archivpoli- tik (A. Schlichte) .................................................................. 33 Sektion 2: Geraubte, beschlagnahmte und manipu- lierte Archive (U. Hanke) ................................................... 35 Sektion 3: Deutsche Archivpolitik im besetzten Aus- land (P. Puppel) ................................................................... 38 Sektion 4: Staatsarchive im Nationalsozialismus (N. Wurthmann) ................................................................. 39 Sektion 5: Kommunalarchive im Nationalsozialismus (J. Rosenplänter) ................................................................. 41 Sektion 6: Kontinuitäten und Vergangenheitsbewälti- gung nach 1945 (A. Petter) ................................................. 43 Podiumsdiskussion: Archive und Archivare im National- sozialismus (K. Naumann) .................................................... 44 Berichte zu den Arbeitssitzungen der Fachgruppen und Arbeitskreise auf dem 75. Deutschen Archivtag ........................ 46 Fachgruppen .......................................................................... 46 Fachgruppe 1: Archivare an staatlichen Archiven (R. Kretzschmar) ................................................................ 46 Fachgruppe 2: Archivare an Stadtarchiven und Archi- ven sonstiger Gebietskörperschaften (K. Tiemann) ........ 47 Fachgruppe 3: Archivare an kirchlichen Archiven (H. Ammerich) ................................................................... 49 Fachgruppe 4 und 5: Archivare an Herrschafts-, Haus- und Familienarchiven und Archivare an den Archiven der Wirtschaft (U. S. Soénius) ........................................... 50 Fachgruppe 6: Archivare an Archiven der Parlamente, der politischen Parteien, Stiftungen und Verbände (R. Höpfinger) .................................................................... 51 Fachgruppe 7: Archivare an Medienarchiven (H. Schmitt) ......................................................................... 51 Fachgruppe 8: Archivare an Hochschularchiven und Archiven wissenschaftlicher Institutionen (W. Müller) .. 52 Arbeitskreise Arbeitskreis Archivpädagogik und historische Bil- dungsarbeit (D. Klose) ....................................................... 53 Arbeitskreis Ausbildung Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste (H. Scholz) ............................... 56 Forum Ausbildung Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste (H. Scholz) ....................................... 57 Forum Diplomarchivarinnen und Diplomarchivare (FH) (B. Dördelmann) ........................................................ 61 Archivtheorie und -praxis Archive und Bestände:. Dr. Uwe Schaper neuer Direktor des Landesarchivs Berlin (M. Klein): 62. – Übereignung des stadt- eigenen Luftbildarchivs an das Staatsarchiv Hamburg (J. Frank): 63. – Das Stadtarchiv Saarbrücken 1999 bis 2004 – eine Zwischenbilanz (I.-C. Becker): 66. – AG Archive der Leibniz-Gemeinschaft gegründet (M. Farrenkopf): 68. – Das Deutsche Tagebucharchiv bewahrt geschriebenes Leben – eine wertvolle Fundgrube für Wissenschaftler und Journalis- ten (G. Seitz): 69. Archivierung, Bewertung, Erschließung: DFG-Projekt „Demon- tagen in der SBZ und Berlin 1945–1948 – Sachthematisches Inventar“. Ein durch die DFG gefördertes Projekt des Bran- denburgischen Landeshauptarchivs (BLHA) und des Zen- trums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) (K. Arnold): 71. – „Crossing Krauland“ – Die Erschließung des Nachlasses Walter Krauland in Kalliope im Universitätsar- chiv der Freien Universität Berlin (S. Schwalm): 71. Archivtechnik: 2. September 2005 – Tag der Bestandserhaltung am Landesarchiv Berlin (R. Rousavy): 72. Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Benutzerum- frage im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt (D. Marek): 75. – Erstmalige Auslobung eines hessischen Archivpreises (B. Streich): 75. Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten: Der FaMI – ein Magnet auf der Archivistica (M. Ciuberski): 76. – 55. VdW-Lehrgang „Medienkompetenz für Wirtschaftsarchi- vare: Coaching für den professionellen Auftritt vor und hin- ter Mikrofon und Kamera – von der Selbstpräsentation zum Zeitzeugeninterview“ in Heidelberg (H. Hirschfeld/G. Thie- nel): 77. Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: 39. Rheinischer Archiv- tag (A. Rahmen-Weyer): 78. – 13. Sächsischer Archivtag / 2. Sächsisch-Böhmisches Archivarstreffen 2005 in Stollberg.

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Zeitschrift für Archivwesen

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1Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

59. Jahrgang · Februar 2006 · Heft 1INHALT

Organisationsreformen und ihre Auswirkungen auf diearchivische Arbeit – Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen im Vergleich. 65. Südwestdeutscher Archivtag inLindau i. Bodensee... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Einführung. Von Irmgard Christa Becker .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Aufbruch – Umbruch. Ein altes Staatsarchiv im neuenLandesarchiv NRW. Von Mechthild Black-Veldtrup ... . . . 3Auf einer Stufe zukunftsfähig? Die staatliche Archivver-waltung Baden-Württemberg in der Verwaltungsreform.Von Robert Kretzschmar ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Mehr Aufgaben, neue Bestände: die baden-württember-gischen Kreisarchive und die Verwaltungsstrukturre-form. Von Manfred Waßner ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Noch kein Happy-End in Sicht – Ein neues Verhältniszwischen dem Landesarchiv und den Kommunalarchi-ven in NRW? Von Thomas Wolf .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Podiumsdiskussion (A. Metz, U. Schludi, S. Sudmann)... . 16

Archivgut als bewegliches KulturgutZiele einer Reform des Kulturgutschutzrechts aus derPerspektive der Archivverwaltungen des Bundes undder Länder – ein Positionspapier. Einführung und Textab-druck. Von Udo Schäfer .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Archivgut als Gegenstand des Kulturgutschutzes. VonKlaus Oldenhage ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21Das Normensystem zum Schutz von Kulturgütern inDeutschland – unter besonderer Berücksichtigung vonArchivgütern. Von Kerstin Odendahl .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

„Das deutsche Archivwesen im Nationalsozialismus.“ Der75. Deutsche Archivtag 2005 in Stuttgart. Tagungsbericht vonRobert Kretzschmar ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28Berichte zu den Sektionssitzungen und zur Podiumsdiskus-sion auf dem 75. Deutschen Archivtag... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Sektionen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Sektion 1: Aspekte nationalsozialistischer Archivpoli-tik (A. Schlichte).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Sektion 2: Geraubte, beschlagnahmte und manipu-lierte Archive (U. Hanke).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Sektion 3: Deutsche Archivpolitik im besetzten Aus-land (P. Puppel).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Sektion 4: Staatsarchive im Nationalsozialismus(N. Wurthmann)... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Sektion 5: Kommunalarchive im Nationalsozialismus(J. Rosenplänter) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Sektion 6: Kontinuitäten und Vergangenheitsbewälti-gung nach 1945 (A. Petter).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Podiumsdiskussion: Archive und Archivare im National-sozialismus (K. Naumann)... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Berichte zu den Arbeitssitzungen der Fachgruppen undArbeitskreise auf dem 75. Deutschen Archivtag... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

Fachgruppen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46Fachgruppe 1: Archivare an staatlichen Archiven(R. Kretzschmar) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46Fachgruppe 2: Archivare an Stadtarchiven und Archi-ven sonstiger Gebietskörperschaften (K. Tiemann).. . . . . . . 47

Fachgruppe 3: Archivare an kirchlichen Archiven(H. Ammerich) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Fachgruppe 4 und 5: Archivare an Herrschafts-, Haus-und Familienarchiven und Archivare an den Archivender Wirtschaft (U. S. Soénius) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Fachgruppe 6: Archivare an Archiven der Parlamente,der politischen Parteien, Stiftungen und Verbände(R. Höpfinger) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Fachgruppe 7: Archivare an Medienarchiven(H. Schmitt) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Fachgruppe 8: Archivare an Hochschularchiven undArchiven wissenschaftlicher Institutionen (W. Müller).. 52

ArbeitskreiseArbeitskreis Archivpädagogik und historische Bil-dungsarbeit (D. Klose).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Arbeitskreis Ausbildung Fachangestellte für Medien-und Informationsdienste (H. Scholz).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Forum Ausbildung Fachangestellte für Medien- undInformationsdienste (H. Scholz).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Forum Diplomarchivarinnen und Diplomarchivare(FH) (B. Dördelmann).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Archivtheorie und -praxisArchive und Bestände:. Dr. Uwe Schaper neuer Direktor desLandesarchivs Berlin (M. Klein): 62. – Übereignung des stadt-eigenen Luftbildarchivs an das Staatsarchiv Hamburg(J. Frank): 63. – Das Stadtarchiv Saarbrücken 1999 bis 2004 –eine Zwischenbilanz (I.-C. Becker): 66. – AG Archive derLeibniz-Gemeinschaft gegründet (M. Farrenkopf): 68. – DasDeutsche Tagebucharchiv bewahrt geschriebenes Leben –eine wertvolle Fundgrube für Wissenschaftler und Journalis-ten (G. Seitz): 69.Archivierung, Bewertung, Erschließung: DFG-Projekt „Demon-tagen in der SBZ und Berlin 1945–1948 – SachthematischesInventar“. Ein durch die DFG gefördertes Projekt des Bran-denburgischen Landeshauptarchivs (BLHA) und des Zen-trums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) (K.Arnold): 71. – „Crossing Krauland“ – Die Erschließung desNachlasses Walter Krauland in Kalliope im Universitätsar-chiv der Freien Universität Berlin (S. Schwalm): 71.Archivtechnik: 2. September 2005 – Tag der Bestandserhaltungam Landesarchiv Berlin (R. Rousavy): 72.Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Benutzerum-frage im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt (D. Marek):75. – Erstmalige Auslobung eines hessischen Archivpreises(B. Streich): 75.Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten: DerFaMI – ein Magnet auf der Archivistica (M. Ciuberski): 76. –55. VdW-Lehrgang „Medienkompetenz für Wirtschaftsarchi-vare: Coaching für den professionellen Auftritt vor und hin-ter Mikrofon und Kamera – von der Selbstpräsentation zumZeitzeugeninterview“ in Heidelberg (H. Hirschfeld/G. Thie-nel): 77.Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: 39. Rheinischer Archiv-tag (A. Rahmen-Weyer): 78. – 13. Sächsischer Archivtag / 2.Sächsisch-Böhmisches Archivarstreffen 2005 in Stollberg.

2 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

DER ARCHIVAR. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen

Herausgegeben vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf. Schriftleitung: Peter Dohms in Verbindung mit RobertKretzschmar, Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius und Klaus Wisotzky. Verantwortlich: Peter Dohms, Mitarbeiter: Meinolf Woste, Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 02 11/15 92 38–800 (Redaktion), –801 (Peter Dohms), –802 (Meinolf Woste), –803 (Petra Daub),Fax 02 11 /15 92 38-888, E-Mail: [email protected]. Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25,Fax 0 22 41/5 38 91, E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Die Verlagsrechte liegen beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Amtliche Bekanntmachungen sowie Manuskripte, Mitteilungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Schriftleitung zu senden. ZumAbdruck angenommene Arbeiten gehen in das unbeschränkte Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließt auch die Veröffentlichung im Internetein (http://www.archive.nrw.de/archivar). Die Beiträge geben die Meinungen ihrer Verfasser, nicht die der Schriftleitung wieder. Bestellungen und Anzei-genverwaltung (Preisliste 17, gültig ab 1. Januar 2004) beim Verlag F. Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25, Fax 0 22 41/5 38 91,E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Zuständig für den Anzeigenteil: Sabine Prediger im Verlag F. Schmitt. –„Der Archivar“ erscheint viermal jährlich. Die Beihefte werden in zwangloser Reihenfolge herausgegeben. Der Bezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl.Porto und Versand 8,– EUR im Inland, 9,– EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,– EUR, im Ausland 36,– EUR.ISSN 0003-9500.

Hinweise für VdA-Mitglieder: Geänderte Anschriften und Bankdaten sind ausschließlich an folgende Adresse zu melden: VdA-Geschäftsstelle, Wörthstraße 3,36037 Fulda, Tel. +49 661 / 29 109 72, Fax +49 661 / 29 109 74; e-mail: [email protected]. Internet: www.vda.archiv.net – Bankverbin-dungen: Konto für Mitgliedsbeiträge des VdA: Sparkasse Regensburg (BLZ 750 500 00), Konto-Nr. 16675; Konto für Spenden an den VdA: Sparkasse Regens-burg (BLZ 750 500 00), Konto-Nr. 17475.

Erschließung – Eine Kernaufgabe im Wandel (Y. Gerlach): 81.– Landesarchivtag von Sachsen-Anhalt in Magdeburg(K. Buchholz): 83. – 2. Detmolder Sommergespräch. Einwan-dern, Auswandern, Flüchten und Spuren Suchen im Landes-archiv NRW Staats- und Personenstandsarchiv Detmold(B. Joergens): 84. – 4. Sitzung des Arbeitskreises Wirtschafts-archive Bayern im Allianz Center für Corporate History inMünchen (R. Winkler): 85. – 19. Archivpädagogenkonferenzin Berlin. „Archive, Museen und Gedenkstätten als Lernorte:Die Perspektive der Nutzer“ (R. Link): 87. – 2. Fachtagungder „Archive von unten“ (D. Leidig/J. Bacia): 89.

AuslandsberichterstattungInternationales: „Archivische Verwandtschaften“ – Zweiteinternationale Konferenz zur Geschichte der Akten undArchive (I-CHORA 2, Amsterdam 2005) (R. Haas): 91. – Jüdi-sches Archivwesen. Kolloquium aus Anlass des 100. Jahres-tages der Gründung des Gesamtarchivs der deutschen Juden,zugleich 10. Archivwissenschaftliches Kolloquium der Ar-chivschule Marburg (A. Petter): 93. – Erschließungsinforma-tionen und Digitalisate im Internet. Internationaler Work-shop des Bundesarchivs über Archivische Standards im Rah-men des Projekts <daofind> (A. Löbnitz): 96. – InternationalConference on Preservation of Digital Objects (iPRES) 2005 inGöttingen (K. Huth): 97. – Deutschland als Entwicklungs-land?! Bericht vom TAPE-Workshop „Probleme der Konser-vierung und Restaurierung von Aufzeichnungen auf Mag-netband“ in Berlin (A. Ullmann): 98. – Heraldik in St. Peters-burg (R. Naggel): 100. – Go East! – Heidelberger Stadtarchivmit Wanderausstellung im China (P. Blum): 100.

LiteraturberichtArchive und Gesellschaft – 50 Jahre Sächsisches Staatsarchiv Leipzig.Hrsg. vom Sächsischen Staatsministerium des Innern (W. Reining-haus): 102. – Archivpflege in Westfalen-Lippe. Im Auftrage des Land-schaftsverbandes Westfalen-Lippe hrsg. vom Westfälischen Archiv-amt, Münster (K. Wisotzky): 103. – Die Bestände des LandesarchivsNordrhein-Westfalen Staatsarchiv Münster (T. Küster): 104. – Diedeutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg – Dokumentation.Vierter Band. Bearb. von G. Granier (M. Salewski): 105. – Dokumenteaus geheimen Archiven. Übersichten der Berliner politischen Polizeiüber die allgemeine Lage der sozialdemokratischen und anarchisti-schen Bewegung 1878–1913. Teil III: 1906–1913. Bearb. von D. Frickeund R. Knaack (H. Schreyer): 106. – Entnazifizierung – Mitbestim-mung – Schulgeldfreiheit. Hessische Landtagsdebatten 1947–1950.Eine Dokumentation. Bearb. von W.-A. Kropat (W. Wiedl): 106. –Gerhard von Scharnhorst. Private und dienstliche Schriften. Band 2:Stabschef und Reformer (Kurhannover 1795–1801). Hrsg. vonJ. Kunisch. Bearb. von M. Sikora und T. Stieve (H.-J. Behr): 107. –Geschichte der Stadt Würzburg. Band II. Vom Bauernkrieg 1525 biszum Übergang an das Königreich Bayern 1814. Hrsg. von U. Wagner(J. Schneider): 108. – K. F. Hünemörder, Die Frühgeschichte der glo-balen Umweltkrise und die Formierung der deutschen Umweltpolitik(1950–1973) (J. Paul): 109. – B. Joergens, „Männlichkeiten. DeutscheJungenschaft, CVJM und Naturfreundejugend in Minden, 1945–1955“(A. Meyer-Tuve): 109. – Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung

von Nordrhein-Westfalen 1962 bis 1966 (Fünfte Wahlperiode). Einge-leitet und bearb. von V. Ackermann (M. A. Kanther). 109. – D. Kast-ner, Kinderarbeit im Rheinland. Entstehung und Wirkung des erstenpreußischen Gesetzes gegen die Arbeit von Kindern in Fabriken von1839 (J. Paul): 111. – Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trau-erschriften in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften zuGörlitz. Bearb. von R. Lenz, G. Bosch, W. Hupe und H. Petzoldt(M. Wermes): 112. – S. Litt, Juden in Thüringen in der Frühen Neuzeit(1520–1650) (K. Witter): 112. – P. Marchal, Kultur- und Programmge-schichte des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in der BundesrepublikDeutschland. Ein Handbuch (E. Lange): 113. – K. Pilger, Der KölnerZentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert. Konstituierung des Bür-gertums durch formale Organisation (G. Oepen-Domschky): 114. –Regesten der Reichstadt Aachen (einschließlich des Aachener Reichesund der Reichsabtei Burtscheid). 5. Band: 1381–1395. Bearb. von T.R. Kraus (K. Militzer): 115. – Rheingold. Menschen und Mentalitätenim Rheinland. Eine Landeskunde. Hrsg. von J. Engelbrecht,N. Kühn, G. Mölich, T. Otten und K. P. Wiemer (G. Hirschfelder):115. – Die Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung 1923. Hrsg. vonG. Krumeich und J. Schröder (G. Mölich): 116. – Spuren menschli-chen Wollens, Handelns und Erleidens. Katalog zur Ständigen Aus-stellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. Bearb. von R. Kretz-schmar (R. Link): 118. – Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern1933–1945. Hrsg. von H. Rumschöttel und W. Ziegler (K. A. Lank-heit): 118. – H. Stallmann, Euphorische Jahre. Gründung und Auf-bau der Ruhr-Universität Bochum (A. Freitäger): 119. – Die touroni-sche Bibel der Abtei St. Maximin vor Trier. Faksimile der erhaltenenBlätter, Farbtafeln mit den Initialen, Aufsätze. Im Auftrag der Gesell-schaft für nützliche Forschungen zu Trier hrsg. von R. Nolden (T.Gießmann): 119. – Von der Kgl. Gewerbeschule zur Technischen Uni-versität. Die Entwicklung der höheren technischen Bildung in Chem-nitz 1836–2003. Hrsg. vom Rektor der Technischen Universität Chem-nitz. Gesamtleitung: S. Luther (N. Becker): 120. – Die Wallfahrt zuGrimmenthal. Urkunden, Rechnungen, Mirakelbuch. Hrsg. vonJ. Mötsch (W. Rummel): 120. – L. Wick, Geschichte der Frauen inKempen. Arbeit, Bildung und Öffentlichkeit im 19. und 20. Jahrhun-dert (E. Hertel): 121.

PersonalnachrichtenZusammengestellt von Meinolf Woste .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

NachrufeWolfgang Eger † (G. Stüber): 124. – Hilda Thummerer †(E. Naimer): 124.

Kurzinformationen, VerschiedenesArchive als Behörden aufgelöst (A. Röpcke): 125. – NeueBestände im Archiv des Hauses der Orden in Bonn (G. Het-zer): 125. – „Tag der Archive“ in München. Vorankündigung(B. Hasselberg): 125. – Veranstaltungstermine: 125.

Mitteilungen des Verbandes Deutscher Archivarinnen undArchivare e. V.Aktuelle Mitteilungen aus dem Vorstand (H. Schmitt): 131. –Neujahrsbrief des Vorsitzenden (R. Kretzschmar): 132. – „DerBall ist rund“ – Informationen zum Tag der Archive 2006(H. Ammerich/C. Rehm): 133.

3Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Organisationsreformen und ihre Auswirkungen auf die archivische Arbeit– Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen im Vergleich65. Südwestdeutscher Archivtag in Lindau i. Bodensee

Der Südwestdeutsche Archivtag fand am 3. und 4. Juni 2005 imhistorischen Rathaus in Lindau im Bodensee statt. Nachfolgendist zunächst die gekürzte Eröffnungsansprache der Tagungsprä-sidentin Dr. Irmgard Christa Becker, Stadtarchiv Saarbrücken,wiedergegeben. Danach sind die vier Vorträge abgedruckt. DerVortragsstil ist beibehalten, teilweise haben die Autoren dieTexte überarbeitet. Am Schluss ist die von den Referendaren desLandesarchivs Baden-Württemberg protokollierte Podiumsdis-kussion dokumentiert.

Einführung

Der südwestdeutsche Archivtag hat 2005 ein Thema auf-gegriffen, das die Archivwelt als Betroffene wie als Ver-walter der Folgen schon lange begleitet. Das ist auch ander Archivlandschaft der beiden Vergleichsländer ables-bar, die von den Strukturreformen in der napoleonischenZeit bis heute geprägt ist. Politische Veränderungen wiedie deutsche Einheit und die Globalisierung verursachenheute einen Kostendruck, der mit Reformen der Verwal-tungsstrukturen bewältigt werden soll. Die Länder gehendabei unterschiedliche Wege. Baden-Württemberg hat dieDreigliedrigkeit der Sonderverwaltungen weitgehendbeseitigt, die untere Ebene wurde kommunalisiert, diemittlere Ebene in die Regierungspräsidien eingegliedert,und die obere Ebene blieb als Fachaufsicht in den Ministe-rien. Das Archivwesen hat seine Sonderstellung in verän-derter Form behalten, ist aber im Zuge der Kommunalisie-rung auf verstärkte Zusammenarbeit mit den Kommunal-archiven angewiesen. In Nordrhein-Westfalen, wo öffent-liche Aufgaben viel stärker kommunalisiert sind, zwingtdie Forderung der Landesregierung nach Erarbeitung vonFachkonzepten bei der Überlieferungsbildung zu einemintensiveren Austausch mit den Kommunalarchiven. Dienordrhein-westfälische staatliche Archivverwaltung hatsich im Laufe des Reformprozesses vom Nachzügler beider Evaluation zum Vorreiter bei der Modernisierung derinneren Abläufe entwickelt. Was sich hier bewährt, soll inandere Verwaltungszweige übernommen werden. In derLandesarchivverwaltung Baden-Württemberg wurdendie Reformideen ebenfalls von außen herangetragen.Nach einer Phase kontroverser Diskussion werden dieVorgaben der Landesregierung jetzt zügig umgesetzt – sosieht es zumindest von außen aus. Beide Archivverwal-tungen haben ihre Stellung als Sonderverwaltung behal-ten; sie haben beide einen einstufigen Aufbau mit eigenemOrganisationsstatut.1 Wo die Gemeinsamkeiten und dieUnterschiede liegen und wie die Kommunalarchive in dieArbeit eingebunden werden, wollen wir mit der Tagungausloten.

SaarbrückenIrmgard Christa Becker, Tagungspräsidium

1 Mit der Einstufigkeit sind sie aber nicht die ersten. Vorreiter war Sach-sen-Anhalt, wo durch Kabinettsbeschluss am 15. März 2001 ein einstufi-ges Landeshauptarchiv errichtet wurde.

Vorträge

Aufbruch – Umbruch. Ein altes Staatsarchiv im neuenLandesarchiv NRWVon Mechthild Black-VeldtrupDas staatliche Archivwesen in Nordrhein-Westfalen ist,anders als die anderen großen Archivverwaltungen inBayern und Baden-Württemberg, in den letzten 60 Jahrenvon Reformen weitgehend ausgeschlossen oder, je nachBlickwinkel, vielleicht auch verschont geblieben. DieReformunwilligkeit der Landesregierung NRW im Allge-meinen, des jeweiligen Ministeriums im Besonderen undder dort ansässigen Archivverwaltung im ganz Speziellenim Hinblick auf einen Reformstau im staatlichen Archiv-wesen in NRW war in den 90er Jahren im Munde vielerStaatsarchivare. Denn die Neubauten und der Personalzu-wachs der 70er Jahre waren ebenso wenig eine echteReform wie das NRW-Archivgesetz von 1989. Sie gabenSicherheit und waren Reaktionen auf bereits bestehendeVerhältnisse, eine Reform stellten sie indessen nicht dar.Reformbedarf wurde aber auf folgenden Feldern von eini-gen Fachkollegen gesehen: die fehlende fachliche Steue-rung bei als dringend betrachteten gemeinsamen Vorha-ben wie z. B. bei Archivierungsmodellen und bei derBegleitung der Entwicklung einer gemeinsamen Archiv-software. Teils mit Neid, teils mit Argwohn sahen dieNRW-Archivare auf die staatliche Archivverwaltung inBaden-Württemberg: wurden doch dort die Archivie-rungsmodelle unter Leitung der LAD und unter Beteili-gung der Staatsarchive tatsächlich nach und nach realisiert– daher der Neid –, wenn man gleichzeitig auch wahrzu-nehmen glaubte, dass die Landesarchivdirektion dieStaatsarchive übersteuerte – daher der Argwohn. Und: inBaden-Württemberg gibt es z. B. zentral erarbeiteteErschließungsrichtlinien, in NRW werden sie erst jetzt, imLandesarchiv, erarbeitet. Einige, beileibe nicht alle NRW-Staatsarchivare, wünschten sich eine etwas größere Perso-nalausstattung des Fachreferats im Ministerium, das dieseund andere wichtige Aufgaben zentral angehen sollte. Aufdie zentrale Restaurierungswerkstatt in Ludwigsburgschaute man in NRW mit Interesse, ohne dass man voneiner derartigen Institution angesichts der Haushaltslageauch nur zu träumen wagte.

Und dann kam die Reform. Wie so oft im Leben, kamalles anders, als man in seinen kühnsten Träumen zu hof-fen oder zu fürchten gewagt hatte. Es ist hier nicht der Ort,um noch einmal auf die beiden Organisationsgutachten,die beiden Kabinettsbeschlüsse und die Errichtung desLandesarchivs am 1. 1. 2004 einzugehen.2 Ich werde michim Folgenden auf die Auswirkungen der Reform auf einesder vier staatlichen Archive in NRW, das Staatsarchiv

2 Wilfried Reininghaus, Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Ent-stehung, interne Organisation, Aufgaben und aktuelle Ziele, in: DerArchivar 57 (2004) S. 295–300.

4 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Münster, beschränken, soweit ich die Dinge nach knappzwei Jahren Erfahrung mit den neuen Verhältnissen beur-teilen kann.

Etwas hat sich seit dem ersten Gutachten 1999 enormgeändert, das wie eine große Klammer im Reformprozesswirkt: das Interesse unseres Ministeriums. Wohl alle Mit-arbeiter im zwischen 2001 und Mitte 2005 für das NRW-Archivwesen zuständigen Ministerium für Städtebau undWohnen, Kultur und Sport, also im alten Bauministerium,wissen heute, was Archive sind und was sie wenigstensungefähr tun, einige wissen sehr genau, was wir tun undwie wir arbeiten. Die beiden Gutachten haben dem Lan-desarchiv bis zur Umressortierung infolge der Landtags-wahl im Mai 2005 viel Aufmerksamkeit, aber auch den kri-tischen Blick des Ministeriums gesichert. Seit der Land-tagswahl gehört die Kulturabteilung und damit das Lan-desarchiv zur Staatskanzlei, und das staatliche Archivwe-sen fand erstmals sogar Erwähnung im Koalitionsvertrag.Das gibt Hoffnung auf Kontinuität.

In der täglichen praktischen Arbeit hat sich seit derNeuorganisation des staatlichen Archivwesens in NRW zuBeginn des Jahres 2004 viel geändert. Zuerst ist die Neuor-ganisation selbst zu thematisieren. Der neue Organisati-onsplan, der das Landesarchiv mit seinen drei neuen Zen-tralabteilungen und den vier Archiven als den Abteilun-gen 4 bis 7 unter dem Präsidenten darstellt, ist ja bekannt.3

Das einstufige Modell war politisch so gewollt: Verwal-tungsmodernisierung und Verschlankung der Hierarchien– das waren Stichworte, mit denen die Regierung Clementursprünglich angetreten war. Diese Prinzipien kamen beidieser kleinen Reform innerhalb der Landesregierungzum Tragen.

Aus der Sicht eines regionalen Archivs hat sich durchdie Neuorganisation Folgendes geändert:1. Zwischen dem Ministerium und dem Archiv steht

jetzt der Präsident. Das hat Auswirkungen auf denDienstweg, aber auch auf die Position der früherenArchivleiter: Ein Stück Eigenständigkeit als Leitereiner selbstständigen Einrichtung des Landes NRWging verloren – aus der Sicht der Autorin kam dafüraber ein Stück Gestaltungsspielraum im Kreise derAbteilungsleiterrunde, das es so vorher nicht gab. DieAbteilungsleiterrunde trifft sich einmal im Monat undberät mit dem Präsidenten, der die Entscheidungsho-heit hat, alle möglichen organisatorischen und fachli-chen Fragen. Meine persönliche Bilanz nach zwei Jah-ren ist, dass ich in Zusammenarbeit mit den Zentralab-teilungen für das Staatsarchiv Münster mehr Positivesbewegt habe, als das zwischen Ministerium undArchivleitung alter Form möglich gewesen wäre.

2. Die Einstufigkeit der Verwaltung, das Nebeneinanderder sieben Abteilungen erforderte das Suchen undFinden angemessener Verhaltensregeln untereinan-der. Fragen wie: darf sich ein Mitglied der einen Abtei-lung ohne Rücksprache mit der Abteilungsleitung anein Mitglied einer anderen Abteilung wenden? Wie istder Dienstweg? Es ist z. B. möglich, alle Fäden nurüber die Abteilungsleiter laufen zu lassen, anderer-seits kann man die abteilungsübergreifende Kommu-nikation zulassen und die Mitglieder der Abteilungenverpflichten, bei wichtigen Fragen die jeweiligenAbteilungsleiter zu informieren. Für letzteren Weg

3 Ebd. S. 297.

haben wir uns schließlich entschieden, aber die Dis-kussionen waren lang und von Vor und Zurückgeprägt.

3. Das Verhältnis des Staatsarchivs Münster zur neuenAbteilung 1 (Verwaltung und zentrale Dienste) siehtso aus: Aus der Sicht eines regionalen Staatsarchivsging die Personalhoheit nach Abteilung 1. Die inzwi-schen etablierte Personalverwaltung in der neuenAbteilung 1 arbeitet jedoch effizienter, als das die frü-here Verwaltungsleitung speziell im StaatsarchivMünster tat. Hier greift wirklich das Stichwort Entlas-tung. Der Einfluss auf Stellenbesetzungen, insbeson-dere auf die Frage, wer das Sagen in Vorstellungsge-sprächen hat, ist den Abteilungsleitungen gesichert,weil sie mit dem Kandidaten bzw. der Kandidatin imAlltag leben müssen. Der Präsident hat dabei ein Veto-recht. Das Verfahren ist festgeschrieben und funktio-niert im Alltag gut. Zunehmend werden im Rahmender Erarbeitung eines Personalentwicklungskonzeptsauch Beschreibungen der einzelnen Funktionen erar-beitet und breit abgestimmt.

4. Die Hoheit über den Haushalt ging in die Abteilung 1.In den Verwaltungen der einzelnen Archive sitzen nurnoch Büroleitungen, die Beauftragte für den Haushaltinsgesamt ist die Leiterin der Abteilung 1. Tatsächlichist die Bewirtschaftung einzelner Haushaltstitel teil-weise auf die Archive delegiert worden. Dabei wirdnach Sachgesichtspunkten unterschieden. Im Rahmender KLR und dem Übergang auf Budgets werden wirüber diese Fragen sicher wieder neu diskutieren. Es istaber Konsens, dass es das Verwaltungshandeln ineinem Archiv erleichtert, nicht für einzelne Anschaf-fungen und Ausgaben lange Berichte und Begründun-gen zu schreiben, sondern sie einfach zu tätigen.

5. Wie gestaltet sich nun die Zusammenarbeit mit Abtei-lung 2, der neuen Abteilung für Grundsatzfragen undÖffentlichkeitsarbeit? Ziel ihrer Einrichtung war dieSchaffung von einheitlichen Standards für die fachli-che archivarische Arbeit. Hier gibt es aus Sicht einesregionalen Staatsarchivs – ich spreche nach wie vor fürMünster – viel weniger Verlustängste als gegenüberder Abteilung 1, weil es vor der Errichtung des Lan-desarchivs tatsächlich wenig archivübergreifendeGrundsatzarbeit gab: Zwar war da die Projektgruppe,die die Entwicklung der Archivsoftware V.E.R.A.begleitet hat, zwar gab es z. B. eine weitere Projekt-gruppe, die ein Archivierungsmodell für die Bezirks-regierungen erarbeitet hat, aber es mussten immer alleArchivleiter einer solchen Initiative zustimmen. DieProjektgruppen waren aufgrund der fehlenden Steue-rung zum Konsens verdammt, oft genug wurdenunterschiedliche Positionen unter einem besondersweit ausladenden Dach vereint und nicht im Sinneeines gemeinsamen Vorgehens auf einen Nennergebracht. Konflikte konnten ein Gemeinschaftsprojektauf diese Weise sogar ernsthaft gefährden. Die Abtei-lung 2, die Position des Präsidenten und ein unter denFührungskräften des Landesarchivs breit abgestimm-tes Regelpaket für das Funktionieren von Projektgrup-pen bieten eine Hilfe für die Sacharbeit.4 Es gibt jetzt

4 Martina Wiech, Steuerung der Überlieferungsbildung mit Archivie-rungsmodellen. Ein archivfachliches Konzept des Landesarchivs Nord-rhein-Westfalen, in: Der Archivar 58 (2005) S. 94–100.

5Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

mehr Projektgruppen, die Archivierungsmodelle erar-beiten, es gibt nach Baden-Württemberger Modellabteilungsübergreifende Dienstbesprechungen vonArchivaren zu aktuellen Themen, und es droht auf-grund der geringen personellen Ausstattung derGrundsatzabteilung aus meiner Sicht keine Gefahr,dass diese ohne die Zuarbeit und die Mitarbeit derArchive auskommen kann oder diese übersteuert.Umgekehrt ausgedrückt sind derzeit erheblich mehrArchivarinnen und Archivare in den Archiven durchdie Projektgruppen in die Grundsatzarbeit eingebun-den als in der Zeit vor der Errichtung des Landesar-chivs. Das wird, soweit ich das übersehe, von den Kol-leginnen und Kollegen, die dort mitarbeiten, überwie-gend als Gewinn empfunden. Nur am Rande seibemerkt, dass die Grundsatzabteilung die Archive vormanchen Anfragen der Ministerien bewahrt, die frü-her vier Archive unabhängig voneinander beschäftigthaben. Auch dies gehört zum Thema Entlastung.

6. Als den „Hauptgewinn“ für die Archive aus der Lotto-ziehung „Reformprozess“ möchte ich das TechnischeZentrum bezeichnen, das in Coerde, einem Stadtteilvon Münster, im Dezember 2005 seine Arbeit vor Ortaufgenommen hat. Das Technische Zentrum wird einezentrale Restaurierungswerkstatt bieten, die auf dieRestaurierung großer Mengen von Archivgut ausge-richtet ist, anders als in den bisherigen Restaurie-rungswerkstätten der Archive, die auf mehr oderweniger aufwändige Einzelrestaurierung setzten.Darüber hinaus wird das Technische Zentrum IT-Zen-trum des Landesarchivs sein, es wird die Sicherungs-verfilmung aufnehmen, die bisher in Düsseldorf-Kal-kum betrieben wurde, und für das Thema Schutzver-filmung zuständig sein. Aus der Perspektive desStaatsarchivs Münster ist von all diesen Punkten dasThema Restaurierung das entscheidende. In Münster-Coerde ist eine räumlich großzügige, technisch auf derHöhe der Zeit ausgestattete Werkstatt entstanden, diedie drei in den 70er Jahren eingerichteten und seitdemkaum je modernisierten Werkstätten in Düsseldorf,Detmold und Münster zwar nicht vollständig ersetzt,aber doch völlig andere Schwerpunkte setzt. Hierhinwandert Personal, das es bisher für die Bestandserhal-tung nicht gab, während in den drei Häusern sogenannte „Rumpfwerkstätten“ verbleiben. Für dasStaatsarchiv Münster heißt das in personalwirtschaft-licher Sicht nach Maßgabe des Gutachtens von Ander-sen, dass wir eine von drei Stellen an das TechnischeZentrum abgegeben haben, so dass die verbliebeneRumpfwerkstatt mit zwei Personen bestehen bleibt.So wird es trotz des Technischen Zentrums möglichsein, im Staatsarchiv Münster bestimmte bestandser-haltende Akzente wie z. B. die Umlagerung der100.000 Urkunden zu setzen, die nicht auf der Prioritä-tenliste des Technischen Zentrums steht. Bisher gestal-tet sich die Zusammenarbeit gerade zwischen demStaatsarchiv Münster und dem Technischen Zentrumrelativ eng. Wir haben von Oktober 2004 bis Dezember2005 in einer Art „Wohngemeinschaft“ im StaatsarchivMünster gelebt, die beiden Partnern innerhalb desLandesarchivs mit dem einen oder anderen Synergie-effekt bereits weitergeholfen hat.

7. Wenn bisher von der Zusammenarbeit des Staatsar-chivs Münster mit den neuen Zentralabteilungen die

Rede war, so möchte ich jetzt auf eine Änderung kom-men, die speziell die alten Staatsarchive betrifft, näm-lich den neuen und erstmals einheitlichen Organisati-onsplan aller drei Staatsarchive in Düsseldorf, Müns-ter und Detmold. Das Staatsarchiv Münster war vonder Änderung am meisten betroffen. Im Sinne der Ver-gleichbarkeit wurden die drei Staatsarchive in eineeinheitliche Struktur gebracht, die fünf Dezernate für1. Verwaltung und archivfachliche Dienste, 2. Behör-den und Bestände vor 1816, 3. Verwaltungsbehörden,4. Justiz- und Finanzbehörden und 5. nichtstaatliches/nichtschriftliches Archivgut umfassen.5 Das Staatsar-chiv Münster hat dafür eine traditionsreiche Strukturnach regionalen Gesichtspunkten aufgegeben, bei derjedes Mitglied des höheren Dienstes sowohl alte wieneue Bestände betreute. Die Umstellung auf die neueStruktur erfolgte erstaunlich ruhig, was wohl auchdarauf zurück zu führen ist, dass ihre Einführung miteinem fast vollständigen Generationswechsel imhöheren Dienst zusammenfiel. Man mag die Aufgabeder alten Struktur bedauern, verhalf die Betreuung deralten Bestände durch das gesamte Kollegium deshöheren Dienstes dem Staatsarchiv doch zu einer tra-ditionellen Einbindung in die gesamte Landschaft derhistorischen Vereine, Heimatvereine etc. in den beidengroßen Regierungsbezirken Münster und Arnsberg.Das wird von dem neuen, kleinen Dezernat 2, dasüberhaupt nur mit zwei Personen besetzt ist, inZukunft nicht mehr geleistet werden können; deshalbist es die Aufgabe der Archivleitung, dafür zu sorgen,dass der gesetzliche Auftrag der Auswertung derBestände weiterhin aus der täglichen Arbeit herausmit einer wahrnehmbaren Außenwirkung umgesetztwerden kann.

8. Eine weitere Neuerung innerhalb der neuen Organisa-tionsstruktur in NRW sind die so genannten Dezer-nate für archivfachliche Dienste, die seit der Umorga-nisation auf Empfehlung der Gutachter Mummertund Partner in jedem der Archive eingerichtet wur-den. Die Realisierung haben die Archive indessenintern selbst befördert, und sie bewährt sich aus mei-ner Wahrnehmung heraus sehr. Die Dezernenten fürarchivfachliche Dienste betreuen weder Beständenoch Behörden, sondern sie bündeln die gesamtentechnischen Dienste von der Benutzung über dasMagazin, die Werkstätten, die IT und den Archivalien-versand und haben das technische Personal unter sich.Diese Aufgaben waren vor 2004 auf das gesamteArchivpersonal kleinteilig verteilt. Ein Teilziel derNeuorganisation war es, das Gros der Archivarinnenund Archivare von diesen Aufgaben zu entlasten, dieim Alltag stets Vorrang hatten vor den so genanntenKernaufgaben. In Düsseldorf und Münster sind dieDezernenten für archivfachliche Dienste Kollegen deshöheren Dienstes, in Detmold und Brühl gehören siedem gehobenen Dienst an. Sie kooperieren unterei-nander und im übrigen natürlich auch mit dem Tech-nischen Zentrum.

9. Nicht nur in Münster, aber ebenso fühlbar in denanderen Archiven brachte die Neuorganisation imZuge der Verwaltungsmodernisierung eine Neue-rung, deren Folgen noch lange sichtbar sein werden,

5 Wie Anm. 2.

6 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

nämlich die Einsparung einer Hierarchiestufe. Vor derUmorganisation gab es unter den Archivleitern Abtei-lungen mit Abteilungsleitern (Münster hatte dreiAbteilungen), darunter Dezernenten. Heute heißendie Archivleiter intern Abteilungsleiter, darunter gibtes die Stufe der Dezernatsleiter (Münster hat fünfDezernate), und zu den Dezernaten gehören nebendem jeweiligen Dezernatsleiter je nach Größe desDezernats noch Dezernenten, d. h. Angehörige deshöheren Dienstes, die keine Führungskräfte sind,Sachbearbeiter des gehobenen Dienstes und Mitarbei-ter des mittleren Dienstes. Das ehemals feste Gefüge,nach dem Abteilungsleiter alter Sorte auf A 15er Stel-len saßen und Dezernenten nach A 13 und A 14bezahlt wurden, ist damit auf den Kopf gestellt. InMünster werden Dezernatsleiter z. Zt. zwischen A 13und A 15 besoldet. Ein Konzept für das Anforderungs-profil an Dezernatsleiter und die Zuordnung der ent-sprechenden Besoldung wird gerade erarbeitet, aberdie Umsetzung wird wohl noch Jahre dauern.

10. Die Umstrukturierung allein war bereits ein großesUnterfangen. In Zeiten, in denen die LandesregierungNRW insgesamt die Verwaltungsmodernisierung undneue Steuerungsmodelle einführt, hat auch das Lan-desarchiv NRW als bis zum Sommer 2005 nachgeord-neter Bereich des Ministeriums für Städtebau undWohnen, Kultur und Sport im Jahre 2004 mit der Ein-führung von Zielvereinbarungen und Mitarbeiterge-sprächen begonnen. Als Pilotprojekt unseres ehemali-gen Ministeriums haben wir zum 1. 7. 2005 die Kosten-Leistungs-Rechnung eingeführt, weitere Bausteinefolgen. Die Verwaltungsmodernisierung wäre indes-sen auch ohne die Errichtung des Landesarchivsgekommen. Für den Alltag erschwerend wirkte sichallerdings aus, dass beides gleichzeitig und – schein-bar – in Abhängigkeit voneinander realisiert wurde.

11. Zwei kurze Bemerkungen zu der viel zitierten 1-Pro-zent-Regelung bzw. zu der jährlichen 2,2 km-Ober-grenze für die Übernahme von Schriftgut, die erste ausder Sicht des Landesarchivs: Die Überlieferung wirdaufgrund der jetzt nach und nach erarbeiteten Archivie-rungsmodelle nicht nur quantitativ gesteuert, sondernauch qualitativ gewährleistet. Durch die Beteiligungder Kommunalarchive und die Veröffentlichung derfertigen Modelle wird die Bewertungspraxis erstmalstransparent gemacht. Die zweite Bemerkung mache ichaus Sicht des Staatsarchivs Münster: Nimmt man denauf dieses Haus fallenden Anteil und betrachtet paralleldie durchschnittlichen Übernahmemengen der letztenzehn Jahre, wird klar, dass die 2,2-km-Grenze hier über-haupt keine Probleme in der Praxis mit sich bringt.

Was hat sich durch die Neuorganisation für die archivi-sche Arbeit geändert? Wir bewegen uns bei der Bewer-tung, bei der Übernahmepraxis und bei der Erschließungauf einheitliche Standards zu. Durch Entzerrung vonArbeitsgebieten und gleichzeitige Spezialisierung ermög-lichen wir die intensivere Beschäftigung des einzelnenArchivars/der einzelnen Archivarin mit der jeweiligenDezernatsarbeit und dadurch ein Stück Rationalisierung,ohne dass diese jetzt schon in Zahlen zu messen wäre. Eingewisses Maß an Steuerung tut der Effizienz der Arbeitdes Einzelnen gut. Durch die gemeinsame Erarbeitungvon Standards auf allen Ebenen gibt es aber einen Gradvon Mitwirkung, der einer möglichen Übersteuerung ent-

gegen wirkt. Das heißt nicht, dass sich jeder in jeder Situa-tion berücksichtigt findet, aber doch immer wieder ein-mal. Der heilsame Zwang zur Vereinheitlichung derArbeitspraktiken fördert nicht zuletzt Kommunikationund Kooperation auf viel mehr Ebenen, als das vorherüblich war.

Und doch: Gibt es auch noch ein Staatsarchiv Münsterinnerhalb des Landesarchivs NRW, das man als Staatsar-chiv wieder erkennt? Ich denke ja. Allein der Name, der janur intern „Abteilung 5“ ist, nach außen aber nach wie vor„Staatsarchiv Münster“ lautet, verpflichtet. Aber auch dasProfil und die Tradition des Hauses, das im Vergleich zuden Staatsarchiven in Düsseldorf und Detmold sehr spezi-fisch ist, fordern geradezu zur Positionierung heraus.Übrigens gleichen sich auch die Profile und Traditionendieser beiden anderen Archive wenig. Aus meiner Sicht istÖffentlichkeitsarbeit ein Gebiet, auf dem den NRW-Staats-archiven viele Freiheiten bleiben und die wir jetzt auchbereits nutzen. Diese Öffentlichkeitsarbeit verstehe ich alseine Öffnung gegenüber Benutzern und Behörden, abernicht nur gegenüber diesen, sondern auch gegenüberanderen Archivsparten im Sprengel, mit denen vielegemeinsame Projekte denkbar und möglich sind.6

Auf einer Stufe zukunftsfähig? Die staatliche Archivver-waltung Baden-Württemberg in der VerwaltungsreformVon Robert KretzschmarIch möchte einen Einblick geben, welche Veränderungenzum 1. Januar 2005 in der Archivverwaltung Baden-Würt-temberg wirksam geworden sind und wo wir heute mitdem neu gebildeten Landesarchiv Baden-Württemberg imProzess der Verwaltungsstruktur-Reform stehen, die jamehr bedeuten soll und muss als die rein organisatorischeZusammenlegung bisher selbständiger Dienststellenunter einem Dach.7

So lautet meine übergeordnete Fragestellung dazuauch: Sind wir nach der Aufhebung der Zweistufigkeit inder Archivverwaltung nun auf einer Stufe zukunftsfähigoder zumindest zukunftsfähiger?8 Und man wird schonahnen, dass ich zur Beantwortung dieser Frage auchMerkposten benennen werde, die es im Weiteren zu beach-ten gilt, wenn wir dies erreichen wollen.

Zukunftsfähig – das ist ein sehr abstrakter Begriff. AlsZiel der Verwaltungsreform kann man ihn leicht benen-nen, ihn zum Beispiel in einem Workshop auf eine bunteKarte schreiben und an eine Wand pinnen.9 Aber wie dieseZukunftsfähigkeit dann erreicht werden kann, was daskonkret im Einzelnen bedeutet, das „festzumachen“, istsehr viel schwieriger. Genau an diesem Punkt aber steht

6 Martina Wiech, Neue Ansätze der Zusammenarbeit von Landesarchivund Kommunalarchiven auf dem Gebiet der Überlieferungsbildung, in:Archivpflege in Westfalen-Lippe 63 (2005) S. 46–51.

7 Der Vortrag wurde mit einer PowerPoint-Präsentation unterstützt, aufderen Wiedergabe für die geringfügig überarbeitete Druckfassung ver-zichtet wurde.

8 Zum aktuellen Sachstand mit einem Rückblick auf den Gang der bisheri-gen Entwicklung vgl. jetzt auch Wilfried Schöntag: Verwaltungsreformin Baden-Württemberg. Auswirkungen auf die Überlieferungsbildungund auf die Archivorganisation. In: Der Archivar 58 (2005) S. 183–185; vgl.auch Wilfried Schöntag: Verwaltungsreform führt zur Neustrukturie-rung der Archivverwaltung in Baden-Württemberg. In: Archivnachrich-ten Baden-Württemberg 27 (2003) S. 1; Wilfried Schöntag: Start des Lan-desarchivs Baden-Württemberg am 1. Januar 2005. In: ArchivnachrichtenBaden-Württemberg 29 (2004) S. 1.

9 So geschehen in dem im Folgenden erwähnten Workshop der Führungs-akademie Baden-Württemberg.

7Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

die staatliche Archivverwaltung nun im Juni 2005. Wirhaben – angestoßen „von oben“, von der Politik – eineStrukturreform vollzogen, wir haben uns dann im nächs-ten Schritt – was ja schon von der Reihenfolge her bemer-kenswert ist – intern auf Ziele und ein gemeinsamesSelbstverständnis verständigt, und wir sind nun – quasiim dritten Schritt – dabei zu überdenken, wie das in dertäglichen Arbeit ganz konkret ausgestaltet werden soll. ImFolgenden werde ich Ihnen dazu unseren aktuellen Dis-kussionsstand erläutern. Auf die Vorgeschichte, wie dasalles 2003 angefangen hat, gehe ich nicht noch einmal ein.Das ist ja auf dem 74. Deutschen Archivtag in Chemnitzbehandelt worden und im Tagungsband auch publiziert.10

Ansprechen werde ich folgende Punkte:• Zunächst werde ich kurz die neue einstufige Struktur

der Archivverwaltung beschreiben,• dann werde ich das Selbstverständnis des Landesar-

chivs skizzieren und Formen der Zusammenarbeit, aufdie wir uns verständigt haben,

• drittens werde ich einzelne Problemfelder ansprechen,die uns im Weiteren beschäftigt haben und auch nochweiter beschäftigen werden. Dabei geht es um• die neue Geschäftsverteilung in den Archivabteilun-

gen des Landesarchivs,• Einsparmöglichkeiten angesichts einer Sparauflage –

der so genannten Effizienzrendite – von 20 Prozent,die vom Landesarchiv bis 2011 zu erbringen ist, undin Verbindung damit um Standards und Abläufe,

• Messgrößen und Kennzahlen sowie• die Schaffung einer „corporate identity“ im Landes-

archiv.Am Ende werde ich ein kurzes Fazit ziehen, mit einigen

wenigen persönlichen Schlussfolgerungen.

1. Die neue Struktur – das Reformgesetz und ein Organisations-statutDamit zunächst zur einstufigen Struktur. Sie ist das Ergeb-nis des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes, das zum1. Januar 2005 in Kraft getreten ist.11 Die Begründung zumGesetz gibt dazu folgende Erläuterung: „Der bisherigezweistufige Aufbau des staatlichen Archivwesens inBaden-Württemberg wird aufgegeben und in eine einstu-fige Verwaltungsstruktur überführt. [...] Die bisherigenArchivstandorte bleiben erhalten. An allen Standortenwerden weiterhin die für alle Nutzer erforderlichenDienstleistungen erbracht. Die bisher selbständigenStaatsarchive werden im Landesarchiv als Abteilungengeführt. Das Dienstleistungsangebot der staatlichenArchivverwaltung wird so auch bei reduzierten Ressour-cen in einer kundenfreundlichen und bürgernahen Struk-tur erhalten, insbesondere durch die Beibehaltung der bis-herigen Standorte Freiburg, Karlsruhe, Ludwigsburg, Sig-

10 Nicole Bickhoff: Neue Organisations- und Arbeitsformen in der staatli-chen Archivverwaltung Baden-Württemberg. In: Der Archivar, Beiband8: Archive im gesellschaftlichen Reformprozess. Referate des 74. Deut-schen Archivtags 2003 in Chemnitz, Redaktion: Robert Kretzschmar,Siegburg 2004, S. 321–333. – Zur generellen Problematik, die in der ent-sprechenden Fachgruppensitzung der Fachgruppe 1 des Verbandesdeutscher Archivarinnen und Archivare unter der Überschrift „Zentrali-sierung und Dezentralisierung. Aktuelle Organisationsänderungen imstaatlichen Archivwesen“ diskutiert wurde, vgl. die weiteren Beiträgeebenda S. 311–354, bes. die Zusammenfassung der Diskussion durchRobert Kretzschmar S. 351 ff.

11 Gesetz zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zurErweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (VRG). Vom 1. Juli2004, Gesetzblatt für Baden-Württemberg S. 469.

maringen, Stuttgart und Wertheim.“ Die Begründung hebtalso auf den Fortbestand der bisherigen Archivstandorteab, die auch im Gesetz selbst namentlich genannt sind;dort sollen weiterhin die für alle Nutzer erforderlichenDienstleistungen erbracht werden. Die Begründung bietetaber auch noch eine Aussage zur Aufgabenkritik in derArchivverwaltung: „Die Verringerung der Ressourcenbedingt einen Aufgabenabbau. Die neue Ausrichtung derstaatlichen Archivverwaltung sieht daher den Verzicht aufdie Landes- und Kreisbeschreibungen vor.“

Offen geblieben sind im Gesetz zwei Punkte, zu denensich die folgende Aussage findet: „Den Sitz der Leitungdes Landesarchivs und die Verteilung der Aufgaben regeltein Organisationsstatut.“ Ein solches Organisationsstatutist so denn auch zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten.12

Erarbeitet wurde es Anfang 2004 von einer Arbeitsgruppeder Archivverwaltung unter dem Vorsitz des Wissen-schaftsministeriums. Vertreten waren darin die Landesar-chivdirektion und die Archivleiter – jeweils mit drei Perso-nen.13 Da die politische Entscheidung über die Sitzfragenoch nicht getroffen war (und ist), wurde provisorischzunächst Stuttgart als Sitz des Landesarchivs bestimmt.Festgelegt wurde mit dem Organisationsstatut aber dieAbteilungsstruktur des Landesarchivs. Danach bestehtdas Landesarchiv aus den folgenden 10 Abteilungen:• Abt. 1: Verwaltung. Sie ist zuständig für Haushalt, Per-

sonal und Organisation – einschließlich der IuK.• Abt. 2: Archivfachliche Grundsatzangelegenheiten. Sie

ist zuständig für landesweite Fachdienstleistungen undfachbezogenes Recht.

• Abt. 3 bis 8: Dies sind die bisher selbständigen Staatsar-chive als Archivabteilungen in alphabetischer Reihen-folge (Staatsarchiv Freiburg, GenerallandesarchivKarlsruhe, Staatsarchiv Ludwigsburg, Staatsarchiv Sig-maringen, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, StaatsarchivWertheim).

• Abt. 9: Bestandserhaltung. Sie ist zuständig für das Lan-desrestaurierungsprogramm; verbunden ist mit ihr dieLeitung des Instituts für Erhaltung von Archiv- undBibliotheksgut in Ludwigsburg.

• Abt. 10: Landesforschung und Landesbeschreibung. Sieist zuständig für das landeskundliche Informationssys-tem und wird weiterhin die Bände der Kreisbeschrei-bungen publizieren, da bis 2010 noch bestehende Ver-träge mit einzelnen Landkreisen zu erfüllen sind.Jeder, der die frühere Struktur der Archivverwaltung

kennt, wird auf einen Blick sehen, dass sich die Abteilun-gen zum einen aus den früheren Archiven, zum anderenaber aus den früheren Abteilungen der Landesarchivdi-rektion zusammensetzen. Das heißt, dass die Abteilungender früheren Oberbehörde und die Staatsarchive auf eineStufe gestellt wurden. Entstanden ist so ein Gebilde, indem die Gruppe der sechs Archivabteilungen neben vierQuerschnittsabteilungen steht, die für standortübergrei-fende Dienstleistungen zuständig sind. Im Ergebnis warund ist seitens der Archivabteilungen zu verinnerlichen,dass sie keine selbständigen Dienststellen mehr sind, son-

12 Erlass des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg vom 21. Dezember 2004, unveröffentlicht.

13 Der Arbeitsgruppe gehörten Heinz Baumann, Dr. Nicole Bickhoff,Dr. Robert Kretzschmar, Prof. Dr. Volker Rödel, Prof. Dr. WilfriedSchöntag und Dr. Volker Trugenberger an. Den Vorsitz hatte Ministe-rialrat Joachim Uhlmann vom Ministerium für Wissenschaft, For-schung und Kunst Baden-Württemberg.

8 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

dern in viel stärkerem Maße als bisher Teil eines Ganzen,und seitens der Querschnittsabteilungen, dass sie keinevorgesetzte Behörde mehr sind, sondern Dienstleisterinnerhalb einer Organisation mit gleichrangigen Abteilun-gen.

Für die Archivabteilungen hat das Organisationsstatutdabei den Aufgabenzuschnitt festgelegt. Ich zitiere dasOrganisationsstatut: „Die Abteilungen 3 bis 8 nehmengrundsätzlich für ihren Zuständigkeitsbereich und fürihre Archivbestände die archivfachlichen operativen Auf-gaben, insbesondere Überlieferungsbildung, Erhaltung,Erschließung und Zugänglichmachung (Nutzung, Präsen-tation, Vermittlung) wahr.“14 Dahinter stand zum einender Gedanke, dass diese Arbeitsfelder unmittelbar inein-ander greifen und Synergien zu erzielen sind, wenn siegebündelt an den Standorten wahrgenommen werden:Bewertungsmotive müssen bei der Erschließung genanntwerden, Ablieferungslisten werden bei der Erschließungzu Findmitteln und Inventaren aufbereitet. Den Nutzerberaten kann am besten derjenige, von dem Unterlagenübernommen und erschlossen wurden. Bei der Erschlie-ßung kann man bereits eine Präsentation des Bestands inder Öffentlichkeit vorbereiten. Zum anderen ging es aberauch darum, die Dienstleistungen vor Ort zu erhalten, umdie Einbettung in das Umfeld des Standortes und Kunden-nähe zu gewährleisten. Dieser Gesichtspunkt ist – wiebereits zitiert – in der Begründung zum Verwaltungsstru-kur-Reformgesetz ausdrücklich benannt.

Gleichwohl werden natürlich weiterhin einzelne Son-deraufgaben mit bestimmten Häusern verbunden sein – sodie Archivierung elektronischer Unterlagen mit Ludwigs-burg oder die Ausbildung mit Stuttgart – oder auch Pro-jekte, die einzelne Häuser übernehmen. Und selbstver-ständlich werden abteilungsübergreifende Schwerpunkt-setzungen, Programme und Projekte sehr an Bedeutunggewinnen.

Mit dem Verwaltungsstruktur-Reformgesetz war dieEinstufigkeit der Archivverwaltung und mit dem Organi-sationsstatut dann die Abteilungsstruktur des neuen Lan-desarchivs festgelegt. Alles weitere aber war weitgehendoffen geblieben. Insbesondere war nicht geregelt, wie beidieser Struktur die Einsparauflage von 20 Prozent erbrachtwerden kann und wie das Landesarchiv unter dieser Prä-misse näher ausgestaltet werden soll. Diese Punkte wur-den in der weiteren Diskussion behandelt. Damit bin ichbei Punkt 2 meines Referats.

2. Das neue Selbstverständnis – ein Workshop mit der Füh-rungsakademieDenn geführt wurde die weitere Diskussion vor allem ineinem Workshop, den das Ministerium für Wissenschaft,Forschung und Kunst in Auftrag gegeben hatte – mit derVorgabe, dass man konsensual Ergebnisse erzielen sollte.Moderiert wurde der Workshop von der Führungsakade-mie Baden-Württemberg, beteiligt waren daran der Präsi-dent und die zukünftigen Abteilungsleitungen. Gutgelaunt saß man in fruchtbaren Gesprächsrunden zusam-men. In der Tat hat der Workshop, der insgesamt siebeneintägige Sitzungen umfasste und von weiteren Bespre-chungen ohne die Moderatoren flankiert war, aus meinerSicht sehr brauchbare Ergebnisse erzielt, dies vor allem

14 § 1 (3).

auch mental im Sinne einer positiven Aufbruchsstim-mung. Denn, ohne diese Entstehungsgeschichte hier nocheinmal zu vertiefen, über die Einstufigkeit war politisch„von oben“ entschieden worden – im Kontext einer umfas-senden Verwaltungsstruktur-Reform, nicht etwa alsErgebnis einer kritischen Ist-Analyse der Fachverwaltungoder einer gründlichen externen Evaluierung wie inNRW,15 nicht unter einer Auswertung von Kennzahlen,sondern als politische Vorentscheidung.16 Und verbundenwar sie mit massiven Sparauflagen. Eine Aufbruchsstim-mung, wie ich sie in der Diskussion mit Kolleginnen undKollegen aus Nordrhein-Westfalen immer wieder gespürthabe und wie sie auch im Referat von Frau Black-Veld-trup17 durchschlug, konnte so in Baden-Württembergkaum aufkommen. Zu einem Festakt anlässlich der Bil-dung des Landesarchivs war im Südwesten niemandemzumute.18

Dies war um so bedauerlicher, als die baden-württem-bergische Archivverwaltung sich ja durchaus seit vielenJahren kontinuierlich selbst modernisiert und dabei sehrsinnvolle Dinge eingeführt hatte, wie zum Beispiel einestandardisierte Jahresplanung.19 In den letzten Jahrzehn-ten hatten wir jedenfalls alles andere als einen Reformstau.Die archivübergreifende Planung und Steuerung ist beiuns weit fortgeschritten, durch 25 Jahre Zweistufigkeit,sicher jedenfalls sehr viel weiter als in Nordrhein-Westfa-len, ich verweise nur auf die Bewertung und die Bestands-erhaltung, aber auch auf unsere Online-Findmittel imNetz und den Stand der IuK allgemein. Vor gut zehn Jah-ren haben wir uns auch schon landesweit mit Rückstands-bearbeitung befasst. Und 2003 waren wir gerade dabei, dieneuen Steuerungselemente einzuführen, wie sie für diegesamte Landesverwaltung vorgesehen sind. Wir hatteneinen Produktkatalog verabschiedet und Planungengetroffen zu einer Zeit- und Mengenerfassung, um dannauf Produkte zu buchen. Und wir hatten in den letzten Jah-ren auch immer wieder positive Ansätze zu einer Zieldis-kussion, die es weiterzuführen galt.

Dazu bot nun der Workshop mit der Führungsakade-mie ein gutes Forum, zumal er von den beiden externenBeratern äußerst kompetent moderiert wurde.20 Ichmöchte die dazu gewählte Methode des strategischenManagements und die Ergebnisse des Workshops nunnicht im Einzelnen darstellen. Wichtig war vor allem, dasswir uns auf ein gemeinsames Selbstverständnis undGrundformen der Zusammenarbeit verständigt haben –losgelöst von der Alltagssituation in eben solchen frucht-baren Runden. Ursprünglich sollte der Workshop nachVorgesprächen mit der Landesarchivdirektion eine ganzandere Ausrichtung haben, aber in der ersten zweitägigen

15 Vgl. dazu eingehend Wilfried Reininghaus: Das Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen. Entstehung, interne Organisation, Aufgaben und aktu-elle Ziele. In: Der Archivar 57 (2004) S. 295–300.

16 Dies hat auch Prof. Dr. Wilfried Schöntag als Präsident des Landesar-chivs Baden-Württemberg in der Diskussion auf dem 65. Südwestdeut-schen Archivtag in Lindau betont.

17 Vgl. oben ihren Beitrag S. 3–6.18 Vgl. zum Vergleich Martina Wiech: Festakt zur Errichtung des Landes-

archivs Nordrhein-Westfalen. In: Der Archivar 57 (2004), S. 301–305.19 Auf Literaturangaben hierzu und zu den im Folgenden genannten

Arbeitsbereichen sei verzichtet. Verwiesen sei auf die Publikationen derLandesarchivdirektion Baden-Württemberg und die einzelnen Hefte derArchivnachrichten Baden-Württemberg, in denen sich dies in vielfälti-ger Weise spiegelt.

20 Der Workshop wurde von Sabine Burkhardt und Dr. Edwin Ernstgeleitet.

9Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Klausursitzung haben die Moderatoren bald erkannt, dassvor allem erstens eine klare, von allen Beteiligten getra-gene Zielausrichtung zu entwickeln war und dass es zwei-tens grundlegende Fragen der Zusammenarbeit zu klärengalt, dass hier die Hauptprobleme in der Archivverwal-tung lagen.

Das wesentliche Ergebnis des Workshops ist ein mittel-fristiger strategischer Master-Plan für die Landesarchiv-verwaltung, in dem das übergeordnete Wirkungsziel undsodann Ergebnisziele benannt sind, auf die wir uns ver-ständigt haben.21 Als Wirkungsziel haben wir definiert:„Als landeskundliches Kompetenzzentrum sorgt dieArchivverwaltung dafür, Archivgut als Teil des kulturel-len Erbes und der Erinnerungskultur zu sichern, zu erhal-ten und zugänglich zu machen.“ Davon abgeleitet sinddann die folgenden Ergebnisziele:1. Aus den Unterlagen von Justiz und Behörden wird

authentisches Archivgut gebildet.2. Das Archivgut ist konservatorisch dauerhaft gesichert.3. Das Archivgut ist erschlossen.4. Das Archivgut wird von der Öffentlichkeit genutzt.5. Die Archivverwaltung informiert die Öffentlichkeit

über das historische Erbe des Landes und seiner Regio-nen.Dies mag alles zunächst selbstverständlich, abstrakt

und banal klingen. Im Reformprozess war die Verständi-gung darauf jedoch grundlegend, um eine Ausgangsbasisfür alle weiteren Überlegungen zu haben. Und man mussdazu betonen, dass es eine solch eindeutige Verständigungauf Ziele bis dahin in Baden-Württemberg nicht gab. Vordem Hintergrund langjähriger Diskussionen waren diesedefinitiven Festlegungen, vor allem dass man sich als lan-deskundliches Kompetenzzentrum versteht und dass mandie aktive Information der Öffentlichkeit als eine wesentli-che Aufgabe betrachtet,22 jedenfalls wichtige Ergebnisse.Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben,dass es im Kontext der Verwaltungsreform und der Spar-auflagen auch eine klare Vorgabe des zuständigen Wissen-schaftsministeriums gab, trotz aller Sparzwänge daranfestzuhalten, sich in der Öffentlichkeit zu präsentierenund in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit etwas zubieten. Die Archivverwaltung bewegt sich ja nicht im luft-freien Raum, vielmehr fragt das Ministerium durchausnach ihrer grundsätzlichen Ausrichtung, in den letztenJahren sogar verstärkt.

Das Wirkungsziel und die einzelnen Ergebnisziele sindin einem strategischen Plan benannt, in dem auch ersteÜberlegungen zu Maßnahmen im Sinne eines Programmsfür die Zielerreichung bei rückläufigen Ressourcen aufge-listet sind – nach der Methode des strategischen Manage-ments mit Spalten für Messgrößen, Strukturen und Pro-

21 Vgl. dazu jetzt auch Nicole Bickhoff: Reform der baden-württembergi-schen Archivverwaltung. Strategisches Management als Steuerungsin-strument des Veränderungsprozesses. In: Der Archivar 58 (2005), S. 186–188.

22 Zu einem solchen Selbstverständnis vgl. auch Robert Kretzschmar:Staatliche Archive als bürgernahe Einrichtungen mit kulturellem Auf-trag. In: Der Archivar 56 (2003) S. 213–220; Robert Kretzschmar: NeueAufgaben, neue Erwartungen, neue Kunden. Staatliche Archive in derVeränderung. In: Nicole Bickhoff (Hrsg.): Archivverwaltungen im Sys-temvergleich – gerüstet für die Zukunft? (Werkhefte der staatlichen Archiv-verwaltung Baden-Württemberg A 16) Stuttgart 2002, S. 127–154; RobertKretzschmar: Archivwissenschaft als Historische Hilfswissenschaft.Schnittstelle zur Forschung. In: Norbert Hofmann, Stephan Molitor(Hrsg.): Archivisches Arbeiten im Umbruch. Stuttgart 2004, S. 11–34,bes. S. 26 f.

zesse, vorhandene Ressourcen in Jahresschritten. DieseDinge werden beim strategischen Management – ohnedies jetzt hier zu vertiefen – in einer Art Kreislauf gemein-sam betrachtet und analysiert. Ich möchte nicht verhehlen,dass das Ausfüllen der Spalten zu den Messgrößen undden Ressourcen nun schon sehr viel schwieriger war alsdie Entwicklung der Wirkungs- und Ergebnisziele. Aberimmerhin haben wir im Workshop doch wichtige Maß-nahmen angedacht, die wir – und genau da stehen wir jetztgerade im Juni 2005 – nun auf der Arbeitsebene konkreti-sieren müssen.

Dazu nur drei willkürlich ausgewählte Beispiele ausdem Gesamtarsenal. Vorgenommen haben wir uns unteranderem:• eine Prioritätenliste für alle noch zu erstellenden

Bewertungsmodelle,• die Optimierung und stärkere Einbeziehung vorarchi-

vischer Findmittel,• den Ausbau des Anteils des elektronisch recherchierba-

ren Archivguts.Alles dies hat einen qualitativen Aspekt, vor allem aber

soll es dazu beitragen, uns zu entlasten. Die angedachtenMaßnahmen sind einzelnen Ergebniszielen zugeordnetund müssen nun im Einzelnen priorisiert werden. Dennman kann ja bekanntermaßen nicht alles gleichzeitig tun,und dies schon gar nicht bei einer Ressourcenreduktionum 20 Prozent, während gleichzeitig der Arbeitsanfall ins-gesamt durch die Verwaltungsreform merklich ansteigt.Denn das muss man ja als Hintergrund auch erwähnen,dass durch die Verwaltungsstruktur-Reform der Arbeits-anfall bei der Aktenaussonderung und Übernahme unge-mein gestiegen ist.23 Und dazu müssen wir noch – diesauch nur als Stichwort – tragfähige und finanzierte Lösun-gen für die Archivierung elektronischer Unterlagen fin-den.

Es ist ja ein generelles Problem, dass die heutige Phaseeiner archivfachlichen Aufbruchsstimmung in der Bun-desrepublik zeitlich mit krisenhaften Erscheinungen deröffentlichen Haushalte und daraus resultierenden Spar-auflagen für die Archive zusammenfällt.24 Uns eröffnensich bisher ungeahnte Möglichkeiten durch die Digitalisie-rung, wir haben deutliche Fortschritte in der Archivtheo-rie und in der Praxis – von der Überlieferungsbildung bishin zur Bildungsarbeit –, wir verlieren aber Ressourcen.Dieser strukturelle Spagat zwischen einer fachlichen Auf-bruchsstimmung und Sparauflagen, der ja bundesweitglobal besteht, blieb im Workshop ungelöst, konnte dortim Detail auch gar nicht gelöst werden. Hier wird ein lan-ger Atem notwendig sein, und die laufende, ressourcenbe-dingte Anpassung mit Schwerpunktsetzungen im Pro-gramm und bei Projekten.

Fruchtbare Ergebnisse hatte der Workshop sonst vorallem noch hinsichtlich der zukünftigen Zusammenarbeitim Landesarchiv. So haben wir uns über die nähere Ausge-staltung der Abteilungsleiterrunde verständigt, der imLandesarchiv als Besprechungsrunde der Führungsebenenach dem Präsidenten natürlich eine besondere Bedeu-

23 Vgl. den Praxisbericht von Elke Koch: Rettung von Kulturgut. Erfah-rungen des Staatsarchivs Ludwigsburg mit der Verwaltungsreform. In:Archivnachrichten Baden-Württemberg 30 (2005) S. 8 f.

24 Zum Selbstverständnis staatlicher Archive im Kontext der Verwaltungs-reform vgl. Kretzschmar, Staatliche Archive als bürgernahe Einrich-tungen (wie oben).

10 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

tung zukommt.25 Verankert ist diese Runde im Organisati-onsstatut des Landesarchivs, wo es heißt: „Zur Unterstüt-zung der Amtsleitung bei der Koordinierung der Aufga-benwahrnehmung finden regelmäßig Abteilungsleiterbe-sprechungen statt, zu denen der Präsident alle Abteilungs-leiter einlädt.“26 Im Workshop haben wir uns hierzu zweiDinge vergegenwärtigt, nämlich erstens, dass die Rundeder Abteilungsleiter der Vorbereitung von Entscheidun-gen des Präsidenten dient, und zweitens, dass sie bei allenfür die gesamte Archivverwaltung relevanten Punktenherangezogen werden soll und vor allem der Ort ist, indem die Gesamtstrategie der Archivverwaltung laufendweiter zu entwickeln ist. Dies bedeutet, dass in der einstu-figen Verwaltung, in der es ja nicht mehr diese Scheidungzwischen einer strategischen und operativen Hierarchie-ebene gibt, der Abteilungsleiterrunde eine wesentlicheFunktion für die Strategieentwicklung zukommt – in einersinnvollen Verzahnung natürlich mit landesweiten Refe-rentenbesprechungen, die es bei uns ja schon seit langemgibt.

Nicht unbedeutend war, dass diese zukünftige Abtei-lungsleiterrunde im Workshop bereits vorgelebt wurde,und nicht zuletzt dazu hatte das Ministerium den Work-shop auch ausdrücklich eingesetzt. Aus meiner Sicht warder Workshop der eigentliche Start des Landesarchivs mitgemeinsam erarbeiteten und breit getragenen Ergebnis-sen. Die neutrale und kompetente externe Beratung hatuns sicher gut getan.

Wichtige Ergebnisse waren auch grundsätzliche Festle-gungen zum Verfahren bei der Zielvereinbarung im Lan-desarchiv, zur Geschäftsverteilung in den Archivabteilun-gen und eine „To do-Liste“ der im Weiteren abzuarbeiten-den Punkte. Dies sind die Punkte, die uns seither beschäf-tigt haben und noch beschäftigen. Und damit bin ich nunauch schon bei den Problemfeldern und Punkt 3 meinesReferats.

3. Problemfelder3.1. GeschäftsverteilungIm Blick auf den Start des Landearchivs zum 1. Januar 2005war eine detaillierte Geschäftsverteilung für das Landes-archiv vordringlich. Im Workshop hatten wir die Grund-struktur der Referatsgliederung entwickelt• mit jeweils 5 Referaten für die so genannten „großen“

Archive in Stuttgart, Karlsruhe und Ludwigsburg• und jeweils 3 Referaten für die so genannten „kleinen“

Archive in Freiburg, Sigmaringen und Wertheim.In den großen Häusern sind die fünf Referate an die

Stelle der bisherigen zwei bzw. drei Abteilungen getreten;dadurch sollte auch die Hierarchie etwas flacher werden,was durchaus auch eingetreten ist. Im Grunde fiel damitauch bei uns wie in Nordrhein-Westfalen eine Hierarchie-ebene in den Häusern weg.27 Insgesamt wurde dabei dieZahl der Referate gegenüber der früheren zweistufigenArchivverwaltung um 43% verringert,28 d. h., die Organi-sation wurde auch übersichtlicher und straffer.

25 Zu entsprechenden Grundstrukturen in NRW vgl. Reininghaus, Lan-desarchiv Nordrhein-Westfalen (wie oben), S. 299.

26 § 6.27 Vgl. Reininghaus, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (wie oben),

S. 297.28 Nach einer Berechnung von Abt. 1 des Landesarchivs zum 1. Januar

2005.

Dies liegt auch daran, dass wir die Referatsstruktur pri-mär an den Fachprodukten ausgerichtet haben und nichtmehr wie bisher an Bestandsserien und -gruppen. Einegewisse Beständebezogenheit läuft aber hier und da nachwie vor unterschwellig mit; im Workshop hatten wir einesolche Matrixorganisation gemeinsam mit den Moderato-ren erarbeitet. Inwieweit die Produktorientierung sichbewährt, wird mit größerem Zeitabstand zu evaluierensein. Aus meiner Sicht hat sich die Geschäftsverteilung imPrinzip gut eingespielt. In den Häusern hat sie zu gewis-sen Bündelungen geführt, die helfen können, die Sparauf-lagen zu verkraften.

Auch hatten wir uns im Workshop darauf verständigt,dass die Referate nicht überall tupfengleich sein müssen,da es ja Sonderaufgaben der einzelnen Häuser gibt, icherwähnte sie schon. Und es waren natürlich auch perso-nelle Gegebenheiten in den Häusern zu berücksichtigen.Wir haben es ja mit Menschen zu tun. Beim Hauptstaatsar-chiv Stuttgart sieht die Referatsstruktur nun wie folgt aus:• Übergreifende und Querschnittsaufgaben (Hauslei-

tung)• Überlieferungsbildung staatliches Archivgut, Bestands-

erhaltung• Überlieferungsbildung nichtstaatliches und nicht-

schriftliches Archivgut• Erschließung (einschließlich Retrokonversion) und

Ausbildung• Nutzung, Informationen aus Archivgut (einschließlich

Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit).Dies nur als Beispiel für die Produktorientierung der

Geschäftsverteilung in einem großen Haus, die Referats-struktur der anderen Archivabteilungen sieht ähnlich aus.Bemerkenswert ist dabei, dass das Referat Nutzung mitder historischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeitzusammenfällt, was mit dem nun festgelegten Selbstver-ständnis des Landesarchivs übereinstimmt und mit Über-legungen, über die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeitauch ganz gezielt bestimmte Nutzerkreise anzusprechen.

Die Leitung der Archivabteilungen umfasst dabei nichtnur die Steuerung innerhalb des Hauses, sondern nachwie vor auch die Vertretung nach außen, sofern nur dieArchivabteilung betroffen ist, einschließlich der Pressear-beit. Dies gilt in gleicher Weise für alle Abteilungen und istim Organisationsstatut so verankert.29

Entlastet worden sind die Archivabteilungen von Ver-waltungsvorgängen, wobei zu bemerken ist, dass bereitsin der zweistufigen Archivverwaltung viele Verwaltungs-dinge landesweit von der Landesarchivdirektion erledigtwurden. In der Einstufigkeit hat die neue Struktur nunaber zu einer noch stärkeren Zentralisierung geführt. Nurzwei Beispiele: Im Bereich der IuK erfolgen alle Beschaf-fungen nun zentral über Abt. 1, die Archivstandorte erhal-ten nur ein sehr kleines Budget für Verbrauchsmaterial.Ein anderes Beispiel: alle Ausschreibungen erledigt derVerwaltungsbeamte im Staatsarchiv Ludwigsburg zentral.In mehreren Archivabteilungen gibt es zwar noch Verwal-tungsbeamte, doch erledigen diese neben standortbezoge-nen Aufgaben auch Aufgaben für das ganze Landesarchiv.Mit dieser Zentralisierung sollen mittelfristig Stellen ein-gespart werden. Inwieweit dies möglich ist, bleibt abernoch zu evaluieren. Im Augenblick ist der Arbeitsanfall in

29 § 5: „Die Abteilungsleiter vertreten im Rahmen ihrer Zuständigkeitenihre Abteilungen nach Außen.“

11Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

der Verwaltung durch den Ausbau des Landesarchivs unddie Einführung der Neuen Steuerungsinstrumente ehergestiegen.

Damit komme ich zur Frage der Einsparpotentiale, dieja mit der Frage nach der geeigneten Geschäftsverteilungeng verknüpft ist.

3.2. Einsparmöglichkeiten – Standards und AbläufeBis 2011 muss die Archivverwaltung 33 Stellen einsparen,sukzessive indem Stellen nicht wieder besetzt werden.Einzelheiten dazu möchte ich Ihnen ersparen, es gibt dazugenaue Aufstellungen, wie sich das für die einzelnenAbteilungen durch altersbedingte Abgänge darstellt.

Ein fertiges Konzept, wie dies über die Jahre zu verkraf-ten ist, gibt es derzeit noch nicht. Wir werden auch eherlaufend anpassen müssen. Es besteht aber Konsens, dassdiese Sparauflage nur ganzheitlich für das ganze Landes-archiv erbracht werden kann und dass ggf. gravierendeUnterschiede zwischen den Abteilungen auszugleichensind, um sie lebensfähig zu halten. Dies verlangt ja schondie politische Entscheidung, die bisherigen Archivstand-orte und den Leistungsumfang im Wesentlichen zu erhal-ten. Im Detail muss natürlich die Aufgabenkritik erfolgen,sie ist auch zum Teil schon erfolgt, etwa durch eine Neu-ausrichtung des Audiovisuellen Archivs und Überlegun-gen zum zukünftigen Betrieb des Hohenlohe-Zentralar-chivs Neuenstein.

Im Augenblick sind wir gerade dabei, den Blick aufunsere Standards und Abläufe zu richten. Dazu hatten wirschon verschiedene Anläufe in den letzten Jahren. Und imWorkshop haben wir, wie erwähnt, verschiedene Maßnah-men als denkbare Einsparpotentiale angedacht. Wir gehendas gerade in diesen Tagen sehr systematisch an. Ich per-sönlich bin der Überzeugung, dass wir auch nur diesenWeg gehen können, dass wir unsere Abläufe laufend eva-luieren, Standards kritisch hinterfragen und in noch stär-kerem Maße eine mittelfristige Gesamtplanung entwi-ckeln, die mit der Entwicklung der Ressourcen im Ein-klang steht. Dafür brauchen wir natürlich belastbare Zah-len, als Grundlage der Planung, dann aber auch zur Ver-mittlung nach außen. Und damit bin ich beim schwierigenKapitel der

3.3. Messgrößen und KennzahlenTrotz ausgefeilter Jahresstatistiken, die seit Jahrzehnten inder Archivverwaltung erstellt wurden, haben alle Überle-gungen im Kontext der Verwaltungsreform anschaulichgezeigt, dass es uns an belastbaren Zahlen fehlt.30 ImWorkshop haben wir daher eine Arbeitsgruppe Messgrö-ßen eingesetzt, und insgesamt sind wir auch ein gutesStück weiter gekommen. Bis zum Sommer wollen wir eineArt Eröffnungsbilanz mit wenigen Kennzahlen vorlegen,aus denen zu ersehen ist, wo wir stehen. Diese Kennzahlensind an den Ergebniszielen orientiert, wie wir sie im Work-shop festgelegt haben. Und es sollen Relationen deutlichwerden, auf deren Grundlage man Arbeitsziele definierenkann. So wollen wir zum Beispiel den Anteil des regalferti-gen, des erschlossenen und des online recherchierbaren

30 Gerd Schneider hat in seinem Beitrag „Archivare aufgewacht!“ An-merkungen eines Externen zur gegenwärtigen Situation im deutschenArchivwesen. In: Der Archivar 57 (2004), S. 37–44 zu Recht auf die Defi-zite aufmerksam gemacht, die im deutschen Archivwesen hinsichtlichbelastbarer und aussagekräftiger Kennzahlen bestehen.

Archivguts erheben, um für weitere Planungen zu sehen,wo wir hier stehen.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass wir jetzt auch imRahmen der Neuen Steuerungsmodelle die Buchung aufProdukte einführen – ab Juli im Probebetrieb – und unsnatürlich auch davon wesentliche Aufschlüsse erwarten.Betonen möchte ich aber die Notwendigkeit des kritischenUmgangs mit solchen Zahlen. Die intensive Beschäftigungdamit hat gezeigt, auf welch brüchigem Boden wir uns oftbei ihrer Interpretation bewegen. Wünschen würde ichmir auf diesem Feld übrigens einen stärkeren bundeswei-ten Austausch der Archivverwaltungen. Die Dinge sind javergleichbar.

Neben der Analyse harter und belastbarer Zahlen sindaber auch weiche Faktoren für den Erfolg einer Einrich-tung von Bedeutung. Ich komme zum nächsten und letz-ten Problemfeld, das ich anspreche, zur

3.4. Integration nach innen und Förderung einer „corpo-rate identity“„Corporate identity“ kann man nicht verordnen, das wis-sen wir auch als Historiker, sie kann nur wachsen, und siemuss gezielt gefördert werden. Mit gewinnenden Maß-nahmen. Die Ausgangsbasis für ein landesweites Ver-ständnis der Archivarbeit ist in Baden-Württemberg dabeisicher besser als in Ländern, in denen es bisher keine zwei-stufige Archivverwaltung gab. Wir haben unsere Arbeit jabereits seit Jahrzehnten im landesweiten Bezugsrahmenerledigt. Wir haben seit 1975 gemeinsame Publikationsrei-hen und ein gemeinsames Internet-Angebot. Und wir set-zen schon lange archivübergreifende Programme und Pro-jekte um.31

Zur Förderung der „corporate identity“ haben wir unsnun vor kurzem entschlossen, ein einheitliches Design fürdas Landesarchiv in Auftrag zu geben. Wichtig erscheintmir dabei, dass das Gesamtdesign als solches den Wieder-erkennungswert für das gesamte Landesarchiv hat, aberauch Ableitungen für die einzelnen Abteilungen zulässt.Dies scheint mir der springende Punkt zu sein. Denn dieIdentifikation mit dem Landesarchiv kann und soll ja nichtdie Aufgabe der Identifikation mit dem jeweiligen Hausbzw. der jeweiligen Abteilung bedeuten, sondern additiveine erweiterte Identifikation auf einer höheren Ebene.Beides muss ineinander greifen.

Ich halte überhaupt das rechte, ausgewogene Verhältnisvon zentralen und dezentralen Strukturen in einer staatli-chen Archivverwaltung für grundlegend; unabhängig vonder Ein- oder Zweistufigkeit ist es bei beiden Modellen ingleicher Weise wichtig. Nicht ohne Grund hebt ja die Ver-waltungsreform auf die Förderung der Eigenverantwor-tung ab – ein Kernziel der Verwaltungsreform, das viel mitKundennähe zu tun hat.32

31 Vgl. dazu Kretzschmar, Neue Aufgaben (wie oben), S. 146 f.32 Vgl. dazu Kretzschmar, Staatliche Archive als bürgernahe Einrichtun-

gen (wie oben). Bes. S. 218 ff. In der Diskussion auf dem 65. Südwest-deutschen Archivtag in Lindau hat auch Prof. Dr. Hermann Rumschöt-tel von der Generaldirektion der staatlichen Archive Bayerns betont,wie wichtig das ausgewogene Verhältnis zwischen zentralen und dezen-tralen Elementen für die Organisation staatlicher Archivverwaltungenist. Für NRW hat dies auch Reininghaus, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (wie oben), S. 300 betont; vgl. auch seinen Diskussionsbeitragauf dem 74. Deutschen Archivtag in Chemnitz, wiedergegeben imTagungsband, Archive im gesellschaftlichen Reformprozess (wie oben),S. 351.

12 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Wichtig ist vor allem aber auch eine integrationsför-dernde Grundausrichtung, der die Gleichrangigkeit derAbteilungen als konstitutives Element der einstufigen Ver-waltung zugrunde liegt. Ich habe ja schon darauf hinge-wiesen, dass wir alle im Landesarchiv umdenken müssen,dass sich alle Abteilungen – die Archivabteilungen ebensowie die Querschnittsabteilungen – in ihre neue Rolle ein-finden müssen. Das geht natürlich nicht von heute aufmorgen nach über 25 Jahren Zweistufigkeit. In diesemPunkt ist hinsichtlich der Ausgangsbasis sicher ein grund-legender Unterschied zu Nordrhein-Westfalen, wo mandiese Zweistufigkeit nicht hatte, festzustellen.33

Auf einer Dienstbesprechung habe ich vor kurzem aufzwei weitere Punkte aufmerksam gemacht, die integrati-onsfördernd sein dürften.34 Zum einen habe ich abtei-lungsübergreifende Projekte empfohlen, in die sich mög-lichst viele Abteilungen einbringen können. Die Federfüh-rungen sollten dabei verteilt werden. Der zweite Punktberührt die Verteilung der Lasten und Opfer. Sie musshalbwegs ausgewogen und vermittelbar sein – bei allernotwendigen Schwerpunktsetzung im Einklang mit unse-ren Wirkungszielen und bei allen Sparauflagen. Dabeigeht es nicht um Gerechtigkeit oder falschen Proporz, son-dern um die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter in den Abteilungen und die Minimierung von Rei-bungsverlusten. Eine Verwaltung, in der man ein Sparkon-zept verfolgt, das breit getragen wird, gewinnt an Leis-tungsfähigkeit. Integration hat viel mit Effizienz zu tun.Das erbringt auch eine „Effizienzrendite“.

4. Fazit: Sind wir jetzt zukunftsfähiger?Damit komme ich auf meine Ausgangsfrage zurück undzu einem Fazit. Sind wir jetzt zukunftsfähiger als vor zweiJahren? Ich möchte dies zusammenfassend mit wenigenSätzen beantworten.1. Über die Einstufigkeit ist 2004 politisch definitiv ent-

schieden worden, bevor nähere Analysen erstelltworden waren, geschweige denn ausgereifte Kon-zepte vorlagen. Die Archivverwaltung Baden-Würt-temberg hatte sich bis dahin in mehreren Schrittenbereits in vielfacher Hinsicht selbst modernisiert. DieEinstufigkeit war nicht zwingend, um die Moderni-sierung weiter voranzutreiben oder ein Einsparpo-tential zu schaffen. Sie ist im Rahmen eines Struktur-Reformkonzepts für die gesamte Landesverwaltungerfolgt, in dem eine zweistufige Verwaltung mit Lan-desober- und nachgeordneten Behörden keinen Platzmehr hatte.

2. Unabhängig davon eröffnet das einstufige Landesar-chiv aber durchaus Perspektiven und positiveAnsätze zu einer besseren Zukunftsfähigkeit.

2.1. Denn durch die Umstrukturierung wurde einReformprozess ausgelöst, für den erstmals einSelbstverständnis und davon abgeleitete Wirkungs-und Ergebnisziele eindeutig formuliert wurden. Wirsind dabei, uns Klarheit über Messgrößen und Kenn-zahlen zu verschaffen. Wir erstellen eine Eröffnungs-bilanz zur Standortbestimmung, und wir habenbegonnen, systematisch unsere Standards und Pro-

33 Vgl. auch Reininghaus, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (wieoben), S. 300.

34 Protokoll der 2. Abteilungsleiterbesprechung am 18. April 2005.

zesse zu evaluieren. All das macht uns zukunftsfähi-ger.

2.2. Dazu kommt, dass bei der einstufigen Struktur jeneReibungsverluste zwischen Hierarchieebenen, diefür zweistufige Verwaltungen mit Ober- und nachge-ordneten Behörden wohl ein Stück weit spezifischsein dürften, zumindest mittelfristig aufhören wer-den. Natürlich wird es auch weiterhin Interessenge-gensätze und unterschiedliche Sichtweisen – zwi-schen allen Abteilungen – geben, aber das ist aufDauer qualitativ vielleicht dann doch etwas anderes.

3. Für den Erfolg des Landesarchivs als einstufigeArchivverwaltung wird entscheidend sein, dasstrotz aller Sparauflagen und Schwerpunktsetzungeneine „corporate identity“ über alle Abteilungen hin-weg gezielt gefördert wird. Dies setzt ein integrati-onsförderndes Führungsverhalten auf allen Ebenen,an der Spitze und in allen Abteilungen, die gelebteGleichrangigkeit der Abteilungen, die Verinnerli-chung neuer Rollen in allen Abteilungen und einehalbwegs ausgewogene, plausible Verteilung derLasten voraus.

Mehr Aufgaben, neue Bestände: die baden-württember-gischen Kreisarchive und die Verwaltungsstrukturre-form

Von Manfred Waßner

Überraschender hätte er es wohl nicht machen können,unser inzwischen ehemaliger Ministerpräsident ErwinTeufel. Ende März 2003 ließ er eine Katze aus dem Sack,die offenbar schon eine ganze Weile heimlich, aber liebe-voll gepäppelt worden war. Das Haustier war eine ausge-wachsene Reform der Verwaltungsstruktur des Landes.Einer ihrer zentralen Bestandteile ist die Eingliederungder unteren Sonderbehörden in die 35 Landratsämter bzw.9 Stadtkreise. Quer durch die gesamte Landesverwaltungsollen so bis zum Jahr 2011 20% der Personal- und Sach-kosten eingespart werden.

Inzwischen, gut zwei Jahre nach der Ankündigung, istdie Reform organisatorisch umgesetzt. Einzelne Umzügelaufen noch oder stehen erst bevor. Versorgungsämter,Landwirtschaftsämter, Forstämter, Gewerbeaufsichtsäm-ter, Schulämter, Straßenbauämter und Vermessungsämtersind nun Teil der Landratsämter und damit in die Zustän-digkeit der Kreisarchive übergegangen. Landesweit han-delt es sich um mehr als 300 Dienststellen.

Was bedeutet das für die Kreisarchive?

Für die staatliche Archivverwaltung bedeutet diese Neu-ordnung einen Verlust von rund 25% ihrer Aufgaben; fürdie Kreisarchive dagegen eine Zunahme von bis zu 50 Pro-zent: sehr viel mehr zu bewertendes Schriftgut, deutlichmehr abliefernde Organisationseinheiten und meist auchräumlich mehr Dienststellen. Zudem verlagert sich derSchwerpunkt innerhalb der Landratsämter deutlich aufden staatlichen Teil der Überlieferung, der kommunalePart wird in Relation dazu kleiner. Die Bewältigung diesesZuwachses ist für die recht unterschiedlich ausgestattetenKreisarchive keine leichte Aufgabe.

Während die Reform im Großen und Ganzen nach demGrundsatz „Das Personal folgt den Aufgaben“ abgewi-ckelt wurde, galt dies nicht für den Archivbereich. Dererhebliche Aufgabenzuwachs der Kreisarchive hatte kein

13Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

staatliches Archivpersonal im Schlepptau, denn das Lan-desarchiv hat vollauf damit zu tun, seine Effizienzrenditevon 20% zu realisieren. Es liegt somit an den Kreisarchivenselbst, sich innerhalb des eigenen Hauses für eine ange-messene Ausstattung – Personal, Finanzen, meist auchzusätzliche Magazinräume – stark zu machen; der leichtnachweisbare Aufgabenzuwachs gibt dafür gute Argu-mente in die Hand. Beim Kreisarchiv Esslingen ist esgelungen, aus dem Personalpool der Querschnittseinhei-ten der integrierten Behörden zu profitieren und darauseine Stelle ins Kreisarchiv zu verlagern, sowie eine Aufsto-ckung der Sachmittel zu erreichen. Zusätzliche Magazin-fläche ist mittelfristig geplant.

Das allein jedoch genügt nicht. Die innere Organisati-onsstruktur der Landratsämter wurde den neuen Anfor-derungen nach der Reform angepasst. Hier fanden teil-weise grundlegende Änderungen der Strukturen und Hie-rarchien statt. Von zentraler Bedeutung für die Kreisar-chive und ihre künftige Handlungsfähigkeit ist es, dass sieweiterhin als eigenständige Organisationseinheiten inner-halb der Landratsämter wahrnehmbar sind und entspre-chenden Handlungsspielraum besitzen, vor allem Zustän-digkeiten für Budget und Personal. Die Tendenz, denKreisarchiven zusätzliche Aufgabenbereiche zu übertra-gen oder organisatorisch anzugliedern, hat meinem Ein-druck nach zugenommen. Es hat Vor- und Nachteile undmuss immer im Einzelfall des jeweiligen Landkreisesbetrachtet werden, wenn das Kreisarchiv für Aufgabenverantwortlich zeichnet, die mal nahe, mal entfernter vomeigentlichen Kerngeschäft angesiedelt sind – Registratur,Kultur, Kunst, Öffentlichkeitsarbeit, Geschäftsstelle desKreistags – um nur Beispiele zu nennen. Ich persönlichsehe das eher kritisch. Im Großen und Ganzen scheint esaber gelungen zu sein, die Kreisarchive nicht im Organisa-tionsdickicht der nun großen Landratsämter untergehenzu lassen. Nur so sind wir auch langfristig in der Lage,unsere neuen, umfangreicheren Aufgaben zu erfüllen.

Was wir weiterhin und künftig noch mehr und verstärktbrauchen, ist eine enge Zusammenarbeit – sowohl derKreisarchive untereinander als auch der Kreisarchive mitdem Landesarchiv. Die Grundlagen dafür sind gelegt. Mitder Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchive beim Land-kreistag Baden-Württemberg verfügen die Kreisarchiveüber eine leistungsfähige, institutionalisierte undbewährte Plattform – sowohl für die Zusammenarbeituntereinander als auch als Ansprechpartner für das Lan-desarchiv und zur Interessenvertretung. Die AG unterdem Vorsitz des Kollegen Wolfgang Kramer aus Kon-stanz hat übrigens im Frühjahr ihren 25. Geburtstag gefei-ert, und angesichts der neuen Herausforderungen ist manversucht zu sagen: Nie war sie so wertvoll wie heute.

In welchen Bereichen ist Zusammenarbeit wichtig? Alsdie Verwaltungsreform über die staatliche Archivverwal-tung hereinbrach, war die Erarbeitung von Bewertungs-modellen für die Bereiche der Sonderbehörden in vollemGange – teils lagen sie bereits vor, teils waren sie in Bear-beitung oder in Planung. Ihre praktische Umsetzung inForm von Aussonderungen sollte Schritt für Schritt und jenach Bedarf der Behörden über einen längeren Zeitraumerfolgen.

Der Bedarf kam aber schneller als erwartet. Für dieUmsetzung der Reform ist im Archivbereich vorgesehen,dass sämtliche Akten der Sonderbehörden, die bis zum31. 12. 2004 geschlossen wurden, weiterhin in die Staatsar-

chive abgegeben werden; es ist also von staatlicher Seitebeim weitaus größten Teil der in die Landratsämter einge-gliederten Behörden eine Aussonderung oder zumindestÜberprüfung der Aktenbestände nötig. Die Folgeaktenmit Laufzeitende 2005 und später fallen dagegen in dieZuständigkeit der Kreisarchive.

Aus diesem Sachverhalt ergeben sich meiner Meinungnach drei wesentliche Problemstellungen für die staatlich-kommunale Zusammenarbeit. Als erstes die ganz kon-krete Aufgabe, eine ungeheuer große Zahl an Behörden-auflösungen und -umzügen im Blick zu behalten sowie dienotwendigen Aussonderungen abzuwickeln – das ist invollem Gange, teilweise auch abgeschlossen. Dann, lang-fristig, die Zusammenarbeit bei der Überlieferungsbil-dung und Weiterentwicklung bestehender Bewertungs-modelle, und schließlich die gemeinsame Entwicklungvon Strategien zur besseren Zugänglichkeit der Beständeaus Benutzersicht.

Welche Grundlagen haben wir dafür bereits geschaffen?

Im Bereich der praktischen Umsetzung – Umzüge, Aus-sonderungen – hat es sich bewährt, dass sich die jeweilszuständigen Staatsarchive und die Kreisarchive desSprengels in Arbeitssitzungen über das jeweilige Vorge-hen und die Umzugsplanungen abgestimmt und infor-miert haben. Durch die Vor-Ort-Kenntnisse der Kreisar-chive und gemeinsame Behördenbesuche von Staats- undKreisarchiven ließen sich viele Aufgaben relativ schnell,problemlos und pragmatisch lösen. Regierungsbezirkesind groß, und mit Hilfe der Kreisarchive fiel es den Staats-archiven leichter, den Überblick über das Geschehen zubehalten. Es wäre zu begrüßen, wenn die dabei zum Infor-mationsaustausch eingeführten Treffen auch künftig ingewissen Abständen beibehalten werden könnten; The-men gibt es genug.

Eine langfristige Aufgabe etwa ist die Bewertung undÜberlieferungsbildung. Schon recht schnell, nachdem dieReform am Horizont erschien, wurden die Rahmenbedin-gungen und Vorgaben für den Überlieferungsschnitt zwi-schen Landesarchivdirektion und AG der Kreisarchiveabgesprochen. Nachdem hier Theorie und Praxis garan-tiert auseinander klaffen werden, sind wir auch in diesemBereich auf eine gute, pragmatisch ausgerichtete Zusam-menarbeit angewiesen. Manche Bestände werden sichkünftig zeitlich überschneiden, in fast jedem Fall werdenBestände der gleichen Behörde oder zumindest der glei-chen Aufgabe in Zukunft in mindestens zwei Archiven lie-gen.

Ein wichtiger Schritt in Richtung Zusammenarbeit beider Bewertung war es, als die Kollegen vom Land im ver-gangenen Jahr den Kreisarchiven bei einer Versammlungihre bestehenden Bewertungsmodelle ausführlich vorge-stellt und erläutert haben. Dabei konnten viele Vorbehalteunserer Seite ausgeräumt werden, andererseits aucheinige Anregungen und Überlegungen eingebracht wer-den.

Gleichzeitig haben wir im Rahmen der AG damitbegonnen, Bewertungsrichtlinien für die „alten“ Bereicheder Landratsämter zu entwickeln und zusammenzustel-len. Im Gegensatz zur staatlichen Seite haben wir unsdabei nicht für ein behördenweises, am Geschäftsvertei-lungsplan orientiertes Vorgehen entschieden, sondern amAktenplan der Landratsämter. Der Grund dafür ist die

14 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

sehr unterschiedliche und häufig nur schwer vergleich-bare Organisationsstruktur der Landratsämter. DerAktenplan bietet demgegenüber eine verlässlichere undbesser übertragbare Grundlage. Dieses inzwischen aufeiner Online-Datenbank basierende Bewertungsprojekt,das von den Kollegen Wolfgang Sannwald und AndreasZekorn im Herbst auf dem Deutschen Archivtag in Stutt-gart innerhalb der Fachgruppe 2 des VdA vorgestellt wird,versteht sich nicht als abgeschlossenes Werk, sondern alseine Art ständig weiter zu entwickelndes Forum, in dasdie Erfahrungen aller Kreisarchive einfließen.

Es gilt nun, die bereits vorliegenden staatlichenModelle in unseren Prozess zu integrieren, beides fürunseren Bereich zusammenzuführen. Neben diesemzunächst horizontalen Ansatz wird es künftig auch bei dervertikalen Bewertung Diskussions- und Abstimmungsbe-darf zwischen Landesarchiv und Kreisarchiven geben; dieBewertungsmodelle müssen hier entsprechend weiterent-wickelt werden. Ziel des Ganzen bleibt es, eine fachlichfundierte, möglichst einheitliche und vergleichbare Vorge-hensweise zu gewährleisten; so wird letztlich die Benut-zerfreundlichkeit erhöht und vor allem die Wirtschaftlich-keit unserer Tätigkeit vertretbar.

Wenn wir in den Kreisarchiven künftig neue Beständevom Forst bis zur Vermessung haben werden, sollten wirversuchen, unseren Benutzern einen optimalen Zugangund eine gute Betreuung zu bieten. Zunächst ist es deshalbwichtig, dass der vereinbarte Zeitschnitt und die Abgren-zung zwischen Staats- und Kreisarchiven so gut wie nurmöglich eingehalten wird; ich glaube, eine ebenso prag-matische wie vertrauensvolle Zusammenarbeit auf mög-lichst kurzen Dienstwegen hat sich hier bewährt undbringt gute Ergebnisse.

Langfristig erwarten unsere Benutzer aber mehr als das.Aus Sicht des Laien ist es verwirrend, wenn die Überliefe-rung einer Behörde bzw. einer staatlichen Aufgabe mitlokalem Bezug auf mehrere Archive verteilt ist. Wir kön-nen dieser Verwirrung abhelfen, wenn wir die Beständezusammenführen – nicht physisch, sondern in unserenFindmitteln, gedruckt oder digital.

Diese virtuelle Rekonstruktion und Zusammenführungerleichtert die Benutzung erheblich und schafft Klarheit –für den Suchenden ist es zweitrangig, ob die Akte in Lud-wigsburg oder Esslingen liegt, Hauptsache, er findet sieschnell. Das betrifft im Übrigen nicht nur die nun neu zubildenden Bestände in den Kreisarchiven, sondern auchunsere bisherigen, seien es die Überlieferungen der Ober-und Bezirksämter oder einzelner Sonderbehörden. Diewirtschaftlichen und logistischen Vorteile dieses virtuel-len Vorgehens anstelle eines realen Beständeausgleichsbrauche ich nicht zu erläutern.

Über Bewertung und Überlieferungsbildung hinaussollten wir deshalb auch bei der Erschließung zusammen-arbeiten und anwendbare, bis zu einem gewissen Gradeinheitliche inhaltliche Kriterien verwenden. So könntenwir unsere knappen personellen Ressourcen effizient ein-setzen, letztlich unser Profil schärfen und vor allem denBenutzern einen großen Dienst erweisen.

Noch kein Happy-End in Sicht– Ein neues Verhältnis zwischen dem Landesarchiv undden Kommunalarchiven in NRW?35

Von Thomas WolfDie Auswirkungen von Organisationsreformen auf dietagtägliche Arbeit ist seit der Büroreform in den zwanzigerJahren des letzten Jahrhunderts keine Neuigkeit mehr fürArchivierende. Der Finanzdruck in den letzten beidenJahrzehnten des 20. Jahrhunderts führte auf allen Verwal-tungsebenen zu verstärkten Reformanstrengungen. AlsStichworte seien Tilburger Modell, Neue Steuerung oderdie Einführung der Doppik genannt. Letztlich bliebenauch die nordrhein-westfälischen Staatsarchive nicht ver-schont. Die Neubildung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen mit ihren Auswirkungen auf die archivischeArbeit in den nordrhein-westfälischen Kommunalarchi-ven hat zu Problemen geführt. Dramatisch ist es nicht.Allerdings: das Verhältnis ist angespannt. Lassen Sie michnun die spezielle Situation in NRW darstellen, bevor ichdie aktuellen Problemfelder benenne und Lösungsmög-lichkeiten aus kommunaler Sicht aufzeige.

Situation in Nordrhein-Westfalen36

Die Landschaftsverbandsordnung des Landes NordrheinWestfalen vom 6. Mai 1953 legt folgende Aufgaben in dieHände der beiden Landschaftsverbände: Sozialhilfe, Son-derschulen, Kriegsopfer- und Schwerbehindertenfür-sorge, Jugendhilfe, Gesundheitspflege, Kommunalwirt-schaft, Straßenbau und die landschaftliche Kulturpflege.Prägnant bezeichnet man diese kommunalisierten Aufga-ben als eine „innere Föderalisierung“. Vor allem die land-schaftliche Kulturpflege ist für uns von zentraler Bedeu-tung. Denn zu ihr gehört auch die kommunale Archiv-pflege, die sich in einem kurz skizzierten, historischen Pro-zess (hier am Beispiel des Landesteils Westfalen) entwi-ckelt hat. Zu Beginn der kommunalen Archivpflege stehenInitiativen der historischen Vereine, so nahm sich der 1871gegründete Historische Verein für Dortmund und dieGrafschaft Mark gleich zu Anfang der Aufgabe an, dasreichsstädtische Archiv zu ordnen und zu erschließen. Ab1899 geschieht dies hauptamtlich durch Dr. Karl Rübel.Bereits 1896 erfolgte eine systematische Sichtung undGroberfassung des in den Archiven der Städte, der Kir-chengemeinden und des Adels in Westfalen überliefertenArchivgutes durch die Historische Kommission der Pro-vinz Westfalen. Im Jahr 1923 entwickelte der Historiker Dr.Heinrich Glasmeier das Prinzip der nichtstaatlichenArchivpflege in Form einer subsidiären Betreuung dieserArchive vor Ort durch fachkundiges nichtstaatlichesArchivpersonal. Schon 1925 richtete der Westfälische Hei-matbund den ersten Archivpflegekurs aus. Im März 1927wurde die Archivberatungsstelle Westfalen gegründetund bei der Provinzialverwaltung angesiedelt, die „in ers-

35 Der Vortrag wurde unter dem Titel „Zur Zusammenarbeit verurteilt. Einneues Verhältnis zwischen dem Landesarchiv und den Kommunalarchi-ven in NRW?“ auf dem Südwestdeutschen Archivtag gehalten. Mit derBearbeitung für den Druck hat der Autor den Titel geändert und dabeiauf die Stadtwerbung von Lindau sowie den Verlauf der Podiumsdis-kussion Bezug genommen. Eine weitere Bearbeitung erfolgte aufWunsch des Herausgebers der Zeitschrift Der Archivar und Präsidentendes Landesarchivs NRW, Wilfried Reininghaus.

36 Zusammengestellt nach Norbert Reimann: Die Sorge um die Archiveals Aufgabe der landschaftlichen Kulturpflege in Westfalen. In: Der Mär-ker. Landeskundliche Zeitschrift für den Bereich der ehem. Grafschaft Mark undden Märkischen Kreis, 45. Jahrgang, 1996, April–Juni, Heft 2.

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ter Linie für die kleinen und mittleren Städte, Gemeinden,Kirchengemeinden und sonstigen öffentlichen Körper-schaften, die keinen eigenen fachmännisch vorgebildetenArchivar im Hauptamt anstellen können, bestimmt ist,aber auch sonstigen Archivbesitzern zur Verfügungsteht“.37 Ihre Aufgaben sind wie folgt beschrieben: „kos-tenlose fachmännische Beratung, ... Bereisung sämtlichernichtstaatlichen Archive der Provinz, genaue Inaugen-scheinnahme, Anregung zur Abstellung von Missständen,nachdrückliche und planmäßige Förderung der von derHistorischen Kommission betreuten Bestandsaufnahmedieser Archive, Abhaltung von Archivpflegekursen“.38

Am 1. April 1929 folgte das Rheinland. In den preußischenProvinzen Pommern, Hannover und Sachsen wurdenebenfalls Archivberatungsstellen ins Leben gerufen. 1939fand der erste Westfälische Archivtag in Münster auf Ein-ladung der Archivberatungsstelle statt – ein Treffen der bisdahin ausgebildeten Archivpfleger.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führten die rückkehren-den Archivare der Archivberatungsstellen zunächstunzählig viele Sichtungen und Notmaßnahmen durch.Am 1. Januar 1958 nahm die nunmehr selbständigeArchivberatungsstelle für Westfalen ihre Arbeit auf. 1961erfolgte die Umbenennung in Landesamt für Archiv-pflege. Die Stadtarchive Nordrhein-Westfalens bildetenmit Unterstützung der Archivberatungsstellen 1960 eineArbeitsgemeinschaft am nordrhein-westfälischen Städte-tag. Ein maßgebliches Gremium zur Durchsetzung kom-munalarchivischer Vorstellungen! Seit 1964 wurden dieFachlehrgänge für Kommunal- und Kirchenarchivare aufLandesebene in Nordrhein-Westfalen ausgerichtet, umausgebildetes Personal für Kommunalarchive zur Verfü-gung zu haben (Stichwort: „Duisburger Lehrgänge“).Nach 1975, dem bis jetzt vorläufigen Ende der kommuna-len Neugliederung in Nordrhein-Westfalen, bemühtensich die Archivämter intensiv um die Einrichtung vonKreisarchiven.

Das aktuelle Aufgabenspektrum der Archivämterumfasst die Beratung bei der Einstellung geeigneten Per-sonals, die Auswahl und technische Ausstattung vongeeigneten Funktions- und Magazinräumen und die fach-liche Unterstützung von Ordnungs- und Erschließungsar-beiten. 1996 sind mehr als zwei Drittel der nordrhein-west-fälischen Kommunalarchive archivfachlich betreut. DasFazit bleibt dem gegenwärtigen Leiter des WestfälischenArchivamtes, Prof. Reimann, vorbehalten: „Die systema-tische nichtstaatliche Archivpflege hat ihren Ursprung inWestfalen, Idee und Grundsätze sind hier entstanden undwurden hier bis zur heutigen Ausformung fortentwickelt,wobei die Rheinprovinz bzw. der Landesteil Nordrheinweitgehend eine vergleichbare Linie verfolgte. Grundla-gen der nichtstaatlichen Archivpflege waren und sind:Einbindung in die kommunale Selbstverwaltung, fachli-che Kompetenz, Subsidiarität und Freiwilligkeit. Eine inVergleich zu anderen Bundesländern blühende Land-schaft an kommunalen und privaten Archiven ist dasErgebnis von 70 Jahren archivpflegerischer Arbeit, wobeiselbstverständlich auch hier noch viele weitere Schrittegetan werden müssen. Wenn in anderen Bundesländernüberhaupt nichtstaatliche Archivpflege betrieben wird, soerfolgt diese in der Regel durch die staatlichen Archivver-

37 Ebenda.38 Ebenda.

waltungen und kann dadurch der kommunalen Selbstver-waltung und den Besonderheiten der Archive in privaterTrägerschaft nur sehr viel weniger gerecht werden. DieMöglichkeiten der Archivpflege in Nordrhein-Westfalenergeben sich aus den Rahmenbedingungen der land-schaftlichen Kulturpflege, die den Landschaftsverbändenaufgegeben ist“.39 Hinweisen möchte ich noch darauf,dass die kommunale Archivpflege in Nordrhein-Westfa-len auch heute ausschließlich eine Angelegenheit derArchivämter ist. Die gesetzliche Grundlage bietet weiter-hin die Landschaftsverbandsordnung für das Land Nord-rhein-Westfalen vom 9. Mai 200040, in der unter § 5 (1b) diePflege und Förderung des Archivwesens den Landschafts-verbänden zugeschrieben ist. Die deutliche Trennung zwi-schen kommunalen und staatlichen Archiven führte zurHerausbildung zweier selbstständiger Archivwesen, dieeinander nur selten bedurften. Aus Sicht eines nordrhein-westfälischen Kommunalarchivs bedeutete dies, dass inder Regel eine Kontaktaufnahme zu den staatlichen Archi-ven als Benutzer oder als Partner bei Ausstellungenerfolgte. Die übrigen archivischen Fragestellungen wur-den beinahe ausschließlich in der kommunalen Gemein-schaft diskutiert.

ProblemfelderVor allem zwei Problemfelder, die Überlieferungsbildungdes Landesarchivs und die Überlassung staatlichenArchivguts an Kommunalarchive, werden zurzeit äußerstkontrovers zwischen Kommunalarchiven und dem neuenLandesarchiv diskutiert: Dem Landesarchiv wurdendurch das Landeskabinett enge Grenzen für die zukünf-tige Übernahme von Archivgut gesetzt. Jährlich dürfensomit im Mittel 1% des angebotenen Dokumentationsgu-tes bzw. 2,2 Regalkilometer übernommen werden. Um die-ser Vorgabe gerecht zu werden, setzt das Landesarchiv aufArchivierungsmodelle. Die gegenwärtige Diskussionerweckt den Anschein eines Aufeinandertreffens zweierÜberlieferungsphilosophien (Evidenz contra Inhalt).

Das Landesarchiv beabsichtigt bei den unteren Behör-den der Finanzverwaltung mittels einer Auswahlarchivie-rung der Massen Herr zu werden, dort sollen lediglich 51der 112 Finanzämter überliefert werden – ein möglicher-weise herber Verlust für die lokal- und regionalhistorischeForschung.41 Die Übernahme staatlichen Archivgutes inkommunale Archive stellt vor diesem Hintergrund einebenso großes wie altes Problem dar. Denn seit der Kontro-verse zwischen dem Leiter des Kreisarchivs Minden unddem zuständigen Ministerialreferenten auf dem 39. West-fälischer Archivtag 1987 in Minden wurde und wird dieserKonfliktpunkt bis heute – man beachte die Auseinander-setzung im Internet-Forum Bewertung im November200442 – zeitweise erregt diskutiert. Das LandesarchivNordrhein-Westfalen vertritt bis heute die Auffassung,dass die landrätlichen Akten staatlicher Provenienz ausder Zeit vor dem 1. 4. 1946 auch über diesen Zeitpunkt

39 Ebenda.40 Gesetz- und Verordnungsblatt für Nordrhein-Westfalen S. 471 ff. Freundli-

cher Hinweis von Hans-Jürgen Höötmann, Westfälisches ArchivamtMünster.

41 Vgl. a. http://www.archive.nrw.de/dok/publikationen/FinanzWork-shop.pdf.

42 http://www.forum-bewertung.de/beitraege/1030.pdf,http://www.forum-bewertung.de/beitraege/1031.pdf,http://www.forum-bewertung.de/beitraege/1032.pdf.

16 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

hinaus Eigentum des Staates geblieben sind, da es sich beiihnen um Unterlagen handelt, die beim Landrat als unte-rer staatlicher Behörde in Erfüllung staatlicher Aufgabenentstanden sind. Eine anders lautende Rechtsvorschriftbzw. Willenserklärung über den Eigentumsverlust bzw.-übergang fehlt. Die Abgabe originären staatlichen Schrift-gutes an Kommunalarchive ist undenkbar. Die nordrhein-westfälischen Kommunalarchive fordern demgegenübereinen flexibleren Umgang mit den rechtlichen Gegeben-heiten.43 Zum einen hat ein 2003 allerdings aufgehobenerRunderlass des Kultusministers vom 20. 8. 197344 die Leih-gabe archivwürdigen staatlichen Schriftgutes von örtli-cher Bedeutung an Kommunalarchive in bestimmten Fäl-len zugelassen. Zum anderen stellt die Begründung zu § 1Abs. 1 ArchivG NRW klar, dass die „Ablieferungspraxisunterer Landesbehörden (z. B. Oberkreisdirektoren alsuntere staatliche Verwaltungsbehörden, Schulämter), dieihre Unterlagen bisher regelmäßig an kommunale Archiveabgegeben haben“, von den Bestimmungen des ArchivGunberührt bleibe.45 Schließlich eröffnet § 4 Abs. 2 ArchivGNRW die Möglichkeit, bei Vorliegen eines fachlichenGrundes „staatliches Archivgut aufgrund eines schriftli-chen Verwahrungsvertrags in einem anderen hauptamt-lich fachlich betreuten Archiv“ zu verwahren. Warum die-ses Verfahren für nicht archivwürdige staatliche Unterla-gen rechtlich unzulässig sein sollte? Auf diese Frage derKommunalarchive blieb das Landesarchiv bis zur Stel-lungnahme von Professor Reininghaus eine Antwortschuldig.46

Eine enge Zusammenarbeit ist demgegenüber schonjetzt im Bereich des Archivportals www.archive.nrw.deund bei Fragen der Retrokonversion feststellbar. Danebenbieten anstehende Gesetzesreformen (Archivgesetz, Per-sonenstandsgesetzgebung) Möglichkeiten eines gemein-samen Vorgehens, damit alle archivischen Interessenberücksichtigt werden. Eine gedeihliche Kooperationkann auch auf nachstehenden Gebieten erwartet werden:Archivierung elektronischer Unterlagen, Webarchivie-rung und Ausbildungsfragen (FAMI, Archivfachwirt).

LösungsmöglichkeitenDie organisatorischen Veränderungen in der Struktur undin der Arbeitsweise des Landesarchivs führen die Kom-munalarchive in Nordrhein-Westfalen zu einer massivenNeuausrichtung der eigenen Arbeit. Eine Einflussnahmeauf die Archivierungsmodelle ist in Hinblick auf die Über-nahmequotierung als gering einzuschätzen, so dass nureine Kooperation mit dem Landesarchiv übrig bleibt. Vordiesem Hintergrund werden die ernstgemeinten Koopera-tionsangebote des Landesarchivs mit einer gewissen Skep-sis betrachtet.47 Einzig eine partnerschaftliche und effek-tive Kommunikation wird zukünftig die Lösung der drän-genden archivischen Probleme sicherstellen. Durch die

43 Die folgende Argumentationslinie folgt der Meinung von Axel Kop-petsch, der diese auf eigene Verantwortung publiziert hat. Vgl.http://www.forum-bewertung.de/beitraege/1032.pdf.

44 Ministerialblatt Nordrhein-Westfalen 1973, S. 1558.45 Landtagsdrucksache 10/3372, S. 13.46 Wilfried Reininghaus: Auch das Aufbewahren braucht klare Regeln.

In: Städte- und Gemeinderat 1–2/2005, S. 10–11.47 Vgl. z. B. Wilfried Reininghaus: Das Landesarchiv Nordrhein-Westfa-

len. Entstehung, interne Organisation, Aufgaben und aktuelle Ziele. In:Der Archivar, 57. Jg. Heft 4, S. 295–300 und Wilfried Reininghaus: Auchdas Aufbewahren braucht klare Regeln. In: Städte- und Gemeinderat1–2/2005, S. 10–11.

mittlerweile durchgängige Anbindung der Kommunalar-chive in Nordrhein-Westfalen an die kommunalen Spit-zenverbände kann der Kreis der Gesprächspartner für dasLandesarchiv gering gehalten werden. Ferner bieten dieWestfälischen Archivtage ein hinreichend großes Forumzur Diskussion.

Gute Erfahrungen hat das Kreisarchiv Siegen-Wittgen-stein mit einem Archivbesuch des kommunalen Archivar-beitskreises in der Regionalabteilung Münster gemacht.Eine noch bessere, allerdings für das Landesarchiv wohlkaum leistbare Anbindung stellt die Teilnahme von Mitar-beitern des Landesarchivs an den kommunalen Archivar-beitskreisen dar. Seit der Gründung des Arbeitskreises derArchive im Kreis Siegen-Wittgenstein im Jahr 2002 gehörtder ehrenamtliche Betreuer des Archives des evangeli-schen Kirchenkreises Wittgenstein, der zugleich Mitarbei-ter des Staatsarchivs Münster ist, dem Arbeitskreis an. Derhierdurch bedingte intensive Austausch ist für beide Sei-ten fruchtbar.

Podiumsdiskussion

Unter Leitung der Tagungspräsidentin Dr. IrmgardChrista Becker vertiefte eine Podiumsdiskussion die The-matik. Zunächst fassten die Referenten die Kernpunkteihrer Vorträge zusammen. Danach stellten Dr. Pia-MariaMaissen (Stadtarchiv Zürich) und Prof. Dr. HermannRumschöttel (Generaldirektion der Staatlichen ArchiveBayerns) als weitere Podiumsteilnehmer ihre Erfahrungenmit Verwaltungsreformen dar. Dr. Maissen schilderte dieSituation nach dem Zusammenschluss des Stadtarchivsmit dem Statistischen Amt der Stadt Zürich zum 1. 1. 2004.Als kleinerer Partner sei es schwierig, ein eigenes Profil zuwahren. Vor allem leide das Stadtarchiv darunter, dass dasneue Amt per „Gesetz“ durch den Leiter des StatistischenAmtes geführt werde. Die Archivleitung unterstehe damitder Weisungskompetenz des Amtsleiters und sei von derKommunikation mit den vorgesetzten Behörden abge-schnitten. Anstatt der politisch gewollten Synergien undEffizienzsteigerungen seien mehr Bürokratie und längereAmtswege die Folge. Prof. Dr. Rumschöttel verwies imAnschluss auf die Vorteile der bayerischen Lösung, die derRechnungshof dank der Unterstützung durch das Minis-terium anerkannt habe. Leitlinie der Archivorganisationsei das ausgewogene Verhältnis von Zentralität undDezentralität. Der Generaldirektion als Landesmittelbe-hörde für die Grundsatzaufgaben stünden die Staatsar-chive in den Regierungsbezirken sowie das Hauptstaats-archiv in München gegenüber. Bemerkenswert am bayeri-schen Modell sei zudem die starke Vernetzung des staatli-chen mit dem nicht-staatlichen Archivwesen. Abschlie-ßend würdigte Prof. Dr. Rumschöttel die Reform in Nord-rhein-Westfalen als positive Entwicklung, wogegen dieVerwaltungsreform in Baden-Württemberg kritischer zubeurteilen sei. Während in Nordrhein-Westfalen die Bil-dung des Landesarchivs den tatsächlichen Reformstauaufgelöst habe, habe die Archivverwaltung Baden-Würt-temberg strukturell und inhaltlich seit Jahrzehnten bun-desweit Vorbildcharakter gehabt; hier sei bei einer zu star-ken Zentralisierung eher ein Rückschritt zu befürchten.

17Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Auf die Frage von Dr. Becker nach den künftigen For-men der Zusammenarbeit im Landesarchiv betonte Dr.Kretzschmar, dass sie im Workshop mit der Führungs-akademie weitgehend geklärt worden seien. Jetzt sei eswichtig, die Ergebnisse ernst zu nehmen und umzusetzen.Zu nennen seien die Funktion der Abteilungsleiterkonfe-renz sowie die Gleichrangigkeit der Abteilungen im ein-stufigen Landesarchiv. In der nächsten Zeit müsse zuerstgeklärt werden, wie die Sparauflage des Landes erbrachtwerden könne. Dazu würden in der weiteren Umsetzungdes mit der Führungsakademie erarbeiteten Masterplansderzeit die Arbeitsabläufe und Standards im Landesarchivkritisch überprüft. So sei z. B. zu klären, welcher Standardder Erschließung noch zugrunde gelegt werden könne.Abschließend betonte er die Bedeutung des von der Lan-desarchivdirektion und den Leitern der Staatsarchivedurchgeführten Workshops mit der FührungsakademieBaden-Württemberg für die Ausgestaltung des Landesar-chivs, da man dort konsensual wichtige Grundelementefür die Neuausrichtung der Archivverwaltung erarbeitethabe. Diesen Punkt aufgreifend verwies auch Dr. Black-Veldtrup auf die Chancen dieser Seminare, die in Nord-rhein-Westfalen gleichfalls durchgeführt werden.

Bezugnehmend auf die finanziellen Aspekte der Ver-waltungsreform in Baden-Württemberg schilderte HerrWaßner anschließend, dass die Kreisarchive ungeachtetder erheblich gewachsenen Aufgaben keine zusätzlichenLandesmittel erhalten würden. Weitere Gelder könntendie Archive daher bestenfalls aus der Kostenerstattungdes Landes für die Kreise bekommen; ob dies gelinge,hänge aber vom Verhandlungsgeschick der Archivare ab.Auf die Frage nach der idealen Kooperation zwischenLandesarchiv und Kreisarchiven in Nordrhein-Westfalennannte Herr Wolf die bessere Nutzung bestehender Gre-mien, die Mitarbeit staatlicher Archivare in lokalenArchivarbeitskreisen, die Möglichkeit zu häufigeren Besu-chen in den staatlichen Archiven und eine höhere Kom-munikationsdichte.

Für Bayern berichtete Prof. Dr. Rumschöttel, dass esmit Verweis auf die höheren Arbeitslasten durch die Ver-waltungsreform bisher gelungen sei, Personaleinsparun-gen zu vermeiden. Ihm leuchte der Zusammenhang zwi-schen einer Neustrukturierung der Verwaltung und denpostulierten Synergieeffekten ohnehin nicht ein. Vielmehrseien derartige Maßnahmen in erster Linie von Sparzielengeleitet – eine Aussage, die lebhafte Zustimmung fand. Dr.Maissen wies darauf hin, dass Synergieeffekte oft ausblie-ben, weil sich die Kompetenzen zusammengeschlossenerAbteilungen nicht sinnvoll ergänzten, was sich am Bei-spiel ihres eigenen Amtes zeige.

Die Diskussion wurde nun für alle Teilnehmer geöffnet.Auf die Frage, wo im Landesarchiv Nordrhein-Westfalendie Bewertung angesiedelt sei, berichtete Dr. Black-Veld-trup, diese werde weiterhin in den einzelnen Staatsarchi-ven vorgenommen. Nur die Kontrolle, ob die Bewertungs-modelle auch angewendet würden, liege bei der Zentrale.Den Berichten aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Würt-temberg stellte Prof. Dr. Battenberg (Staatsarchiv Darm-stadt) als geschäftsführender Direktor der hessischenStaatsarchive die Situation in Hessen gegenüber. Bei derEinführung der Kosten-Leistungs-Rechnung sei man denanderen Ländern in der Entwicklung voraus. Eine Eröff-nungsbilanz werde in Kürze vorgelegt. Als Vorbedingungder Einführung des betriebswirtschaftlichen Rechnungs-

wesens sei in Hessen ein Verwaltungsverbund aus denStaatsarchiven, dem Landesamt für geschichtliche Lan-deskunde und der Landesbibliothek gebildet worden, derfür alle archivischen und bibliothekarischen Belangezuständig sei. Eine die Einrichtung eines Landesarchivsbeinhaltende Verwaltungsreform werde bisher intern imWissenschaftsministerium diskutiert, angestoßen durchdie Veränderungen in anderen Bundesländern.

Der Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg,Prof. Dr. Schöntag, bestätigte die Einschätzung Prof. Dr.Rumschöttels, das Verwaltungsstruktur-Reformgesetzsei in erster Linie vom Sparwillen der Landesregierungbestimmt gewesen. Die Reform sei von oben verordnetworden. Dabei habe man häufig auf vorherige Reforman-strengungen der Behörden und gut eingespielte Struktu-ren wenig Rücksicht genommen, wie auch das Beispiel desLandesdenkmalamts verdeutliche. Über die Archivver-waltung sei nach politischen Gesichtspunkten entschie-den worden. Er befürchte ferner, dass unter dem Druckder sich weiter verschärfenden Finanzlage in allen Län-dern die Reformbestrebungen und damit auch Einspar-maßnahmen andauern würden. Er schloss mit der Frage,wie ein gemeinsames Auftreten der Archivverwaltungengegen derartige Pläne aussehen könnte.

Prof. Dr. Csendes (Wiener Stadt- und Landesarchiv)schilderte die Lage in Österreich, wo er wie in DeutschlandBemühungen ausmachte, Verwaltungen in Konzerne zuverwandeln. Dies schlage sich vor allem in Personalein-sparungen und neuen Steuerungsinstrumenten nieder, diedas „Kerngeschäft“ beeinträchtigten. Betroffen sei vorallem das Österreichische Staatsarchiv, während die Lagein den Bundesländern unterschiedlich sei. Während dieUmsetzung der Reform vor allem Arbeit bringe, sei manzugleich zu mehr Grundsatzarbeit gezwungen. Dies seinach seiner Ansicht das einzige, was von der Reform blei-ben werde.

Dr. Rechter (Staatsarchiv Nürnberg) verwies darauf,dass prinzipiell der Primat der Politik auch von den Archi-varen anerkannt werden müsse. Allerdings habe man dasRecht und die Pflicht, Fehlentwicklungen zu benennen. Erbedauerte insbesondere, dass die Politik die vorbildlichenReformleistungen der baden-württembergischen Archiv-verwaltung im Vorfeld der Verwaltungsreform nichtgenügend gewürdigt habe. Ferner hob er hervor, dass dieEinbeziehung der Mitarbeiter für das Gelingen jederReform wichtig sei.

Prof. Dr. Rumschöttel betonte, dass man auf Einspa-rung zielenden Reformmaßnahmen nur mit Aufgabenkri-tik begegnen könne. Als deren Ergebnis dürfe man sichnicht auf die archivischen Kernaufgaben beschränken,sondern müsse weiterhin historisch-politische Bildungs-arbeit betreiben. Allein auf diesem Wege sei es möglich,die Politik für die Archive zu gewinnen. Die vor einigerZeit von archivischer Seite geforderte Beschränkung aufdie Kernaufgaben und die Diskussion über die Berechti-gung archivischer Bildungsarbeit müsse man vor demHintergrund der eingetretenen Entwicklung als unglück-lich und kontraproduktiv betrachten. Dazu stellte Dr.Maissen heraus, dass das Argument, in den Archivenkönnten bestimmte Aufgaben nicht mehr geleistet wer-den, Verwaltung und Politik nicht dazu bringe, die perso-nellen Spielräume der Archive zu erweitern. Vielmehrbefürchte sie, dass dies zum Anlass genommen werde,

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bestimmte Aufgaben der Archive für überflüssig zu erklä-ren.

Prof. Dr. Battenberg sprach sich deshalb für ein aktivespolitisches Vorgehen der Archive aus. Man müsse sich denSachgesetzlichkeiten der Politik nicht beugen. Dann wür-den die Reformen auch Chancen bieten. Lobbyarbeit seigefragt, um auf die Politik Einfluss nehmen zu können.Die Archive sollten ihre Kompetenzen offensiv vertreten.Dr. Wichers (Staatsarchiv Basel-Stadt) unterstützte die-sen Beitrag, indem er feststellte, die Politik entscheide überden Leistungsumfang der Archive. Allerdings sei Ein-flussnahme notwendig, wobei hier vielfach eine Muse-umsnacht mehr Wirkung erzielen könne als die kontinu-ierliche Erfüllung der Kernaufgaben.

Dr. Müller (Stadtarchiv Stuttgart) verwies auf dasParadoxon, dass „Reformstau“ positivere Folgen habenkönne als eine permanente Reform, was die BeispieleNRW und Baden-Württemberg deutlich demonstriert hät-ten. Ferner bedauerte er, dass auch in Deutschland vieleKommunalarchive in einer ähnlichen Situation wie dasStadtarchiv Zürich seien, da sie als unselbstständigeAbteilungen des Kulturamtes firmierten. Anschließendwies er darauf hin, dass die Archive die bisherige Praxisder Bewertung überdenken müssten. Vor dem Hinter-grund, dass Kommunalarchive künftig zahlreicheBestände aus zuvor staatlicher Provenienz erhielten, seienBewertungsentscheidungen gegenseitig zu berücksichti-gen und nicht nur vom einzelnen Archiv zu treffen. Diesaufgreifend problematisierte auch Dr. Hochstuhl (Lan-desarchiv BW), dass die Staatsarchive viele Unterlagen,die für Kommunalarchive interessant sein könnten, als zuvernichten eingestuft hätten. Dem entgegnete Herr Waß-ner, dass bei den V-Vermerken relativ leicht eine Einigungzu erzielen sei. Viel Arbeit bereiteten den Kommunalarchi-ven vor allem die Unterlagen, die mit B-Vermerken als imeinzelnen zu bewerten eingestuft seien. Dr. Black-Veldtrupwandte sich anschließend an Herrn Wolf und äußerte dieHoffnung und Zuversicht, dass in wenigen Jahren in NRWein ähnlich entspanntes Verhältnis zwischen Staats- undKreisarchiven herrschen werde wie in Baden-Württem-berg. Auch sie sprach die Bewertung an und betonte dieNotwendigkeit einer intensiven Abstimmung. Daraufhinstellte Dr. Kretzschmar die Vorteile der frühzeitigen ge-meinsamen Erarbeitung von Bewertungsmodellen durchStaats- und Kreisarchive in Baden-Württemberg heraus.Gerade im Licht der Verwaltungsstruktur-Reform werdedies deutlich, da ihre Auswirkungen auf die Archive ohnediese im Rahmen der vertikalen und horizontalen Bewer-tung erarbeiteten Modelle kaum zu verkraften wären. Dasbestätigte Herr Waßner nachdrücklich und ergänzte, dasses ansonsten zu merklichen Überlieferungsverlustengekommen wäre. Dr. Kretzschmar betonte, dass die staat-lichen Archive bei der Bewertung kommunale Belange imBlick haben und diese in die entsprechenden Bewertungs-dokumentationen eingehen sollen. In Baden-Württem-berg habe sich die Zusammenarbeit zwischen kommuna-len und staatlichen Archiven gut eingespielt. VorherigeWortmeldungen aufgreifend betonte Herr Wolf, dass dieKommunalarchive selbst keine Bewertungskompetenz

beanspruchten, sondern sich lediglich eine stärkereBerücksichtigung der kommunalen Belange bei der Über-lieferungsbildung in den Staatsarchiven wünschten. Dieweniger intensive Kooperation zwischen Kommunal- undStaatsarchiven in NRW sei auch in der traditionell engenZusammenarbeit der dortigen Kommunalarchive unterei-nander begründet.

Auf die Frage von Dr. Becker nach den Möglichkeiteneiner Kooperation zwischen den beiden Archivtypen imBereich der Erschließung verwies Dr. Kretzschmar auf diepositiven Wirkungen, die man mit einer benutzerorien-tierten Zusammenführung der Online-Findmittel vonKommunal- und Staatsarchiven erzielen könne. Dr. Chris-tof Strauß (Landesarchiv BW) stellte ein Projekt desStaatsarchivs Freiburg vor, in dem für das BezirksamtOffenburg genau diese Online-Zusammenführung vonErschließungsleistungen des Staatsarchivs und des Kreis-archivs Offenburg getätigt werde. Schon jetzt seien posi-tive Wirkungen für den archivübergreifenden Zugang zuden Unterlagen zu erkennen. Auch Dr. Nicole Bickhoff(Landesarchiv BW) hielt solche Projekte angesichts derengen Verzahnung der Bestände für sinnvoll.

Angesprochen auf die Möglichkeiten einer Lobbyarbeitgegenüber der Politik erinnerte Herr Wolf daran, dassviele Kommunalarchivare keinen direkten Kontakt zurPolitik haben und der Versuch, mit dieser in direkte Bezie-hung zu treten, negativ bewertet werden könne. AuchHerr Waßner mahnte in diesem Zusammenhang zu einergewissen Vorsicht, wobei er allerdings zugleich die großeBedeutung persönlicher Kontakte zur Politik hervorhob,die sehr positive Folgewirkungen zeitigen könnten. Frei-lich sei zu bedenken, dass im staatlichen Bereich derAbstand zur Politik zumeist wesentlich größer sei als inden Kommunen, weswegen sich hier eine Einflussnahmeschwieriger gestalte. Dr. Maissen, die keine institutionali-sierte direkte Berührung mehr zur Verwaltungsspitze hat,betonte ebenfalls die Bedeutung persönlicher Kontakteund warnte vor einer übertriebenen Scheu vor Lobbyar-beit. Auch Dr. Hochstuhl forderte dazu auf, mit den Leis-tungen der Archive „archivische Interessenpolitik“ zubetreiben. Dr. Ernst Otto Bräunche (Stadtarchiv Karls-ruhe) forderte dazu auf, die Reputation des Archivs selbst-bewusst zu nutzen. Die Diskussion endete mit einemStatement von Prof. Dr. Battenberg, der als mögliche Stra-tegien zur erfolgreichen Einflussnahme auf die Politik denAuf- und Ausbau persönlicher Beziehungen, die Versuchezur Thematisierung archivischer Anliegen im Parlamentund die öffentlichkeitswirksame Darstellung der eigenenLeistungen nannte. Widerstand gegen Archivinteressensei im Übrigen weniger von der Politik als von der Minis-terialbürokratie zu erwarten.

Der Archivtag schloss mit dem Dank des Geschäftsfüh-renden Präsidenten Dr. Kurt Hochstuhl an alle Beteiligtenund mit der Einladung zum 66. SüdwestdeutschenArchivtag, der am 23./24. Juni 2006 in Karlsruhe stattfin-den wird.

StuttgartAxel Metz, Ulrich Schludi, Stefan Sudmann, Protokoll

19Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Archivgut als bewegliches Kulturgut

Ziele einer Reform des Kulturgutschutzrechts aus derPerspektive der Archivverwaltungen des Bundes undder Länder – ein Positionspapier. Einführung und Text-abdruckVon Udo SchäferEinführungAuf dem 70. Deutschen Archivtag in Weimar fand am23. September 1999 eine Podiumsdiskussion zu demThema „Kulturgutschutz und Archive“ statt.1 In seinemStatement2 stellte der Verfasser Anforderungen an dieReform des deutschen Kulturgutschutzrechts aus archivi-scher Perspektive vor. Bereits auf dem 69. DeutschenArchivtag in Münster hatte der Verfasser in einem Vortrag3

vor der Fachgruppe 4 (Archivare an Herrschafts-, Fami-lien- und Hausarchiven) des Vereins deutscher Archivaream 1. Oktober 1998 die Defizite des deutschen Kulturgut-schutzrechts dargelegt. Auch der 72. Deutsche Archivtagin Cottbus im Jahre 2001 griff mit einem Vortrag vonMichael Silagi4 ein Thema auf, das sich dem Kulturgüter-recht im weiteren Sinne zuordnen lässt. Schließlich veran-staltete die Arbeitsgruppe „Archive und Recht“ derArchivreferentenkonferenz des Bundes und der Länder(ARK) am 19. November 2004 vor dem 38. Lehrgang deshöheren Archivdienstes der Archivschule Marburg wie-der eine Podiumsdiskussion zum Kulturgutschutzrecht.Eine Einführung in das Thema boten die in diesem Heftveröffentlichten Vorträge von Klaus Oldenhage, Vize-präsident des Bundesarchivs, und Kerstin Odendahl,Professorin für Völker- und Europarecht an der Universi-tät St. Gallen.5

Bereits im Jahre 1998 entwickelte Klaus Oldenhage6

eine Lösung für das Problem der Widmung öffentlichenArchivguts zu nationalem Kulturgut. Die Grundlage, aufder das öffentliche Archivgut unter Schutz zu stellen sei,müsse die auf dem Provenienzprinzip beruhende Zustän-digkeit der öffentlichen Archive bilden. Normen des Kul-turgutschutzrechts finden sich auf der völkerrechtlichen,der europarechtlichen und der nationalen Ebene. In ihrer

1 Kulturgutschutz und Archive. In: Archive und Kulturgeschichte. Refe-rate des 70. Deutschen Archivtags, 21.–24. September 1999 in Weimar(Der Archivar, Beiband 5), Siegburg 2001, S. 249–263.

2 Udo Schäfer, Statement. In: Archive und Kulturgeschichte. Referatedes 70. Deutschen Archivtags, 21.–24. September 1999 in Weimar (DerArchivar, Beiband 5), Siegburg 2001, S. 253–256.

3 Udo Schäfer, Kulturgutschutz im Wandel? In: Der Archivar 52 (1999),S. 233–240.

4 Michael Silagi, Die Zuordnung von Archiven bei Wechsel von Gebiets-hoheiten im Lichte der Staatennachfolgekonvention von 1983. In:Archive und Herrschaft. Referate des 72. Deutschen Archivtages 2001 inCottbus (Der Archivar, Beiband 7), Siegburg 2002, S. 135–152. – Vgl.ders., Staatennachfolge und Archive mit besonderer Berücksichtigungder archivbezogenen Regelungen der Wiener Konvention vom 8. April1983 über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden vonStaaten. In: Archivalische Zeitschrift 85 (2003), S. 9–84.

5 Rainer Polley, Arbeitsgruppe „Archive und Recht“ der Archivreferen-tenkonferenz am 19. November 2004 in der Archivschule Marburg. In:Forum. Newsletter der Archivschule Marburg, Heft 23, Dezember 2004,S. 10 f.

6 Klaus Oldenhage, Archivgut als Gegenstand des Kulturgutschutzes.In: Reinhard Mußgnug/Gerd Roellecke (Hg.), Aktuelle Fragen desKulturgüterschutzes. Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgut-schutzgesetzes 1955 und seine Angleichung an den europäischen Kul-turgüterschutz (Motive – Texte – Materialien 79), Heidelberg 1998, S. 52 f. –Vgl. Udo Schäfer, wie Anm. 3, S. 238 f.

beeindruckenden, im Jahre 2005 veröffentlichten Habilita-tionsschrift hat Kerstin Odendahl7 die Dogmatik einesebenenübergreifenden Normensystems des Kulturgut-schutzes herausgearbeitet. „Unter einem ebenenübergrei-fenden Normensystem ist die auf ein bestimmtes Staatsge-biet bezogene Gesamtheit der ineinandergreifenden Nor-men verschiedener Ebenen zu verstehen“.8 Das Lösungs-potential der ebenenübergreifenden Dogmatik sowohl delege lata als auch de lege ferenda ist erheblich.

Hervorzuheben ist, dass die Forschung zum Kulturgut-schutzrecht in den letzten Jahren einen beträchtlichen Auf-schwung erfahren hat. Anette Hipp9 bietet eine umfas-sende Einführung in das Recht des Kulturgutschutzes aufder Ebene der Bundesrepublik Deutschland und der Euro-päischen Union. Rechtsvergleichend haben sich AmalieWeidner10 und Marc Weber11 mit der Einstufung vonKulturgütern als res extra commercium befasst. Eine derExtrakommerzialität unterliegende Sache ist unfähig,Gegenstand des Rechtsverkehrs zu sein. Die Extrakom-merzialiät stellt eine mit der Sache selbst unmittelbar undauf Dauer verbundene Eigenschaft dar. Sie setzt sich ausden beiden Komponenten der Unveräußerlichkeit und derUnverjährbarkeit zusammen. Anders als Deutschland stu-fen zum Beispiel Frankreich und Italien bestimmte öffent-liche Kulturgüter als res extra commercium ein, indem sie siedem domaine public oder dem demanio pubblico zuordnen.Nach dem kollisionsrechtlichen Prinzip der lex rei sitae istaber auf den Erwerb des Eigentums an beweglichenSachen das Recht des Staates anzuwenden, in dem diebeweglichen Sachen belegen sind. Der dingliche Status derExtrakommerzialität lässt sich deshalb bei der Veräuße-rung illegal ausgeführter Kulturgüter im Ausland in derRegel nicht aufrechterhalten. De lege lata bestehende undde lege ferenda vorgeschlagene Regeln des Völkerrechts zurRestitution illegal ausgeführter Kulturgüter sind von Ste-fan Turner12 untersucht worden. Jörg Sprecher13 hat dasVerhältnis zwischen Einschränkungen des Handels mitprivaten Kulturgütern zum Schutz des nationalen kultu-rellen Erbes und der verfassungsrechtlichen Garantie desEigentums einer komparatistischen Analyse unterzogen.

Auf die Ratifikation14 zweier völkerrechtlicher Verträgezum Schutz des kulturellen Erbes hat die BundesrepublikDeutschland bisher verzichtet. Es handelt sich bei diesen

7 Kerstin Odendahl, Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur undDogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems (Jus Publicum140), Tübingen 2005.

8 Kerstin Odendahl, wie Anm. 7, S. 237.9 Anette Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland (Schriften zum

Kulturgüterschutz), Berlin, New York 2000.10 Amalie Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internatio-

nalen Sachenrecht (Schriften zum Kulturgüterschutz), Berlin, New York2001.

11 Marc Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und interna-tionalen Rechtsverkehr (Schriften zum Kulturgüterschutz), Berlin, NewYork 2002.

12 Stefan Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhrvon Kulturgütern. Eigentumsordnung und völkerrechtliche Zuordnung(Schriften zum Kulturgüterschutz), Berlin, New York 2002.

13 Jörg Sprecher, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und dieEigentumsgarantie (Schriften zum Kulturgüterschutz), Berlin 2004.

14 Vgl. zum Verfahren des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge MichaelSchweitzer, Staatsrecht III. Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Hei-delberg 72000, S. 49–68.

20 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Verträgen um das UNESCO-Übereinkommen über Maß-nahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigenEinfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vom14. November 197015 und das UNIDROIT16 – Übereinkom-men über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kul-turgüter vom 24. Juni 1995.17 Der UNIDROIT-Konventionim Rahmen des internationalen Kulturgutschutzes hatBettina Thorn18 eine umsichtige Studie gewidmet.

In seinem Vortrag auf dem 69. Deutschen Archivtag inMünster im Jahre 1998 hatte der Verfasser hervorgehoben,dass die Rechtswissenschaft und die Kulturverwaltungenvor der Aufgabe stünden, sich um eine Reform des deut-schen Kulturgutschutzrechts zu bemühen.19 Die bisheri-gen Ausführungen lassen erkennen, dass die Rechtswis-senschaft bereits einen erheblichen Beitrag zu dieserReform geleistet hat. Für die 16. Legislaturperiode desDeutschen Bundestages sieht der Koalitionsvertrag zwi-schen CDU, CSU und SPD die Ratifikation der UNESCO-Konvention vom 14. November 1970 vor.20 Auf die Initia-tive der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur undMedien und des Hessischen Ministeriums für Wissen-schaft und Kunst hin bemühen sich die für den Schutz desKulturguts zuständigen obersten Bundes- und Landesbe-hörden seit dem Jahre 2005 nicht nur um eine bessereKooperation zwischen den Kulturgutschutzbehörden, derPolizei und dem Zoll, sondern auch um Änderung undErgänzung der Rechtsvorschriften zum Kulturgutschutz.Die UNESCO-Konvention vom 14. November 1970 solltenoch in der 15. Legislaturperiode ratifiziert werden. DieArchivreferentenkonferenz des Bundes und der Länderhat bereits auf ihrer 89. Sitzung in Weimar am 21. Septem-ber 1999 die nachfolgend abgedruckten „Ziele einerReform des Kulturgutschutzrechts aus der Perspektiveder Archivverwaltungen des Bundes und der Länder“beschlossen. Sie wurden von der von 1997 bis 2001 beste-henden ARK-Arbeitsgruppe „Kulturgutschutzrecht“ ent-wickelt. Die Ziele beruhen insbesondere auf den Erkennt-nissen, die in dem Rechtsstreit um das Typar des viertenHamburgischen Staatssiegels gewonnen wurden. HansWilhelm Eckardt21 hat die Vorgeschichte und die Ge-schichte dieses Rechtsstreits nachgezeichnet. In die aktuel-len Bemühungen um Änderung und Ergänzung derRechtsvorschriften zum Kulturgutschutz sind die Zielevon der ARK-Arbeitsgruppe „Archive und Recht“ einge-bracht worden. Der Entwurf der Ziele lag schon dem State-ment des Verfassers auf dem 70. Deutschen Archivtag inWeimar im Jahre 1999 zugrunde.

15 Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the IllicitImport, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (URL:http://www.unesco.org. Abruf: 23. 11. 2004).

16 Vgl. zum Internationalen Institut für die Vereinheitlichung des Privat-rechts (UNIDROIT) Herbert Kronke, Ziele – Methoden, Kosten – Nut-zen: Perspektiven der Privatrechtsharmonisierung nach 75 Jahren UNI-DROIT. In: Juristenzeitung 56 (2001), S. 1149–1157.

17 UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects.In: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 95 (1996), S. 203–213.

18 Bettina Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention (Schriften zum Kulturgüterschutz), Berlin 2005.

19 Udo Schäfer, wie Anm. 3, S. 240.20 Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit. Koalitions-

vertrag zwischen CDU, CSU und SPD – 11. 11. 2005, S. 114 (URL:http://www.bundesregierung.de. Abruf: 29. 11. 2005).

21 Hans Wilhelm Eckardt, Stationen eines Stempels. Historische undarchivarische Anmerkungen anlässlich des juristischen Streites um dasIV. Hamburgische Staatssiegel (Vorträge und Aufsätze 31), Hamburg 1995.

Textabdruck

Eine Reform des deutschen Kulturgutschutzrechts ist ausder Perspektive der Archivverwaltungen des Bundes undder Länder unabdingbar. Vor dem Verlust des Verfügungs-rechts an Archivgut, das einem öffentlichen Archiv entzo-gen worden ist, wird der Träger des Archivs bisher nichthinreichend geschützt. Außerdem kann die Bundesrepu-blik Deutschland den sich aus der Richtlinie 93/7/EWGdes Rates vom 15. März 1993 ergebenden Anspruch aufRückgabe von Kulturgut in ihr Hoheitsgebiet nicht gel-tend machen, wenn öffentliches Archivgut in einen ande-ren Mitgliedstaat der Europäischen Union verbracht wor-den ist, weil das deutsche Recht öffentliches Kulturgutnicht als nationales Kulturgut einstuft. Deshalb sollen beieiner Reform die folgenden Ziele verfolgt werden:1. Das öffentliche und das private Kulturgut sollen

geschützt werden.2. Bewegliche Sachen und Sachgesamtheiten, die kultu-

rellen Wert besitzen und von einer öffentlichen Einrich-tung verwahrt werden, sollen durch eine Widmung alsöffentliches Kulturgut eingestuft werden.a) Die Widmung soll in der Regel durch Verwaltungsakt

in der Form der Inventarisierung oder der Kenn-zeichnung erfolgen.

b) Die Widmung von Unterlagen, die bei einer öffentli-chen Stelle entstanden und von dem zuständigenöffentlichen Archiv in Erfüllung seiner gesetzlichenAufgaben übernommen worden sind, soll aber durchGesetz erfolgen.

3. Die Widmung soll durch rechtsgeschäftliche Verfügun-gen oder Verfügungen im Wege der Zwangsvollstre-ckung nicht berührt werden.

4. Das öffentliche Kulturgut soll in besonderer Weisegeschützt werden, indema) der gutgläubige Erwerb (§§ 932, 933, 934, 935 Abs. 2,

937 BGB) ausgeschlossen wird,b) der Erwerb durch Zwangsvollstreckung in das

bewegliche Vermögen des Nichtberechtigten (§ 814ZPO) verhindert wird,

c) der Anspruch auf Herausgabe nach § 985 BGB nichtverjährt und

d) ein öffentlich-rechtlicher Herausgabeanspruch ge-schaffen wird, der von der öffentlichen Einrichtung,der das Kulturgut entzogen worden ist, selbst ineinem Verwaltungsvollstreckungsverfahren durch-gesetzt werden kann und der nicht der Verjährungunterliegt.

5. Das öffentliche und das private Kulturgut sollen alsnationales Kulturgut eingestuft werden.Für die Archivierung der Unterlagen einer öffentlichen

Stelle ist ein bestimmtes öffentliches Archiv zuständig. DieZuständigkeit richtet sich nach dem Provenienz- und demStandortprinzip. In einer öffentlichen Stelle entstandeneUnterlagen können also einem bestimmten öffentlichenArchiv zugeordnet werden. Deshalb kann die Widmungin einer öffentlichen Stelle entstandener und von demzuständigen öffentlichen Archiv übernommener Unterla-gen zu öffentlichem Kulturgut durch Gesetz erfolgen. BeiArchivgut kann eine Beständegruppe, ein Bestand odereine Akte eine Sachgesamtheit darstellen. Die Kriterien,die den Nachweis ermöglichen, dass einzelne Teile zureiner bestimmten Sachgesamtheit gehören, entsprechendenen, die es erlauben, Archivgut einem bestimmten

21Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

öffentlichen Archiv zuzuordnen (vgl. LG Stuttgart, Urteilvom 22. Dezember 1993, Gz.: 15 O 429/92). Das Archivgut,das vor dem Inkrafttreten des Gesetzes übernommen wor-den ist, würde im Zeitpunkt des Inkrafttretens, dasArchivgut, das nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über-nommen wird, würde im Moment der Übernahme gewid-met.

Allerdings bedürfen das Archivgut, das bei einer natür-lichen Person oder einer juristischen Person des privatenRechts entstanden ist und von dem Träger eines öffentli-chen Archivs erworben worden ist, sowie das Sammlungs-gut der Widmung durch Verwaltungsakt.

Archivgut als Gegenstand des KulturgutschutzesVon Klaus OldenhageVor zwei Jahren hätte ich diesen Beitrag anders eingeleitetals heute. Gerd Schneider forderte inzwischen in einemAufsatz im Archivar aus betriebswirtschaftlicher Sicht dieEinstellung der Neubauten für Archive und eine im Übri-gen in der Substanz nicht einmal ansatzweise erläuterteÄnderung der Archivgesetze1; dies verpflichtet mich zuder jetzigen Einleitung. Schneiders Forderung fand anläss-lich einer Veranstaltung zum 50-jährigen Bestehen desStaatsarchivs Leipzig die ausdrückliche Unterstützungdes ehemaligen Leiters der gastgebenden Archivverwal-tung. Seitdem trete ich mit allem Nachdruck bei jederGelegenheit auch öffentlich dafür ein, dass alle Archiva-rinnen und Archivare zunächst einmal für eine ausrei-chende finanzielle Ausstattung ihrer Archive kämpfenund damit ihrer Sicherungspflicht für das ihrer Obhutanvertraute Kulturgut genügen. Wir sollten uns auch nichtwiderspruchslos als Erdhörnchen belächeln lassen; denn –ich wiederhole das in Leipzig gebrauchte Bild – Erdhörn-chen gehören zu Gottes Schöpfung wie Archivare in dieöffentliche Verwaltung.2 Unterstellen wir wenigstens fürdie Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen, dass wir zudiesem Kampf auch in Zukunft bereit sind und insbeson-dere – nicht erst nach dem Brand in Weimar – gerade fürneue Zweckbauten überall dort eintreten, wo sie erforder-lich sind. Dies gilt angesichts der Folgekosten gerade ausbetriebswirtschaftlicher Sicht. Wenn nicht, brauchen wiruns um Kulturgutschutz nicht mehr zu kümmern.

Die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtsstützt unsere Position. Das Urteil vom 15. Dezember 1983zum Volkszählungsgesetz3 kann oder muss so interpre-tiert werden, dass Regelungen, die darauf hinauslaufen,aus fachfremden – z. B. finanziellen oder betriebswirt-schaftlichen – Gründen den Zulauf von Archivgut durchEinschränkung der Anbietungs- und Übergabeverpflich-tung oder des Erwerbsrechts zu begrenzen, im Wider-spruch zu diesem Urteil stehen und damit verfassungs-rechtlich nicht vertretbar sind. Es gibt ein zweites Urteil, indiesem Falle des Bundesgerichtshofes4, das wir kennensollten: Archivbestände, soweit durch Verzeichnisse und

1 Gerd Schneider, „Archivare aufgewacht!“ – Anmerkungen einesExternen zur gegenwärtigen Situation im deutschen Archivwesen, in:Der Archivar 57 (2004), S. 37 ff.

2 Klaus Oldenhage, Historische Quellen und soziale Verpflichtung: Vonder Arbeit der Archive bei der Aufarbeitung der deutschen Diktaturendes 20. Jahrhunderts, in: Archive und Gesellschaft – 50 Jahre SächsischesStaatarchiv Leipzig, hrsg. vom Sächsischen Staatsministerium desInnern, 2004, S. 53–63.

3 BVerfGE 65, 1 ff.4 BGHZ 76, S. 216, 220.

Findmittel erfasst, repräsentieren einen Wert, der dieSumme der Werte übersteigt, den die darin zusammenge-fassten Archivalien einzeln haben. Stiehlt jemand einzelneUnterlagen aus dieser Einheit oder entnimmt er Archiva-lien und ordnet sie an willkürlich gewählter Stelle ander-wärts wieder ein, greift er dadurch in das Eigentums desArchivträgers ein und wird nach § 823 Abs. 1 BGB scha-denersatzpflichtig.5 Diese Urteile sind wertvolle Beiträgezum Kulturgutschutz, lösen aber natürlich nicht alle ein-schlägigen Probleme.

Der fachliche Grundsatz, dass amtliche Archivaliendurch private Materialien zu ergänzen sind, ist festerBestandteil der deutschen Archivtradition, deren Wert bis-her nicht ernsthaft bestritten worden ist6. Damit bleibt unsallen die Aufgabe gestellt, die Übergabe von Verwaltungs-unterlagen u n d den Erwerb privater Unterlagen mitNachdruck zu betreiben, auch durch Verbesserung desKulturgutschutzrechtes in Deutschland.

Wie immer man den Begriff „Kulturgut“ definiert,unstreitig war stets, dass Archivgut eine Teilmenge vonKulturgut ist. Archivgut ist durch fachliche Entscheidungnach positiver Wertermittlung per definitionem insgesamtauf Dauer zu bewahren und damit als kulturelles Erbe zuschützen. Die Abgrenzung zu Bibliotheksgut und musea-len Schätzen ist gerade beim audiovisuellen Archivgutnicht einfach, muss aber nicht im Mittelpunkt unsererBetrachtung stehen. Ich halte mich an die Definition derRichtlinie 93/7/EWG des Rates der EuropäischenGemeinschaften vom 15. März 19937, nach der als Kultur-gut die Gegenstände anzusehen sind, die „im Bestands-verzeichnis von Museen, Archiven und erhaltenswürdi-gen Beständen von Bibliotheken“ aufgeführt sind.8

Das deutsche Gesetz zum Schutz von Kulturgut gegenAbwanderung beschränkt seinen Geltungsbereich imwesentlichen auf privates Kultur- bzw. Archivgut. Darinunterscheidet es sich grundlegend von der Richtlinie desRates der Europäischen Gemeinschaften. Ich will dieschlechten Beispiele aus der Vergangenheit nicht mehr imEinzelnen aufzählen9, nachdem vor gar nicht so langerZeit ein Politiker ersten Ranges nur mit Mühe daran gehin-dert werden konnte, als politischen Preis für die Unterstüt-zung der inzwischen gescheiterten Bewerbung Leipzigsdie Olympiafilme Leni Riefenstahls aus den Beständen desBundesarchivs mit allen Rechten und Materialien an dasIOC zu verkaufen. Dieses Beispiel zeigt erneut, wieberechtigt Zielpunkt 1 der Perspektive der Archivverwal-tungen des Bundes und der Länder10 vom 21. November1999 ist, auch öffentliches Archivgut und damit allesArchivgut unter Kulturgutschutz zu stellen. Das Beispielder Olympiafilme zeigt weiter, dass solche Archivgesetze,die – wie das Bundesarchivgesetz – bisher eine einschlä-gige Regelung nicht enthalten, um eine Vorschrift zuerweitern sind, nach der Archivgut unveräußerlich ist.

5 Dieter Strauch, Das Archivalieneigentum. Untersuchungen zumöffentlichen und privaten Sachenrecht deutscher Archive, Köln/Mün-chen 1998, S. 15, Larenz, Schuldrecht I, S. 402.

6 Walter Jaroschka, Die Aufgaben der Archive in unserer Zeit, in: DerArchivar 40 (1987), Sp. 19–26, hier Sp. 25.

7 ABl. EG Nr. L 74, S. 74.8 Klaus Oldenhage, Archivgut als Gegenstand des Kulturgutschutzes,

in: Mußgnug/Roellecke (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Kulturgüter-schutzes. Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgutschutz,Heidelberg 1998, S. 51–57.

9 Vgl. Oldenhage, Anm. 8, S. 52.10 Vgl. oben S. 20 f.

22 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Es gibt einen zweiten Grund für die Einbeziehung desöffentlichen Archivguts in den Kulturgutschutz. Grund-sätzlich kann man in Deutschland Archivgut nicht gut-gläubig Eigentum an gestohlenem oder abhanden gekom-menen Archivgut erwerben (§ 932ff. BGB), leider aber istEigentumserwerb durch Ersitzung (§ 937 BGB) und beiöffentlicher Versteigerung (§ 935 Abs. 2 BGB) möglich,wobei die freiwillige Versteigerung der öffentlichen Ver-steigerung gleichgestellt ist, falls die Voraussetzungennach § 383 Abs. 3 BGB erfüllt sind.11 Die Archivreferenten-konferenz hat also Recht, wenn sie unter Punkt 4 ihresZielkataloges vom 21. November 1999 fordert, dass gut-gläubiger Erwerb und Erwerb durch Zwangsvollstre-ckung in das bewegliche Vermögen des Nichtberechtigten(§ 814 ZPO) verhindert werden müssen, der Anspruch aufHerausgabe nach § 985 BGB nicht verjährt und ein öffent-lich-rechtlicher Herausgabeanspruch geschaffen wird, dervon der öffentlichen Einrichtung, der das Kulturgut entzo-gen worden ist, selbst in einem Verwaltungsvollstre-ckungsverfahren durchgesetzt werden kann und nicht derVerjährung unterliegt.

Schwierigere Rechtsprobleme ergäben sich bei einersolchen Regelung nicht. Es wird oft unterstellt, dass Ver-besserungen der Rechtslage im beschriebenen Sinne einepräzise Erfassung oder eine genaue Kennzeichnung derbetroffenen Archivbestände voraussetzten, was in der Pra-xis wenn nicht unmöglich, dann doch sehr schwierig sei.Eine solche Auffassung verkennt, dass staatliche Archiveeine bestimmte Kompetenz haben, also für formal exaktbestimmbares Archivgut zuständig sind und nur akzesso-risch Unterlagen privater Personen oder Stellen erwerbenoder deponieren. Der Eigentumsnachweis ist also fürArchivgut amtlicher Provenienz kein Problem. DieZuständigkeit – ich zitiere erneut zustimmend das Papierder ARK – richtet sich nach dem Provenienzprinzip unddem „Archivsprengel“, einem Begriff, den ich nach derjahrelangen fruchtlosen Diskussion zwischen der polni-schen und der deutschen Regierung dem Begriff „Stand-ortsprinzip“ vorziehe. Von einer öffentlichen Stelle stam-mende Unterlagen, die durch Bewertungsentscheidungzu Archivgut geworden sind, können also einem bestimm-ten öffentlichen Archiv zweifelsfrei zugeordnet werden.Deshalb kann die Widmung dieses öffentlichen Kultur-guts entweder rückwirkend oder im Augenblick der Über-nahme erfolgen. Ich wäre daher dankbar, wenn sich unserBerufsstand für eine solche neue gesetzliche Bestimmungeinsetzen würde.

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei unter Hin-weis auf Zielpunkt 2 des ARK-Papiers hinzugefügt, dassdas Archivgut, das bei einer natürlichen Person oder einerjuristischen Person des privaten Rechts entstanden undvon einem öffentlichen Archiv erworben oder bei ihm hin-terlegt ist, ebenso wie Teile des Sammlungsguts der Wid-mung durch Verwaltungsakt bedürfen. Die Widmung solldurch rechtsgeschäftliche Verfügungen oder Verfügungenim Wege der Zwangsvollstreckung nicht berührt werden(Zielpunkt 3). Damit befinde ich mich aus Überzeugung involler Übereinstimmung mit dem ARK-Papier, das aller-dings nicht alle Punkte behandeln konnte, um die es unsheute gehen muss.

Nicht nur aus formalen Gründen des europäischenRechts musste der Gesetzgeber das Kulturgutabwande-

11 Streitig, so aber BGH, NJW 1990, S. 899.

rungsschutzgesetz gegen Ende der Regierung Kohländern.12 Das Ergebnis war für mich und viele Kollegin-nen und Kollegen kein Fortschritt, sondern das genaueGegenteil. Es gab und gibt materiell keinen Grund, denrechtlichen Schutz zu Lasten der öffentlichen Sicherungund Nutzbarmachung privaten Archivguts abzuschwä-chen. Die Verpflichtungen aus Art. 14 GG dürfen nicht nurzum Vorteil des Eigentümers und zum Nachteil desGemeinwohls ausgelegt werden. Art. 14 Abs. 1 Satz 2„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich demWohl der Allgemeinheit dienen“ schien im Zeitalter derGlobalisierung in Vergessenheit zu geraten, doch hat dasBayerische Oberste Landesgericht in einem bemerkens-werten Urteil kürzlich den Satz 2 wieder in Erinnerunggebracht.13 Es hebt ausdrücklich hervor, dass der Schutzvon Kulturgut eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rangsei, der einschränkende Regelungen im Sinne von Art. 14Abs. 1 Satz 2 GG rechtfertige. Dieser Beschluss entsprichtdem Kulturstaatsprinzip. Man darf den Gesetzgeber auf-fordern, den Eigentümer nicht auch dort noch besser zustellen, wo er darauf keinen begründbaren Anspruch hat.Anders und an einem Beispiel verdeutlicht formuliert:Wenn der Gesetzgeber z. B. Unterlagen der Parteien derDDR gesetzlich unter Schutz stellt und damit in das Eigen-tumsrecht der PDS, aber auch der CDU und der FDP ein-greift14, warum ist er auf der anderen Seite im Sinne desGrundsatzes der Gleichbehandlung daran gehindert, etwaEntscheidungen über das Archivgut von Fürstenfamilien,die hoheitliche Befugnisse ausübten, ausschließlich unterdem Gesichtspunkt des Schutzes des Privateigentums zutreffen. Im archivfachlichen Sinne ähnliche Gedanken ent-hält das Bundesbeamtengesetz, wenn es in § 61 Abs. 3 denDienstherrn ermächtigt, Aufzeichnungen über dienstlicheGegenstände sich herauszugeben zu lassen oder sogarErben zu einer entsprechenden Herausgabe auch dann zuverpflichten, wenn die Aufzeichnungen insgesamt eherprivater Natur sind.15

Ein sachgerechter Kulturgutschutz muss bei Archiva-lien unterscheiden, ob es sich um Unterlagen handelt, wel-che die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betreffenoder ausschließlich dem privaten Bereich einer einzelnenjuristischen oder natürlichen Person zuzuordnen sindoder nicht. Der Einwand, wonach oft die öffentlichen undprivaten Bereiche weder historisch noch aktuell hinrei-chend klar abgegrenzt werden können, ist zwar beacht-lich, kann aber nicht dazu führen, dass auch die privatenUnterlagen, welche die Wahrnehmung öffentlicher Aufga-ben dokumentieren, im Zweifelsfall so behandelt werdenwie privates Schriftgut, das ausschließlich private Tätig-keiten dokumentiert. Wenn der Gesetzgeber aus gutenGründen personenbezogene Informationen in staatlichenAkten unter besonderen Schutz stellt, müsste er auchInformationen in privatem Archivgut vor einer totalen Pri-

12 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6.August 1955, neugefasst durch Bekanntmachung vom 8. Juli 1999 (BGBl.I S. 1754), zuletzt geändert durch Art. 71 der Siebenten Zuständigkeits-anpassungs-Verordnung vom 29. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2785).

13 Beschluss vom 27. 10. 2004 (FkBR 001/03).14 § 2 Abs. 9 und § 2a Bundesarchivgesetz, zuletzt geändert durch das bis-

her noch nicht verkündete Informationsfreiheitsgesetz (Abdruck der biszum 31. Dezember 2005 noch uneingeschränkt gültigen Fassung, in: DerArchivar 56 (2003), S. 25–27).

15 Vgl. Bekanntmachung vom 31. März 1999 (BGBl. I S. 675), zuletzt geän-dert durch Art. 9 des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3322).

23Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

vatisierung schützen können, die öffentliche Tätigkeitendokumentieren.

Daraus folgt im Ergebnis, dass ein privater Eigentümer,der über Archivgut von öffentlicher Bedeutung verfügt,sehr wohl die Eintragung in ein entsprechendes öffentli-ches Verzeichnis dulden müsste. Mit welchen rechtlichenFolgen diese Eintragung im Einzelnen verbunden seinmuss, ist damit nicht gesagt. Auf jeden Fall ist aus archiv-fachlicher Sicht zu fordern, dass Bestandsschutz angeord-net werden kann und das Archivgut ggf. nach Ablauf vonSperrfristen öffentlich zugänglich wird. Dabei wäre derGesetzgeber gut beraten, wenn er dem Eigentümer undder zuständigen öffentlichen Stelle einen hinreichendenErmessensspielraum für eine gütliche Einigung ließe undnur im Notfalle Sanktionen vorsähe. Bei der Sicherung desArchivguts der Parteien und Massenorganisationen derDDR ist das Bundesarchiv in allen Fällen, die unter gesetz-lichem Einigungszwang standen, zu einer gütlichen Eini-gung mit den (Alt)Eigentümern gekommen.

Zum Thema der Sicherung audiovisuellen Archivguts16

möchte ich gegenwärtig keine neue Bemerkungenmachen, nachdem es jetzt wohl sicher ist, dass Bundes-und Landesregierungen den Herrn Bundespräsidenten indie Lage versetzen wollen, die Europaratskonvention zumSchutz des Kinofilms und das Protokoll zum Schutz derFernsehproduktionen zu zeichnen.

Nach der verheerenden Brandkatastrophe in Weimarkann ich nicht schließen, ohne zu unterstreichen, dasserste Sorge des Kulturgutschutzes die körperliche Unver-sehrtheit des Archivguts sein muss. Aus diesem Grundeist zu prüfen, ob der Gesetzgeber nicht die öffentlicheHand verpflichten müsste, durch den Bau geeigneterMagazine einem körperlichen Verfall von Kulturgut hin-reichend vorzubeugen. Zu prüfen wäre auch, in welchemUmfang öffentliche Mittel zur Unterhaltung privaterArchive genutzt werden könnten, um die öffentlicheZugänglichkeit zu verbessern. Die den politischen Par-teien nahestehenden Stiftungen für die von ihnen verwal-teten Parteiarchive als auch die Medienarchive, insbeson-dere der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wärenin diese Überlegungen einzubeziehen.

Aus der Sicht eines Archivars – ich greife Forderungenaus früherer Zeit vor Ihnen wieder auf17 – hat ein moder-nes Kulturgutschutzgesetz folgende, vorwiegend fachlichbegründete Gesichtspunkte zu berücksichtigen:1. Je nach Art des Kulturguts (Museumsgut, Bibliotheks-

gut, Archivgut) sind jeweils sachgerechte Regelungenzu treffen. Dabei sind bereichsübergreifende Problemegesondert zu behandeln.

2. Bei Archivgut ist zwischen öffentlichem und privatemArchivgut zu unterscheiden. Öffentlichem Archivgutist Kulturgutschutz ohne Vorbehalt zuzubilligen, da esaufgrund einer kompetenten Bewertungsentscheidungerhaltenswert ist. Besondere Vorschriften über anderesArchiv- bzw. Kulturgut als konventionelle Akten sinddabei möglicherweise erforderlich.

3. Bei privatem Archivgut ist zu entscheiden, ob seinDokumentationsgehalt ganz oder teilweise öffentliche

16 Vgl. Klaus Oldenhage, Fernseharchive ohne Benutzer? Bemerkungenzur öffentlichen Ohnmacht gegenüber der „vierten Gewalt“ in Deutsch-land, in: Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg(Schriften des Bundesarchivs 57), Düsseldorf 2000, S. 182–191.

17 Vgl. oben Anm. 8, S. 57.

Angelegenheiten oder ausschließlich den privatenBereich betrifft.

4. Rechte und Pflichten von Privateigentümern sind nachdem Grundsatz der Zumutbarkeit in einer sachgerech-ten Auslegung des gesamten Artikels 14 GG zu lösen,ohne den Ermessensspielraum zu eng zu gestalten, derbei den erforderlichen vertraglichen Regelungen zwi-schen öffentlicher Hand und Privateigentümern gelas-sen werden sollte.

5. Der Bestandsschutz im körperlichen Sinne ist ebensowichtig wie vorbeugende – auch gesetzliche – Maßnah-men gegen jede Form von Entfremdung.

Das Normensystem zum Schutz von Kulturgütern inDeutschland – unter besonderer Berücksichtigung vonArchivgüternVon Kerstin Odendahl*

I. EinleitungDas Normensystem zum Schutz von Kulturgütern inDeutschland ist komplex und fragmentiert. Fragt mandann noch, wie in diesem System einzelne Sondergruppenvon Kulturgütern geschützt sind, wird es schnell unüber-sichtlich. Der folgende Beitrag liefert einen Überblick überdas kulturgüterschützende Normensystem1 unter beson-derer Berücksichtigung des Schutzes von Archivgütern.Die Darstellung konzentriert sich dabei auf den „Normal-fall“, d. h. auf den Schutz von Kultur- und Archivgüternzu Friedenszeiten. Außen vor bleiben also insbesonderedie zahlreichen Sonderregelungen für den Kriegsfall oderdie Staatensezession. Zur Veranschaulichung des Nor-mensystems wird zum Teil mit graphischen Übersichtengearbeitet.

II. Kulturgüter und KulturgüterschutzKulturgut ist ein schillernder Begriff. Seit Jahren setzt sichdie Literatur mit ihm auseinander. In der Regel wird dabeiauf die fehlende Definition, ja auf die Undefinierbarkeitdes Begriffs hingewiesen – eine Tatsache, die angesichtsder Vielgestaltigkeit von Kulturgütern zumeist begrüßtwird.2 Manche Autoren verzichten daher auch ausdrück-lich auf eine Definition.3 Vereinzelt wird aber trotzdemversucht, Kulturgüter näher zu umschreiben.

Es finden sich dabei sehr weite Formulierungen, wieetwa diejenige, Kulturgüter seien „alle Werte und Objekte,die für eine Gesellschaft, eine Epoche oder für einen Konti-nent spezifisch, also prägend sind“.4 Die meisten Ansätze

* Die Autorin ist Professorin für Völker- und Europarecht an der Universi-tät St. Gallen.

1 Ausführlich zum Normensystem Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005.2 Vgl. etwa Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 10;

Hammer, DÖV 1999, 1037 (1040); Reichelt, ULR 1988 I, 52 (83 f.);Raber, Das kulturelle Erbe der Menschheit, 1994, S. 21 ff.; Greenfield,The Return of Cultural Treasures, 2. Aufl., 1996, S. 253 ff.

3 So etwa Jaeger, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes,1993, S. 11; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und ille-gal exportierten Kulturguts, 1990, S. 21 (Fn. 1); Raber, Das kulturelleErbe der Menschheit, 1994, S. 21 ff.; Fechner, Prinzipien des Kulturgü-terschutzes, in: ders./Oppermann/Prott (Hrsg.), Prinzipien desKulturgüterschutzes, 1996, S. 11 (17). Die meisten Autoren allerdingsbelassen es bei einem Überblick über verschiedene Definitionen.

4 Abele, Ist das Verhältnis von Kulturgüterschutz und Eigentum einFinanzierungsproblem?, in: Fechner/Oppermann/Prott (Hrsg.),Prinzipien des Kulturgüterschutzes, 1996, S. 67 (81). Ähnlich weit Mül-ler, Kulturgüterschutz, ebd., S. 257 (259). Für eine Einbeziehung imma-terieller Güter in den Kulturgutbegriff auch Hammer, Geschichte der

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jedoch beschränken den Begriff auf körperliche Gegen-stände. So werden Kulturgüter etwa definiert als „alleindividuellen schöpferischen Gestaltungen des Menschensowie alle historisch bedeutsamen Objekte von Menschen-hand“5, als „körperliche Gegenstände oder Sachgesamt-heiten, die von Menschen her- (oder auch zusammen-)gestellt oder verändert oder sonst in irgendeiner Formgeprägt worden sind und deshalb von künstlerischer, his-torischer, archäologischer, ritueller oder wissenschaftli-cher Bedeutung sind“6 oder als „bewegliche und unbe-wegliche Güter kultureller Bedeutung, inklusive Werkeder schönen und der angewandten Kunst sowie der Archi-tektur jüngeren und heutigen Datums“.7

Analysiert man den Kulturgutbegriff, wie er in den ein-schlägigen Normen auf völker-, europa- und nationalerEbene verwendet wird, so ergibt sich folgender, normati-ver Begriff:

Kulturgüter sind körperliche Gegenstände, beweglich oderunbeweglich, Einzelstücke oder Sammlungen/Ensembles, vomMenschen geschaffen, verändert, geprägt oder seine kulturelleEntwicklung widerspiegelnd, denen ein historischer, künstleri-scher, wissenschaftlicher, architektonischer, archäologischer odersonstiger kultureller Wert unterschiedlicher Dimensionzukommt.8

Unter Archivgütern werden Akten, Schriftstücke, Kar-ten, Pläne sowie Träger von Daten-, Bild-, Film-, Ton- undsonstige Aufzeichnungen von bleibendem Wert verstan-den.9 Auf den ersten Blick scheinen daher Archivgütereine Sondergruppe der Kulturgüter darzustellen. DieseEinstufung ist jedoch nicht ganz richtig. Der Wert vonArchivgütern kann nicht nur kultureller, sondern auchdokumentarischer Natur sein. Hinzu kommt, dass nichtimmer der Gegenstand als solcher, sondern oft der in ihmverkörperte Inhalt erhaltenswert ist. Auch kulturell wert-loses Material, dem jedoch für Gesetzgebung, Verwaltungoder Rechtsprechung, für die Erforschung oder das Ver-ständnis der Geschichte oder für die Sicherung berechtig-ter Belange der Bürger Bedeutung zukommt, stellt Archiv-gut dar. Demnach sind zwar die meisten, nicht aber alleArchivgüter gleichzeitig Kulturgüter.

So schillernd wie der Begriff des Kulturguts ist auchderjenige des Kulturgüterschutzes. Die Unterschiede in derTerminologie resultieren dabei nicht nur aus den divergie-renden zugrunde gelegten Kulturgutbegriffen, sondernauch aus den unterschiedlichen Vorstellungen darüber,was unter „Schutz“ zu verstehen ist.

Sehr häufig wird Kulturgüterschutz mit dem Schutzvor Abwanderung ins Ausland gleichgesetzt.10 Andere

Denkmalpflege sowie des rechtlichen Denkmal- und Kulturgüterschut-zes, in: Martin/Viebrock/Bielfeldt, Denkmalschutz – Denkmal-pflege – Bodendenkmalpflege, Nr. 10.01, S. 1 (2).

5 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen desVölkerrechts, 1964, S. 13.

6 Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehrund ihre Bedeutung für das Sach- und Kollisionsrecht, 1995, S. 139 f.

7 O’Keefe/Prott, Cultural Property, in: EPIL 1 (1992), S. 890 (Überset-zung von der Verfasserin).

8 Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005, S. 387.9 Vgl. Oldenhage, Archivgut als Gegenstand des Kulturgutschutzes, in:

Mußgnug/Roellecke (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Kulturgüterschut-zes, 1998, S. 51.

10 Vgl. etwa Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000; Bila,Nationaler Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, 1997;Taschner, Kulturgüterschutz aus der Sicht des EG-Rechts, in: Reichelt(Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz, S. 97 ff.; Bernsdorff/Kleine-Tebbe, Kulturgutschutz in Deutschland, 1996; Akkermann,KUR 2002, 29 ff.

Autoren wiederum behandeln unter dem Thema Kultur-güterschutz allein die Restitutionsansprüche nach illega-ler Ausfuhr.11 Zurückzuführen ist diese Verwendung einesausgesprochen engen Kulturgüterschutzbegriffs wohlzum einen auf die deutsche Gesetzesterminologie, wo derBegriff des Kulturguts explizit nur im Kulturgüterschutz-gesetz (KgSchG) und im Kulturgüterrückgabegesetz(KultGüRückG) auftaucht, die dem Abwanderungsschutzdienen. Vereinzelt konzentrieren sich Autoren in Beiträgenmit dem Titel Kulturgüterschutz auch auf einzelne Son-derbereiche, wie etwa die Problematik der Rechtmäßigkeitund der Restitution von Kriegsbeute.12 Darüber hinauswird unter der Überschrift „Kulturgüterschutz“ gelegent-lich auch nur der Schutz bei kriegerischen Auseinander-setzungen thematisiert13. Die Mehrzahl der Autoren je-doch verwenden einen weiten Kulturgüterschutzbegriff.14

Dieser findet sich auch normativ bestätigt. Eine Unter-suchung der relevanten völker-, europa- und nationalenNormen ergibt folgende Definition des Kulturgüterschut-zes:

Kulturgüterschutz ist der präventiv, wiedergutmachend undrepressiv ansetzende Schutz von Kulturgütern vor Verletzungihrer Substanz, ihrer staatlich-territorialen Bindung sowie vornicht kulturell bedingten Minderungen ihres kulturellen Wer-tes.15

III. Primäre Ziele des KulturgüterschutzesDie Definition verdeutlicht die primären Ziele des Kultur-güterschutzes. Es sind zwei: der Schutz der Substanz undder Schutz der staatlich-territorialen Bindung von Kultur-gütern. Der Schutz vor nicht kulturell bedingten Minde-rungen ihres kulturellen Wertes gehört zu den sekundärenZielen.16

Der Substanzschutz ist dabei oberstes und genuines Zieldes Kulturgüterschutzes.17 Ohne eine Bewahrung der kul-turell wertvollen Gegenstände bleibt jeglicher anderer

11 Vgl. etwa Jaeger, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschut-zes, 1993; Schweizer, KUR 2003, 25 (27).

12 So insb. die meisten Schriften von Fiedler, vgl. etwa ders., Zur Entwick-lung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kul-turgüterschutzes, in: FS Doehring, 1989, S. 199 ff.; ders., Vom territoria-len zum humanitären Kulturgüterschutz, in: Fechner/Oppermann/Prott (Hrsg.), Prinzipien des Kulturgüterschutzes, 1996, S. 159; ders.,Neue völkerrechtliche Ansätze des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt(Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz, 1992, S. 69 ff. Ähnlichbegrenzt, trotz des weiten Titels, Rossi/Syssoeva, Kulturgüterschutzzwischen russischem Verfassungsrecht und Völkerrecht, in: AVR 38(2000), 63 ff.; Stumpf, Kulturgüterschutz im internationalen Recht unterbesonderer Berücksichtigung der deutsch-russischen Beziehungen, 2003.

13 So etwa von Foramitti, Kulturgüterschutz, 3 Bde., 1970.14 So etwa Fechner/Oppermann/Prott (Hrsg.), Prinzipien des Kultur-

güterschutzes, 1996 (inkl. der Beiträge, die den Terminus „Kulturgüter-schutz“ im Titel tragen, bis auf denjenigen von Fiedler); Dolzer/Jayme/Mußgnug (Hrsg.), Rechtsfragen des internationalen Kulturgü-terschutzes, 1994.; Bacher, Denkmalschutz und Kulturgüterschutz, in:Reichelt (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz, 1992, S. 111 ff.;Hammer, Geschichte der Denkmalpflege sowie des rechtlichen Denk-mal- und Kulturgüterschutzes, in: Martin/Viebrock/Bielfeldt,Denkmalschutz – Denkmalpflege – Bodendenkmalpflege, Nr. 10.01.;Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, in:ZVglRWiss 95 (1996), 158 ff.; Metzger, Rechtsfragen des internationalenKulturgüterschutzes, in: NJW 1991, 609 f.

15 Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005, S. 434.16 Zu den sekundären Zielen vgl. ausf. Odendahl, Kulturgüterschutz,

2005, S. 422 ff.17 So auch statt vieler Monden/Wils, RBDI 19 (1986), 327 (328); Raber, Das

kulturelle Erbe der Menschheit, 1994, S. 65; Fechner, Prinzipien desKulturgüterschutzes, in: ders./Oppermann/Prott (Hrsg.), Prinzi-pien des Kulturgüterschutzes, 1996, S. 11 (26 f.); Siehr, Die Schweiz undder Kulturgüterschutz in Europa, ebd., S. 145 (156); ders., RdC 243 (1993VI), 9 (254).

25Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Schutzgedanke ohne Fundament. Alle anderen Ziele tre-ten notwendigerweise hinter den Substanzschutz zurück,da sie ohne diesen ihr Schutzobjekt verlieren. Insofernstellt der Substanzschutz unter den beiden primären Zie-len das vorrangige dar. Der Begriff der Substanz ist dabeiaufgrund der besonderen Merkmale von Kulturgüternweit zu verstehen.18 Mit „Substanz“ ist nicht nur der kör-perliche Gegenstand als solcher gemeint, sondern gegebe-nenfalls auch seine Zugehörigkeit zu einer Sammlungsowie seine Umgebung bzw. seine Einbettung darin.19

Der Schutz der staatlich-territorialen Bindung von Kultur-gut ist trotz seines Zurücktretens hinter dem Substanz-schutz von eminenter Bedeutung. Der historische, künst-lerische, wissenschaftliche, architektonische, archäologi-sche oder sonstige kulturelle Wert, der einen Gegenstanderst zum Kulturgut macht, wird ihm von einer Gesell-schaft verliehen. Die Bindung an diese Gesellschaft wirdim Normensystem über die Bindung an ein staatliches Ter-ritorium rechtlich konkretisiert. Über den Schutz der staat-lich-territorialen Bindung werden also die Bindungen desKulturguts an eine Gesellschaft geschützt.20

Für den Schutz von Archivgütern gelten diese beidenprimären Ziele prinzipiell genauso. Auch Archivgütersind in erster Linie in ihrer Substanz zu erhalten, wobeieine Substanzschädigung bereits dann vorliegen kann,wenn zwar das einzelne Stück unbeschädigt bleibt, es aberaus dem Gesamtzusammenhang einer archivarischenSammlung gerissen wird. Die staatlich-territoriale Bin-dung kann bei Archivgütern zum Teil noch ausgeprägterals bei anderen Kulturgütern sein, sind doch bestimmteArchivgüter, man denke nur an Karten, Pläne oder anderegebietsbezogene Dokumente, noch stärker an einbestimmtes Territorium gebunden als etwa Kunstwerke.

Im folgenden soll dargestellt werden, wie das kulturgü-terschützende Normensystem diese beiden primärenZiele umsetzt.

IV. Normensystem zum Schutz der Substanz von KulturgüternDas Normensystem zum Substanzschutz ist relativ ein-fach ausgestaltet.

1. ÜberblickDie wichtigsten substanzschützenden Normen sind dieLandesdenkmalschutzgesetze. Die Frage, ob und inwie-fern ihr Schutzbereich auch Archivgüter erfasst, wird vonihrem Gesetzeswortlaut zum Teil recht unterschiedlichbeantwortet. Ergebnis in allen Bundesländern ist jedoch,dass Archivgut, soweit es von Spezialgesetzen erfasst ist,nicht (mehr) unter die Denkmalschutzgesetze fällt.

1987 setzte nämlich eine Spezialgesetzgebung ein, diezur rechtlichen Verselbständigung des Schutzes vonArchivgut führte. Diese Verselbständigung bezieht sichallerdings nur auf öffentliches Archivgut. Maßgeblichzurückzuführen ist diese Entwicklung auf die Ende der70er Jahre einsetzende Datenschutzgesetzgebung und das

18 Ähnlich Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes, in: ders./Oppermann/Prott (Hrsg.), Prinzipien des Kulturgüterschutzes, 1996,S. 11 (26), der sogar jede Form des Diebstahls als Substanzverletzungversteht.

19 So u. a. ausdr. § 1 I 1 DSchG LSA. Vgl. auch Monden/Wils, RBDI 19(1986), 327 (335); Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes, in:ders./Oppermann/Prott (Hrsg.), Prinzipien des Kulturgüterschut-zes, 1996, S. 11 (27); O’Keefe, Formulating General Principles by Refe-rence to International Standards, ebd., S. 277 (278 f.).

20 Vgl. Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005, S. 415 ff., 433 f.

Volkszählungsurteil von 1983.21 Eine gesetzliche Regelungdes Archivwesens erschien notwendig. 1988 wurde dahernach langer Diskussion das Bundesarchivgesetz(BArchG)22 erlassen. Ein Jahr zuvor hatte Baden-Württem-berg als erstes Bundesland ein Landesarchivgesetzgeschaffen.23 Alle übrigen alten24 und später auch dieneuen25 Bundesländer folgten.

Die Archivgesetze stellen allerdings mehr als reineSchutzgesetze dar. Sie regeln als Ausfluss des Datenschut-zes auch Nutzungs- und Datenschutzfragen sowie dieRechtsansprüche Betroffener. Das Recht öffentlicherArchive stellt also eine genuine Sondermaterie dar. Suchtman nach Schutzvorschriften für öffentliches Archivgut,so hat man diese Sondermaterie heranzuziehen und nichtdie Landesdenkmalschutzgesetze.

Schematisch lässt sich das Normensystem zum Schutzder Substanz von Kulturgütern folgendermaßen darstellen:

21 BVerfGE 65, 1 ff.22 Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes

(Bundesarchivgesetz – BArchG), v. 6. 1. 1988 (BGBl. I S. 62); ergänztdurch das Gesetz über die zentrale Archivierung von Unterlagen ausdem Bereich des Kriegsfolgenrechts, v. 6. 1. 1988 (BGBl. I S. 65). Näherdazu Polley, NJW 1988, 2026 f. Zur Entstehungsgeschichte des BArchG vgl.Manegold, Archivrecht, 2002, S. 130 ff. Das Bundesarchiv wurde bereitsaufgrund Kabinettsbeschlusses von 1950 geschaffen und nahm 1952seine Arbeit auf, vgl. Blasius, F.A.Z., v. 3. 6. 2002, 12.

23 Gesetz über die Pflege und Nutzung von Archivgut (Landesarchivgesetz– LArchG), v. 27. 7. 1987 (GBl. S. 230).

24 Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts imLande Nordrhein-Westfalen (Archivgesetz Nordrhein-Westfalen –ArchivG NW), v. 16. 5. 1989 (GV NW S. 302); Hessisches Archivgesetz(HArchivG), v. 18. 10. 1989 (GVBl. I S. 270); Bayerisches Archivgesetz(BayArchivG), v. 22. 12. 1989 (GVBl S. 710); Landesarchivgesetz Rhein-land-Pfalz (LArchG), v. 5. 10. 1990 (GVBl. S. 277); HamburgischesArchivgesetz (HmbArchG), v. 21. 1. 1991 (GVBl. I S. 7); Gesetz über dieSicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Bremen (Bre-misches Archivgesetz – BremArchivG), v. 7. 5. 1991 (GBl. S. 159); Gesetzüber die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivgutes in Schleswig-Holstein (Landesarchivgesetz – LArchG), v. 11. 8. 1992 (GVBl. S. 444);Gesetz Nr. 1296 Saarländisches Archivgesetz (SArchG), v. 23. 9. 1992(Abl. S. 1094); Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut inNiedersachsen (Niedersächsisches Archivgesetz – NArchG), v. 25. 5.1993 (GVBl. S. 129); Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archiv-gut des Landes Berlin (Archivgesetz des Landes Berlin – ArchGB), v.29. 11. 1993 (GVBl. S. 576).

25 Thüringer Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut (Thü-ringer Archivgesetz – ThürArchivG), v. 23. 4. 1992 (GVBl. S. 139); Archiv-gesetz für den Freistaat Sachsen (SächsArchG), v. 17. 5. 1993 (GVBl.S. 449); Gesetz über die Sicherung und Nutzung von öffentlichemArchivgut im Land Brandenburg (Brandenburgisches Archivgesetz –BbgArchivG), v. 7. 4. 1994 (GVBl. I S. 94); Landesarchivgesetz (ArchG-LSA), v. 28. 6. 1995 (GVBl. S. 190); Archivgesetz für das Land Mecklen-burg-Vorpommern (Landesarchivgesetz – LArchivG M-V), v. 7. 7. 1997(GVBl. M-V S. 282).

26 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

2. WertungUntersucht man den Schutz, der auf diese Weise Archiv-gütern gewährt wird, so zeigt sich, dass öffentliches Archiv-gut normativ in jeder Hinsicht umfassend geschützt ist.Die eingesetzten Schutzinstrumente reichen von Anbie-tungs- und Übergabe- bis hin zu umfassenden Erhaltungs-pflichten. Die Nutzung von Archivgut ist genehmigungs-pflichtig; bei einer Gefährdung des Erhaltungszustandesist sie zu versagen. Das einzige praktische Problem ist diezum Teil unzureichende finanzielle Ausstattung deröffentlichen Archive.

Ganz anders sieht das Bild bei privaten Archivgütern aus.Diese unterfallen zwar, soweit sie einen kulturellen Werthaben, grundsätzlich den Landesdenkmalschutzgesetzen.Analysiert man jedoch deren Wortlaut genauer, so stelltsich heraus, dass die meisten von ihnen gerade nicht fürprivate Archivgüter gelten: In Mecklenburg-Vorpommernetwa finden gemäß § 2 VI DSchG MV die Vorschriften desDenkmalschutzgesetzes ausdrücklich keine Anwendungauf Archivgut (jeder Art). Die meisten Landesgesetzeerwähnen Archivgut noch nicht einmal, so dass dieses vonvornherein nicht erfasst wird. Fällt es doch in ihren Schutz-bereich, so wird Archivgut den beweglichen Kulturgüternzugeordnet. Diese erfahren jedoch seit jeher einen deutlichgeringeren Schutz als unbewegliche Kulturgüter.26

V. Normensystem zum Schutz der territorialen Bindung vonKulturgüternWeitaus komplexer als das Normensystem zum Substanz-schutz ist das Normensystem zum Schutz der territorialenBindung von Kulturgütern ausgestaltet. Zu unterscheidenist zunächst – anders als beim Substanzschutz27 – zwi-schen dem präventiven und dem wiedergutmachendenSchutzansatz. Prävention bedeutet Verhinderung der Aus-fuhr besonders bedeutsamer Kulturgüter. Wiedergutma-chung bedeutet ihre Restitution nach illegaler Ausfuhr.

1. Präventiver SchutzansatzDer präventive Schutzansatz wird in erster Linie durchdas Gesetz zum Schutz deutschen Kulturguts gegenAbwanderung (Kulturgüterschutzgesetz – KgSchG) ver-wirklicht. Das nur auf private Kultur- und ArchivgüterAnwendung findende Gesetz28 unterscheidet zwischenKunstwerken und anderem Kulturgut auf der einen sowieArchivgut auf der anderen Seite. Für beide existierenunterschiedliche Verzeichnisse29 sowie anders ausgestal-tete Anforderungen für die Unterschutzstellung und dieErteilung einer Ausfuhrgenehmigung. Öffentliches Archiv-gut unterfällt wiederum den Archivgesetzen des Bundesund der Länder. Diese enthalten detaillierte Regelungenfür die Veräußerung und damit auch für die Ausfuhr vonArchivgütern.

26 Vgl. nach ausf. Analyse Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005, S. 592 f.27 Im Substanzschutz fallen der präventive (Schutz vor Zerstörung und

Verschlechterung) und die wiedergutmachende (Ausbesserung undRenovierung) Schutzansatz normtechnisch zusammen. Beide sindjeweils in den Landesdenkmal- bzw. den Archivgesetzen geregelt.

28 Vgl. § 18 KgSchG: „Dieses Gesetz findet auf das im öffentlichen Eigen-tum befindliche national wertvolle Kulturgut und Archivgut keineAnwendung, soweit zu dessen Veräußerung nur oberste Bundes- oderLandesbehörden befugt sind oder nach besonderen gesetzlichen Vor-schriften die Genehmigung einer aufsichtführenden Stelle der öffentli-chen Verwaltung erforderlich ist.“

29 Es gibt Verzeichnisse national wertvollen Kulturguts und Verzeichnissenational wertvoller Archive.

Es ergibt sich demnach folgendes Bild des Normensys-tem zum Abwanderungsschutz:

2. WertungDer Abwanderungsschutz für Archivgüter ist zwar norm-technisch in verschiedenen Gesetzen geregelt, er ist abersowohl für privates wie für öffentliches Archivgut ausrei-chend intensiv ausgestaltet. In beiden Fällen kann eineAusfuhr nur erfolgen, wenn zuvor eine Genehmigung ein-geholt wird. Bei privaten besonders wertvollen Archivgü-tern, die gemäß den Regelungen des KgSchG in das Ver-zeichnis national wertvoller Archive aufgenommen wor-den sind, ist dies der Beauftragte der Bundesregierung fürKultur und Medien. Bei öffentlichen Archivgütern sind –je nach Archivgesetz – entweder nur oberste Bundes- oderLandesbehörden zu einer Veräußerung (ins In- wie insAusland) befugt, oder aber die Veräußerung bedarf derGenehmigung einer aufsichtführenden Stelle der öffentli-chen Verwaltung.

3. Wiedergutmachender SchutzansatzBeim wiedergutmachenden Schutzansatz, also bei derRestitution illegal ausgeführter Kulturgüter, ist zwischender europa- und der weltweiten illegalen Ausfuhr zuunterscheiden.

Die europarechtliche Konstellation ist durch die Richtli-nie 93/7/EWG30 geregelt. Sie schuf eine zwischen denMitgliedstaaten geltende Rückgabepflicht für unrechtmä-ßig aus einem Mitgliedstaat verbrachtes Kulturgut. DerBegriff des Kulturguts wird von der Richtlinie in einemdoppelten Sinn definiert. In ihren Schutzbereich fallen nurGegenstände, die vor oder nach ihrer unrechtmäßigen Ver-bringung als national wertvoll eingestuft worden sind unddie zusätzlich unter eine der Kategorien der Richtlinie fal-len. Umgesetzt wurde die Richtlinie in Deutschland durch

30 Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabevon unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrach-ten Kulturgütern (AblEG Nr. L 74/74, v. 27. 3. 1993). Eine Analyse derRichtlinie bietet u. a. Siehr, KUR 1999, 225 ff.

27Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

das Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRückG).31 Diesesregelt das Rückgabeverfahren für Kulturgut aus anderenEG-Mitgliedstaaten, das nach dem 31. Dezember 1992 ille-gal aus einem anderen EG-Mitgliedstaat nach Deutsch-land eingeführt worden ist. Neben Zuständigkeits- undDurchführungsregelungen enthält es Bestimmungen überdas geschützte deutsche Kulturgut sowie über die Gel-tendmachung deutscher Rückgabeansprüche gegenüberanderen EG-Mitgliedstaaten. Dort wiederum finden sichvergleichbare Regelungen.

Die grundsätzlich für Archiv- und sonstige Kulturgütergleichermaßen geltenden Rückgabeansprüche wirkensich für deutsche Archivgüter allerdings unterschiedlichaus, je nachdem, ob es sich bei ihnen um private oderöffentliche Archivgüter handelt. Der Grund liegt darin,dass ein Rückgabeanspruch nach der Richtlinie93/7/EWG und dem KultGüRückG nur bei solchen Kul-tur- und Archivgütern gegeben ist, die als „national wert-voll“ eingestuft worden sind. Diese Einordnung erfolgt inDeutschland gemäß § 1 KultGüRückG durch Aufnahmeeines Kultur- oder Archivguts in eines der Verzeichnissenach dem KgSchG. Da das KgSchG jedoch – wie oben dar-gelegt – öffentliche Kultur- und Archivgüter ausdrücklichaus seinem Anwendungsbereich ausnimmt (§ 18 KgSchG),können diese nicht als „national wertvoll“ eingestuft unddemnach auch nicht zum Gegenstand eines europarechtli-chen Rückgabeanspruches gemacht werden.

Die weltweite Konstellation, also der Fall, dass ein Kul-turgut illegal in oder aus einem Nicht-EG-Mitgliedstaatausgeführt wird, ist für Deutschland nicht geregelt. Zwargibt es völkerrechtliche Verträge, die auch in einem sol-chen Fall Rückgabeansprüche vorsehen. Es handelt sichdabei in erster Linie um die UNESCO-Konvention von197032 und das UNIDROIT-Abkommen von 1995.33 Beidesind jedoch von Deutschland nicht ratifiziert worden. DieFolge ist, dass Deutschland zwar kein illegal eingeführtesKulturgut zurückgeben muss, es aber auch kein eigenesKulturgut von einem anderen Staat herausverlangenkann.34 Diese Rechtslage gilt für alle Kultur- und Archiv-güter, unabhängig davon, ob es sich um privates oderöffentliches Gut handelt.

Schematisch stellt sich das Normensystem zur Rück-führung illegal ausgeführter Kulturgüter demnach folgen-dermaßen dar:

31 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates über dieRückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitglied-staats verbrachten Kulturgütern (Kulturgüterrückgabegesetz – KultGü-RückG), verkündet als Art. 1 des KultgutSiG, v. 15. 10. 1998 (BGBl. IS. 3162).

32 Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung derunzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, v.14. 11. 1970 (BT-Drucks. VI/3511, S. 3 ff.). In englischer Sprache abgedr.in: ILM 10 (1971), 289 ff.

33 UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder rechtswidrig ausge-führte Kulturgüter, v. 24. 6. 1995, abgedr. in: ZVglRWiss 95 (1996), 214 ff.Der amtliche englische Text ist abgedr. in: ILM 34 (1995), 1330 ff.

34 Wie in der Einleitung ausgeführt, können im Rahmen dieser kurzenAbhandlung nur die Grundzüge des Normensystems dargestellt undnicht auf Sonderkonstellationen eingegangen werden. Eine dieser Son-derkonstellationen ist der Anspruch auf Rückgabe von kriegsbedingtverschleppten Kulturgütern. Näher dazu Odendahl, Kulturgüter-schutz, 2005, S. 162 ff.

4. WertungDie Wertung der Rechtslage für die Restitution von Kul-tur- und insbesondere Archivgütern ist eindeutig: Sie ist injeder Hinsicht unbefriedigend – selbst wenn zu den hierbehandelten öffentlich-rechtlichen Ansprüchen gegebe-nenfalls noch zivilrechtliche Ansprüche ergänzend hinzu-treten.35 Nicht nur können illegal ausgeführte Güter nichtzurückgefordert werden, wenn sie in einen Staat außer-halb der EG verbracht worden sind. Selbst innerhalb derEG sind die Restitutionsansprüche Deutschlands unzurei-chend ausgestaltet. Öffentliches Archivgut gehört infolgeder fehlenden Möglichkeit, es in das vom KgSchG geschaf-fene Verzeichnis national wertvoller Archive aufzuneh-men, nicht zu den von der Richtlinie 93/7/EWG und dennationale Umsetzungsgesetzen erfassten Gegenständen.

VI. Rechtspolitische ÜberlegungenIn rechtspolitischer Hinsicht ergeben sich für die Verbesse-rung des Schutzes von Archivgütern unterschiedlicheÜberlegungen, je nachdem um welchen Bereich des Kul-turgüterschutzes es sich handelt.

Der Substanzschutz ist im Wesentlichen als umfassendzu qualifizieren. Wünschenswert wäre allerdings die ein-deutige Inkorporierung privater, kulturell wertvollerArchivgüter in den Schutzbereich der Landesdenkmal-schutzgesetze. Da in einem solchen Fall die Archivgüterder Gruppe der beweglichen Kulturgüter zugerechnetwürden, wäre gleichzeitig eine Verbesserung und Verein-heitlichung des Schutzes beweglicher Kulturgüter in den16 Landesdenkmalschutzgesetzen anzustreben.36

Der Abwanderungsschutz ist ebenfalls grundsätzlichzufriedenstellend ausgestaltet. Die Ausfuhr von beson-ders bedeutsamem Archivgut bedarf immer einer staatli-

35 Zur Bedeutung des Eigentums und sich daraus ergebenden zivilrechtli-chen Ansprüchen vgl. Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005, S. 427 ff.

36 Näher dazu Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005, S. 592 f., 658 ff.

28 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

chen Genehmigung. Die zuständige Stelle variiert je nach-dem, ob es sich um privates oder um öffentliches Archiv-gut handelt. Der Mechanismus ist allerdings in beiden Fäl-len grundsätzlich der gleiche. Überlegenswert wäre aller-dings die bundesweite Einführung eines allgemeinen Ver-äußerungsverbotes für öffentliches Archivgut, wie es inzahlreichen Landesarchivgesetzen bereits verankert ist.37

Der größte rechtspolitische Handlungsbedarf bestehtim Bereich der Restitution illegal ausgeführter Archivgü-ter. Unbefriedigend im europarechtlichen Kontext ist insbe-sondere der vollständige Ausschluss öffentlichen Kultur-und Archivguts aus dem Anwendungsbereich des Kult-GüRückG. Diese materielle Schutzlücke ist rechtstech-nisch nur durch eine Ergänzung des KgSchG, auf das § 1KultGüRückG Bezug nimmt, zu schließen. Hier bietet essich an, die für kirchliche Kulturgüter in § 19 Abs. 2KgSchG gefundene Lösung auf öffentliche Kulturgüterauszudehnen. Erreicht würde dies durch Hinzufügungeines entsprechenden § 18 Abs. 2 KgSchG, der den öffent-lich-rechtlichen Eigentümern von Kultur- und Archivgutdie Möglichkeit einräumte, dieses eintragen zu lassen. Imweltweiten Kontext bleibt nur der immer wieder formu-

37 Vgl. § 6 II 1 BbgArchivG; § 4 I BremArchivG; § 8 V LArchivG M-V; § 4 IArchivG NW; § 8 IV SächsArchG.

lierte Appell,38 die beiden wesentlichen völkerrechtlichenVerträge, die UNESCO-Konvention von 1970 und dasUNIDROIT-Abkommen von 1995, zu ratifizieren. ZurUmsetzung der beiden Verträge könnte ein separatesGesetz erlassen werden oder aber, um ein weiteresAnwachsen der Normenflut zu verhindern, eine Erweite-rung des KultGüRückG vorgenommen werden. In einemsolchen Fall würde das KultGüRückG seinen Charakterals Umsetzungsnorm von lediglich europarechtlichenPflichten verlieren und zu einer umfassenden, für alleRestitutionsfälle geltenden Rückgaberegelung für Kultur-gut werden. Die zusätzlich erforderlichen Änderungen imzivilrechtlichen Bereich wären am sinnvollsten über eineentsprechende Änderung des BGB umzusetzen.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der Schutz vonArchivgütern im kulturgüterschützenden Normensystemweitestgehend gelungen ist und insbesondere den Beson-derheiten öffentlichen Archivguts gebührend Rechnungträgt. Deutlich wird jedoch, dass noch längst nicht dasOptimum erreicht ist und dass es, vor allem im Bereich desRestitutionsrechts, noch erhebliche Regelungslücken gibt.

38 Vgl. statt vieler die Berliner Resolution v. 25. 5. 2003 (Ziff. 1), die u. a. vonden Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz unterzeichnet wurdeund von ihr auch verbreitet wird.

„Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus“Der 75. Deutsche Archivtag 2005 in StuttgartTagungsbericht von Robert Kretzschmar

„Längst überfällig“ waren die am häufigsten gebrauchtenWorte, mit denen der 75. Deutsche Archivtag kommentiertwurde. Der „Jubiläumsarchivtag“, der vom 27. bis 30. Sep-tember in Stuttgart bei angenehmem frühherbstlichenWetter stattfand, war ein ungewöhnlicher Archivtag. DasRahmenthema war ein archivgeschichtliches, die einzel-nen Veranstaltungen ganz darauf ausgerichtet; lediglich inden Sitzungen der Fachgruppen und Arbeitskreise wur-den aktuelle Themen aus der heutigen Praxis des Archiv-wesens aufgegriffen. Ungewöhnlich war auch die Abfolgeder Veranstaltungen, mit der neue Wege beschritten wur-den.1 Um eine intensive und konzentrierte Auseinander-setzung mit dem Archivwesen im Nationalsozialismus zuermöglichen, hatte man die Eröffnung vom traditionellenTermin am Mittwoch Vormittag auf den Dienstag Abendverlegt und die Zahl der Sektionen von vier auf sechserweitert. Die „längst überfällige“ Beschäftigung mit demdeutschen Archivwesen im Nationalsozialismus hatte zueinem ungewöhnlichen, ja, wenn man so will, außeror-dentlichen Archivtag mit modifizierten Strukturengeführt.

Selbstverständlich waren bereits vor dem 75. DeutschenArchivtag einzelne Untersuchungen zum Archivwesen,zu Archiven und Archivaren im Nationalsozialismuspubliziert worden. Dass sich der Berufsstand aber einmalauf einer Tagung in dieser Intensität und derart konzen-

1 Der Vorstand des VdA wird die in Stuttgart gewonnenen Erfahrungenmit der neuen Programmstruktur bei der Planung weiterer Archivtageberücksichtigen. Bewährt hat sich in jedem Fall die Eröffnung am frühenAbend.

triert damit auseinandersetzt, daran hatte es bishergefehlt. „Längst überfällig“ war die breite, vertiefte undvergleichende Diskussion im Berufsstand, für die derDeutsche Archivtag als zentraler Fachkongress der deut-schen Archivarinnen und Archivare schlechthin dasgeeignete Forum bot. Dass ein Deutscher Archivtag zumArchivwesen im Nationalsozialismus dann sogar mit dem75. Jubiläumsarchivtag des VdA – Verband deutscherArchivarinnen und Archivare zusammenfiel und zudemim Jahr 2005 stattfand, in dem man sich allerorten desKriegsendes 1945, des Zusammenbruchs des Nationalso-zialismus und der beginnenden Nachkriegszeit erinnerte,war ein zeitliches Zusammentreffen, das den Verantwort-lichen im Verband bei der Planung sehr willkommen war.Aber man hätte sich auch ohne dieses doppelte „Jubi-läum“ veranlasst gesehen, das längst überfällige Themabreit angelegt aufzugreifen.

Die Anregung, sich einmal vertieft mit dem deutschenArchivwesen im Nationalsozialismus zu befassen, warfreilich 2002 aus der Mitgliedschaft des Verbands gekom-men. Noch im selben Jahr wurde Dr. Dieter Speck, Frei-burg i. Br., als Mitglied des Vorstands damit beauftragt,einen Aufruf zur Mitarbeit zu formulieren, der Anfang2003 als „Call for Papers“ im Archivar veröffentlich wurde.

Die Fülle der rund 40 Angebote zu möglichen Beiträgenhatte eine Arbeitsgruppe ausgewertet,2 der neben Dr.Speck die Vorstandsmitglieder Dr. Heiner Schmitt,

2 Einige der angebotenen Beiträge, die nicht als Vorträge für den StuttgarterArchivtag vorgesehen wurden, werden im Tagungsband veröffentlicht.

29Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Mainz, und Dr. Klaus Wisotzky, Essen, angehörten.Nicht zuletzt war es die große Resonanz, die dann zu demVorstandsbeschluss führte, das Thema auf dem DeutschenArchivtag zu behandeln.

Auch wenn es im Verband im Vorfeld des Archivtagsdurchaus kritische Stimmen gab, die danach fragten, obman sich mit der Fokussierung eines deutschen Archiv-tags auf ein rein archivgeschichtliches Thema nicht zu weitweg von der heutigen Praxis und aktuellen Herausforde-rungen entferne, so überwogen doch insgesamt die positi-ven Reaktionen, eben weil man eine solche Auseinander-setzung mit den Verstrickungen des Archivwesens imNationalsozialismus als längst überfällig und den Archiv-tag als besten Ort dafür betrachtete. Gemessen an denauch für Archivarinnen und Archivare „schwierigen“heutigen Zeiten, in denen die Budgets für die Teilnahmean Tagungen und Fortbildungen allenthalben reduziertsind, war der 75. Deutsche Archivtag in Stuttgart mit ins-gesamt 784 angemeldeten und 742 real anwesenden Teil-nehmern durchaus auch ein sehr gut besuchter DeutscherArchivtag. Dies ist umso bemerkenswerter, als der VdAals Veranstalter angesichts hoher Kosten für die Anmie-tung der Stuttgarter Liederhalle gezwungen war, dieTagungsgebühren um einiges gegenüber den letztenArchivtagen zu erhöhen. Dass sich die Liederhalle als einsehr angenehmer Tagungsort erwies, ist gerade vor die-sem Hintergrund erfreulich und gehört wiederum zurpositiven Resonanz, die der Archivtag insgesamt hatte –organisatorisch und inhaltlich.

Zur positiven Resonanz gehört auch das Interesse, aufdas der Archivtag bei der Presse stieß. Gemessen daran,wie schwierig es sonst ist, die Aufmerksamkeit derMedien für die fachspezifischen Themen zu finden, die aufden Deutschen Archivtagen behandelt werden, ist einerelativ breite Berichterstattung erfolgt und dies erstmals –was zu beachten ist – auch in überregionalen Zeitungenund deutschlandweit im Rundfunk.3 Geschuldet ist diesnatürlich in erster Linie der besonderen thematischenAusrichtung.

Positiv wahrgenommen wurde von Vertretern derMedien und vielen Teilnehmern die unaufgeregte Sach-lichkeit, von der die Referate und die Diskussion auf demArchivtag geprägt waren. Nachdem der Historiker UlrichHerbert im Eröffnungsvortrag unter dem Titel „Derdeutsche Professor im ‚Dritten Reich‘ – eine Bilanz nach 60Jahren“ an Beispielen aus der universitären Forschungund Lehre aufgezeigt hatte, dass die Analysen der Verhal-tensmuster an deutschen Hochschulen zwischen 1933 und1945 eher „graue“ denn „schwarz-weiße“ Bilder ergeben,so war damit ein Stichwort gegeben, auf das auf demArchivtag mehrfach rekurriert wurde, wenn es um dasHandeln von Archivaren ging. Apologetisch argumentiertwurde dabei freilich – sieht man von Ausnahmen ab – sei-tens der Vertreter des Archivwesens in keiner Weise. Viel-mehr hat sich mit dem Archivtag insgesamt – so jedenfallsviele Stimmen im Nachhinein das Ergebnis resümierend –tief im Bewusstsein des Berufsstands verankert, in wel-chem Maße Archive im Nationalsozialismus im Dienstedes Systems standen und zu dessen Instrument wurden, inwelche Verstrickungen Archivare gerieten und wie sehr esin der Nachkriegszeit und weit darüber hinaus bis in die

3 Es ist vorgesehen, im Tagungsband eine Zusammenstellung der Bericht-erstattung abzudrucken.

unmittelbare Gegenwart an der selbstkritischen Reflexionüber die funktionale Einbindung des Archivwesens in denNS-Staat und das Verhalten von Archivaren gemangelthat. Besonders deutlich wurde dies aufgezeigt für dieÜberlieferungsbildung einschließlich der Archivpflege,die Nutzung – vor allem im Kontext des „Ariernachwei-ses“ – und die Archivpolitik im besetzten Ausland.4

Bemerkenswerterweise war es in der Podiumsdiskussionzum Abschluss des Archivtags dann auch nicht ein Vertre-ter des archivarischen Berufsstands, sondern der Medien-wissenschaftler Prof. Dr. Ernst, der die These vertrat, dasArchivwesen habe – weil es methodisch den Naturwissen-schaften näher stehe als den Geisteswissenschaften undder Geschichtswissenschaft – durch seine Orientierung anfachlichen Grundsätzen und „technischer Werktreue“Resistenz gegenüber einer ideologischen Instrumentali-sierung und denkbaren Manipulationen an der Überliefe-rung entwickelt, während es auf dem Podium und im Ple-num die Archivare waren, die einer solchen Sicht – nichtzuletzt unter Hinweis auf Ergebnisse in einzelnen Veran-staltungen des Archivtags – vehement widersprachen.5

An diesem Punkt verlor der Archivtag so denn auch etwasvon seiner sachlichen Unaufgeregtheit.

Unaufgeregt verlief dagegen die Diskussion über ein-zelne Personen. Nur Bernhard Vollmer gab Anlass zu einerkleineren Kontroverse.6 Und wenn auch zahlreiche Refe-rate biografisch angelegt waren, so ging es auf demArchivtag doch eher um übergeordnete Fragestellungenals um das Wirken und die Beurteilung einzelner Perso-nen. Besonders in dieser Hinsicht bleibt so denn aber auchnach dem Archivtag noch vieles umfassender aufzuarbei-ten; man denke nur an Namen wie Zipfel, Papritz undMeisner. Freilich sollten, so das Diskussionsergebnis ineiner Sektion7, nicht nur prominente Figuren aus der Lei-tungsebene der Preußischen Archivverwaltung und desReichsarchivs in den Blick genommen werden, sondernauch die weniger bekannten und einflussreichen Archi-vare.

Insgesamt – und wie hätte dies anders sein können? –hat der Archivtag zahlreiche Anstöße zur weiteren For-schung gegeben. Mit ihm wurde 60 Jahre nach Kriegsendedie in der Tat mehr als längst überfällige Frage nach derRolle des Archive und Archivare im Nationalsozialismusnunmehr auf eine breite und solide Basis gestellt, die derAusgangspunkt jeder weiteren Auseinandersetzungdamit sein wird. Sicher wird der Tagungsband, der nebenden gehaltenen Referaten einige weitere Beiträge enthal-ten wird, die Diskussion noch einmal weiter befruchten.8

Am Rande des Archivtags ist jedenfalls schon mancheAnkündigung erfolgt, man wolle dieser oder jener Frage-stellung einmal vertiefend nachgehen.

4 Vgl. im Folgenden dazu insbesondere die Einzelberichte zu den Sektio-nen 1, 3, 4 und 5 von Annkristin Schlichte, Pauline Puppel, NicolaWurthmann und Johannes Rosenplänter sowie zur Sitzung der Fach-gruppe 3 von Hans Ammerich.

5 Vgl. auch unten den Einzelbericht von Kai Naumann. – Die Podiumsdis-kussion soll im Tagungsband in enger Anlehnung an den Wortlaut derBeiträge wiedergegeben werden.

6 Vgl. unten den Einzelbericht von Pauline Puppel zu Sektion 3.7 Vgl. den Einzelbericht von Andreas Petter zu Sektion 6.8 Die Drucklegung wird derzeit vom Verf. in Zusammenarbeit mit Astrid

Eckert, Heiner Schmitt, Dieter Speck und Klaus Wisotzky vorberei-tet.

30 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Veranstaltungen vor der Eröffnung

Am Dienstag, den 27. September 2005 tagten traditionellab 9.00 Uhr die Konferenz der Archivreferenten bzw. Lei-ter der Archivverwaltungen des Bundes und der Ländersowie die Bundeskonferenz der Kommunalarchive beimdeutschen Städtetag, wobei die letztere wie schon 2003 aufdem 74. Deutschen Archivtag in Chemnitz am Nachmittagals öffentliche Veranstaltung in Zusammenarbeit mit derFachgruppe 2 im VdA abgehalten wurde. Am Nachmittagstanden aber auch bereits Arbeitssitzungen der Fach-gruppe 6 im VdA (Archivare an Archiven der Parlamente,der politischen Parteien, Stiftungen und Verbände), desArbeitskreises Archivpädagogik und Historische Bil-dungsarbeit und des Forums Ausbildung Fachangestelltefür Medien- und Informationsdienste auf dem Programm.Der Einladung des VdA an die ausländischen Archivtags-teilnehmer zu einem Arbeitsgespräch waren 20 Teilneh-mer gefolgt. Vertreten waren die Länder Belgien, Lettland,Litauen, die Niederlande, Österreich, die Schweiz, Slowa-kei, Slowenien, Südafrika, Tschechien und Ungarn. In demGespräch, das von Dr. Martin Dallmeier als Mitglied desGeschäftsführenden Vorstands geleitet wurde und imHauptstaatsarchiv Stuttgart stattfand, wurden aktuelleInformationen ausgetauscht. Vertiefte Erörterung fand dieZusammenarbeit der mitteleuropäischen Archivarsver-bände.

Eröffnung

Die feierliche Eröffnung des Archivtags erfolgte am Diens-tag, den 27. September um 18.00 Uhr im voll besetztenHegelsaal der Stuttgarter Liederhalle. Professor Dr. VolkerWahl begrüßte als Vorsitzender des Verbands deutscherArchivarinnen und Archivare die Teilnehmer und führtein das Tagungsthema ein: „Wir stellen uns 60 Jahre nachKriegsende“ – so der Vorsitzende – „der Auseinanderset-zung mit der Vergangenheit sicher unbefangener als dieKriegs- und unmittelbare Nachkriegsgeneration deut-

scher Archivare. Der Blick in die Vergangenheit ist nichtmehr verstellt durch Zunftdenken, dienstliche Abhängig-keiten, fortdauernde Lehrer-Schüler-Verhältnisse. Perso-nen und Institutionen, Praxisfelder und Einsatzgebiete,Fachwissenschaft und gesellschaftliche Wirkung desArchivwesens müssen in den Blick genommen werden.Individuelle Verhaltensweisen sind im zeitgeschichtlichenKontext zu untersuchen, um Anpassungsbereitschaft undpolitische Identifikation, aber auch Distanz und Unange-passtheit zu erkennen.“

Für die Stadt Stuttgart überbrachte OberbürgermeisterDr. Wolfgang Schuster ein Grußwort, in dem er daraufhinwies, dass der Deutsche Archivtag zuletzt 1932 in Stutt-gart getagt hatte, und der Hoffnung Ausdruck verlieh, esmöge bis zum nächsten Mal nicht wieder 63 Jahre dauern.Der Oberbürgermeister nutzte die Gelegenheit, Stuttgartals attraktive Stadt zwischen Wald und Reben vorzustel-len, vor allem aber auch als pulsierendes industrielles Zen-trum, als Stadt der Medien und nicht zuletzt als die deut-sche Großstadt mit der geringsten Verschuldung. Dieaktuellen Planungen für die neue Unterbringung desStadtarchivs seien wichtig für das historische Gedächtnisder Stadt, die Kosten von rund 20 Millionen Euro eine guteInvestition für die Zukunft. Ausdrücklich begrüßte Schus-ter das Thema des Archivtags. Er würdigte die Arbeit derArchive zur Sicherung der Quellen zum Nationalsozialis-mus und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dassdie Stadt Stuttgart und das Stadtarchiv sich schon seit lan-gem in der Aufarbeitung der Geschichte des Dritten Rei-ches und in der Gedenkstättenarbeit engagieren. Miteinem Ausblick auf die Planungen zu einem Stadtmu-seum, das an der Kulturmeile neben dem Hauptstaatsar-chiv Stuttgart entstehen soll, schloss er sein Grußwort.

Die Grüße der Landesregierung überbrachte der Minis-ter für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, Prof. Dr. Peter Frankenberg, der einlei-tend darauf hinwies, dass 11 der bisherigen 75 deutschenArchivtage in Baden-Württemberg stattfanden. Darinspiegele sich vor allem die vielfältige und sorgfältiggepflegte Archivlandschaft des Bundeslandes; jede Fach-gruppe des Verbands deutscher Archivarinnen und Archi-vare könne sich darin gut vertreten finden. Auch Franken-berg nahm auf den Stuttgarter Archivtag von 1932 Bezug,indem er darauf hinwies, dass dies der letzte Archivkon-

Prof. Kahlenberg und Prof.Mikoletzky bei der Podiums-diskussion

31Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

gress vor dem Nationalsozialismus war, auf dem die deut-schen Archivare ihre Entscheidungen in demokratischerForm treffen konnten; ein Jahr später habe die Berufsverei-nigung das Führerprinzip eingeführt. Der Ministerbegrüßte es, dass die Organisatoren des 75. DeutschenArchivtags 60 Jahre nach Kriegsende einen Schwerpunktgesetzt hätten, der die notwendige und längst überfälligeAuseinandersetzung mit der eigenen Geschichte desBerufsstands im Nationalsozialismus einleite. Er wies aufdie Bedeutung der Archivbestände zur Erforschung derGeschichte des Dritten Reiches hin, aber auch zur Wieder-gutmachung von erlittenem Unrecht, wie zum Beispiel beider Beschaffung von Nachweisen zur Entschädigung vonZwangsarbeitern. Die Zugänglichmachung einschlägigerBestände wie etwa der Entnazifizierungsakten sei einSchwerpunkt des Landesarchivs Baden-Württemberg. Alseinen weiteren aktuellen Schwerpunkt benannte Franken-berg die Entwicklung von Lösungsansätzen zur Langzeit-archivierung von elektronischen Unterlagen; das Konzeptfür ein digitales Landesarchiv solle bis 2008 vorliegen.Abschließend nutzte der Minister die Gelegenheit, Prof.Dr. Wilfried Schöntag, der Ende August 2005 als Präsi-dent des Landesarchivs Baden-Württemberg auf eigenenWunsch vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden war,Dank und Anerkennung auszusprechen: „Er hat durchseine langjährige und zukunftsweisende Arbeit für dasArchivwesen maßgeblich zum Ansehen der baden-würt-tembergischen Archivverwaltung in Deutschland beige-tragen.“

Ein drittes Grußwort sprach Prof. Dr. Lorenz Miko-letzky. Als Präsident des Internationalen Archivrats(International Council of Archives – ICA) und damit imNamen von 1700 Mitgliederorganisationen und Mitglie-dern in 180 Ländern, zugleich aber auch als Generaldirek-tor des Österreichischen Staatsarchivs in Wien begrüßte erebenfalls das Rahmenthema des Archivtags. Die erstma-lige kritische Auseinandersetzung mit dem Handeln deseigenen Berufsstands, der mehr als involviert gewesen seiin das Wirken des NS-Staates, sei dringend notwendig.Mikoletzky wies darauf hin, dass sich der ICA seit seinerGründung 1948 der friedlichen und überparteilichenZusammenarbeit der Archive und Archivinstitutionen inder ganzen Welt verschrieben hat und sich neutral bei derSicherung und dem Erhalt von Archivalien engagiert,

auch wenn dies bei kriegerischen Auseinandersetzungenwie zuletzt im Irak nicht immer einfach sei. Auch bei derRück- und Zusammenführung von Archivgut sei der ICAgefragt. Die nicht zu unterschätzende Rolle, die Deutsch-land dabei spiele, sei in diesem Zusammenhang dankbarzu erwähnen.

Den Grußworten schloss sich der Eröffnungsvortragvon Prof. Dr. Ulrich Herbert, Freiburg i. Br., zum Thema„Der deutsche Professor im ‚Dritten Reich‘ – eine Bilanznach 60 Jahren“ an. Anhand von vier biografischen Skiz-zen, die dem Historiker Gerhard Ritter, dem StaatsrechtlerCarl Schmitt, dem Ethnologen Wilhelm Mühlmann unddem Physiker Walther Gerlach gewidmet waren, analy-sierte Herbert verschiedene Verhaltensmuster von Gelehr-ten während des Nationalsozialismus, womit er problem-orientiert eine hervorragende Folie zur vergleichendenBetrachtung archivarischen Handelns und Wirkens schuf.

Zum Ausklang des Abends begaben sich die rund 500Teilnehmer an der Eröffnungsveranstaltung von der Lie-derhalle in das Stuttgarter Rathaus, wo sie bei einemgemeinsamen Empfang des Landes Baden-Württembergund der Landeshauptstadt Stuttgart geradezu opulent miteinem kalten und warmen Buffet bewirtet wurden und dieGelegenheit zum persönlichen Gespräch bis spät in denAbend hinein bestens nutzen konnten. Ein herzliches Dan-keschön an Stadt und Land dafür!

Gemeinsame Arbeitssitzung

Zur Gemeinsamen Arbeitssitzung konnte am Mittwoch,den 28. September 2005, um 9.00 Uhr Dr. Heiner Schmitt,Vorstandsmitglied des VdA und Mitglied der Arbeits-gruppe, die im Vorstand das Projekt „Das deutscheArchivwesen und der Nationalsozialismus“ federführendvorbereitet hatte, die Teilnehmer im wiederum voll besetz-ten Hegelsaal begrüßen. Mit seinen einführenden, sehrproblemorientierten Bemerkungen ging Schmitt auf denlangen zeitlichen Abstand zur zeitgeschichtlichen Epocheein, die im Zentrum des Archivtags stand. Dieser Abstand,so Schmitt, habe aber auch sein Gutes: „Ist doch nun dieGefahr gering, der Versuchung einer Apologie unseres

Dr. Eckert und Prof. Ernst bei derPodiumsdiskussion

32 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Berufsstandes und dessen Einrichtungen zu erliegen.“Schmitt analysierte konzise die Gründe dafür, dass nach1945 im Archivwesen die „eigene“ Geschichte so langevergessen und verdrängt wurde: „War vielleicht der nachdem Krieg existentiell so wichtige Wiederaufbau des Lan-des für viele Beteiligte ein Vorwand, auf eine kritischeAuseinandersetzung mit der Vergangenheit zu verzichtenoder diese hintanzustellen? Hatte man damit nicht einwillkommenes Alibi, sich von der eigenen Geschichte zuverabschieden und so passiv Zeugnis zu verweigern? Diesum so mehr, als nicht wenige der im Dritten Reich tätigenArchivare, national gesinnt und konservativ, wie siewaren, dem neuen Staat bald nach der Machtergreifungihre Reverenz erwiesen hatten?“ In seiner Einführungstellte Schmitt auch bereits deutlich dar, wie sehr das deut-sche Archivwesen von 1933 bis 1945 Teil des nationalsozia-listischen Staates war, wie schnell und geräuschlos sichauch in den Archiven die Umstellung auf das neue totali-täre Herrschaftssystem vollzog. Zu erreichen sei nun beider Beschäftigung mit der „eigenen“ Geschichte, soSchmitt, eine „teilnehmende Erkenntnis“. Die geschichtli-che Erkenntnis könne nicht teilnahmslos sein, dürfe aberauch nicht parteilich sein. „Eine teilnehmende Erkenntnisunterscheidet sich von dem Prinzip der Parteilichkeit, wiees der Geschichtsdeutung in totalitären Systemen imma-nent ist, durch das Streben nach Gerechtigkeit. Ein vondiesem Ziel geleiteter Blick kennt eben nicht nur die gän-gige Orientierung an den Interessen einer bestimmtenGesellschaft oder eines Staates, sondern richtet sich aus amGemeinwohl und an Grundwerten, wie Humanität undFreiheit.“

Der inhaltlichen Einführung Schmitts in das Tagungs-thema schlossen sich in der Gemeinsamen Arbeitssitzun-gen zwei Vorträge an, die vor den Sektionssitzungen näheran das Rahmenthema heranführen sollten. Den zeithistori-schen Hintergrund brachte, auf den Tagungsort Stuttgartbezogen, zunächst Dr. Roland Müller, der Leiter desStadtarchivs Stuttgart, zum Leben in seinem Referat„‚Wirtschaftsoase‘ und ‚Stadt der Auslandsdeutschen‘ –Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus“. – Da bei der

neuen Struktur, die man für den Ablauf des StuttgarterArchivtags gewählt hatte, der traditionelle Vortrag zurGeschichte des Tagungsortes nicht am Abend vor derEröffnung eingeplant worden war, hatte man ihn – freilichfokussiert auf die Zeit des Nationalsozialismus – für dieGemeinsame Arbeitssitzung vorgesehen.

Grundsätzliche Überlegungen zur Funktionalität undWirkungsweise von Archiven im Nationalsozialismusstanden dagegen im Vordergrund des Vortrags von Prof.Dr. Wolfgang Ernst, Lehrstuhl für Medientheorien, Ber-lin, mit dem Titel „Archive, Bibliotheken und Museen imNationalsozialismus – Speicheragenturen als Instrumenteder Täter und Gedächtnis der Opfer“. Der Referent kon-zentrierte sich auf kybernetische Techniken und Speiche-rungstechnologien (Einsatz von Hollerith-Maschinen inder Administration, statistische Operationen in den staat-lichen Archiven), die im Dienst des Nationalsozialimusstanden, deren Spuren aber heute Grundlage der For-schung und des Gedenkens sind.

Sektionen, Veranstaltungen der Fachgruppen undArbeitskreise, Podiumsdiskussion

Am späten Vormittag des 28. September sowie am Vormit-tag des darauf folgenden Tages fanden sechs Sektionssit-zungen statt, in denen das Rahmenthema des Archivtagsunter besonderen Aspekten behandelt wurde. FolgendeSitzungen standen auf dem Programm (in Klammern diejeweilige Zahl der Anmeldungen):1. Aspekte nationalsozialistischer Archivpolitik (308)2. Geraubte, beschlagnahmte und manipulierte Archive

(155)3. Deutsche Archivpolitik im besetzten Ausland (154)4. Staatsarchive im Nationalsozialismus (162)5. Kommunalarchive im Nationalsozialismus (163)6. Kontinuitäten und Vergangenheitsbewältigung nach

1945 (235).

Das reichhaltige Buffet beimgemeinsamen Empfang derLandesregierung und der StadtStuttgart

33Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Berichte zu den Sektionssitzungen und zur Podiumsdiskussion auf dem75. Deutschen Archivtag

Sektionen

Sektion 1:Aspekte nationalsozialistischer ArchivpolitikDie Sektionssitzung wurde von Dr. Dieter Speck, Univer-sitätsarchiv Freiburg i. Br., geleitet und thematisierte invier Vorträgen „Aspekte nationalsozialistischer Archivpo-litik“, wobei die Referenten den Bogen zum Teil bis in dieNachkriegszeit spannten und so Kontinuitäten und Brü-che nach 1945 aufzeigten.

Dr. Robert Kretzschmar (Landesarchiv Baden-Würt-temberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart) ging in seinem Vor-trag „Überlieferungsbildung im Nationalsozialismus undin der unmittelbaren Nachkriegszeit“ zunächst der Fragenach, unter welchen historischen Voraussetzungen undRahmenbedingungen die Bewertungsdiskussion 1933 bis1945 geführt wurde. Grundlage jeder Überlieferungsbil-dung und Bewertungsdiskussion war seit 1933 derArchivgutschutz, der im Zusammenhang mit den Bemü-hungen um den Erlass eines Archivgesetzes seit denzwanziger Jahren stand. Mit dem Einsatz von behördli-

chen Archivpflegern, die insbesondere bei der Justiz tätigwurden, sollte die umfassende Sicherung von staatlichemArchivgut garantiert werden. Die Archivpflege wurdeaber auch im nichtstaatlichen Bereich unter staatlicherAufsicht konsequent ausgebaut. Konkreten Einfluss aufdie Überlieferungsbildung nahm der NS-Staat unter ande-rem durch den Erlass zur Archivierung sippenkundlicherQuellen. Neben die bisherigen Wertkategorien für Archiv-gut, die des praktisch-fiskalischen Nutzens und des histo-rischen Quellenwertes, trat damit ein neues Auswahlkrite-rium, das des sippenkundlichen und erbbiologischen Wer-tes. Auch wurden die Archive angehalten, bestimmteUnterlagen zur Geschichte des Nationalsozialismusgezielt zu sichern. Ungeklärt bis zum Ende des dritten Rei-ches blieb die Abgrenzung der Zuständigkeiten mit denArchiven der NSDAP und ihrer Gliederungen, die nach1993 als konkurrierende Einrichtungen entstanden waren.Auch theoretisch blieb manches ungeklärt: Die 1936 inPreußen eingerichtete Kassationskommision wurde 1940wieder aufgelöst, ohne ihr Ziel, allgemeine und besondereKassationsrichtlinen zu erarbeiten, erreicht zu haben.Motivenberichte, in denen die konkreten Ergebnisse derBewertungsarbeit vorgestellt wurden, und einzelne Publi-

Das Rahmenthema wurde auch in einzelnen Fachgrup-pensitzungen am Nachmittag des 28. September aufge-griffen, in denen darüber hinaus oder ausschließlich aberauch aktuelle Themen aus der Archivpraxis behandeltwurden. Hierzu sowie auf die Veranstaltungen derArbeitskreise, die am 27. und 28. September auf dem Pro-gramm standen, sei auf die nachstehend abgedrucktenEinzelberichte verwiesen.

Den Abschluss des Fachprogramms bildete die bilan-zierende Podiumsdiskussion unter der Überschrift„Archive und Archivare im Nationalsozialismus“ unterder Leitung des VdA-Vorsitzenden Prof. Dr. Volker Wahlam Nachmittag des 28. September, an der Dr. AstridM. Eckert (Washington), Prof. Dr. Wolfgang Ernst (Ber-lin), Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky (Wien) und Prof. Dr.Friedrich Kahlenberg (Boppard) beteiligt waren. Auchhierzu sei auf den folgenden Einzelbericht verwiesen.

Mitgliedersammlung des VdA, Rahmenprogramm,Fachmesse „Archivistica“ und 32. Tag der Landesge-schichte

Die Mitgliederversammlung des VdA fand am späten Vor-mittag und Mittag des 29. September statt. Das Protokollwurde bereits im letzten Heft dieser Zeitschrift publiziert.9

Auf großes Interesse stieß das reichhaltige Rahmenpro-gramm mit seinen zahlreichen Besichtigungsmöglichkei-

9 Der Archivar 58 (2005) S. 336–346.

ten und Führungen, das der Ortsausschuss unter derFederführung des Stuttgarter Stadtarchivars Dr. Müllerzusammengestellt hatte. Ausgebucht war auch der Begeg-nungs- und Gesprächsabend am 28. September, der imarchitekturgeschichtlich interessanten Stuttgarter Zoo„Wilhelma“ stattfand und bei angenehmer Atmosphäredie Möglichkeit zum persönlichen Gespräch bot. Nichtvoll belegt waren dagegen die vier Exkursionen am 30.September; eine Halbtagsfahrt nach Esslingen musstesogar ganz abgesagt werden. Der Vorstand des VdA wirdsich damit befassen müssen, ob bei der Planung der kom-menden Archivtage das Exkursionsangebot im gewohn-ten Umfang beibehalten werden soll. Offenkundig könnenimmer weniger Teilnehmer daran teilnehmen.

Sehr gut besucht war wiederum die Fachmesse „Archi-vistica“ im Foyer der Liederhalle, für die während desArchivtags 42 Aussteller ihre Stände aufgebaut hatten; aufder Homepage des VdA im Internet sind sie zusammenge-stellt.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass unmittelbar imAnschluss an den Archivtag am 30. September und 1. Ok-tober 2005 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart der 32. Tag derLandesgeschichte stattfand, der im Einklang mit dem Rah-menthema des Archivtags dem Thema „Landesgeschichteund historische Vereine in der NS-Zeit“ gewidmet war.Wer beide Tagungen besucht hat, wird festgestellt haben,dass oft von denselben Personen die Rede war. Insofernwerden bei weiteren Forschungen zum Archivwesen inder NS-Zeit auch die Referate auf dem 32. Tag der Landes-geschichte zu berücksichtigen sein, die in den Blättern fürdeutsche Landesgeschichte gedruckt werden sollen.

34 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

kationen sollten nach Kriegsende die Anknüpfungs-punkte für eine Wiederaufnahme der theoretischen Dis-kussion bilden. Die Bewertung blieb in der Zeit des Natio-nalsozialismus provenienzorientiert, gleichzeitig wurdenjedoch in zunehmendem Maße Wertmaßstäbe der natio-nalsozialistischen Ideologie angelegt. Die Frage, ob manzwischen 1933 und 1945 auf dem Weg zu einer nationalso-zialistischen Bewertungslehre war, bejahte Kretzschmarvor diesem Hintergrund. Wenn nach dem Zweiten Welt-krieg dennoch an die Bewertungsdiskussion der dreißigerund vierziger Jahre angeknüpft werden konnte, so wardies ihrer methodischen Komplexität und wissenschaftli-chen Ausrichtung auf der Grundlage von Ansätzengeschuldet, die vor 1933 entwickelt worden waren. Dienationalsozialistischen Wertmaßstäbe habe man bei derRezeption nach 1945 schlichtweg ausgeblendet, das Krite-rium der Provenienz dann zum Teil auch überbetont.

Prof. Dr. Norbert Reimann (Westfälisches Archivamt)zeichnete im folgenden Referat die Bemühungen um einegesetzliche Regelung des Archivwesens nach. Vornehmli-ches Ziel solcher Bemühungen war seit den ersten Jahrender Weimarer Republik der Archivgutschutz, insbeson-dere der Schutz von Archivgut im privaten, kommunalenund kirchlichen Eigentum. Entwürfe Heinrich Otto Meis-ners und der preußischen Archivverwaltung in den zwan-ziger Jahren stießen jedoch auf den Protest von Fachkolle-gen an kirchlichen, kommunalen oder privaten Archiven;ein entsprechendes Gesetz kam bis zum Ende der Weima-rer Republik nicht zustande. Die Strukturen des national-sozialistischen Staates schienen dagegen ideale Rahmen-bedingungen für die Durchsetzung des Gesetzes zu bie-ten. Im November 1934 wurde ein erster Gesetzesentwurfvorgelegt, der neben einer umfassenden Aufsicht des Staa-tes über nichtstaatliches Archivgut auch den Plan einer„Verreichlichung“ des Archivwesens beinhaltete, derjedoch bald fallengelassen wurde. Nach umfangreichenAbstimmungen mit den Parteistellen der NSDAP lagschließlich im Sommer 1936 ein verabschiedungsreiferEntwurf vor. Doch Hitler lehnte das Gesetz ab mit derBegründung, es greife zu stark in die Rechte einzelnerFamilien ein. Trotz mehrmaliger Überarbeitung undAbmilderung des Archivgesetzes blieb Hitler bei seinerAblehnung, die, wie Reimann betonte, bei allen Beteiligtenvöllige Ratlosigkeit auslöste. Da Hitler sich offensichtlichintensiv mit dem Gesetz beschäftigte, kann seine Weige-rung, es zu unterzeichnen, nicht damit erklärt werden,dass die Materie ihm zu unwichtig erschien. Vielmehr liegtes nach den Ausführungen Reimanns nahe, die Gründefür die Ablehnung in einer Person aus Hitlers nächsterUmgebung zu suchen, die entsprechenden Einfluss nahm.Dies könnte nach Reimann Heinrich Glasmeier, der Direk-tor der vereinigten westfälischen Adelsarchive, gewesensein, der schon 1932 in einem Brief an Adolf BrackmannStellung gegen den damaligen Gesetzesentwurf der preu-ßischen Archivverwaltung bezogen hatte. Glasmeier hatteHitler während des erfolgreichen Wahlkampfes derNSDAP in Lippe 1933 unterstützt und dort bei einemgemeinsamen Aufenthalt auf der Grevenburg gute Bezie-hungen geknüpft. Hitler schätzte ihn nachweislich alsKenner der Geschichte und fachkundigen Archivar. Nachder Machtergreifung der Nationalsozialisten stieg Glas-meier zum Reichsrundfunkintendanten auf und blieb bis1945 ein Vertrauter Hitlers. Ihm könnte Hitler in der Fragedes Archivgesetzes entscheidende Kompetenz beigemes-

sen haben und dadurch zu seiner Ablehnung bestimmtworden sein. Unmittelbar nach 1945 seien, so schloss Rei-mann, die Bemühungen um ein deutsches Archivgesetzzum Teil von denselben Personen wieder aufgenommenworden, doch eine nachhaltige Veränderung des deut-schen Archivwesens sei durch die Weigerung Hitlers, dasGesetz von 1936 zu unterzeichnen, verhindert worden.

Daran anschließend thematisierte Prof. Dr. VolkerWahl (Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar) die aufInitiative Zipfels einberufenen Arbeitstagungen der deut-schen Archivverwaltung zwischen 1941 und 1944. Auf derTagesordnung dieser Zusammenkünfte in Weimar 1942,Dresden und Würzburg 1943 sowie Wien 1944 standneben der aktuellen Kriegssituation und ihren personellenund organisatorischen Auswirkungen auf die Archiveimmer wieder der Zusammenhalt aller deutschen Archiv-verwaltungen und die gemeinsame Frontbildung gegenstrukturelle und inhaltliche Bedrohungen des staatlichenArchivwesens. Eine solche Bedrohung ging vor allem vonden Reichsreformplänen aus, durch deren Verwirklichungein vollständiges Aufgehen der Archive als bisher selb-ständige Behörden in allgemeinen Verwaltungsstrukturenkünftiger Gauselbstverwaltungen zu befürchten stand.Als Gegenmaßnahme und Steuerungsinstrument wurdeeine von Zipfel geforderte „Fachspitze“ für das deutscheArchivwesen als notwendig anerkannt, in der das staatli-che und kommunale Archivwesen in ganz Deutschland zueiner einheitlichen Reichsarchivverwaltung, möglichstunmittelbar unter dem Staatschef, zusammengefasst wer-den sollte. Die „Reichsarchivfachspitze“ war auf denArbeitstagungen von 1941 bis 1944 mehr oder wenigerKonsens, obwohl die darin zum Ausdruck kommendenZentralisierungsabsichten den Interessen der Länderwidersprechen mussten. Andererseits schien mit einer„Reichsarchivfachspitze“ eine erhöhte Wertschätzung derArchive und eine leichtere Durchsetzung personeller For-derungen verbunden. Ein erster Schritt zur Einrichtungeiner „Reichsarchivfachspitze“ war, wie Wahl bemerkte,die Bestellung Zipfels zum „Kommissar für den Archiv-schutz“. Nach Kriegsende seien alle Gedanken an einezentrale deutsche Archivverwaltung obsolet geworden.Zwar wurde in der DDR 1952/53 die Staatliche Archivver-waltung eingerichtet, doch habe sich nach der deutschenWiedervereinigung 1990 schließlich auch in den neuenLändern der Föderalismus im Archivwesen durchgesetzt.

Thomas Wolf (Kreisarchiv Siegen) schloss die Sekti-onssitzung mit einem durch eine Powerpoint-Präsenta-tion unterstützten Vortrag zu „NationalsozialistischenArchivbauten. Bauten. Benutzung. Planungen“. Nur „ein-einhalb“ Archivzweckbauten wurden in den Jahren von1933 bis 1945 realisiert, nämlich das Staatsarchiv Marburgund der Magazinbau des Staatsarchivs Münster. Die Pla-nungen des Marburger Archivs waren 1934 begonnenworden. Seinen Zweck lässt der Bau von außen nichterkennen, vielmehr handelt es sich um einen klassischenstaatlichen Repräsentationsbau. Auch der nationalsozia-listische Schmuck am Bau gehörte zum „bildlichen Stan-dardrepertoire“. Bemerkenswert ist, wie Wolf weiter aus-führte, die Konzentration dieses Schmuckes auf denöffentlich zugänglichen Bereich, vor allem das Foyer.Nicht verwirklicht wurde der Bau des Reichsarchivs, dasseinen Platz an der in Berlin geplanten Nord-Süd-Achsefinden sollte. Damit sollten Archivalien von den „Dornrös-chenplätzen“ Dahlem und Potsdam ins Zentrum der

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Hauptstadt geholt werden. Die dritte Variante der Pla-nung des Reichsarchivs wurde 1938 vorgelegt. Das in derStraßenfront 240 m lange Gebäude, dessen Seitenansichtmit vier bis zu 21 m hohen Einzeltrakten den Eindruckeines Fortifikationsbaus erweckt, zeigt den Anspruch dernationalsozialistischen Architektur.

Zu dem Referat von Prof. Reimann stellt Axel Metz(Landesarchiv Baden-Württemberg, HauptstaatsarchivStuttgart) die Frage, ob es konkrete Hinweise darauf gebe,dass Glasmeier zwischen 1936 und 1938 in Kontakt mitHitler stand, um das Gesetz zu verhindern. Prof. Reimannführt daraufhin aus, dass zwar Kontakte zwischen Glas-meier und Hitler im fraglichen Zeitraum in den Quellennicht belegbar seien, wohl aber die Vertrauensstellung, dieGlasmeier bis 1945 bei Hitler genossen habe. Insbesonderesei es noch im Februar 1945 zu einem Kontakt zwischenHitler und Glasmeier in der Reichskanzlei gekommen;Glasmeier sei bis zuletzt von Hitler protegiert worden.Auch wenn Glasmeier zwischen 1936 und 1938 bei derVerhinderung des Gesetzes nicht selbst aktiv gewordensei, sei es denkbar, dass Hitler unter dem Einfluss derBegegnung von 1933 (der in den Quellen belegt ist) dasGesetz abgelehnt habe. Andere Gründe für die Ablehnungeines von Partei und Staat gebilligten Gesetzes seien nichtzu finden; vielmehr sei sicher, dass keine amtliche StelleHitler bei seiner Ablehnung beeinflusst habe, da alleStaats- und Parteistellen das Gesetz befürwortet hätten.Insgesamt handele es sich bei der vorgetragenen Erklä-rung allerdings um einen „Erklärungsversuch, eine Hypo-these“.

Prof. Dr. Hansmartin Schwarzmaier, Karlsruhe,schließt daran die Frage an, ob es bei der NS-Spitze Versu-che gegeben habe, auf Hitler einzuwirken. Gerade Himm-ler habe doch an dem Gesetz großen Anteil genommen.Hierauf erwidert Prof. Reimann, dass Himmler nachweis-lich der Akten tatsächlich bedauert habe, dass das Gesetznicht verabschiedet wurde. Belege für ein Einwirken aufHitler gebe es allerdings nicht, wohl aber sei in den Aktensehr deutlich die Fassungslosigkeit der Partei und derRegierung angesichts der Ablehnung des Gesetzesent-wurfs durch Hitler spürbar.

Marburg Annkristin Schlichte

Sektion 2:Geraubte, beschlagnahmte und manipulierte Archive

Etwa 130 Zuhörer konnte Sitzungsleiter Dr. MichaelHäusler (Archiv des Diakonischen Werks der EKD, Ber-lin) zur Sektion II über „Geraubte, beschlagnahmte undmanipulierte Archive“ begrüßen. Zu Beginn seiner Einlei-tung stellte Häusler fest, dass bei der Planung von Kon-gressen üblicherweise die einzelnen zu behandelndenSektionen thematisch bereits feststünden und bei demvorausgehenden „Call-for-Papers“ auf diese EinteilungBezug genommen werde. Nicht so bei der Vorbereitungdes 75. Archivtags mit seiner speziellen Thematik; hier seivielmehr ein sehr allgemein gehaltener Aufruf ergangenund die Beiträge seien nachträglich in dann erst einzurich-tenden Sektionen thematisch gegliedert worden. Alleindie drei Adjektive im Sektionstitel deuteten an, dass hierverschiedene, gleichwohl aber ähnliche Aspekte derArchivgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus the-matisiert werden sollten. Der Titel mache auch deutlich,dass in dieser Sektion nicht die Haltung von Archivaren

als handelnde Personen oder auch Institutionenge-schichte, sondern vielmehr das Schicksal von Archivalienund Beständen im Mittelpunkt des Interesses stehe: Häu-fig werde von Archivalien oder sogar ganzen Archiven alsBeutegut die Rede sein müssen. Wenn Archivgut zurBeute werde, fehle es am Respekt vor den Archivalien, vorihrem Überlieferungszusammenhang und damit letztlichvor der Herkunftsorganisation des jeweiligen Archivs.Häusler verwies als bekanntes und prominentes Beispielfür solch mangelnden Respekt und die Missachtung derProvenienz auf die durch Stasi-Mitarbeiter angelegtenPersonendossiers aus Schriftgut der nationalsozialisti-schen Ära, über die im Rahmen des Archivtags an andererStelle noch gesprochen werde (vgl. unten den Beitrag zurSitzung der Fachgruppe 1 im VdA). Dass im Gegensatz zujenem Beispiel die Bestände der in dieser Sitzung zubehandelnden Archive eben gerade nicht auseinandergerissen wurden, sei bemerkenswert und verdiene derNachfrage. Als eine mögliche Antwort deutete Häusler an,ob die Archive bewusst in ihrem Zusammenhang belassenwurden, um so die Erinnerungskultur besser manipulie-ren und kontrollieren zu können. Der Sektionsleiter ver-wies dabei auf das von Prof. Dr. Ernst in seinem Eröff-nungsvortrag angesprochene Beispiel der Einrichtungeines jüdischen Museums in Prag. Als eine zweite Erklä-rungsmöglichkeit, die dem archivarischen Berufsstand zugrößerer Ehre gereichen würde, äußerte Häusler die Ver-mutung, dass es eventuell auch Archivare gewesen seienkönnten, die eine Zerfledderung aus ihrem Fachethosheraus nicht zugelassen hätten.

Der ursprünglich aus Italien stammende und zur Zeit inMünster tätige freie Historiker Dr. Massimiliano Livieröffnete die Reihe der Vorträge in dieser Sektion, indemer das Schicksal eines geraubten Archivs unter dem Titel„Gestohlen, verschwunden, wieder gefunden: Der Falldes ‚Internationaal Archief voor de Vrouwenbeweging(IAV)‘ in Amsterdam“ vorstellte. Livi betonte dabei ein-gangs, dass die Geschichte dieses Archivs durchaus bei-spielhaft für diejenige vieler anderer Archive aus den Nie-derlanden, Belgien und Frankreich sei.

Der Referent schilderte zunächst die Gründungsge-schichte des bei seiner Beschlagnahmung durch die Män-ner des Amtes VII des Reichssicherheitshauptamtes(RSHA) Anfang Juli 1940 erst etwa fünf Jahre bestehendenArchivs, wobei deutlich wurde, dass es sich im strengenarchivfachlichen Sinne bei dieser Institution weniger umein Archiv als vielmehr um eine Dokumentationsstellehandelte (der Referent benutzte beide Begriffe synonym).Livi betonte, dass das IAV sich bereits in den ersten Jahrennach seiner Gründung zu einer blühenden und weltbe-kannten Einrichtung, ja zu einer Schatzkammer für wert-volle feministische Bücher, Zeitschriften, aber auch fürNachlässe und andere Dokumente entwickelt hatte, dasu. a. die Sammlungen unterschiedlicher internationalerFrauenorganisationen oder führender Persönlichkeitender Frauenbewegung aufgenommen hatte. Bei seinerSchließung umfasste die Bibliothek des IAV rund 4.500Bände (darunter wertvolle Erstausgaben von maßgebli-chen Werken der Frauenrechtsbewegung) und etwa 150Zeitschriften aus circa 20 Ländern. Gerade dieser Interna-tionalismus – die Gründung des IAV war eng verbundenmit dem ebenfalls in Amsterdam ansässigen Internationa-len Institut für Sozialgeschichte, das auch im zweiten Vor-trag dieser Sektion eine Rolle spielen sollte – sowie die

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Ideen des Pazifismus machten das IAV für die Nationalso-zialisten suspekt; hinzu kam, dass eine der GründerinnenJüdin war und als solche in ein KZ deportiert und dortumgebracht wurde.

Das Amt VII des RSHA hatte den Befehl, die Archiveverfeindeter Parteien, jüdischer Organisationen und vonFreimaurern, aber auch aller anderen weltanschaulichdem Nationalsozialismus entgegenstehenden Einrichtun-gen ausfindig zu machen, zu schließen und schließlichnach Deutschland zu deren Auswertung zu bringen. DerReferent betonte die dabei zu verzeichnende systemati-sche Vorgehensweise des Amtes VII, die zur bereitserwähnten Schließung des IAV führen musste. Der kurzdarauf erfolgte Abtransport des Materials nach Berlinwurde mit einem angeblich dahingehenden Wunsch derdeutschen Frauen begründet, wobei Livi darauf hinwies,dass ein solcher Wunsch nie geäußert worden war, zumaldie Frauenbewegung in Deutschland von den Nationalso-zialisten schon längst unterdrückt gewesen sei. Dement-sprechend gingen die Bestände zunächst in das Haupt-quartier des RSHA, wo einige der wertvollen Erstausga-ben aussortiert wurden und wohl in den Privatbesitz eini-ger höherer NS-Funktionäre übergingen. 1943/44 wurdendie erbeuteten Archive und Kunstsammlungen nachSchlesiersee (Schlesien) in ein Lager des Amtes VII evaku-iert.

Das 1947 wieder begründete IAV bemühte sich um dieAufspürung der gestohlenen Bestände, blieb aber erfolg-los. Eine Spur fand erst 1992 der Amsterdamer Professorfür osteuropäische Geschichte Marc Jansen im berühmt-berüchtigten „Geheimen Archiv“ der sowjetischenGeheimdienste in Moskau, welches 1945 vor allem ausbeschlagnahmten Archiven, die sich zuvor in deutschemBesitz befunden hatten, gegründet und dessen Existenzüberhaupt erst 1990 allgemein bekannt wurde. Jansenfand die – wie sich später herausstellen sollte – arg dezi-mierten Bestände des IAV unter der Bestandsnummer1475.

Allerdings sollte es aufgrund der bekannten Wider-stände der russischen Politik noch bis 2002/2003 dauern,bis die letzten der insgesamt 25 Boxen mit Materialien desIAV ihren Weg zurück nach Amsterdam fanden.

In der sich anschließenden Diskussion kam die Fragenach der institutionellen Verzahnung des Frauenbewe-gungsarchivs mit anderen internationalen Organisationenauf; Livi stellte klar, dass es eine solche nicht gegeben habe,ein hoher Grad an Zusammenarbeit gerade mit dem Inter-nationalen Institut für Sozialgeschichte sei aber sehr wohlzu verzeichnen gewesen. Hinsichtlich der Frage, welchenNutzen die Nationalsozialisten sich von dem IAV verspro-chen hätten, konnte Livi aufgrund fehlender Quellenaus-sagen nur vermuten, dass es den Nazis bei der Beschlag-nahmung wohl vor allem um den Symbolwert der Institu-tion zu tun gewesen sei. Diese These wird auch durch dieTatsache gestützt, dass die Bestände nicht genutzt wur-den, um eine wie auch immer geartete Gegengeschichte zuschreiben – eine Instrumentalisierung des Materials hatalso in diesem Fall nicht stattgefunden. Es könne abernicht ausgeschlossen werden, dass das Material eigentlichgenau aus diesem Grunde beschlagnahmt wurde, manaber einfach nicht mehr dazu kam, es im eigenen Sinne zuge- oder besser zu missbrauchen.

Im Anschluss referierte Mario Bungert (Archiv dersozialen Demokratie, Bonn) unter dem Titel „Flucht, Ver-

kauf und Verschleppung. Die Bestände des SPD-Parteiar-chivs 1933–1945“ über die Geschichte der Vorgängerinsti-tution seines Hauses in der nationalsozialistischen Zeit. –Nach der „Machtergreifung“ und den bekannten, kurzdarauf ergriffenen Maßnahmen gegen die Sozialdemokra-tie in Deutschland wurde ein Exilvorstand in Prag gebil-det. Schnell erkannte man nach dem Vorgehen vornehm-lich der SA, welche Gefahr von den laufenden Parteiregis-traturen für die eigenen Mitglieder ausgehen konnte undvernichtete das Schriftgut daher weitgehend. Das Partei-archiv – untergebracht im „Vorwärts-Haus“ Berlin –wurde zunächst teilweise in der Reichshauptstadt ver-steckt, andere Teile nach Dänemark, Amsterdam undFrankreich verbracht. So konnten die meisten Beständedes Archivs in Sicherheit gebracht werden, bevor es zurBeschlagnahmung des Besitzes der SPD kam. Die im „Vor-wärts-Haus“ verbliebenen Reste des Archivs wurden vonBeamten des Geheimen Staatsarchivs inspiziert; diesenblieb allerdings fast nur die Feststellung, dass die bedeu-tendsten Dinge offensichtlich abtransportiert wordenwaren. Die vorgefundenen Reste wanderten in der Mehr-heit in das NSDAP-Archiv, die wenigen Archivalien, dienach Dahlem verbracht wurden, fielen später Bombenzum Opfer. Angestoßen vom schon erwähnten Internatio-nalen Institut für Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam,gab es Pläne zur Errichtung einer Art von Exil-Archiv derdeutschen Sozialdemokratie in den Niederlanden, in demdie in das noch nicht nationalsozialistisch besetzte euro-päische Ausland geflüchteten Archivalien wieder verei-nigt werden sollten. Aus Moskau ging beim Exilvorstandin Prag das Angebot ein, das Marx-Engels-Archiv unterBeibehaltung des Eigentumsvorbehaltes der SPD zu kau-fen – dies wurde aber abgelehnt, da man nicht in denGeruch geraten wollte, von den Sowjets käuflich zu sein.Dem oben angedeuteten Plan wurde daher deutlich derVorzug gegeben. Tatsächlich kam es dann zum Verkaufdes Archivs, das schließlich den einzigen materiellen Wertdarstellte, über den der inzwischen nach Paris gefloheneExilvorstand noch verfügen konnte, an das IISG; diesstellte das Ende des Parteiarchivs im engeren Sinne dar.Als sich dann die Besetzung der Niederlande durch dieWehrmacht abzeichnete, befürchtete man beim IISGvorausschauend die Beschlagnahmung der Bestände alsosolche eines weltanschaulichen Gegners (vgl. oben) undverlagerte sie daher zum Teil nach England, zum Teil ver-barg man sie in Erdverstecken; die von den Besatzern vor-gefundenen geringen Reste wurden nach Deutschlandgebracht. Nach dem Krieg war die Suche des IISG nachdiesen Materialien erfolgreich, sie wurden – ebenso wiedas vergrabene und das in England in Sicherheit gebrachteArchivgut – wieder nach Amsterdam gebracht.

Die verschlungenen Wege des Schriftgutes der SPD,von denen an dieser Stelle nur einige schlaglichtartigangedeutet werden können, führten dazu, wie der Refe-rent darlegte, dass die Unterlagen aus dem ehemaligenArchiv im „Vorwärts-Haus“ heute weit verstreut (aberimmerhin noch überwiegend vorhanden) sind. Sie findensich u. a. im Bundesarchiv, der SAPMO, dem IISG, imschon im ersten Vortrag erwähnten Moskauer Geheimar-chiv, aber auch im Archiv der sozialen Demokratie inBonn.

Die den Vortrag beschließende Darstellung der Ver-streuung musste fast zwangsläufig die Frage nach einerwenigstens virtuellen Wiederzusammenführung provo-

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zieren. Bungert konnte berichten, dass die AmsterdamerBestände in Bonn wenigstens in verfilmter Form benutz-bar seien; eine Verfilmung des Moskauer Teiles sei zur Zeitim Gange, von dort seien auch schon ein paar Bücherzurückgegeben worden. Die Bemühungen um eine Rück-gabe des gesamten dortigen Bestandes sei bisher nichterfolgreich gewesen; auch der Hinweis, dass die Sozialde-mokraten zu den Verfolgten des Nazi-Regimes gehört hät-ten, habe bisher nicht zu einem Einlenken der russischenSeite geführt.

Im dritten Vortrag der Sitzung stand neben dem Schick-sal von Archivalien auch die Beleuchtung des Handelnseines Archivars im Mittelpunkt des Interesses. Der Worm-ser Stadtarchivar Dr. Gerold Bönnen hatte es sich in sei-nem „Beschlagnahmt, geborgen, ausgeliefert: Zum Schick-sal des Wormser jüdischen Gemeindearchivs 1938–1957“betitelten Beitrag zur Aufgabe gemacht, nicht nur den Wegder Archivalien nachzuzeichnen, sondern sich auch mitdem Handeln und den Motiven eines seiner Amtsvorgän-ger zu beschäftigen. Die – allerdings kritisch zu hinterfra-genden – Selbstzeugnisse Friedrich Illerts (1892–1966), derin der Wormser Heimatgeschichte und im Kulturleben derStadt nach Auskuft des Referenten immer noch eineimmense Verehrung genießt, dienten Bönnen dafür alsHauptquelle. Eingangs schilderte er allerdings kurz dieGeschichte des 1877 zufällig wiederentdeckten jüdischenGemeindearchivs Worms (Überlieferung aus dem 16. bisAnfang des 19. Jahrhunderts) bis in die Zeit des National-sozialismus. Die Archivalien wurden in den 1880er Jahrenund damit gleichzeitig mit der städtischen Überlieferungverzeichnet, wobei sicherlich die enge professionelleZusammenarbeit und auch das gute persönliche Verhält-nis des jüdischen Gemeinde- und des Stadtarchivars vor-teilhaft und befruchtend gewirkt haben. Gerade die ältereÜberlieferung wurde für die Identitätsstiftung der altenund traditionsreichen Wormser jüdischen Gemeindewichtig, was sich in der intensiven Benutzung derBestände für Studien und der Unterbringung eines Teilesdes Archivs in den 1920er Jahren im neuen JüdischenMuseum im Synagogenbereich zeigt; besonders sinnfälligwird die Bedeutung der alten Unterlagen für das Selbst-verständnis der Wormser Juden durch die Tatsache, dassman das jüngere, auszusondernde Registraturgut an das1905 gegründete Berliner jüdische Gesamtarchiv abgab.Zimelien aus dem historischen Bestand dagegen wurdenzu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine von Seiten derjüdischen Gemeinde initiierten Dauerausstellung vonJudaica benutzt; diese Ausstellung ging in der Reichspo-gromnacht in den Flammen auf, das Archiv selbst wurdevon der Gestapo nach Darmstadt gebracht.

Direkt im Anschluss an diese Ereignisse setzte sich derWormser Stadtarchivar Illert für eine Verbringung derjüdischen Bestände zurück nach Worms ein – allerdingsreklamierte er diese nun für sein eigenes Haus. Dieser Ver-such war schließlich erfolgreich, der Ablauf der Ereignisseund der genaue Zeitpunkt der Rückführung nach Wormssind allerdings nicht exakt rekonstruierbar, da einzig dienachträglichen, widersprüchlichen und offenbar auchgefärbten Erinnerungen Illerts als Quelle zur Verfügungstehen.

Der Referent schilderte seinen Amtsvorgänger nicht alsNazi, betonte aber auch, dass man diesen nicht etwa alsWiderständler charakterisieren könne. So sei seine Ret-tungstat wohl rein aus dem historischen Interesse an den

Unterlagen und nicht etwa als eine Art von Protest gegendas Vorgehen der Nationalsozialisten gegen die jüdischenMitbürger und deren Archiv zu sehen. Man müsse die fastschon als grotesk zu bezeichnende Tatsache konstatieren,dass Illert sich vehement für die Dokumente und derenRettung, nicht aber für die Menschen eingesetzt habe. DieUnterlagen seien durch Illert gleichsam „arisiert“ worden.

Bönnen führte weiterhin aus, dass die Selbstinszenie-rung Illerts als Retter und Treuhänder der jüdischen Archi-valien sich auch noch nach dem Krieg fortgesetzt habe,wobei Illert seine Rettungstat nach der Pogromnacht alsschlagendes Argument immer wieder ins Feld geführthabe. Denn in der Mitte der 50er Jahre war von den heuti-gen Central Archives for the History of the Jewish Peoplein Jerusalem die Forderung erhoben worden, die jüdischeÜberlieferung des Wormser Stadtarchivs nach Israel abzu-geben, da es in Worms selbst keine jüdische Gemeindemehr gab. Der Stadtarchivar dagegen sprach sich vehe-ment für einen Verbleib in Worms aus, wofür er neben demschon angedeuteten Argument auch die Unterstützungeiniger ehemaliger, nunmehr im Exil lebender WormserJuden hatte. Die Streitigkeiten wurden teilweise gericht-lich ausgefochten, und schließlich wurde auf oberster poli-tischer Ebene (Ministerpräsident, Bundeskanzler) einMachtwort gesprochen: Nach einer Verfilmungsaktionwanderten die Archivalien nach Jerusalem, Illert hatte sei-nen Kampf für den Verbleib verloren. Der Referent stelltedie These auf, dass die Motive für den Einsatz Illerts fürdie jüdischen Archivalien in den 1930er und den 1950erJahren prinzipiell dieselben gewesen seien: Illert habe dieArchivalien vornehmlich aus rein stadt- und regionalge-schichtlichem Interesse gerettet und an Ort und Stelle gesi-chert sehen wollen.

In der sich anschließenden lebhaften Diskussion wurdedie Frage aufgeworfen, ob man beim Vorgehen Illerts inden 30er Jahren tatsächlich von Arisierungstendenzensprechen könne. Bönnen legte unter Betonung des Thesen-charakters dieses Gedankens dar, dass er in diesemZusammenhang die Einverleibung der Judaica in dieeigene Institution durchaus auch als eine Art von „Arisie-rung“ verstehe, und betonte, dass er die nachträglicheSelbstinszenierung Illerts als Treuhänder der Unterlagenablehne. Auf die Frage, welche Alternativen Illert dennüberhaupt realistisch gehabt habe, räumte der Referentein, dass diese natürlich nur im Einsatz für eine Rückfüh-rung nach Worms bzw. im Stillhalten (und damit im Ver-bleib der Unterlagen bei der Gestapo in Darmstadt) gele-gen hätten. Ihm sei es aber vor allem um ein Nachvollzie-hen und ein Hinterfragen der Motive Illerts, der immernoch eine Art „Überfigur“ der Wormser Kulturlandschaftsei, zu tun gewesen. Schließlich wurde noch die Fragegestellt, ob Illert durch sein Engagement nicht einfach alsprofessioneller Archivar gehandelt habe und ein weiterge-hender Einsatz für die jüdischen Mitbürger selbst nichtungleich gefährlicher gewesen wäre? Grundsätzlichstimmte Bönnen dieser Sichtweise zu und pointierteabschließend nochmals seine These: Für Illert seien dieJudaica ein Teil seines nationalkonservativen Geschichts-bildes der Historie der Stadt Worms, weshalb es in seinemInteresse gelegen habe, die Bestände in seine eigene Insti-tution zu bekommen und sie dort auch zu behalten. Aufjeden Fall sei durch die Pogromnacht und durch die sichanschließenden Ereignisse eine Art von Umwidmung desArchivs vonstatten gegangen: Aus einem Zeugnis des

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lebendigen jüdischen Gemeindelebens in Worms sei einreiner Quellenfundus für die Geschichtsschreibunggeworden.

Unter dem Titel „Selbstbehauptung, Kooperation undVerweigerung. Ariernachweise und katholische Pfarrar-chive in Bayern“ hielt Dr. Peter Pfister (Archivdirektoram Archiv des Erzbistums München und Freising) den dieII. Sektion beschließenden Vortrag. – Eingangs stellte derReferent kurz die Geschichte der Führung der für dienationalsozialistische Rassepolitik so wichtigen kirchli-chen Personenstandsmatrikel dar. Der katholischen Kir-che war schon bald nach der Machtergreifung bewusst,dass sich die Begehrlichkeiten der Nazis schnell auf dieseArchivalien kaprizieren würden. Bereits im August 1933hatte die deutsche Bischofskonferenz daher beschlossen,die Kirchenbücher keinesfalls abzugeben. Dementspre-chend reagierte man in den bayerischen Bistümern –wobei bewusst auf Zeit und Verzögerung gespielt wurde –ablehnend auf die Vorstöße zur Gewinnung der Kontrolleüber die Matrikel durch das bayerische Staatsministeriumfür Unterricht und Kultus.

Dass es sich im Zeitraum von 1803–1876 bei der Füh-rung der Personenstandsunterlagen durch die Pfarreienum eine Art von staatlicher Auftragsverwaltung gehan-delt hatte, woraus auch ein gewisses Recht des Staates aufdie Nutzung der Unterlagen entspringe, konnte von kirch-licher Seite nicht geleugnet werden. Daraus resultierte einZwang zur Mitarbeit bei der Erstellung von Ariernachwei-sen durch Geistliche – da allerdings keine Einsicht in dieBücher gewährt und nur Auskünfte erteilt wurden, gab esdie auch genutzte Möglichkeit, Informationen bewusstzurückzuhalten.

Insgesamt gelang es der katholischen Kirche in Bayernrecht gut, den Einfluss der Nationalsozialisten auf undderen Kontrolle über die Kirchenbücher klein zu haltenbzw. abzuwehren. Dafür ist einerseits ein geplantes, ein-heitliches Vorgehen – angestoßen durch die FreisingerBischofskonferenz und den Münchner Erzbischof Kardi-nal von Faulhaber – verantwortlich. Positiv wirkte sich fürdie Kirche auch die Uneinigkeit über die Art und Weiseder zu ergreifenden Maßnahmen seitens der staatlichenStellen aus, wobei die bayerischen Staatsarchivare wohlnicht zuletzt aus fachlichen Erwägungen heraus für eindeutlich zurückhaltenderes Vorgehen plädierten als bei-spielsweise die Reichsstelle für Sippenforschung.

Die erste sich an die Ausführungen anschließendeFrage zielte auf das Interesse, das man von staatlicher Seitean den Matrikeln gehabt habe, da doch z. B. in das Staats-archiv Augsburg (und auch in andere Archive) bereitslange vor 1933 Zweitschriften der Matrikel gelangt seienund damit die sich noch in geistlicher Hand befindlichenErstschriften eigentlich nicht mehr von so immensem Inte-resse für die nationalsozialistische Ahnenforschung hät-ten sein dürfen. Der Referent verneinte diese Vermutungund begründete dies damit, dass die sich tatsächlich instaatlicher Hand befindlichen Zweitschriften, die erst ab1803 (also auch mit Eintragungen erst ab dieser Zeit zuBeginn des 19. Jahrhunderts) geführt wurden, bei weitemnicht vollständig abgeliefert und auch in den Einzelbei-schreibungen nicht so ausführlich seien, wie die in denPfarreien verbliebenen Originalschriften. Die von Pfisterin seinen Ausführungen erwähnte Unterschlagung vonAngaben durch Geistliche führte zu der Nachfrage, obdies Einzelfälle oder gängige Praxis gewesen sei? Der

Referent betonte, dass es Belege für letzteres gäbe: MancheFakten seien grundsätzlich nicht angegeben worden, die-ses Vorgehen sei gezielt in Pfarrarchivkursen vermitteltworden. Ebenfalls Quellenbelege (gerade aus den Bis-tumsarchiven Regensburg und Würzburg) gäbe es für diekomplette Weigerung von Geistlichen, Ariernachweiseauszustellen.

Abschließend bedankte sich der Sektionsleiter bei denReferenten und Diskutanten und forderte die Teilnehmerauf, die Ergebnisse dieser Sektionssitzung in den weiterenSitzungen des Archivtags einzubringen.

Marburg Ullrich Hanke

Sektion 3:Deutsche Archivpolitik im besetzten Ausland

Die dritte Sektion des Archivtags widmete sich derArchivpolitik im besetzten Ausland. Nach der Begrüßungund den einleitenden Worten von Dr. Klaus Wisotzky(Essen) eröffnete Stefan Lehr (Prag) die Sektion mit sei-nem Vortrag über „Deutsche Archivare und ihre Archiv-politik im ‚Generalgouvernement‘“, mit dem er ersteErgebnisse seiner Dissertation präsentierte. Lehr betonte,dass die Politik der Archivare im Osten sich gravierendvon der im Westen unterschied. Er stellte zunächst diedeutschen Archivare vor, die zum größten Teil sehr jungund fast alle in der Partei waren, untersuchte ihre revisio-nistische, brutal auf Vernichtung des wissenschaftlich-kul-turellen Lebens in Polen ausgerichtete Tätigkeit undwandte sich dann den polnischen Archivaren zu, derenLebensverhältnisse er eingehend schilderte. 1940 wurdeim „Generalgouvernement“ das Deutsche Archiv gegrün-det, das vor allem propagandistischen Zielen wie derSchulung von NS-Anhängern zuarbeitete. Die deutschenBesatzer waren jedoch auf die Sachkenntnis der polni-schen Archivare angewiesen. Diese konnten ihre extremschlechte Versorgungslage durch die Unterstützung undkleinere Hilfsmaßnahmen von Seiten der Deutschen ver-bessern und seien daher mitunter zur Zusammenarbeitbereit gewesen. Lehr beendete seinen Beitrag mit der Ana-lyse der Abtransporte größerer Bestände während derunübersichtlichen Aufbruchsituation 1944/45. Bereits imSeptember 1939 hatte der nationalistisch eingestellte Zip-fel bedeutende Archivalien gefordert. Mit dem Prove-nienzprinzip wurde die Beschlagnahme wichtigerBestände wie das Archiv des Deutschen Ordens aus War-schau legitimiert. Lehr kam zu dem Schluss, dass wenigerdas System, als vielmehr einzelne Personen für Abtrans-porte und systematische Vernichtung von Archivalien ver-antwortlich gemacht werden sollten.

Die folgenden Beiträge richteten sich ausnahmslos aufdie Archivpolitik in den westlichen Besatzungszonen. AmBeispiel Georg Schnaths, der als einziger Archivar voneinem alliierten Kriegsgericht angeklagt wurde, stellte Dr.Wolfgang H. Stein (Koblenz) „Die französischen Archiveunter deutscher Besatzungsverwaltung“ vor. Schnath warim diffizilen Zuständigkeitsgefüge der französischenArchive mit der Verwaltung der allgemeinen staatlichenArchive betraut, wobei er zur Durchsetzung einzelnerdeutscher Interessen wie der Rückführung ausgelagerterBestände, Verfilmung und Inventarisierung vor allemkommissarisch arbeitete. Über seine Tätigkeit, aber auchüber seine Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmungder Situation im besetzen Frankreich informiert sein aus-

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führliches und umfangreiches Kriegstagebuch. Schnathnahm das Leben im besetzten Paris mit allen seinen Son-nen- und Schattenseiten wahr, sich selbst sah er als zivilenArchivar unter Militärbefehl und als politikfernen Fach-mann. Inhaltlich war seine Arbeit von völkerrechtlichenVorgaben und wissenschaftlichen Prinzipien bestimmt;dennoch kann die Zusammenarbeit mit Sonderkomman-dos, die Integration in die nationalsozialistische Staatsver-waltung nicht verneint werden: Als Mitglied der Besat-zungsverwaltung in Frankreich wurde Schnath angeklagt,persönlich wurde er freigesprochen.

Auch der folgende Beitrag fokussierte von einen bio-graphischen Ansatz auf die Archivpolitik des NS-Regimes. Prof. Dr. Konrad Krimm (Karlsruhe) stellte amBeispiel von „Karl Stenzel und den oberrheinischenStaatsarchiven“ das Vorgehen im Elsass 1940 bis 1944 vor.Stenzel, der das Elsass 1919 als Archivar der Reichsland-Verwaltung hatte verlassen müssen, wurde 1938 Direktordes Badischen Generallandesarchivs in Karlsruhe und1943 Generaldirektor des Oberrheinischen Staatsarchivs inStraßburg mit Aufsichtsfunktion über die Kommunalar-chive. Als durch und durch bürgerlicher Wissenschaftlerhatte er keinerlei Interesse an Ideologie, die er vielmehr fürdegoutant hielt. Stenzels Tätigkeit war bestimmt von wis-senschaftlichen Grundsätzen, weshalb er entgegen derDirektiven zusammenhängende Bibliotheken ins Archivholen ließ. 1940 legte er in einem Aufsatz die Grundsätzefür die Rückholung von ausgelagerten elsässischen Archi-valien dar, in dem seine Zentralisierungspläne deutlichwerden. Seine zahlreichen Kontakte im Elsass nutzte derGeneraldirektor für die Rückholungen, die selten auf demPertinenz- oder dem Provenienzprinzip beruhten, und dieoft genug nur durch die militärischen Erfolge in Rest-Frankreich vorgenommen werden konnten. Seinen fran-zösischen Mitarbeiter, den nach dem Krieg der Vorwurfder collaboration traf, hat Stenzel in den letzten Kriegsta-gen in Karlsruhe versteckt. Krimm schloss seinen Vortragmit der Einschätzung, dass Stenzel, der seit 1933 wegenNichtflaggens erpressbar geworden war, nicht außerhalbdes Systems denken konnte, sich jedoch selbst keinesfallsals dessen Helfer verstanden hat. Das Verständnis vonPflicht und Grenzverletzungen sollten seiner Ansicht nachaus der Zeit heraus und nicht ex post beurteilt werden.

Els Herrebout (Eupen) referierte auf der Grundlageihrer detaillierten Studie über das besetzte Belgien über„Georg Sante und die deutsche Archivpolitik in Belgien1940–1944“. Sante wurde entgegen anderer Pläne MitteAugust 1940 zum Leiter der Brüsseler Archivschutzkom-mission mit zunächst drei, ab 1942 jedoch keinen anderenMitarbeitern. Wie in den anderen westlichen Besatzungs-zonen sollten auch in Belgien der Archivalienaustauschvorbereitet und Quellen zur deutschen Geschichte inven-tarisiert werden. Aus insbesondere raumtechnischenGründen zeigten sich deutsche Archivare wenig interes-siert an der Übernahme von Beständen aus belgischenArchiven, dennoch wurden aus Brüssel und LüttichUnterlagen abtransportiert wie geschlossene Notariats-und Gerichtsaktenbestände mit Laufzeiten seit dem17. Jahrhundert. Um den Generaldirektor der preußischenStaatsarchive und Reichskommissar für den Archivschutzim gesamten westlichen Besatzungsgebiet zu erfreuen,wollte Sante die Korrespondenz Kaiser Karls V. teilen.Dies lehnte jedoch das Wiener Archiv unter Berufung aufdas Provenienzprinzip entschieden ab. Herrebout schloss

mit dem Hinweis, das Sante während seiner Tätigkeit inBelgien kaum Zeit für Inventarisierung, Verfilmung odergar Forschung gefunden habe. Sein Auftrag, Archivgut zuschützen, wurde von der Militärregierung nicht als Kul-turgutschutz anerkannt. Dennoch, betonte Zipfel, habe eskeine Beschlagnahmungen gegeben. Die im Zug des„Archivalienaustauschs“ nach Deutschland gelangtenBestände wurden nach 1945 – teilweise mit erheblichenSchäden durch das Unglück am Mittellandkanal – an Bel-gien restituiert.

Abschließend stellte Prof. Dr. Gerhard Menk (Mar-burg) in seinem Beitrag über „die Archivische Besatzungs-politik in den Niederlanden“ Bernhard Vollmer vor, dervon 1946 bis 1952 Vorsitzender des VdA gewesen ist. 1929war Vollmer Direktor des Staatsarchivs Düsseldorf, 1940dann zusätzlich Leiter des Archivamts in Den Haaggeworden. Für diesen Posten hatte er sich durch den auf-grund seiner vielfältigen wissenschaftlichen Verbindun-gen 1926 ausgehandelten Archivalienaustausch zwischenPreußen und den Niederlanden qualifiziert. Als Leiter desArchivamts habe Vollmer sich sehr zurückgehalten, da ersich anders als Zipfel oder Sante als Facharchivar undnicht als Archivimperialist verstanden habe. WährendZipfel die Beachtung des politischen Moments unterintensiver Zusammenarbeit mit der Gestapo und dem SDverlangte, habe Vollmer sich immer streng an berufsfachli-chen Interessen orientiert. Auch als Leiter des Archivamtshabe er nur neutrale archivische Kategorien wie das Pro-venienzprinzip vertreten. Er habe sich sehr bemüht, zu sei-nen niederländischen Kollegen, die ihn durchweg sehrgeschätzt hätten, enge wissenschaftliche Beziehungen zuunterhalten. Menk attestierte Vollmer daher eine „nahezufleckenlose Weste“.

Gegen diese Beurteilung erhob in der anschließendenDiskussion Musial (Berlin) entschieden Einspruch undhob hervor, dass Vollmer in den Niederlanden als Besatzeraufgetreten sei, der mit den niederländischen Archivarennicht auf gleichberechtigter Basis habe agieren können.Diesen Vorwurf ließ Menk nicht gelten und betonte, dassVollmer seine Kollegen niemals kujoniert habe. Insgesamtsollte immer bedacht werden, unterstrich Museal, dass esniemals unpolitische (Staats-)Archivare geben könne, undfragte Lehr nach dem Nachkriegsschicksal des ArchivarsRand, der in Polen zu den einflussreichsten Archivarengehört habe. Lehr erläuterte, dass Rand entlassen wurdeund in Armut lebte, jedoch von polnischen Archivaren ausBreslau gegen das Versprechen, die Verstecke polnischerArchivalien preiszugeben, entnazifiziert wurde. HeinzBoberach (Koblenz) erzählte, dass er bei seinem erstenBesuch in polnischen Archiven 1966 Grüße an ehemaligedeutsche Kollegen aufgetragen bekam, und wertete diesdafür, dass das Verhältnis zu den polnischen Archivarennicht so schlecht wie dargestellt gewesen sein könne.Darüber hinaus sei zu bedenken, dass die Nachkriegskar-rieren der Deutschen zum Teil sehr gut verlaufen seien,was bei schlimmen Vergehen so nicht vorstellbar sei. Wei-tere Diskussionsbeiträge konnten wegen der fortgeschrit-tenen Zeit leider nicht geäußert werden.

Marburg Pauline Puppel

Sektion 4:Staatsarchive im NationalsozialismusSitzungsleiter Dr. Clemens Rehm, GenerallandesarchivKarlsruhe, eröffnete die Sektion mit einem programmati-

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schen Satz von Albert Brackmann aus dessen Rede am 24.Deutschen Archivtag in Königsberg im September 1933:Die ursprüngliche Abneigung des Archivars, sich poli-tisch einzumischen, habe sich gewandelt, er sei Herold dernationalen Sache geworden. Dieser berufsfeldbedingten,propagierten Unterstützung des Nationalsozialismusfolgte nach 1945 bekanntlich eine Rückkehr zum Unpoliti-schen, die unter deutschen Archivaren vielfach längeranhielt als in anderen Berufen. Rehm stellte die Frage, obdem Archivwesen in der NS-Zeit aufgrund der verwahr-ten Unterlagen und der Verwertungsmöglichkeiten vonQuellen zur Legitimation von Unrechtsherrschaft eineBedeutung zukam, die eine Verstrickung – jenseits vonpersönlichem Ergeiz und Opportunismus Einzelner –besonders förderte: Gab es in der NS-Zeit eine strukturellbedingte Herausforderung und Versuchung für denBerufsstand der Archivare?

So begann die Sektion mit biographischen Aspekten zuTätern und Opfern. Das Herausdrängen nicht mehropportuner Richtungen und Personen wurde an einemBeispiel aus Berlin veranschaulicht. Die Etablierung desNS-Einflusses neben der Archiv-Hierarchie ließ sich fürMecklenburg darstellen, die Stabilisierung des NS-Sys-tems in der Hierarchie durch den Archivapparat in Wien.Und die Indienstnahme der Archive kam schließlich beimThema Saar/Westmark in besonderer Weise zum Tragen.

Dr. Susanne Brockfeld, Geheimes Staatsarchiv Preußi-scher Kulturbesitz Berlin, formulierte in ihrem Eingangs-vortrag über „Reaktionen der preußischen Archivverwal-tung auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten“eine erste Antwort auf diese Frage. Der Wirtschafts- undSozialhistoriker Eckart Kehr erhielt im September 1931von Albert Brackmann, dem Leiter des preußischen Gehei-men Staatsarchivs, einen Werkvertrag zur Erstellung einerAktenedition über die Finanz- und Wirtschaftspolitik derpreußischen Reformära. Unmittelbar nach den Wahlenzum Reichstag am 5. März 1933 wurde ihm mit sofortigerWirkung gekündigt. Brockfeld arbeitete heraus, dass derfachlich anerkannte Kehr wegen seines aus eigener Sicht„materialistischen“ Geschichtsbildes schon um das Jahr1930 in Schwierigkeiten geraten sei. Mit seiner Kritik aneinem starken Einfluss der kapitalistischen Wirtschaft aufdie Politik habe man ihn gleichwohl, eventuell in Folgepersönlicher Verbindungen, als wissenschaftlichen Mitar-beiter am Archiv geduldet. Diese Toleranz habe mit denReichstagswahlen ein Ende gefunden. Da von politischerSeite kein nachweislicher Druck auf die preußischeArchivverwaltung ausgeübt worden sei, vermutete Brock-feld, dass sich die traditionell eher nationalkonservativenArchivare in ihrer Kontaktpflege mit den Nationalsozialis-ten durch Kehr behindert sahen. Die Einzelperson Kehrwäre damit an archivischen Strukturen gescheitert, diesich längerfristig herausbildeten und im Moment dernationalsozialistischen Machtergreifung in vorauseilen-dem Gehorsam zum Durchbruch kamen.

Als Beispiel des „aktiven Unterwanderers“ präsentierteDr. Matthias Manke, Landeshauptarchiv Schwerin,„Georg Tessin als Archivar im Staatsarchiv Schwerin undim Bundesarchiv Koblenz“. Tessin, der 1933 seine ersteAnstellung im mecklenburgischen Archivdienst erhielt,habe sich bereits früh zu einer Mitgliedschaft in derNSDAP entschieden. Seine Parteizugehörigkeit sei in wis-senschaftlichen Arbeiten ebenso wie in öffentlichen Auf-tritten nachweisbar. Nicht zuletzt habe er als „Hofhistori-

ker“ den mecklenburgischen Gauleiter und Reichsstatt-halter Friedrich Hildebrandt maßgeblich unterstützt. Mitdem Jahr 1945 wurde Tessin aus politischen Gründen ent-lassen; er schaffte auch nach seiner Entnazifizierung imJahre 1948 zunächst nicht den beruflichen Wiedereinstieg.Dieser erfolgte erst im Januar 1955 mit der Anstellung amMilitärarchiv des Bundesarchivs. Im Ergebnis musste Tes-sin so letztlich keine Konsequenzen aus seiner Vergangen-heit tragen. Manke nannte es irritierend, dass man anläss-lich der Verleihung des Kulturpreises durch die mecklen-burgische Landsmannschaft im Jahre 1973 sogar Tessinsunpolitische Begeisterung für die von 1933–39 betriebeneBauernforschung betonte. Tessins Laufbahn scheint damitnicht nur als Beispiel für archivisches Arbeiten währenddes Nationalsozialismus geeignet, sondern verweistzudem auf einen gewollt unpolitischen Charakter diesesTätigkeitsfeldes in den Jahren der frühen Bundesrepublik.

Thomas Just M. A. und Dr. Herbert Hutterer, Öster-reichisches Staatsarchiv Wien, skizzierten im Vortrag überdie „Geschichte des Reichsarchivs Wien 1938–1945“ eineInstitutionengeschichte. Gleichwohl fand auch bei ihnender exemplarische Einfluss zweier Personen besondereBeachtung: Ludwig Bittner und Franz Stanglica. Bittner,der noch 1934 seine Zwangspensionierung abwendenmusste, wurde nach der Annexion Österreichs mit Erlassvom Oktober 1939 mit der Zentralisierung der zuvor selb-ständigen Staatsarchive im Reichsarchiv Wien betraut.Just und Hutterer wiesen nach, dass er sich dabei wie zahl-reiche seiner Kollegen aktiv gegen die SelbständigkeitÖsterreichs einsetzte. Stärker als schon in den Jahrenzuvor achtete Bittner im Zusammenhang mit der Neuor-ganisation auf die Einstellung von nationalsozialistischgesinnten Archivaren. Auch Franz Stanglica, Archivar amHofkammergericht, unterstützte die nationalsozialistischePolitik, indem er siedlungsgeografische Karten im Rah-men der Ostforschung erstellte, aber auch im Dienst derWaffen-SS tätig wurde. Bittner und Staglica seien damit alsVertreter einer Generation von Österreichern zu bezeich-nen, der die archivische Verwaltungsstruktur der Vor-kriegszeit eine Möglichkeit bot, die neue politische Ord-nung mit der eigenen Karriere zu verbinden. An ihnenzeige sich jedoch auch, dass die mit der Annexion Öster-reichs intensivierte Kooperation österreichischer mitreichsdeutschen Archivaren eine längere Kontinuität seitden frühen 1930er Jahren aufweist.

Im abschließenden Vortrag ergänzte Dr. WolfgangFreund, Universität des Saarlands, die Ausführungendurch eine Analyse des „Archivwesens im Gau West-mark“, der zunächst die Pfalz und das Saarland, seit 1940auch das Departement Moselle umfasste. Eine ersteBetrachtung galt dem Stadtarchiv Saarbrücken, das von1926–35 eng mit der Saarforschungsgemeinschaft (SFG)zusammenarbeitete. Gemeinsames Ziel war es unter ande-rem, die Zugehörigkeit des Saargebietes zum DeutschenReich zu erweisen. Freund verfolgte hier insbesondere denEinfluss des kurzfristig an das Stadtarchiv Saarbrückenabgeordneten Georg Wilhelm Sante, der sich wiederholtfür die Beförderung des Deutschtums im saarländischenArchivwesen einsetzte. Vergleichend rekonstruierte erdann die Personalpolitik am Staatsarchiv Metz. Nach derAnnexion Lothringens und der Moselle setzte sich hier derGeneraldirektor der preußischen Staatsarchive, Ernst Zip-fel, bei der Besetzung des Direktorenpostens gegen densaarpfälzischen Gauleiter Josef Bürckel durch. Der von

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Zipfel protegierte Aloys Leonhardt Ruppel empfahl sichallein durch sein Fachwissen. In den Jahren der nationalso-zialistischen Herrschaft wahrten er und sein Nachfolger,Eugen Ewig – so Freund – ihre wissenschaftliche Integritätgegenüber Bürckels politischen Forderungen. Durch dasFehlen einer strukturellen Verflechtung von regionalerArchivverwaltung und Gaupolitik konnten sie ihre eige-nen wissenschaftlichen Ziele verfolgen. Da sie aber überZipfel als dem Kommissar für das Archivwesen in denbesetzten Westgebieten allgemein in die nationalsozialisti-sche Annexions- und Expansionspolitik eingebundenwaren, ließen sich ihre wissenschaftlichen Ergebnisse(z. B. im „Westprogramm der Archivverwaltung“) poli-tisch instrumentalisieren.

In den Diskussionen kam zum Ausdruck, dass anhandder biographischen Skizzen politische Brüche um 1933 imArchivwesen offenkundig wurden. Dabei spielten persön-liche Motive der Agierenden ebenso eine Rolle – denndurch eine regimefreundliche Haltung ließ sich leicht eineberufliche Besserstellung erlangen – wie die überwiegendstaatstragend-nationalkonservative Grundeinstellung imBerufsstand. Problematisch sei insbesondere die möglicheund erfolgte Instrumentalisierung archivischer Kennt-nisse und Fähigkeiten gewesen. Die den „Physikern“ beiDürrenmatt gestellte Frage nach der Verantwortung fürdie Folgen des beruflichen Tuns stelle sich auch für Archi-vare, wenn man auf Ariernachweise, Sippentafeln undarchivisch fundierte Annektionsbestrebungen schaue.

Rehm forderte abschließend die Zuhörer auf, die eigeneArbeit nicht nur an formalen Kriterien auszurichten, son-dern sich auch die inhaltliche Verantwortung ihres Amtsbewusst zu machen. Archivische Tätigkeit erschöpfe sichnicht in Fragen von Evidenz und Federführung, sondernverlange zugleich eine Auseinandersetzung mit dergesellschaftspolitischen Tragweite des eigenen Handelns.

Marburg Nicola Wurthmann

Sektion 5:Kommunalarchive im NationalsozialismusZur Sektion V des Archivtages, Kommunalarchive imNationalsozialismus, konnte Gabriele Viertel, Stadtar-chiv Chemnitz, etwa 80 interessierte Teilnehmerinnen undTeilnehmer begrüßen. Einleitend betonte Viertel dieBedeutung der Thematik: Nicht nur stelle sich die Fragenach den Auswirkungen staatlicher Archivpolitik auf dieKommunalarchive zur Zeit des Nationalsozialismus, son-dern besonders nach den individuellen Handlungsspiel-räumen des einzelnen Archivars. Folgte er den Vorgabendes nationalsozialistischen Staats oder ging er gar darüberhinaus?

Dr. Klaus Wisotzky, Stadtarchiv Essen, gab einenumfassenden Überblick über die rheinischen und westfäli-schen Stadtarchive im Nationalsozialismus. Das Jahr 1933bedeutete für die Arbeit der Stadtarchivare einen tiefenEinschnitt. Die Ausstellung von Ariernachweisen machtesie zu Instrumenten der „praktischen Rassepolitik“. Aufdie rasante Steigerung der Benutzerzahlen reagierten dieArchive mit der Einrichtung von Beratungsstellen fürFamilienforschung und Sippenkunde. Auch wurdengezielt personenbezogene Quellen ermittelt und erschlos-sen, besonders Kirchenbücher, Einwohnerlisten, Schät-zungslisten und Ähnliches. Die Stadtarchivare in Westfa-len und im Rheinland identifizierten sich mit der NS-Ras-

seideologie und kooperierten eng mit den Rasse- und Sip-penämtern. Die Archivare genossen die plötzliche Wert-schätzung durch die Verwaltung und erhofften sich einenImagewandel. Doch bald zeigten sich auch negative Aus-wirkungen auf die archivische Arbeit. Durch die hoheNutzungsfrequenz blieben Erschließungsarbeiten liegen;zu Übernahmen kam es kaum, obwohl große MengenAkten in den Registraturen lagen. Erst nach Kriegsbeginnwurde aus Brandschutzgründen vermehrt ausgesondert.

Kennzeichnend für die Stadtarchive im Nationalsozia-lismus waren Bemühungen, die Archive für jedermann zuöffnen. So begann eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, diemit Ausstellungen, Publikationen, Beratungsstellen undSchulkooperationen nahezu modern anmutet. In diesemRahmen entstanden umfängliche stadtgeschichtlicheArbeiten, doch zeigten die Archivare durch Veröffentli-chungen zur „Westforschung“ oder durch Kampfschriftengegen Seperatismus oder Spartakismus, der in Verbin-dung mit dem Judentum gebracht wurde, ihre politischeTreue zur NS-Ideologie. Zusammenfassend stellteWisotzky fest, dass die rheinischen und westfälischenStadtarchive keine Rückzugsräume waren, sondern sichwillig in den Dienst des NS-Regimes stellten.

Auf Nachfrage von Gabriele Viertel, Stadtarchiv Chem-nitz, erläutert Wisotzky die Haltung der Stadtarchivaregegenüber Beschlagnahmungen von Archivgut. So hatteman in Düsseldorf 1933 Zugriff auf beschlagnahmtes Par-teiarchivgut; in Münster bemühte man sich um die Über-nahme von beschlagnahmten jüdischen Archiven. Ob diesaus reinem Sammlungsinteresse geschah oder welchesonstigen Motive die Archivare bewegt haben mögen,lässt sich allerdings nicht mehr ersehen. Dr. Ernst Böhme,Stadtarchiv Göttingen, berichtet, dass im Stadtarchiv Göt-tingen zur Zeit des Nationalsozialismus der erste haupt-amtliche Archivar angestellt wurde, und schloss die Fragean, ob zu dieser Zeit eine Professionalisierung der städti-schen Archive festgestellt werden kann. Wisotzky verwiesdarauf, dass die größeren Stadtarchive im Rheinland undin Westfalen bereits vor 1933 professionell geleitet wur-den. Es kam sogar zur Intervention der preußischenArchivverwaltung, als die Leitung der Stadtarchive inEssen und Düsseldorf keinen ausgebildeten Archivarenanvertraut wurde. Kleinere Archive wurden dagegenehrenamtlich geleitet, besonders durch Lehrer. Dr. RolandMüller, Stadtarchiv Stuttgart, fragt, inwieweit eine Typo-logisierung der Archivare möglich ist. Gab es Generatio-nenunterschiede; haben etwa jüngere Archivare gezieltdie beruflichen Chancen aufgegriffen, die ihnen die NS-Rasseideologie bot? Wisotzky hält allerdings eine Typolo-gisierung für nicht durchführbar, da die Anzahl der Stadt-archivare jener Zeit insgesamt zu gering ist. Die Thematikder Westforschung greift Dr. Irmgard Becker, StadtarchivSaarbrücken auf. Arbeiten zur Westforschung setzten inSaarbrücken bereits 1929 ein. Wisotzky präzisiert, dasseine Kontinuität der Westforschung von der WeimarerRepublik in die NS-Zeit bestand. Neu war allerdings, dassdas Thema gezielt auch von Stadtarchivaren rechtsrhei-nisch aufgegriffen wurde. Abschließend erkundigt sichDr. Hans Oppel, Stadtarchiv Bocholt, ob Akten jüdischerGemeinden in Stadtarchive übernommen worden sind.Wisotzky weist auf die Bemühungen des StadtarchivsMünster um jüdische Aktenbestände hin; ansonsten sindihm keine Übernahmen bekannt.

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Die drei folgenden Vorträge beschäftigten sich mit ein-zelnen Stadtarchiven – Frankfurt/Main, Eger und Hof –und dem Verhältnis der dortigen Stadtarchivare zumNationalsozialismus. Das Stadtarchiv Frankfurt/Main,über das Dr. Konrad Schneider, Institut für Stadtge-schichte Frankfurt/Main, referierte, stand von 1938 bis1945 unter der Leitung von Harry Gerber, einem über-zeugten Nationalsozialisten. Im April 1933 war er in dieNSDAP eingetreten, wurde SA-Oberscharführer, ab 1935Blockleiter und ab 1942 Zellenleiter. Um den vermehrtenAufgaben des Stadtarchivs im Rahmen der Sippenfor-schung und der Ariernachweise nachzukommen, wurdedas Personal 1938 auf drei Archivräte und eine promo-vierte Historikerin als Aushilfskraft aufgestockt; zweiArchivräte wurden aber nach Kriegsbeginn eingezogen.Gerber übernahm im Gefolge der Reichspogromnacht1938 große Teile des Archivs der jüdischen Gemeinde insStadtarchiv. Gerber nutzte auch seine Kontakte zu denVerantwortlichen für das Westprogramm der Archivver-waltungen: Mehrfach konnte er zu Forschungszweckennach Frankreich, Belgien und in die Niederlande reisenund dort Reproduktionen von Archivalien anfertigen las-sen. Der einsetzende Luftkrieg verhinderte jedoch weitereForschungsarbeiten. Später als die Frankfurter Museenoder die Dienststelle des Reichsarchivs in Frankfurtbegann das Stadtarchiv mit der Auslagerung von Akten.Die Vorkehrungen Gerbers erwiesen sich aber als unzurei-chend und verspätet: Bei einem schweren Luftangriff imJanuar 1944 wurde noch ein Drittel der Bestände desArchivs zerstört. Nach Kriegsende entließ man Gerberwegen seiner Funktion als politischer Leiter aus dem städ-tischen Dienst; er arbeitete als Lesesaalaufsicht im HStAWiesbaden und wurde 1953 pensioniert. Das Jahr 1945bedeutete für das Stadtarchiv Frankfurt/Main personellund räumlich einen Neuanfang.

An den Vortrag von Dr. Schneider schließt Dr. RolandMüller, Stadtarchiv Stuttgart, die Frage an, ob der Frank-furter Stadtarchivar Harry Gerber nach dem Krieg alleinentlassen wurde, weil er die Funktion des Zellenleitersausgeübt habe. Fehlte ihm nicht vielmehr die nötigegesellschaftliche Integration? Schneider bekräftigt dage-gen, dass die Ausübung einer Funktion als politischer Lei-ter für die Entlassung Gerbers maßgeblich war.

Dr. Esther Neblich, Universität Bayreuth, stellte mit„Heribert Sturm – Archivar in Eger und Amberg“ das Bei-spiel eines Archivars vor, der weniger vom NS-Regimevereinnahmt wurde. Sturm, Jahrgang 1904, besuchte nachder Promotion 1927 eine Bibliothekarsschule und war inverschiedenen Prager Archiven tätig. Bis 1934 reorgani-sierte er das Stadtarchiv St. Joachimsthal und wurde dannStadtarchivar in Eger. Dort sorgte er für eine stärkere Ein-bindung des bis dato rein historischen Archivs in dieStadtverwaltung. Auch in Eger war ein Ansteigen derAufgaben des Archivs besonders seit 1938/39 zu beobach-ten: Straßen und Plätze wurden umbenannt; die Benutzer-zahlen stiegen im Gefolge von Ostforschung und Volks-tumskampf. 1939 trat Sturm der NSDAP bei, da dies zurErlangung des Status als Beamter auf Lebenszeit nötigwar. Er war jedoch politisch desinteressiert; so konnte ernach Kriegsende in Eger in seine alte Stellung zurückkeh-ren, und noch 1946 kurz vor seiner Ausweisung stellte ihmder Národnì Výbor eine politische Unbedenklichkeitsbe-scheinigung aus. 1943 lagerte Sturm etwa ein Fünftel derBestände des Stadtarchivs in ein bayrisches Dorf an der

deutsch-tschechischen Grenze aus. 1945 führte er dieseBestände nach Eger zurück. Nach seiner Vertreibung fandSturm 1947 eine Anstellung als wissenschaftlicher Ange-stellter im Stadtarchiv Neuburg/Donau. 1953 ernannteman ihn zum Staatsarchivdirektor und Vorstand desStaatsarchivs Amberg. Nach der Vertreibung sah Sturmsich von sudetendeutscher Seite dem Vorwurf ausgesetzt,er habe 1945 die ausgelagerten Archivalien voreilig nachEger zurückgeführt und sie damit den Tschechen ausgelie-fert. Gegen diese Vorwürfe musste sich Sturm bis in die1950er Jahre verteidigen. Seiner Ansicht nach sagte einvollständiger Archivalienbestand in Eger wesentlich mehrüber die Geschichte der Deutschen in diesem Raum aus,als es die ausgelagerten Splitter des Archivs je gekonnthätten.

Zum Vortrag von Dr. Neblich nimmt Dr. JindrichSchwippel, Tschechische Akademie der Wissenschaften,Prag, Stellung. Schwippel geht darauf ein, dass der Stadt-archivar von Eger kurz nach Kriegsende die nach Bayernausgelagerten Bestände des Archivs zurück nach Eger ver-brachte und sich später gegen den Vorwurf verteidigenmusste, er habe das Archiv den Tschechen unnötig ausge-liefert. Dagegen betont Schwippel, dass das Sudetenlandin den ersten Monaten nach Kriegsende unter amerikani-scher Besetzung stand. Es bestanden berechtigte Hoffnun-gen auf eine Wiederherstellung der Republik Masaryks.Aus dieser Perspektive lässt sich die Entscheidung Sturmsverstehen, Bestände des Egerer Stadtarchivs zurückzufüh-ren. Neblich bestätigt diese Auffassung. Die Deutschenhatten bis zur Potsdamer Konferenz berechtigte Hoffnun-gen, im Staat bleiben zu können. Von Vertreibungsplänenhatte die Bevölkerung keine Kenntnisse. Allerdings betontNeblich, dass Heribert Sturm die politischen Entwicklun-gen um ihn herum auch kaum beachtete. Sturm sei ein His-toriker-Archivar des 19. Jahrhunderts gewesen, den nichtsals die quellenbasierte Erforschung besonders des Mittel-alters und der frühen Neuzeit interessierte; ein Pedant, derjedes Archivale „mit Vornamen“ kannte. Für die national-sozialistische Blut-und-Boden-Ideologie hat er sich dage-gen nie interessiert.

Über das Stadtarchiv Hof im Nationalsozialismusberichtete Dr. Arnd Kluge, Stadtarchiv Hof, unter demTitel: „Das Archiv als Diener der Ideologie – Dr. Ernst Diet-lein und der Aufbau des Stadtarchivs Hof“. Das Kulturle-ben in der Mittelstadt Hof erfuhr in den 1920er Jahreneinen bescheidenen Höhepunkt. In diesem Rahmen beauf-tragte die Stadtverwaltung 1931 auf Betreiben des Staats-archivs Bamberg den evangelisch-lutherischen Pfarrerund Studienprofessor Dr. Dietlein nebenamtlich mit derLeitung des Stadtarchivs. Neben seiner Tätigkeit als Reli-gionslehrer leitete Dietlein zudem das evangelisch-luthe-rische Dekanatsarchiv und das städtische Museum undpublizierte heimatgeschichtliche Forschungen unter ande-rem in der von ihm ins Leben gerufenen „Chronik derStadt Hof“. Dietlein richtete das Stadtarchiv an seinen For-schungsinteressen aus. Mit einer Zeitschriftenausschnitts-und einer Lebenslaufsammlung, Bibliotheksgut undUrkunden- und Archivalienabschriften aus anderenArchiven war es mehr eine „Dokumentationsstelle desStadtchronisten“; Akten der Stadtverwaltung blieben bis1968 in den Reposituren. Dietlein zeigte sich nach 1933 alsüberzeugter Nationalsozialist. Sein Ziel war es, dem BildHofs als einer historisch unbedeutenden Stadt entgegen-zutreten und ein positives Heimatbild zu verbreiten. In

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seiner Heimatchronik schildert er die Geschichte Hofs alseine Kampfgeschichte, deren Höhepunkt er im National-sozialismus sah. Die Stadt an der böhmischen Grenzerückte mit dem Anschluss Österreichs und des Sudeten-lands in die Mitte des Reichs. Das Schlagwort der Volksge-meinschaft schien ihm als Ausweg aus der sozialen Zerris-senheit der durch Textilindustrie geprägten Stadt. Nachdem Krieg wurde Dietlein von seinen Ämtern suspen-diert, doch schon 1948 wieder eingesetzt. In Hof hielt manihm ein ehrendes Andenken, was sich unter anderem ineiner Straßenbenennung zeigte. Kluge schloss mit zweiThesen: Erstens sei das Stadtarchiv Hof typisch für eineVielzahl von Archiven in Klein- und Mittelstädten. Zwei-tens habe die Zuordnung der Archive zur Kulturarbeit sieanfällig gemacht für den weltanschaulich-politischen„Mainstream“; eine „innere Emigration“ der Archivare sei1933–1945 unmöglich gewesen.

In Ergänzung zum Vortrag von Dr. Kluge berichtet FrauThamm, Stadtarchiv Marktoberdorf, von einem ähnli-chen Fall wie dem Hofer Stadtarchivar Dietlein. Auch derStadtarchivar von Marktoberdorf blieb nach dem Krieg alsSchulleiter und später als Schulrat bis in die Mitte der1950er Jahre im Amt und stand weiter in hohem Ansehen.Frau Thamm fragt daher, auf welche Weise sich das BildDietleins in Hof gewandelt hat. Kluge stellt dar, dass inHof nach wie vor keine differenzierte Sicht auf Dietleinexistiert. Kluge berichtet von einem Zeitungsartikel, indem er die Verbindung Dietleins mit der NS-Ideologiedargestellt hat, was wütende Proteste hervorrief. Nach wievor ist in Hof eine Straße nach Dietlein benannt. Auf dieFrage Dr. Ernst Böhmes, Stadtarchiv Göttingen, nach denGründen für den nach wie vor guten Ruf Dietleins, ver-weist Kluge auf Dietleins gesellschaftliche Integration. InHof standen sich eine große Arbeiterschaft besonders inder Textilindustrie und eine kleine führende Mittelschichtgegenüber. Die Integration in die Mittelschicht hat Diet-lein den positiven Ruf bewahrt. Dr. Klaus Wisotzky,Stadtarchiv Essen, führt ergänzend das Beispiel desAachener Stadtarchivars Albert Huyskens an, nach demebenfalls eine Straße benannt ist und dem stets mit loben-den Worten gedacht wird. Erst jüngst wurde die Straßen-benennung nach Huyskens in Frage gestellt.

Gabriele Viertel verwies zusammenfassend auf die ver-schiedenen Haltungen und unterschiedlichen Charakter-bilder der Archivare im Nationalsozialismus. Insgesamthätten die Vorträge ein differenziertes Bild von Archivarenund archivischer Tätigkeit im Nationalsozialismusgezeichnet.

Marburg Johannes Rosenplänter

Sektion 6:Kontinuitäten und Vergangenheitsbewältigung nach1945

Die Sektionssitzung 6 beinhaltete – quasi als Abschlussund Ausblick zum Generalthema des Archivtags – denKomplex „Kontinuitäten und Vergangenheitsbewältigungnach 1945“ unter Fokussierung auf die Nachkriegszeit bisetwa 1952. Einleitend verwies die Leiterin der Sektionssit-zung, Ingrid Grohmann (Sächsisches Staatsarchiv,Staatsarchiv Leipzig), auf die archiv- wie geschichtswis-senschaftliche Bedeutung des Sitzungsthemas. In Fortset-zung des 72. Deutschen Archivtags in Cottbus konnte sievier neuere archivgeschichtliche Forschungsergebnisse

über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit innerhalbdes deutschen Nachkriegsarchivwesens vorstellen, dieEinblicke in die Vielschichtigkeit und Ambivalenz der inden historischen Prozess eingelagerten Archivgeschichtestrukturell und personell vermitteln.

Verhalten und Selbstreflexion der Archivare nach demUntergang des Dritten Reiches, die Tätigkeit beim Wieder-aufbau der Archivverwaltungen und ihr berufspolitischesEngagement in den Jahren nach 1945 sind bisher kaumGegenstand von Untersuchungen gewesen. Frau Groh-mann erinnerte daran, dass nach anfänglich gemeinsamerWiederbelebung des von der Weimarer Republik ererbtenVerfassungs- und Verwaltungsgefüges zunehmend vonei-nander verschiedene Nachkriegsordnungen in West- undOstdeutschland entstanden, und warf die Frage auf,inwieweit mit dieser unterschiedlichen allgemeinen auchdie archivpolitische Entwicklung zu differieren begann.

Zunächst behandelte Dr. Astrid M. Eckert (EmoryUniversity, Atlanta) den Übergang der Archivare in dieNachkriegsordnung der westdeutschen Besatzungszonenund der frühen Bundesrepublik. Unter dem Titel „,ImFegefeuer der Entbräunung‘. Deutsche Archivare auf demWeg in den Nachkrieg“ beleuchtete Eckert am Beispiel vonAngehörigen der preußischen Archivverwaltung Strate-gien zur Sicherung des beruflichen Fortkommens nach1945. Für die mehrheitlich als belastet eingestuften Beam-ten war nach Erlass des Befreiungsgesetzes im März 1946der so genannte „Persilschein“ Schlüssel für die Neuan-stellung im öffentlichen Dienst. Mit dem „Weißeln“ belas-teter durch die (wenigen) unbelasteten Kollegen wurdenneue Netzwerke geknüpft und Hierarchien etabliert.Unter dem äußeren Zwang der Entnazifizierung unter-blieben öffentliche, selbstkritische Reflexionen über denBeitrag der Archivare zur Zielförderung und Systemstabi-lisierung des NS-Regimes. Die personelle Kontinuität imhöheren Dienst des staatlichen Archivwesens zeichneteFrau Eckert am Beispiel des 1950 in Koblenz errichtetenBundesarchivs nach und betonte, dass die Bedeutung die-ser Kontinuität mit Blick auf die Liberalisierung des west-deutschen Archivwesens vielschichtig sei und noch derweiteren Erforschung bedürfe. In drei Thesen suchte FrauEckert die Anstoß- und Begleiteffekte für den Wandel deswestdeutschen Archivwesens zu skizzieren: Erstensdürfte den Archivaren ihr durch den Beamtenstatusbegründetes Staatsverständnis, aber auch die gegenläu-fige Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone(SBZ) den Zugang zur neuen Demokratie erleichterthaben. Zweitens hatten die Westalliierten beschlagnahm-tes Archivgut nur unter der Auflage eines liberalen Benut-zungsreglements zurückgegeben. Schließlich dürfte drit-tens der Generationswechsel seit den sechziger Jahren denWandel des beruflichen Selbstverständnisses vorangetrie-ben haben.

Anschließend sprach Dr. Kurt Hochstuhl (Landesar-chiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg) zumThema „Schwäbisch-Alemannische Archivpolitik? DerSüdwestdeutsche Archivtag“. Den südwestdeutschenArchivare gelang relativ früh die Wiederbelebung der Ver-bandsarbeit, die sich auf politisch-organisatorische Fragenund den fachlichen Austausch konzentrierte, der in denKriegsjahren zum Erliegen gekommen war. Bereits imOktober 1946 konnte in Aulendorf das erste Treffen statt-finden. Neben rein archivfachlichen wurden dabei – vorallem auf Initiative des Konstanzer Stadtarchivars Otto

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Feger (1905–1968) – auch archivpolitische Themen behan-delt. Mit Blick auf die sich abzeichnende staatliche Neu-gliederung des südwestdeutschen Raumes regten die Teil-nehmer die Dezentralisierung der in Karlsruhe (General-landesarchiv) und Stuttgart (Hauptstaatsarchiv) verwahr-ten Bestände an. Die dabei besonders von Feger offensivvertretenen „partikularistischen“ Positionen provoziertenfreilich auch kontroverse Diskussionen. Dagegen war dieVergangenheit bestenfalls indirekt Thema des Treffens;diese wurde nicht angesprochen, wohl aber waren belas-tete Archivare von vornherein fern gehalten worden, umungewollten personellen Kontinuitäten vorzubeugen.

Als dritte Referentin thematisierte Britta Leise M. A.(Konzernarchiv der Georg-Fischer-AG, Schaffhausen)„Brüche und Kontinuitäten im deutschen Wirtschaftsar-chivwesen der Nachkriegszeit“. Frau Leise zeichneteanhand mehrerer biografischer Skizzen ein Bild von denBerufswegen und Karrieremustern deutscher Wirtschafts-archivare vor und nach 1945. Die deutschen Wirtschaftsar-chivare habe im Allgemeinen eine gewisse Staatsferneausgezeichnet, rührte doch die zweite Neugründungs-phase des deutschen Wirtschaftsarchivwesens seit 1933aus dem Reflex der Unternehmen, drohenden Reglemen-tierungen und Zugriffen des NS-Staates zuvorzukommen.Nach 1945 zeichnete sich das deutsche Wirtschaftsarchiv-wesen ebenfalls durch hohe personelle Kontinuität aus.Grund zur öffentlichen Reflexion ihres Tuns in der NS-Zeitsahen die Wirtschaftsarchivare nicht und konzentriertensich auf die Verwirklichung und Weiterentwicklung fach-licher Anforderungen, die bereits vor 1945 formuliert wor-den waren.

Zum Abschluss sprach Dr. Simone Walther (Bundes-archiv) über den „Umgang mit der NS-Vergangenheitbeim personellen Neubeginn im zentralen Archivwesender SBZ/DDR, 1945–1952“. Noch im Mai 1945 betraute diesowjetische Besatzungsmacht in Potsdam verbliebeneArchivare, die – mit Ausnahme Heinrich Otto Meisners(1890–1976) – nicht durch eine frühere NSDAP-Mitglied-schaft belastet waren, mit der Sicherung der Akten ausdem dortigen Reichs- und Heeresarchiv. Ein Jahr spätergenehmigte die Sowjetische Militäradministration inDeutschland (SMAD) die Errichtung eines Zentralarchivsfür die SBZ, zu dessen Leiter im Herbst 1948 Otto Korfes(1889–1964) bestellt wurde. Korfes, ehemaliger Wehr-machtsoffizier und Mitarbeiter der aus dem Reichsarchivausgegliederten Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstaltdes Heeres, war aus russischer Gefangenschaft als Mit-glied des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ heimge-kehrt. Sein Wort hatte Gewicht bei der SMAD und den ost-deutschen Zentralbehörden, gleichzeitig wirkte er inte-grierend in den Kreis der Archivare. Unter seiner Leitungwurden in den folgenden Jahren zahlreiche ehemaligeArchivare, darunter auch „entlastete“ NSDAP-Mitglieder,neu beim Zentralarchiv eingestellt. Nach 1950 machte sichdann aber der unmittelbare Gestaltungswille der SEDbemerkbar; Korfes wurde im Herbst 1952 von seinem Pos-ten abgelöst. Das Zentralarchiv war zu dieser Zeit poli-tisch noch eine „Hochburg“ der NationaldemokratischenPartei Deutschlands (NDPD), die 1948 in der SBZ als Inte-grationsorganisation für „minderbelastete“ ehemaligeNSDAP-Mitglieder und Wehrmachtsangehörige gegrün-det worden war.

Die Vorträge der Sektionssitzung wurden vom lebhaf-ten Interesse des Auditoriums begleitet und regten zu

intensiven Diskussionen an. So bemerkte Professor Dr.Menk (Hessisches Staatsarchiv Marburg) zum Vortragvon Frau Eckert, der Bezug auf das Führungspersonal derZentralarchive in Berlin und Koblenz führe zu einseitigenAkzentuierungen in der Bewertung des Wirkens staatli-cher Archivare im NS-Regime und in den von Deutsch-land besetzten Gebieten. Für eine Gesamtbewertung die-ser Problematik sei der Blick auf die regionalen Staatsar-chive unverzichtbar. Das Negativbild, das den Hinter-grund für den Vortrag von Frau Eckert abgebe, lasse sichdurch Gegenbeispiele kontrastieren, in Gestalt von Lud-wig Dehio (1888–1963) oder Bernhard Vollmer(1886–1958). Frau Eckert bestätigte, dass die Länderar-chive eine Untersuchung wert, bezweifelte dagegen, dassdie angeführten Gegenbeispiele repräsentativ für denarchivarischen Berufsstand seien. Ähnlich äußerte sichunter Verweis auf Johannes Papritz (1898–1992) und KurtDülfer (1908–1973) Dr. Brübach (Sächsisches Staatsarchiv,Hauptstaatsarchiv Dresden). Dr. Musial (Akademie derKünste Berlin) betonte, die Leitfunktion des Bundesar-chivs für das westdeutsche Archivwesen rechtfertige es,Pilotforschungen wie die Untersuchung von Frau Eckertzunächst auf diese Ebene zu konzentrieren. Er rief dazuauf, sich der Geschichte zu stellen, und versicherte, dassdies heute mit differenzierendem Blick auf die in der Tatunterschiedlichen Belastungen der Archivare geschehe.Noch offen sei, wie die Betroffenen selbst ihre Rollen imNS-Regime reflektiert hätten und inwieweit die liberalenwestdeutschen Positionen auch als Abgrenzung gegen dasDDR-Archivwesen zu werten seien. Professor Dr. Wessel(Mannesmann-Archiv, Mühlheim an der Ruhr) fordertedie Berücksichtigung der Wirtschaftsarchive und betonte,dass einige der für die staatliche Ebene angewandtenBegriffe dabei präziser ausgelegt werden müssten. ImAnschluss an den Vortrag von Frau Walther hob die Sekti-onsleiterin noch einmal die unterschiedliche Entwicklungin Ost und West hervor: Während sich das Koblenzer Füh-rungspersonal weitgehend aus alten Eliten rekrutierte,erfolgte in Potsdam zunächst ein behutsamer Wechsel,dem sich seit etwa 1950 die Beendigung bürgerlicherArchivtraditionen und zunehmend der Austausch derFührungskräfte im Sinne der Personalpolitik der SEDanschloss. Auch Frau Grohmann sprach sich dafür aus,nach den beiden deutschen Spitzenarchiven künftig dasPersonal der regionalen Staatsarchive in den Blick derarchivgeschichtlichen Forschung zu nehmen.

Marburg Andreas Petter

Podiumsdiskussion:Archive und Archivare im Nationalsozialismus

Zum Abschluss des Archivtags übernimmt ein Podiumunter der Leitung von Prof. Dr. Volker Wahl den Versucheiner abschließenden Würdigung. Dabei konzentrierensich die älteren Diskutanten Prof. Dr. Friedrich P. Kahlen-berg (Koblenz) und Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky (Öster-reichisches Staatsarchiv Wien) zunächst eher auf die bio-graphische Aufarbeitung des Phänomens, während Dr.Astrid M. Eckert und Prof. Dr. Wolfgang Ernst als jün-gere Podiumsteilnehmer in erster Linie die Einordnung indie größeren Zusammenhänge der aktuellen Geschichts-

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und Kulturwissenschaft anstreben. Das Podium wird invielfältiger Weise durch das Publikum unterstützt.

Kahlenberg macht gleich zu Beginn auf die Schweig-samkeit der Generation aufmerksam, die ihn ausgebildethat und während seiner ersten Schritte im Berufsleben dieFührungspositionen versah. Man habe sich schon aus Höf-lichkeit nicht getraut, kompromittierende Fragen über denBerufsalltag der älteren Kollegen in der NS-Diktatur zustellen. Wahl berichtet über seinen damaligen Abteilungs-leiter am Staatsarchiv Weimar Ähnliches, und auch Miko-letzky, selbst Sohn eines im Nationalsozialismus tätigenArchivars, erinnert sich an Kollegen, die bekanntermaßennach dem Ende der Diktatur einige Monate oder auchJahre vom Dienst suspendiert waren, aber wenig über ihreVergangenheit erzählten. Die jahrzehntelang beschworeneOpferrolle der Österreicher habe dabei eine Rolle gespielt.Mikoletzky, Kahlenberg und auch Dr. Heinz Boberach(Boppard), der sich mehrmals aus dem Publikum zu Wortmeldet, berichten von seltenen Momenten, in denen dieseKollegen – meist in gelockerter Stimmung – über ihreTätigkeit im Nationalsozialismus plauderten. Die dabeivorgebrachten Meinungen reichten von Beschönigungüber Selbstmitleid und heimliche Demokratieschelte bishin zu offenen Anfeindungen. Viele hätten sich aucherfolgreich bemüht, bedenkliche Aspekte ihrer Vita ausihrem Nachlass zu tilgen. Bei anderen hingegen haben dieZeitzeugen durchaus auch einen ehrlichen politischenBewusstseinswandel verspürt.

Auf Anfrage des Diskussionsleiters berichtet Eckertüber ihre Motive für die Beschäftigung mit dem Archivwe-sen der Nachkriegszeit. Es sei keineswegs ihre Absichtgewesen, diese Frage umfassend abzuhandeln, sonderndie Recherchen hätten ihr lediglich dazu gedient, denGründen für die Haltung der Westalliierten nachzugehen,die sich bis in die späten 50er Jahre der Rückgabe vonUnterlagen der NS-Führung widersetzten. Die Auskünftefür ihre Forschung, die oft nicht aus Archivgut, sondernaus der hauseigenen Registratur der Archive stammten,seien in sehr kooperativer Weise erteilt worden. Über-haupt bewundere sie als Historikerin die unaufgeregteWeise, in der die archivarische Zunft heute ihre damaligeRolle betrachte, zumal sie – in Anspielung auf den Frank-furter Historikertag von 1998 – wisse, dass man „akademi-sche Stammbäume nicht leicht durchschütteln kann“.

Im Rahmen seiner medientheoretischen Beobachtun-gen zur „Technologie“ des Archivwesens, kommt Ernst zudem Schluss, im Spannungsfeld von Kontinuität und Dis-kontinuität seien die Biographien der Akteure zwar teilsgebrochen verlaufen, aber die Organisation der Archiveund insbesondere der „archivtechnische Apparat“ hättensich vollkommen kontinuierlich fortentwickelt. Unter die-sen technischen Gesichtspunkt sieht er das Archivwesenin einer Position, die den Naturwissenschaften näher seials der Geschichtswissenschaft. Auch die Professionalisie-rung des Berufs sei in jenen Jahren erheblich vorangetrie-ben worden. Vor dem Hintergrund einer FeststellungMikoletzkys über das Fehlverhalten der Archivare im NS-System weitet er seine These aus und behauptet eine„Resistenz“ der deutschen Archivare gegen eine ideologi-sche Manipulation der „technischen Werktreue“. Gegen-

über der schrankenlosen Umordnung der Archive in derSowjetunion oder auch im Vergleich mit den Fälschungs-versuchen deutscher Archäologen an den angeblichenGebeinen Heinrichs I. in Quedlinburg sei die Disziplintechnisch kaum manipulierbar gewesen.

Diese These erregt nicht nur auf dem Podium heftigenWiderspruch, sondern veranlasst auch zahlreiche Wort-meldungen aus dem Plenum. Kahlenberg macht trotzeines gewissen Wohlwollens gegenüber dem neuen Blick-winkel seine Bedenken an der fehlenden politischen Resis-tenz der Archivare fest, und er weist in diesem Zusam-menhang unter anderem auf die Zielstrebigkeit hin, mitder schon Albert Brackmann als Leiter des GeheimenStaatsarchivs die Ostforschungsprogramme unter einerverdeckten Finanzierung vorantrieb. Dezidiert stelltMikoletzky die Aussagen von Ernst in Frage, indem er aufdie politische und ideologische Motivation archivarischenFehlverhaltens zwischen 1933 und 1945 verweist. Ernstbegegnet dieser Kritik durch den Hinweis, dass für ihn dieKontinuität der Technik unverbunden neben den politi-schen Brüchen stehe. Sein Befund bedeute keine morali-sche Umwertung des Berufsstands im Nationalsozialis-mus; das Instrumentarium der Archive, aber auch derMuseen und anderer Wissensspeicher sei lediglich einevon beiden Seiten respektierte Methode gewesen.

Der postulierten Neutralität der Verfahren und Prinzi-pientreue wird auch aus dem Plenum vehement wider-sprochen. Anhand von Beispielen wie der Erschließungoder der Erstellung von Registern im Interesse der Sippen-forschung zeigt Prof. Dr. Konrad Krimm, Karlsruhe,handwerkliche Manipulationsmöglichkeiten auf, derersich die damaligen Archivare bedienten. Auch Prof. Dr.Edgar Lersch, Dr. Roland Müller, Dr. Jens Metzdorfund Dr. Torsten Musial sehen dies so und liefern Belegefür die Verletzung professioneller Prinzipien unter demEinfluss des Nationalsozialismus. Dr. Clemens Rehm,Karlsruhe, fasst diese Position zusammen, indem er ebenauf die Ergebnisse des Archivtags verweist, die doch deut-lich gezeigt hätten, wie sehr die Archivare in der NS-Zeitim Dienste des NS-Staates gestanden und ihre Arbeit undArbeitsweisen daran ausgerichtet hätten. Dies sei in denReferaten zur Überlieferungsbildung, zur Nutzungspra-xis und zu bestimmten Arbeitsschwerpunkten zur Unter-stützung der Erstellung von Sippentafeln mehr als deut-lich geworden. Ernst erklärt, aus diesen Auskünften ler-nen zu können.

Die Diskussion zeigt außerdem, wie viele Einzelbiogra-phien noch nicht aufgedeckt sind. Auch eine Historisie-rung der Ergebnisse als Beitrag zur Geschichte des Natio-nalsozialismus steht noch aus. Eckert ist sich sicher, dasseine Einordnung der Archivgeschichte nach 1945 in dieLiberalisierungsprozesse der Nachkriegsgesellschaft, wiesie Ulrich Herbert und andere derzeit verfolgen, reicheFrüchte tragen werde. Kahlenberg setzt sich zudem nichtnur für die Forschung, sondern auch für das Gedenkenein: er verliest mitten in der Diskussion eine Liste aller bis-her bekannten Archivare, die durch das Berufsbeamtenge-setz aus dem Staatsdienst ausscheiden mussten.

Marburg Kai Naumann

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Berichte zu den Arbeitssitzungen der Fachgruppen und Arbeitskreise auf dem75. Deutschen Archivtag

Fachgruppen

Fachgruppe 1:Archivare an staatlichen Archiven

Dr. Robert Kretzschmar, Stuttgart, begrüßt als Vorsit-zender der Fachgruppe die anwesenden Mitglieder underläutert, dass er zunächst die Wahl der Vertreter im Vor-stand der Fachgruppe durchführen möchte, damit erdanach die Fachgruppensitzung, an der wegen der Wah-len zunächst nur die Mitglieder der Fachgruppe teilneh-men können, für alle Interessierte öffnen kann.

Er führt aus, dass vom derzeitigen Vorstand FrauGrohmann, Leipzig, nicht mehr für den Vorstand kandi-diert, da sie während der nächsten Wahlperiode aus demaktiven Dienst ausscheiden wird. Namens der Fachgruppeund für sich persönlich dankt er Frau Grohmann ganzherzlich für ihre Arbeit und ihr Engagement als Vertreterinder Fachgruppe im Vorstand. Er verweist dazu besondersauf die von ihr konzipierte und organisierte 4. Frühjahrsta-gung der Fachgruppe in Leipzig 2004 (Beifall). Wie HerrKretzschmar mitteilt, wird er sich selbst auch nicht nocheinmal als Vertreter der Fachgruppe zur Wahl stellen, da erfür das Amt des Vorsitzenden des VdA kandidierenwerde. Der noch amtierende Vorstand schlage folgendePersonen als Vertreter der Fachgruppe im Vorstand vor:Beate Dördelmann (Münster), Gisela Haker (Berlin),Raymond Plache (Freiberg), Dr. Clemens Rehm (Karls-ruhe), Dr. Rita Maria Sagstetter (Amberg). Die genann-ten Personen stellen sich kurz vor. Aus dem Plenum wer-den keine weiteren Kandidatinnen und Kandidaten nomi-niert. In der geheimen Wahl, die sich unter der Leitung vonDr. Albrecht Ernst, Hauptstaatsarchiv Stuttgart,anschließt, wird der Wahlvorschlag des amtierenden Vor-stands bestätigt. Dr. Kretzschmar gibt das Ergebnisbekannt und gratuliert Frau Dördelmann, Frau Haker,Herrn Plache, Herrn Dr. Rehm und Frau Dr. Sagstetter(Beifall). Auf seinen Vorschlag wird Frau Dr. Sagstetter ineiner offenen Abstimmung als Vorsitzende der Fach-gruppe gewählt (Beifall).

In der „Aktuellen Viertelstunde“ der Fachgruppe, diewährend der Auszählung der Wahlscheine stattfindet,berichtet Dr. Kretzschmar kurz über die 5. Frühjahrsta-gung der Fachgruppe, die am 11. März 2005 in Brühl statt-fand und aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Perso-nenstandsarchivs Brühl dem Thema „Personenstandsar-chive“ gewidmet war. Dr. Kretzschmar dankt dem Lan-desarchiv Nordrhein-Westfalen und insbesondere demPersonenstandsarchiv Brühl sowie dessen Leiter Dr.Christian Reinicke für die umsichtige Vorbereitung undOrganisation der erfolgreichen Tagung (Beifall). Er ver-weist darauf, dass die gehaltenen Referate im Internet-Angebot des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen und desVdA bereits zugänglich sind.

In der „Aktuellen Viertelstunde“ berichten sodann Pro-fessor Dr. Wilfried Reininghaus und Dr. Ulrich Fischervom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen kurz über den

Stand des von der DFG geförderten Retrokonversionspro-jekts. Sie kündigen an, dass im Herbst 2005 regionaleInformationsveranstaltungen dazu durchgeführt werdensollen.

Zu dem Fachprogramm, zu dem der Zugang für alleInteressierte geöffnet wird, stoßen sodann zahlreiche Teil-nehmer hinzu. In einem ersten Referat berichtet Dr. ReginaKeyler, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, über „Württember-gische Archivleiter im Nationalsozialismus und ihreNachlässe“. Sie stellt die württembergischen Archivarevor, die in den Jahren 1933 bis 1945 und in der Nachkriegs-zeit dem württembergischen Archivwesen vorstanden,wobei sie insbesondere auf das persönliche Beziehungsge-flecht zwischen ihnen eingeht. Beispielhaft werden dieHaltungen der Hauptakteure Hermann Haering, Karl-Otto Müller, Max Miller und Walter Grube, die allesamtLeiter der staatlichen Archivverwaltung waren, anhandder Themen „Archivalienauslagerungen“ und „Beteili-gung an der Archivkommission in Paris“ beleuchtet. Ein-gehend beschreibt die Referentin die Nachlässe der vierArchivleiter, die im Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrtwerden, um ihre Aussagekraft zu bestimmen. Im Ergebniskann festgehalten werden, dass eine Annäherung an diePersonen und ihr Handeln im Dritten Reich sich nur unterHeranziehung aller verfügbarer Quellen staatlicher undprivater Provenienz bewerkstelligen lässt und ein diffe-renziertes Bild ergibt, bei dem auch manche Interpretationoffen bleibt. In jedem Fall aber ist zu konstatieren, dass imwürttembergischen Archivwesen die Gegensätze wenigerweltanschaulich als vielmehr konfessionell geprägt warenund erst in der Nachkriegszeit offen zu Tage traten.

In der Diskussion werden die geschilderten Fallbei-spiele unter Bezugnahme auf den bisherigen Verlauf desArchivtags als weitere Belege dafür gewertet, wie kompli-ziert und differenziert sich die Interpretation von Haltun-gen im Detail erweist und dass sich dabei eher „graue“ als„schwarz-weiße“ Bilder ergeben. Haltungen in Detailfra-gen, wie etwa zur Berechtigung von Archivalienauslage-rungen im Krieg, die auch als mangelnder Glaube an den„Endsieg“ interpretiert wurden, sind nicht immer mit derjeweiligen grundsätzlichen Einstellung zum Nationalso-zialismus der handelnden Personen in Einklang zu brin-gen. Nachfragen an die Referentin bezogen sich auf Über-schneidungen der Überlieferung in den Nachlässen und inden Behördenbeständen (d. h. ob sich auch staatlichesSchriftgut in den Nachlässen findet) sowie unter reinarchivfachlichen Gesichtspunkten auf die Erschließungs-tiefe bei der Bearbeitung der Nachlässe.

Mit den beiden folgenden Referaten wird ebenfalls eineBrücke vom Rahmenthema des Archivtags zur gegenwär-tigen Archivarbeit geschlagen. Dr. Sabine Dumschat,Bundesarchiv, Standort Berlin, referiert über „Die Aufar-beitung des NS-Archivs des Ministeriums für Staatssicher-heit der DDR im Bundesarchiv“. Es handelt sich dabei umeine Sammlung von personenbezogenen Unterlagen, diezum Teil nur als Fragmente erhalten sind, und Sachakten.Die Unterlagen wurden größtenteils aus ihrem prove-nienzmäßigen Zusammenhang gerissen und zu neuen,pertinenzbezogenen Dossiers formiert. Sie stammen in

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erster Linie aus dem Behörden- und Parteiapparat desDritten Reichs. Andere Teile der Überlieferung sind in derNachkriegszeit bei Stellen in der Sowjetischen Besatzungs-zone bzw. der DDR entstanden. Das Spektrum erstrecktsich dabei jeweils von der lokalen und regionalen bis zurzentralstaatlichen Ebene. Das MfS hatte diese Unterlagengesammelt, um seine sogenannten „politisch-operativen“Aufträge zu erfüllen: um NS- und Kriegsverbrecher straf-rechtlich zu verfolgen oder sie zur Zusammenarbeit zu„bewegen“ – was man als Angebot zur „Wiedergutma-chung“ begangener Verbrechen verstand. Die Referentingeht auf die Entstehung und die Zusammensetzung desBestandes ein, der 1990 nach der Auflösung des Staatssi-cherheitsdienstes der DDR in die Verantwortung des Bun-desarchivs gelangt ist, sowie auf seine Behandlung undBearbeitung im Bundesarchiv. Ende 2001 begann eine elf-köpfige Projektgruppe mit der Erschließung, die bis Ende2006 abgeschlossen sein soll. Zu leisten war und ist insbe-sondere die Provenienzbestimmung bei den Akten undDossiers, deren Verzeichnung und anschließende Vertei-lung an die zuständigen Archive in der Bundesrpublik,sofern sie unter Beachtung ihrer Provenienz abzugebensind. Dazu berichtet Dr. Dumschat den aktuellen Sach-stand. 2005 wurden Unterlagen an Sachsen, Brandenburg,das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, andas Landesarchiv Berlin sowie an die staatlichen Archiv-verwaltungen Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhaltabgegeben. Weitere Abgaben, die bis 2006 erfolgen sollen,sind für Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Nord-rhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Hessen, Bay-ern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, das Saar-land, Rheinland-Pfalz und Bremen vorgesehen.

Unmittelbar danach referiert Frau Anna JanaTschierschky von der Bundesbeauftragten für dieUnterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligenDeutschen Demokratischen Republik, Berlin, über die„Erschließung von Unterlagen des MfS-HA IX/11 (Auf-klärung von Nazi- und Kriegsverbrechen) in der BStU“,um über den aktuellen Sachstand bei der Bearbeitungeines entsprechenden Bestandes der BStU zu informieren,der mit den vom Bundesarchiv übernommenen Unterla-gen in enger Verbindung steht. Für August 2006 ist einegemeinsame Präsentation der BStU und des Bundesar-chivs zu den erzielten Ergebnissen der Erschließungspro-jekte vorgesehen.

Auf die beiden Referate folgt eine lebhafte Diskussion.Als problematisch am Vorgehen des Bundesarchivs wirddie Auflösung der sekundären Provenienz betrachtet, diebeim Bundesarchiv entstanden ist. Denkbar sei es auchgewesen, die Endprovenienz MfS und den dort neugeschaffenen Entstehungszusammenhang beizubehalten.Kritisch hinterfragt wird auch der Aufwand, der mit derAbgabe umfangreicher Bestände an die Landesarchivver-waltungen und der Übernahme in die betroffenen Archiveverbunden ist. Dr. Dumschat verweist dazu darauf, dassder gewählten Vorgehensweise eine archivpolitische Ent-scheidung zugrunde lag und dass die Abgabe der Unterla-gen von den Landesarchivverwaltungen gewünscht wor-den sei. Nachfragen an die Referentin ergehen auch hin-sichtlich der praktischen Abwicklung der Abgaben undbetreffen unter anderem die Übertragung der elektroni-schen Erschließungsdaten und das Verfahren des zukünf-tigen wechselseitigen Verweisens angesichts der starkenBenutzung der Akten, um diese nach der Abgabe mög-

lichst reibungsfrei zu gestalten. Es wird der Wunsch nachnäheren Absprachen dazu geäußert, wozu die Referentindie grundsätzliche Offenheit des Bundesarchivs erklärt.Dr. Boberach berichtet ergänzend aus seiner früherenZuständigkeit beim Bundesarchiv über ein Vorprojekt, dasvor dem Anlaufen der Arbeit der Projektgruppe mit finan-zieller Unterstützung der Kommission für Zeitgeschichtedurchgeführt worden war.

Abschließend dankt Dr. Kretzschmar als scheidenderVorsitzender der Fachgruppe allen Kolleginnen und Kol-legen im Vorstand der Fachgruppe für die gute Zusam-menarbeit während der vergangenen vier Jahre. Derneuen Fachgruppenvorsitzenden und dem neuen Vor-stand wünscht er alles Gute. Dass die Fachgruppe in Zei-ten, in denen z. B. in historischen Vereinen die Mitglieder-zahlen kontinuierlich sinken, weiter gewachsen sei undsich seit 2001 die Mitgliederzahl von 650 auf 685 erhöhlthat, wertet er als ein ermutigendes Zeichen.

Stuttgart Robert Kretzschmar

Fachgruppe 2:Archivare an Stadtarchiven und Archiven sonstigerGebietskörperschaften

Nach der Begrüßung der etwa 150 Teilnehmenden durchdie Vorsitzende der Fachgruppe 2, Gabriele Viertel(Chemnitz), wird direkt mit der Tagesordnung begonnen,da zusätzlich zum Fachprogramm die Wahlen der Fach-gruppenvertreter für den VdA-Gesamtvorstand anstehen.

Die Leiter der Kreisarchive des Zollernalbkreis, Dr.Andreas Zekorn, und des Landkreises Tübingen, Dr.Wolfgang Sannwald, geben einen ausführlichen Berichtüber die Bewertung von Unterlagen der Landratsämterdurch die Arbeitsgemeinschaft Kreisarchive Baden-Würt-temberg. Dr. Zekorn erläutert zunächst die Motivation fürdieses 2003 begonnene und kurz vor einem vorläufigenAbschluss stehende Projekt, seine Zielsetzung, seineHerangehensweise und seine Ergebnisse.

Das Beispiel der staatlichen Archivverwaltung inBaden-Württemberg, Bewertungs- und Archivierungsmo-delle zu erarbeiten, sowie gleichzeitig auch eine gewisseKritik an der 1997 erschienen Bewertungsdokumentation„Vertikale und horizontale Bewertung der Unterlagen derallgemeinen Verwaltung“ gaben den Anstoß, vergleich-bare Modelle für die Landratsämter in Baden-Württem-berg zu erstellen. Bewertungsmodelle sollen unter Vermei-dung von Redundanzen für transparente und damit nach-vollziehbare Bewertungsentscheidungen sorgen. Die Aus-gangsbedingungen in Baden-Württemberg sind dabei för-derlich: Der Aufbau der Landratsämter ist ähnlich, sieerfüllen gleichartige Aufgaben, damit entstehen gleichar-tige Unterlagen, die nach dem einheitlichen Boorberg-Aktenplan abgelegt werden.

Für die Mitglieder der Arbeitsgruppe Bewertung galtenfolgende allgemeine Regeln: 1) Im Gegensatz zum staatli-chen Ansatz Bewertung nach Aktenplan und damit fastausschließlich eine Bewertungsentscheidung nach Akten-autopsie. 2) Es werden nur dort Bewertungsentscheidun-gen getroffen, wo tatsächlich Akten vorhanden sind. 3) DieÜberlieferung des Landkreises steht im Zentrum derBewertung. Der Bewertungsansatz ist horizontal (Vermei-dung von Redundanz auf der Ebene der Landratsämter)wie vertikal (Vermeidung von Redundanz unter Einbezie-hung der Regierungspräsidien, Städte und Gemeinden). 4)

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Für die praktische Bewertungsarbeit wurden Bewertungs-kriterien festgelegt: Rechtssicherung, Evidenzwert, Infor-mationswert, Doppelüberlieferung, Dokumentationspro-fil des Archivs.

Da innerhalb der Arbeitsgruppe arbeitsteilig gearbeitetwurde, wurde zur Sicherstellung vergleichbarer Ergeb-nisse eine Bewertungstabelle mit folgenden Rubriken ent-wickelt: Aktenzeichen und Aktentitel auf der Grundlage desBoorberg-Aktenplanes; Dienststellen/Behörden; Inhalt undBemerkungen (Entstehungszweck); Fristen; Bewertungsvor-schlag (A=Archivwürdig, B=Bewerten, V=Vernichten);Begründung; Diskussionsbeiträge, Kommentare.

Verschiedene Gründe, u. a. in absehbarer Zeit nichtleistbare umfassende Redaktionsarbeiten, Kosten undgeringe Flexibilität, sprachen dafür, die Ergebnisse nicht inPapierform zu veröffentlichen, sondern das Internet zunutzen. Allerdings steht das Bewertungsforum im Internetnur den Kreisarchiven in Baden-Württemberg offen. Zugroß waren die Vorbehalte einiger Arbeitskreismitglieder,die Bewertungsempfehlungen könnten missbraucht wer-den, etwa in dem Sinne, dass Behördenmitarbeiterinnenund -mitarbeiter eigenmächtig aussondern würden undschlimmstenfalls das archivische Fachpersonal mittelfris-tig überflüssig sein könnte, wenngleich die gültigenRechtsvorschriften hier eindeutige Regelungen treffen, sodass eine solche Gefahr nicht ernsthaft besteht. Ebenfallsbestehe ein kommerzielles Interesse an Ergebnissen. Einebegrenzte Einbeziehung anderer Archive müsse jedoch inZukunft diskutiert werden.

Zusammenfassend hält Dr. Zekorn fest, dass die Kreisar-chive ihre Bewertungsarbeit als Vorschläge verstanden wis-sen wollen, die Orientierung bei der alltäglichen Bewer-tungsarbeit bieten sollen. Es sei zudem ein offener Prozess,den es fortzuschreiben gelte. Insbesondere die Diskussionunter Kolleginnen und Kollegen, die besonders durch dasMedium Internet befördert wird, ist wichtig für die Fort-schreibung des Modells. Im Kreisarchiv Zollernalbkreishaben die Vorschläge bereits dazu geführt, die bishergetroffenen Bewertungsentscheidungen zu überdenken.

Im Anschluss an den Vortrag von Dr. Zekorn stellt Dr.Sannwald das Internetforum mit seinen Funktionalitä-ten im Echtbetrieb vor. Die Befürchtung von Frau Viertel,dass im Rahmen eines Bewertungsmodells möglicher-weise lokale Besonderheiten keine Berücksichtigung fin-den, werden in der sich anschließenden Diskussion vonDr. Zekorn zurückgewiesen. Dr. Oppel (Bocholt) begrüßtdie Initiative der Kreisarchive Baden-Württembergs, kriti-siert jedoch, dass es sich um ein geschlossenes Forum han-dele, zu dem nicht alle Interessierten Zugang haben. DieFrage nach der Verfahrensweise, wenn kein einheitlicherAktenplan vorhanden ist, beantwortet Dr. Zekorn mit demHinweis auf den in Baden-Württemberg verwendetenBoorberg-Aktenplan. Bei Vorliegen verschiedener Fassun-gen wurden jeweils die neuesten Aktenzeichen verwen-det. Mit dem Appell, dass sich das Forum möglichst zeit-nah einer interessierten Fachöffentlichkeit öffnen möge,schließt Frau Viertel die Diskussion.

Anschließend berichtet der Vorsitzende der Bundes-konferenz der Kommunalarchive (BKK), Dr. Ernst-OttoBräunche (Karlsruhe), von den Aktivitäten der Unter-ausschüsse der Bundeskonferenz der Kommunalarchive.Der Leiter des Unterausschusses Aus- und Fortbildung,Prof. Dr. Norbert Reimann (Münster), ist in dieser Funk-tion Mitglied des Beirates der Archivschule Marburg.

Darüber hinaus werden die Ausbildungsgänge zum Dipl.-Archivar (FH) in Potsdam sowie zum Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv,kritisch begleitet. Die begründete Entscheidung des VdA,sich im Rahmen der Konzipierung einer Weiterbildungs-maßnahme von DIHT und ver.di zum „Fachwirt für Infor-mationsdienste“ nicht an der anstehenden Curriculumar-beit zu beteiligen, wird vom Unterausschuss mitgetragen.Die Fortbildungsveranstaltung der BKK 2004 findet alsKooperationsveranstaltung der Landesfachstelle fürArchive und Bibliotheken beim Brandenburgischen Lan-deshauptarchiv Potsdam, der Archivberatungsstelle Thü-ringen und dem Westfälischen Archivamt Münster vom18.–20. Oktober in Potsdam zum Thema „Sammlungen inArchiven“ statt. Der Unterausschuss EDV-Fragen unterLeitung von Dr. Robert Zink (Bamberg) hat eine Empfeh-lung zur „Digitalisierung von archivischem Sammlungs-gut“ erarbeitet, die im April 2005 von der BKK beschlossenund in der Sitzung des Kulturausschusses des DeutschenStädtetages vom 19./20. 5. 2005 billigend zur Kenntnisgenommen wurde. Die Empfehlung kann im Internetunter der Adresse www.bundeskonferenz-kommunalar-chive.de/empfehlungen abgerufen werden.

Gleiches gilt für das Positionspapier zum Thema „His-torische Bildungsarbeit als integraler Bestandteil der Auf-gaben des Kommunalarchivs“, das der UnterausschussHistorische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit unter Lei-tung von Dr. Michael Diefenbacher (Nürnberg) erarbei-tet hat.

Das Positionspapier „Das historische Erbe sichern! Wasist aus kommunaler Sicht Überlieferungsbildung“ desUnterausschusses Überlieferungsbildung, der von Dr.Irmgard Christa Becker geleitet wird, wurde bereits inder Sitzung des Kulturausschusses des Deutschen Städte-tages vom 6. Mai 2004 zur Kenntnis genommen (Quellen:Internet – s. o.; Der Archivar 58/2005, S. 87–88; Archivpflegein Westfalen-Lippe 62, 2005, S. 45–46).

Folgende Themen wurden auf der BKK-Sitzung am 26.und 27. September im Rahmen des Deutschen Archivtageserörtert: Benchmarking – hierzu soll eine Diskussion mitKGSt-Mitarbeitern im kleinen Kreis geführt werden; Vor-stellung der Instrumentarien Planung, Ziele, Controllingetc. im Archiv durch die Leiterin des Stadtarchivs Saarbrü-cken, Dr. Becker; Erarbeitung einer Empfehlung zu Ton-bandüberlieferungen kommunaler Gremien; zustim-mende Kenntnisnahme der Einrichtung der Online-Anwendung NORA (Notfall-Register Archive) durch dasBundesarchiv zur Verbesserung von Notfallvorsorge undKatastrophenmanagement (www.bundesarchiv.de); Dis-kussion mit dem Leiter des Internationalen Suchdienstes(www.its-arolsen.org), Charles-Claude Biedermann:Die BKK tritt dafür ein, dass die dort verwahrten Datenzusammen gehalten und nicht unter den beteiligten Län-dern aufgeteilt werden. 53% der Bestände sind digitali-siert. Wünschenswert wäre, wenn die betroffenen StädteInformationen in digitaler Form erhielten. Die nächste Sit-zung des Unterausschusses EDV wird unter Beteiligunginteressierter BKK-Mitglieder in Arolsen stattfinden.

Vor den anstehenden Wahlen in der Fachgruppe ziehtdie scheidende Vorsitzende Gabriele Viertel Bilanz. AlsReaktion auf die verheerende Flutkatastrophe im August2002 veranstaltete die BKK gemeinsam mit dem VdA-Lan-desverband Sachsen und der Fachgruppe 2 in Markers-bach eine Tagung zum Thema „Katastrophenvorsorge in

49Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Archiven. Eine Bestandsaufnahme“. Leere Kassen insbe-sondere in den kommunalen Haushalten haben in denvergangenen Jahren zu einschneidenden Strukturverän-derungen geführt, die die Arbeit der Archive deutlicherschwert haben. Aus aktuellem Anlass hat die Fach-gruppe 2 am 19. und 20. Oktober 2004 eine Fachtagung inZusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Augsburg unterdem Rahmenthema „Archivarbeit unter veränderten Rah-menbedingungen“ veranstaltet, die auf eine positive Reso-nanz gestoßen ist. Die engere Verbindung zwischen derFachgruppe 2 und der BKK, vor allen Dingen der intensi-vierte Informationsaustausch, etwa im Rahmen eineröffentlichen Veranstaltung von BKK und Fachgruppe 2beim Deutschen Archivtag, hat sich bewährt und wirdauch vom neuen Vorstand fortgeführt. Auf die Frage derVorsitzenden, ob es Anregungen für die künftige Fach-gruppenarbeit gebe, gibt es zwei Wortmeldungen. CarlaCalov (Leipzig) bittet um Argumentationshilfen gegendie geplante Ausweitung von Benutzungsgebühren imStadtarchiv Leipzig, die ausnahmslos für alle Nutzerkreisevorgesehen sei. Dr. Arnd Kluge (Hof) regt an, seitens desVdA Vorlagen für die regionale Pressearbeit zur Verfü-gung zu stellen, mit dem Ziel, das Archiv und seine Arbeitvorzustellen.

Frau Viertel und Herr Dr. Ebeling beenden ihre VdA-Vorstandsarbeit. Die zur Wahl stehenden Kandidaten Ste-fan Benning (Bietigheim-Bissingen), Dr. Michael Die-fenbacher (Nürnberg), Ralf Jacob (Halle), KatharinaTiemann (Münster) und Dr. Klaus Wisotzky (Essen)werden bestätigt. Zum Fachgruppenvorsitzenden wirdDr. Michael Diefenbacher gewählt.

Dr. Oppel (Bocholt) kritisiert, dass der zukünftige Vor-sitzende des VdA nicht aus den Reihen der Kommunalar-chive kommt, sondern wiederum ein Staatsarchivar ist. Dr.Bräunche und Frau Viertel weisen darauf hin, dass eszunehmend schwierig ist, eine/n Kommunalarchivar/infür dieses Amt zu gewinnen. Da sich kein/e Kandidat/inaus einem Kommunalarchiv fand, wurde der Vorschlag,Dr. Kretzschmar (Stuttgart) zu nominieren, im Gesamt-vorstand mitgetragen, zumal Kretzschmar auch aus kom-munaler Sicht in jeder Hinsicht als ein geeigneter Kandi-dat anzusehen sei, dessen Wahl nur zu begrüßen wäre.

Zum Abschluss der Sitzung dankt der Vorsitzende derBKK, Dr. Ernst-Otto Bräunche, Frau Viertel für die guteund vertrauensvolle Zusammenarbeit. Im Namen derFachgruppe und des Fachgruppenvorstandes danktKatharina Tiemann Frau Viertel für Ihre engagierte Tätig-keit in der Fachgruppe und im Gesamtvorstand. Gleich-zeitig verweist sie auch noch einmal auf das zurücklie-gende Engagement von Frau Viertel nach der Wende fürdie Interessen der Kolleginnen und Kollegen in den ost-deutschen Bundesländern als Vorsitzende des VdA-Lan-desverbandes Sachsen.

Münster Katharina Tiemann

Fachgruppe 3:Archivare an kirchlichen ArchivenAn der Fachgruppensitzung am 28. September 2005 indem Kultur- und Kongreßzentrum Liederhalle in Stuttgartnahmen rund 70 Kolleginnen und Kollegen sowie Gästeteil. Den Vorsitz hatte Prof. Dr. Hans Ammerich vom Bis-tumsarchiv in Speyer.

Die Fachgruppe der Kirchenarchivare orientierte sicham diesjährigen Thema des Archivtages. Zunächst behan-

delte Prof. Dr. Reimund Haas (Historisches Archiv desErzbistums Köln) das Thema: „‚Zur restlosen Erfassungdes deutschen Volkes werden insbesondere Kirchenbü-cher unter Schriftdenkmalschutz gestellt‘. Kirchenarchi-vare im Spannungsfeld zwischen Kooperation und Ent-eignung 1933–1943“. Der Referent setzte sich zum Ziel, dieFolgen der Aufforderung der Abgabe aller Kirchenbücherdurch den nationalsozialistischen Staat darzustellen. Diesgeschah in drei Abschnitten: 1. Wachsender Anspruch desNS-Staates: Sachverständiger für Rassenforschung1933–1935; 2. Reichsstelle für Sippenforschung: Koopera-tion und kirchliche Selbstbehauptung 1935–1940; 3. DasReichssippenamt: Bombenkrieg, Sicherungsmaßnahmenund der NS-Enteignungsanspruch 1940–1943/45. An die-sen Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, vorallem über die Frage nach der kirchlichen Selbstbehaup-tung (Kirchenbuchämter, eigene Verfilmungsstellen).

Im zweiten Vortrag berichtete Dr. Johann Peter Wurm(Landeskirchliches Archiv Schwerin) über: „Die Mecklen-burgische Sippenkanzlei (Kirchenbücher im Dienst derAusgrenzung der jüdischen Bevölkerung)“. Am 1. Mai1934 errichtete die Mecklenburgische Landeskirche auseigenem Antrieb eine Kirchenbuchabteilung. Ziel der bisdahin in den deutschen evangelischen Kirchen einzigarti-gen Kirchenbuchzentrale war die Erleichterung der Arier-nachweise für Einzelpersonen und die Entlastung derPfarrer, womit sich die Landeskirche bewusst in denDienst der NS-Rassepolitik stellte. Unter ihrem ambitio-nierten Leiter Albrecht verstand sich die Kirchenbuchab-teilung darüber hinaus als Vorbild für andere Landeskir-chen und die Einrichtung staatlicher Sippenkanzleien.Eigenmächtig weitete Albrecht ihren Tätigkeitsbereichaus. An der Landeskirche vorbei betrieb er die Umwand-lung in eine Sippenkanzlei und deren betriebstechnischeAngliederung an die Reichsstelle für Sippenforschung.Nach seinem Ausscheiden 1938 beschränkte sich dieMecklenburgische Sippenkanzlei wieder auf die Ausstel-lung von Ariernachweisen. Das überregionale Interesseerlahmte.

In einem dritten Vortrag berichtete Dr. HerbertW. Wurster, Leiter des Archivs des Bistums Passau, derderzeitige Vorsitzende der Sektion der Archive der Kir-chen und Religionsgemeinschaften im ICA, über dieerfolgreiche Abwicklung eines EU-Projektes (ProgrammKultur 2000) mit kirchlichen Partnern aus Ungarn, Tsche-chien, Österreich und Deutschland. Wesentlich für dasProjekt war der internationale Austausch von Know-how.Im Passauer Projektteil ging es um das Scannen von Kir-chenbüchern und um das Erstellen einer historischen Kle-rusdatenbasis. Die Ergebnisse des Projekts sind im Inter-net abrufbar (www.monasterium.net). Der Referent unter-strich die Bedeutung zeitgemäßer Erschliessungsverfah-ren, erläuterte Wege und Chancen der Einwerbung vonDrittmitteln – eine aktuelle Herausforderung angesichtsder zunehmenden Sparzwänge.

Zum neuen Vorsitzenden der Fachgruppe 3 wurde Dr.Michael Häusler (Archiv des Diakonischen Werkes derEKD), zu seinem Vertreter Prof. Dr. Hans Ammerichgewählt.

Am Abend des 29. September 2005 fand im Archiv derEvangelischen Landeskirche in Württemberg in Stuttgart-Möhringen der traditionelle Empfang der Fachgruppe 3statt.

Speyer Hans Ammerich

50 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Fachgruppen 4 und 5:Archivare an Herrschafts-, Haus- und Familienarchivenund Archivare an Archiven der WirtschaftZum wiederholten Male tagten beiden Fachgruppengemeinsam unter der Leitung von Dr. Martin Dallmeier(Regensburg) und Dr. Ulrich S. Soénius (Köln). Über 50Teilnehmer trafen sich im Literaturhaus Stuttgart. Die bei-den Fachgruppenvorsitzenden betonten, dass anlässlichdes Archivtages Themen für die Sitzung gewählt wurden,die die Zeit des Nationalsozialismus behandeln. Auf-grund der geringen Anzahl von hauptamtlich besetztenAdels- und Wirtschaftsarchiven in dieser Zeit, konntejedoch kein Referat ermöglicht werden, das die Archiveselbst zum Gegenstand hat.

Zu Beginn sprach Jesko Graf zu Dohna M. A., der dasFürstlich Castellsche Archiv in Castell leitet. Er veröffent-lichte kurz vor dem Archivtag ein Buch über die jüdischenKonten der Fürstlich Castellschen Credit-Cassen und desBankhauses Karl Meyer KG. Der Referent berichtete überdie Entstehung des Buches, den Umgang mit den Archiva-lien im Unternehmen und dem Selbstverständnis der adli-gen Unternehmer. Das Projekt geht zurück auf das persön-liche Engagement des heutigen AufsichtsratsvorsitzendenAlbrecht Fürst zu Castell-Castell. Dohnas Buch befasstsich mit dem Schicksal „kleiner“ jüdischer Bankkunden,deren Geschäfte und der „Arisierung“ ihrer Konten. Dabeiwerden die Konteninhaber namentlich genannt – einPunkt, der in der anschließenden Diskussion von Teilneh-mern kritisch hinterfragt wurde. Doch nur so kann auchderen Einzelschicksal, das im Mittelpunkt des Buchessteht, nachvollzogen werden. Nur ein geringer Teil derjüdischen Kunden überlebte den Holocaust. Die Bankselbst behandelte ihre Kunden zwar nach der damaligenGesetzeslage, es gab keine Bereicherungen, sie war aberauch nicht bereit, das persönliche Schicksal der jüdischenKunden, bei denen es sich häufig um eher dem unterenMittelstand zuzurechnende Landjuden handelte, bei derBearbeitung der Bankgeschäfte zu berücksichtigen. ImVergleich zu vielen anderen Banken hat sich die Castell-Bank sechzig Jahre nach Kriegsende ihrer Geschichtegestellt und dank ihres Archivars die Ergebnisse auchpubliziert.

Der zweite Beitrag von Wolfgang Richter M. A., Archi-var beim Historischen Archiv der Dresdner AG in Frank-furt am Main, richtete den Fokus auf die Verlagerungender verschiedenen Bankakten im Zweiten Weltkrieg. Nachder militärischen Unterwerfung insbesondere in Osteu-ropa richtete die Dresdner Bank Filialbanken ein. Mit demRückzug der deutschen Armee und der durchgeführtenEvakuierungen wurden die wichtigsten Bankakten in Mit-teldeutschland in Sicherheit gebracht. Deren Wege sowiedie der besonders wichtigen Aufsichtsrats- und Vor-standsakten zeichnete der Referent dezidiert nach. Sowurden z. B. die Vorstandsakten von der sowjetischenArmee beschlagnahmt, aber anschließend verbrannt.Damit wurde die zentrale Überlieferung der DresdnerBank vernichtet. Manche erhalten gebliebene Archivalienwurden in Mitleidenschaft gezogen. Die Akten des Filial-büros wurden nach Dresden ausgelagert. Vermutlich wur-den Teile der Akten im Bombenangriff auf die Stadt imFebruar 1945 verschüttet. Erhalten gebliebene Akten wei-sen jedenfalls Verletzungen auf, die durch eine Spreng-bombe und ein zusammenbrechendes Haus verursacht

worden sein können. Bei der Verzeichnung der Unterlagenim Jahr 2001 wurde in einer Akte ein Metallsplitter gefun-den, der in glühendem Zustand das Papier durchschlagenhatte und dann im Bündel stecken geblieben war. EineReihe von Aktenbeständen konnten über den Krieg geret-tet werden, wobei auch in den letzten Kriegs- und den ers-ten Nachkriegstagen eine Reihe von Unterlagen durchUnachtsamkeit vernichtet wurden. Die geretteten Aktenwurden in Berlin zentral aufbewahrt. Der große Teilwurde 1999 in das neu gegründete Historische Archiv derDresdner Bank übernommen. Einige Bestände befindensich aber noch in staatlichen Archiven der fünf Beitrittslän-der und Polens. Richter bedauerte, dass noch kein Deut-scher Einblick in das Archiv der Liquidationsgesellschaftder sudetendeutschen Filialen in Tschechien nehmenkonnte. Dieses Archiv befindet sich vermutlich im Besitzdes tschechischen Finanzministeriums und soll lautGerüchten in der Krypta einer Prager Kirche verwahrtwerden. Aus der anschließenden Diskussion konnte derReferent durch einen tschechischen Gast hilfreiche Winkefür weitere Recherchen mitnehmen.

Als dritter Redner referierte Dr. Michael Farrenkopf,Leiter des Bergbau-Archivs Bochum, über die Erarbeitungeines „Spezialinventars zu Quellen der Zwangsarbeit imRuhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges in nord-rhein-westfälischen Archiven“. Die 2004 vorgelegte undim Bergbau-Archiv erarbeitete Publikation rührte auseinem Projekt der RAG AG her, die 2000 insgesamt etwa1,25 Mio. für eine umfassende Erforschung der Zwangsar-beit im deutschen Kohlenbergbau bewilligte. Aufgrundder öffentlichen Diskussion schien es geboten, einen Teil-aspekt – den Ruhrkohlebergbau – vorzuziehen. Die Erstel-lung des Spezialinventars stand unter zwei Prämissen: Sosollten Akten nachgewiesen werden, die „Auskunft überstrukturelle Aspekte zur Organisation der Zwangsarbeitim Rahmen des polykratischen Herrschaftssystems“ desNS-Systems geben, sowie solche, die „vorrangig die kon-kreten Ausübungen des Arbeitszwangs auf lokaler bzw.betrieblicher Ebene betreffen“. Die ursprünglich vorgese-hene Ordnung nach Schachtanlagen wurde aufgrund derdann zu berücksichtigenden Vielfachmeldungen zuguns-ten einer Gliederung nach Archiven aufgegeben – derZugang erfolgt nun über die Indices. Das Spezialinventarist auch über das Internet als pdf-Datei abrufbar. EinErfolg des Inventars ist die verstärkte wissenschaftlicheDurchdringung des Themas. Seit der Vorlage der Publika-tion im Frühjahr 2004 wurden fünf neue Forschungspro-jekte zur Zwangsarbeit bzw. zu Fremdarbeitern im Ruhr-bergbau mit Archivalien des Bergbau-Archivs bearbeitet.Kritisch setzte sich der Referent mit dem ursprünglichenZiel eines Inventars von Quellen zur Zwangsarbeit imgesamten Stein- und Braunkohlenbergbau für die Zeit desErsten und des Zweiten Weltkriegs auseinander, das auchQuellen aus ausländischen Archiven umfassen sollte.Neben dem voluminösen Umfang hätte eine solche Publi-kation einer wesentlich stärkeren Zuarbeit der in denArchiven forschenden Wissenschaftler bedurft, die abermit einer anderen Fragestellung an die Quellenbeschrei-bungen herangehen.

Da die Fachgruppe 5 bereits im Frühjahr Dr. UlrichSoénius zum Vorsitzenden wieder und Dr. Ulrike Gutz-mann zur stellvertretenden Vorsitzenden neu gewählthatte, tagte im Anschluss die Fachgruppe 4, um die Wahl

51Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

des Vorsitzenden vorzunehmen, bei der Dr. Martin Dall-meier in seinem Amt bestätigt wurde.

Köln Ulrich S. Soénius

Fachgruppe 6:Archivare an Archiven der Parlamente, der politischenParteien, Stiftungen und VerbändeDie Mitglieder der Fachgruppe 6 setzten auch auf dem75. Deutschen Archivtag in Stuttgart ihre Tradition, zwei-mal zu tagen, fort. Auf Einladung des Landtages Baden-Württemberg versammelten sich insgesamt 37 Teilnehmeram 27. September 2005 im Landtagsgebäude, um in derersten Arbeitssitzung vorrangig Fragen der Parlamentsar-chive und -dokumentationen zu besprechen. Nach derBegrüßung durch Dr. Günther Bradler und die beidenVorsitzenden der Fachgruppe, Dr. Günter Buchstab undFrau Brigitte Nelles, erstattete Jochen Lengemanneinen ausführlichen Bericht über seine biographischenForschungen. Da alle Landtagsarchive die Aufgabe haben,Biographien ihrer aktuellen Abgeordneten für diverseHandbücher und Nachschlagewerke anzufertigen undviele von ihnen diese Aufgabe auch auf das Leben undWirken der Abgeordneten seit Bestehen der parlamentari-schen Vertretungen ausgedehnt haben und derartige bio-graphische Arbeiten durchführen, stieß der Werkstattbe-richt des durch zahlreiche Arbeiten zur hessischen Parla-mentarismusgeschichte ausgewiesenen Referenten aufgroßes Interesse, zumal er als Abgeordneter, Präsidentund Vizepräsident selbst zwanzig Jahre dem hessischenLandtag angehört hatte. Von 1990–1992 war er zudemnoch Minister für besondere Aufgaben in Thüringen. Len-gemann berichtete detailliert und anschaulich über„Freud und Leid“ seiner umfangreichen Forschungstätig-keit zu den thüringischen Parlamenten und Abgeordnetenim 19. Jahrhundert. Anschließend gab Dieter Henske, bisvor kurzem der Leiter der Datenverarbeitung, einen präg-nanten Überblick über die Entwicklung der elektronischenDatenverarbeitung im Baden-Württembergischen Land-tag von den Anfängen im Jahr 1972 bis heute. Eine Füh-rung durch das Landtagsgebäude, die der Leiter des Infor-mationsdienstes Dr. Günther Bradler anbot, und ein Emp-fang durch den Vizepräsidenten des Landtags, FriederBirzele, rundeten die erste Arbeitssitzung ab.

Zur zweiten Arbeitssitzung der Fachgruppe 6 versam-melten sich am Mittwoch, den 28. September 2005, 32 Kol-leginnen und Kollegen im Kongresszentrum „Lieder-halle“ in Stuttgart. Zunächst gab Dr. Martin Schuma-cher, Generalsekretär der Kommission für Geschichte desParlamentarismus und der politischen Parteien, einen far-bigen Bericht über die Vorgeschichte und die „Umsied-lung“ dieser außeruniversitären Forschungseinrichtungvon Bonn nach Berlin. Er schilderte die Gründung undEntwicklung, Aufgaben und Struktur der Kommission,ihre existenzielle Bedrohung durch die drastischen Spar-maßnahmen des Trägerlandes Nordrhein-Westfalen unddie glückliche „Rettung“ durch den Deutschen Bundestag.Am 2. Januar 2006 wird die Parlamentarismus-Kommis-sion ihre Arbeit in Berlin aufnehmen.

Der zweite Schwerpunkt dieser Fachgruppensitzungwar den Neuwahlen gewidmet. Der Vorsitzende der Fach-gruppe 6, Dr. Günter Buchstab, gab eine kurze Rück-schau auf die Tätigkeit der Fachgruppe in den letzten vierJahren und betonte die große Bedeutung von persönlichen

Kontakten und Gesprächen anlässlich der Archivtage undFachgruppensitzungen. Deshalb bedauerten die Anwe-senden einhellig das Fernbleiben zahlreicher Mitgliederaus den Landtagen. Nach kurzer Diskussion des Pro-gramms für den nächsten Archivtag wurde unter der Lei-tung von Dr. Günther Bradler die Neuwahl des Fach-gruppenvorstandes durchgeführt. Mit jeweils überwälti-genden Ergebnissen wurden die bisherigen Vorstandsmit-glieder, der Vorsitzende Dr. Günter Buchstab, Frau BrigitteNelles als stellvertretende Vorsitzende und die Protokoll-führerin Dr. Renate Höpfinger, in ihren Ämtern bestä-tigt.

München Renate Höpfinger

Fachgruppe 7:Archivare an MedienarchivenDer Streit ist alt, er reicht fast in die Anfänge der Kinemato-graphie zurück: Wer soll filmische und Ton-Dokumenteals Quellen der Zeitgeschichte sammeln und ist damitzuständig für das audiovisuelle Gedächtnis einer Gesell-schaft oder eines Landes? Die einen plädieren für dieöffentlichen Archiveinrichtungen als sozusagen für allesQuellengut außer der bibliothekarischen Überlieferungzuständig und prädestiniert; die andere Gruppe plädiertfür Spezialeinrichtungen. Dies vor allem deshalb, weil tra-ditionelle Archive wegen der besonderen Art der AV-Quellen und deren mit herkömmlichem Schriftgut nichtvergleichbaren Material- und Formatproblemen, vorallem aber wegen der durch den Produktionsprozess mitbedingten anders gearteten Provenienz-Zusammenhän-gen völlig überfordert wären, was eine Reihe von Beispie-len eindringlich und verstörend belege.

Dabei hatte es dieses neuartige Archivgut, um das eshier geht, lange Zeit mit seiner amtlichen Anerkennungnicht leicht. Erst in den neueren Archivgesetzen findet sichaudiovisuelle Überlieferung als erhaltenswertes Quellen-gut definiert und damit als sicherungswürdig deklariert.Dennoch muss auch heute noch konstatiert werden, dassin vielen öffentlichen Archiveinrichtungen den filmischenQuellen ebenso wie der Audioüberlieferung, wenn derar-tige Dokumente überhaupt gesammelt werden, ein eherstiefmütterliches Dasein beschieden ist. Den traditionellenQuellen verpflichtete Einrichtungen, wie es die Archivedes Staates, der Kommunen und vieler gesellschaftlicherOrganisationen und Gruppen heute immer noch sind, ent-wickeln hier kaum Ehrgeiz und nehmen die Aufgabemeist als lästige Pflicht. Vor diesem Hintergrund sindModelle einer Kooperation mit Spezialeinrichtungen zurSicherung von AV-Dokumenten wahrscheinlich der bes-sere, weil erfolgversprechendere Weg.

Der Besuch einer derartigen Modelleinrichtung führtedie Fachgruppe 7 beim deutschen Archivtag 2005 in Abän-derung des wegen der Absage des Referenten ursprüng-lich vorgesehenen Programms, nämlich der Beschäftigungmit dem Thema Rundfunkarchive und Nationalsozialis-mus, in das Haus des Dokumentarfilms in der StuttgarterKönigstraße. Anita Raith und Dr. Reiner Ziegler präsen-tierten ihre Einrichtung, deren Träger das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, eine Reihe öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, beide großen Kirchen undeine Verwertungsgesellschaft sind, überzeugend und injeder Beziehung spannend, so die Eindrücke der Teilneh-mer an dieser Exkursion.

52 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Ursprünglich wurde das Haus des Dokumentarfilms(HDF) als Einrichtung zur Sammlung der deutschen undeuropäischen Dokumentarfilmüberlieferung und derenNutzung und Präsentation gegründet. Dies führte zu einerumfassenden Sammeltätigkeit, die ein breit angelegtesQuerschnittsangebot des dokumentarischen Filmschaf-fens zum Ergebnis hat. Hinzu kamen weitere Aktivitäten,so die Einrichtung einer eigenen Schriftenreihe „close up“,in der inzwischen eine ganze Reihe von Monographienpubliziert wurden. Darüber hinaus wurde ein wissen-schaftliches DFG-Projekt, nämlich eine Geschichte desdokumentarischen Films in Deutschland von den Anfän-gen der Kinematographie bis 1945, realisiert; die dreibän-dige aufwendige Publikation erscheint gerade bei Reclam.Außerdem werden historische Videoeditionen produziertund Fachtagungen und Symposien mit erheblicher Reso-nanz durchgeführt. Dieses speziell den Dokumentarfilmbetreffende Wirken der Einrichtung ist außerordentlichverdienstvoll und sehr erfolgreich.

Vor einigen Jahren nun wurde, auch unter dem Ein-druck der professionellen Arbeit des Instituts, eine Verein-barung zwischen HDF und der Medien- und Filmgesell-schaft Baden-Württemberg (MFG) sowie der Landesstif-tung BW zur Einrichtung einer Landesfilmsammlunggetroffen. Hier werden nicht nur die von der MFG geför-derten Film- und Videoproduktionen gesammelt undgesichert, sondern in der „Historischen Filmsammlung“wichtige kernarchivische Funktionen für die Sammlungund Erhaltung der im weitesten Sinne zur baden-würt-tembergischen Provenienz zählenden audiovisuellenÜberlieferung wahrgenommen. Das Haus des Dokumen-tarfilms wird auf diesem Sektor im Sinne einer eingangsskizzierten AV-Spezialeinrichtung subsidiär für die staat-lichen und öffentlichen Archive tätig, die sich, von diesenAufgaben entlastet, damit ganz ihren traditionellenarchivpflegerischen Tätigkeiten widmen können. DasHDF hat inzwischen bedeutende filmische Quellenzusammengetragen und die Erfassung der Überlieferungvor allem systematisch betrieben. Reiner Ziegler berichtetevon den Aktionen zur Ermittlung und zur Übernahme derAV-Quellen im Lande, die von einer gezielten Suche beiFirmen, Facheinrichtungen und Organisationen bis zuFragebogenaktionen reichen. Inzwischen liegt ein Katalogmit einem Nachweis der in Baden-Württemberg doku-mentierten Filmüberlieferung vor.

Aus der Erkenntnis, mit den restauratorischen Maßnah-men, die die älteren Bestände benötigen, überfordert zusein, resultiert eine Kooperation mit dem Filmarchiv desBundesarchivs in Berlin, das über entsprechende Einrich-tungen und eine große Erfahrung auf diesem Gebiet ver-fügt. Die Erschließung, häufig eine Achillesferse vielerArchive, funktioniert im Haus des Dokumentarfilms aus-gezeichnet. Die Dokumentationsergebnisse sind in derRundfunk-Archivdatenbank FESAD auch über das Inter-net recherchierbar. Den neuen Anforderungen in Bezugauf digitale Träger wird das HDF dadurch gerecht, dass imFalle von Verwertungen digitalisiert, also sozusagen Digi-talisierung on demand betrieben wird, was sich schon ausKostengründen empfiehlt. Im übrigen bleibt die filmischeOriginalüberlieferung, mit Ausnahme der alten Nitro-filme, als hochwertiges Ausgangsmaterial für Reproduk-tionen erhalten, und der Bestand kann im Hause selbst viaDuplikatüberlieferung (Videokassetten, DVD etc.) genutztwerden.

Anita Raith und Reiner Ziegler präsentierten ein gutaufgestelltes Haus mit eindrucksvollen Beständen, und sietaten dies mit sehr viel Engagement und großem Enthusi-asmus. Dabei wurde nicht nur über die Aufgabenstellungund die Bestände sowie über deren Nutzung gesprochenund diskutiert, sondern es wurden eine Reihe von filmi-schen Quellen in Großprojektion gezeigt und die Bearbei-tungs- und Ansichtstechnik vorgeführt. Besonderes Inte-resse fand auch die Präsentation der Dokumentationssys-teme, vornehmlich der FESAD-Datenbank. Die insgesamthoch interessante wie informationsdichte Veranstaltungwar weit mehr als ein Ersatz für das ursprünglich vorgese-hene Programm, so der Eindruck der Teilnehmer.

Ingelheim Heiner Schmitt

Fachgruppe 8:Archivare an Hochschularchiven und Archiven wissen-schaftlicher InstitutionenBei den in der Fachgruppensitzung durchgeführten Wah-len wurden Archivdirektor Dr. Dieter Speck (Universi-tätsarchiv Freiburg/Breisgau) als Vorsitzender undDiplom-Historiker Ralf Müller (Universitätsarchiv Pots-dam) als stellvertretender Vorsitzender in ihren Ämternbestätigt. Der Fachgruppe gehören gegenwärtig 174 Mit-glieder an.

Den thematischen Schwerpunkt der Sitzung bildete derVortrag von Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld über „DieStuttgarter Weltkriegsbücherei in der NS-Zeit“. Einfüh-rend betonte der Direktor der Nachfolgeeinrichtung„Bibliothek für Zeitgeschichte in der WürttembergischenLandesbibliothek“1 die Bedeutung des Weltkriegs-Erleb-nisses für die damalige Soldatengeneration und die prä-gende politische Erfahrung von Niederlage, Novemberre-volution und Versailler Vertrag. Auch die frühere „Welt-kriegsbücherei“ verdankt ihre Entstehung dem auf dieseWeise wahrgenommenen „Großen Krieg“. Sie entstand1915 dank einer Initiative des schwäbischen IndustriellenRichard Frank in Berlin und sollte – wie ähnliche Initiati-ven in Deutschland aber auch in anderen europäischenStaaten – die „Erinnerungsstücke des großen Krieges“ wieKriegszeitungen, Broschüren, Vorträge, Feldpostbriefeund weitere Zeugnisse der „Alltagskultur“ sammeln unddamit auch das „Kriegserlebnis des einzelnen Soldaten“dokumentieren. Dank der Geschäftsverbindungen derLudwigsburger Kaffeemittelfirma Heinrich Frank undSöhne in das neutrale Ausland konnten bis 1920 etwa45000 Bücher und Druckschriften, 2100 in- und ausländi-sche Zeitungen und Zeitschriften aus der Kriegszeit, Pla-kate, Fotos und autobiographische Dokumente gesammeltwerden. Die „Weltkriegsbücherei“ wurde am 21. Mai 1921in Schloss Rosenstein in Stuttgart eröffnet. Unter dem Ein-druck des von Teilen der deutschen Öffentlichkeit geführ-ten Kampfes gegen den Versailler Vertrag und den„Kriegsschuldparagraphen“ 231 entwickelte sich die Insti-tution zu einem Instrument konservativer Geschichtspoli-tik in den 1920er Jahren. Die erworbene Literatur sowie diearchivierten Dokumente sollten der Widerlegung derdeutschen Kriegsschuld und damit einem parteiübergrei-fenden Thema der Weimarer Republik dienen. Dennochwurden die Bestände anfänglich nur wenig von der histo-risch interessierten Öffentlichkeit genutzt. Während der

1 Vgl. dazu auch www.wlb-stuttgart.de/bfz/.

53Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

deutschnational eingestellte Richard Frank, der sich aller-dings auch in der Freimaurerloge engagierte und überdieseinen Hang zur Bohème entfaltete, 1928 – und damit dreiJahre vor seinem Tod – die Existenz der Bücherei durcheine private Stiftung gesichert hatte, versandeten Plänezur Verbindung mit der Historischen Reichskommissionin Berlin. Vielmehr bahnte sich mit der Einrichtung desersten historischen Lehrstuhls an der Universität Stuttgartauch eine stärkere Verzahnung mit der Hochschule vorOrt an. Dank der Frank´schen Stiftung blieb die „Welt-kriegsbücherei“ eine selbständige Einrichtung, passte sichaber – nicht zuletzt bei Personalentscheidungen – dem NS-Regime an. Insgesamt gestaltet sich die Überlieferung zurNS-Zeit schwierig, zumal bislang auch noch keine institu-tionengeschichtliche Darstellung zu jenen Jahren vorliegt.Vor allem das im Mai 1933 eröffnete Museum der Welt-kriegsbücherei, das neben Bibliothek, Archiv und For-schungsinstitut eine weitere Abteilung bildete, dokumen-tierte den fortdauernden „Kampf gegen die Kriegsschuld-lüge“ und diente auf diese Weise auch der „Legitimationeines künftiges Krieges“, der die „Schmach von Versailles“endgültig tilgen sollte.

1939 umfasste die „Weltkriegsbücherei“ bereits ca.100.000 Bände; sie hatte sich damit zur „bedeutendstenSpezialbibliothek Deutschlands für alle Fragen der politi-schen und militärischen Geschichte“ entwickelt. Währenddes Zweiten Weltkrieges wuchsen die Sammlungen dankder Kooperation mit Wehrmachtseinheiten weiter an,doch im September 1944 fielen rund 30 Prozent derBestände, darunter die wertvolle Plakat- und Fotosamm-lung, einem alliierten Luftangriff zum Opfer. In der unmit-telbaren Nachkriegszeit wurden Teile der Bestände vonder amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt undin die USA verbracht, wenig später aber wieder zurückge-geben. Die 1948 in „Bibliothek für Zeitgeschichte“ umbe-nannte privat-rechtlich organisierte Einrichtung arbeitetseit 1972 unter dem Dach der Württembergischen Landes-bibliothek. Sie ist seit 2000 in die Württembergische Lan-desbibliothek integriert. Auf Initiative der Deutschen For-schungsgemeinschaft wurde 1972 in Ergänzung zu denarchivischen Sondersammlungen (Fotos, Plakate, Lebens-dokumente etc.) die „Dokumentationsstelle für unkon-ventionelle Literatur“ in der „Bibliothek für Zeitge-schichte“ begründet, die sich vor allem der Sammlung„grauer Literatur“ zu den alternativen politischen Bewe-gungen in der Bundesrepublik seit Mitte der 1960er Jahrezuwendet.

Die nächste Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 wirdam 23. und 24. März 2006 in Saarbrücken stattfinden. Diefolgenden Frühjahrstagungen sind 2007 in München und2008 in Münster vorgesehen.

Saarbrücken Wolfgang Müller

Arbeitskreise

Arbeitskreis Archivpädagogik und historische Bil-dungsarbeitThema der Veranstaltung des Arbeitskreises Archivpäda-gogik und historische Bildungsarbeit war die Frage „Erin-nerungskultur – Pflicht oder Chance?“ Das Interesse ander von Dieter Klose moderierten Veranstaltung war mit

mehr als 100 Teilnehmern erfreulich groß. Mit den Refe-renten standen ausgewiesene Fachleute für Erinnerungs-kultur und Archivpädagogik aus den Bereichen Hoch-schule, Archiv und Schule zur Verfügung.

In seiner Begrüßung betonte Dieter Klose die zuneh-mende Bedeutung von Archiven für die historisch-politi-sche Bildungsarbeit mit jungen Menschen, aber auch gene-rell für die Bildungsarbeit in der Bundesrepublik Deutsch-land, die im Bereich der Erinnerungskultur durch dieInstitutionalisierung des Gedenkens und verschiedenerGedenktage immer mehr intensiviert werde. Er wiesdarauf hin, dass eine praxisorientierte Bildungsarbeitnicht auf der rückwärts gewandten Reproduktion vonFakten und Strukturen stehen bleiben dürfe, vielmehr eineGegenwarts- und Zukunftsperspektive nötig mache.Damit kommen neue Herausforderungen in diesemBereich auf die Archive zu. Die Erinnerung an die NS-Zeithat mehr als ein halbes Jahrhundert später eine Erinne-rungskultur des Holocaust hervorgebracht, die sich aufein globales Netz von speziellen Erinnerungsträgern und–orten stützen kann. Erinnerungsmedien und Erinne-rungstrategien erreichen mit ihren Produkten ein Millio-nenpublikum und sorgen immer wieder für häufig langeJahre dauernde Auseinandersetzungen um Gedenkstät-ten, Denkmäler und Gedenktage – aber auch um die Nut-zung von Archivbeständen, die sie erst möglich machen.

Trotz aller Bemühungen um einen Konsens ist die Erin-nerung an die Zeit des NS umstritten geblieben und wirdes auch weiterhin sein, so stellt Dieter Klose fest, aber dieArbeit in diesem Sektor archivpädagogischer und histo-risch-politischer Bildungsarbeit müsse als zukunftsorien-tierte Chance demokratischer Erinnerungskultur unddemokratischer Grundwerte überhaupt verstanden wer-den.

Das Grundsatzreferat dieser Veranstaltung mit demTitel „Blockade, Ritual oder Innovation? Plädoyer füreinen schülerorientierten Umgang mit der NS-Vergangen-heit“ wurde von Professor Dr. Alfons Kenkmann, demLeiter der Gedenkstätte Villa ten Hompel in Münster undProfessor für Didaktik der Geschichte an der UniversitätLeipzig, gehalten. In ihm konstatierte Prof. Kenkmann ein-leitend, dass Basiswerke der deutschen Geschichte wie derGroße Ploetz in der Epochenwahrnehmung eine Schief-lage zeigen: Je mehr sich die Darstellung der augenblickli-chen Gegenwart nähert, um so umfangreicher werden dieKenntnisse bzw. Informationen, die berücksichtigt wer-den sollen. Mit dieser Disproportionalität in der Wahrneh-mung historischer Ereignisse und Strukturen muss derHistoriker anscheinend leben: Die Abwesenheit von Fern-erinnerung und die Überproportionalität der Zeitge-schichte ist ein Bestimmungsmerkmal der bundesrepubli-kanischen Menschen, der von einem spezifischen histori-schen Kurzzeitgedächtnis geprägt ist. NachhaltigeBefunde zur Rezeption der NS-Zeit machen sensibel füreinen Ermüdungsprozess und lassen die Blockade erken-nen, die durch den ritualisierten Umgang mit dieser Zeitdeutscher Geschichte ausgelöst wird. Sie ist feststellbarsowohl in der Quantität der Themen wie auch in der Qua-lität der Vermittlung.

Schulbücher und Materialbände zum Themenbereichzeigen in der Auswahl manche Schieflage in der Darstel-lung der Geschichte vor 1945 und darüber hinaus: Diedeutsch-jüdische Geschichte wird in Schulbüchern einsei-tig, defizitär und damit verzerrend dargestellt , weil z. B.

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dieses Volk nur in seiner Rolle als Objekt und Opfer deut-scher Geschichte, nicht aber als Träger einer eigenen Kul-tur und Mitgestalter der modernen Welt gezeigt werde.Als zweites Beispiel wählt Kenkmann das gerade für diehistorische- politische Bildungsarbeit viel Potential enthal-tende Thema „Jugend im III. Reich“. Neuere Schulbücherbehandeln das Thema Widerstand, Protest und Nonkon-formität in den 40er Jahren, doch in der Regel mit falschenBeispielen und teilweise falschen Aussagen, die langjährigwirkende Stereotypen in der Einschätzung jugendlichenWiderstandes sichtbar werden lassen. Berücksichtigt mandie Nutzungsdauer von Lehrbüchern und die lange Halb-wertzeit von Lehrplänen der einzelnen Bundesländer,werden in diesen Bestsellern Chancen zur Korrektur vonKlischees, aber auch zur lokal- und regionalgeschichtli-chen Veranschaulichung allgemeiner Tendenzen fahrläs-sig vertan. Ähnliches gilt nach Kenkmanns Beobachtun-gen für den Geschichtsunterricht selbst. Obwohl Analysender Jugendkultur den Zusammenbruch des LeitmediumsBuch schon vor Jahren konstatiert haben, ist es weiterhindas meist verwendete Lernmittel der Schule, wie auch derkonventionelle traditionelle Unterricht das Lehrangebotdominiert. Weitaus effektivere AV-Medien und andereUnterrichtsformen werden selten eingesetzt. Kenkmannstellt ernüchternd fest, auch heute noch hat derGeschichtsunterricht mehr mit Geschichte erleiden alsGeschichte erleben zu tun, weil althergebrachte Ritualeweiterexistieren

Außerschulische Lernorte können einen wertvollenBeitrag zur Öffnung der Schule leisten, aber ohne geeig-nete fortgebildete Lehrer und Lehrerinnen wird der Ertraggering sein. Hinzu kommen nicht nur spezifisch deutscheSignale eines Überdrusses und der Blockade ob der inten-siven und manchmal schon als exzessiv zu bezeichnendenAuseinandersetzung mit der jüngsten deutschenGeschichte. Trotzdem nimmt die Genese der NS-Diktaturweiterhin einen breiten Raum in den Schulen und außer-schulischen Bildungsinstitutionen ein, wie die Beschlüsseder KMK der letzen Jahre zeigen. Auch im privaten Raumist das Thema angesagt, die Allmacht der Erinnerungmacht vor der Familie nicht halt und wird durch das Fern-sehen als mediales Dauerthema zur besten Prime-Time imBewusstsein gehalten.

Historiker und Archivare haben diese neuen Quellenhistorischer Bewusstseinsbildung ernster denn je zu neh-men, scheinen diese Gefahr aber nicht zu erkennen. DieGeschichtslandschaft droht sich zu Teilen einer Eventkul-tur kommerziellen Charakters zu entwickeln: Verlage,Filmproduzenten und Fernsehsender bilden einen histo-risch-kommerziellen Komplex, der Vergangenheit profit-orientiert vermarktet – Aufgabe kommender Historiker-generationen könnte also auch die Analyse von ZDF-Bei-trägen als Teil geschichtskultureller Befindlichkeiten amEnde des 20. Jahrhunderts sein.

Im zweiten Teil seines Vortrages setzte sich Prof. Kenk-mann mit der Frage auseinander, wie realisierbare Alter-nativen zu den festgestellten Ermüdungs- und Mangeler-scheinungen in der Behandlung des untersuchten Zeitrau-mes aussehen können. Hier forderte Kenkmann, sich stär-ker darauf zu besinnen, dass das 20. Jahrhundert das Jahr-hundert der Explosion der Bilder gewesen ist und es des-halb logisch erscheint, visuelle Quellen stärker in allenBereichen der Forschung zu berücksichtigen, es gilt alsodie in der klassischen Geschichtswissenschaft habituali-

sierte Geringschätzung nichtschriftlicher Quellen zu über-winden. In der Methodik fordert er eine stärkere Betonungdes fragend-forschenden Lernens und des Projektunter-richtes an außerschulischen Lernorten, die in den vergan-genen Jahrzehnten z. B. bei dem Themenbereich „Unerle-digte Zeitgeschichte“ im Wettbewerb Geschichte um denPreis des Bundespräsidenten gezeigt haben, dass dieErgebnisse solcher Ansätze in der Welt konservativerErwachsener wie auch Jugendlicher mit subkulturellemHabitus durchaus bestehen können. Kenkmann plädiertefür eine zumindest temporäre Verlagerung des Lernensaus der Schule, um das in ihr erworbene propädeutischeKnow-How im Praxistest überprüfen zu können. Erbetonte aber auch, dass eine schülerorientierte Behand-lung der NS-Zeit sehr stark von den Maßnahmen zur Ver-änderung struktureller Vorgaben und ministeriell gesetz-ter Rahmenbedingungen abhängt. Dazu sind eine Aufbre-chung traditioneller Zeitraster, eine Veränderung der Qua-lifikationen der Lehrerschaft und vor allem der Verzichtauf Zeitzwänge, die zu hastigem, oberflächlichem Rasendurch das 20. Jahrhundert führen, nötig. Projektunterrichtbraucht vor allem Zeit, und wer mit neuen Unterrichtsme-thoden arbeitet, setzt sich dem Risiko aus, nicht unbedingtzu lehrplankonformen Ergebnissen zu kommen

Die motivierende, engagierte Auseinandersetzung mitder NS-Zeit bedeutet nach Kenkmann auch, aktiv am Pro-zess einer ikonographischen Alphabetisierung teilzuneh-men, sich einzulassen auf den Akt der Begegnung mitExponaten und Quellen und damit auf die Kommunika-tion mit Trägern historischer Primärinformationen. Wel-che Chancen sich dabei für die Archive und ihre Archivpä-dagogen bieten, ist nur ansatzweise zu ahnen, denn dieunmittelbare Begegnung mit der konkreten historischenZeit in Dokumenten der Archive ist bisher nicht die Regel.In diesem Bereich muss sich flächendeckend etwas in derSchulorganisation ändern, denn nur an außerschulischenLernorten ist die unmittelbare Begegnung mit dem deut-sche Faschismus in dieser Intensität und Nachhaltigkeitmöglich, die auf der Ebene von Schule und Lehrbuch nieerreicht wird. In diesem Sinne sind Archive Anbieter einerfundamentalen persönlichkeitsbildenden Erfahrung, diean anderer Stelle nicht möglich ist. Lebendige Erinnerungbedarf authentischer Zeugnisse in Form von Originalen –eine Kopie oder Fotographie kann sie nicht ersetzen. DieseBegegnung mit Geschichte in Archiven und Museen, inSchule und Universität darf sich nicht vom gesellschaftli-chen Mainstream steuern lassen – insofern ist die Aufhe-bung der Abordnung von Lehrern als Archivpädagogender falsche Weg. Medien dürfen nicht die Erklärungsho-heit gewinnen, eine unverzichtbare Schlüsselrolle bei lern-zielorientierter Vermittlung von Geschichte in Schule,Universität und Archiv muss weiterhin die vermittelndePersönlichkeit einnehmen. Kommunikation ist die Essenzdes Lehrens und Schreibens. Aufgabe des Historikers unddes Archivars ist und bleibt die qualifizierte Kommunika-tion, die Blockaden und mechanische Ritualisierungpro-zesse verhindert und innovative Elemente im Vermitt-lungsprozess freilegt und ergebnisorientiert nutzbarmacht. In diesem Sinne plädiert der Referent abschließendfür den Ausbau eines schülerorientierten Umgangs mitder NS-Vergangenheit an außerschulischen Lernorten.

Die Diskussion der Thesen des Referenten verdichtetsich 1. auf die Forderung einer Professionalisierung derFortbildung für die Mittler historisch-politischer Bildung

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sowohl im Schul- als auch im Archivbereich, die aberdurch die immer rigidere Handhabung der Freistellungs-praxis und Kürzung der zur Verfügung stehenden Mittelerschwert wird, 2. die Bedeutung des Generationswech-sels für die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit und3. die Notwendigkeit der Vorbereitung von Besuchen anaußerschulischen Lernorten.

Dr. Günther Rohdenburg nimmt in seinem Referatmit dem Titel „Des einen Freud – des andern Leid? – Grat-wanderungen im Archiv bei populären Geschichtsprojek-ten“ den Verlauf der vorangehenden kurzen Diskussionauf und fokussiert seine Ausführungen auf das Projekt„Stolpersteine“, in dem typische Probleme bei populärenGeschichtsprojekten sichtbar werden: Er nennt als solchez. B. zahlreiche Einzelpersonen oder große Besuchergrup-pen, die unvorbereitet fast zeitgleich, ohne Kenntnis derArchivstrukturen mit hohen Erwartungen und einer typi-schen Servicementalität Archive besuchen und entspre-chende Informationen verlangen. Diese Probleme machter an der beeindruckenden Zahl von 5500 Stolpersteinenfest, von denen er betont, hinter jedem dieser Steine liegedas Leben einer Einzelpersönlichkeit – und das bedeute imExtremfall 5.500 Recherchen in verschiedenen Archivenmit gleichen oder zumindest ähnlichen Grundstrukturen:Literatursuche, Recherchen in verschiedenen Beständenzu unterschiedlichen Personengruppen, die Zusammen-führung verstreuter Informationen, die Berücksichtigungvon Erfordernissen des Datenschutzes, aber auch konser-vatorischer Bedenken, die ohne Grundkenntnisse über dieProbleme der Archivierung Außenstehenden nur schwervermittelbar sind – und das alles unter Zeit- und Erfolgs-zwang für den Archivmitarbeiter, der sich außerdem nochmit einem hohen moralischen Anspruch in der Öffentlich-keit konfrontiert sieht. Es kommen hinzu: ein nurbeschränktes Zeitvolumen für die notwendige Recherche,völlig unterschiedliche geistige Horizonte der Besucher,eine unzureichende Vorstellung vom Umfang des geplan-ten Projektes und der notwendigen Recherchen sowie dieklassischen Probleme der Lese- und Transkriptionsfähig-keit. Rohdenburg hält in solchen Fällen eine gemeinsameBasisvorbereitung in Form von Veranstaltungen, die überdie Aufgaben des Archivs und seine Nutzungsmöglich-keiten informieren, für unabdingbar nötig. Parameter,nach denen eine Prioritätensetzung bei der Lösung solcherProbleme erfolgen kann, sind für ihn:1. Die Ebene Benutzer – Archiv: Der Benutzungswunsch

als solcher ist zunächst einmal Routine und nach den indem jeweiligen Archiv definierten Kriterien vorgese-hen und gewünscht. Insofern wird der mit der Betreu-ung beauftragte Mitarbeiter ihn entsprechend dergesetzlichen Vorgaben abarbeiten. Gesetze sehen aberkeine Verhaltenseigentümlichkeiten vor, insofern mussder Archivmitarbeiter seinen Besucher arbeitstechnischdort abholen, wo er steht – und das bedeutet unterUmständen eine Kurzinformation über Bestände,Funktion und Arbeitsweise des Archivs mit dem Ziel,die Fähigkeit zu selbständiger Recherche binnen kurzerZeit zu erreichen. In diesem Bereich sind Probleme nurzu erwarten, wenn überraschend eine Vielzahl gleichar-tiger Recherchen zum gleichen Zeitpunkt eingeleitetwerden soll.

2. Das gesellschaftlich-kulturelle Umfeld: Erfolgreichehistorisch-politische Bildungsarbeit setzt eine intensiveBeobachtung, besser noch eine Verankerung des Bil-

dungsarbeit Leistenden in diesem Bereich voraus, dernicht klassisch wissenschaftlich verortet ist. Mitarbeiterder historisch-politischen Bildungsarbeit sollten sichrechtzeitig in diesen Bereich einbringen, um über ent-stehende Projekte informiert zu sein, diese ggf. bera-tend strukturieren zu können und damit auch richtigauf kommende Nachfragen vorbereitet zu sein bzw.sich vorbereiten zu können – und vor Beginn einespopulären Projektes entsprechende Einführungsveran-staltungen anbieten, in denen auf die Möglichkeit derVorrecherche in der Literatur, in wichtigen Findmittelnund Datenbanken hingewiesen wird. Wichtig ist in die-sem Zusammenhang auch das Ausschalten von erfolg-los erscheinenden Ansätzen oder Wunschprojektionen,die später zu Frustrationen führen.Chancen für das Archiv sieht Dr. Rohdenburg bei einem

solchen Vorgehen darin,– sich als Dienstleister bei bisher relativ archivfernen

Bevölkerungsgruppen ins Gedächtnis zu rufen– damit Öffentlichkeitsarbeit für die Institution im besten

Sinne zu leisten– die Möglichkeit zur Optimierung von Recherchen

durch Einbeziehung nicht archivgebundener Quellen-arten und -bestände zu nutzen

– eine Profilierung der Institution als Förderer historischpolitischer Bildungsarbeit zu erreichen.Zusammenfassend stellte Dr. Rohdenburg fest, Grat-

wanderungen im Sinne seines Vortrages seien Standardsi-tuationen, die beherrschbar sind, wenn den Betroffenensichtbar gemacht werden kann, was in einem Archiv vor-geht und welche Grundkenntnisse für eine erfolgreicheArbeit im Archiv nötig sind. Über die Digitalisierung alsMöglichkeit einer Lösung des Konfliktes zwischen Schutzder Dokumente und möglichst freien Zugang zu ihnenwünscht sich der Referent eine breitere Diskussion inarchivarischen Fachkreisen unter Einbeziehung didakti-scher Überlegungen.

Abschließend erläuterten die Leiter der Geschichts-Arbeitsgemeinschaft der Geschwister-Scholl-Gesamt-schule in Bensheim, Peter Lodz und Josef Schäfer, dasKonzept, die Arbeitsweise und die Zielsetzungen ihrerArbeitgemeinschaft im Hinblick auf die in ihr geleistetehistorisch-politische Bildungsarbeit, die bewusst auf dieUntersuchung des regionalen und lokalen Umfelds ihrerSchüler in der nationalsozialistischen Zeit abzielt. Anlasszur Gründung der AG waren Quellenfunde im außerar-chivischen Bereich über den Einsatz von Zwangsarbeitern,aber auch einer Firmengeschichte im Umfeld der Schule,aus denen eine erste Arbeitsgemeinschaft hervorgeht, diemit neuen Themen unter wechselnden erkenntnisleiten-den Interessen zur Dauereinrichtung wird und neben Pro-jekten auch Ausstellungen vorbereitet, an Wettbewerbenteilnimmt und Aufsätze in historischen Regionalzeit-schriften veröffentlicht.

Die Arbeit einer solchen Gruppe setzt eine Verzahnungmit dem Lehrplan voraus, die für Hessen in der Jahrgangs-stufe 12.2 mit dem verbindlichen Themenbereich Natio-nalsozialismus gegeben ist. Die Struktur der Projekte istimmer gleich: Vor Beginn des Schulhalbjahres werden vonden AG-Leitern Basisdokumente an die Kursteilnehmerausgegeben, um die herum sich das Projekt und die The-menschwerpunkte des folgenden Halbjahres entwickeln,die in einer Mindmap ständig aktualisiert und vervoll-ständigt werden. Zwischen Februar und Juni arbeiten Teil-

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gruppen des Gesamtkurses selbständig an ihren Themen.Rechercheaufträge, Zeitraster, ggf. Termine für die Öffent-lichkeitsarbeit kommen von den betreuenden Lehrern.Das Ende des Schuljahres bedeutet auch immer Ende desProjektes, das dann in einer Projektwoche, an der auchArchivare und Fachwissenschaftler teilnehmen, beendetwird. Die Weiterführung im Schuljahr 13.1 ist möglich,erfolgt aber wegen der beginnenden Abiturphase nur sel-ten. Abschließend weisen die Leiter der Arbeitsgemein-schaft auf die enge gute Zusammenarbeit mit verschiede-nen Archiven und das Vertrauensverhältnis, das zwischenihnen besteht und die Arbeit in der Vorbereitungsphaseerleichtert, hin. Ihre Ausführungen über Schwierigkeitenin der Quellen- und Achivarbeit bestätigen Aussagen, dieim Laufe der beiden vorhergehenden Referate gemachtwurden: Die Arbeit in der AG wird erschwert durch– eine eingeschränkte Lese- und Schreibfähigkeit der

Schüler bei fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen– Lücken im Basiswissen aus der Sekundarstufe I– Schwierigkeiten bei der Bewertung von Quellenaussa-

gen– fehlendes Wissen über die Zitierweise, Literaturnut-

zung und Fußnotenerstellung– Finanzierungsprobleme bei Ausstellungen und Veröf-

fentlichungen– Lehrplanvorgaben, die Freiräume kürzen und schuli-

schen Erfolgsdruck steigen lassen.Bilanzierend stellen die Referenten fest, diese

Geschichtsarbeitgemeinschaft habe eine Tradition an ihrerSchule begründet, den Stellenwert des Faches Geschichtefür sie geändert, aber auch die Arbeit an außerschulischenLernorten gestärkt. Zu den Archiven der Umgebungbestehe ein gutes Vertrauensverhältnis, das eine erfolgrei-che Arbeit in dieser Form begünstige. Der Erfolg weit überden Schulort hinaus, die Einladung zu Vorträgen und Ver-anstaltungen unterschiedlichster Institutionen sei ausihrer Sicht Ansporn, diese Arbeit fortzuführen.

Detmold Dieter Klose

Arbeitskreis Ausbildung Fachangestellte für Medien-und InformationsdiensteDer diesjährige Archivtag in Stuttgart stand bei den Veran-staltungen des VdA-Arbeitskreises (AK) „AusbildungFachangestellte“2 ganz im Zeichen der Kontroverse umdie geplante berufliche Weiterbildungsmaßnahme Fach-wirtin/Fachwirt für Informationsdienste (IHK), die aufInitiative des Deutschen Industrie- und Handelskammer-tages (DIHK) und der Vereinten Dienstleistungsgewerk-schaft (ver.di) auf den Weg gebracht worden war.

Ziel des AK FAMI war es, eine grundsätzliche Positionder Archivarinnen und Archivare im VdA zu dieser Fort-bildungsmaßnahme zu formulieren, um künftig die Posi-tion des VdA hinsichtlich einer weiteren Mitarbeit an die-ser beruflichen Weiterbildungsmöglichkeit zu bestim-men.3

Sitzung des ArbeitskreisesNachdem Frau Dr. Angela Keller-Kühne, Vorsitzendedes AK FAMI, den bisherigen Stand der Verhandlungen

2 VdA-Arbeitskreis (AK) „Ausbildung Fachangestellte“ im folgendenabgekürzt als „AK FAMI“.

3 Vgl. Briefe des damaligen VdA-Vorsitzenden Prof. Dr. Volker Wahl vom17. 8. 2005 an Jork Siewers (DIHK) und gleichlautend an Lothar Zin-del (ver.di).

aufgezeigt und in die kontroverse Diskussion um dieFachwirtweiterbildung eingeführt hat, werden zwei wei-tere Tagesordnungspunkte abgearbeitet.

Zunächst berichtet Carsten Pickert4, ausgebildeterFachangestellter für Medien- und Informationsdienste,über eine Veranstaltung des Westfälischen Archivamtes,die in Münster am 7. 7. 2005 stattfand. Im Rahmen diesererstmaligen Veranstaltung für Fachangestellte fürMedien-und Informationsdienste (FAMIs) der Fachrich-tung Archiv wurde in einem eintägigen Workshop mitdem Titel „FAMIs im Archiv – Anspruch und Wirklich-keit“ über Ausbildungsziele und -inhalte, den Arbeitsall-tag und berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten disku-tiert.5 In verschiedenen Arbeitsgruppen behandelte manunterschiedliche Aspekte der FAMI-Berufsausbildung(Berufsbezeichnung, Eingangsqualifikation, Berufsschul-unterricht, Ausbildungsqualität, Möglichkeiten zur beruf-lichen Weiterqualifikation etc.). Hinsichtlich der Ausbil-dungsqualität formulierten die Teilnehmer u. a. überein-stimmend, dass die betriebliche Ausbildungsqualitäti. d. R. sehr gut sei, während man im berufsschulischenUnterricht Kritikpunkte in Form von vorherrschenderBibliothekslastigkeit, niedrigem Unterrichtsniveau undfehlendem Unterricht in allgemeiner und politischerGeschichte sowie Verwaltungsgeschichte anbrachte. Posi-tiv bewertet wurden hingegen die im Rahmen des Berufs-schulunterrichts durchgeführten Fachexkursionen.

Hinsichtlich der beruflichen Weiterbildung für FAMIsin der Fachrichtung Archiv gäbe es zur Zeit nur die Auf-nahme eines Studiums zum Diplom-Archivar oder zumFachwirt eines ähnlichen Berufsbereiches (z. B. Medien-fachwirt). Es wurde die Forderung erhoben, dass auch per-sönliche Weiterbildungen z. B. bei der Archivschule Mar-burg, an der FH Potsdam, beim LandschaftsverbandRheinland oder beim Westfälischen Archivamt anerkanntund die FAMIs gemäß ihrer Qualifikation eingesetzt wer-den sollten. Abschließend legt Carsten Pickert einenumfangreichen Fragenkatalog zur beruflichen Weiterbil-dung vor, der neben dem berufsbegleitenden und demDirektstudium zum Diplom-Archivar (FH) auch die Wei-terqualifikation zum Fachwirt für Medien- und Informati-onsdienste thematisiert. Besonders hervorzuheben sindhier die Fragen nach der archivfachlichen Anerkennungdes Fachwirtabschlusses, nach seiner Unterscheidungzum Diplomarchivar, seiner tariflichen Verortung undgenerell nach der Bedarfsermittlung des Fachwirts in bun-desdeutschen Archiven.

Im dritten Tagesordnungspunkt berichtet Harry Scholzüber eine Klausurtagung der seitens des AK FAMI mit derFachwirtweiterbildung involvierten Personen.6 Am 1. und2. 8. 2005 wurden in Marburg archivische Mindestinhalte7

4 Carsten Pickert schloss seine Ausbildung im Januar 2005 erfolgreich abund wird seitdem von seinem Ausbildungsbetrieb, dem Archiv fürChristlich-Demokratische Politik (ACDP), als Fachangestellter fürMedien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv, weiterbeschäf-tigt.

5 An der Tagung auf Initiative des Westfälischen Archivamtes unter derLeitung von Hans-Jürgen Höötmann nahmen insgesamt 26 FAMIs ausNordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen aus Staatsarchiven,Kommunal- und Wirtschaftsarchiven sowie Archiven der politischenStiftungen mit einer durchweg sehr positiven Resonanz teil. Die Teilneh-merinnen und Teilnehmer setzten sich aus aktuellen und ehemaligenFAMI- Auszubildenden zusammen.

6 Dr. Angela Keller-Kühne und Katharina Tiemann, die als Vertrete-rinnen des AK FAMI als Sachverständige des VdA-Fachverbands vonDIHK und ver.di temporär eingeladen wurden, sowie Dr. Uwe Schaper,

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für die anstehende Curriculumsentwicklung bezüglichder Fachwirtweiterbildung festgeschrieben.

In den im Juli 2005 abgeschlossenen Verhandlungenvon DIHK und ver.di zur Formulierung einer „DIHK-Empfehlung zum Erlass Besonderer Rechtsvorschriftenfür die Fortbildungsprüfung zum Geprüften Fachwirt/zur Geprüften Fachwirtin für Informationsdienste(IHK)8“, an denen Dr. Angela Keller-Kühne und KatharinaTiemann als Sachverständige des VdA teilnahmen,waren sämtliche archivfachlichen Kritikpunkte und Vor-schläge des AK FAMI unberücksichtigt geblieben. Vor die-sem Hintergrund hat der AK FAMI ein Positionspapier fürdie grundsätzliche Haltung des VdA-Vorstands gegen-über der Fachwirtweiterbildungsmaßnahme formuliert.9

Die Hauptkritikpunkte sind:– Ein fachspezifisches Unterrichtsvolumen von insge-

samt 330 Stunden für die Fachrichtungen Archiv,Bibliothek und Dokumentation ist für eine fundierteund, basierend auf der FAMI-Ausbildung, vertiefendeLehre in der Fachrichtung Archiv mit lediglich vorgese-henen 110 Stunden viel zu gering. Von daher ist die sei-tens der Verhandlungspartner DIHK und ver.di gefor-derte Analogie zwischen den Abschlüssen Fachwirt mitDiplom-Archivar (FH) und Bachelor (B.A.) nicht akzep-tabel.

– Grundsätzlich wird ein Übergewicht handlungsspezifi-scher Qualifikationen im Archivkontext sowohl bei derWeiterbildung als auch bei der Prüfung gefordert.

– Für den Bereich des öffentlichen Dienstes ist die Ver-wendung von Fachwirten als Führungskräfte des mitt-leren Managements mittel- und langfristig nicht abseh-bar (fehlende Bedarfsanalyse).

– Weder eine tarifliche Eingruppierung von Fachwirtennoch ihre Einbindung in das bestehende Laufbahnge-füge ist seitens DIHK und ver.di angedacht.Der AK FAMI beim VdA stellt weiterhin fest, dass

gegenwärtig bereits Fort- und Weiterbildungsmöglichkei-ten bestehen:– Modular, aufgebautes, berufsbegleitendes Fernstu-

dium an der FH Potsdam, Fachbereich Informations-wissenschaften10

– Archivfachliche Fortbildungsangebote regionaler undüberregionaler Träger (z. B.: Archivschule Marburg,Landesfachstelle für Archive und öffentliche Bibliothe-ken im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Pots-dam, Westfälisches Archivamt, Archivberatungsstellenbei Landschaftsverbänden).Darüber hinaus stellt der AK FAMI fest, dass im Hin-

blick auf die Europäisierung der Studiengänge (Bologna-

Dr. Stefanie Unger und Harry Scholz, die seitens DIHK und ver.di fürdie Ausarbeitung des archivischen Teils des Curriculums „Fachwirt/infür Medien und Informationsdienste“ nominiert wurden.

7 Da die Fachwirtweiterbildung auf die Ausbildung zum Fachangestelltenfür Medien- und Informationsdienste aufsatteln soll, bemängelte der AKinsbesondere die enormen Defizite in der archivischen Fachkunde (z. B.in den Bereichen der archivischen Kernaufgaben, Archivtypologie,Archivgeschichte, Akten- und Registraturkunde, Quellenkunde) sowiedas völlige Fehlen von historischen Grundkenntnissen wie der deut-schen Geschichte im Überblick, Verfassungs- und Kirchengeschichte,der Verwaltungsgeschichte und der Paläographie des 18.–20. Jahrhun-derts.

8 Hieß die Berufliche Weiterbildung ursprünglich „Fachwirt für Medien-und Informationsdienste“, so wurde sie nunmehr in „Fachwirt für Infor-mationsdienste“ umbenannt.

9 Vgl. Anmerkung 2.10 Vormalige Bezeichnung „Fachbereich Archiv, Bibliothek, Dokumenta-

tion (ABD)“.

Prozess) mittel- und langfristig die Bachelor (B.A.)-Ausbil-dung die geeignete Weiterbildungsform für FAMIs dar-stellt. Wünschenswert wäre für FAMIs die Möglichkeit zurberufsbegleitenden Belegung ausgewählter Moduleinnerhalb eines B.A.-Studienganges mit anerkanntem Zer-tifikat.

In der sich anschließenden Diskussion weist Frau Dr.Keller-Kühne darauf hin, dass neben dem VdA auch dieanderen Berufsverbände im ABD-Bereich ihre grundsätz-lichen Bedenken an der Fachwirt-Weiterbildungskonzep-tion geäußert haben. Insbesondere auf dem DeutschenBibliothekarstag sei Kritik an den fachlichen Mängeln arti-kuliert worden. Ergänzend führt Frau Tiemann aus, es seibei den Sitzungen mit DIHK- und ver.di-Vertretern deut-lich geworden, dass die fachliche Diskrepanz zwischenausgebildeten FAMIs in der Fachrichtung Archiv und Sei-teneinsteigern, denen prinzipiell die Fachwirtweiterbil-dung ebenso offen steht, hinsichtlich ihrer unterschiedli-chen Zugangsvoraussetzungen aus archivfachlicher Sichtnicht zu harmonisieren sei. Vor diesem Hintergrund pro-blematisiert Stefan Benning die Ausbildungsfrage undihre Perspektiven für den VdA in toto. Bereits der AKgehobener Dienst beim VdA habe hinsichtlich der berufli-chen Weiterbildung jahrelang die Schaffung einer größererPalette eingefordert, die auch laufbahnrechtlich mehrTransparenz und Perspektive für den einzelnen böte.

Abschließend fasst der AK FAMI auf der Sitzung mitgroßer Mehrheit den Beschluss, dass das derzeitige Ver-fahren zur Implementierung des Fachwirts für Informati-onsdienste aus archivfachlicher Sicht und in Kenntnis derarchivischen Berufsanforderungen im öffentlichen Dienstnicht mitgetragen werden kann und demzufolge die Mit-arbeit einzustellen ist.

Außerdem wird beschlossen, dass beim neu konstitu-ierten Vorstand des VdA der Antrag auf die Einrichtungeines zentralen Arbeitskreises „Ausbildung“ gestellt wird,der sich laufbahnübergreifend mit Fragen der archivi-schen Aus- und Weiterbildung, der zentralen archivischenTätigkeiten und Qualifikationen sowie deren tariflicherEinbindung beschäftigen soll.

Bonn Harry Scholz

Forum Ausbildung Fachangestellte für Medien- undInformationsdiensteDirekt im Anschluss an die Sitzung des AK FAMI fand das„Forum Ausbildung Fachangestellte/r für Medien undInformationsdienste“ statt, das einem breiten archivari-schen Publikum (für viele erstmalig) die Gelegenheit bot,sich über die im Raume stehende Weiterbildung zumFachwirt für Informationsdienste zu informieren. DieZusammensetzung der sechs Referentinnen und Referen-ten11 deckte hierbei die zentralen Facetten und Fragestel-lungen zur Fachwirtweiterbildung ab; wie sich zeigen

11 Gregor Berghausen (IHK Düsseldorf) und Lothar Zindel (ver.di): DerFachwirt als Modell der beruflichen Weiterbildung, Dr. Hans-HolgerPaul (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung):Überlegungen zur Eingruppierung eines/r Fachwirts/in für Medien-und Informationsdienste im Gefüge der neuen Entgeltgruppenstrukturdes Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TvöD), Roswitha Hoge(zuständige Stelle für die Ausbildung zum/ zur Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste in NRW beim RegierungspräsidiumKöln): Der Fachwirt – Ein Modell für den öffentlichen Dienst?, Dr. Stefa-nie Unger (Archivschule Marburg) und Corinna Stoll (FachhochschulePotsdam, Fachbereich Informationswissenschaften): Berufliche Qualifi-zierung durch Fortbildung – Das Angebot der Archivschule Marburg/

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sollte, reichte der zeitlich vorgegebene Rahmen für diesehr gut besuchte Veranstaltung bei weitem nicht aus.

Zunächst stellt Frau Dr. Keller-Kühne, die Vorsit-zende des AK FAMI, die Weiterbildungsmöglichkeit desFachwirts/der Fachwirtin für Medien- und Informations-dienste vor und fasst die bisherigen Verhandlungsergeb-nisse der beteiligten Verhandlungspartner IHK und ver.dizusammen. Trotz der Forderung nach verstärkter Einbin-dung archivischer Fachinhalte durch den AK FAMI blei-ben DIHK und ver.di bei ihrer Konzeption einer Fachwirt-weiterbildung, die sich hinsichtlich einer möglichen Ver-wendung an den betrieblichen Aufgaben der mittlerenFührungsebene eines Archivs ausrichtet.

Im Anschluss stellt Gregor Berghausen (IHK Düssel-dorf), nachdem Lothar Zindel von ver.di kurzfristigabgesagt hatte, den „Fachwirt als Modell der beruflichenWeiterbildung“ aus Sicht der Verhandlungspartner DIHKund ver.di vor. Rechtliche Grundlage für die von den Ver-handlungspartnern initiierte berufliche Weiterbildungsind die §§ 53 und 54 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) inder Fassung vom 23. 3. 2005, die in der Fortbildungsord-nung eine einheitliche berufliche Fortbildung und derenFortbildungsabschlüsse durch Rechtsverordnung aner-kennen und, soweit nach § 53 keine prüfungsregulativeRechtsverordnungen erlassen sind, Fortbildungsprü-fungsregelungen durch die zuständigen Stellen in Formeines Erlasses zustimmen.12 Formalrechtliche Grundlagefür die Fachwirtweiterbildung ist daher der im BBiG legiti-mierte berufliche Ausbildungsgang zum Fachangestelltenfür Medien- und Informationsdienste (FAMI) mit seineneinzelnen Fachrichtungen und den hierfür zuständigenStellen. Die primäre Zielgruppe dieser Weiterbildungs-maßnahme seien daher der dual ausgebildete FAMI sowieaußerdem Seiteneinsteiger, deren Zugangsvoraussetzun-gen gesondert geregelt seien.13 Im bisherigen Verlauf derVerhandlungen habe man die DIHK-Empfehlung zur Wei-terbildungsmaßnahme des Fachwirts auf den Weggebracht, die in Abstimmung zwischen den beteiligtenVerhandlungspartnern von Arbeitnehmervertretern(ver.di) und Arbeitgebern (DIHK) konzipiert worden sei.Anschließend habe man die Fachverbände in den Diskus-sionsprozess miteinbezogen.

Berufliche Qualifizierung durch Fortbildung – Das Angebot der FHPotsdam, Prof. Dr. Hans-Christoph Hobohm (Fachhochschule Pots-dam, Fachbereich Informationswissenschaften/ Bibliothek & Informa-tion Deutschland (BID) – Bundesvereinigung der Informationsverbändein Deutschland): Die Position der bibliothekarischen Verbände zur Fach-wirtdiskussion.

12 In diesem Zusammenhang regelt die zuständige Stelle die Bezeichnungdes Fortbildungsabschlusses sowie Ziel, Inhalt und Anforderungen derPrüfungen, die Zulassungsvoraussetzungen und das Prüfungsverfah-ren. Vgl. BBiG, § 54.

13 Zur Prüfung ist im Bereich „Handlungsübergreifende Qualifikationen“zugelassen, wer „1. eine mit Erfolg abgelegte Abschlussprüfung ineinem anerkannten Ausbildungsberuf, der im Bereich der Informations-dienstleistungen zugeordnet werden kann, und danach eine mindestenseinjährige Berufspraxis oder 2. eine mit Erfolg abgelegte Abschlussprü-fung in einem sonstigen anerkannten Ausbildungsberuf und danacheine mindestens zweijährige Berufspraxis oder 3. eine mindestens fünf-jährige Berufspraxis nachweist“. DIHK-Empfehlung zum Erlass Beson-derer Rechtsvorschriften für die Fortbildungsprüfung zum GeprüftenFachwirt/zur Geprüften Fachwirtin für Informationsdienste (IHK), § 2,(1), 1–3, Entwurf vom 1. 7. 2005. Zur Prüfung im Prüfungsteil „Hand-lungsspezifische Qualifikationen“ ist zugelassen, wer „1. eine mit Erfolgabgelegte Prüfung im Prüfungsteil ‚Handlungsübergreifende Qualifika-tionen‘, die nicht länger als fünf Jahre zurückliegt, und 2. in den inAbsatz 1 Nr. 1 bis drei genannten Fällen zu den dort genannten Praxis-zeiten mindestens ein weiteres Jahr Berufspraxis nachweist.“ Ebda, § 2,(2), 1–2.

Berghausen führt im Weiteren die organisatorischenRahmenbedingungen für die Weiterbildungsmaßnahmeaus, welche Regelungen zur Prüfungsordnung, zum Prü-fungsablauf, zur Zusammensetzung der Prüfungsaus-schüsse und zur Gültigkeit des Abschlusses betreffen. DiePrüfung richte sich hierbei an Fachkräfte, die in Aufgabendes Funktionsbildes Fachwirt für Informationsdienstetätig sind. Zur Struktur der Prüfung führt Berghausen aus,dass handlungsübergreifende und handlungsspezifischeQualifikationen abgeprüft würden. Zum handlungsüber-greifenden Prüfungsteil gehören Aspekte der Volks- undBetriebswirtschaft, Recht und Steuern, Unternehmensfüh-rung, Controlling und Rechnungswesen, Personalwirt-schaft, Informationsmanagement und Kommunikation.Der Prüfungsteil der handlungsspezifischen Qualifikatio-nen umfasst Informationsprozesse und Informationssys-teme, analoge und digitale Techniken der Archivierungund Bestandssicherung, Management und Kommunika-tion.14 Die Prüfung besteht aus drei schriftlichen Klausu-ren von jeweils 90 Minuten im Prüfungsteil der „Hand-lungsübergreifenden Qualifikationen“ (2) 1–3 und einer150-minütigen integrierenden Situationsaufgabe im Prü-fungsteil der „Handlungsspezifischen Qualifikationen“aus den Handlungsbereichen (3) 1–3. Vorgesehen istzudem innerhalb des Prüfungsteils „Handlungsspezifi-sche Qualifikationen“ ein 30-minütiges situationsbezoge-nes Fachgespräch. Für die Realisierung der Fachwirtwei-terbildungsmaßnahme in der Praxis ist eine Zeitschienevorgesehen, die als Ausgangspunkt ein letztes Abstim-mungsgespräch zwischen den VerhandlungspartnernDIHK und ver.di im Juli 2005 vorsah. Der Erlass derRechtsvorschrift selbst soll dann maximal vier Monatebenötigen. Die erste Sitzung zur Erstellung eines Rahmen-stoffplans soll am 10. 10. 2005 erfolgen und für die erstekonkrete Fachwirtweiterbildung in der Praxis ist Frühjahrbzw. Sommer 2006 vorgesehen. Letzte offene Fragenbetreffend die Zulassungskriterien und die Zusammenset-zung der Prüfungsausschüsse bei Erstweiterbildungensowie die Zulassung der Prüfungsausschüsse werden inBälde abgeklärt sein.

Direkt im Anschluss problematisiert Dr. Hans-HolgerPaul15 vor dem komplexen Hintergrund des seit 1. 10.2005 gültigen neuen Tarifvertrages im öffentlichen Dienst(TVöD) und seiner einzelnen Überleitungsregelungen dietarifliche Verortung des Fachwirts im Gefüge der neuenEntgeltgruppenstruktur des Tarifvertrages für Archivedes öffentlichen Dienstes.16

Zunächst skizziert Dr. Paul die Genese der Verhandlun-gen und weist auf den weiteren Ablaufplan bis 2007 hin.Die neue Eingruppierungsstruktur im TVöD umfasst 15

14 Vgl. DIHK-Empfehlung, a. a. O., § 3, (2 u. 3).15 Dr. Hans-Holger Paul ist Leiter der AG Gewerkschaften im Archiv der

sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Mit-glied der ver.di Tarifkommission Inland in der FES und Mitglied in derArbeitsgruppe „Archive, Bibliotheken und Dokumentationseinrichtun-gen“ beim ver.di Landesbezirk NRW, Fachbereich Bildung, Wissenschaftund Forschung.

16 Der neue TVöD gilt für Archive im öffentlichen Dienst auf der Ebene desBundes und der Kommunen. Eine neue Entgeltordnung im Rahmen desTVöD ersetzt künftig die Vergütungs- bzw. Lohngruppenordnung desbisherigen Bundesangestelltentarifvertrags (BAT). In jeweiligen indivi-duellen Übergangsregelungen für die Bereiche Bund und Kommunenwird die Überleitung in die neue Entgeltordnung des TVöD durchge-führt. Die Arbeitgeber der Länder sind aus den Tarifverhandlungen mitver.di ausgestiegen. Für den Bereich der Länder verhandeln die Tarifpar-teien der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nunmehr separat.

59Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Entgeltgruppen mit jeweils sechs Erfahrungs- bzw. Ent-wicklungsstufen, in denen im Gegensatz zum alten BATdie Orts- und Sozialzuschläge im Grundentgelt eingebautwurden. Kinderzuschläge werden als Besitzstandsrege-lung behandelt. Stichtag für die Berücksichtigung vonKindern ist der Familienstatus zum 1. 12. 2005. Weiterezentrale Neuregelungen betreffen u. a. die Ost-Anglei-chung der Vergütung auf 100% bis zum 31. 12. 2007 sowiedie sofortige Angleichung der Arbeitszeit für den BereichBund auf nunmehr 39 Std. in West- und Ost-Deutsch-land.17 Anhand von Fallbeispielen informiert Paul überdie Eingruppierungen im TVöD für Neubeschäftigtesowie die individuellen Überleitungen in die neue Entgelt-struktur für derzeit angestellte Archivarinnen und Archi-vare im öffentlichen Dienst bzw. an den öffentlichenDienst angelehnten Beschäftigungsverhältnissen. Hin-sichtlich der Neuzuordnung der Beschäftigten und derenÜberleitung in den TVöD ist in diesem Zusammenhangfestzustellen, dass ab Inkraftsetzung der neuen Entgelt-ordnung alle Absolventen einer FH-/ Bachelorausbildungder Entgeltgruppe (EG) 9 ohne Einschränkung zugeordnetwerden. Beschäftigte mit dreijähriger Ausbildung (z. B.FAMI) finden sich künftig in der EG 5 wieder.18

Die neu geschaffene Fachwirtweiterbildung wirft vordiesem Hintergrund eine Reihe von Problemfeldern auf.Die archivfachliche Weiterbildung beim Konzept desFachwirts soll nur einen geringen Anteil an der Weiterqua-lifikation beinhalten.19 Den Hauptschwerpunkt bildenbetriebswirtschaftliche und managementspezifische Qua-lifikationen auf der mittleren Führungsebene. Diese unbe-stritten wichtigen Elemente der Qualifizierung könnenaber eine Anleitung durch Sachkompetenz nicht ersetzen.Verglichen mit den in den Archivschulen ausgebildetenDiplomarchivarinnen und -archivaren fällt damit das Wei-terbildungsprofil des Fachwirts weiter ab. Bezüglich desFachwirts bleibt festzustellen, dass eine unterschiedlicheBedarfsstruktur im öffentlichen Dienst und der Privat-wirtschaft vorhanden ist, die eine unterschiedliche Ein-gruppierungs- bzw. Vergütungspraxis im öffentlichenDienst und in der Privatwirtschaft nach sich zieht. Dasvorliegende Konzept des Fachwirts baut nicht auf derFAMI-Ausbildung auf und berücksichtigt nicht im ausrei-chenden Maße die vorhandene ABD-Struktur.20 Da diefachspezifischen Ausbildungsinhalte anteilsmäßig zugering sind, sind fachspezifische Module nötig. Aus die-sem Problemhorizont resultiert, dass der/die Fachwirt/insich tariflich zwischen der Ausbildung zum FAMI unddem Abschluss des gehobenen Dienstes (Diplomarchivar/in FH) platziert. Der innerbetriebliche Aufstieg der FAMIsdurch höherwertige Tätigkeitsmerkmale (Anteile der selb-

17 Zum Gesamtwerk des neuen TVöD und seiner Entgeltstruktur vgl. ins-gesamt die September-Ausgabe von ver.di Publik (September 2005), dieim Rahmen der Veranstaltung ausgegeben wurde oder als PDF-Doku-ment im Internet unter: http://tarifrecht-oed.verdi.de/data/den_blick_nach_vorn_gerichtet abrufbar ist.

18 Waren in der alten Vergütungs- bzw. Lohngruppe des BAT die Einstu-fungen aufsteigend von BAT X bis BAT Ia (I) festgeschrieben, so findensich im neuen TVöD die Eingruppierungen in den Entgeltgruppen(sozusagen umgekehrt) aufsteigend von 1 bis 15 (15Ü) wieder. Eine opti-sche Analogie zum Besoldungsmodus der Beamten ist, gewollt oderungewollt, unverkennbar.

19 Bisher ist für den archivfachlichen Teil, dem sogenannten handlungsspe-zifischen Teil, eine Größenordnung von 10 bis maximal 15% des Gesamt-volumens der Fachwirtweiterbildung vorgesehen. Gleiches gilt für dieFachrichtungen Bibliothek und Dokumentation.

20 ABD = Archiv, Bibliothek, Dokumentation.

ständigen Leistungen in Bezug auf gründliche und vielsei-tige Fachkenntnisse) würde erschwert und könnte in derKonsequenz bereits im Vorfeld zu einer Absenkung derEingangsgruppierung der FAMIs führen.

Angesichts der mittelfristig bevorstehenden Zuord-nung der einzelnen Berufsfelder und ihrer Tätigkeits-merkmale zu den Eingruppierungsstufen im Rahmen derneuen Tarifgestaltung durch den TVöD sollte beim VdAgenerell ein zentraler Arbeitskreis zur Ausbildungsreformunter Berücksichtigung der neuen Tarifgestaltung im Ver-gütungssektor (Ein- und Höhergruppierung) errichtetwerden. Mitglieder dieses Arbeitskreises könnten Vertre-terinnen und Vertreter der Archivausbildungsstätten undarchivische Weiterbildungsträger, der AK FAMI sowiearchivarische Tarifexperten sein.

In ihrem Beitrag „Der Fachwirt – Ein Modell für denöffentlichen Dienst?“ thematisierte im unmittelbarenAnschluss Frau Roswitha Hoge, für die Ausbildungzum/zur Fachangestellten für Medien und Informations-dienste in NRW beim Regierungspräsidium Köln alszuständiger Stelle verantwortlich, die Fachwirtweiterbil-dung aus ihrer Sicht. Die bisherige Vorgehensweise derVerhandlungspartner DIHK und ver.di mache deutlich,dass die Fachwirtweiterbildung nicht in ausreichendemMaße an die FAMI-Ausbildung anknüpfe und mit dergenerellen Zulassung von Seiteneinsteigern diese sogar inFrage stelle. Es müsse hinsichtlich der Zulassungsvoraus-setzungen sichergestellt sein, dass Seiteneinsteiger dievermittelten FAMI-Ausbildungsinhalte nachweisen kön-nen. Der offene Widerspruch, sich bezüglich des Interes-sentenkreises primär an ausgebildeten FAMIs zu orientie-ren, aber andererseits sich ohne Abgleich der FAMI-Aus-bildungsinhalte in einem Zuge auch an Seiteneinsteiger zuwenden, sei nicht hinnehmbar.

Als Reaktion auf eine Pressemitteilung mit dem Titel„Berufliche Perspektive für Fachkräfte der Medien- undInformationsdienste in den Bereichen Archiv, Bibliothek,Dokumentation, Bildagenturen und medizinische Doku-mentation“ und die darin angekündigte Fachwirtweiter-bildungsmaßnahme hat der zentrale Berufsbildungsaus-schuss für die FAMI-Ausbildung in Nordrhein-Westfalenbereits auf seiner Sitzung am 22. 9. 2004 eine Stellung-nahme beschlossen, die an die am Verfahren Beteiligtenam 28. 9. 2004 übermittelt wurde.21

In dieser fordert der Berufsbildungsausschuss eine ein-heitliche berufliche Fortbildungsregelung22, die in einemAusbildungsgang, der „sowohl in der gewerblichen Wirt-

21 Brief des Berufsbildungsausschusses NRW (Vors. Heidi Kunde vomWestdeutschen Rundfunk) vom 28. 9. 2004 an Deutscher Industrie- undHandelskammertag, ver.di, Referat Berufsbildungspolitik, Bundesmi-nisterium für Wirtschaft und Arbeit, Referat VII B 7, Bundesministeriumfür Bildung und Forschung, Referat 22, Bundesministerium des Innern,Referat D 12, Bundesinstitut für Berufsbildung sowie nachrichtlich anweitere ABD-Verbände u. a.

22 Nach § 46 Berufliche Fortbildung, Absatz 2, vom 14. 8. 1969, geändert am25. 3. 1998. Hiernach kann eine bundesweite zentrale Regelung durchdas Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Tech-nologie im Einvernehmen mit den Bundesministerium für Wirtschaftoder dem sonst zuständigen Fachministerium nach Anhören des Ständi-gen Ausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung durch Rechts-verordnung bestimmt werden. Die Verhandlungspartner DIHK undver.di haben ihr berufliches Weiterbildungsmodell des Fachwirtsursprünglich nach § 46, Absatz 1 auf den Weg gebracht, der die berufli-che Fortbildung und deren Prüfungen den zuständigen Stellen zuweist.Da die Weiterbildung analog zu anderen beruflichen Weiterbildungenmit dem Abschluss Fachwirt im Bereich der Privatwirtschaft durchArbeitgeber und Arbeitnehmervertreter (DIHK und ver.di) geregelt ist,

60 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

schaft als auch im öffentlichen Dienst zahlenmäßig in deneinzelnen Bundesländern in sehr unterschiedlichenMaße“ durchgeführt wird23, zur Qualitätssicherung unab-dingbar ist. Weiterhin ist für den Berufsbildungsausschussnicht erkennbar, dass Inhalte und Ziele der Fortbildung andie berufsfachliche Erstausbildung der FAMIs in ausrei-chendem Maße anknüpfen und die bildungspolitischenAuswirkungen auf die Studiengänge in den ABD-Berei-chen nicht hinreichend geprüft sind. Besonders problema-tisch sind die Zulassungsvoraussetzungen für die vonDIHK und ver.di bezeichnete Zielgruppe der „Seitenein-steiger“. Hier wird die Sicherung der Vergleichbarkeit derQualifikationen durch eine bundeseinheitliche Regelungeingefordert. Daher begrüßt der Berufsbildungsausschussausdrücklich eine bundesweit verbindliche Aufstiegsfort-bildung.24

In einem Treffen der zuständigen Stellen des Bundesund der Länder im Bereich des öffentlichen Dienstes imApril 2005 wurde in einem Beschluss festgestellt, dass derEntwurf der Fachwirtweiterbildung von DIHK und ver.dinicht den Gegebenheiten der Praxis entspricht, sondernprimär als Öffnung für Seiteneinsteiger zu sehen ist. FrauHoge bemängelt an dieser Stelle, dass bei dem Fachwirt-vorhaben von DIHK und ver.di zuvor keine Bedarfser-mittlung stattgefunden habe. Eine von allen Seiten für dieausgebildeten FAMIs gewünschte berufliche Fort- bzw.Weiterbildung könne darin liegen, in berufsbegleitendenB. A.-Studiengängen einen anerkannten Abschluss zuerreichen, die eine parallele Teilzeitbeschäftigung denpotentiellen Interessenten ermöglicht. Zugangsvorausset-zungen sollten hier der FAMI-Abschluss sowie Hoch-schul- bzw. Fachhochschulzugangsberechtigungen sein.

Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit mussten die fol-genden Beiträge deutlich gekürzt werden, so dass Frau Dr.Stefanie Unger von der Archivschule Marburg und FrauCorinna Stoll seitens der Fachhochschule Potsdam, Fach-bereich Informationswissenschaften, ihre jeweiligenAngebote bzw. künftigen Vorhaben für eine beruflicheQualifizierung durch Fortbildung nur resümeeartig vor-stellen konnten. Frau Unger stellte das Curriculum für dengehobenen Dienst (Diplomarchivar/-in) vor und betonte,dass dieser als ein ständiger „work in progress“ zu verste-hen sei. Während einer 18-monatigen Ausbildungszeit mit1560 Unterrichtsstunden an der Archivschule Marburg inArchivwissenschaft, Verwaltungswissenschaft, in den his-torischen Hilfswissenschaften, Geschichtswissenschaftensowie in fachpraktischen Kompetenzen (z. B. Sprachkursein Latein und Französisch) werden Diplomarchivare aus-gebildet. Die Schwerpunkte liegen hierbei in den großen

sind hier die zuständigen Stellen i. d. R. die Industrie- und Handelskam-mern (IHK). Eine Einbindung der zuständigen Stellen in die bezeichneteberufliche Weiterbildung im Bereich des öffentlichen Dienstes (mehr als80% der abgeschlossenen FAMI-Ausbildungsverhältnisse weist derÖffentliche Dienst auf), wie etwa im Falle von Nordrhein-Westfalen, wodie zuständige Stelle für die Ausbildung zum/ zur Fachangestellten fürMedien und Informationsdienste in NRW beim RegierungspräsidiumKöln angesiedelt ist, war seitens der DIHK und ver.di von Beginn annicht vorgesehen. Da das Berufsbildungsgesetz (BBiG) am 23. März 2005per Gesetz reformiert wurde, ist die gesetzliche Grundlage für die beruf-liche Weiterbildung nunmehr in den §§ 53 und 54 geregelt, die aber fun-damentale Änderungen zum § 46 (1–2) des vorhergehenden Berufsbil-dungsgesetzes aufweisen. Für die Fachwirtweiterbildung sind nunmehrdie §§ 53 und 54 des neuen Berufsbildungsgesetzes rechtsverbindlich.

23 Brief des Berufsbildungsausschusses NRW vom 28. 9. 2004, a. a. O., S. 1.24 Vgl. ebda., S. 1–2.

Unterrichtsblöcken Archiv- und Geschichtswissenschaf-ten.25

Mittlerweile haben die ersten ausgebildeten FAMIS einStudium zum Diplomarchivar im gehobenen Dienst auf-genommen. Im Folgenden skizziert Frau Unger die Prü-fungsordnung und gibt einen Überblick über die entspre-chenden Prüfungsfächer und die diesbezüglichen Wahl-möglichkeiten. Für das Jahr 2006 seien zudem im Bereichder archivischen Fortbildung in Aufbau-, Grund- undErweiterungskursen mit einer jeweiligen Dauer von 2-5Tagen 21 Weiterbildungskurse vorgesehen. Es ist festzu-stellen, dass das Interesse an archivischer Fort- und Wei-terbildung stetig wachse. Zielsetzung der Fortbildungs-kurse ist es, sich bedarfsorientiert an den Fortbildungsteil-nehmern auszurichten. Zur Zeit arbeite man an der durchden „Bologna-Prozesses“ in Gang gesetzten, europawei-ten Standardisierung einheitlicher Studienabschlüsse inForm des „Bachelor“ und des „Master“.

Frau Stoll vom Fachbereich Informationswissenschaf-ten der FH Potsdam gibt zunächst einen Überblick überdas grundständige Studium zum Diplomarchivar (FH)26

und stellt anschließend vertiefend unter dem Blickwinkelder Fachwirtweiterbildung das graduale Fernweiterbil-dungsangebot der FH Potsdam für den Bereich desArchivs vor. Das Angebot richte sich an ausgebildeteFAMIs und archivische „Berufspraktiker“. Die Fernwei-terbildung knüpfe hierbei sehr stark an den Inhalten desgrundständigen Studiums an. Die gegenwärtige Fernwei-terbildung könne postgradual und gradual erfolgen,deren modularer Abschluss mit einer Externenprüfungzum FH-Diplom ende. Voraussetzung für die gradualeFernweiterbildung sind die Hochschulzugangsberechti-gung (bzw. Eignungsprüfung), die Tätigkeit in einemArchiv für die Dauer der Weiterbildung sowie EDV-Grundlagenkenntnisse und ein Internetzugang. Im Zeit-raum von vier Jahren müssen 26 Module erfolgreich nach-gewiesen werden (für FAMIs lediglich 18). Es sind pro Jahrvier Präsenzphasen à zwei Tage erforderlich. Die Kostenpro Modul belaufen sich auf 200,– EURO.

Wichtig ist, dass sämtliche Studiengänge integrativ undfür den ABD-Bereich gemeinsam mit fachspezifischenLehrinhalten und einem Wahlpflichtbereich ausgelegtsind. Durch die bereits realisierten integrativen und fach-spezifischen Module ist daher der wesentliche Umstel-lungsprozess bereits abgeschlossen und eine konkrete Per-spektive über die Studienabschlüsse und deren praktischeUmsetzung vorhanden.27 Wird zur Zeit noch der Diplom-abschluss im grundständigen und im Fernstudium (Fern-weiterbildung) angeboten, so wird der Bachelor bereits ab

25 Zur Archivwissenschaft gehören u. a. Ordnung und Verzeichnung,Archivgeschichte, Strukturlehre (Schriftgutverwaltung seit dem 16. Jh.),Bewertungslehre, Bestandserhaltung (Archivtektonik), Archivierungdigitaler Aufzeichnungen und audiovisueller Medien, Typologie derArchive, Öffentlichkeitsarbeit. Zur Geschichtswissenschaft gehören u. a.Quellenkunde, Deutsche und allgemeine Geschichte I–IV, DeutscheRechtsgeschichte I–II, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte I–II, Landesge-schichte I–II, Verwaltungsgeschichte I–II, Kirchen- und Kommunalge-schichte.

26 An der FH Potsdam ist man mit der Einrichtung von Bachelor- und Mas-terstudiengängen in den einzelnen Fachbereichen schon sehr weit fort-geschritten. Auch der Fachbereich Informationswissenschaften hatdurch seine modulare Struktur bereits den Weg für die beiden europa-weit anerkannten Abschlüsse geebnet.

27 Maßgeblich für die künftige Prüfungsregelung im europäischen Kontext(Bologna-Prozess) ist das „European Credit Transfersystem“, welchesden studentischen „workload“ bemisst. D. h.: Die Bemessung des stu-dentischen „workload“ erfolgt in „credits“. Ein „credit“ umfasst 30

61Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Winter 2006/2007 und der Master zusammen mit demInstitut für Information und Dokumentation (IID) in zeitli-cher Nähe angeboten werden.

Für die Bundesvereinigung der Informationsverbände,Bibliothek & Information Deutschland, stellte Prof. Dr.Hans-Christoph Hobohm, FH Potsdam, FachbereichInformationswissenschaften, schließlich die Position derbibliothekarischen Verbände zur Fachwirtdiskussion vor.Die Bundesvereinigung umfasst die meisten Informati-onsverbände aus den Bereichen der Bibliotheken, Doku-mentationen und anderen Informationseinrichtungen. Fürdie berufliche Fort- und Weiterbildung sei mit CERTIDocbereits ein Instrument vorhanden, das fortführend vonDECIDoc ein europaweites System für die Zertifizierungvon Informationsspezialisten anstrebt.28

Darüber hinaus zeige es sich, dass hinsichtlich der inder Praxis erforderlichen Kompetenzen auf sozialer undfachlicher Ebene für die bibliothekarischen und dokumen-tarischen Einrichtungen eher ein einschlägiger Studienab-schluss präferiert würde, als dass die Fachwirtweiterbil-dung hier eine breite Akzeptanz finden könne. Abschlie-ßend richtet Herr Hobohm einen Appell an die Archiva-rinnen und Archivare, an der Bildung eines zentralenBerufsbildes „Informationsdienstleister/ Informations-dienstleisterin“ mitzuwirken.

Zum Ende der Veranstaltung fasst die Vorsitzende desAK FAMI, Frau Dr. Keller-Kühne, als Fazit zusammen,dass die geplante Fachwirtweiterbildung offensichtlich,wie der Verlauf der Veranstaltung gezeigt hat, zur Zeitnicht für Archive des öffentlichen Dienstes geeignet ist.Weiterbildungsangebote sind durch die Archivausbil-dungsstätten in Marburg und Potsdam vorhanden. Auchdie Haltung der anderen Berufsverbände aus dem ABD-Bereich zeigt, dass im Fachwirt für den öffentlichen Dienstkeine wirkliche fachliche Weiterbildungsmöglichkeitgesehen wird.29 Der AK FAMI hat die Anregung zur Schaf-fung einer zentralen AK Ausbildung beim VdA mit tarifli-cher Einbindung über sämtliche archivische Laufbahnenhinweg bereits im Vorfeld aufgegriffen und auf seiner Sit-

Arbeitsstunden. Pro Semester müssen 30 „credits“ seitens des Studieren-den erarbeitet werden. Der studentische „workload“ muss hierbei proModul berechnet werden. Ein Modul umfasst 4–8 Semester-Wochen-stunden (SWS) und muss mit mindestens einer benoteten Prüfung abge-schlossen werden. Module können sich hierbei maximal auf 2 Semestererstrecken. Studienbegleitende Modulprüfungen ersetzen Zwischen-prüfungen.

28 DECIDoc = Développer les EUROCompétences pour l'Information etDocumentation ; CERTIDoc= Certification européene en information-documentation. CERTIDoc wird seit 2002 von der EU im Rahmen desLeonardo da Vinci Programms unterstützt. Beteiligt sind die berufsstän-dischen Organisationen: L'Association des professionels de l'informa-tion et de la documentation (ABDS) aus Frankreich, Deutsche Gesell-schaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI)sowie aus Spanien die Sociedad española de documentación e informa-tión científica (SEDIC). Vgl. weiterführend Rittberger, Marc: CERTI-Doc – Europaweite Zertifizierung von Informationsspezialisten, in:Bibliotheksdienst, 38. Jg., 2004, H. 2, S. 201–204.

29 Diese Einschätzung bestätigt das Protokoll der Vorstandssitzung desBID (Bibliothek & Information Deutschland) vom 24. 10. 2005 in Hamburg.Die Vorsitzende des Berufsverbandes Bibliothek Information e. V. (BIB),Frau Susanne Riedel, erklärt, dass die Fachwirt-Weiterbildung durchDIHK/ ver.di seitens des BIB nicht weiter unterstützt wird. Die in derBID (Bibliothek & Information Deutschland) zusammengeschlossenenVerbände schließen sich uneingeschränkt der Argumentation des VdAan und beschließen, die Teilnahme an den weiteren Beratungen zurFachwirt-Ausbildung einzustellen. Für die Deutsche Gesellschaft fürInformationswissenschaft und Informationspraxis e. V. (DGI) erklärtFrau Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Beger, dass sich die DGI ebenfallsoffiziell aus den Beratungen zur Fachwirt-Ausbildung zurückziehenwird. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des BID vom 24. 10. 2005.

zung beschlossen, beim neu konstituierten Vorstand desVdA einen entsprechenden Antrag zu stellen und nachBildung des übergreifenden AK Ausbildung mittel- bislangfristig den jetzigen AK FAMI analog dem AK gehobe-ner Dienst aufzulösen.

Bonn Harry Scholz

Forum Diplomarchivarinnen und Diplomarchivare (FH)

Das diesjährige Forum, das wieder von der Vorsitzendendes „Arbeitskreises Diplomarchivarinnen und -archivare(FH)“, Beate Dördelmann, geleitet wurde, stand unterdem Vorzeichen der Beendigung der Tätigkeit diesesArbeitskreises.

Die beiden Vorträge des damaligen Vorsitzenden desVdA, Prof. Dr. Norbert Reimann, „Der Arbeitskreis Geho-bener Dienst und der VdA-Vorstand“ sowie von StefanBenning M. A. „Vom willigen Helfer zum eigenständigenBerufsbild. Rückblick auf 15 Jahre Arbeitskreis Diplomar-chivarinnen und –Archivare“ als Gründungsmitglied des„Arbeitskreises Gehobener Dienst“, wie der Arbeitskreisbis 2002 hieß, befassten sich mit den Anfängen.

Prof. Dr. Reimann führte anschaulich aus, dass nichtalle (Vorstands-) Mitglieder begeistert waren, innerhalbdes Vereins einen Arbeitskreis zu bilden, der selbstständigIdeen entwickeln und umsetzten wollte. So waren es nichtimmer Sachargumente, die ausgetauscht wurden. Obwohler selbst den Arbeitskreis intensiv unterstützt hat, konntenim Vorstand nicht alle Anträge, die aus dem Arbeitskreiseingebracht wurden, positiv entschieden werden.

Stefan Benning stellte sehr bildhaft die Gesamtsitua-tion 1990 dar. Nach einer heftigen Ausbildungsdiskussionauf dem Archivtag in Karlsruhe wurde eine Arbeits-gruppe „Berufsbild des gehobenen Archivdienstes“ einge-richtet. Dies war der Grundstein des Arbeitskreises, des-sen Mitglieder gegen viele Widerstände, aber mit einemebensolchen Engagement ans Werk gingen.

Im Anschluss resümierte Beate Dördelmann über diedamals gesteckten Ziele und ihre Ergebnisse. Davon sinddie meisten tatsächlich erreicht (z. B. Einführung des mitt-leren Dienstes/Archivassistenten), einige nicht einmal ingreifbare Nähe gerückt (z. B. Schaffung bzw. Vermehrungvon A 13-Stellen im gehobenen Dienst), und an anderenmuss man noch weiter arbeiten (z. B. Ermöglichung desAufstiegs in den höheren Archivdienst). Letzteres kannjedoch bei der neuen Struktur des VdA auch über denGesamt- oder den Geschäftsführenden Vorstand initiiertund durch Projektgruppen erledigt werden.

Bei der Aktuellen Viertelstunde gab Dr. Hans-HolgerPaul erneut einen kurzen Sachstandsbericht zum Tarif-vertrag Öffentlicher Dienst (TVöD). Einen ausführlichenVortrag hielt er beim Forum „Arbeitskreis Fachangestelltefür Archiv-, Medien- und Informationsdienste“. Im Hin-blick auf das Desiderat verbesserter Aufstiegschancenkonnte er allerdings die Hoffnungen nicht mittragen, dasssich mit der Modernisierung auch eine größere Durchläs-sigkeit zwischen den Entgeltgruppen ergibt.

Es folgte der Hinweis, dass sich der „Arbeitskreis Dipl.-Archivarinnen und -Archivare (FH)“ durch den nächstenVorstand nicht mehr bestätigen lassen wird und damitseine aktive Tätigkeit einstellt. Vielmehr soll eine neuer„Arbeitskreis Ausbildung“ (Arbeitstitel) vorgeschlagenwerden, dem sich später auch der „Arbeitskreis Fachange-stellte für Archiv-, Medien- und Informationsdienste“

62 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

anschließen wird. Als erstes Problemfeld muss aufgrunddes Zeithorizonts 2010 die Stellung der Archivabschlüsseim europäischen Hochschulsystem, Stichwort: Bologna-Prozess, erarbeitet werden.

Abschließend dankte die Vorsitzende allen, die auf viel-fältige Weise den Arbeitskreis über Jahre unterstützthaben, insbesondere den Mitgliedern sowie den Teilneh-mern des Forums auf den Deutschen Archivtagen.

Münster Beate Dördelmann

Archivtheorie und -praxis

Archive und BeständeDr. Uwe Schaper neuer Direktor des LandesarchivsBerlinDr. Uwe Schaper ist neuer Direktor des Landesarchivs Ber-lin. Im großen Saal des Landesarchivs führte ihn der Sena-tor für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Berlin,Dr. Thomas Flierl, am 2. September 2005 vor über 100Gästen offiziell in sein Amt ein.

Nach einleitenden Grußworten des AbteilungsleitersVolker Viergutz drückte der Senator in seiner Rede dieFreude aus, dass das Land Berlin mit Dr. Schaper eine Per-sönlichkeit gewonnen habe, die durch Fachkompetenzund Entscheidungsfreude bereits einen guten Namen imdeutschen Archivwesen erworben habe. Sein bisherigesWirken verspreche, dass das Landesarchiv Berlin erfolg-reich und effizient die archivischen Herausforderungenmeistern werde, vor die es gestellt ist. Hiervon nannte erzum einen beispielhaft die Einführung der Verwaltungsre-form und des eGovernment, bei der das Landesarchiv zurSchnittstelle zwischen Berliner Verwaltung und den Bür-gerinteressen werde. Zum anderen stellte der Senator dasProblem der Bestandserhaltung heraus, das zur Informati-onssicherung innovativ angegangen werden müsse. Umdas Landesarchiv bei der Bewältigung dieser Aufgaben zuunterstützen, lud er Dr. Schaper herzlich zu einem fachlichund kulturpolitischen wichtigen Dialog mit seinem Hausein.

Dr. Flierl dankte zugleich dem stellvertretenden Direk-tor Dr. Klaus Dettmer für sein Engagement während derInterimszeit seit dem Ausscheiden des ehemaligen Direk-tors, Dr. Jürgen Wetzel, im Jahre 2003.

Mit persönlichen Worten blickte Dr. Wetzel dagegen aufdie Jahre 1989 bis 1994, als Dr. Schaper unter seiner Leitungdie archivarische Laufbahn im Landesarchiv Berlin be-gann. In dieser Zeit habe er dessen kompetente und zupa-ckende Art schätzen gelernt. Sie habe maßgeblich dazubeigetragen, dass zentrale archivische Aufgaben, die sichaus der politischen Wende ergeben hatten, gelöst wurden.Umso mehr begrüßte es Dr. Wetzel, dass Dr. Schaper mitden Erfahrungen, die er als stellvertretender Direktor desBrandenburgischen Landeshauptarchivs gewonnen habe,nunmehr ins Landesarchiv Berlin zurückkehre.

Vor ranghohen Vertretern des Bundesarchivs und ande-rer Staatsarchive, der Vorsitzenden des Ausschusses desAbgeordnetenhauses für kulturelle Angelegenheiten,Alice Ströver, dem Bezirksstadtrat für Kultur des BezirksReinickendorf, Dr. Thomas Gaudszun, und den anwe-senden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landesar-chivs Berlin sowie weiterer Archive, dankte Dr. Uwe Scha-per abschließend für die zahlreichen Glückwünsche.Anknüpfend an die Worte des Senators umriss er die zen-tralen Aufgaben, denen sich das Landesarchiv Berlin mitseiner Verpflichtung zu Tradition und Innovation in denkommenden Jahren zu widmen habe. Dabei werde dasHaus sowohl ein Ort des Wissens und der Kultur bleibenals auch weiterhin als rechtssichernde Einrichtung tätigsein. Vor allem werde das Landesarchiv als modernerDienstleister ein Ort der Bürgernähe sein. Um allerdingslangfristig nach außen wirken zu können, müsse dasArchiv schon jetzt innerhalb der Berliner Verwaltung wir-ken können. Dr. Schaper beanspruchte daher für das Lan-desarchiv Berlin, dass es seine Fachkompetenz in allezukunftsgerichteten Projekte der Berliner Verwaltungfrühzeitig einbringt. Mit seinem Engagement hoffe er ins-gesamt, dem Landesarchiv Berlin einen Teil dessen wie-derzugeben, was ihm das Haus in den Anfangsjahren sei-ner archivarischen Tätigkeit vermittelt habe.

Geboren 1958 im westfälischen Herne, studierte Dr.Schaper zunächst Geschichte, Germanistik und Soziologiean der Universität Erlangen-Nürnberg. Dort wurde er imJahre 1988 mit einer Arbeit über den bayerischen Minister-präsidenten Krafft Graf von Crailsheim zum Dr. phil. pro-moviert. Das anschließende Referendariat für den höherenArchivdienst führte ihn 1989 an das Landesarchiv Berlinund an die Archivschule Marburg. Nach erfolgreichemAbschluss seiner archivarischen Ausbildung setzte erseine Tätigkeit im Landesarchiv fort.

Dr. Schaper engagierte sich hier insbesondere für dieSicherung und ersten Erschließungsmaßnahmen der Jus-tizbestände Berlins. Er plante darüber hinaus die Zusam-menführung der Kartenabteilungen des ehemaligen West-Dr. Uwe Schaper, Direktor des Landesarchivs Berlin

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Berliner Landesarchivs und des vormaligen Ost-BerlinerStadtarchivs, die seit 1991 unter dem Dach des fusionier-ten Landesarchivs Berlin bestanden, zu einer der promi-nentesten Kartensammlungen in und für Berlin.

Im Jahre 1994 wechselte er zum BrandenburgischenLandeshauptarchiv nach Potsdam, wo er zuletzt als stell-vertretender Direktor amtierte. Zugleich war er Leiter derdort angegliederten und von ihm aufgebauten Landes-fachstelle für Archive und öffentliche Bibliotheken. Sieberät die brandenburgischen Archive und öffentlichenBibliotheken fachlich, befördert ihre fachübergreifendeKooperation und organisiert die berufliche Aus- und Wei-terbildung im Archiv- und Bibliotheksbereich Branden-burgs. In dieser Funktion konzipierte Dr. Schaper die bun-desweit bisher einzige berufsbegleitende Ausbildung fürdie Fachangestellten für Medien- und Informations-dienste. So ist er weiterhin stellvertretender Vorsitzenderdes Prüfungsausschusses des Landes Brandenburg fürdiesen Ausbildungsberuf. Ferner war er Mitglied desDeutschen Bibliotheksverbands, Landesverband Bran-denburg, und des Vorstands des Verbands deutscherArchivarinnen und Archivare, Landesverband Branden-burg. Daneben hat er seit Jahren einen Lehrauftrag imFachbereich Informationswissenschaften der Fachhoch-schule Potsdam und engagiert sich in universitären Wei-terbildungsangeboten, so an der Freien Universität Berlin.

Bis 2004 war Dr. Schaper zudem Vorsitzender des Foto-technischen Ausschusses der Archivreferentenkonferenzdes Bundes und der Länder. Dem Fachgremium, das sichmit Fragen des Kulturgutschutzes, der Bestandserhaltungund Informationssicherung von Archivgut befasst,gehörte er seit 1992 an.

Ergänzt wird sein fachliches Wirken durch zahlreicheVeröffentlichungen und die Herausgabe archivarischerPublikationen.

Berlin Michael Klein

Übereignung des stadteigenen Luftbildarchivs an dasStaatsarchiv HamburgIm Juni 2004 hat das Staatsarchiv Hamburg vom Landes-betrieb Geoinformation und Vermessung der Hansestadtdas historische Luftbildarchiv mit über 100.000 Negativen,Positiven und Kontaktabzügen aus Bildflügen übernom-men. Die Aufnahmen entstanden in der Zeit zwischen1921 und 2000 und werden heute nicht mehr für das aktu-elle Tagesgeschäft der Vermessungstechniker gebraucht.Mit der Übergabe des Bestandes wurde auch vereinbart,dass noch benötigtes jüngeres und zukünftig entstehendesLuftbildmaterial in festen Zyklen an das Staatsarchivabgeliefert werden soll. Es handelt sich bei den übernom-menen Schwarz-weiß-Fotos überwiegend um die üblichenSenkrechtaufnahmen, zusätzlich gibt es aber auch einerelativ geringe Zahl von Schrägaufnahmen.

Der eindringliche Wunsch, die Welt aus der Vogelper-spektive zu betrachten und sie möglichst gleich fotogra-phisch zu dokumentieren, bestand schon seit den Anfän-gen der Fotographie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-derts. Realisiert wurde er in Hamburg jedoch erst mit Hilfevon Heißluftballons und Luftschiffen zu Anfang des20. Jahrhunderts. So dokumentierte der Hamburger Ver-ein für Luftschifffahrt im Jahre 1913 einige Gebiete rundum die Außenalster aus rund 300 Meter Höhe und gab diedabei entstandenen Fotoaufnahmen auch gleich

geschäftstüchtig als Postkartenserie heraus, die offensicht-lich auch großen Anklang bei der Bevölkerung fand.Bereits 1912 hatte die Baupflegekommssion der Stadt eineähnliche Serie von einem Ballon aus in Auftrag gegeben,die Teile der Hamburger Innenstadt und der Werftanlagenan der Elbe bildlich festhielt. Kurioserweise war es dann inden Krisenjahren 1918/19 ausgerechnet der Chef der Ord-nungspolizei Hamburg, der sich den Luxus einer Abtei-lung mit der Bezeichnung „Luftaufsicht“ leistete, die danneine umfangreiche Fotodokumentation mit Senkrecht-Aufnahmen der Alt- und Neustadt in Auftrag gab. Überdie Tatsache, ob damit wirklich die Effizienz der polizeili-chen Arbeit gesteigert werden konnte, darf spekuliert wer-den, da die wenigen noch erhaltenen Akten darüber leiderkeine Auskunft geben. Von den ersten Maschinen des„Vermessungsdienstes Hamburg“ haben sich ebenfallseinige Fotos erhalten: In aus heutiger Sicht abenteuerlichkleinen, einmotorigen Propellerflugzeugen, teilweisenoch mit Segeltuchbespannung, fotografierte ein mitflie-gender Vermessungstechniker freihändig die ausgewähl-ten Objekte. Ob dabei immer befriedigende Ergebnisseherauskamen, darf allerdings bezweifelt werden.

Insgesamt gesehen haben jedoch Luftbilder und derenvermessungstechnische Auswertung – die so genanntePhotogrammetrie – von ihren ersten Anfängen bis in dieheutige Zeit auf dem Gebiet der Kartographie eine rasanteund lautlose Revolution vollzogen. In nur wenigen Jahr-zehnten konnten mit Hilfe dieser Technik Karten angefer-tigt werden, die sich als hochtechnisiertes und äußerstexaktes Produkt darstellen. Sie lösten zwar ältere Verfah-ren, bei denen der Faktor Mensch eine weitaus größereBedeutung hatte, nicht vollständig ab, unterstütztenjedoch die herkömmliche Feldmessung, bei der ein Ver-messungstechniker sich des Theodoliten bedient, einemFernrohr, dessen Feintrieb das genaue Messen von Win-keln in zwei Ebenen erlaubt. Heute ist die Photogramme-trie wie auch der Einsatz von GPS-gestützter Technik inder Vermessungstechnik nicht mehr wegzudenken. Mess-fehler sind damit nahezu ausgeschlossen, wobei jedochLuftbilder auch Nachteile haben: Ihnen fehlte von Anfangan der konstante Maßstab in der Gesamtfläche des Fotos,der auch mit den besten Optiken nicht ohne weiteres aus-geglichen werden kann. Präziser ausgedrückt: Luftbildka-meras können immer nur das genau abbilden, was sichdirekt unter ihrem Objektiv befindet. Je näher man an denRand der Luftaufnahme kommt, desto ungenauer undverzerrter wird die Information. Dieses Phänomen ver-stärkt sich noch um ein Vielfaches, wenn es sich um Foto-grafien von einem Gelände mit größeren Höhenunter-schieden handelt. Eine Möglichkeit, diese Klippe zuumschiffen, bietet die Stereoskopie, für die zwei Bildervon zwei geringfügig abweichenden, aber dennoch ver-schiedenen Standorten benötigt werden. Bei ihrer Betrach-tung durch ein Stereoskop verschmelzen im Auge desBetrachters beide Aufnahmen zu einem dreidimensiona-len Bild.

Eine zweite Technik, die bei der Auswertung von Luft-bildern eine große Rolle spielt, ist der optisch-mechani-sche Vorgang der Entzerrung der Luftaufnahme. Mit Hilfedieser Technik erhält das Luftbild in der Gesamtflächeeinen gleichen Maßstab. Heute ist der Entzerrungsvor-gang natürlich auch schon computergestützt möglich.Dennoch werden nach wie vor zur Entzerrung sogenannte „Passpunkte“ gebraucht. Sie müssen im Luftbild

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– etwa durch Signalisierungshilfen – erkennbar und aufeinem Plan mit Koordinaten eingetragen sein. Im Prinzipentspricht der Vorgang der Entzerrung der Umformungeines unregelmäßigen Vierecks in ein Rechteck. Die Vor-teile der Kartographie auf Basis von Luftbildern ist vielfäl-tig. Nicht nur einzelne Landmarken, wie beispielsweisemarkante Bäume, Teiche oder andere Objekte in der Land-schaft, die früher vom Feldmesser identifiziert und notiertwerden mussten, können nicht mehr vergessen werden.Darüber hinaus bietet modernes Fotomaterial, das auchAufnahmen im Infrarotbereich ermöglicht, ganz beson-dere Resultate. Anhand von ihnen können beispielsweiseexakte Abgrenzungen zwischen Wasser und Land darge-stellt – und sogar kranke Waldbestände ausfindig gemachtwerden. Offiziell begann man beim Hamburger Vermes-sungsamt im Jahre 1927 mit dem Bildflugbetrieb. ZumAnlass wurde damals die Herstellung der noch heute

gebräuchlichen und in regelmäßigen Abständen neu auf-gelegten Deutschen Grundkarte im Maßstab 1 : 5000genommen. Zwei Bildformate, nämlich 18 x 18 cm und 23x 23 cm, finden von den Anfängen bis zur Gegenwart Ver-wendung.

Bereits nach gut zehn Jahren mussten die Befliegungenim Zuge der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs aber vor-erst wieder eingestellt werden. Nach dem Krieg konntendie Arbeiten nicht sofort wieder aufgenommen werden. Essollte schließlich sieben Jahre dauern, bis die Alliierten1952 ihre Zustimmung für die Befliegungen gaben und dievermessungstechnischen Aufgaben mit Hilfe von Luft-bildauswertung fortgesetzt werden konnten. Anfangswurde jährlich ein Bildflug durchgeführt, im Zuge dessenca. ein Viertel des hamburgischen Staatsgebiets, also rund200 qkm, abgedeckt wurde. Heute wird jährlich die Hälftedes Hamburgischen Gebiets beflogen. Die Flughöhe, in

Flugzeug des Vermessungs-dienstes, 1925

Sog. Plattenreihenbildkameraim Flugzeug des Vermessungs-dienstes, ca. 1930

65Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

der diese Aufnahmen gemacht werden, beträgt ca. 1600Meter, was im Kontaktabzug der Negative in etwa einemMaßstab von 1 : 5000 entspricht.

Für die Erfüllung der mit der Übergabe des Luftbildar-chivs verbundenen Aufgaben hat der Landesbetrieb Geo-information und Vermessung dem Staatsarchiv zwei Stel-len übertragen. Aus Altersteilzeitgründen kann zur Zeitallerdings eine der beiden Stellen nicht voll ausgenutztwerden. Auf einzelne Luftbilder kann anhand so genann-ter „Bildmittenübersichten“, die in Form von Mikrofilmenvorliegen, zugegriffen werden. Dies sind Karten des Stadt-gebiets, auf denen eine Vielzahl von Orientierungspunk-ten eingetragen sind, anhand derer man einzelne Bilderüber ihr Bildzentrum ermitteln kann. Seit etwa fünf Jahrenkann darüber hinaus auch auf die Bilder elektronischzugegriffen werden. Die dafür zur Verfügung stehendeDatenbank „VISOR“ der Firma Megatel ist vom Landesbe-trieb gespiegelt worden und wurde dem Staatsarchiv zurVerfügung gestellt. Sie ermöglicht die blattschnittfreieDarstellung von Rasterkarten jeder Größe und unterstütztverschiedenste Vektorformate. Diese GIS-Technologie(Geographisches Informationssystem) ermöglicht auchVerknüpfungen der Kartographie mit anderen vorhande-nen Datenbankanwendungen. Der Luftbildbestand wirdim Staatsarchiv sowohl für vielfältige private wie auchamtliche Zwecke genutzt, wobei die Altlastenerkundungvon Verdachtsflächen zu den Schwerpunkten zählt. Auf-träge zu Ermittlungen bei Verdachtsflächen werden über-wiegend im Auftrag der Hamburgischen Behörde fürStadtentwicklung und Umwelt an Ingenieurbüros erteilt.Auch bei Ermittlungen von Blindgängern aus dem Zwei-ten Weltkrieg im Zusammenhang mit der Kampfmittel-räumung spielt das vorhandene Material eine nicht uner-hebliche Rolle. Für die neuerdings sehr ins Gesprächgekommene Luftbildarchäologie bietet das vorhandeneMaterial, anhand dessen sogar alte Handelswege undlängst aufgegebene Gehöfte und Festungsanlagen ermit-telt werden konnten, vieles. Konkret konnte so anhand der

Luftbilder eine zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nurkurze Zeit existierende Trapprennbahn im HamburgerStadtteil Langenhorn nachgewiesen werde, die auf keineramtlichen Karte eingezeichnet war. Ein Beispiel für einekuriose Anfrage, die mit Hilfe des Luftbildarchivs gelöstwerden konnte, war die der Staatsanwaltschaft Hamburg,die im Rahmen eines Steuerverfahrens wegen eines nichtangemeldeten Campingplatzes auf einem bäuerlichenBetrieb ermittelte. Anhand der Luftbilder konnte gerichts-verwertbar nachgewiesen werden, seit wann der Land-wirt exakt diesen Nebenerwerb hatte.

Bei Recherchen im Staatsarchiv kann das vorliegendeMaterial zu einzelnen Gelegenheiten natürlich auch an

Die Umgebung des Jungfern-stiegs in Hamburg, Luftbild von1987

Die Innenstadt von Hamburg, Luftbild (Schrägaufnahme) von2000

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Das Stadtarchiv Saarbrücken 1999 bis 2004 –eine ZwischenbilanzDas Stadtarchiv Saarbrücken hat sein Gesicht in den letz-ten sechs Jahren komplett verändert. Vor 1999 lag derSchwerpunkt der Arbeit auf der Verzeichnung derBestände. Danach haben wir damit begonnen, die anderenbisher vernachlässigten Aufgaben zu modernisieren undeffektiv zu strukturieren.

Durch die räumliche Situation bedingt, kann die Über-nahme von Akten aus der Stadtverwaltung nur sehr einge-schränkt durchgeführt werden. Deshalb wird eine Bewer-tung in der Regel nur auf Anfrage der Ämter durchgeführtund wenn diese selbst keinen Platz mehr zur Unterbrin-gung ihrer Akten haben. Der Schwerpunkt der Arbeit imFachbereich Übernahme liegt vor allem in der Erarbeitungeffektiver Verfahren. Am Beispiel der Stadtkämmereihaben wir ein neues Verfahren aufgebaut, das auf einemBewertungsmodell beruht. Dieses wird mit Hilfe einerAblieferungsliste für die archivwürdigen Akten undeinem getrennten Kassationsprotokoll für die nicht archiv-würdigen Akten umgesetzt. Beide Listen werden demArchiv zugesandt. Eine Vernichtung der gemäß Bewer-tungsprotokoll als kassabel eingestuften Akten erfolgterst, wenn das Archiv die Kassationsgenehmigung erteilthat. Die archivwürdigen Akten werden dann von derKämmerei an das Archiv abgeliefert. Parallel dazu exis-tiert die Übernahme mit Ablieferungsliste weiter. Diesewird durchgeführt, wenn noch kein Bewertungsmodellerarbeitet wurde. Dann listen die Ämter die ablieferungs-reifen Akten auf, die Liste wird vom Archiv bewertet, unddanach können die archivwürdigen Akten abgeliefertwerden. In der Regel wird auf der Grundlage der Abliefe-rungsliste ein Bewertungsmodell erarbeitet, das für nach-folgende Ablieferungen nach dem oben beschriebenenersten Verfahren anzuwenden ist. Im Jahr 2004 haben wirein elektronisches Zugangsbuch in Form einer Datenbank-tabelle eingeführt, in das alle übernommenen Beständeeingetragen werden.

In geringem Umfang übernimmt das Stadtarchiv Saar-brücken auch Nachlässe und Deposita, die wichtigstensind die Unterlagen zur Publikation „Geschichte der StadtSaarbrücken“ von Dr. Rolf Wittenbrock und die Unterla-gen einer Schlosserei in Alt-Saarbrücken, die Arbeiten fürviele Kirchenbauten in Saarbrücken ausgeführt hat.

Das Magazin des Stadtarchivs Saarbrücken verfügtlediglich über eine Belüftung, deshalb entsprechen die Kli-mawerte nicht den anerkannten Standards. Die Tempera-turwerte schwanken zwischen ca. 10° C und ca. 30° C, dierel. Luftfeuchte bewegt sich zwischen ca. 30% und 65%.Aufgrund dieser Klimawerte habe ich 1999 eine kontinu-ierliche Überwachung des Magazinklimas mit Termohy-grografen eingeführt und eine Mitarbeiterin mit der

Anlage eines Schadenskatasters beauftragt. Zwischen1999 und 2001 hat sie Schäden am Archivgut systematischüber ein Formular erfasst. Anhand dieser Bestandsauf-nahme können gezielt Gegenmaßnahmen ergriffen wer-den. Dazu gehören unter anderem die sachgerechte Verpa-ckung ungeschädigter und die Sanierung geschädigterBestände. Die wichtigsten Verpackungsmaßnahmen wur-den an Akten des Sozialamtes, Glasnegativen und Mikro-fiches der Meldekartei durchgeführt. Daneben wurde dieSanierung und Verfilmung des Bestandes Bgm. Gersweilerbegonnen. Die Begasung und Reinigung der verschimmel-ten Akten ist abgeschlossen, die Verfilmung ist für etwaein Drittel des Bestandes fertiggestellt. Des Weiteren wur-den unsachgemäß in Büroräumen untergebrachte Fotobe-stände ins Magazin umgelagert sowie Bindearbeiten anZeitungsbeständen und Zivilstandsregistern vorgenom-men.1 Als Vorarbeit für eine systematische Magazinlogis-tik wurde eine Inventur der Archivbestände durchgeführt,nach der Überarbeitung der Daten soll daraus eine Daten-bank der Lagerorte entstehen.

Da die Aktenbestände bis 1945 im Wesentlichen und einTeil der Unterlagen aus der Nachkriegszeit bis 1960 er-schlossen sind, wurde der Erschließungsschwerpunkt inden letzten Jahren auf die Sammlungs- und Mischbe-stände gelegt. Der Mischbestand Karten und Pläne wurdevon einer befristet beschäftigten Kraft weiter erschlossen,diese Kraft hat auch den Bestand Luftbilder aus den 20erJahren des 20. Jahrhunderts verzeichnet.

Für die im Stadtarchiv vorhandene zeitgeschichtlicheDokumentation wurde ein neues Sammlungsprofil erar-beitet, das sich auf den Sprengel des Stadtarchivs beziehtund nicht mehr das ganze Land umfasst. Des Weiterenwurde die Systematik überarbeitet und auf ein offenes Sig-naturensystem umgestellt. Nach dieser neuen Systematikwird das eingehende Dokumentationsmaterial kontinu-ierlich in EDV erfasst. Für die Erschließung der Ansichts-karten wurde ein EDV-Formular erarbeitet, in dem die neuerworbenen Ansichtskarten erfasst werden, parallel dazuwurden die vorhandenen Ansichtskarten ins System ein-gearbeitet. Für die Stadtchronik hat eine Mitarbeiterin seitAnfang 2004 eine Datenbanktabelle erarbeitet, in der rele-vante Nachrichten zum städtischen Geschehen aus derSaarbrücker Zeitung eingetragen werden. Die Systematikder Stadtchronik richtet sich nach dem Dokumentations-profil für die Landeshauptstadt Saarbrücken.

Die zuständigen Mitarbeiterinnen haben unter meinerAnleitung den Benutzungsbereich mit dem Ziel umgestal-tet, kundenfreundliche Benutzungsbedingungen zu schaf-fen, die aber gleichzeitig einen schonenden Umgang mitArchivgut gewährleisten. Die Findmittel wurden freizugänglich gemacht sowie ein Handapparat mit Literaturzur Stadtgeschichte und zur Familienforschung aufge-stellt. Darüber hinaus haben wir die Öffnungszeiten anmoderne Anforderungen angepasst und den Benutzungs-dienst teilweise neu organisiert, um die Abläufe zuerleichtern. Als Informationsmedien für die Benutzerhaben wir erstmals ein Faltblatt zum Archiv und eineHomepage erarbeitet. Seit 2004 stellen wir unseren Benut-zern Bleistifte mit Aufdruck der Mail-Adresse des Stadtar-chivs für die Benutzung im Lesesaal und zum Mitnehmenzur Verfügung.

1 Irmgard Christa Becker, Die Konservierungsmaßnahme am BestandBürgermeisterei Gersweiler, in: Unsere Archive Nr. 48, Mai 2003, S. 44.

einem Stereoskop-Tisch ausgewertet werden. DieseMethode erlaubt es, quasi auf den ersten Blick Auffällig-keiten im Gelände festzustellen. Sämtliche Benutzungensind allerdings kostenpflichtig, da die Ermittlung vonFotos zu einzelnen Flächen umfangreiche Recherchenerfordern. Das vorgelegte Material kann auf Bestellungder Kunden neben der traditionellen analogen Form(Fotoabzug) auch in digitaler Form (auf CD-Rom) verviel-fältigt werden.

Hamburg Joachim Frank

67Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Die wissenschaftliche Nutzung ließ vor sechs Jahren zuwünschen übrig, deshalb habe ich die Dozenten am Histo-rischen Institut der Universität gezielt ins Archiv eingela-den mit dem Hinweis auf Quellenbestände, die zum jewei-ligen Thema der Lehrveranstaltung im Stadtarchiv vor-handen sind. Dieses Angebot wird seit 2002 mehrfach imSemester wahrgenommen. Es hat dazu geführt, dass dieBenutzungszahlen im wissenschaftlichen Bereich deutlichgestiegen sind.

Mit den Familienforschern, die eine wichtige Klienteldes Archivs sind, arbeiten wir eng zusammen. Mitgliederder Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familien-kunde e.V. (ASF) erarbeiten ehrenamtlich Familienbücheraus den Kirchenbücherbeständen des Stadtarchivs. DieDaten sollen nach Abschluss der Arbeit dem Archiv über-geben und für die Benutzung bereitgestellt oder publiziertwerden. Damit können die stark genutzten und daher inihrer Existenz gefährdeten Kirchenbücher geschont wer-den. Seit 2002 digitalisiert die ASF die Kirchenbücher desStadtarchivs auf der Grundlage einer Sicherungsverfil-mung. Die Digitalisate werden dem Archiv kostenlos aufCD-ROM zur Verfügung gestellt und können hier für dieAnfertigung von Reproduktionen genutzt werden. ImGegenzug kann die ASF die Digitalisate für ihre Zweckenutzen.

Die Verfahren der schriftlichen Anfragenbearbeitungsind seit 2001 neu geordnet und standardisiert. Für Aus-künfte aus den Kirchenbüchern, den Zivilstandsregisternund den Melderegistern haben wir Formulare erarbeitet,in die die erforderlichen Angaben standardisiert eingetra-gen werden. Dadurch können diese Anfragen nicht nurerheblich schneller und rationeller als früher sondern auchvon Anlernkräften bearbeitet werden. Die Recherche fürwissenschaftliche Anfragen wurde auf die Findbuch-Ebene begrenzt.2

Das Stadtarchiv Saarbrücken nach außen zu öffnen undfür die Bevölkerung Stadtgeschichte sichtbar zu machen,war von Anfang an eine meiner wichtigsten Aufgaben.Deshalb haben wir seit 1999 anlassbezogen Ausstellungengemacht und gemeinsam mit mehreren Kooperationspart-nern Veranstaltungen entwickelt. Hervorzuheben sind diebeiden Ausstellungen zum Rathaus St. Johann. Die tempo-räre Ausstellung „100 Jahre Rathaus St. Johann“ waranlässlich des Jubiläums der Rathauseinweihung am23./24. Juni 1900 vom 4. 8.–8. 9. 2000 zu sehen. Die Aus-stellung wurde in Zusammenarbeit mit dem Stadtkonser-vator und dem Kunsthistorischen Institut der Universitätdes Saarlandes erarbeitet. Aus den Materialien wurdedann eine Dauerausstellung zusammengestellt, die vonJuni 2001 bis Ende 2002 im Rathaus St. Johann aufgestelltwar.3 Im Jahr 2004 haben wir einen Fotobestand, den wirbei der Bewertung von Pacht- und Mietakten im Liegen-schaftsamt entdeckt hatten, zum Thema einer Ausstellunggemacht. Die Bilder zeigen das zerstörte Saarbrücken. Inder Ausstellung waren ca. 50 Bilder aus dem Gesamtbe-stand zu sehen, die nach den drei großen Stadtteilen Alt-Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach geordnet

2 Ausführlich in: Irmgard Christa Becker, Effizienz und Effektivität = Ein-sparpotentiale? Einige Beispiele aus dem Stadtarchiv Saarbrücken, in:Archive auf dem Markt? Vermarktung und Verwaltung archivischerDienstleistungen, Vorträge im Rahmen des 63. Südwestdeutschen Ar-chivtags am 17. Mai 2003 in Ludwigshafen am Rhein, Stuttgart 2004,S. 15–22.

3 Ausführlich in: Ebd.

waren. Ergänzt wurden sie durch Bilder aus den anderenFotobeständen des Stadtarchivs, aus denen wir Bilder vonzerstörten Symbolbauten der Saarbrücker Stadtgeschichtegezeigt haben. Diese Ausstellung war als Wanderausstel-lung konzipiert, sie wurde innerhalb eines halben Jahresan sechs Standorten gezeigt.

Aus der stadtgeschichtlichen Vortragsreihe des Jubilä-umsjahres 1999 ist seit 2000 das Historische Quartett er-wachsen, eine Diskussionsveranstaltung, die wir gemein-sam mit der Landeszentrale für politische Bildung, demHistorischen Verein für die Saargegend und teilweise auchdem Saarländischen Rundfunk durchführen. Sie findet inunregelmäßigen Abständen zu historischen Themen mitaktuellem und regionalem Bezug statt. Auf Anfrage stelleich die Arbeit des Stadtarchivs in Vorträgen vor (bisherKatholische Akademie, Historischer Verein für die Saarge-gend, Heimatverein Gersweiler, Kolloquim „Grenzenohne Fächergrenzen“ an der Universität des Saarlandes).

Im Stadtarchiv ist 1999 ein Bildband zu den 50er Jahrenin Saarbrücken entstanden, der beim Wartberg-Verlagpubliziert wurde. Im Rahmen der Ausstellung „100 JahreRathaus St. Johann“ wurde eine Broschüre und eine CD-ROM zum Rathaus herausgegeben. Seit 2000 unterhält dasArchiv einen Shop, in dem Publikationen des Stadtarchivs,Ansichtskarten zum Rathaus und Hilfsmittel für Nutzer-Innen erhältlich sind.

Mit der Wiederbesetzung der Leitungsstelle mit einemhöheren Archivdienst wurden 1999 nicht nur die Weichenfür qualifizierte Arbeit gestellt, es war auch von Anfang anmein Ziel, die Personalausstattung in Bezug auf die fachli-che Qualifikation zu verbessern. Inzwischen konnte icheine angelernte Kraft durch eine Diplomarchivarin (FH)ersetzen. Darüber hinaus wurde eine Kraft aus der Verwal-tung ins Archiv umgesetzt, die einen Teil der Sammlungenbetreut, allgemeine Verwaltungsaufgaben erledigt und fürdie Organisation der Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.Daneben sind noch 3,5 Kräfte im mittleren Dienst und eineSekretärin beschäftigt. Damit die anfallenden Aufgabenim Bereich des gehobenen Archivdienstes erledigt werdenkönnen, ist mittelfristig ein/e weitere/r Diplomarchivar/in erforderlich. In Abstimmung mit dem Personalamtsuchen wir derzeit nach einer Möglichkeit, diese Persona-lisierung ggf. innerhalb der Verwaltung durch Qualifizie-rung zu realisieren. Seit September 2004 wird ein Fachan-gestellter für Medien- und Informationsdienste in derFachrichtung Archiv und damit der erste im Saarland aus-gebildet. Für die Ausbildung zum/zur Fachangestelltenfür Medien- und Informationsdienste der Stadtbibliothekund des Saarländischen Rundfunks wurden seit dem Jahr2000 regelmäßig Praktikumsplätze angeboten.

Die finanzielle Situation hat sich gebessert, 1999 stan-den insgesamt nur 15000 DM verfügbare Mittel bereit,inzwischen kann das Stadtarchiv über etwa 50000 EURverfügen. Trotzdem müssen gerade Maßnahmen im Fach-bereich Bestandserhaltung über mehrere Jahre gestrecktwerden, damit sie überhaupt realisiert werden können.

Die sächliche Ausstattung hat sich insofern positiv ent-wickelt, als seit 2000 alle Arbeitsplätze mit einem PC aus-gestattet sind und das Stadtarchiv seit 2003 komplett andas städtische Intranet und mit vier Arbeitsplätzen an dasInternet angeschlossen ist. Darüber hinaus verfügt dasStadtarchiv über einen Scanner und einen CD-Brenner, mitdem Reproduktionen angefertigt werden können. Damitsind aber nur Reproduktionen von Fotoabzügen und

68 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Dokumenten bis Größe A 4 möglich. Die vorhandenenFotonegative können für Reproduktionen nicht genutztwerden. Die Bestände sind auch nur zu einem sehr gerin-gen Teil verfilmt, so dass die Anfertigung von Reproduk-tionen nur über externe Dienstleister erfolgen kann. Ineinem Archiv mittlerer Größe, dessen Auftragsvolumenfür einen gewerblichen Anbieter uninteressant ist, führtdas zu einem relativ großen Aufwand, der den Benutzernkostendeckend in Rechnung gestellt wird.

Wie zu Anfang erwähnt, sind die Magazinräume desStadtarchivs fast vollständig belegt, die Büroräume ent-sprechen zum größten Teil nicht den Vorschriften derArbeitsstättenverordnung. Deshalb führe ich seit 1999 eineDiskussion über eine neue Unterbringung des Stadtar-chivs Saarbrücken.

Mit den dargestellten Maßnahmen sind im Wesentli-chen die Grundlagen für qualifizierte Arbeit auf einemakzeptablen Niveau geschaffen. Es bleibt abzuwarten, wiesich das Stadtarchiv Saarbrücken vor dem Hintergrundschwindender städtischer Ressourcen entwickeln kann.

Saarbrücken Irmgard-Christa Becker

AG Archive der Leibniz-Gemeinschaft gegründetDie Leibniz-Gemeinschaft ist 1995 aus der „Arbeitsge-meinschaft Blaue Liste“ hervorgegangen, einem losenZusammenschluss von Instituten, Museen und Service-einrichtungen, die gemeinsam von Bund und Länderngefördert wurden. Neben der Max-Planck-Gesellschaft(MPG), der Helmholtz-Gesellschaft (HGF) und der Fraun-hofer-Gesellschaft (FhG) zählt die Leibniz-Gemeinschaftzu den großen Wissenschaftsorganisationen in Deutsch-land. Sie umfasst gegenwärtig 84 außeruniversitäre For-schungsinstitute und Serviceeinrichtungen für die For-schung. 1997 wählte die Gemeinschaft Gottfried WilhelmLeibniz (1646–1716), gleichermaßen Philosoph, Mathema-tiker, Physiker und Ingenieur wie Wissenschaftsmanagerund Bibliothekar, zu ihrem Namensgeber. Leitidee wardabei dessen enge Verbindung von Theorie und Praxis(theoria cum praxi), die das Leitbild der Leibniz-Institutewiderspiegelt. Grundlage des Fördermodells und Auf-nahmekriterium in die Leibniz-Gemeinschaft bildet dieVoraussetzung, dass die Forschungs- und Dienstleistungs-aufgaben der Mitgliedseinrichtungen von überregionalerBedeutung und von gesamtstaatlichem wissenschaftspoli-tischen Interesse sind.

Das Aufgabenspektrum der Leibniz-Institute ist breit.Es reicht von den Raum- und Wirtschaftswissenschaftenüber weitere gesellschaftswissenschaftliche Forschungs-projekte bis in die Natur-, Ingenieur- und Umweltwissen-schaften. Die Leibniz-Gemeinschaft gliedert sich deshalbin fünf Sektionen, diese sind Geisteswissenschaften undBildungsforschung (Sektion A), Wirtschafts-, Sozial- undRaumwissenschaften (Sektion B), Lebenswissenschaften(Sektion C), Mathematik, Natur- und Ingenieurwissen-schaften (Sektion D) und schließlich Umweltwissenschaf-ten (Sektion E). Quer zu den Sektionen haben sich zudemdie 20 wissenschaftlichen Serviceeinrichtungen in einemInterdisziplinären Verbund (IVS) zusammengeschlossen.Die Mitgliedsinstitute verstehen sich als Kooperations-partner von Wissenschaft, Industrie, Behörden und Poli-tik, wobei die wissenschaftliche Kooperation mit denHochschulen besonders eng ist. In den 84 Leibniz-Institu-ten sind derzeit knapp 13 000 Mitarbeiter beschäftigt.

Im Zuge der Selbstorganisation sind in den letzten Jah-ren innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft neben den Steue-rungs- und Aufsichtsgremien eine Reihe von Arbeitskrei-sen gegründet worden. So bestehen aktuell Arbeitskreisezu den Bereichen Presse und Öffentlichkeitsarbeit,Europa, IT (Datenverarbeitung und Informationstechnik),Chancengleichheit für Frauen und Männer sowie Wissens-transfer. Im November 2000 konstituierte sich darüberhinaus der Arbeitskreis Bibliotheken und Informations-einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft. In ihm sindrund 70 Bibliotheken der Leibniz-Institute, die zur Leib-niz-Gemeinschaft gehörenden Servicestellen für Fachin-formation sowie die Fachinformationseinrichtungen undschließlich die drei großen deutschen Zentral- und Fachbi-bliotheken (Technische Informationsbibliothek Hannover,Deutsche Zentralbibliothek für Medizin Köln und Zentral-bibliothek für Wirtschaftswissenschaften Kiel) zusam-mengeschlossen.

Die Gründung des Arbeitskreises Bibliotheken undInformationseinrichtungen erfolgte vor dem Hintergrundstetiger Innovation und kostenintensiver technologischerHerausforderungen im Bibliothekssektor. Als ein zentra-les Ziel seiner Arbeit wurden deshalb in- und externeKooperationsbemühungen der Beteiligten benannt, umdie aus Digitalisierung, wachsenden Kundenansprüchen,erhöhtem Kostenbewusstsein sowie Konkurrenz undWettbewerb resultierenden Probleme zu bewältigen.Angesichts der heterogenen Zusammensetzung, die vonzahlreichen One-Person-Libraries (OPL) bis zu den großenzentralen Fachbibliotheken reicht, boten sich innerhalbder Leibniz-Gemeinschaft besonders gute Voraussetzun-gen und Chancen. So sind inzwischen durch den Arbeits-kreis u. a. Sonderkonditionen für interne Produkte derGemeinschaft ausgehandelt, gemeinsame Weiterbil-dungsaktivitäten initiiert und Einkaufs- und Konsortial-gemeinschaften gebildet worden.

Im Hinblick auf die gerade aus der Heterogenität derLeibniz-Institute erwachsenden Chancen für ein koordi-niertes Vorgehen hat sich nun auch eine Arbeitsgemein-schaft (AG) Archive der Leibniz-Gemeinschaft gegründet.Die konstituierende Sitzung, an der Vertreter von neunLeibniz-Instituten teilnahmen, fand am 5. April 2005 imHamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv statt. Als Orga-nisationsform wurde zunächst die Arbeitsgemeinschaftgewählt, als deren Sprecher wurden Dr. Michael Farren-kopf (Bergbau-Archiv beim Deutschen Bergbau-MuseumBochum) und Dr. Wilhelm Füßl (Archiv des DeutschenMuseums, München) bestimmt. Als koordinierenderAnsprechpartner der Leibniz-Gemeinschaft fungiert Dr.Martin Thomé. Es wird angestrebt, die AG zukünftig inden Status eines Arbeitskreises der Leibniz-Gemeinschaftzu überführen.

Bei mehreren der an der AG Archive bislang beteiligtenEinrichtungen bestehen Verbindungen zu den verschiede-nen archivischen Fachverbänden in Deutschland. Dies giltinsbesondere für den Verband deutscher Archivarinnenund Archivare e. V. (VdA) oder auch für die Vereinigungdeutscher Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW). Die Partizipa-tion an der AG Archive der Leibniz-Gemeinschaft wirdseitens der Mitglieder jedoch als eine weitere wichtigePlattform zur Koordination gemeinschaftlicher fachlicherInteressen verstanden. So sind es insbesondere dieArchive, die in besonderer Weise an der Grundmission derLeibniz-Gemeinschaft teilhaben. Sie dokumentieren

69Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

exemplarisch die gesamtgesellschaftliche Relevanz unddie nationale wissenschaftspolitische Bedeutung derGemeinschaft in ihrer ganzen Vielfalt.

Auf der Grundlage dieses Selbstverständnisses hat sichdie neu gegründete AG Archive zunächst folgende grund-legende Ziele gesetzt: Durch die Vernetzung und denInformations- und Erfahrungsaustausch der Archive derLeibniz-Gemeinschaft sollen trotz der unterschiedlichenStrukturen und Arbeitsbereiche Synergieeffekte erzieltund genutzt werden. Ferner soll durch den Verbund diePosition der Archive in der Außendarstellung gestärktsowie die Interessenvertretung institutionalisiert werden.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen folgende Grund-linien der Zusammenarbeit im Vordergrund: Als Basis giltein verstärkter Austausch über archivische Fachfragensowie eine Vernetzung von Ressourcen und Erfahrungen.Ähnlich wie beim Arbeitskreis Bibliotheken und Informa-tionseinrichtungen ist zu erwarten, dass durch eine engereKooperation zwischen den institutionell unterschiedlichausgestatteten Archiven der Leibniz-Gemeinschaft bis-lang ungenutzte Potenziale ausgeschöpft werden können.Hierfür müssen trotz erkennbarer Unterschiede gleich-wohl bestehende gemeinsame Strukturen zunächst erar-beitet und gekennzeichnet werden. Auf dieser Grundlagesollen durch vernetzte Kommunikation gemeinsame undaktuelle Präsentationsformen für die Archive der Leibniz-Gemeinschaft gefunden werden. Mit Hilfe der genanntenMaßnahmen wird mittelfristig die außerordentliche Band-breite des Archiv- und Dokumentationsgutes innerhalbder Leibniz-Institute deutlicher als bislang erkennbar sein.

Ein besonderes Charakteristikum der Archive der Leib-niz-Gemeinschaft ist die durchweg vorhandene zusätzli-che Ausrichtung auf inhaltliche Forschungsaktivitäteninnerhalb der Aufgaben der Leibniz-Institute. Mehrheit-lich handelt es sich also um Forschungsarchive, die dasArchivgut ihrer Zuständigkeit nicht allein externer Nut-zung zur Verfügung stellen. Als mittelfristiges Ziel ver-folgt die AG Archive der Leibniz-Gemeinschaft deshalbauch die Entwicklung interdisziplinärer, drittmittelgeför-derter Forschungsprojekte auf Basis der heterogenenÜberlieferung.

Die AG Archive der Leibniz-Gemeinschaft erarbeitetderzeit eine Broschüre, in der Profile, Bestände, Samm-lungsschwerpunkte und Serviceleistungen der betreffen-den Einrichtungen in einheitlicher Form präsentiert wer-den. Anlässlich der Jahrestagung der Leibniz-Gemein-schaft vom 22. bis 24. November 2005 in Bonn wird sie sicherstmals in größerem Kreise präsentieren.

Bochum Michael Farrenkopf

Das Deutsche Tagebucharchiv bewahrt geschriebenesLeben – eine wertvolle Fundgrube für Wissenschaftlerund JournalistenIn der südbadischen Kreisstadt Emmendingen hat sich eine bun-desweit einmalige Institution etabliert, die sich der Bewahrungvon wertvollen Zeitzeugnissen aus über 200 Jahren verschriebenhat: Am 14. Januar 1998 gründete Frauke v. Troschke gemein-sam mit weiteren Ehrenamtlichen das Deutsche Tagebucharchive. V. (DTA) mit dem Ziel, Lebenszeugnisse von Privatpersonenzu sammeln, aufzubewahren und sowohl der Wissenschaft alsauch der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Motivation zur Gründung: Für private Lebenszeugnissewie Tagebücher, Briefwechsel und Lebenserinnerungen

gab es, im Gegensatz zu kommunalem oder staatlichemSchriftgut, zuvor keine deutsche Institution, die sich ihrermit einem solchen Archivkonzept annahm. Eine Fülle vonDokumenten persönlicher Überlieferung verschwand imKeller oder auf dem Müll, da die Nachkommen den Bezugzu den schreibenden Vorfahren verloren hatten oder dieSchrift nicht mehr lesen konnten. „Dabei sind autobiogra-fische Zeugnisse wichtige Quellen für die Geschichts- undKulturforschung aus dem Blickpunkt der gewöhnlichenMenschen, vor allem für die Erforschung der Alltagsge-schichte. Historische Ereignisse und Zeitläufe werdendurch sie nachvollziehbar. Durch die Gründung des DTAgibt es nun die Möglichkeit, diese Dokumente für die All-gemeinheit zugänglich aufzubewahren“, so Frauke vonTroschke.

Die Aufgabe des Archivs: Das DTA versteht sich als Sam-melstelle für deutschsprachige Zeitzeugnisse. Hier wer-den Tagebücher, Erinnerungen und private Briefwechselaufbewahrt. Es geht nicht um Lebenszeugnisse bedeuten-der Persönlichkeiten der Geschichte, sondern um dieBewahrung der Alltags- und Mentalitätsgeschichte breite-rer Bevölkerungsschichten.

Jeder und jede Interessierte kann hier unveröffentlichteautobiographische Dokumente abgeben. Dabei kann essich um eigene schriftliche Zeugnisse, aber auch um dieder Vorfahren oder von anderen Personen handeln. Ein-zige Bedingung für die Aufnahme in den Sammelbestandist der autobiographische Bezug. Im DTA werden dieDokumente gelesen, inhaltlich erschlossen und wissen-schaftlich interessierten Nutzern zugänglich gemacht.

Aufbau des Archivs: Das Archiv ist ein eingetragener Ver-ein und zählt im Oktober 2005 bereits rund 370 Mitglieder.Vorsitzende des Vereins ist nach wie vor Frauke vonTroschke. Schirmherr ist der Oberbürgermeister der StadtEmmendingen Stefan Schlatterer. Im Archiv arbeitet einhauptamtlicher Büroleiter mit. Allerdings wäre die Arbeitdes Archivs undenkbar ohne die engagierte und zeitinten-sive Mitarbeit von rund 75 Ehrenamtlichen.

Das Archiv hat seinen Sitz in den Räumen des AltenRathauses Emmendingen, die die Stadt Emmendingen zurVerfügung stellt.

Bestand: Rund 3500 einzelne Tagebücher, Erinnerungenund Briefwechsel (über 1250 Signatur-Nummern) wurdenbisher zusammengetragen. Sie stammen aus der Zeit vonEnde des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Die Zahl derEinsendungen führt deshalb zum beachtlichen Gesamtbe-stand des Archivs, weil es u. a. Tagebücher gibt, die überviele Jahre geschrieben wurden und somit aus mehrerenBänden bestehen. Jeweils rund 40 Prozent der eingesand-ten Dokumente bestehen aus Tagebüchern und aus Erin-nerungen.

Tagebücher werden von noch lebenden Verfassern sel-tener als Lebenserinnerungen übergeben. Dies hat sicher-lich damit zu tun, dass Tagebücher die Gefühle undGedanken eines Menschen viel ungefilterter wiedergebenals Lebenserinnerungen. Und es besteht eine Scheu, sehrpersönliche Geständnisse, die man eben nur dem Tage-buch anvertraut, der Öffentlichkeit preiszugeben.

Inhaltlich beschäftigt sich ein Großteil der Dokumentemit der Zeit der beiden Weltkriege, wobei der Zweite Welt-krieg wiederum den Hauptanteil bildet. Dies liegt aus reinzeitlichen Gründen nahe. Die Generation, die währenddes Zweiten Weltkrieges jung war, bringt nun ihre Erinne-rungen zu Papier. Hier zeigt sich deutlich, wie vielen Men-

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schen es wichtig ist, dass ihre Erfahrungen bewahrt blei-ben und sie sich wünschen, dass sie öffentlich zugänglichgemacht werden. Traumatische Erinnerungen, die nachJahrzehnten immer noch nicht den Weg über die Lippengefunden haben, werden ausführlich in Lebenserinnerun-gen dokumentiert. Die Schreiberinnen und Schreiber hof-fen auf eine Würdigung ihrer Lebensgeschichte, indemauch andere davon erfahren. Das DTA bietet diesen wich-tigen Dokumenten einen Platz.

Weitere thematische Schwerpunkte der Aufzeichnun-gen sind Krankheiten, Familiengeschichten, die aufgrundbesonderer Vorkommnisse aufgeschrieben wurden, per-sönliche Reflexionen, Reisetagebücher, Briefwechsel zwi-schen Soldaten und ihren Familien, Tagebücher vonJugendlichen, Briefe von Verliebten und vieles mehr.

Archivierungsverfahren: Mit allen Einsendern von Doku-menten schließt das DTA Nutzungsverträge ab. Im Archiverhält das Dokument eine Signatur und wird in ein Find-buch eingetragen. Dann wird es kopiert und von einemMitglied der Lesegruppe gelesen. Die Leser füllen dendetaillierten Erfassungsbogen aus, der Fragen zum Inhaltdes Textes auflistet, d. h. zu allen Themen, die angespro-chen werden (Ehe, Familie, Arbeit, Krankheit, Trauer,soziale Konflikte, Politik, Selbstreflexion, Religiosität etc.).Auch die Orte, Regionen und Begleitumstände sowiebekannte Persönlichkeiten, die erwähnt sind, werdenerfasst.

Eine für das DTA entwickelte Datenbank wurde imAugust 2001 installiert. Hier werden nach und nach alleTexte inhaltlich erfasst. Der größte Teil des Bestandes istbereits in das PC-System eingegeben und kann zum Bei-spiel anhand des Schlagwortverzeichnisses abgefragt wer-den.

Die Lesegruppe: Die Arbeit der ehrenamtlich tätigenLesegruppe steht im Zentrum der Archivarbeit. Ihre Auf-gabe ist es, die eingehenden Texte zu lesen und inhaltlichzu erschließen. Derzeit arbeiten hier etwa 60 Leserinnenund Leser mit. Über 30 von ihnen stammen aus der nähe-ren Region („interne Leser“) und die anderen aus demgesamten Bundesgebiet („externe Leser“).

Die beiden internen Gruppen werden jeweils von zweiLeiterinnen fachlich betreut. Die Teilnehmer lesen einDokument zu Hause und füllen nach der Lektüre einenErfassungsbogen aus. Jeweils einmal im Monat treffen sichdie internen Gruppen, um die ausgewerteten Texte zubesprechen. Sie tauschen ihre Leseerfahrungen aus undsammeln Vorschläge für die öffentlichen Veranstaltungendes DTA. Die externen Leser erhalten die Dokumente aufdem Postweg. Ihre Lesetätigkeit wird von zwei weiterenMitarbeiterinnen koordiniert. Grundsätzlich kann jedeund jeder Interessierte in den Lesegruppen mitarbeiten(derzeit Warteliste für externe Leser). Voraussetzung istsatzungsgemäß die Mitgliedschaft im Deutschen Tage-bucharchiv e. V.

Aktivitäten: Das DTA ist nicht nur Archiv im eigentli-chen Sinne. Durch Veranstaltungen, wie die alljährliche„Zeitreise“-Lesung, ist das Archiv ein Forum für individu-elle Lebensgeschichten vor gesamtgesellschaftlichem Hin-tergrund. 2004 lautete das Thema „Schule – Lust undFrust“ (Schirmherrin: Dr. Annette Schavan, Ministerinfür Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württem-berg). Zu den Aktivitäten innerhalb des gesamten Bundes-gebiets gehören alljährlich mehrere Lesungen, Ausstellun-gen an verschiedenen Orten oder Schreibwerkstätten. ImHerbst 2005 beteiligte sich das DTA beispielsweise an den22. Baden-Württembergischen Literaturtagen mit einerAusstellung im dortigen Rathaus-Foyer. Im Herbst 2004erfuhr das DTA eine ehrenvolle Unterstützung durch einGrußwort des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse.Besonderes Beispiel für das große Medieninteresse: DTA-Porträt in der GEO-Ausgabe vom Januar 2005.

Europa: Vorbild bei der Gründung des Deutschen Tage-bucharchivs war das italienische Archivio DiaristicoNazionale in Pieve S. Stefano bei Arezzo. Dieses Archivwurde 1985 von dem italienischen Journalisten SaverioTutino gegründet. Enge Kontakte pflegt das DTA auchmit dem französischen Tagebucharchiv in Ambérieu unddessen Gründer Philippe Lejeune. Nähere Informatio-nen zu weiteren europäischen Sammelstätten für autobio-grafische Dokumente sind auf www.tagebucharchiv.de zufinden.

Nutzungsmöglichkeiten: Für die Erforschung von zeitge-schichtlichen Phänomenen ist das DTA eine Fundgrube.Obwohl innerhalb der Geschichtswissenschaft die All-tags- und Mentalitätsgeschichte inzwischen fest veran-kerte und anerkannte Forschungszweige sind, so gibt esdoch nur wenige Institutionen, in denen „die Geschichte“– oder besser: die Geschichten – von unbekannten Perso-nen systematisch gesammelt und der Wissenschaftzugänglich gemacht werden. Doch nicht nur Historikerfinden im Deutschen Tagebucharchiv Material zur Beant-

Altes Emmendinger Rathaus als Sitz des Deutschen Tagebuchar-chivs

71Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

wortung verschiedenster fachspezifischer Fragestellun-gen. Auch Vertreter der Fachbereiche Volkskunde, Germa-nistik, Psychologie, Medizin-Soziologie, Politologie, Theo-logie und Philosophie nutzen bereits diese Quellen.

Die zunehmende wissenschaftliche Auseinanderset-zung mit autobiographischem Material erklärt sich zumTeil aus einem Paradigmenwechsel, der sich speziellinnerhalb der Sozial-, aber auch innerhalb der Geisteswis-senschaften seit den 80er-Jahren vollzogen hat. Anstellegroß angelegter quantitativer Forschungen scheint dieexemplarische Analyse anhand von „Fallstudien“ oftmalsinteressanter und aufschlussreicher, wenn es um dieErklärung sozialer, psychologischer, historischer oderpolitischer Phänomene geht.

Archiv-Nutzer haben Zugriff auf eine Präsenzbiblio-thek, die die Kopien der eingesandten Lebenszeugnisse ingebundener Form beinhaltet. Recherchen können vor Ortvon den Nutzern selbst vorgenommen oder dem DTA inAuftrag gegeben werden.

Wissenschaftlicher Beirat: Satzungsgemäß ist dem Vor-stand ein Beirat zugeordnet, der diesen in wissenschaftli-chen Fragen (u. a. bei der Auswertung der archiviertenDokumente) berät. Die Mitglieder des Beirats sind Profes-soren der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie wei-tere Experten auf dem Gebiet der Biografieforschung.

Führungen und Öffnungszeiten: Das Archiv ist für Besu-cher montags bis freitags von 10 bis 12 Uhr und dienstagsund mittwochs von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Für Nutzer desArchivs und für Führungen stehen weitere Zeiten zur Ver-fügung. Führungen für Schulklassen, Gruppen und Pri-vatpersonen werden auf Anfrage durchgeführt.

Finanzierung und Mitgliedschaft: Finanziell wird dieArbeit des DTA wesentlich von Mitgliedsbeiträgen undSpenden getragen. Wichtige Förderer sind darüber hinausdie Stadt Emmendingen, das Regierungspräsidium Frei-burg und die Sparkasse Freiburg – Nördlicher Breisgau.Eine Anschub-Finanzierung erhielt das DTA 2001/2002von der Landesstiftung Baden-Württemberg.Kontakt: Deutsches Tagebucharchiv e. V.

Marktplatz 179312 EmmendingenTelefon 07641/574659Fax 07641/[email protected]: Postfach 1268, 79302 Emmendingen

Archivierung, Bewertung und ErschließungVgl. auch die Beiträge „13. Sächsischer Archivtag ...“ (untenunter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen“),„Erschließungsinformationen ...“ (unten unter der Rubrik„Auslandsberichterstattung – Internationales“).

DFG-Projekt „Demontagen in der SBZ und Berlin1945–1948 – Sachthematisches Inventar“Ein durch die DFG gefördertes Projekt des BrandenburgischenLandeshauptarchivs (BLHA) und des Zentrums für Zeithistori-sche Forschung Potsdam (ZZF)Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges demontierte dieSowjetunion in ihrer Besatzungszone und Berlin rund3470 Objekte, 5114000 Millionen Tonnen Material wurden

abtransportiert. Diese Demontagen hatten einschnei-dende Folgen für die ostdeutsche Wirtschaft und beein-flussten die Entwicklung der Gesellschaft in erheblichemUmfang. Sowohl das Ausmaß wie die Folgen dieser Politiksind gleichwohl erst wenig erforscht.

1997 wurde durch Jochen Laufer (ZZF) in Moskau, imBestand des Chefs der Zentralen Statistischen Verwaltungder UdSSR, eine „Liste der demontierten und in dieUdSSR aus der Sowjetischen Besatzungszone in Deutsch-land abtransportierten Betriebe“ aufgefunden. DieserFund war Anlass für zwei Arbeitstreffen deutscher undrussischer Historiker und Archivare, die schließlich in dasvon der DFG finanzierte gemeinsame Projekt des Bran-denburgischen Landeshauptarchivs und des Zentrums fürZeithistorische Forschung mündeten.

Ziel des Projektes ist die systematische Erfassung derQuellen mit Demontagebezug auf der Ministerialebene,außerdem die Verifizierung der Moskauer Liste (ZZF-Liste). Mit Hilfe des sachthematischen Inventars soll dieForschung befeuert und die Handhabe geboten werden,entsprechende Quellen in den Archiven zügig aufzufin-den. Seit Januar 2005 wurden bereits die relevantenBestände mehrerer Landeshaupt- und Hauptstaatsarchiveverzeichnet.

Informationen zum Erschließungsprojekt sind abzuru-fen unter:http://www.zzf-pdm.de/demontage.htmlBearbeiter:Dr. Klaus Jochen Arnold (BLHA)Betreuer:Dr. Klaus Neitmann, Torsten Hartisch (BLHA)Dr. Jochen Laufer (ZZF)

„Crossing Krauland“ – Die Erschließung des Nachlas-ses Walter Krauland in Kalliope im Universitätsarchivder Freien Universität Berlin1. Biographie Walter KraulandProfessor Dr. med. Walter Krauland, geb. am 10. April 1912in Mooswald bei Gottschee/Österreich-Ungarn (heuteSlowenien), war zwischen 1955 und 1983 an der FreienUniversität Berlin als geschäftsführender Direktor undProfessor für gerichtliche und soziale Medizin am Institutfür Rechtsmedizin tätig. Er hat sich vor allem in Vater-schaftsgutachten und Blutalkoholfragen verdient ge-macht. Die jahrelange Zusammenarbeit mit der BerlinerPolizei resultiert aus seinen Bemühungen gegen Alkoholam Steuer, wofür er 1978 die „Senator Lothar-DannerMedaille“ in Gold des „Bundes gegen Alkohol und Dro-gen im Straßenverkehr“ erhielt. Er war maßgeblich an derUmstrukturierung des Instituts beteiligt und in diversenKommissionen und Gesellschaften tätig. Walter Kraulandverstarb am 13. August 1988 in Vöcklabruck/Österreich.

Kraulands Nachlass besteht aus der Aktenüberliefe-rung seiner wissenschaftlichen und hochschulpolitischenArbeit am Institut. Die Erschließung sollte exemplarischfür die weitere Nachlassverzeichnung im Universitätsar-chiv durchgeführt werden.

2. Gründe für KalliopeZiel des Universitätsarchivs war es, eine standardisierteVerzeichnung in einem externen Portal durchzuführen.Dabei wurde speziell die Nachnutzung der Erschließungs-ergebnisse hinsichtlich einer späteren Onlinerecherche in

72 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

die Überlegungen einbezogen. Wir entschieden uns fürdie Teilnahme am Kalliope-Portal der Staatsbibliothek zuBerlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz).

Die Kalliope-Datenbank ist die Fortführung der Zen-tralkartei für Autographen der Staatsbibliothek zu Berlinund wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaftunterstützt. Zur Anwendung kommen die „Regeln zurErschließung von Nachlässen und Autographen“, kurzRNA, welche einen anerkannten Standard zur Nachlass-verzeichnung bilden. Zudem besteht eine Verknüpfungder erfassten Daten mit normierten Personen- und Kör-perschaftsdaten. Innerhalb der erwähnten Zentralkarteisind bereits Nachlässe ehemaliger FU-Professoren nachge-wiesen, welche nicht im Universitätsarchiv vorliegen. Aufdiese Weise war eine Zusammenführung aller Nachlass-bestände auf einer Plattform möglich. Ein weiterer Grundpro Kalliope war dessen kostenfreie Nutzung bis zu 10000Datensätzen, einer Zahl, welche wir auf absehbare Zeitnicht erreichen werden.

Aufgrund des statischen Aufbaus unserer derzeitigenArchivsoftware war deren kurzfristige Anpassung an diespezifischen Erschließungsanforderungen von Nachläs-sen nicht möglich. Die notwendige inhaltliche Bearbei-tung der eher bibliothekarische Ansprüche bedienendenRNA in Bezug auf die archivischen Anforderungen des FUArchivs1 erschien dagegen weniger aufwendig. Als weite-rer Grund ist die räumliche Nähe zur Staatsbibliothekbezüglich des technischen wie inhaltlichen Supports zunennen.

3. Erschließung in KalliopeUmgesetzt wurde die Erschließung durch Janita Leh-mann, Studentin im 5. Semester des Studiengangs Archivder FH Potsdam, welche ein Praktikum im FU-Archivabsolvierte.

Die Erschließung war durch die RNA und die Maskendes Portals vorgegeben. Auftretende Kompatibilitätspro-bleme zwischen den eher bibliothekarisch orientiertenRNA bzw. Kalliope (durch die Anlehnung an Literatur-nachlässe) und archivischen Erschließungsregeln konntendurch erweiterte Masken überwunden werden. Eine Kate-gorieeinteilung (Biographisches, Fachdokumentation etc.)in der Bestandssignatur ersetzte für uns die Klassifikation.Da beispielsweise Vorträge und wissenschaftliche Arbei-ten nicht den Autographen entsprachen, vervollständigtedie Inhaltsangabe durch die Integration des „Enthält-Ver-merks“ die Verzeichnung. Die daran angeschlossene Frei-textsuche bot die Möglichkeit, auch ohne archivarischeFachkenntnisse gesuchte Informationen zu finden. EineRecherche nach „Aneurysmen“ lieferte z. B. zusätzlich zurTitelsuche Sonderdrucke zum Thema und Arbeiten ande-rer Wissenschaftler. Durch diese Symbiose der bibliothe-karischen Regeln folgenden RNA mit archivischen Er-schließungsgrundsätzen konnte sowohl dem Bedürfniseiner standardisierten Verzeichnung (Nutzung der RNA)als auch der Beachtung archivischer Anforderungen Rech-nung getragen werden.

4. Resümee und AusblickDie Erschließung des Nachlasses von Walter Kraulandkann aus Sicht des Universitätsarchivs als Erfolg betrach-

1 Vgl. Ausführungen zur Erschließung selbst.

tet werden. Es zeigte sich, dass die Verzeichnung eines alsschwierig geltenden Archivalientyps mit den entspre-chenden Mitteln auch durch PraktikantInnen fachgerechtdurchführbar ist. Angesichts der begrenzten Ressourcendes Universitätsarchivs stellt dies ein nicht zu unterschät-zendes Argument dar. In Zukunft werden so die Nach-lässe des FU-Archivs sukzessive in Kalliope eingearbeitet.

Berlin Steffen Schwalm

ArchivtechnikVgl. auch den Beitrag „Deutschland als Entwicklungsland?!...“ unten unter der Rubrik „Auslandsberichterstattung – Inter-nationales“.

2. September 2005 – Tag der Bestandserhaltung am Lan-desarchiv BerlinDie dauerhafte Aufbewahrung und Erhaltung historischwertvoller Aufzeichnungen ist eine grundlegende, weit-gehend auch gesetzlich fixierte Funktion der Archive.Obwohl diese Aufgabe immer wichtiger wird, in wachsen-dem Maße Zeit und Mittel in Anspruch nimmt und denarchivarischen Arbeitsalltag immer mehr durchdringt,wird sie doch weitgehend „im Stillen“ durchgeführt.Andererseits ist die Erhaltung von Kulturgut als gesell-schaftliche Herausforderung nur dann zu meistern, wenndie gesamte Gesellschaft die Zeichen der Zeit erkennt. Umdies zu bewirken, treten Archivare und Bibliothekare alsHüter des schriftlichen Erbes in den letzten Jahren mitKampagnen und Aktionstagen häufiger an die Öffentlich-keit.

Einen Anlass hierzu bot vor wenigen Wochen der Jah-restag des Brandes der Herzogin Anna Amalia Bibliothekder Stiftung Weimarer Klassik, durch den mehr als 100000Bände dieser zum Weltkulturerbe der UNESCO zählen-den Einrichtung vernichtet oder geschädigt wurden. Die„Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes“hatte daher für den 2. September 2005 zu einer bundeswei-ten „Aktion Lesezeichen“ aufgerufen, die durch die Volks-wagen-Stiftung unterstützt wurde und mit einem vonLiteratur-Nobelpreisträger Günter Grass gestaltetenLesezeichen für alle Besucher eine besondere Beigabe vor-hielt.

An die 70 Bibliotheken und Archive nahmen an dieserAktion teil und öffneten Magazine und Werkstätten, umauf den täglichen Kampf gegen Papieralterung, Tinten-fraß, Säureschäden, Schimmel u. a. aufmerksam zumachen. Die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft,Forschung und Kultur hatte im Rahmen der „BerlinerRunde für Bestandserhaltung“ Archive, Bibliotheken undSammlungen der Hauptstadt im Vorfeld über die Aktioninformiert. Auch wenn der Termin aufgrund der kurzzuvor liegenden „Langen Nacht der Museen“ für vieleEinrichtungen äußerst ungünstig war, nutzten einige Insti-tutionen – so auch das Landesarchiv Berlin – diese Gele-genheit, um dem Publikum diesen Schwerpunktbereichder Archivarbeit unter dem Motto „Tag der Bestandserhal-tung“ einmal gesondert zu präsentieren.

Die Vorankündigung erfolgte ausschließlich über dieHomepage des Landesarchivs. Sie war mit einer Themen-präsentation über Restaurierungsarbeiten an der Plakat-sammlung des Hauses verbunden. Die eigentlichen Ver-

73Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

anstaltungen des Tages wurden in Kooperation mit demBrandenburgischen Landeshauptarchiv organisiert.

Zur Einführung erwartete die Besucher bereits im Foyereine kleine Ausstellung, die aufzeigte, welche Schadens-bilder Archivare häufig schon bei der Übernahme vonBeständen vorfinden. Vielfach lagert Registraturgut in denBehörden unter völlig unzureichenden Bedingungen – esverschmutzt, erleidet Wasser- und Schimmelschäden. DieMittel für Bergungs- und Entseuchungsmaßnahmen sindjedoch in keinem Haushaltsplan vorgesehen. Seit Jahrenweist das Landesarchiv in speziellen Schulungsveranstal-tungen für Behördenmitarbeiter bei der Verwaltungsaka-demie Berlin daher auf lagerungstechnische Aspekte derSchriftgutverwaltung und auf Schutz- bzw. Erstmaßnah-men in Notfällen hin, um eine Vorschädigung der Doku-mente möglichst in Grenzen zu halten. „Geburtsfehler“,wie unzureichende Papierqualität und Kopierverfahrensowie schädigende Schreibmaterialien oder Ordnungshil-fen (Briefklammern, Plastehüllen), können ohnehin imBehördenalltag kaum vermieden werden.

Im Rahmen des folgenden Vortrags- und Führungspro-gramms berichtete zunächst Dr. Mario Glauert vomBrandenburgischen Landeshauptarchiv über die Tätigkeitdes seit einigen Jahren bestehenden Notfallverbundes derBerlin-Brandenburgischen Staatsarchive und stellte damiteine direkte Verbindung zum Anlass der Veranstaltungher. Der Notfallverbund, an dem neben dem LandesarchivBerlin und dem Brandenburgischen Landeshauptarchivdas Bundesarchiv (Dienstort Berlin-Lichterfelde), dasGeheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, dasArchiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen desehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDRund das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes mitar-beiten, soll eine verbindliche materielle und personelleUnterstützung der beteiligten Häuser in größeren Notfäl-len gewährleisten. Jedes Archiv bringt hier speziell verein-barte und über Alarmierungspläne abrufbare Ressourcenein; darüber hinaus finden regelmäßige Beratungen derNotfallbeauftragten sowie wechselseitige Vorort-Schulun-gen der Magazinkräfte statt. Glücklicherweise blieb allenBeteiligten bisher der Ernstfall erspart.

Danach hatten die Gäste die Möglichkeit, an drei aufei-nanderfolgenden Führungen teilzunehmen, mit denen dieHauptfelder der Bestandserhaltung anschaulich demon-striert wurden: Magazinierung, Sicherungsverfilmungund Restaurierung. Insbesondere die Möglichkeit, denzweckmäßigen Ausbau des Hauses unter lagerungstech-nischen Aspekten kennenzulernen, wurde gern wahrge-nommen. Unter der fachkundigen Führung von Dr. Mar-tin Luchterhandt, der die Baumaßnahmen als Beauf-tragter des Landesarchivs begleitet hatte und derzeit u. a.für die Magazinaufsicht zuständig ist, waren Einzelheitenüber die Raum- und Klimakonzeption, die Magazinaus-stattung sowie über verpackungstechnische Lösungenund die tektonische Ordnung der Bestände zu erfahren.Optimale Lagerungsbedingungen, einschließlich einergroben Reinigung, Umbettung und Entmetallisierung desArchivgutes, müssen für das Gros der Bestände nicht nurals Erst-, sondern als wesentlichste Erhaltungsmaßnahmegelten. Das Landesarchiv Berlin hat hier mit dem Umzugin das neue Archivgebäude und der Konzentration allerBestände an diesem einen Standort (statt bisher fünf), derFestlegung einheitlicher Lagerungsstandards und sukzes-

siven Kartonierungsarbeiten in den letzten Jahren großeFortschritte erzielen können.

Als zweite Methode zur „Lebensverlängerung“ einesarchivwürdigen Originals wurde dessen Duplizierungmittels Verfilmung vorgestellt. In der Sicherungsverfil-mungswerkstatt des Landesarchivs Berlin konnten Besu-cher den Mitarbeiterinnen an der Aufnahmekamera zuse-hen und wurden über den weiteren Umgang mit denMikrofilmen bis zur Einlagerung am „Zentralen Ber-gungsort der Bundesrepubik Deutschland“ im OberriederStollen informiert.

Den dritten Schwerpunkt bildeten die in die Material-struktur eingreifenden Konservierungs- und Restaurie-rungsmethoden, die teils in Massenverfahren, teils inhandwerklicher Arbeit spezialisierter Werkstätten durch-geführt werden. Die Restaurierungswerkstatt des Landes-archivs vermittelte hierzu einen Einblick in häufige Scha-densbilder und Techniken zu ihrer Behebung. ZumArbeitsalltag der Restauratoren gehören auch die regel-mäßige Kontrolle der Lagerungsbedingungen, die pH-Wert-Messung an Papieren und die Durchführung vonSchimmeltests. Da das Landesarchiv Berlin auch einenbeträchtlichen Anteil audiovisueller Bestände verwahrt,wurden auch Schädigungen an fotografischen Abzügensowie Glas- und Filmnegativen erläutert.

Da am 2. September 2005 die Amtseinführung vonDr. Uwe Schaper als neuer Direktor des Landesarchivsmit einer Festveranstaltung in Anwesenheit des BerlinerSenators für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Dr. Tho-mas Flierl, begangen werden konnte, erhielt der Tag einebesondere Prägung. Dr. Schaper hat sich in seiner voran-gegangenen Tätigkeit als Stellvertretender Direktor desBrandenburgischen Landeshauptarchivs, als Leiter derBrandenburger Fachstelle für Archive und öffentlicheBibliotheken und als Vorsitzender des FototechnischenAusschusses der ARK in besonderem Maße auch mit Pro-blemen der Bestandserhaltung befasst. Unter anderem ister Mitautor einer neuen Studie, die auf der Basis einerUmfrage in Archiven und Bibliotheken Berlins und Bran-denburgs den Schädigungsgrad der Bestände und die fürdie Erhaltung vorhandenen Ressourcen analysiert.1 DerKultursenator nahm die Gelegenheit zu einer ausführli-chen Besichtigung des Hauses wahr, um sich speziell auchüber die konservatorische Arbeit zu informieren undGespräche mit den verantwortlichen Archivmitarbeiternzu führen.

Trotz relativ geringem Organisationsaufwand sowieder Beschränkung der Führungs- und Vortragsveranstal-tungen auf etwa 4 Stunden haben ca. 50 Besucher, darunterin erster Linie Benutzer des Archivs, das Angebot mit gro-ßem Interesse wahrgenommen. Teilweise erschienen dieGäste sogar gezielt zu einzelnen Programmpunkten. Esblieb dabei nicht bei passiver Zuhörerschaft: Vielfach gabes Fragen, die auf fachlichen Rat für den richtigen Umgangmit dem eigenen „familiären Erbe“ zielten.

Nach unserer Erfahrung sind auch Gelegenheiten wie„Tage der offenen Tür“, die „Lange Nacht der Museen“oder der „Tag der Archive“ sehr nützlich, um dem Publi-kum die technische Seite der Archivarbeit und insbeson-dere die konservatorischen und restauratorischen Pro-

1 Gerlach, Annette; Schaper, Uwe: Bestandserhaltung in Berlin undBrandenburg. Auswertung einer Umfrage in Archiven und Bibliotheken.In: Bibliotheksdienst 39. Jg. (2005), H. 12, S. 1553–1582.

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bleme nahe zu bringen. Es gilt nicht nur, die Aufmerksam-keit der Öffentlichkeit einmalig zu gewinnen, sondernauch, sie dauerhaft wach zu halten. Ein „Tag der Bestands-erhaltung“, jährlich am 2. September, könnte zu einer indiesem Sinne förderlichen Tradition werden.

Berlin Regina Rousavy

EDV und Neue MedienVgl. die Beiträge „‚Crossing Krauland‘ ...“ (oben unter derRubrik „Archivierung, Bewertung und Erschließung“),„Erschließungsinformationen ...“ (unten unter der Rubrik„Auslandsberichterstattung – Internationales“), „InternationalConference ...“ (ebd.).

Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und ForschungVgl. auch die Beiträge „19. Archivpädagogenkonferenz ...“(unten unter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse, Tagun-gen“), „Go East! ...“ (unten unter der Rubrik „Auslandsbericht-erstatttung – Internationales“).

Benutzerumfrage im Thüringischen StaatsarchivRudolstadtNach den im staatlichen Archivbereich zuletzt durchge-führten Benutzerumfragen im Bundesarchiv1 und Landes-archiv Saarbrücken2 hat sich auch das Thüringische Staats-archiv Rudolstadt dazu entschlossen, auf diesem Wege dieAußenwahrnehmung seiner Arbeit zu ergründen. Münd-liche und schriftliche Dankesbezeugungen der Benutzerfür eine hilfreiche Anfragenbeantwortung oder guteBetreuung im Lesesaal sind das eine, doch eine anonymeUmfrage soll zugleich zu kritischen Anmerkungenermuntern, die beim direkten Kontakt mit dem Archivper-sonal unausgesprochen bleiben. Die Rudolstädter Benut-zerbefragung wurde von Anfang Januar bis Mitte Septem-ber 2005 in der Form durchgeführt, dass jedem Besucherdes Lesesaals beim Ausfüllen seines Benutzungsantragesein Fragebogen mit der ausdrücklichen Bitte um Teil-nahme an dieser Meinungserhebung ausgehändigtwurde. Darauf fanden sich insgesamt 26 Fragen zu Alter,Bildungsabschluss, Benutzungshäufigkeit und -zweck imArchiv sowie zur Qualität der fachlichen Beratung, deräußeren (räumlichen) Arbeitsbedingungen und der Find-mittel (konventionell und elektronisch), zum Internetan-gebot des Archivs und der Freihandbibliothek. Bei denmeisten Fragestellungen waren die Bewertungsoptionenauf einer Skala zwischen „sehr gut“ bis „mangelhaft“bereits vorgegeben, teilweise wurde daneben um selbstformulierte Meinungen und Verbesserungsvorschlägegebeten.

Im Umfragezeitraum haben insgesamt 327 Benutzerin-nen und Benutzer das Archiv besucht und dabei diesenFragebogen erhalten. Davon wurden 110 Bögen ausgefülltzurückgegeben bzw. in einer Zettelbox vor dem Lesesaalhinterlegt, wodurch die Anonymität der Befragung betontwerden sollte. Dieser Rücklauf entspricht einer Teilnah-mequote von über 33 Prozent. Da das Staatsarchiv Rudol-

1 Vgl. Anette Meiburg/Sebastian Barteleit/Thomas Menzel, Benutzer-analyse im Bundesarchiv, Teil 2: Benutzerbefragung, in: Mitteilungen ausdem Bundesarchiv 2/2003, S. 28–35.

2 Vgl. David Kraus, Benutzerumfrage im Landesarchiv Saarbrücken, in:Unsere Archive. Mitteilungen aus den rheinland-pfälzischen und saarländi-schen Archiven Nr. 50/Juni 2005, S. 22 f.

stadt im Jahre 2004 von insgesamt 449 Direktbenutzernbesucht wurde (2003: 399), kann davon ausgegangen wer-den, dass bereits der weit überwiegende Teil des Besucher-aufkommens von 2005 in die Umfrage einbezogen werdenkonnte, zumal deren Laufzeit ohnehin großzügig bemes-sen war. Bei ihrer Auswertung reichte die Bandbreite derMeinungsäußerungen von einer nahezu optimalenBewertung der Höflichkeit und Hilfsbereitschaft desArchivpersonals (96 mal „sehr gut“ bei 110 Antworten) biszu einer angesichts der räumlichen Verhältnisse nichtunerwartet kritischen Reflexion der Aufenthaltsmöglich-keiten in den Arbeitspausen (42 mal „ausreichend“ bzw.„mangelhaft“ bei 75 Antworten). Da das StaatsarchivRudolstadt besonderes Augenmerk auf die Verbesserungseines Informationsangebotes im Internet legt, war es rela-tiv enttäuschend, dass von den 98 Benutzern, die sich zudieser Thematik äußerten, nur knapp 60 Prozent (58 Perso-nen) die Homepage des Staatsarchivs überhaupt bekanntwar. Die Wünsche dieser Internet-Nutzer liefen vor allemdarauf hinaus, die Recherchemöglichkeiten in Findmittelnzu erweitern und eine Fernbenutzung des Archivs mittelsdigitalisierter Bestände zu ermöglichen. Da letzteres fürdas Staatsarchiv Rudolstadt noch Zukunftsmusik ist, stehtkurz- und mittelfristig der Ausbau des Informationsange-botes in den derzeitigen technischen Grenzen im Vorder-grund. Das Angebot des Staatsarchivs an Online-Findbü-chern im PDF-Format (Stand Dezember 2005: 25 Findbü-cher) ist zweifellos noch sehr überschaubar, wird aller-dings kontinuierlich erweitert. Künftig wird es möglichsein, mittels einer geeigneten Software die zur Zeit reinstatischen PDF-Dokumente klarer zu strukturieren undinnerhalb dieser eine schnellere Navigation anzubieten.

Da eine differenzierte Auswertung weiterer Umfrage-ergebnisse mit einer ebenso detaillierten Erörterung spezi-fischer räumlicher und personeller Gegebenheiten desRudolstädter Archivs einhergehen müsste und hier wohlnur von begrenztem Allgemeininteresse sein dürfte, seistatt dessen auf ein ausführliches Resümee auf der Websitedes Staatsarchivs unter http://www.thueringen.de/imperia/md/content/staatsarchive/rudolstadt/texte/endfassung_auswertung.doc verwiesen.

Auch wenn eine Rücklaufquote von 33 Prozent sicher-lich als zufriedenstellend gelten kann, waren hier dieErwartungen doch etwas höher gesteckt. So erhebt sich dieFrage, ob diese Zahl von Meinungsäußerungen eine hin-reichend große „kritische Masse“ für die zeitnahe Umset-zung einzelner Änderungswünsche darstellt. Beispiels-weise äußerten sich zur sensiblen Thematik der Archiv-Öffnungszeiten 105 Benutzer, von denen 65 (62 Prozent)die jetzigen Öffnungszeiten des Staatsarchivs Rudolstadt(38 Wochenstunden mit einem Dienstleistungsabend bis18.00 Uhr) als „ausreichend“ würdigten. 28 Umfrageteil-nehmer plädierten dagegen für die vorgegebene Optioneines zusätzlichen Wochentages, an dem eine Benutzungbis 18.00 Uhr möglich sein soll. Bezogen auf die von derFragebogenaktion insgesamt erfassten 327 Besucher stelltdies gerade einmal einen Anteil von 8,6 Prozent dar undrelativiert die Dringlichkeit einer Änderung. Wichtigererscheint demgegenüber die Frage, warum das Schweigenjener 217 Benutzer nicht gebrochen werden konnte, dieden ausgehändigten Fragebogen erst gar nicht ausgefüllthaben. Bequem wäre natürlich das Fazit, dass deren voll-ständige Zufriedenheit mit dem Archiv eine Meinungsäu-ßerung obsolet erscheinen ließ. Eine selbstkritische Ana-

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lyse der Benutzerumfrage legt allerdings die Vermutungnahe, dass der Umfang des fünfseitigen Fragebogens mitseinen 26 Fragestellungen schon rein äußerlich von einernäheren Befassung abgeschreckt hat. Bekanntlich stehenArchivbenutzer – und dabei insbesondere von auswärtsangereiste – in der Regel unter Zeitdruck und werden dasAusfüllen eines Fragebogens zunächst einmal nur alsZusatzbelastung ohne kurzfristigen Nutzeffekt empfin-den. In der Rückschau betrachtet hätte sich eine formaleund inhaltliche Straffung des Fragebogens sicherlich ineiner höheren Rücklaufquote niedergeschlagen. Die Aus-wertung zeigte dann auch, dass mehrere Teilnehmer denBogen bis ungefähr zur Hälfte gewissenhaft ausgefüllthatten und dann, wahrscheinlich resignierend vor demverbleibenden Arbeitspensum, ihre Mitarbeit abrupt ein-stellten. Auch erfasste die thematische Spannbreite derUmfrage nahezu alle Elemente der archivischen Tätigkeit,mit denen die Nutzer unmittelbar in Berührung kommen.Hier hätte man sich besser auf ausgewählte Fragenkom-plexe beschränken sollen. Dass zum Beispiel die beengtenArbeitsbedingungen im Lesesaal von den Benutzern alsstörend empfunden werden, ist dem Archivpersonalschon seit langem bekannt und hätte im Grunde einerBestätigung durch die Benutzerumfrage nicht bedurft.Insofern ist der im Bundesarchiv gewonnenen Anregungzuzustimmen, zwecks Erlangung eines repräsentativerenund differenzierten Datenmaterials mehrere spezielleBefragungen durchzuführen.3 Ob der damit verbundenelogistische Mehraufwand zu schultern ist, muss jedesArchiv für sich selbst entscheiden.

Das Staatsarchiv Rudolstadt sieht seine abgeschlosseneBenutzerbefragung auch angesichts der kritischen Ein-sicht in ihre Möglichkeiten und Grenzen nicht als frucht-lose Bemühung an und hat einige der dabei vorgebrachtenAnregungen bereits in die Praxis umgesetzt, währendandere aus personellen und finanziellen Gründen vorerstnicht zu realisieren sind. Vor allem aber sollte unserenNutzern mit dieser Aktion vermittelt werden, dass sich dieArchivare nicht im Elfenbeinturm amtlicher Unfehlbarkeitverbarrikadieren. Denn dass sich Archive im rauen Windpolitischer und fiskalischer Sachzwänge mehr denn je alsDienstleister der Öffentlichkeit verstehen müssen, ist nichterst seit dem mittlerweile schon fast sprichwörtlich gewor-denen Weckruf Gerd Schneiders4 allgemein akzeptiert.Das aktive Werben um die Meinung seiner Kunden solltesich als Teil der archivischen Öffentlichkeitsarbeit etablie-ren. Das Staatsarchiv Rudolstadt würde seine dabeigewonnenen Erfahrungen gern auch über diesen kurzenBericht hinaus mit allen interessierten Kolleginnen undKollegen austauschen.

Rudolstadt Dieter Marek

3 Vgl. Benutzeranalyse im Bundesarchiv (Anm. 1), S. 35.4 Gerd Schneider, „Archivare aufgewacht!“ Anmerkungen eines Exter-

nen zur gegenwärtigen Situation im deutschen Archivwesen, in: DerArchivar, 57 (2004), S. 37–44.

Erstmalige Auslobung eines hessischen ArchivpreisesDie Idee ist nicht neu und wird im Bibliothekswesen undim Museumsbereich auch in Hessen seit längerem prakti-ziert: die Auslobung von Preisen. Jetzt wurde erstmalsauch ein Preis für das Archivwesen ausgeschrieben: Hes-sen ist das erste Bundesland, in welchem 2005 ein Archiv-preis vergeben wurde. Der hessische Archivpreis ist mit

einem Preisgeld in Höhe von insgesamt C 6000,– verbun-den. Dieses Geld soll dem Zweck des Preises entsprechendaufgeteilt werden: Ein Preisgeld von C 3000,– wird ausge-lobt für ein hessisches Archiv, das sich in vorbildlicherWeise um den Kulturgutschutz und die Archivierung vonSchriftquellen verdient gemacht hat. Drei Preise von jeC 1000,– gehen an drei ehrenamtlich tätige Archivarinnenoder Archivare. Die Preisgelder wurden von der Hessi-schen Staatskanzlei und der Sparkassen-KulturstiftungHessen-Thüringen bereitgestellt; das Hessische Ministe-rium für Wissenschaft und Kunst beteiligte sich mit einernamhaften Summe an den Durchführungskosten.

Der Archivpreis soll gegenüber den Archivträgern, ins-besondere den Kommunen, ein Zeichen dahingehend set-zen, dass das Archivwesen im Sinne des Kulturgutschut-zes und der Pflege der eigenen Identität gestärkt werdenmuss. Er ist ein Anreiz dafür, dass auch in kleineren Städ-ten und Gemeinden Anstrengungen unternommen wer-den, die Archivierung der historisch relevanten Quellenzu intensivieren. Außerdem soll er das ehrenamtlicheEngagement im Bereich der Archive stärken.

Wie schwierig die Situation gerade der kleineren hessi-schen Kommunalarchive ist, haben in jüngster Zeit meh-rere Umfragen erwiesen. Danach hat Hessen gegenüberanderen Bundesländern signifikante Defizite im Hinblickauf die Archivierung von Unterlagen im nicht-staatlichenBereich: In großen Teilen des Landes basiert die Archiv-landschaft, sofern sie überhaupt existiert, allein auf demEngagement von ehrenamtlichen Kräften, zumeist getra-gen von den örtlichen Heimat- und Geschichtsvereinen.Nach jüngeren Erhebungen geben 272 von 426 hessischenKommunen an, über ein Archiv zu verfügen; hiervon wer-den jedoch nur 57 (= 21 %) hauptamtlich betreut, 72(= 27%) nebenamtlich, 69 (= 24,8%) ehrenamtlich und 74(= 27,2%) verfügen über kein Personal. In 154 Kommunen(= 36%) existiert demnach gar kein Archiv. Besondersbedroht ist die Überlieferung kleinerer Gemeinden, zumalin Hessen kaum Kreisarchive existieren.

Die Ursachen hierfür liegen nicht zuletzt in der Archiv-tradition. Die Staatsarchive sollten seit preußischer Zeitauch regional zuständig sein für kleinere, zumal kommu-nale Archive. Dies spiegelt sich noch im HessischenArchivgesetz: So behaupten die Kommunen archivrecht-lich einen Sonderstatus, als sie lediglich verpflichtet sind,im Rahmen „ihrer Leistungsfähigkeit“ die Archivierungihrer Verwaltungsunterlagen sicher zu stellen. Sie sindaber insbesondere nicht verpflichtet, ein eigenes Archiv zuunterhalten oder sich an der Unterhaltung eines Archivszu beteiligen, sondern können die Staatsarchive einschal-ten – die wiederum eine intensive Archivpflege in der Flä-che personell nicht leisten können. Die Strategie der staat-lichen Archivverwaltung zielte in den vergangenen Jahrendarauf ab, die Kommunen mehr und mehr in die Pflicht zunehmen. Auf administrativ-rechtlichem Wege oder mitmoralisch-politischen Argumenten wurde darauf hinge-arbeitet, die nicht-staatlichen Archivträger zu mehr Enga-gement für den Kulturgutschutz der historischen Schrift-quellen zu bewegen. Erfolge wurden jedoch nur wenigeerzielt. Zum Teil verschlechterte sich die Lage noch; sowurden z. B. einige erst in jüngerer Zeit gegründete Kreis-archive wieder aufgelöst (Lahn-Dill-Kreis, Main-Taunus-Kreis, Main-Kinzig-Kreis).

Daher bedarf es dringend weiterer, kreativer Schritte,das Engagement im Sinne des Kulturgutschutzes der

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Schriftquellen zu stärken. Es gilt, gute Facharbeit, zumal inkleinen Archiven, zu unterstützen, sonst ist auf längereSicht die Überlieferung von Schriftquellen in erheblichemUmfang und unwiederbringlich gestört. Zwangsläufigkommt hier das Bürgerengagement, also auch das Ehren-amt, in den Blick. Denn das Ehrenamt erfüllt in den Archi-ven zweierlei Aufgaben: es ist zum einen eine wichtigeStütze für den Betrieb kleinerer und vielfach auch bereitsgrößerer Archive, zum zweiten aber ist es ebenso Multipli-kator in Hinsicht auf den Kulturgutschutz in der Breite.

Dass die Auslobung des Archivpreises durch den Lan-desverband hessischer Archivare ein guter Weg ist, um aufdas zentrale Anliegen der Archivare hinzuweisen, zeigtedie große Resonanz auf die Preisausschreibung sowieauch auf die Preisverleihung. Die Entscheidung der Jury,die sich aus dem Vorstand des VdA-LandesverbandesHessen, der Vorsitzenden des Verbandes der Kommunal-archive in Hessen, Vertretern der Hessischen Landesregie-rung (Staatskanzlei), der Sparkassenkulturstiftung Hes-sen-Thüringen, der Hessischen Staatsarchive sowie einerVertreterin der Thüringischen Archivberatungsstellezusammensetzte, fiel im Bereich des Ehrenamtes aufDekan i. R. Christian Hilmes aus Kassel, den pensionier-ten Lehrer Reinhard Michel aus Oberursel und GerhardSteinl aus Laubach sowie auf das Stadtarchiv Pfungstadt.Im Rahmen einer Feierstunde in Pfungstadt wurde diePreisverleihung am 17. November durch den Staatssekre-tär im Wissenschaftsministerium, Professor Joachim-FelixLeonhard, sowie durch den Geschäftsführer der Spar-kassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Dr. ThomasWurzel, vorgenommen. Die Vorsitzende des Landesver-bandes und Leiterin des Wiesbadener Stadtarchivs, Dr.Brigitte Streich, würdigte das Engagement der Preisträ-ger als eine herausragende und unverzichtbare Leistung,ohne die das Archivwesen um einiges ärmer wäre, unddankte der Sparkassen-Kulturstiftung und der Ehren-amtskampagne der Hessischen Landesregierung „Ge-meinsam aktiv – Bürgerengagement in Hessen“, die diePreisgelder zur Verfügung stellten.

Christian Hilmes (Kassel) wurde für seine mehrjährigeVerzeichnungstätigkeit im Landeskirchlichen Archiv derEvangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck ausge-zeichnet. Seit 2001 hat er die umfangreichen Unterlagender Pfarrarchive des Kirchenkreises Kaufungen geordnetund verzeichnet und sich dafür in ein professionellesArchivierungsprogramm eingearbeitet.

Reinhard Michel (Oberursel) hat sich seit den 60er Jah-ren für die Einrichtung eines Stadtarchivs in Oberurselsowie eines Archivs für den Hochtaunuskreis eingesetzt.Ungeachtet seines hohen Alters (Jahrgang 1917) leistet erauch heute noch Herausragendes für die Sicherung derUnterlagen in den Stadtarchiven Bad Homburg und Ober-ursel.

Gerhard Steinl (Laubach) betreut seit mehreren Jahreneines der wenigen öffentlichen hessischen Adelsarchive,nämlich das „Graf zu Solms-Laubachsche Archiv“. Dankseines Engagements sind die Archivbestände neu geord-net, teilweise digitalisiert, ordnungsgemäß untergebrachtund bearbeitet worden und stehen so aufbereitet derÖffentlichkeit zur Verfügung.

Mit dem institutionellen Preis wurde das Engagementder Stadt Pfungstadt auf dem Gebiet des Archivwesensgewürdigt, einer Stadt, die bereits vor rund zehn Jahrenauf eigene Kosten eine Archivarin als diplomierte Fach-

kraft ausbilden ließ. Außerdem stellte die Stadt dem städ-tischen Archiv mit der restaurierten Synagoge und dersich daran anschließenden Rabbinerwohnung geeignete,zentral gelegene Räumlichkeiten zur Verfügung und schufdamit hervorragende äußere Bedingungen.

An der Feierstunde, zu welcher der Pfungstädter Bür-germeister Horst Baier zahlreiche Gäste, unter ihnen dieVizepräsidentin des Hessischen Landtags, Ruth Wagner,begrüßen konnte, nahm auch der neu gewählte Vorsit-zende des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archi-vare, Dr. Robert Kretzschmar (Stuttgart), teil. In seinerFestansprache unter dem Titel „Die deutschen Archive,der Föderalismus und die kommunale Selbstverwaltung“forderte Kretzschmar eine Verdichtung des archivischenNetzwerks gerade im Bereich der nichtstaatlichen Überlie-ferung. Hierbei sei das Engagement der ehrenamtlich Täti-gen ein unverzichtbarer Bestandteil.

Der hessische Archivpreis wird von 2005 an jährlichverliehen. Weitere Informationen dazu auf der Homepagedes Landesverbandes Hessen im VdA.

Wiesbaden Brigitte Streich

Aus- und Fortbildung, berufsständischeAngelegenheiten

Der FaMI – ein Magnet auf der ArchivisticaVom 27. bis 30. September 2005 fand der 75. DeutscheArchivtag in Stuttgart statt. Die parallel zur Fachtagungstattfindende Fachmesse Archivistica nahmen die Auszu-bildenden Birgit Laufer und Michael Ciuberski zumAnlass, ihren Ausbildungsberuf „Fachangestellte/r fürMedien- und Informationsdienste“ (FaMI) auf einem Mes-sestand bekannt zu machen und dem Fachpublikum vor-zustellen.

Der Ausbildungsberuf FaMI umfasst die Fachrichtun-gen Archiv, Bibliothek, Bildagentur, Information undDokumentation sowie Medizinische Dokumentation.Gemeinsame Hauptaufgaben aller Fachrichtungen sinddas Beschaffen, Erschließen, Aufbewahren und Vermittelnvon Medien und Informationen. FaMIs sollen Kundenund Benutzer durch den Informationsdschungel lotsen.Medien und Informationen sollen nutzbar und zugänglichgemacht werden. Die Ausbildung zum/zur FaMI ist seitdem 1. August 1998 möglich. Sie erfolgt im dualen System,wobei der theoretische Teil der Ausbildung an der Berufs-schule und der praktische Teil an der Ausbildungseinrich-tung, die einer der fünf Fachrichtungen zugeordnet ist,stattfindet. Des Weiteren wird die Ausbildung durch Prak-tika in Einrichtungen der anderen Fachrichtungenergänzt.

Die Archivistica bot Ausstellern und Archivtagteilneh-mern die Gelegenheit, direkt ins Gespräch zu kommenund sich umfassend über Neuheiten der Archivtechnik zuinformieren. Neben der Fachhochschule Potsdam und derArchivschule Marburg präsentierten die FaMIs des Ober-stufenzentrums Bürowirtschaft und Verwaltung in Berlinihren Ausbildungsberuf.

Die organisatorische sowie inhaltliche Vorbereitung desMessestandes wurde im Rahmen des Berufsschulprojek-tes „Herstellen und Gestalten von Informationsdiensten“umgesetzt. Von den Auszubildenden der FachrichtungArchiv Birgit Laufer, Mareen Ziehe, Stefan Langhein-

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rich und Michael Ciuberski wurden verschiedene Mate-rialien zur Standgestaltung und zur Information über denBeruf des FaMI erstellt. Dabei handelte es sich um einFaMI-Logo, ein Plakat, ein Archiv-Quiz, einen Flyer zumFaMI, einen Fragebogen und eine Linkliste zum FaMI.Darüber hinaus wurden dem Fachpublikum ausgewählteProjekte, die während der schulischen Ausbildung ent-standen sind, präsentiert. Das Archiv-Quiz ist auf derHomepage des Oberstufenzentrums www.oszbuero-verw.de zugänglich. Die Linkliste wurde ursprünglichvon Mitgliedern der Kommission zur Information vonFachangestellten für Medien- und Informationsdiensteund Assistenten (KIFA) im Berufsverband InformationBibliothek (BIB) begonnen und im Rahmen des obengenannten Schulprojektes aktualisiert und gestaltet. DieLinkliste enthält die Adressen der für den Beruf des FaMIzuständigen Stellen und Berufsschulen sowie Links zumRahmenlehrplan und zur Ausbildungsverordnung, Linkszum Berufsbild, zu Berufsverbänden, einzelnen Ausbil-dungsstätten, Erfahrungsberichten und Jobbörsen sowiezur Fachliteratur für FaMIs. Die Linkliste ist unterwww.bib-info.de/komm/kifa/linkliste.htm einsehbar.

63 Besucher des Archivtages nahmen an unserer Frage-bogenaktion teil. Dafür bedanken wir uns nochmals rechtherzlich. Es bestand großes Interesse, und es wurden zahl-reiche vertiefende Gespräche über Inhalte der Ausbil-dung, über schulische Inhalte sowie über persönliche

Auf der Archivistica in Stuttgart: FaMIs informieren über FaMIs.

Erfahrungen von Auszubildenden und FaMIs, Berufs-schullehrern und Ausbildern geführt. Die Reaktionen desFachpublikums waren durchweg positiv. Der Ausbil-dungsberuf FaMI war vielen bekannt, Näheres zeigt dieAuswertung der Fragebögen, die ebenfalls auf der obengenannten Homepage des Berliner Oberstufenzentrumszugänglich ist. Insbesondere die Frage „Kann Ihrer Mei-nung nach der FaMI den Diplom-Archivar ersetzen?“ lie-ferte besonders viel Diskussionsstoff. Dafür sprachen sichlediglich 6,3% der Befragten aus. Die übrigen waren derAnsicht, dass die Ausbildung des Diplom-Archivars einetiefergehende Ausbildung ist und der Diplom-Archivaraufgrund dessen schwierigere und tiefgründigere Aufga-ben zu lösen hat. So ist die Mehrheit der Auffassung, dassdie dreijährige duale Berufsausbildung kein Fachhoch-schulstudium ersetzen kann. Es kristallisierte sich aberauch heraus, dass die Vorbildung, Geschichtskenntnisseund Abitur immer von Vorteil seien. Der FaMI soll denDiplom-Archivar nicht ersetzen, sondern ihn unterstüt-zen.

An dieser Stelle bedanke ich mich für die Unterstüt-zung durch den VdA, insbesondere für das zur VerfügungStellen der Standfläche, und für die Unterstützung durchden BIB und die KIFA, hier besonders für die Materialienund die Hilfe bei der Finanzierung dieses Projektes.

Oberhavel Michael Ciuberski

55. VdW-Lehrgang „Medienkompetenz für Wirtschafts-archivare: Coaching für den professionellen Auftrittvor und hinter Mikrofon und Kamera – von der Selbst-präsentation zum Zeitzeugeninterview“ in Heidelberg

Archivarbeit findet im Keller statt, und der Mensch mitKittel und Staublappen tritt selten zwischen den Regalenhervor. Dieses „klassische“ Bild eines Archivars hat sichgewendet, und es kommt mittlerweile durchaus häufigervor, Rede und Antwort stehen zu müssen. Um dieseHerausforderung meistern zu können, nahmen Wirt-schaftsarchivare die Herausforderung des am 16. bis21. Oktober veranstalteten 55. VdW-Lehrgangs an, umsich auf diesem Gebiet weiterzubilden.

Hochmotiviert folgten sieben ArchivarInnen der sonn-täglichen Einladung des Organisators Dr. Peter Blum(Stadtarchiv Heidelberg) in die Kulturbrauerei Heidel-berg. Dem gemeinsamen Abendessen, an dem auch dieHauptreferenten Michael Pohlenz und Hans-HermannPogarell (Unternehmensgeschichte/Archiv Bayer AG)teilnahmen, folgte eine Vorstellungsrunde mit dem„gewissen Etwas“. Vorbereitet war ein Tisch voller Utensi-lien, die mehr oder weniger einen Bezug zum Archiv auf-wiesen: Tasche eines Archivkongresses, Mikrofon, Lupe,Gymnastikball, Staubtuch, Clownpuppe oder auch DVDsund Fachliteratur. Jeder Teilnehmer sollte sein gewähltesUtensil in seine Vorstellung einbeziehen. An dieser Stellewar allen klar, dass der Abend etwas länger dauernwürde.

Dennoch begann der Lehrgang am Montagmorgenpünktlich und schwungvoll mit dem Thema „Umgang mitMedien und Öffentlichkeit“. Im Tagungsraum, den unsdie Heidelberger Brauerei freundlicherweise zur Verfü-gung stellte, erwartete uns ein Überraschungsgast für denkurzfristig verhinderten Dieter Kürten: Fernsehjourna-list und Moderator Michael Steinbrecher. Gekonnt ent-lockte Dr. Blum ihm per Interview technische und persön-

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liche Erfahrungen zum Thema. Erfreut vernahmen wir,dass Steinbrecher häufiger selbst in Archiven recherchiert.Die Zeit verging viel zu schnell und manche Frage mussteauf „später“ vertagt werden.

Das gewonnene Wissen für die Arbeit vor der Kameragalt es im direkten Anschluss umzusetzen. Jeder Lehr-gangsteilnehmer erhielt ein archivisches Thema, welchesin einem zweiminütigen Statement bearbeitet werdenmusste. Die Referenten unterstützten uns dabei mit vielVerständnis, Einfühlungsvermögen und konstruktiverKritik. Im Mittelpunkt der gemeinsamen Auswertungstanden Authentizität, Verständlichkeit und Außenwir-kung der Statements. Nach der ersten Runde war derTeamgeist gefestigt. Für den weiteren Verlauf stellte sichdie Teilnehmerzahl von sieben ArchivarInnen als positiv,ja geradezu optimal heraus. Denn so konnten die naturge-mäß durch den technischen Ablauf (Aufnahme) bedingtenWartezeiten weitestgehend vermieden werden. Der Tagklang im Lokal „Zum güldenen Schaf“ und mit dembewährten Gang durch das Privatmuseum des Gastrono-men Dr. Klaus Kischka aus.

Am Dienstag empfing uns Christoph Posselt (ImpactTraining, Berlin). Er vermittelte auf ungewöhnliche Art,nämlich aus der Weltsicht eines Clowns, die Grundlagender Kommunikation mittels Körpersprache. Damit derTeamgeist auch äußerlich sichtbar wurde, bekamen alleTeilnehmerInnen eine rote Nase geschminkt. Eine hilfrei-che und wirksame Novität für das Rollenspiel. Weil Theo-rie und Praxis in den VdW-Lehrgängen eng verbundensind, folgte am Nachmittag bereits die nächste Gelegen-heit, sich vor Kamera und Mikrofon als Journalist undPressesprecher zu beweisen. Während der Diskussionstanden Selbstkritik, Diskussionsfähigkeit, Kompetenz,Mimik und Gestik ganz oben an. Erstaunen und Erheite-rung bekräftigten mitunter ungeahnte Qualitäten undFähigkeiten.

Alles bisher Erlernte und Geprobte war am drittenLehrgangstag gefragt. Diesmal wurden die TeilnehmerIn-nen zu einem „perfekten Statement“ vor die Kamera gebe-ten. Die Referenten Pohlenz und Pogarell überraschtendabei wieder mit ihren thematischen Vorgaben. Dabeigelang es den TeilnehmerInnen, nun endgültig die Scheuvor der Kamera abzulegen. Die gute Qualität der einzel-nen Beiträge erstaunte Teilnehmer und Moderatoren glei-chermaßen. Am Nachmittag führte Dr. Sabine Bern-schneider-Reif (Corporate History Merck KGaA, Darm-stadt) in die Oral History als Methode zu Produktion undBearbeitung mündlicher Quellen ein. Dieses Seminar boteinen stimmigen Perspektivwechsel und war zugleichVorbereitung für den Donnerstag.

Am späten Nachmittag führte uns der Braumeisterdurch die Produktionsanlagen des Hauses. Während derFührung erfuhren wir nicht nur, wie Bier gebraut wird,sondern auch welche Möglichkeiten zur Fernsteuerungeiner solchen Anlage heute vorhanden sind. DerGeschäftsführer der Brauerei, Michael Mack, ludanschließend zur gemütlichen Runde. An dieser Stelle seifür die Gastfreundschaft der Heidelberger Brauerei noch-mals herzlich gedankt!

Der Donnerstag stand ganz im Zeichen des Merck-Archivs in Darmstadt. Nach kurzer Anreise und Anmel-deprozedur hießen uns die Gastgeberin Dr. Bernschnei-der-Reif und ihr Team willkommen. Wir durften unsdirekt am Projekt Zeitzeugeninterviews beteiligen und

erfuhren in der anschließenden Auswertung von den bis-her gemachten Erfahrungen. Die Interviews mit den ehe-maligen „Merckern“ und der Meinungsaustausch wurdendurch das Mittagessen im Besuchercasino äußerst ange-nehm unterbrochen. Nach einer Besichtigung der Archiv-räume und der ausgestellten archivischen Sammlungenverließen wir Darmstadt wieder in Richtung Heidelberg.Die Abendrunde fand in einem chinesischen Lokal statt,für das wir uns in einem mehrtägigen Entscheidungsfin-dungsprozess entschieden hatten.

Am letzten Kurstag gastierten wir in den Räumlichkei-ten des Schmitthennerhauses in der Heidelberger Innen-stadt. Norbert Schulz-Bruhdoel (Punktum PR & Dia-log, Remagen) weihte uns in die Kunst des Redenschrei-bens ein. Anhand gut gewählter Beispiele erkannten wir,was eine gute Rede von einer weniger guten unterschei-det. Nach Schulz-Bruhdoel wechselte Dr. Blum von derFunktion des Veranstalters und Organisators in die desReferenten. Seine Ausführungen ließen die Woche Revuepassieren und gaben zugleich Denkanstöße für dieAbschlussdiskussion, wie sehr der Auftritt und dasErscheinungsbild des Archivars heute von Bedeutung ist.Zum guten Ende trug die abschließende Fahrt auf das Hei-delberger Schloss bei.

Die Tage in Heidelberg haben gezeigt, wo die Teilneh-merInnen für einen besseren Auftritt ansetzen müssen,um ihr Archiv nicht nur in den Medien, sondern auch imAlltag perfekt präsentieren zu können.

Leipzig/Freiburg Helgard Hirschfeld/Gerolf Thienel

Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen39. Rheinischer ArchivtagDer am 2. und 3. Juni in Kerpen veranstaltete RheinischeArchivtag beschäftigte sich zum einen mit dem Thema„Archive und Denkmalpflege“ und zum anderen mit den„Überlieferungen zur kommunalen Geschichte in Adels-und Kirchenarchiven“. War die Thematik der zweitenArbeitssitzung den erfahrenen Archivmitarbeiterinnenund -mitarbeitern durchaus vertraut, führte die ersteArbeitssitzung viele in „Neuland“: eine Verbesserung derZusammenarbeit zwischen Archiven und Denkmalpflegeist immer noch nicht selbstverständlich und wird doch alsdringend notwendig angesehen. Beide Sparten sind einemgemeinsamen Ziel verpflichtet: zu entscheiden, was fürdie kommenden Generationen als erhaltenswert beurteiltwird. Dabei können beide Seiten voneinander profitieren,müssen aber für diese Frage erst sensibilisiert werden.

Der Archivtag wurde eröffnet von dem scheidendenLandesrat Dr. Gert Schönfeld, LandschaftsverbandRheinland. Er hatte sich die Grundsatzfrage, ob eine sol-che Veranstaltung noch zeitgemäß sei, positiv beantwor-tet: Es gingen wichtige Impulse von dieser Tagung aus,neue Themen würden kommuniziert und Begegnungschaffe Kooperation.

Die Grußworte der gastgebenden Stadt überbrachteBürgermeisterin Marlies Sieburg. Sie ging auf dieGeschichte der Stadt ein und wies darauf hin, dass derberühmteste Sohn der Stadt nicht der Rennfahrer Wolf-gang Graf Berghe von Trips, sondern Adolf Kolping sei.Auf zwei Ausstellungen wies die Bürgermeisterin hin: dieFotoausstellung „Kriegsende in Kerpen“ und die histori-sche Ausstellung im Stadtarchiv „Kerpen in Spanien“.

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Prof. Dr. Wilfried Reininghaus betonte die engeZusammenarbeit mit der Abteilung Archivberatung, vorallem in der Frage der Bestandserhaltung. Er verwies aufdas gemeinsame Dach, das Landesarchivgesetz NW, dasKulturgutschutzgesetz und auf zwei wichtige gemein-same Arbeitsschwerpunkte: die Benutzerbetreuung unddie Zukunft der verwaltungsinternen Ausbildung.

Die 1. Arbeitssitzung, moderiert von Dr. Peter Weber,widmete sich dem Thema „Archive und Denkmalpflege“.Den programmatischen Einstieg machte Dr. LudgerJ. Sutthoff, Rheinisches Amt für Denkmalpflege, mitdem Thema „Vom Werden eines Denkmals“. Er hatte sei-nen Vortrag in fünf Sachbereiche eingeteilt:– Archivwesen und Denkmalpflege sind in einer „Part-

nerschaft“ verbunden. Beide – Archive und Denkmäler– sind Kulturdenkmäler. Sie haben gemeinsame The-menkomplexe. Eine ordentliche Archivpflege istVoraussetzung für eine ordentliche Denkmalpflege.

– Die Komplexität von Archivbestand und Denkmalbe-stand macht fachlichen Sachverstand unbedingt not-wendig. Der Referent forderte einen „Umgebungs-schutz“ für Archivgut und Denkmalbestand. Er erläu-terte das am Beispiel eines schlecht gelagerten Archiv-bestands zur Baugeschichte einer Stadt. Der Wert vonBaudenkmälern erschließt sich erst in der Auswertungaller erdenklichen Quellen.

– Archivgut ist eine Quelle des Wissens für die Denkmal-pflege. Wer Archivgut aufgibt, gibt letztlich auch denk-malwerte Gebäude auf.

– Ein besonderes Problem ist die Tatsache, dass die Ent-stehung eines Denkmals ein Prozess ist. Denkmal-schutz ist unabhängig vom Alter, daher ist die Vermitt-lung des Denkmalwertes bei jungen Denkmälernschwierig.

– Mit Blick in die Zukunft von Archivwesen und Denk-malpflege warnte er davor, dass die Fehler bei der heu-tigen Denkmalpflege von zukünftigen Generationen zutragen seien. Der Verlust eines Unikats sei – wie imArchivwesen – irreparabel.Mit seinem Vortrag „15 Jahre Symbiose. Stadtarchivar

und Untere Denkmalbehörde in Geldern“ bewies Dr. Ste-fan Frankewitz, Leiter des Stadtarchivs Geldern, dassdiese Verbindung in Personalunion sehr erfolgreich undfruchtbar sein kann. Nach einem historischen Rückblick –wenige durch Clemen eingetragene Denkmäler, großeVerluste durch den „Modernisierungsfimmel“ nach dem2. Weltkrieg, 1964 einsetzende Inventarisation durch denLandeskonservator – ging er auf die heutige Situation ein.Ab 1971 gab es ein „Schnell-Inventar“. Erst mit Inkrafttre-ten des Landesdenkmalschutzgesetzes 1980 kam denKommunen als Unterer Denkmalbehörde die Aufgabe derEintragung in die Denkmallisten zu. Das wurde zögerlichumgesetzt. 1986 stellte die Stadt dann einen „Archivar undDenkmalpfleger“ ein. Seine Hauptaufgabe war dieBeschreibung der einzutragenden Denkmäler, die seit1988 in einer neuen Liste erfasst waren. 1990 wurde dazueine umfangreiche Publikation vorgelegt, die „Die Denk-mäler der Stadt Geldern“ ausführlich würdigte. Wich-tigste Quelle war immer die Bauakte des entsprechendenObjekts mit den entsprechenden Zeichnungen. Das Fazitdes Referenten: Die Besetzung der Denkmalpflege mitPersonal aus dem Bauamt macht „den Bock zum Gärtner“.Soll Denkmalpflege an der Basis funktionieren, mussjemand damit betraut sein, der den ursprünglichen, origi-

nalen Zeugniswert erhalten will. Heute sind Denkmälernicht einzeln, sondern schon in ihrem Kontext bedroht.Denkmalpflege aus historischer Sicht sollte deshalb einAnliegen aller Archivarinnen und Archivare sein.

„Zur Dokumentation von Kulturlandschaften“ sprachDr. Thomas Otten, Rheinischer Verein für Denkmalpflegeund Landschaftsschutz. Er erläuterte sehr anschaulich amBeispiel des Modellprojekts der Klosterlandschaft Heister-bach im Siebengebirge die Erstellung von Kulturland-schaftskatastern und Wandelkarten und stellte die ent-sprechenden Gutachten dar, die zur dreidimensionalentopographischen Aufnahmen führen.

„Zur Dokumentation von Bodendenkmälern“ erläu-terte Wolfgang Wegener M. A., Rheinisches Amt fürBodendenkmalpflege, zunächst das Denkmalschutzge-setz. Dann stellte er einige Beispiele für die gelungeneZusammenarbeit zwischen Bodendenkmalerfassung undArchiven vor. Ausführlich ging er auf die Zusammenar-beit mit Archiven bei archäologischen Grabungen ein.Hier seien die Altstadtkataster unerlässlich, um etwa inmittelalterlichen Städten eine Grundlage für Substanzer-haltung zu haben. Drei Grabungen wurden intensiver dar-gestellt. Die Ergebnisse der archäologischen Grabungenim Rheinland gehen in das so genannte „Ortsarchiv“ imRheinischen Amt für Bodendenkmalpflege, wo sie wie injedem anderen Archiv verzeichnet werden und dannbenutzt werden können.

Den Part „Zur Dokumentation von Baudenkmälern“hatte Dr. Frank Kretzschmar, Rheinisches Amt für Bau-denkmäler, übernommen, der Analoges zu der Erfassungvon Baudenkmälern vortrug.

Das archivische Dokumentationsprofil zur kommuna-len Denkmalpflege der Stadt Kerpen erläuterte sehranschaulich die Leiterin des Stadtarchivs, SusanneHarke-Schmidt, unter dem Titel „Erhaltenswert aus‚hauskundlichen‘ Gründen“. Ihren fundierten Beitraghatte sie unter vier Grundsatzfragen gestellt:– Welchen Beitrag können die Archive zur Sicherung der

Denkmäler unterschiedlichster Art leisten?– Wie kann ein Dokumentationsprofil für Archive ausse-

hen?– Kann man ein „Musterdenkmal“ kreieren?– Welche Quellen bieten sich an?

Die Referentin stellte zunächst den Sachstand in derStadt Kerpen vor: Es gibt 277 Baudenkmäler. Gründe fürdie Erhaltung waren wissenschaftliche, architekturge-schichtliche, ortsgeschichtliche, siedlungsgeschichtliche,städtebauliche, hauskundliche, volkskundliche undkünstlerische Gründe. Fünf Baudenkmäler stellte sienäher im Beispiel vor: das ehemalige Rathaus, heute Hausfür Kunst und Geschichte mit dem Stadtarchiv; ein land-wirtschaftliches Anwesen mit Fachwerkwohnhaus von1774, heute im Besitz der Referentin; die ehemalige Syna-goge, heute Wohnhaus; die Wasserburg Hemmersbach,Adelssitz der Familie Berghe von Trips, heute Sitz einesBeratungsunternehmens; die Burg Hemmersbach alsBodendenkmal.

Unterlagen zu Denkmälern finden sich in kommuna-len, staatlichen und kirchlichen Archiven, in Adels- undWirtschaftsarchiven und sonstigen Archiven privaterRegistraturbildner. Quellen sind Handzeichnungen,Urkarten und Umrisse, sonstige Kataster oder Flurkarten,Fotos, Zeichnungen und Grafiken, Bauordnungsakten,Akten des Hochbauamtes, sonstige Bauverwaltungsak-

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ten, Haushalts- und Rechnungsunterlagen, Steuerakten,Einwohnerlisten, -karteien, Standesregister, Unterlagenüber Brandkatastrophen, Pachtverträge, Rats- und sons-tige Protokolle und Gerichtsakten.

Die anschließenden Exkursionen führten zu Denkmä-lern auf dem Stadtgebiet von Kerpen und zu einer Gra-bung in der näheren Umgebung, bevor man sich aufSchloss Bergerhausen zum gemeinsamen Abendessenzusammenfand.

Die 2. Arbeitssitzung, moderiert von Dr. WolfgangSchaffer, behandelte das Thema „Überlieferung zurkommunalen Geschichte in Adels- und Kirchenarchiven“.Den Bereich der Adelsarchive behandelte Dr. Hans-Wer-ner Langbrandtner in seinem Vortrag „Lokalgeschicht-liche Quellen in Adelsarchiven am Beispiel der Adelsar-chive in der Erftregion“. Ein Blick auf die Karte zeigt, dassallein 30 Burgen und Schlösser in dieser Region liegen,deren Bestände zum größten Teil nutzbar sind. Von derStruktur her sind sie vergleichbar: Sie spiegeln die Famili-enverbindungen einer Adelsfamilie wider, enthalten häu-fig auch die Überlieferungen von landesherrlichen Amts-und Gerichtsbezirken und beinhalten das eigentlicheBurg- und Herrschaftsarchiv mit Urkunden und Aktender jeweiligen Lehnsinhaber.

Näher beleuchtet wurden drei Themenkreise, die aufQuellen aus Adelsarchiven beruhen und beispielhaft dielokale Geschichte und Lebenswelt beleuchten: Sie bezie-hen sich auf den rechtlichen Rahmen des Alltagslebens vor1800 (Unterherrschaft, Gericht, Gemeinde, Kirche) mitQuellen zur Gerichtsbarkeit, zur Ausübung des Kirchen-patronats, zum Jagdrecht, zur Finanzverwaltung derGemeinden und zur Steuererhebung, auf die Landwirt-schaft (Adeliger Fronhof) mit Überlieferung zum Rech-nungswesen der adeligen Haushalts- und Wirtschaftsfüh-rung und auf die Industrialisierung am Beispiel desBraunkohlebergbaus auf der Ville. Es wurde sehr anschau-lich dargestellt, dass die Überlieferung in Adelsarchivenviele Aspekte der Landes-, Regional- und Ortsgeschichtesowie der Wirtschafts- und Sozialgeschichte dokumen-tiert.

In seinem grundlegenden Vortrag „Zum Quellenwertvon Pfarrarchiven für die Stadt- und Gemeindege-schichte“ zeigte Dr. Ulrich Helbach, Historisches Archivdes Erzbistums Köln, den großen Reichtum an Informatio-nen, die diese Archive bieten. Bei seiner Untersuchungverknüpfte er die Aspekte der Überlieferungsstrukturenmit den inhaltlichen Erkenntnismöglichkeiten. Dazunahm er drei Ebenen in den Blick: die Frage nach dem Vor-kommen und dem zeitlichen und inhaltlichen Überliefe-rungshorizont; die unterschiedlichen Formen des Schrift-guts und seine provenienzmäßige Einordnung in diepfarrliche Überlieferung; die Differenzierung der Pfarrar-chive und ihrer Quellen mit ihrer Aussagekraft für dieStadt- und Gemeindegeschichte.

Die Bestände in Pfarrarchiven sind theoretisch in dreiBereiche zu unterscheiden: echte pfarrliche Provenienzen,kirchliche Vorprovenienzen und angefallene Fremdprove-nienzen. Zu ersteren gehören Kirchenbücher, kirchlicheAmtsbücher, Lagerbücher mit Grundstücksbeschreibun-gen und Skizzen, Vermögensunterlagen und später Akten;bei den Mischbüchern der Bruderschaften geht pfarrlicheund Fremdprovenienz ineinander über. Zu den kirchli-chen Vorprovenienzen gehören die Dokumente der Stifteund Klöster, die säkularisiert wurden. Bei den Fremdpro-

venienzen handelt es sich z. B. um Abgaben von Vereinen,die keine rechtlichen, aber persönliche Beziehungen zurPfarrei hatten, Pfarrernachlässe mit förmlichen Familien-papieren, Amtspapiere der Pfarrer als Dechanten wie Visi-tationsprotokolle und Schulinspektionen. Eine Vielzahlvon Querverbindungen zwischen weltlichem und kirchli-chem Leben lässt sich nachweisen. Je regionaler und orts-bezogener eine Forschung ist und je stärker auf die Zeitvor 1800 bezogen, desto ergiebiger ist der Beitrag derPfarrarchive.

Als ähnlich ergiebig zeigten sich „Die Schöffengerichts-akten im Pfarrarchiv St. Martinus in Kerpen als Quelle zurlokalen Alltags- und Sozialgeschichte“, die von Dr. MariaRößner-Richarz vorgestellt wurden. Die Referentinzeigte auf, dass hier ein bedeutender Fundus für die All-tags- und Sozialgeschichte der an lebensweltlichen Zeug-nissen armen Zeit vor 1800 vorliegt. Ihr Beispiel konntewichtige Angaben liefern zum Familienleben, zu Alltagund Lebensweg, der Arbeitswelt, zu Festen und Feiern,aber auch zu Alter, Krankheit und Tod, biographischeInformationen zu einzelnen Personen, genealogischeAngaben zu Familien, Informationen zum öffentlichenLeben, über die bäuerliche Gesellschaft und die Agrar-struktur, Besitz- und Pachtverhältnisse, wirtschaftlichesund finanzielles Potential, zur Ortsgeschichte, zur Flur-gliederung und den Besitzverhältnissen, zu den Grund-herrschaften und Grundstücksbeteiligungen, zur Lagevon Gebäuden, Ländereien, auch zu besonderen Ereignis-sen wie Feuersbrünsten, den Auswirkungen von Kriegenund militärischer Besatzung. Formal handelt es sich umAkten im eigentlichen Sinn, inhaltlich geht es um Zivil-und Strafrechtssachen, also Konflikte, die das Leben derMenschen widerspiegelt. Für einen geographischbegrenzten Raum sind Vergleichszahlen über das wirt-schaftliche und finanzielle Potential zu erhalten.

In der Aktuellen Stunde schloss sich der Kreis zurDenkmalpflege wieder mit dem informativen Vortragzum „Dokumentationszentrum des Rhein-Erft-Kreises“durch Gabriele Scholz, Leiterin des Kreisarchivs undGeschäftsführerin des Mühlenverbandes Rhein-Erft-Rure. V. Sie stellte die Aufgaben und Ziele des Zentrums vor,gab einen Überblick über die besichtigungsfähigen Müh-len und berichtete über den Beschluss zur Anlage einesMühlenkatasters. Sinn und Zweck der Dokumentationwurden näher erläutert, das Dokumentationsprofil(Datensammlung, Informationserschließung, -aufberei-tung, -vermittlung und -präsentation) und die Gliederungdes Dokumentationszentrums mit Datenbank, Mühlen-standortskarte, Bibliothek, Fotoarchiv und der Internet-präsentation dargestellt.

Über die neuen Perspektiven der Pfarrarchivpflegeberichtete Dr. Ulrich Helbach. Die seit 25 Jahren erfolg-reich praktizierte subsidiäre Pfarrarchivpflege, die mitUnterstützung der Archivberatungsstelle Rheinlandbetrieben wurde und die dazu führte, dass immerhin fast80% der insgesamt 800 Pfarrarchive in Findbüchernerschlossen sind, wird sich in Zukunft radikal veränderndurch die im Jahr 2000 begonnene kirchliche Strukturver-änderung, die eine neue Konzeption erforderlich machte.Aus den 800 Pfarreien wurde ein Netz von 210 Seelsorge-bereichen geschaffen, jeder davon eine zukünftige Groß-pfarrei, von denen fast alle einen „Kirchengemeindever-band“ besitzen. Die Archive liegen weiterhin in der Ver-antwortlichkeit der Pfarreien bei neuer Raumnutzung. Die

81Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

neuen „Mittelpunktsarchive“ – mehrzellige Archive einesneuen Pfarrarchiveigentümers – werden vom Histori-schen Archiv des Erzbistums eng betreut und versprechenerhebliche Synergieeffekte in mehrfacher Hinsicht (bes-sere räumliche Unterbringung, bessere Benutzungsmög-lichkeiten, leichtere Betreuung, bessere Fördermöglichkei-ten).

Der 40. Rheinische Archivtag wird am 8. und 9. Juni2006 in Düsseldorf stattfinden.

Pulheim-Brauweiler Adelheid Rahmen-Weyer

13. Sächsischer Archivtag / 2. Sächsisch-BöhmischesArchivarstreffen 2005 in StollbergErschließung – Eine Kernaufgabe im WandelVom 24. bis 26. Juni 2005 fand in Stollberg/Erzgebirge der13. Sächsische Archivtag statt, der nach 2001 zum zweitenMal mit einem Sächsisch-Böhmischen Archivarstreffenkombiniert war. Eine der wichtigsten Aufgaben der Archi-vare, die Erschließung, stand im Mittelpunkt der diesjähri-gen Fachtagung. Die gute Resonanz mit 123 Teilnehmern,darunter 13 aus Tschechien, bestätigte die Wahl des The-mas.

Die Grußredner, die am 25. Juni 2005 zur Eröffnungsprachen, hoben insbesondere hervor, dass die Erschlie-ßung wichtige Grundlage und Schlüssel für die Aufarbei-tung der eigenen Geschichte ist. Die Aufarbeitung trägtwiederum zur Identitätsbildung bei, die für den Aufbauund die Pflege staatenübergreifender Kontakte ausschlag-gebend ist. – Im Anschluss leitete Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch (Sächsisches Staatsarchiv – StaatsarchivChemnitz) mit dem Einführungsvortrag „Erschließung –Dreh- und Angelpunkt archivischer Tätigkeiten“ denfachlichen Teil ein. Sie stellte fest, dass während Erschlie-ßungsrichtlinien in der DDR diskutiert und rezipiert wur-den, in den Fachzeitschriften der alten Bundesrepublikjedoch kaum eine theoretische Auseinandersetzung statt-fand. Erst seit den 90er Jahren wurden verstärkt Artikelzur Erschließung in den Fachzeitschriften (Archivmittei-lungen, Der Archivar) veröffentlicht. Die aktuellen interna-tionalen Richtlinien, insbesondere die ISAD (G)1, würdenallerdings noch zu selten in die fachliche Diskussion einbe-zogen. Dr. Wenz-Haubfleisch wies darauf hin, dass dieErschließung eine wesentliche Grundlage für weiterearchivische Fach- und Kernaufgaben sei, wie die Benut-zung (hinsichtlich Beratungsaufwand, Belastung desMagazindienstes), Bestandserhaltung (Schadensermitt-lung, Planung von restauratorischen und konservatori-schen Maßnahmen), Überlieferungsbildung (Bewertungs-konzepte) sowie die historisch-politische Bildungsarbeit(zielgerichteter Zugriff auf Materialien). Erschließungs-planungen müssten künftig den weiter wachsenden Kos-tendruck und den Abbau an Personal berücksichtigen. DieReferentin stellte einen Vier-Phasen-Plan für die Bearbei-tung vor, der aus einer Analysephase, einer Rahmen- undPlanungsphase, der Durchführungsphase und der Evalu-ierungsphase besteht. Wichtig sei, Arbeitsergebnisse soschnell wie möglich zur Verfügung zu stellen. Als erstessollten daher z. B. (auch unvollständige) Beständeüber-sichten ins Internet gestellt werden. Ziel sollte ebenso dieEinstellung von Findbüchern sein.

1 General International Standard Archival Description.

In der ersten Arbeitssitzung am Vormittag standen zweiFachbeiträge auf dem Programm. Dr. Jürgen Treffeisen(Landesarchiv Baden-Württemberg) referierte zur „Pla-nung, Organisation und Durchführung von archivischenErschließungsprojekten“. Am Anfang eines jedenErschließungsprojektes solle eine umfassende Bestands-analyse stehen. Dabei sollten v. a. Angaben zur Bestands-struktur (Registraturschichten, Charakteristika der Archi-valiengruppen, Aktentypen) und enthaltene Provenien-zen erfasst werden. Des Weiteren sei jede Archivalien-gruppe mengenmäßig zu definieren und für jede entspre-chende Arbeitszeitrichtwerte festzulegen. Außerdem seies wichtig, die notwendige Qualifikation der Mitarbeiterfür die einzelnen Arbeitsabschnitte festzulegen. In der Pla-nungsphase sollten auch Teilprojekte definiert und dieForm des am Abschluss stehenden Findmittels festgelegtwerden. Dr. Treffeisen plädierte dafür, die Erschließungnicht allein an der archivinternen Organisation auszurich-ten, die sich zumeist an zeitlichen Abschnitten orientiert,sondern vielmehr die Erschließungsarbeiten auf alle Mit-arbeiter zu verteilen. Somit könnten Personalressourcenoptimal ausgenutzt werden. Zum Abschluss seines dis-kussionswürdigen Beitrags wiederholte der Referent eineallseits bekannte Forderung an die Archive, bei der Pla-nung der Erschließungsarbeiten auch die Forschungs-schwerpunkte zu berücksichtigen. Dafür sei allerdingseine langjährige Planung notwendig.

PhDr. Jindrv ich Schwippel (Karlsuniversität Prag)machte sich „Gedanken zur inneren Ordnung von zusam-mengefassten Beständen“. Seine Ausführungen basiertenauf den Erfahrungen bei der Bearbeitung der Überliefe-rung der Akademie der Wissenschaften der Tschechoslo-wakei. Hatte man anfangs versucht, Findmittel zu einzel-nen Organisationseinheiten zu fertigen, wurde im Laufeder Bearbeitung deutlich, dass die Zuständigkeiten häufigzwischen den verschiedenen Organisationseinheitengewechselt hatten oder nicht klar getrennt waren. Alleineine übergreifende Ordnung der Gesamtüberlieferungkonnte eine brauchbare Strukturierung sicherstellen. Derumfangreiche Bestand wurde in mehreren Teilprojektenerschlossen. Die Erschließung erfolgte auf Karteikarten,um die Sortierung zu erleichtern. Am Schluss konnte derBestand um ca. ein Drittel reduziert werden, da v. a. mehr-fach überlieferte Beschlüsse kassiert wurden. Dabei wurdeein modifiziertes „Federführungsprinzip“ angewandt.Schwippel stellte in seinem Resümee fest, dass dieErschließung immer in Abhängigkeit von der Bestands-struktur und den Festlegungen des Registraturbildnerserfolgen muss und daher nicht schematisiert werdenkann. Des Weiteren seien gleichartige Unterlagen analogzu ordnen; ansonsten bestehe die Gefahr, dass die Unterla-gen unterschiedlich ausgewertet werden würden.

Zu Beginn der zweiten Arbeitssitzung gab Dr. AnettMüller einen Erfahrungsbericht über „Die Erschließungvon Karten und Plänen“ des Ratsrissarchivs im Stadtar-chiv Leipzig. Hinsichtlich der Bestandsbildung wurde dieFestlegung getroffen, dass die Karten und Risse, die bis1945 entstanden sind, in einem Bestand zusammengefasstbleiben. Alle nach 1945 entstandenen Karten und Rissewerden nach Provenienzen getrennt. In Vorbereitung aufdie Verzeichnung, die von studentischen Hilfskräftendurchgeführt wurde, mussten Literatur und Akten dazukonsultiert werden. Im Anschluss daran waren einzelneProjektabschnitte festgelegt worden. Die Karten und Risse

82 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

wurden mit dem Archivprogramm Faust erschlossen, des-sen Eingabemasken flexibel an die entsprechendenErschließungsparameter (nach Papritz) angepasst werdenkonnten. Im Ergebnis lagen nicht nur die verzeichnetenKarten und Risse vor, sondern auch aussagekräftige Semi-nar- und Magisterarbeiten der Studenten, die die Dienstbi-bliothek wertvoll ergänzen. Dr. Müller bekräftigte die Tat-sache, dass der organische Entstehungszusammenhangzwischen den Akten und Karten bereits bei der Übergabean das Archiv zumeist zerstört sei. Aufgrund dessenmüssten die abgebenden Behörden angehalten werden,auf den Ablieferungslisten die Verbindungen zwischenAkten und Karten anzugeben.

Mona Harring (Sächsisches Staatsarchiv – BergarchivFreiberg) stellte das Spannungsverhältnis von „Prove-nienz vs. Praktikabilität“ anhand der „Gliederung undBearbeitung von Beständen sächsischer Steinkohleunter-nehmen im Rahmen von Zusatzprojekten“ vor. Sie hobhervor, dass der Einsatz fachfremder Personen für Ord-nungs- und Verzeichnungsarbeiten immer einen Konfliktzwischen „fachlich vertretbaren“ und „archivfachlich not-wendigen“ Anforderungen darstelle. Die Forderung, dieVerteilung der Verzeichnungsarbeiten an der jeweiligenQualifikation der Fach- und Zusatzkräfte auszurichten,schloss an die von Dr. Treffeisen an. So können Zusatz-kräfte mit Hochschulabschluss auf geistes- und hier spe-ziell montanwissenschaftlichem Gebiet Neu- und Erstver-zeichnungen sowie Feinbewertungen vornehmen. Fach-fremde Zusatzkräfte mit Verwaltungs- oder Büroerfah-rung könnten für die Eingabe vorhandener Findmittel indas elektronische Erschließungs- und Recherchepro-gramm sowie für einfache Erschließungsarbeiten herange-zogen werden. Dem Archivar obliege schließlich die Pro-jektorganisation, die innere Ordnung und Bestandabgren-zung sowie die Erstellung des Findbuchs. Das A und Oeines jeden Erschließungsprojekts ist die Vorbereitung(Vermittlung von archivfachlichem Basiswissen) und diezeitnahe (!) Nachbereitung (Kontrolle, Korrektur derDatensätze). Von größter Bedeutung sei die insbesonderefachliche Anleitung und Betreuung des nichtfachlichenPersonals, die letztendlich über den Erfolg derartiger Pro-jekte mitentscheide. Frau Harring plädierte dafür, injedem Archiv eine Übersicht der Bestände anzulegen, dievon Hilfskräften unterschiedlicher Qualifikation bearbei-tet werden können. Diese könnten dann flexibel bearbeitetwerden. Zum Abschluss sprach sich die Referentin dafüraus, vom Einsatz fachfremder Personen Abstand zu neh-men, wenn Aufwand und Nutzen in keinerlei Verhältnisstünden.

Dr. Matthias Lienert stellt seine „Erfahrungen mitOnline-Findbüchern im Universitätsarchiv Dresden“ vor.Fachfremde Hilfskräfte werden für die intensive Erschlie-ßung gleichförmiger Patienten- und Studentenakten ein-gesetzt. Die Erschließungsleistungen finden in eine Daten-bank Eingang, die über das Internet, jedoch mit unter-schiedlichen Zugriffsrechten, abrufbar ist. Auf die Daten-bank mit den Studenten- und Patientenakten haben nurautorisierte Personen Zugriff, wogegen der Professoren-katalog allen Usern ohne Einschränkungen zur Verfügungsteht. Dr. Lienert betonte die positive Außenwirkung derDatenbanken, insbesondere im Rahmen der Auskunftser-teilung. Anfragen könnten schnell – weil ohne Einsicht-nahme in die Akten – beantwortet werden; das habe wie-derum Auswirkungen auf die Bestandserhaltung der

Akten. Außerdem seien online verfügbare Beständeüber-sichten und Findmittel eine Möglichkeit der Archive, mitdem Rechercheangebot der Bibliotheken gleichzuziehen.D. h., der Benutzer erhält Informationen mit gleichen Mit-teln (Internet) gleich schnell.

Last but not least referierte PhDr. Eduard Mikusv eküber „Die böhmisch-sächsischen Beziehungen in derRevolution 1848/49 und ihre Widerspiegelung in denArchivquellen“. Aufgrund kriegsbedingter Verluste inden einschlägigen Überlieferungen komme jeder Informa-tion dazu erhöhte Bedeutung zu. Informationen ausSekundärquellen müssten bei der Erforschung bestimmterhistorischer Themen besonders berücksichtigt werden.Einen reichen Fundus bildeten die leider wenig bekanntenNachlässe, die v. a. im Prager Nationalmuseum archiviertwerden. Dr. Mikusv ek konstatierte, dass sich zu den böh-misch-sächsischen Beziehungen während besagter Revo-lution Unterlagen v. a. in ausländischen Archiven befin-den, was den meisten tschechischen Forschern jedochkaum bekannt sei. Sprachliche Probleme kämen erschwe-rend hinzu. So bilde der Nachlass des Abgeordneten derFrankfurter Nationalversammlung, Heinrich Wuttke, imStadtarchiv Dresden eine reiche und wichtige Quelle fürdas Thema. Der Referent sprach sich dafür aus, auchgrenzübergreifend Bestände bekannt zu machen.

In der sich anschließenden Mitgliederversammlungwurde ein neuer Vorstand des Landesverbandes Sachsenim VdA gewählt. Zu seinem Vorsitzenden wurde Ray-mond Plache (Sächsisches Staatsarchiv – Bergarchiv Frei-berg) wiedergewählt. Die Fachgruppe 1 wird von Ray-mond Plache (Bergarchiv Freiberg) und Yvonne Gerlach(Staatsarchiv Chemnitz) vertreten, die Fachgruppe 2 vonSteffi Rathe (Kreisarchiv Aue-Schwarzenberg), BirgitHorn-Kolditz (Stadtarchiv Leipzig) und Annette Kar-natz (Stadtarchiv Radebeul), die Fachgruppe 3 von Dr.Rüdiger Kröger (Unitätsarchiv Herrnhut), die Fach-gruppe 5 von Veronique Töpel (Sächsisches Wirtschafts-archiv e. V.) sowie die Fachgruppen 7 und 8 von StephanLuther (Archiv der TU Chemnitz).

Die Fachtagung war von einem umfangreichen undinteressanten Rahmenprogramm begleitet. Am Freitag botdas Kreisarchiv Stollberg zwei Führungen an. Im anschlie-ßenden regionalgeschichtlichen Vortrag im Bergbaumu-seum Oelsnitz gab die Leiterin, Andrea Riedel, einenÜberblick über die Entwicklung des Chemnitz – Lugau –Oelsnitzer Steinkohlereviers und des Museums, das imnächsten Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert. Abgerundetwurde der Vortrag mit der Auffahrt in den Förderturm,der als einziger seiner Art geschlossen ist, und der Vorfüh-rung der Förderanlage. Am Samstagabend stand für dieTeilnehmer eine (Schauvor-)Führung durch das Techni-sche Museum Papiermühle Niederzwönitz auf dem Pro-gramm. Der Abend klang bei einem gemütlichen Abend-essen aus. Am Sonntag öffneten sich die Türen des seit2001 geschlossenen Gefängnisses Schloss Hoheneck inStollberg. Das Gefängnis erlangte während seiner fast 140-jährigen Geschichte traurige Berühmtheit. In SchlossHoheneck waren sämtliche weiblichen politischen Häft-linge der DDR gemeinsam mit Schwerstverbrecherninhaftiert; die Behandlung der Häftlinge war entspre-chend streng und unmenschlich.

Der 14. Sächsische Archivtag findet vom 19. bis 21. Mai2006 in Borna (Landkreis Leipziger Land) statt.

Chemnitz Yvonne Gerlach

83Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Landesarchivtag von Sachsen-Anhalt in MagdeburgDas Jahr 2005 war für die Stadt Magdeburg ein Jubiläums-jahr, denn vor 1200 Jahren ist sie erstmals urkundlich imDiedenhofer Kapitular Karls des Großen erwähnt worden.Dieses Stadtjubiläum war für die Stadt MagdeburgAnlass, auch die Archivarinnen und Archivare des LandesSachsen-Anhalt zum Landesarchivtag 2005 einzuladen. Erfand am 6. und 7. Juni im Hauptgebäude der Stadtspar-kasse Magdeburg statt. Diese hatte die Räumlichkeitendankenswerterweise kostenlos zur Verfügung gestellt.Unter Leitung des Vorstandes des Landesarchivverbandeswar ein Programm mit zwei Schwerpunkten zusammen-gestellt worden: „Bestandserhaltung“ am ersten sowie„Archive und Stadtgeschichte“ am zweiten Beratungstag.

Der Vorsitzende des Landesverbandes, Ralf Jacob(Stadtarchiv Halle), konnte zur Eröffnung über 70 Archi-varinnen und Archivare willkommen heißen. Der Ober-bürgermeister der Stadt Magdeburg, Dr. Lutz Trümper,und Katharina Tiemann (Landschaftsverband Westfalen-Lippe Westfälisches Archivamt) für den Verband deut-scher Archivarinnen und Archivare richteten Grußwortean die Teilnehmer des Archivtages.

Frau Tiemann war dem Wunsch des Landesvorstandesgefolgt und hatte Ausbildungs- und Qualifizierungsfra-gen im Archivwesen unter besonderer Berücksichtigungder Möglichkeiten für Quereinsteiger in den Mittelpunktihres Grußwortes gestellt. Die Leiterin des Landeshaupt-archivs Sachsen-Anhalt, Dr. Ulrike Höroldt, informierteüber das DFG-Projekt zur Retrokonversion von Findhilfs-mitteln.

Die folgenden Referentinnen erläuterten ein Modell zurVorgehensweise einer Schadensklassifikation (AngelaErbacher, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Abt. Des-sau) und die Planung von Bestandserhaltungsprojekten(Barbara Kunze, Sächsisches Staatsarchiv). Es wurdenwichtige Hinweise gegeben zur Erfassung und Klassifizie-rung geschädigten und (noch) nicht geschädigten Archiv-gutes und zur Vorbereitung und Organisation vonbestandserhaltenden Maßnahmen. In ihrem Vortrag „Dawar doch mal was! – Der Verlust von Lesbarkeit beiOrmig-Abzügen“ ging Ute Schiborra vom GleimhausHalberstadt auf ein besonderes Problem der Bestandser-haltung ein. Leider gibt es bisher kein Rezept zum dauern-den Erhalt von Ormig-Abzügen.

Ein Novum in der Geschichte der Landesarchivtagevon Sachsen-Anhalt war die Durchführung von Work-shops. In Räumlichkeiten des Landeshauptarchivs Sach-sen-Anhalt konnten die Archivarinnen und Archivare anzwei Workshops teilnehmen. Der erste befasste sich mitdem Thema: „Konservierung und Restaurierung. KleineMaßnahmen – große Wirkungen. Erläuterung einfacherSchadensbegrenzungen und Schadensbehebungen ampraktischen Beispiel“. Unter dem Titel „Böhmische Dörferoder Übungssache?“ bot der zweite Workshop Leseübun-gen zu typischen Schriftbeispielen des 17. und 18. Jahrhun-derts an. Erstmals wurde auch eine Podiumsdiskussionveranstaltet. Ihr Thema lautete: „Die Quadratur des Krei-ses. Benutzung und Bestandserhaltung im Widerstreit amBeispiel von Foto- und Diabeständen“. Der großeZuspruch sollte Anlass sein, auch in den nächsten Jahrensolche speziellen Veranstaltungen im Rahmen des Landes-archivtages durchzuführen.

„Archive und Stadtgeschichte“ lautete der Schwer-punkt des zweiten Beratungstages. Über „Die Entstehung

der neuen Stadtgeschichte Magdeburgs und die Zusam-menarbeit mit dem Stadtarchiv“ referierte Prof. Dr.Mathias Tullner von der Otto-von-Guericke-UniversitätMagdeburg. Er betonte die Notwendigkeit der Erarbei-tung einer neuen Stadtgeschichte aufgrund der veränder-ten politischen Situation nach 1990 und mit Blickrichtungauf das Stadtjubiläum. Das ca. 1000 Seiten umfassendeWerk „Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805–2005“ istim Oktober 2005 erschienen.

Aus der Sicht eines Stadtarchivs sprach Dr. Maren Bal-lerstedt (Stadtarchiv Magdeburg) zum Thema „Kommu-nalarchiv und Stadtjubiläum – Möglichkeiten und Gren-zen der historischen Bildungsarbeit“. Neben den allge-mein üblichen Formen der Öffentlichkeitsarbeit, wiePublikationen, Vorträge, Archivführungen, Beteiligung anAusstellungen, stellte sie Aktivitäten vor, die im Jubilä-umsjahr erstmals vom Stadtarchiv Magdeburg vorbereitetund durchgeführt worden sind. Es handelte sich z. B. umZeitzeugennachmittage, Filmveranstaltungen und einQuiz zur Stadtgeschichte, deren Gelingen aber auch finan-zielle oder sachbezogene Unterstützung verschiedenerPartner erfordert.

Der Beitrag von Dr. Roswitha Willenius von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg widmete sich derKooperation von Universität und Archiv und vermitteltedie Erfahrungen einer 1½-jährigen Zusammenarbeit desInstituts für Geschichte der Universität Magdeburg unddes Stadtarchivs Wernigerode bei der Bearbeitung stadt-geschichtlicher Themen. Für dieses Projekt wurden The-men ausgewählt, an deren Bearbeitung die Stadt Wernige-rode besonders interessiert war. Andererseits hatten dieStudenten die Möglichkeit, die Arbeitsweise eines Archivskennen zu lernen, was im Hinblick auf eine praxisorien-tierte Ausbildung der Geschichtsstudenten unerlässlichist. Ein derartiges Projekt beginnt im Herbstsemester 2005im Rahmen einer Übung für Geschichtsstudenten auch imStadtarchiv Magdeburg.

Im letzten Vortrag des Archivtages informierte die Lei-terin des Organisationsbüros „Magdeburg 12hundert“,Christine Friedrich, über die Vorbereitung und Realisie-rung des Stadtjubiläums der Landeshauptstadt Magde-burg. Das Büro 12hundert ist am 1. Juni 2003 als temporä-res Büro gegründet worden. Es untersteht dem Beigeord-neten für Kultur, Schule und Sport und hat sieben Mitar-beiter sowie zeitweise zusätzliche Praktikanten. SeineAufgabe besteht in der Koordination und Kommunikationaller im Rahmen des Magdeburger Stadtjubiläums statt-findenden Projekte und Veranstaltungen. Das Büro 12hun-dert führt den Veranstaltungskalender, weist die Förder-mittel an, berät und informiert alle beteiligten Partner, istfür die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Zum Abschluss beider Beratungstage fanden Muse-umsführungen statt. Der erste Beratungstag schloss miteiner Führung durch die Ausstellung des Kulturhistori-schen Museums Magdeburg zum Stadtjubiläum, die vomMuseumsdirektor durchgeführt wurde. Die Besichtigungder Ausstellung „Der Breite Weg. Ein verlorenes Stadt-bild“ beendete den zweiten Beratungstag. Diese Ausstel-lung über die geschichtsträchtige HauptverkehrsstraßeMagdeburgs war unter maßgeblicher Beteiligung desStadtarchivs Magdeburg entstanden. Aus seinen Bestän-den waren mehrere hundert Fotografien sowie Pläne undZeichnungen aus Bauakten zur Verfügung gestellt wor-den. Sie ist ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenar-

84 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

beit zwischen Archiv, Museum, Stadtplanungsamt undder städtischen Gemeinnützigen Gesellschaft für Ausbil-dung, Qualifizierung und Beschäftigung mbH (AQB).

Im Rahmenprogramm fand eine Fachmesse statt, aufder sich zehn Aussteller präsentierten und Archivtechnik,Software, Archivkartonagen, Restaurierungsangeboteusw. vorstellten. Der Erfahrungsaustausch zwischen denteilnehmenden Archivaren wurde auch bei einem gemein-samen Abendessen im historischen Gewölbekeller „But-tergasse“ am Abend des ersten Beratungstages intensivgeführt.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Referate desLandesarchivtages wiederum in einem Tagungsbanderscheinen werden, der jedem Archivtagsteilnehmer zurVerfügung gestellt wird. Der Landesarchivtag des Jahres2006 wird in der Stadt Halle (Saale) stattfinden, die in die-sem Jahr ebenfalls ihr 1200-jähriges Stadtjubiläum bege-hen wird.

Magdeburg Konstanze Buchholz

2. Detmolder SommergesprächEinwandern, Auswandern, Flüchten und Spuren Suchen imLandesarchiv Staats- und Personenstandsarchiv Detmold1

Am 31. August 2005 fand das zweite Detmolder Sommer-gespräch statt. Diese familienhistorische Tagung ist eineVeranstaltung des Landesarchivs NRW Staats- und Perso-nenstandsarchiv Detmold und geht auf die Initiative desPersonenstandsarchivs für Westfalen-Lippe in Detmoldzurück.2 Die nordrhein-westfälischen Personenstandsar-chive sind zentrale Anlaufstellen für die private und wis-senschaftliche Familienforschung und daher mehr alsandere Archive mit dem Boom der „Genealogie“ konfron-tiert. Familienforscher und Genealoginnen, Archivarin-nen und Archivare sowie wissenschaftliche Historikerin-nen und Historiker arbeiten zwar mit den selben Quellen,aber leben überwiegend in unterschiedlichen „Wissens-kulturen“. Ziel des Detmolder Sommergesprächs ist es,die Kunden der Archive, Historiker, Archivare, aber auchBehördenmitarbeiter miteinander ins Gespräch zu brin-gen. Die Tagung richtete sich deshalb an alle Interessier-ten. Der Zuspruch war außerordentlich groß. Die mehr als80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hörten trotz hoch-sommerlicher Temperaturen bis zum Schluss aufmerksamden interessanten Referaten zu. Dies lag sicherlich nichtzuletzt am Thema: Einwandern, Auswandern, Flüchtenund Spuren Suchen.

Während das 1. Detmolder Sommergespräch dasThema Personenstandsbücher als genealogische unddemographie-historische Quelle zum Gegenstand hatte,thematisierten die Vorträge und Diskussionen beim 2. Det-molder Sommergespräch Fragen der Migrationsge-schichte. „Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte derWanderungen…“, so Jörn Sieglerschmidt.3 Für dieFamilienforschung führen diese Wanderungsbewegun-gen meist zu dem legendären „toten Punkt“. Migrations-geschichte ist aber nicht nur für die von Laien betriebenen

1 Ich danke dem Protokollanten der Tagung Christian Weitling.2 Der Tagungsband wird voraussichtlich im Jahr 2006 erscheinen.3 Sieglerschmidt, Jörn, Migration in der Geschichte: Versagen des Staa-

tes – Zauber des Wohlstands?, in: Vierteljahresschrift für Wirtschafts- undSozialgeschichte, 91 (2004) H. 2, 194–201, hier, 194.

Genealogie interessant4, sondern wird dabei auch in derGeschichtswissenschaft und Soziologie erforscht und dis-kutiert. Dr. Jutta Prieur-Pohl (Leiterin des Staats- undPersonenstandsarchivs Detmold) hob in ihrer Begrü-ßungsrede die gesellschaftliche Relevanz dieses Themashervor. Davon zeugt auch das große Interesse der For-schung an Migration. Frau Prieur-Pohl verwies u. a. aufdie weit verzweigte Auswanderungsforschung einerseitsund die Historisierung der Geschichte der „Gastarbeiter“in der Bundesrepublik Deutschland andererseits. Beispiel-haft für letzteres ist die Ausstellung „50 Jahre deutscheVita“ im Bonner Haus der Geschichte über die italieni-schen Emigranten. Für das 2. Detmolder Sommergesprächwurden drei größere Themenkomplexe innerhalb der weitgestreuten und verzweigten Migrationsforschung herausgegriffen: die Arbeitsmigration (Sektion I), die Amerika-auswanderung (Sektion II) und die erzwungene Migrationwährend der Weltkriege und der NS-Zeit (Sektion III).Wieder war es gelungen, kompetente Referentinnen undReferenten aus verschiedenen „scientific communities“,„Sprechkulturen“, für die einzelnen Vorträge zu gewin-nen.

Nach dem Einführungsreferat von Dr. Bettina Joer-gens eröffnete Prof. Dr. Wilfried Reininghaus mit sei-nem Vortrag „Quellen zur berufsbedingten Migration im19. Jahrhundert“ die erste Sektion. Der Archivar und His-toriker Wilfried Reininghaus (Präsident des Landesar-chivs NRW) konnte für seinen Beitrag auf seine ausgewie-senen Forschungen zur westfälischen Landes- und Wirt-schaftsgeschichte zurückgreifen. Systematisch erläuterteer, welche Quellentypen für das Aufspüren von wandern-den Handwerksgesellen, lippischen Zieglern, Fabrik- undBergarbeitern oder „Hollandgängern“ heranzuziehensind und welchen Aussagewert die vorgestellten Quellenhaben. Beispielsweise können in Kirchenbüchern bzw.Kirchenbuchduplikaten sowie Zivilstandsregistern desDetmolder Personenstandsarchivs Wanderungsbewegun-gen v. a. in den Heiratsbüchern nachgewiesen werden.Reininghaus betonte jedoch, dass die verschiedenen Quel-len miteinander korreliert werden müssen. Ein „recordslinkage“ und damit eine dezidierte Quellenkritik sindnicht zuletzt auch bei Egodokumenten erforderlich – einAppell insbesondere an diejenigen Familienforscher, dieihre Ahnensuche fast ausschließlich auf Kirchenbücherstützen. Auch Dr. Relinde Meiwes, Historikerin aus Ber-lin, verwies in ihrem geschlechterhistorischen Vortragüber „Arbeitsmigrantinnen um 1900“ auf sehr unter-schiedliche Archive, in denen Biografien von Lehrerinnen,Krankenschwestern, Handwerkerinnen oder Dienstmäd-chen nachgespürt werden können. Für die Erforschungvon berufstätigen Frauen kommen nicht nur staatlicheund kommunale, sondern z. B. auch Verbände-, Kirchen-und Ordensarchive sowie Oral-History-Projekte in Frage.Relinde Meiwes regte besonders die Familienforscherin-nen an, nach ihren Vorfahrinnen zu fragen und sie näherkennen zu lernen: „Wir finden nur, wonach wir suchen“,so ihr Credo. Jörg List, Dezernent der BezirksregierungDetmold, holte die Zuhörerinnen und Zuhörer in dieGegenwart zurück. List referierte über Einbürgerungsvor-gänge in der „lebenden“ Behörde Bezirksregierung. Errichtete die Aufmerksamkeit auf die heutige Einwande-

4 Der Deutsche Genealogentag in Hannover im September 2005 stand auchganz im Zeichen „mobiler Personengruppen”.

85Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

rung nach Deutschland und speziell in die Region Ost-westfalen-Lippe. Der Jurist List legte dar, wie eine Einbür-gerung verwaltungstechnisch erfolgt und welches Schrift-gut damit – für die spätere Forschung – „produziert“ wird.

Was heute die Einwanderung in die Industriestaaten ist,war im 19. Jahrhundert die Auswanderung nach Amerika.Gut fünf Millionen Menschen verließen im „langen“19. Jahrhundert (zwischen 1820 und 1913) Deutschland5

und suchten meist neue Lebens-, Arbeits- und Wirkungs-möglichkeiten jenseits des Atlantiks. Einer der großenAuswandererhäfen war Hamburg, weshalb Dr. PeterGabrielsson, Historiker und Archivar vom dortigenStaatsarchiv, die für die Auswanderungsforschung rele-vanten Bestände des Hamburger Archivs vorstellte:Neben den Passagierlisten sind insbesondere die Archiva-lien des Auswandereramtes, der Polizei-, Kriminal- sowieGesundheitsbehörden für die Recherche nach emigriertenVorfahren interessant. In seiner professionell undanschaulich aufbereiteten Präsentation zeigte er auch, wieman online in der Datenbank des Projekts „Link to yourRoots“ nach Auswandererfamilien recherchieren kann.6

Dr. Monika Minninger, stellvertretende Leiterin desStadtarchivs Bielefeld, führte anschließend vom Staatsar-chiv ins Kommunalarchiv. Monika Minninger eröffnetedas gesamte Panorama der Auswanderung vom Mittelal-ter bis ins 20. Jahrhundert, wie sie in westfälischen Kom-munalarchiven dokumentiert ist. Amerika war nur einesneben vielen anderen Zielen: Stadtflucht im Mittelalter,Auswanderung nach Holland, nach Übersee, im 18. Jahr-hundert etwa nach Ostindien, Militärflüchtlinge aus Preu-ßen, politische Emigration nach 1848 oder Deportationenwährend der NS-Zeit waren weitere Migrationsphäno-mene, die mit Militärbeständen, Heimatscheinen, Geneh-migungsschreiben, Familiennachlässen oder Deportati-onslisten belegt werden können. Friedrich Schütte, derals „Friedel“ bekannte Journalist, Sprecher des Amerika-netzes Westfalen, schloss mit einem schwungvollen Vor-trag die zweite Sektion. Er stellte sein demnächst erschei-nendes Buch „Westfalen in der Neuen Welt“ vor. In seinerArt, die Zuhörer mitzureißen, zeigte Schütte, wie er in ver-schiedenen Netzwerken und Kontakten in die USA Infor-mationen über Auswanderer zusammentrug und darausseine „Heldengeschichten“ schrieb. Auf welche archivali-schen Quellen er sich dabei stützt, wurde jedoch nichtimmer ersichtlich.

Auch in der letzten Sektion (III) trafen zwei sehr unter-schiedliche Referate aufeinander. Der Historiker Dr. Tho-mas Kailer (Universität Gießen) forderte in seinem Refe-rat „‚Es bleibt ja in der Familie.‘ Vertreibung und Integra-tion im Familiengedächtnis von Heimatvertriebenen“ dasPublikum mit seinen methodischen Überlegungen zurErinnerungsforschung heraus. Die aktuellen politischenDebatten über ein „Zentrum gegen Vertreibung“ sind nurein Symptom für die gegenwärtige gesellschaftliche undpsychologische Relevanz der Erinnerung an Vertreibungund Flucht, und zwar heute durch die Nachkriegsgenera-

5 Kocka, Jürgen, Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerli-che Gesellschaft. Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, 10. völ-lig neu bearb. Auflage, Bd. 13, Stuttgart 2004, 70.

6 S. www.linktoyourroots.hamburg.de.

tion.7 Kailer stellte das Erinnern in Familien der politischbeeinflussten „Meistererzählung“ und den Erfolgsge-schichten in „offiziellen Erinnerungspraktiken“ gegen-über. In seinem beim Detmolder Sommergespräch in Aus-zügen vorgestellten Habilitationsprojekt geht er u. a. derFrage nach, wie in das Familiengedächtnis bestimmte Vor-stellungen, Bilder und Metaphern des kulturellenGedächtnisses einbezogen werden. Seine Forschungbasiert im Wesentlichen auf narrativen Interviews. DieHistorikerin und historische Dienstleisterin Simone Ver-wied zeigte dagegen ganz praxisnah, wie man Vorfahrenaufspüren kann, die vertrieben wurden. Am Beispiel derVertriebenen aus dem Dorf Mischeny im ehemaligen Bes-sarabien erläuterte sie verschiedene Stationen der Recher-che – angefangen bei den Landsmannschaften und derenArchiven, bis zum Bundesarchiv und dabei besondersdem Berlin Document Center.

Als Rahmenprogramm boten die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter des Staats- und Personenstandsarchivs meh-rere Führungen durch das Archiv an. Für das 2. DetmolderSommergespräch wurde eigens eine Führung zum ThemaEin- und Auswanderung erarbeitet. Beim Blick hinter dieKulissen konnten Beispieldokumente aus unterschiedli-chen Beständen und Beständegruppen des Archivs vorge-stellt werden. Auch hier wurde klar: Die Forschung istunvollständig, wenn man nur Kirchenbücher, deren Dup-likate, Zivilstands- und Standesamtsregister befragt. Wei-tere Recherchemöglichkeiten präsentierten darüberhinaus die westfälischen und lippischen Auswandererfor-scher im Internet: Die Seiten www.lippe-auswanderer.deenthalten inzwischen über 10000 Einträge zu Emigrantenin die USA. Auch www.amerikanetz.de ist ein informati-ves und interaktives Portal westfälischer Auswanderer-forscher.

Angesichts des großen Interesses an der Tagung – vieleAnfragen mussten aus Platzgründen leider abgewiesenwerden – wurde für einen Tag das Archiv geschlossen.Dafür konnten aufgrund der erfolgreichen Veranstaltungneue Kundinnen und Kunden für das Staats- und Perso-nenstandsarchiv Detmold gewonnen werden. Im nächstenJahr sollen beim 3. Detmolder Sommergespräch wiederVerbindungen zwischen historischen Interpretationsan-sätzen, praktischen Tipps für die Familienforschung undquellenkundlichen Untersuchungen durch Archivarinnenund Archivare geknüpft werden. Das Programm wirdrechtzeitig bekannt gegeben.

Detmold Bettina Joergens

7 S. a. Internationaler Kongress „Die Generation der Kriegskinder und ihreBotschaft für Europa sechzig Jahre nach Kriegsende” vom 14.–16. April2005 in Frankfurt/M. (http://www.dggg-online.de/pdf/200504_inter-nationalerkongress.pdf).

4. Sitzung des Arbeitskreises Wirtschaftsarchive Bay-ern im Allianz Center für Corporate History MünchenAm 14. Juni 2005 traf sich der vom Bayerischen Wirt-schaftsarchiv geführte Arbeitskreis „WirtschaftsarchiveBayern“ zu seiner 4. Arbeitstagung im Allianz Center forCorporate History in München. 39 Wirtschaftsarchivareaus dem Freistaat waren der Einladung gefolgt. In ihrerBegrüßung wertete Dr. Eva Moser, Leiterin des Bayeri-schen Wirtschaftsarchivs, die erfreulich hohe Teilnehmer-zahl als signifikanten Beweis dafür, dass die seit 2002gepflegte jährliche Zusammenkunft der bayerischen Wirt-

86 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

schaftsarchivare mittlerweile einen hohen Stellenwert inder weiß-blauen Archivlandschaft einnimmt. Dr. Moserdankte Barbara Eggenkämper, Leiterin des Firmenhis-torischen Archivs der Allianz, und Ellen Heather von derMitarbeiterkommunikation der Allianz Group für dieAusrichtung der Veranstaltung im Haus der Geschichteder Allianz und ihre Bereitschaft, das Tagungsreferat zuübernehmen.

Die Veranstaltung beschäftigte sich mit dem für Unter-nehmensarchivare wichtigen Thema „Archive und Kom-munikation“. Barbara Eggenkämper und Ellen Heatherkonstatierten eine wachsende Bedeutung der unterneh-merischen Öffentlichkeitsarbeit und der Mitarbeiterkom-munikation zur Stärkung der Unternehmenskultur. Inihrem gemeinsam gehaltenen Vortrag widmeten sie sichder Frage, auf welche spezifische Weise das Unterneh-mensarchiv den Anforderungen der unternehmerischenÖffentlichkeitsarbeit gerecht werden und wie die histori-sche Arbeit des Firmenarchivs auch für die immer wichti-ger werdenden Belange der Mitarbeiterkommunikationgenutzt werden kann. Beide Themenkomplexe wurdenanhand von konkreten Beispielen aus der Arbeit des Fir-menhistorischen Archivs der Allianz AG erläutert.

In den letzten Jahren lässt sich bei vielen internationaltätigen Unternehmen ein verstärktes Interesse an der eige-nen Geschichte erkennen. Dahinter steht das Bestreben derFirmen, sich durch eine Aufarbeitung ihrer Geschichte alstraditionsbewusst, transparent und verantwortungsvollzu präsentieren und damit eine positive Außenwirkungzu erzielen. Dies gilt insbesondere für die Aufarbeitungder Unternehmensgeschichte in der Zeit des Nationalso-zialismus. Die Allianz AG hat 1997 unter intensiver Ein-bindung des 1993 gegründeten FirmenhistorischenArchivs ein Forschungsprojekt zur Geschichte der Versi-cherungsgesellschaft im „Dritten Reich“ initiiert, dessenErgebnisse 2001 in einer umfangreichen Studie des renom-mierten amerikanischen Wirtschaftshistorikers ProfessorGerald D. Feldman einer breiten internationalen Öffent-lichkeit (Fachwelt, Kunden, Mitarbeiter) vorgestellt wur-den. Mittels einer vom Unternehmensarchiv erarbeitetenund im Allianz Center for Corporate History präsentiertenDauerausstellung wurde das Thema anschaulich aufberei-tet. Die Nutzung der von der Öffentlichkeitsarbeit derAllianz bereitgestellten Plattformen (Mitarbeitermagazin,Mitarbeiterbrief, Hauszeitschrift, Intranet und Internet)ermöglichte es dem Unternehmensarchiv, die gewonne-nen historischen Informationen Interessierten, Kundenund Mitarbeitern der Allianz an allen Standorten weltweitzu kommunizieren. Ein von der Leiterin des Firmenhisto-rischen Archivs mit dem Vorstandsvorsitzenden der Alli-anz AG geführtes und im Film aufgezeichnetes Interviewzur Haltung des Unternehmens während der NS-Zeitergänzte die öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen desArchivs.

Auch bei der Allianz AG steht der Ausbau und dieIntensivierung der Mitarbeiterkommunikation im Fokusder Bemühungen der Unternehmensleitung. Durch dieImplementierung verbindlicher interner „leadershipvalues“ sollen die Unternehmensstrategie konsistent unddurchgängig vermittelt, die Leistungskultur gestärkt, derFokus auf den Kunden ausgerichtet, die Mitarbeiterförde-rung als zentraler Wert verankert und der Stellenwert vonVertrauen und Feedback im Rahmen einer entwickelten

Dialog-Kultur zur Geltung gebracht werden. Zur Veranke-rung dieser Ziele im Unternehmen kann auch das Unter-nehmensarchiv durch die Bearbeitung und Kommunika-tion entsprechender Themen aus historischer Perspektivebeitragen: Es kann die historische Entwicklung der jeweilsgeltenden Unternehmensstrategie erläutern und ihre Ein-ordnung in die Unternehmensgeschichte vornehmen,durch Informationen zur Firmengeschichte identitätsstif-tend wirken, durch historische Mitarbeiter-Porträts Mög-lichkeiten zum individuellen Beitrag einzelner Firmenan-gehöriger deutlich machen, Beispiele für Kundenorientie-rung und Mitarbeiterförderung in der Vergangenheit auf-zeigen sowie Vertrauen durch Kontinuität und Transpa-renz in der Firmengeschichte herstellen.

Barbara Eggenkämper und Ellen Heather betonten,dass die Mitarbeiter eine wichtige Rolle als Multiplikato-ren bei der Außendarstellung des Unternehmens und sei-ner Geschichte spielen. Für die archivische Öffentlich-keitsarbeit stellen sie deshalb eine zentrale Zielgruppe dar.Dies gilt insbesondere bei Ausstellungen und Publikatio-nen, die vom Firmenhistorischen Archiv der Allianz AGanlässlich von Jubiläen erarbeitet werden. Zur Feier der75-jährigen Zugehörigkeit der Frankfurter VersicherungsAG zum Allianz-Konzern 2004 erschien deshalb eine vonden Mitarbeitern des Archivs verfasste Unternehmensge-schichte in Buchform, die speziell für die Mitarbeiter undKunden des Hauses konzipiert wurde. Zum 75-jährigenJubiläum des Konzernunternehmens Vereinte Versiche-rung AG (heute: Allianz Private Krankenversicherung) imJahr 2000 realisierte das Archiv für die Mitarbeiter einenFilm zur Historie, der bei der Festveranstaltung gezeigtwurde, sowie eine Artikelserie zur Firmengeschichte inder Hauszeitschrift. Zum 50-jährigen Bestehen der Alli-anz-Hauptverwaltung in München 2004 präsentierte dasArchiv zur Festveranstaltung eine Ausstellung unter demTitel „Arbeitswelten gestern und heute“, die auf regesInteresse stieß. In der seit 1996 im Allianz Center für Cor-porate History präsentierten Dauerausstellung zur Ent-wicklung des Allianz-Konzerns schließlich werden vomArchivteam jährlich etwa hundert Führungen für Mitar-beiter aus allen Konzernunternehmen durchgeführt.

In der anschließenden Diskussion bestätigten die Teil-nehmer die Vorteile und Synergien, die sich aus einerengen Zusammenarbeit zwischen Unternehmensarchivund Unternehmenskommunikation ergeben und diegeeignet sind, die Stellung des Archivs im Unternehmenzu festigen. Daneben wurde aber auch auf die Gefahr einerInstrumentalisierung der Unternehmenshistorie zur blo-ßen Identitätsstiftung im Rahmen der Corporate Culturehingewiesen. Es bestand Einigkeit über die zentraleBedeutung der klassischen Arbeitsfelder Quellensiche-rung und Erschließung sowie Forschung und Recherche.Letztere bilden die Voraussetzung und Grundlage für eineerfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen auf Einladungder Allianz AG führten Barbara Eggenkämper und GerdModert die Teilnehmer ebenso kenntnisreich wie kurz-weilig durch die Dauerausstellung zur Geschichte desAllianz-Konzerns. Darüber hinaus bot die Tagung Gele-genheit für kollegiale Gespräche und persönlichen Erfah-rungsaustausch.

München Richard Winkler

87Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

19. Archivpädagogenkonferenz in Berlin

„Archive, Museen und Gedenkstätten als Lernorte: Die Perspek-tive der Nutzer“

Zur 19. Konferenz der Archivpädagoginnen und -pädago-gen trafen sich am 17. und 18. Juni 2005 etwa 30 an pädago-gischer und didaktischer Archivarbeit interessierte Kolle-ginnen und Kollegen aus Archiven, Museen, Gedenkstät-ten, Universitäten. Eingeladen hatte das Jüdische MuseumBerlin, dessen Leiter des Archivs, Aubrey Pomerance, inbewährter Zusammenarbeit mit Dr. Günther Rohden-burg die Vorbereitungen zur Tagung getroffen hatten.

Die stellvertretende Direktorin, Cilly Kugelmann,eröffnete die Konferenz. – Unter der Leitung des Sprechersdes Arbeitskreises, Joachim Pieper M. A., begann derNachmittag mit der Mitgliederversammlung des Arbeits-kreises Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeitim VdA. Er betonte, dass der Arbeitskreis offen sei für alle,die sich mit Archivpädagogik oder historisch-politischerBildungsarbeit beschäftigten.

Bei seinem Überblick über die Projekte des Arbeitskrei-ses im abgelaufenen Jahr wies er auf die Organisation undDurchführung einer Sektion beim Internationalen Archiv-kongress in Wien, moderiert von Dr. Clemens Rehm, hin.Anschließend nannte er die wesentlichen Punkte der dreiSitzungen des Koordinierungsausschusses des Arbeits-kreises, bei denen es um die Organisation der Archivpäda-gogenkonferenz, um Thema und Referenten der Arbeits-sitzung auf dem Archivtag 2005 in Stuttgart sowie umPublikationen und Neuorganisationen im Serviceangebotdes Arbeitskreises ging. Da Dr. Rohdenburg und Dr. Tho-mas Lange im kommenden Jahr in den Ruhestand gehen,werde die Homepage www.archivpaedagogen.de inZukunft von Dr. Wolfgang Antweiler betreut, das elek-tronische Mitteilungsblatt ABP von Roswitha Link undJoachim Pieper, die internationale Seite www.elan-net.infovon Dr. Rehm.

In der sich anschließenden Wahl des Sprechers desArbeitskreises wurde Joachim Pieper einstimmig für einweiteres Jahr bestätigt. Die Anwesenden waren sich einig,dass Dr. Rehm den bei Neuwahl des VdA-Vorstands erfor-derlichen Antrag zur Weiterführung des Arbeitskreisesstellen wird.

Dr. Rohdenburg leitete den TagesordnungspunktBerichte aus den einzelnen Archiven mit der Einladung zurnächsten Archivpädagogenkonferenz (16./17. Juni 2006)nach Bremen ein. Danach berichtete er über eine Anfrageaus Mecklenburg-Vorpommern. Dort bestehe großes Inte-resse an konkreten Vorschlägen für verschiedenste Aktivi-täten im Archiv sowohl mit Schülern als auch mit einerbreiten Öffentlichkeit. Sehr engagiert wurde die Idee dis-kutiert, eine Materialsammlung archivpädagogischerAktivitäten zu erstellen, indem aus möglichst vielenArchiven bereits vorhandene Erfahrungen zusammenge-stellt würden. Vorgeschlagen wurde die Kooperation mitder Fachhochschule Potsdam, wo die Studierenden diesesThema aufgreifen könnten. Nach den grundsätzlichzustimmenden Wortmeldungen wird die Überlegungeiner Sammelpublikation nun fortgesetzt. Günther San-wald wies abschließend darauf hin, dass nach den Lehr-plänen der Schulen in Baden-Württemberg die Schülerin-nen und Schüler Archivarbeit kennen lernen sollen. Einespontane Umfrage bei den Anwesenden aus insgesamt 9Bundesländern ergab, dass in den Lehrplänen der meisten

Länder das Archiv als außerschulischer Lernort genanntund empfohlen wird.

Dr. Birgit Schneider-Bönninger, Archivleiterin imStadtarchiv Wolfsburg, stellte die innovativen archivpäda-gogischen Aktivitäten des Stadtarchivs, einer Abteilungim Institut für Museen und Stadtgeschichte, vor. DasArchiv sei eng vernetzt mit der Geschichtswerkstatt, dieschon seit längerer Zeit die Kontakte zu Schulen pflege.Die Raum- und Medienausstattung sei sehr gut, zumalauch die ANKA einen beträchtlichen Zuschuss zur archiv-pädagogischen Arbeit leiste. Die Archivpädagogik werdeaber auch von der Stadt und dem Oberbürgermeisterdirekt gefördert. Zur Zeit entwickle man auf der Grund-lage des problemorientierten Unterrichtsstils nach Prof.Dr. Uwe Uffelmann ein neues didaktisches Konzept. DasNetzwerk zwischen Archiv, Schule und Studienseminarbilde eine wichtige Basis der Archivarbeit. Anita Pla-centi, pädagogische Mitarbeiterin im Stadtarchiv Wolfs-burg, stellte anschließend zwei konkrete Bereiche archiv-pädagogischer Arbeit vor: den archivpädagogischen Ser-vice, der auf Dauer angeboten werde, und die Projekte mittemporärem Charakter. Zielgruppe seien alle Schülerin-nen und Schüler sowie die Mitglieder der Heimatvereine.Zu verschiedenen Themen werden Workshops angeboten,Facharbeiten betreut und Material- und Quellensammlun-gen in einem Arbeitskreis „Schule und Archiv“ erstellt,und es gebe das „Archiv mobil“, einen Archivkoffer mitArchivalien, mit dem die Einrichtungen besucht werdenkönnen. Zahlreiche besondere Angebote des Stadtarchivsergänzen das reguläre Angebot, z. B. Out-Door-Pro-gramme, Musicals, Geschichtsrevuen. Auch wenn mit 6weiteren Mitarbeitern das so genannte Kerngeschäft derArchive nicht vernachlässigt werde, stellten die Wolfsbur-ger Kolleginnen doch fest, dass für sie der Schwerpunkteindeutig auf dem Vermittlungsaspekt liegt.

Dr. Jens Metzdorf vom Stadtarchiv Neuss berichteteausführlich von den umfangreichen Aktivitäten zurUnterstützung und Förderung der Historischen Bildungs-arbeit, die sich mit 30 Prozent mehr Nutzern auch schonzahlenmäßig niederschlagen. Personell sei der Bereich derHistorischen Bildungsarbeit durch die Einstellung vonDr. Annekatrin Schaller verstärkt worden, ebenfalls seider Internetauftritt zielgruppengerichtet optimiert wor-den. Die Kooperation mit anderen Kulturinstituten unddie Beteiligung etwa an der „Kulturnacht“ habe demArchiv weitere Beachtung gebracht. Ausstellungen habedas Archiv an unterschiedlichen Orten organisiert, z. B. imTheater oder im Bereich der Häfen. Ein anderer Schwer-punkt mit zahlreichen Angeboten sei der Bereich Schule.Unter dem Motto: Kultur trifft Schule soll diese Koopera-tion intensiviert werden.

Die Betreuung von Klassen und Gruppen aus Schulensowie Führungen überhaupt wurden als wichtige Auf-gabe für fast alle Archive genannt. Vor allem Joachim Pie-per (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf), Günther Sanwald(Stadtarchiv Ulm), Markus Müller-Henning (Haupt-staatsarchiv Wiesbaden) und Dr. Thomas Lange (Haupt-staatsarchiv Darmstadt) berichteten darüber hinaus überihre Kooperation mit dem Bereich der Lehreraus- und-fortbildung. Ein weiteres Augenmerk richtete sich in eini-gen Archiven auf den Grundschulbereich im Rahmen deroffenen Ganztagsschulen und Schülerinnen und Schülerder Klassen 5 und 6 (Düsseldorf, Münster, Neuss, Archivdes Landesverbandes Rheinland). Besondere Unterstüt-

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zungsangebote beim Geschichtswettbewerb des Bundes-präsidenten gehörten zu den Aktivitäten, die für Münster,Bremen, Neuss und das Staatsarchiv Detmold hervorge-hoben wurden. In Münster werde es auch in diesem Jahrwieder eine Ausstellung aller 110 eingereichten Wettbe-werbsbeiträge geben, die noch vor der Bekanntgabe derPreise eröffnet wird. Über ein binationales Projekt berich-tete Hans-Joachim Hirsch M. A., Stadtarchiv Mannheim.Eine Mannheimer Schule und eine Schule aus Lyon gingenden Spuren jüdischer Kinder nach, auch eine Ausstellungsei geplant. Hilfen für den Geschichtsunterricht bieten dievon mehreren Archiven genannten Materialsammlungen(z. B. Detmold, Ulm), der Aufsatz: „Wege zur Quelle“(Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam) oderauch ein Film, von dem Dr. Katharina Hoffmann ausOldenburg berichtete. Im Kreisarchiv im Landkreis Oster-holz-Scharmbeck gründete die Leiterin Gabriele Janno-witz-Heumann eine kleine Schriftenreihe und bemühtesich um die Einrichtung einer Gedenkstätte. ZahlreicheArchive entwickelten zur Erinnerung an das Kriegsendevor 60 Jahren größere Projekte im Rahmen der Histori-schen Bildungsarbeit. Dieter Klose, Detmold, berichteteüber die Zusammenarbeit mit italienischen Gruppen zurAufarbeitung der Zeit als Kriegsgefangene und Zwangs-arbeiter, Markus Müller-Henning, Wiesbaden, über dieVorbereitung einer Reise mit Schülerinnen und Schülernnach Buchenwald, Dr. Annekatrin Schaller, Neuss, infor-mierte über zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen, Dr. Wil-trud Fischer-Pache, Stadtarchiv Nürnberg, stellte dasProjekt „Luftkrieg in Nürnberg 1942–1945“ mit Publika-tionen, Ausstellungen, Zeitzeugenbefragungen und Zeit-zeugengesprächen vor. Auch das Projekt „Stolpersteine“fand in mehreren Archiven Unterstützung (Bremen, Pots-dam, Neuss). An dem bundesweiten „Tag der Archive“beteiligten sich zahlreiche der auf der Konferenz vertrete-nen Archive und verbuchten ihn als gewinnbringend.Bereits Tradition hat die von Dr. Rehm, LandesarchivBaden-Württemberg – Generallandesarchiv Karlsruhevorgestellte 6. Karlsruher Tagung für Archivpädagogik,die am 11. März zum Thema „Geschichtswettbewerbe –Chance für die Bildungsarbeit?“ durchgeführt wurde undden Blick auf Wettbewerbe mit historischem Hintergrundlenkte. (Tagungsprotokoll: http://www.archivpaedago-gen.de/allgemei/karlsruhe_2005.pdf)

Am 2. Tag begrüßte Aubrey Pomerance den mit zahlrei-chen Berliner Gästen stark erweiterten Teilnehmerkreis. Erstellte die ersten beiden Vortragenden vor: Dr. MatthiasHeyl, seit 2002 Leiter des Pädagogischen Dienstes undder internationalen Jugend- und Begegnungsstätte derMahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, und CordulaHoffmann, Leiterin der Bibliothek und Sammlung derMahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Während dasAngebot in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück bis-her hauptsächlich aus Führungen, gelegentlich ergänztdurch eine vierstündige Projektphase zur Vertiefungbestand, habe der Referent nun Angebote für Jugendlichekonzipiert, die das forschende Lernen fördern. Problema-tisch sei häufig die Erwartungshaltung der Lehrpersonen,da sie den Besuch in der Gedenkstätte als Ersatz statt alsErgänzung zum Geschichtsunterricht ansähen. Seit 2002gebe es eine Jugendherberge, die auch mehrtägige Pro-jekte mit Jugendlichen ermögliche. Für die abschließendePräsentation werde eine Kombination mit dem Medienbe-reich angestrebt, durch die es möglich werde, dass die

Jugendlichen ihre Ergebnisse z. B. auf einer CD-Rom vor-stellen könnten. Als ein gewichtiges Problem nannteDr. Heyl die noch vorhandene große Unkenntnis über dieMethode des forschend-entdeckenden Lernens vor allemin Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.

Cordula Hoffmann stellte ein Projekt vor, das aufWunsch der Firma Siemens mit deren Auszubildendenund der 11. Klasse eines Gymnasiums durchgeführtwurde. Über die Schwierigkeiten und Erfolge dieses ein-jährigen Forschungsprojekts informierte die Referentinanschaulich. Das greifbare Ergebnis des von den Teilneh-menden als sehr positiv eingeschätzten Projekts sei eineCD-Rom, die in Ravensbrück genutzt werden könne. – Inder sich anschließenden Diskussion wurde die Frage nachder Bedeutung von Originalquellen bei Projekten mitJugendlichen unterschiedlich gesehen. In Ravensbrück seiauf jeden Fall noch genügend Material für weitere Projektemit Schülergruppen vorhanden.

In seinem Vortrag zum Thema „Archivpädagogik“stellte Dr. Axel Janowitz, seit 2003 Referent für PolitischeBildung bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterla-gen, heraus, dass seine Behörde wegen des stark gestiege-nen Interesses der Schulen ein eigenes Sachgebiet einge-richtet habe. Besonders interessant und gelungen sei einProjekt, das mit mehreren Kooperationspartnern, u. a. mitdem Grips-Theater und mehreren Schulklassen aus Ost-und West-Berlin, aus Anlass des Jahrestages des Mauer-falls und der friedlichen Revolution vor 15 Jahren durch-geführt wurde. Die Angebote seiner Behörde werden inder Einrichtung selbst, aber auch in Schulen der alten Bun-desländer z. B. im Zusammenhang mit Wanderausstellun-gen durchgeführt. Er gab zu bedenken, dass ein halber Tagfür einen Besuch in der Behörde auf jeden Fall zu kurz sei.– In der Diskussion wurde u. a. geklärt, dass die Zusam-menarbeit mit Archiven noch nicht sehr ausgeprägt sei, daman bisher mehr mit Gedenkstätten gearbeitet habe.

Zum Thema „Workshop/Zeitzeugen-Programm imJüdischen Museum Berlin“ referierte Aubrey Pomerance.Das archivpädagogische Programm sei im Zusammen-hang mit dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsi-denten zum Thema Migration entstanden und werde seit2002 entwickelt. Es enthalte Angebote für Lehrerfortbil-dungen sowie Workshops für Schülerinnen und Schüler.Die Materialbasis bestehe überwiegend aus privatenUnterlagen. Zu den Workshops gebe es die Möglichkeit,die Stifter der privaten Bestände einzuladen. Sie seienwährend der Ergebnispräsentation anwesend und stün-den für eine Diskussion oder ein Interview zur Verfügung.An der Finanzierung beteilige sich die Stiftung „Erinne-rung, Verantwortung und Zukunft“. Schwierig sei häufigdie richtige Einschätzung des Wissensstandes der Schüle-rinnen und Schüler. In der Evaluation zeige sich, dass dieArbeit mit Originaldokumenten sehr begrüßt werde. Ver-besserungen seien aber bei der Präsentation nötig, für diehäufig zu wenig Zeit bleibe. Trotz personeller Engpässesoll dieses Programm wegen der positiven Resonanz wei-ter entwickelt werden.

Auf die „Schüler, Referendare und Lehrer als Nutzervon archivpädagogischen Programmen“ ging Jörg Zie-genhagen in seinem Vortrag ein. Er ist Lehrer am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Berlin, als Fachseminarlei-ter in der Lehrerausbildung und in der Rahmenplankom-mission von Berlin tätig. Der Referent stellte fest, dass derBesuch eines außerschulischen Lernortes zunächst eine

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Legitimation brauche, im zweiten Schritt müssen Vorbe-reitung, Durchführung und Auswertung des Besuchs auf-einander abgestimmt werden. Die Anbindung an die cur-riculare unterrichtliche Umsetzung sowie die inhaltlicheund methodische Einstimmung seien von Bedeutung.Hinsichtlich der Archivarbeit wünsche er sich einegestufte Organisation der Arbeit mit Archivmaterial, vomanleitenden Lesen und Erkennen hin zum eigenständigenDeuten, Erzählen und Einbetten der Exponate in dengeschichtlichen Kontext. Bei der Durchführung von Zeit-zeugeninterviews sei ein Methodenkurs vorher in derSchule unverzichtbar. Die Auswertung der Besucheaußerschulischer Lernorte, z. B. durch eine kleine Ausstel-lung, sei wesentlicher Bestandteil des Unterrichts. NachJörg Ziegenhagens Ansicht passiere im Hinblick aufaußerschulische Lernorte an den Schulen mehr als vonaußen wahrgenommen werde, umgekehrt aber wohlauch. In seinem Fazit hob er hervor, dass der Besuchaußerschulischer Lernorte kein Ersatz, sondern eineErgänzung für den Unterricht in der Schule sei, von demSchülerinnen und Schüler in vielfacher Hinsicht profitier-ten. – In der Diskussion wurde das Archiv als „Informati-onsspeicher“ angesprochen. Schüler nähmen eher dasInternet, allenfalls noch die Bibliothek in dieser Funktionwahr. Bei der Überlegung, ob das Archiv in die Schulekommen könne, wurde darauf hingewiesen, dass dieserWeg nie ein Ersatz für den Besuch im Archiv oder Museumsein könne. Zum Schluss wurde noch einmal die großeBedeutung eines gezielten Informationsaustausches her-vorgehoben.

Elke Weißer M. A. ist seit Anfang 2004 Geschäftsführe-rin der Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz. Ihr Referatzum Thema „Vermittlung von Bildungsprogrammen unddie Bedeutung von Multiplikatoren“ stellte die Aktivitä-ten der 2001 gegründeten Stiftung, die sich als Multiplika-tor versteht, in den Mittelpunkt. Im Gollwitzer Schloss inBrandenburg sollen Seminare für Jugendliche undErwachsene stattfinden mit dem Ziel, Begegnungen mitPersonen zu ermöglichen, die in Bezug zum jüdischen undnichtjüdischen Leben stehen. Da das Schloss noch nichtganz fertig sei, könne die Arbeit allerdings noch nicht invollem Umfang anlaufen. Es sei nicht einfach, interessierteSchulklassen zu finden, weil der Rechtsradikalismus inihrem Bundesland groß sei, erklärte Elke Weißer. Auch dieFinanzierung der Seminare und der Ausfall des regulärenUnterrichts könnten Schwierigkeiten darstellen. DieErfahrung habe aber gezeigt, dass das Interesse, sich wei-ter zu informieren, nach der ersten Teilnahme groß sei.Elke Weißer betonte abschließend, dass die Aktivitäten derStiftung vor dem Hintergrund der Zunahme eines sekun-dären und neuen Antisemitismus im Bundesgebiet und inEuropa besonders wichtig seien. In der Diskussion betontesie, dass Multiplikatoren wegen der Fülle der Informatio-nen wichtig seien, um eine Gewichtung vornehmen zukönnen.

Das letzte Referat der Tagung hielt Oliver Hoffmannvon der Forschungsgruppe Jugend und Europa am Cen-trum für angewandte Politikforschung über die Evalua-tion des Bildungsprogramms der Stiftung „Erinnerung,Verantwortung, Zukunft“. Die Stiftung hat zwischen 2002und 2005 112 Projekte zur Begegnung Jugendlicher mitehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiterngefördert. Die Evaluation der Forschungsgruppe bezogsich auf die Frage der Nachhaltigkeit. Gefragt wurde u. a.

nach der Wirkung dieser Begegnungen auf die Jugendli-chen. Die Nachhaltigkeit hänge von einer kompetentenWissensvermittlung und der emotionalen Wirkung ab. Siewerde durch eine gute Nachbereitung eindeutig verbes-sert, zumal wenn aufgezeigt werde, welche Handlungs-möglichkeiten auch heute noch vorhanden seien. Von den112 Projekten hätten sich aber lediglich 10 Prozent mit his-torischem Material beschäftigt, meistens im Rahmen derVorbereitung. Oliver Hoffmann hielt fest, dass sich dieJugendlichen einerseits durch die Einbeziehung vonArchivmaterial in die Vorbereitung kompetent und ausrei-chend informiert fühlten, andererseits aber auch durch diehistorische Faktenmenge abgeschreckt worden seien. – Inder Diskussion wurde auf die funktionalistisch klingen-den Begriffe hingewiesen („Input – Output“), ferner dieMöglichkeit der Messbarkeit pädagogischer Arbeit alsproblematisch dargestellt.

Abschließend dankte Aubrey Pomerance den Referen-ten für ihre interessanten Vorträge und allen Anwesendenfür die aufschlussreiche Diskussion. Er wünschte derTagung eine große Nachhaltigkeit und lud die Teilneh-menden noch zu einem Besuch des Museums ein.

Münster Roswitha Link

2. Fachtagung der „Archive von unten“In der freien Archivszene hat sich in den letzten Jahren vie-les verändert. Immer mehr Archive sind in existenzgefähr-dende finanzielle Schwierigkeiten geraten, einige dergrößten Einrichtungen mussten gar ihre Arbeit einstellen.Zugleich lässt sich bei vielen freien Archiven eine bemer-kenswert professionelle Arbeitsweise feststellen. Zeugnisdavon legt die 2. Fachtagung der „Archive von unten“ ab,die am 9. und 10. Juni 2005 in den Räumen des ArchivsGrünes Gedächtnis in Berlin stattfand.

Zur Vorgeschichte: eine erste Fachtagung hatte am glei-chen Ort im Februar 2003 stattgefunden. Damals solltegetestet werden, ob es Interesse an einem Erfahrungsaus-tausch und einem regelmäßigen Treffen der freien Archivegibt. Das Ergebnis war eindeutig: MitarbeiterInnen von 65Archiven nahmen an dieser Tagung teil. Die meiste Zeitwurde für ausführliche Berichte und Diskussionen überdie Arbeit der einzelnen Archive benötigt. In insgesamt 7Workshops wurden seinerzeit Themen wie „Archivischeund bibliothekarische Bearbeitung von Beständen“,„Fotoarchivierung“, „Datenschutz“, „Bildungs- undÖffentlichkeitsarbeit“ oder „Fundraising“ behandelt. AmEnde wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die eineHandreichung für BewegungsarchivarInnen erarbeitensollte. Seit Dezember 2004 steht dieser Text unter dem Titel„Praktische Handreichung für Bewegungsarchive“ aufden Web-Seiten mehrerer Archive kostenlos zur Verfü-gung (z. B. www.ub.uni-duisburg.de/afas). Da viele Teil-nehmerInnen der ersten Fachtagung Interesse an einerFortsetzung äußerten, bereitete das Archiv GrünesGedächtnis, unterstützt vom Frauenarchiv FFBIZ unddem Archiv für alternatives Schrifttum, das diesjährigeTreffen vor. Es stand unter dem Thema „Produkte vonArchivarbeit“. Etwa 35 Archive waren vertreten, das Spek-trum war denkbar breit: es reichte von der privat betriebe-nen Ein-Frau-Intitiative über seit vielen Jahren professio-nell arbeitende Archive der freien Szene bis hin zu einzel-nen MitarbeiterInnen etablierter Einrichtungen. In vierWorkshops stellten verschiedene Archive kürzlich abge-

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schlossene oder noch laufende Projekte vor; ein weitererWorkshop diente dem allgemeinen Erfahrungsaustauschder Archive untereinander (Workshop 3).

Workshop 1: Erschließungsprojekte in BewegungsarchivenEva Danninger und Viktor Wesselak führten denOnline-Katalog des Archivverbundes Archiv vor. 1998haben sich elf Archive aus dem internationalistischen undentwicklungspolitischen Bereich zu einem Verbundzusammengeschlossen. Ein Ergebnis dieser Kooperationist eine Datenbank mit über 150000 inhaltlich erschlosse-nen Beiträgen aus Zeitschriften, Büchern und Grauer Lite-ratur aus dem In- und Ausland. Zur Zeit liegt der regio-nale Schwerpunkt auf Lateinamerika, da die meistenbeteiligten Archive hier ihren Arbeitsschwerpunkt haben.Eine Ausweitung wird angestrebt. Seit 2004 verfügtArchiv über eine gemeinsame Internetseite, die wahlweiseauf deutsch, englisch oder spanisch aufgerufen werdenkann (www.archiv3.org). E. Danninger und V. Wesselakdemonstrierten, wie man in der Datenbank recherchierenund Kopien von Artikeln bestellen kann.

Dorothée Leidig vom Archiv für alternatives Schrift-tum (afas) aus Duisburg stellte die Erschließung derSammlung der Anti-Apartheid-Bewegung (AAB) vor. Inden Jahren 1999 und 2000 hatte das afas mehr als 1000Ordner und Schuber mit Unterlagen aus 20 Jahren aktiverSolidaritätsarbeit aus der Bundesgeschäftsstelle der Anti-Apartheid-Bewegung übernommen. Dazu kamen rund 15Kisten mit Büchern, Broschüren, Fotos und Tondokumen-ten sowie ungeordneten Dokumenten und Kampagnen-materialien. Die Referentin berichtete, wie es gelang, dieseSammlung sehr disparater Materialien mit archivarischenGrundregeln und Kreativität zu erschließen. Sie führte dieAAB-Datenbank mit rund 750 Datensätzen vor und erläu-terte ihre Nutzungsmöglichkeiten.

Cornelia Wenzel vom Archiv der deutschen Frauenbe-wegung in Kassel präsentierte die Bilddatenbank „Bilderaus der Frauenbewegung 1848–1968“. Diese Datenbank istunter Federführung des Kasseler Archivs in Zusammenar-beit mit sechs anderen Archiven zur Frauengeschichte ent-standen. Sie vereint als sachthematisches Inventar eineAuswahl von insgesamt 2726 Bildern aus den Beständender beteiligten Archive. Neben den digitalisierten Bildernenthält die als CD-Rom vorliegende Datenbank Informa-tionen zu Bildgröße, Herkunft, Rückseitenbeschriftungu.v.m.

Workshop 2: Web-PräsentationInga Jochimsen von der Bundeszentrale für politischeBildung und Tom Sello von der Robert-Havemann-Gesellschaft stellten das Gemeinschaftsprojekt einer mul-timedialen Web-Site vor, die sich an Jugendliche ab 15 Jah-ren und Multiplikatoren richtet. Im Mittelpunkt des Multi-mediaprojektes www.jugendopposition.de stehen dieAktivitäten von Jugendlichen gegen das DDR-Regime vonden Protesten gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976bis zur friedlichen Revolution von 1989. Verdeutlichtwird dies an 16 biographischen Portraits, ergänzt durchInterviews mit rückblickenden Einschätzungen. DieWeb-Site bietet eine Mischung aus Texten, Fotos, Faksimi-les von Originaldokumenten sowie Video- und Audio-sequenzen.

Workshop 3: Die Situation freier Archive in Zeiten knapper wer-dender MittelHier wurde der Erfahrungsaustausch des Treffens von2003 fortgesetzt. Das Überleben für freie Archive ist in denletzten Jahren noch schwieriger geworden. So wurde dasArchiv für soziale Bewegungen in Baden mit drastischenKürzungen konfrontiert, das APO-Archiv an der FreienUniversität Berlin wird nurmehr ehrenamtlich betrieben,viele kleine Archive bekommen überhaupt keine Förde-rung mehr, und selbst das ID-Archiv im InternationalenInstitut für Sozialgeschichte hat seine Sammeltätigkeit ein-gestellt. In einer kurzen Bestandsaufnahme berichtetenfast alle Anwesenden von erheblichen finanziellen Einbu-ßen. Die Suche nach alternativen Finanzierungsstrategienführt oft zur Beeinträchtigung der eigentlichen Archivar-beit, legt sie zeitweilig sogar vollkommen lahm. Zweiteswichtiges Thema war die Sicherung und Erschließung derBestände. Hier wurde teilweise sehr kontrovers diskutiert:Ist Digitalisierung eine Lösung? Was geschieht mit Bestän-den, die an etablierte Archive abgegeben werden? Habenwir nach der Abgabe solcher Bestände noch ein Mitspra-cherecht bei der Kassation? Welche Chancen und Risikenbergen Kooperationen mit etablierten Institutionen?

Eine allgemeingültige Lösung wurde natürlich nichtgefunden; vielmehr muss von Fall zu Fall entschiedenwerden, ob, an wen und zu welchen BedingungenBestände abgegeben werden. Das gleiche gilt für Koopera-tionen mit Forschungseinrichtungen, Stiftungen usw.Einig war man sich in der Absicht, eine bessere Vernet-zung der Bewegungsarchive zu erreichen, um den Infor-mationsfluss auch zwischen den Tagungen zu verbessernund die politische wie archivfachliche Lobbyarbeit zuintensivieren.

Workshop 4: AusstellungenAnne Vechtel vom Archiv Grünes Gedächtnis stellte zweiAusstellungen vor, die aus Anlass des 25. Jubiläums derGrünen Partei entstanden sind. Es handelt sich um eineAusstellung Grüner Plakate in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung und um eine Wanderausstellung zurGeschichte und den Wurzeln der Grünen Partei. Teile derWanderausstellung waren im Tagungsraum aufgestellt.Die Referentin erläuterte die technischen wie inhaltlichenUnterschiede der beiden Ausstellungen.

Danach führte Tom Sello die TeilnehmerInnen durchdie ebenfalls in den Tagungsräumen aufgebaute Ausstel-lung „Der Mut der Wenigen“ des Matthias-Domaschk-Archivs. Anlass der Ausstellung war der 25. Jahrestag derAusbürgerung Wolf Biermanns im Jahr 2001. Das Themawurde aufgegriffen, weil die Medien immer nur die Aus-bürgerung selbst darstellen, nicht aber die Proteste derDDR-Oppositionellen dagegen.

Schließlich berichtete Ursula Nienhaus vom Feminis-tischen Frauenforschungs-, -bildungs- und -informations-zentrum (FFBIZ) über das gerade begonnene Projekt einerAusstellung über „30 Jahre Berliner Anti-Gewalt-Politik“.

Workshop 5: PublikationenErstes Thema war die seit 1985 erscheinende ZeitschriftAriadne des Archivs der deutschen Frauenbewegung. Cor-nelia Wenzel sprach über Geschichte und Inhalte derZeitschrift ebenso wie über Fragen des Vertriebs, der Pro-

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duktion und der Finanzierung. Als sehr erfreulich betontesie die wachsende Anerkennung der Zeitschrift durch dieWissenschaft.

Anschließend referierte Christoph Becker-Schaumvom Archiv Grünes Gedächtnis über die Publikationenvon Bewegungsarchiven. Auf Grund einer Internetrecher-che zu diesem Thema konnte er ein breites Spektrum vonVeröffentlichungen belegen: es reicht von Texten auf dereigenen Homepage über Bestandsübersichten, Kataloge,Materialien für die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bishin zu wissenschaftlichen Publikationen. Die meistenBewegungsarchive bringen aber nur sehr selten oder nieVeröffentlichungen heraus. Die Bewältigung der anfallen-den Arbeiten im Archiv lässt häufig keine Zeit für solchezusätzlichen Leistungen; eine weitere Schwierigkeit stelltdie Finanzierung dar.

Fazit:Das Treffen wurde allgemein als wichtiges Forum für denAustausch der Archive untereinander betrachtet. Es stelltein Gegengewicht zu dem Gefühl des isolierten Arbeitensdar, das sich im Alltag oft einstellt. Man war sich einig,dass die nächste Fachtagung in zwei Jahren stattfindensoll, wieder in den Räumen des Archivs Grünes Gedächt-nis, das als größtes und am besten ausgestattetes Archivder Runde solch eine Veranstaltung am leichtesten schul-tern kann. Zur Vorbereitung wurde eine offene Arbeits-gruppe eingerichtet, die sich zweimal im Jahr treffen wird.Zwei Themenvorschläge liegen bereits vor: 1. Rechtsfra-gen im Zusammenhang mit Tondokumenten, Filmen unddigitalen Medien; 2. Aufbau einer eigenständigen, ge-meinsamen Internetseite der Bewegungsarchive.

Duisburg Dorothée Leidig/Jürgen Bacia

Auslandsberichterstattung

Internationales„Archivische Verwandtschaften“Zweite internationale Konferenz zur Geschichte der Akten undArchive (I-CHORA 2, Amsterdam 2005)Findet etwas zum zweiten Mal statt, ist es (nicht nur imRheinland) schon zur Tradition geworden. Dass dies auchauf archivisch-internationaler Ebene gelten kann, zeigtedie „Second International Conference on the History ofRecords and Archives“ in Amsterdam (31. 8.–2. 9. 2005).Denn in der deutschen Archivwelt wenig beachtet, hattedie „First International Conference ...“ vom 2.–4. 10. 2003zum Thema „the Nature of Records and Documents“ inder Universität Toronto (Kanada) an der Fakultät für Infor-mationsstudien stattgefunden. Unter den dortigen 30Referenten in neun Sektionen hatten sich zwar 10 Euro-päer (u. a. Italien 5, Niederlande 2) befunden, aber keindeutscher Vertreter.1

Unter den 22 Referenten der I-CHORA 2 waren esimmerhin schon zwei deutsche Vertreter, wenn manAstrid M. Eckert (Deutsches Historisches InstitutWashington, USA) mitzählt, die mit ihrem aktuellen Bei-trag am zweiten Tag über „deutsche Archivare zwischenNationalsozialismus und Demokratie“ (u. a. A. Brack-mann, G. Winter, E. Zipfel) lebendige Resonanz fand.2

Zum „Adaptieren und Adoptieren archivischer Kulturen“(= Untertitel) waren über 100 Teilnehmer aus 25 Ländernzusammengekommen, davon über 55% aus Europa, vor-nehmlich aus den Niederlanden, dem Vereinigten König-reich und Norwegen (9 Vertreter). Wie bei der Handvolldeutscher Teilnehmer überwogen insgesamt die Vertreteraus dem Lehr- und Hochschulbereich des Archiv- bzw.Informationswesens.3 Ausgerichtet im Universitätstheaterund gut organisiert wurde die I-CHORA 2 von der Univer-sität Amsterdam und der niederländischen „Archief-

1 Vgl. www.fis.utoronto.ca/research/i-chora/.2 Vgl. Astrid M. Eckert, Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die

Rückgabe von deutschem Archivgut nach dem Zweiten Weltkrieg(Transatlantische Historische Studien, Bd. 20), Stuttgart 2004.

3 Vgl. http://informationr.net/wl/index.html.

school“ (Nederlands Instituut voor Archiefonderwijs en-onderzoek)4 durch das Team um Prof. Dr. F. C. J. Kete-laar, Dr. A. E. M. Joncker und P. J. Horsmann sowieanderen freundlichen Mitarbeitern.5

Als Globalziel der Konferenz wurden die „archivischenVerwandtschaften“ zunächst allgemein verstanden als„interkulturelle und transnationale Einflüsse auf Akten-verwaltung und Archivtheorie“ sowie „die Verbreitungund Rezeption von Theorien und Begrifflichkeiten zumArchivwesen und zur Aktenführung“. In den fünf The-menblöcken wurden die weiteren bzw. konkreten Schwer-punkte breit („globalisiert“), kompetent und anschaulich(mehr als ein Drittel der Beiträge mit Powerpoint-Präsen-tation) aufgearbeitet.6 Nach einem nachmittäglichen Emp-fang im Amsterdamer Rathaus durch einen Vertreter desBürgermeisters bei strahlendem Sonnenschein eröffneteProfessor Eric Ketelaar7 am Abend des 31. 8. die Konferenzund erinnerte an das 50-jährige Bestehen der neuen nie-derländischen Archivschule, deren Zukunft wohl dochauf keinen Fall – wie man hörte – in Frage stehen dürfte.Dann wurden die „archivischen Verbindungen“ durch jeein ausführliches Grundsatzreferat (keynote) aus der ame-rikanischen Sicht der „Neuen Welt“ und ein korrespondie-rendes des „alten“ England eröffnet. Randall C. Jimerson(Western Washington Universität Bellingham, USA) skiz-zierte die Rückwirkungen der ersten Pioniere unter denamerikanischen Historikern, J. Franklin Jameson († 1937)und Waldo G. Leland († 1966), die bei der Suche nach den

4 Vgl. www.archivschool.nl.5 Vgl. http://i-chora2.archiefschool.nl. Dort wird auch den Sponsoren

NWO, Morrenstichting und Anno gedankt.6 Als weitere Themenschwerpunkte wurden genannt: 1. Aktenverwal-

tung bei Kolonisatoren und Kolonisierten bzw. Besetzten und Besetzern;2. Postkoloniale und postkommunistische Aktenführung in Bezug aufdie vorherigen Regime; 3. Verschmelzung einheimischer und fremderTheorien, Methoden und Praktiken; 4. Nationale Einflüsse auf dieAktenführung internationaler staatlicher und nicht-staatlicher Organi-sationen bzw. auf andere Länder und Kulturen; 5. Übernationale Verbin-dungen von Akten-Verantwortlichen und Archivistik-Studierenden undihre Einwirkungen auf die Globalisierung der Archivsysteme und -kul-turen.

7 Vgl. www.archivistics.nl.

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europäischen Wurzeln mit der europäischen Archivtheo-rie (bes. in Paris und Madrid) in Kontakt gekommenwaren. Die offiziellen, persönlichen und „besonderenBeziehungen“ („Networking“) zwischen „amerikani-schen und britischen Archivaren/Historikern“ vor demII. Weltkrieg bis hin zum Foto der ersten amerikanischenDame als Benutzerin im Public Record Office stellte Mar-garet Procter (Universität Liverpool, Vereinigtes König-reich) dem gut ergänzend gegenüber.

Die erste Vormittagssitzung über die „Vermächtnisse inder Aktenverwaltung“ eröffnete Peter Horsmann(Archivschool) beispielhaft mit der napoleonischen Zen-tralisierung der Aktenverwaltung in den Niederlandennach 1795. In die „Herkunft nach Ort, Zeitraum und Ent-stehungszusammenhang“ für „koloniale Quellen durchdie archivarische Linse“ führte Jeannette A. Bastian (Sim-mons College Bosten, USA) aus karibischer Perspektivemit den Virgin Islands (bis 1917 Dänisch West-Indien) ein.Den nachhaltigen „Einfluss der Aktenregistrierung derbritischen Mandatsverwaltung auf die Aktenführung imStaat Israel“ zeigte Zohar Aloufi (Jüdische UniversitätJerusalem, Israel) an den Bereichen der Landwirtschaft,des Straßenbaues und der Stadtverwaltung von Haifa auf.Zu dem Schicksal von „Akten und Archiven in den japani-schen Kolonien und besetzten Gebieten (Korea, Man-schuko) im Spannungsverhältnis von Verlusten und mili-tärischen Schutzverordnungen“ gab Masahito Ando(Nationalinstitut für Japanische Literatur Tokyo, Japan)einen anschaulichen Überblick. Aus der Perspektive des60. Jahrestages des Endes des II. Weltkrieges wurde dieArbeit der japanischen Requirierungskommissionen fürBücher und Dokumente in den besetzten Gebieten (z. B.Singapur) differenzierter gesehen. Mit ihrer archivprakti-schen Erfahrung in der pazifischen Republik von Kiribatiberichtete Pat Jackson (Archivverwaltung Nordterrito-rium, Australien) vom „Übergang aus der britischen Tra-dition der Aktenführung zur modernen Gesellschaft“sowie zwischen mündlicher Traditionskommunikationund elektronischen Lösungen. Der vorgesehene Beitragvon Agnes Lewe (Universität Nijmegen, Niederlande)über die zeitweise (1949–1963) „unter niederländischerVerwaltung“ („Drostambt“) gestandenen „GemeindenElten und Tüddern“ lag nur schriftlich vor. Nach der lan-gen spanisch-kolonialen Archivtradition auf den Philippi-nen brachte die amerikanische Besetzung (1898) nachRichardo L. Punzalan (Universität Diliman und For-schungszentrum Quezo, Philippinen) ein „tieferes Ver-ständnis der kolonialen Archivgeschichte der Philippi-nen“.

Pat Jackson eröffnete die erste Nachmittagssitzungzur „grenzüberschreitenden Aktenverwaltung“. Dasfrühe europäische Beispiel der „Migrationskontrolle“stellte Bernhard Siegert (Bauhausuniversität Weimar,Deutschland) aus dem Indischen Generalarchiv Sevilla als„fingierte Identitäten“ vor, wie sie aus der hochbürokrati-sierten „Casa de la Contratación“ ab 1530 von jedem ver-langt wurden, der aus Spanien in die Neue Welt reisenwollte.8 Über den Weg des für weite Teile von Kanada (unddänisch Island) höchst bedeutsamen Archivs der bekann-

8 Vgl. Bernhard Siegert, Pasajeros a Indias. „Auto“-biographische Schriftzwischen Alter und Neuer Welt im 16. Jahrhundert. in: Anja K. Maier –Burkhardt Wolf (Hrsg.), Wege des Kybernetes. Schreibpraktiken undSteuerungsmodelle von Politik, Reise, Migration (Reiseliteratur und Kul-

ten Handelsgesellschaft der Hudson’s Bay Company(gegründet 1670) ins Provinzarchiv Manitoba (Winnipeg)zeichnete Anne Morton (Archiv Manitoba, Kanada) nach.Für das kanadische anglophone Bistum Vancouver (seit1846) sah Anthea Seles (Archiv Erzdiözese Vancouver,Kanada) den markanten Wechsel in der kirchlichen Akten-führung von der römisch-zentralisierten Form nach demersten Vatikanischen Konzil (1870) zur stärker lokalkirch-lich-episkopalen Prägung in dem Paradigmenwechselnach dem II. Vatikanum (1962–65). Von der erfolgreichenAnwendung der amerikanischen Archivierungstechnikenauf koloniale Sammlungen in Boston und Harvard berich-tete Jane Zhang (Universitätsarchiv Harvard, USA).

In der als besonderer Programmpunkt ausgewiesenen„Posterpräsentation“ wurden zum Abschluss des erstenKonferenztages die vier zuvor schon plakatierten Projektenäher vorgestellt. Als primär archivische Projekte stelltensich die „Archive in Slowenien“9 und das Dänische Natio-nalarchiv Kopenhagen (Statens Arkiver, Rigsarkivet) mitder „Einführung der elektronischen Registerführung inder dänischen Staatsverwaltung 1960–1992“ vor. Als For-schungsprojekte aus Archiven wurde zum einen aus demportugiesischen Historischen Überseearchiv (ArquivoHistorico Ultramarino Lissabon) das „Luzo-BrasilianischeArchiv-Puzzle“ von A. C. D. Martins vorgestellt.10 Zumanderen präsentierte der archivwissenschaftliche Dokto-rand Jan Fernhout (Niederlande, Holländerei-Stiftung)seine „Analysen der archivarischen Klassifikationsmo-delle seit dem 18. Jahrhundert“ des im Geheimen Staatsar-chiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin)11 liegenden „Orani-schen Archivs“. Diese wissenschaftsgeschichtliche Frage-stellung soll die Lebensarbeiten von J. J. J. Chuno d. A. (um1704), W. H. Culemann († 1746) und B. F. Reimari († 1786)für die preußisch-niederländische Archivgeschichte auf-schlüsseln.12

Unter Leitung von Agnes Jonker (Archivschool) unddem Thema „Bildung und Neubildung von Archiven“führte am 2. August Laura Millar (Kanada) als „unabhän-gige Beraterin“ höchst sensibel in die vom „Objekt zumSubjekt“ (Beispiele: gestellte Indianerfotos, Landrechte)gewandelte kanadische Sicht ein sowie in die bei unter-schiedlicher interkultureller Kommunikation gewandelte„Sorge in den Staatsarchiven“ für die Überlieferungen deretwa 150 Indianerstämme in der Provinz Britisch Kolum-bien. Terry Cook (Universität Manitoba, Kanada) skiz-zierte kenntnisreich die unter internationaler Beeinflus-sung13 verlaufene Entwicklung der Archiv-Theorie undPraxis in Kanada. Anschaulich und humorvoll erläuterteRichard J. Cox (Universität Pittsburgh, USA) die Entwick-lungs- und Restaurierungsgeschichte des in zentraler undtouristisch attraktiver Lage nahe dem Kapitol in Washing-

turanthropologie, Bd. 4), Münster 2004, S. 260–276; ders., Passagiere undPapiere. Auf der Schwelle zwischen Alter und Neuer Welt: Spanien-Amerika, 1530–1600, München 2006.

9 Vgl. www.gov.si/ars/.10 Ana Canas Delgado Martins, The archives of the Portuguese govern-

ment during the residency of the court in Brazil 1808–1821, London 2004.11 Vgl. Jürgen Kloosterhuis, Ein „Staatsarchiv ohne Staat“ – Solitär unter

den Staatsarchiven. Positionspapier zum Selbstverständnis und zu denHerausforderungen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbe-sitz, in: Der Archivar 58 (2005), S. 252–254.

12 Vgl. www.gsta.spk-berlin.de/content/content/vorschau/erschlies-sungsprojekte.de

13 Aus Deutschland wurden allgemein und gelegentlich nur E. Posner(† 1980) genannt sowie neben dem „Provenienzprinzip“ nur HansBooms und Angelika Menne-Haritz.

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ton gelegenen „ältesten amerikanischen Archivgebäudes“(1747), das er zu einem Archivmuseum vorbereitet hat.Aus ihren vor dem Abschluss stehenden Forschungenüber die englischen und niederländischen Quellen sowiedie bisherige Archivierungs- (F. C. Davers, † 1906) undErforschungsgeschichte der Vereinigten OstindischenKompanie (VOC) entwickelte Donna Holmes (Singapur,Edith Cowan Universität, Australien) „Fallstudien zumArchivar als Autor und Autoren, die Archive benutzen“.Das „Konzept der sozialisierten Herkunft mit ihren Aus-wirkungen für Archivtheorie und Praxis“ veranschau-lichte Tom Nesmith (Universität Manitoba, Kanada) amBeispiel der edierten Aufzeichnungen des deutschstäm-migen Johann Steinbruck.14

Den letzten Nachmittag leitete Ricardo L. Punzalanunter der Rahmenthematik „Gedächtnis und Schriftlich-keit in den Archivkulturen“ ein. Am Beispiel von Land-übertragungsurkunden in England vom 11. bis 17. Jahr-hundert wies Heather MacNeil (Universität BritischKolumbien) die „Entwicklung der Verschriftlichung vonder Erinnerung an den Akt zur Verkörperung des Übertra-gungsaktes selbst“ nach. Unter der Fragestellung „Waswird übrig bleiben, um die Geschichte zu erzählen“berichtete der Australier Tom A. Adami (Tanzania, Ver-einte Nationen) von der „Aktenverwaltung des Internatio-nalen Gerichtshofes für Ruanda“ und anderer internatio-naler Gerichtsverfahren aus der Arbeit des InternationalenGerichtshofes in Den Haag. Aus der Perspektive der elek-tronischen Akten ging Brien Brothmann (StaatsarchivRhode Island, USA) den sich am „Vorabend der Renais-sance“ (14. Jahrhundert) in Europa hypothetisch zu unter-scheidenden „dokumentarischen und literarischen Kultu-ren“ nach. Mit den aktuellen Diskussionen um die „großeSpaltung der westlichen akademischen Welt und der sog.Dritten Welt“ sowie deren Auswirkungen auf die Akten-führung und zukünftige Archivausbildung setzte sichMark Wolfe (InterPARES 2 Team, USA) auseinander.15

Den krönenden Abschluss bildete Eric Ketelaar mit sei-nem aktuellen, brisanten und methodisch überzeugendenBericht von den unter seiner Leitung angelaufenen Archi-vierungsmaßnahmen an den „UN-Archiven des Interna-tionalen Gerichtshofes für das frühere Yugoslawien“ als„gemeinsames Erbe der Menschheit“, wo immer es einmaleingelagert werden sollte.

Die Diskussionen nach den Vortragsblöcken sowie inden Kaffee- und Tee-Pausen und auch bei den Mahlzeitenim nahen Universitätsrestaurant hat der Berichterstatterals sehr angeregt, vielseitig und fruchtbar erfahren kön-nen. Dies gilt besonders für den Höhepunkt des „Sozial-programms“, das festliche „Konferenz-Dinner“ am Abenddes 1. September in der Orangerie des Botanischen Gar-tens (Hortus Botanicus) von Amsterdam. Der Kontakt ausder „heilen Archivwelt“ war u. a. durch die zur Verfügunggestellten Internet-Plätze gegeben, und der Springer-Ver-lag bot einschlägige englische Fachveröffentlichungengünstig an. Auch wenn es wohl keinen herkömmlichenTagungsband geben wird, bleibt nicht nur die Tagungs-mappe mit Abstracts und Biografien der Referenten hilf-reich und wertvoll. Vielmehr sind die Abstracts und Fotosauf der aktualisierten Homepage der I-CHORA 2 weltweit

14 Vgl. Jean Steinbruck, The yellow Knife Journal, with an introductionby Harry Duckworth, Manitoba/Winnipeg 1999.

15 Vgl. www.interpares.org.

zugänglich, und die Fachbeiträge sollen in Themennum-mern der Zeitschrift Archival Science erscheinen.

In dem Wettbewerb um die Ausrichtung von I-CHORA3 (27.–29. 9. 2007) über „Personalakten und Aktenverwal-tungspraktiken“ hat sich die im Jahre 1791 gegründeteHistorische Gesellschaft von Massachusetts durchgesetztund lud durch Philip Eppard (Universität Albany, USA)nach Boston ein, was nicht nur eine „Herausforderung fürden deutschen Reisekostenetat“ werden könnte. Dies gilterst recht für die I-CHORA 4, welche für 2008 nach Austra-lien einberufen werden soll. Nach der beklagten „zölibatä-ren Vereinsamung der deutschen Archivwissenschaft“ (V.Schockenhoff, Darmstadt 1996) wurde den deutschenTeilnehmern die Nichtrezeption neuerer deutscher Ent-wicklungen und Diskussionen, z. B. über die Bewertungs-frage16 in dieser Zeitschrift, mit der „Sprachbarriere“erklärt, die bei den gastfreundlichen Holländern nichtbesteht. Wenn mit dem (herunterladbaren) ansprechendenTagungslogo des Hauptbuchhalters Matthäus Schwarzaus der Fugger-Handelshaus-Darstellung von 1516/17 eindeutsches und zugleich grenzüberschreitendes Emblemgewählt wurde, könnte dies ein Impuls werden, sichzukünftig mit dem deutschen archivwissenschaftlichenPotential17 stärker in die I-CHORA einzubringen.

Köln Reimund Haas

16 Vgl. Frank M. Bischoff, Robert Kretzschmar (Hrsg.), Neue Perspekti-ven archivischer Bewertung. Beiträge zu einem Workshop an derArchivschule Marburg, 15. November 2004 (Veröffentlichungen derArchivschule Marburg 42), Marburg 2005.

17 Vgl. Christof Mauch, Thomas Reuther, America in German Archives:A Guide to Primary Sources Concerning the History of the United Statesand Canada (German Historical Institute, Reference Guide 12), Washington2001.

Jüdisches ArchivwesenKolloquium aus Anlass des 100. Jahrestages der Gründung desGesamtarchivs der deutschen Juden, zugleich 10. Archivwissen-schaftliches Kolloquium der Archivschule MarburgEin Doppeljubiläum bildete den Rahmen für das diesjäh-rige von der Archivschule Marburg organisierte, im Hessi-schen Staatsarchiv Marburg am 13.–15. September 2005veranstaltete Fachgespräch, zu dem sich etwa 120 Teilneh-merinnen und Teilnehmer aus dem In- und Ausland ver-sammelt hatten. Das von der Archivschule Marburg voreinem Dezennium ins Leben gerufene jährliche Kollo-quium hat sich inzwischen als feste Größe im internationa-len Tagungskalender der Archivwissenschaft zu etablie-ren vermocht. Dieses „kleine“ verband sich mit jenem„großen“ Jubiläum, das der diesjährigen Tagung ihreninhaltlichen Rahmen gab: dem 100. Jahrestag der Grün-dung des Gesamtarchivs der deutschen Juden 1905 in Ber-lin, das 1939 jedoch dem Rassenwahn zum Opfer fiel undhier zu Lande erst in dem 1988 gegründeten Zentralarchivder deutschen Juden in Heidelberg sowie in dem 1990geschaffenen Archiv der „Stiftung Neue Synagoge – Cen-trum Judaicum“ in Berlin zwei Nachfolgeinstitutionengefunden hat.1

1 Hierzu im Überblick Peter Honigmann: Ein Jahrhundert jüdischesArchivwesen in Deutschland, in: Archive und Gesellschaft. Referate des66. Deutschen Archivtages (Der Archivar; Beiband 1), Siegburg 1996,S. 129–142; ders.: Geschichte des jüdischen Archivwesens in Deutsch-land, in: Der Archivar 55 (2002), S. 223–230; Diana Schulle: Das Gesamt-archiv der deutschen Juden und die Zentralstelle für jüdische Personen-standsregister, in: Herold-Jahrbuch, N. F. 9 (2004).

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Grußworte des Vizepräsidenten des Zentralrats derdeutschen Juden, Salomon Korn, des Hessischen Staats-ministers für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts, desPräsidenten des Bundesarchivs, Hartmut Weber, und desOberbürgermeisters der Stadt Marburg, Egon Vaupel,unterstrichen die Bedeutung beider Jubiläen für die Kul-tur- und Archivlandschaft. Die Tagung hatte sich die Auf-gabe gestellt, die bestehenden Kommunikationsgemein-schaften unter den mit der Verwahrung von Quellen jüdi-scher Provenienz befassten Institutionen stärker archiv-fachlich zu profilieren und das (Selbst-)Bewusstsein fürdie spezifisch jüdischen Besonderheiten archivarischerAufgabenerledigung zu schärfen. 22 Referentinnen undReferenten aus sieben Ländern reflektierten an drei Tagenund in insgesamt acht Sektionen darüber, inwieweit dieBesonderheiten jüdischer Archivarbeit zur Bildung eineseigenen Fachgebietes für das jüdische Archivwesen drän-gen.

Die Mehrzahl der Referate war freilich überwiegenddem Anliegen verpflichtet, die Geschichte und Tätigkeiteinzelner Dokumentationsstellen bzw. Archive zur jüdi-schen Geschichte vorzustellen. Hier zeigte sich der auchnach zwei vorangegangenen Tagungen2 offensichtlichnoch immer starke Bedarf am Austausch von Grundinfor-mationen über die internationale Dichte und Leistungsfä-higkeit der an der Dokumentation, Archivierung undSammlung von Unterlagen zur jüdischen Geschichtebeteiligten Institutionen. Barbara Welker vom Archiv der„Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum Berlin“referierte über die Geschichte des alten Gesamtarchivs derdeutschen Juden in Berlin und verband damit Hinweiseauf die Bestände des neuen Stiftungsarchivs. Für das Hei-delberger Zentralarchiv gab Elijahu Tarantul Auskunftüber die bisher leider wenig erfolgreichen Bemühungen,kriegsbedingt verlagerte Unterlagen deutsch-jüdischerProvenienz aus dem russischen Sonderarchiv, das sichheute „Zentrum zur Aufbewahrung historisch-dokumen-tarischer Sammlungen“ nennt und inzwischen beim Zen-tralen Militärarchiv in Moskau ressortiert, zurückzuerlan-gen. Inka Arroyo vom Central Archives for the History ofthe Jewish People in Jerusalem, in dem heute auchumfangreiche Bestände des zerschlagenen Gesamtarchivsder deutschen Juden verwahrt werden, berichtete über dieArbeit ihres Hauses, das sich seit 1947 als „virtuellesStaatsarchiv der Diaspora“ versteht und neben planmäßiggesammelten Original-Unterlagen aus aller Welt auchumfangreiche Bestände an verfilmter Ersatzdokumenta-tion zur Benutzung bereit hält. Marek Web vom YIVOInstitute for Jewish Research in New York stellte dierenommierte Forschungseinrichtung vor, die 1925 inWilna gegründet wurde, 1940 aber in den USA neu aufge-baut werden musste, nachdem die Nationalsozialisten einJahr zuvor das Institut besetzt und dessen Sammlung undBibliothek verschleppt hatten; heute gilt das YIVO Insti-tute als die wichtigste Forschungseinrichtung zurGeschichte der osteuropäischen Juden in den Vereinigten

2 Jean-Claude Kuperminc u. a. (Hgg.): Preserving Jewish Archives aspart of the European Cultural Heritage. Proceedings of the Conference onJudaica Archives in Europe, for Archivists and Librarians, Potsdam 1999,11–13 July, Paris 2001; zu dem vom 23.–25. März 2004 von der „Confe-rence on Jewish Material Claims against Germany“ in New York veran-stalteten „International Shoa Archivists Working Forum“ siehe die ein-schlägige URL unter: >http://www.thejewishweek.com/news/newscontent.php3?artid=9231<.

Staaten. Fesselnde Einblicke in die Sammlung des War-schauer Jüdischen Historischen Instituts (Z

.ydowski Insty-

tut Historyczny) gewährte dessen Direktor Feliks Tych:Zu den wertvollsten Unterlagen des Instituts gehören diesehr zeitnah, von 1944 bis 1949 durch Befragung Überle-bender entstandenen Zeugenaussagen zur Verfolgungund Ermordung der polnischen Juden. Tych hob hervor,dass unter diesen Quellen, die bisher von der Forschungkaum beachtet worden seien, vor allem die mit überleben-den Kindern durchgeführten Interviews außerordentli-chen Aussagewert besitzen; diese kindlichen Berichteschilderten das Grauen „unerhört konkret, frei von jegli-chem Klagen über das eigene Schicksal, voller Verhalten-heit und dadurch nur noch eindringlicher“. Auch daslegendäre Ringelblum-Archiv, das ab 1940 im WarschauerGhetto heimlich zur Dokumentation des von den Natio-nalsozialisten organisierten Alltagsterrors gebildet wurde,gehört heute zur Sammlung des Instituts.3 Für die Archi-vierung von Unterlagen auf lokaler Ebene gab ErnstL. Presseisen vom Philadelphia Jewish Community Cen-ter ein Beispiel und stellte das von ihm 1975 mitbegrün-dete Gemeindearchiv und dessen Bestände vor. Auf deut-scher Seite informierte Jürgen Sielemann vom Staatsar-chiv Hamburg über die dort verwahrten Bestände der gro-ßen jüdischen Gemeinden Hamburgs, deren Unterlagenbis in das 17. Jahrhundert zurückreichen. David Frei vomLondoner Oberrabbinat Beth Din berichtete von der dortangesiedelten zentralen Archivierung der Geburts-, Hei-rats- und Sterberegister aschkenasisch-jüdischer Gemein-den in Großbritannien seit dem 18. Jahrhundert. HartmutHeinemann vom Hessischen Hauptstaatsarchiv wid-mete sich dem Schicksal der Verfilmung personenbezoge-ner Unterlagen durch das nationalsozialistische Reichssip-penamt, die heute beim Hauptstaatsarchiv in Wiesbadenals Ersatz für verlorene Originalquellen jüdischer Prove-nienz herangezogen werden können. Aubrey Pome-rance vom Jüdischen Museum Berlin und Henry Mayervom United States Holocaust Memorial Museum inWashington D. C. referierten über die Sammlungspolitikihrer Häuser und den Einsatz der von ihnen akquiriertenUnterlagen und Exponate für historische Dokumentati-ons-, Lern- und Erinnerungszwecke. Gail T. Reimer vomJewish Women’s Archive in Boston stellte mit ihrer Institu-tion eine virtuelle Dokumentationsstelle zur Alltagsge-schichte jüdischer Frauen in den Vereinigten Staaten vor.In historischer Perspektive führte Laura Jokusch von derUniversität New York schließlich in die seit 1903 vonbetroffenen bzw. überlebenden Juden in Osteuropa selbstgebildeten zeitgenössischen Unterlagen zur Dokumenta-tion von Verfolgungen, Pogromen und der Shoa ein.

In ihrer Summe vermittelten die Beiträge, die wieerwähnt primär auf die Unterrichtung einzelner archivi-scher bzw. dokumentarischer Aktivitäten zielten, ein Bildvon den sich zahlreich überschneidenden, nicht seltenkonkurrierenden Wirkungsradien und Zuständigkeitender verschiedenen Dokumentationsstellen, Sammlungenund Archive: Zentrale, ihrerseits miteinander wettei-fernde Dokumentationsstrategien (z. B. Heidelberg, Jeru-salem) stehen regionalen Archivierungsaufgaben (z. B.Philadelphia, Hamburg, London) gegenüber und werdenwiederum durch museale oder forschungsgeleitete

3 Vgl. auch Feliks Tych (Bearb.): Guide to the Jewish Historical Institute,Warszawa 2003.

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Sammlungsinteressen (Berlin und Washington, New Yorkund Warschau) berührt. Konkurrierende Interessen, aberauch das Schicksal der noch in Russland zurückbehalte-nen Unterlagen deutsch-jüdischer Herkunft führten in derDiskussion denn auch rasch zu Fragen der zwischenstaat-lichen Archivalienfolge; hinterfragt wurde dabei gelegent-lich die Gültigkeit des Provenienzprinzips.

Archivfachlichen Fragen widmeten sich vor allem jeneVorträge, die bewusst auf Einzelprobleme der Dokumen-tation und Archivierung von Unterlagen zur jüdischenGeschichte fokussierten. Frank Mecklenburg vom LeoBaeck Institute in New York behandelte die Nutzergruppeder Genealogen und verwies auf deren meist überdurch-schnittlichen Motivations- und Vernetzungsgrad; er emp-fahl, das in dieser „community“ gegebene Potenzial durcheine engere Zusammenarbeit mit einschlägigen Vereinenund Forscherverbünden stärker zu nutzen. Friedrich Bat-tenberg vom Hessischen Staatsarchiv Darmstadt undAlbrecht Eckhardt vom Niedersächsischen StaatsarchivOldenburg berichteten über die von ihnen jeweils geleiteteInventarisierung der Quellen zur Geschichte der Judenaus Archivbeständen der ehemaligen Staaten Hessen-Darmstadt und Oldenburg. Probleme der Übernahme vonUnterlagen aus jüdischen Gemeinden behandelte mitBlick auf die Verhältnisse in der Schweiz Uriel Gast vonder Dokumentationsstelle Jüdische Zeitgeschichte amArchiv für Zeitgeschichte der Eidgenössischen Techni-schen Hochschule (ETH) in Zürich. Diesem Aspekt wid-mete sich gleichfalls Peter Honigmann vom Heidelber-ger Zentralarchiv, der in seinem Vortrag Fragen der Gestal-tung von Depositalverträgen, der Kassation und derBenutzung aufgriff: Depositalverträge bezeichnete Honig-mann als das zentrale Instrument, um überhaupt Zugängean Unterlagen jüdischer Provenienz zu organisieren, dageregelte Zuständigkeiten zur Übernahme des für dieAufgabenerledigung nicht mehr benötigten Gemeinde-schriftguts in Deutschland ebenso wenig existierten wiefeste Archivsprengel. Aus diesem Strukturproblem ergä-ben sich Folgeprobleme für Kassation und Benutzung; sozeigten jüdische Gemeinden, die dem Heidelberger Zen-tralarchiv so unabhängig wie ein privater Nachlassgebergegenüber ständen, häufig kein Verständnis für ins Augegefasste Kassationsmaßnahmen; insbesondere, wenn dieÜbernahme von Schriftgut erst nach längeren Verhand-lungen mit den abgebenden Stellen zu Stande gekommensei, sei diesen die Reduzierung ihres Altschriftgutes kaumzu vermitteln. Bei der Benutzung von Unterlagen, die imHeidelberger Zentralarchiv verwahrt werden, bean-spruchten die Gemeinden auch zunehmend und im Ein-zelfall ein Mitsprache- oder das Entscheidungsrecht. ImSpannungsfeld von Benutzungsinteressen einerseits undstaatlichen Anforderungen an den Datenschutz sowieinnerjüdischen Interessen andererseits behandelte Honig-mann die Frage, inwieweit in Ermangelung konkreter Vor-schriften die deutschen Archivgesetze als Richtlinien fürden Zugang zu Unterlagen jüdischer Provenienz herange-zogen werden könnten. Er betonte, dass über die Gesetzehinaus künftig auch religiöse Vorschriften zum Umgangmit personenbezogenen Unterlagen – z. B. das Leseverbotfür Dritte bei Briefen ohne Zustimmung des (noch leben-den) Absenders oder das Verbot der Verbreitung rufschä-digender Informationen über (auch verstorbene) Personen– berücksichtigt werden sollten, um allgemeine Normenfür das Benutzungsreglement zu entwickeln. Honigmann

sprach sich allerdings gegen allgemein formulierte Sperr-fristen aus; notwendig sei vielmehr stets eine Einzelfallab-wägung zwischen Nutzen und Nachteil, die aus der Ver-breitung einer Information entstehen könnten. Freilicherwüchsen aus einer solchen Anforderung umfangreiche,kaum zu bewältigende Recherche- und Kontrollaufgaben.Konkret setzte sich Honigmann dabei übrigens mit der lei-der immer noch relevanten Frage auseinander, ob einerlebenden Person aus der öffentlichen Bekanntmachungihrer konfessionellen Zugehörigkeit zum Judentum mate-rieller Schaden entstehen könne.

Deutliche Kritik an der mangelnden fachlichen Profilie-rung des jüdischen Archivwesens äußerte der langjährigeGeneralinspekteur der französischen Archive, GeorgesWeill, der zugleich wichtige jüdische Archive in Frank-reich, etwa das des Französischen Israelitischen Konsisto-riums, betreut hat. Weill beklagte lebhaft das fehlendeInteresse vieler jüdischer Gemeinden in Frankreich an derdauernden Aufbewahrung ihres Schriftgutes und konsta-tierte ein weit verbreitetes Unverständnis für archivischeZuständigkeiten zumindest hinsichtlich der vor der Tren-nung von Staat und Religionen im Jahr 1905 entstandenenUnterlagen. Allein das Israelitische Konsistorium desMoseldepartements halte sich heute ordentlich an dasGesetz und hinterlege sein nicht mehr benötigtes Schrift-gut regelmäßig im lokalen Departementsarchiv. Die fran-zösische Regierung lege keinen gesteigerten Wert auf dieDurchsetzung der gesetzlichen Vorschriften, was zwar derWahrung des religiösen Friedens, nicht aber der Erhaltungder älteren Unterlagen diene, die teils auch ins Auslandverbracht würden. Ein freier Zugang zu den Quellen seiden Historikern meist nicht gewährleistet, objektiveGeschichtsschreibung werde dadurch erschwert und nichtselten beargwöhnt.

Bot das Kolloquium so vor allem in der engeren archiv-fachlichen Diskussion auch Möglichkeit zur Kritik bzw.Eigenkritik, so stand zum Abschluss des Treffens erneutdie Frage im Raum, inwieweit aus den spezifischen Auf-gaben und Kenntnissen, deren es für die Übernahme, Auf-bewahrung und Nutzbarmachung von Unterlagen jüdi-scher Provenienz bedarf, die Notwendigkeit zu einerbesonderen archivfachlichen Organisationsstruktur resul-tiere. Die meisten der auf dem Kolloquium angesproche-nen Themen, Probleme und Monita waren jedenfalls kei-neswegs nur für die Arbeit jüdischer Archivare typisch,sondern begegnen ebenso in anderen Sektoren des Archiv-wesens. Was etwa Frank Mecklenburg im Hinblick aufdie verbesserte Zusammenarbeit mit Genealogen aus-führte, ist in gleichem Tenor auf der diesjährigen Früh-jahrstagung der VdA-Fachgruppe 1 gesagt worden.4 DieRekonstruktion und Zusammenführung regime- undkriegsbedingt zerrissener Archivprovenienzen bleibt aufabsehbare Zeit auch im staatlichen Archivwesen einewichtige Aufgabe. Den so häufig betonten Schwierigkei-ten bei der Anbietung und Übernahme von Schriftgut ent-sprechen Erfahrungen aus anderen Bereichen des nicht-staatlichen Archivwesens, und was mit Blick auf ein auchaus religiösen Normen entwickeltes Benutzungsregle-ment kritisiert wurde, trifft in ähnlicher Weise das Selbst-verständnis anderer Konfessionsarchive. Die Integrationjüdischer Archive in die allgemeine Archivlandschaft istdaher, wie schon in einigen der Grußworte an das Kollo-

4 Vgl. diese Zeitschrift 58 (2005), S. 118 f.

96 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

quium deutlich wurde, wichtig und wünschenswert; siebleibt unverzichtbar für ein plurales Archivwesen, ausdessen Vielfalt spartenübergreifende Kooperationen undInnovationen zur Sicherung und Nutzbarmachung derÜberlieferung entstehen, um historische Lernarbeit undhistorisches Gedenken zu befördern.

Koblenz Andreas Petter

Erschließungsinformationen und Digitalisate imInternetInternationaler Workshop des Bundesarchivs über ArchivischeStandards im Rahmen des Projekts <daofind>Zu dem Thema, wie Archive Erschließungsinformationenanschaulich und umfassend im Internet präsentieren kön-nen, veranstaltete das Bundesarchiv vom 26. bis 29. Mai inBerlin einen internationalen Workshop. Dabei diskutier-ten Experten aus archivischen Internetprojekten innova-tive Wege zur integrierten Darstellung von Erschließungs-angaben und digitalisiertem Archivgut für die Ebenen derOnline-Beständeübersicht und der Online-Findbücher.Das länderübergreifende Treffen fand im Rahmen des vonder Andrew W. Mellon-Stiftung, New York, unterstütztenProjekts „Digitalisiertes Archivgut in Online-Findmitteln“(<daofind>) statt.1

Die Workshopteilnehmer kamen aus den USA, Frank-reich, Großbritannien, Schweden, Polen und Deutschland,darunter 6 Mitglieder der EAD-Working Group derSociety of American Archivists. Zentrales Diskussions-thema war neben den Möglichkeiten der Präsentation dieErfassung der Daten auf der Grundlage der Struktur vonexistierenden internationalen archivischen Standards.

Bei den Standards handelt es sich um EAD (EncodedArchival Description), EAC (Encoded Archival Context)und METS (Metadata Encoding and Transmission Stan-dard). Alle drei Standards basieren auf XML-Technologie.Sie ist nicht-proprietär, sehr flexibel, plattformunabhängigund auch ohne spezielle Software nutzbar. Als DTD(Document Type Definition) bzw. Schemata definieren dieStandards Strukturen mit Hilfe von Elementen, die mitAttributen präzisiert werden können und für Erschlie-ßungsangaben und Beschreibungen von Digitalisaten ver-wendet werden.

EAD ist ein amerikanischer Standard und dient derstrukturierten Beschreibung von Findmitteln und Bestän-deübersichten. Der Standard wurde 1998 in einer erstenDTD-Version fertig gestellt und wird seitdem von derSociety of American Archivists gepflegt und weiterentwi-ckelt. Seit 2002 liegt eine zweite Version vor, die die Libraryof Congress auf ihren Internetseiten zum kostenlosenDownload zur Verfügung stellt.2 Charakteristisch für EADist, dass neben der strukturellen Beständebeschreibungauch allgemeine Angaben für die Einleitung sowie Meta-daten zum erstellten elektronischen Findbuch erfasst wer-den können. Die Metadaten sind beispielsweise bibliogra-phischen Angaben, wie Verfasser, Titel, Versionsnummerund Erscheinungsdatum oder das bereitstellende Archivund eine Identifikation der Findbuchdatei. EAD ermög-licht dadurch die Beschreibung des elektronischen Find-buchs als Ganzes in einer Datei. In den USA, England undFrankreich wird EAD als Format intensiv dazu genutzt,

1 Vgl. www.daofind.de.2 Vgl. www.loc.gov/ead.

Archivgut zu erfassen und Erschließungsinformationenverschiedener Archive in gemeinsamen Portalen zu inte-grieren. Präsentationen von EAD-Findbüchern erlaubeneine strukturierte Navigation und eine Volltextsuche.

EAC dient der Beschreibung der Herkunftsstellen vonArchivgut, wie Organisationen, Personen oder Personen-gruppen und bietet die Möglichkeit, Kompetenzwechsel,Funktionsänderungen, Namensformen und -änderungender schriftgutproduzierenden Stellen zu erfassen. Bei-spielsweise können verschiedene Namensformen vonPersonen oder wandernde Kompetenzen von Behördenderart miteinander verknüpft werden, dass die Recher-cheergebnisse nicht isoliert auf den eingegebenen Suchbe-griff beschränkt sind. EAC bietet vielmehr die Möglich-keit, auf strukturell zusammengehörende Daten integriertzugreifen zu können. Wird der EAC-Standard für die Her-kunftsstellenbeschreibung mit der Beständebeschreibungin EAD kombiniert, kann eine neuartige Form von Bestän-deübersicht mit zusätzlichen Informationen und verbes-serten Recherchemöglichkeiten entstehen. Die Pflege derDaten kann dabei in EAD und EAC unabhängig voneinan-der erfolgen und über die Präsentation zusammengeführtwerden. EAC wurde 2001 in Toronto zunächst als DTDvon einer Gruppe von Archivaren aus verschiedenen Län-dern entwickelt und liegt mittlerweile als XML-Schemavor.3 Die Struktur ist so angelegt, dass in einem allgemei-nen Teil Metainformationen zur Datei, wie z. B. über denErsteller, die verwendete Sprache oder zu Erschließungs-richtlinien, erfasst werden. Der zweite Teil dient der Erfas-sung der Daten zur Herkunftsstelle, so z. B. aktuelleAdresse, Namensformen, Geschichte oder Biographie,Kompetenzen, Vorgänger- und Nachfolgeinstitutionen.

METS wird für der Strukturierung und Verwaltung vonMetadaten zu digitalen Unterlagen unterschiedlichsterArt genutzt, so z. B. zu digitalisiertem Archivgut oderBüchern, Audio- und Videodaten, aber auch zu elektroni-schen Unterlagen komplexerer Natur. Er ist ein weit ent-wickeltes Instrumentarium, um etwa digitalisierte Seiteneiner Akte mit den Erschließungs- und Verwaltungsanga-ben zu verknüpfen und die Images in eine Struktur zubringen. Der Standard wurde auf Initiative der DigitalLibrary Federation, einem Programm der US-amerikani-schen Non-Profit-Organisation Council on Library andInformation Resources, Ende der 90er Jahre entwickelt.4

Alle drei Standards geben die typische Struktur vonXML-Dateien vor, die zum einen Metadaten zum XML-Dokument selbst enthalten, zum anderen das eigentlicheMaterial erfassen und beschreiben. Die Metadaten wieetwa eine eindeutige Identifikationsnummer des Doku-ments sind in einem maschinenlesbaren Umfeld unver-zichtbar, um die Authentizität zu belegen und eineZusammenführung mit anderen Daten zu gewähren.

Die Teilnehmer des Workshops, die z. T. an der Ent-wicklung aller drei Standards maßgeblich beteiligt sind,stellten in Berlin die Entwicklungen, Präsentations- undErfassungstools ihrer Länder und Archive vor und tausch-ten ihre bisherigen Erfahrungen mit den Standards aus.Wichtigstes Thema war die Frage, wie man durch eine Ver-linkung der Standards zusätzliche Erschließungsinforma-

3 Allgemeine Informationen vgl. http://www.library.yale.edu/eac/.Zum Schema vgl. http://jefferson.village.virginia.edu/eac/shared/eac/eac.xsd.

4 Download des Standards sowie zu den Hintergrundinformationen undProfilen vgl. http://www.loc.gov/standards/mets/.

97Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

tionen zum Archivgut bereitstellen könnte und wie dieseVerfahren auch für nationale oder internationale Portalegenutzt werden könnten. Existierende Zugangspunkte,wie beispielsweise das Angebot der Non-Profit-Organisa-tion Research Libraries Group (RLG) in den USA ermögli-chen bereits die Recherche in über 50000 Online-Findbü-chern und umfangreichen Bilddateien. Die RLG nutzt dieStrukturierungsstandards EAD und METS bisher nochunabhängig von einander. Daniel V. Pitti von der EAD-Working-Group und entscheidender Mitentwickler vonEAD und EAC betonte, dass eine Integration von EAC undEAD sowie von METS und EAD durch Links oder Pointermöglich wäre.

Die Erfahrungen von Archivaren anderer Länder sollenin das zu Beginn diesen Jahres begonnene Pilotprojekt<daofind> einfließen. Das Projekt erprobt erstmals eineintegrierte Internetpräsentation von Angaben aus Bestän-deübersicht, Findbuch und digitalisiertem Archivgut. DieErfassung der Daten basiert dabei auf der durch die Stan-dards vorgegebenen Struktur. Gleichzeitig sollen die Ver-linkungsmöglichkeiten geprüft werden. Neben demWerkzeug MidosaXML, das für die Erstellung von EAD-Dateien bereits vom Bundesarchiv verwendet wird, wer-den zwei weitere Editoren für die Erfassung der EAC- undMETS-Daten entwickelt. Für beide wird die existierendeOpenSource Entwicklungsumgebung Eclipse genutzt, diefür den jeweiligen Standard angepasst wird. Die Editorensollen eine Erfassung der Daten auch ohne XML-Kennt-nisse erlauben. Im Rahmen des Projekts wurden dreiBestände der SED aus der Stiftung Archiv der Parteienund Massenorganisationen der DDR im Bundesarchivausgewählt, für die zunächst eine Erfassung und anschlie-ßend eine Webpräsentation geplant ist. Bestandsbeschrei-bungen und Findbücher liegen bereits online vor. DieBestände Sekretariat Helmut Lehmann (1945–1950) undSekretariat Paul Merker (1945–1950) mit einem Umfangvon insgesamt 3 lfm wurden komplett von bereits existie-renden Microfiches durch eine externe Firma digitalisiert.Aus dem Bestand Zentrale Parteikontrollkommission derSED (1948–1971) digitalisierte die Firma die Klassifikati-onsgruppe Vorbereitung und Auswertung von Parteita-gen, Parteikonferenzen und Tagungen des ZK mit einemUmfang von elf Akten. Die Images wurden in Graustufenim plattformunabhängigen PNG (Portable Network Gra-phics)-Format in jeweils zwei unterschiedlich großen Auf-lösungen angefertigt,5 die voraussichtlich – je nach Nut-zerwunsch – zur Ansicht oder zur Bestellung bereitgestelltwerden.

Zum Projekt gehört die Erstellung einer Webseite. Siesoll eine Projektdokumentation, die Erfassungstools undBest Practice Guidelines für die Anwendung der Stan-dards sowie die integrierte Präsentation Mitte des Jahres2006 bereitstellen. Derzeit informiert die Seite über dieErgebnisse des Workshops, enthält Hintergrundinforma-tionen, deutsche Übersetzungen der Standards und wei-tere Materialien.

Berlin Anke Löbnitz

5 Zur Abwägung der Formate vgl. Maier, Gerald: Qualität, Bearbeitungund Präsentation digitaler Bilder, in: Digitale Archive und Bibliotheken.Neue Zugangsmöglichkeiten und Nutzungsqualitäten (= Werkhefte derstaatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Serie A, Heft 15), hrsg. v.Hartmut Weber und Gerald Maier, Stuttgart 2000, S. 129–178.

International Conference on Preservation of DigitalObjects (iPRES) 2005 in Göttingen

Das Thema „digitale Langzeitarchivierung“ rückt zuneh-mend in den Fokus der Öffentlichkeit und bildet, nacheiner Dekade verstärkter politischer und wissenschaftli-cher Bemühungen, seinen eigenen Kreis von Fachleutenund Experten heraus. Der umfassende Veranstaltungska-lender des Projekts nestor (http://www.langzeitarchivie-rung.de) verzeichnet von 2003 bis 2006 knapp 200 Veran-staltungen, die langzeitarchivierungsrelevante Themen inihrem Programm führen. Eine Konferenz, die sich aus-schließlich mit dem Feld digitaler Langzeitarchivierungbefasst, fand vom 15. bis zum 16. September 2005 in derNiedersächsischen Staats- und UniversitätsbibliothekGöttingen (SUB) statt. Die iPRES ist Teil einer Veranstal-tungsreihe, die 2004 in Peking startete. Sie ist eine interna-tionale Unternehmung mit Partnern aus China, den USAund Europa. Die Organisation wurde von der Staats- undUniversitätsbibliothek (SUB) Göttingen und dem Projektnestor übernommen. Förderer der Veranstaltung warendie Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundes-ministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Das Fachpublikum aus dem Gebiet der digitalen Lang-zeitarchivierung ist nicht nur international, sondern auchinnerhalb seiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Organi-sationen und Institutionen breit gefächert. Zuhörer undReferenten kommen aus Archiven, Bibliotheken, derfreien Wirtschaft, Forschungsinstituten und Universitä-ten. Das Publikum der iPRES bildete in dieser Hinsichtkeine Ausnahme. Unter den knapp 100 registrierten Teil-nehmern finden sich Vertreter aus allen Bereichen, auchwenn die Bibliothekare in der Überzahl waren. Die deut-schen Archive waren mit Vertretern des LandesarchivsBaden-Württemberg, des Bundesarchivs und des Univer-sitätsarchivs der FU Berlin vor Ort.

Der Veranstaltungssaal im Zentralen Hörsaalgebäudeder Göttinger Universität war technisch hervorragend füreinen internationalen Kongress ausgerüstet und ließ kei-nerlei Wünsche offen. Da die Vorträge ausschließlich inenglischer Sprache gehalten wurden, waren die beidenSimultanübersetzerinnen hochwillkommen und musstenbei einigen Beiträgen Schwerstarbeit leisten. Die Organisa-toren haben durchweg gründliche Arbeit geleistet. Vonden Helfern an der Rezeption, den Mahlzeiten bis hin zurModeration der Sitzungen wurde alles perfekt geplant,terminiert und durchgeführt. Besonders erwähnenswertist hierbei die Nachbereitung der Konferenz. SämtlichePräsentationen wurden gemeinsam mit den Videos derVorträge zu einer DVD zusammengestellt. Die Videos undPräsentationen sind außerdem über die Konferenzseite imInternet abrufbar (http://www.langzeitarchivierung.de/ipres).

Die Veranstaltung begann mit der Willkommensrededurch Prof. Elmar Mittler, Direktor der gastgebendenSUB Göttingen. Ihm folgte die Generaldirektorin derDeutschen Bibliothek, Elisabeth Niggemann, mit derersten Grundsatzrede der Tagung. Ihr Vortrag unter demTitel: „Preserving our Digital Heritage – Weaving a Web ofTrust“ war ein Aufruf an die kulturbewahrenden Institu-tionen zur Bewahrung des digitalen Erbes. Im Zentrumdieser Bemühungen müsse immer der Nutzer stehen, dervon den Archiven, Bibliotheken und Museen, nebeneinem ausreichenden Angebot, vor allem Authentizität,

98 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Nachhaltigkeit, Zugänglichkeit und Professionalitäterwartet. Deshalb müssen unbedingt klare Rahmenbedin-gungen hinsichtlich der Auswahl von digitalem Material,den entsprechenden Archivierungsstrategien sowie derFinanzierung und Zuständigkeit geschaffen werden. Umdiese Ziele möglichst bald zu verwirklichen, müsse ausPartnerschaften und Kooperationen ein Netz des Vertrau-ens geschaffen werden, so ihr abschließender Appell andas Auditorium.

Der erste größere Programmpunkt war unter dem Titel:„Preservation Policies – Different Approaches“ zusam-mengefasst. In diesem Rahmen stellte Stefan Strath-mann das deutsche Projekt nestor näher vor. Gefördertvom BMBF soll nestor die Kompetenzen bezüglich derdigitalen Langzeitarchivierung erschließen, Kooperatio-nen ermöglichen, praktische Hilfestellungen geben und zueiner dauerhaften Anlaufstelle für Informationssuchendewerden. Als Beitrag für eine nationale Langzeitarchivie-rungsstrategie werden demnächst weitere nestor-Experti-sen veröffentlicht. Besonders hervorzuheben ist derUmstand, dass es sich bei nestor um eine Kooperation vonArchiven, Bibliotheken und dem Institut für Museums-kunde handelt. Die Vorträge von Manjula Patel über dieAktivitäten in Großbritannien und Zhixiong Zhang überSTM-E-Journals in China komplettierten den ersten Vor-tragsblock.

Im zweiten Block ging es um technische Umsetzungen,vornehmlich aus der Sicht größerer Bibliotheken. Die Ver-knüpfung von Workflow- und Life-Cycle-Managementmit den Erfordernissen eines Langzeitarchivs waren diezentralen Punkte der drei Referenten. Reinhard Altenhö-ner stellte in einem umfassenden Vortrag die diesbezügli-chen Aktivitäten der Deutschen Bibliothek vor. Im Projektkopal (http://kopal.langzeitarchivierung.de), entwickelndie Deutsche Bibliothek, die SUB Göttingen, die IBMDeutschland GmbH und die Gesellschaft für wissen-schaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen (GWDG)eine kooperativ betriebene und nachnutzbare Lösung fürdie Langzeiterhaltung digitaler Daten. Dabei wird DIAS(Digital Information and Archiving System), ein von IBMentwickeltes System, als Ausgangspunkt genutzt und andie Bedürfnisse von kopal angepasst. Durch die Kompati-bilität von DIAS zum weltweit immer wichtiger werden-den Open Archive Information System Standard (OAIS)ist das Projekt auch für Archive mit elektronischemArchivgut von Interesse.

Der zweite Konferenztag startete mit dem Thema Web-Archivierung. John Kunze von der California DigitalLibrary überraschte das Publikum mit einem skeptischenBlick in die Zukunft. Bei den immer enger werdendenfinanziellen Spielräumen für die Bestandserhaltung seienaufwendige Erhaltungsmaßnahmen für digitale Beständewahrscheinlich nicht zu erbringen. Um keine Zeit mehr zuverlieren, sollte man bald damit beginnen, die digitalenObjekte, zusätzlich zur Sicherung in ihren Originalforma-ten, in technisch abgespeckter Form zu speichern. Diese,von ihm als „dessicated formats“ bezeichneten Formatebestehen nur aus reinem Text ohne diakritische Zeichenund sonstige Formatierungen. Archivierte Bilder werdenals Rastergrafiken abgelegt. Das Verfahren wäre ohne wei-teres sofort einsetzbar. Der Vortrag von Julien Masanèsmachte daraufhin deutlich, wie komplex die Aufgabe derWeb-Archivierung ist. Er verglich Institutionen, die aufdiesem Gebiet tätig sind, und zeigte so verschiedene

Ansätze und Konzepte auf. In Bezug auf Auswahl undSelektion unterschied er zwischen „domain centric“ und„topic centric“. Während beim Domain-Centric-Verfahrenalle Dokumente innerhalb einer Internet Domain gesam-melt werden, ist beim Topic-Centric-Verfahren der Inhalteines Dokuments das ausschlaggebende Kriterium füreine Aufnahme in ein Archiv.

Den längsten Vortrag der Konferenz hielt StephenAbrams von der Harvard University Library. DigitaleLangzeitarchivierung ist nur sinnvoll, wenn auch nachJahrzehnten die Daten noch lesbar sind. Deshalb muss einArchiv jederzeit wissen, in welchen Formaten die Datenabgelegt wurden, welche Risiken die jeweiligen Formatefür eine dauerhafte, stabile Aufbewahrung in sich bergenund wie die Informationen für das menschliche Auge les-bar dargestellt werden können. Bedauerlicherweisebesteht nicht jedes digitale Objekt aus nur einer Datei undnicht jede Datei beinhaltet zwangsläufig nur ein Format.Hinzu kommen Fehler bei der Übermittlung und Migra-tion von Daten, die von den Archiven erst beim erneutenÖffnen der Dateien erkannt werden. Archive benötigendeshalb geeignete Werkzeuge zum Erkennen und Validie-ren von Formaten. Mit den Programmen JHOVE undDROID gab Abrams zwei Beispiele für neue Entwicklun-gen auf diesem Gebiet. Grundlegend für eine weltweiterfolgreiche digitale Langzeitarchivierung ist die Entwick-lung eines dauerhaften Format-Verzeichnisses, in dem alleFormate ausreichend dokumentiert und beschrieben wer-den. Das Nationalarchiv von Großbritannien hat mit PRO-NOM einen ersten Entwurf geliefert. Abrams machte Vor-schläge für eine „Global Digital Format Registry“ (GDFR),die dezentral von kooperierenden Organisationen verwal-tet werden soll.

Der letzte Teil der Veranstaltung, der den aktuellen Ent-wicklungen gewidmet wurde, machte nochmals deutlich,dass der OAIS-Standard und die damit verbundene Ter-minologie immer mehr Einfluss gewinnt. Die neuen Meta-daten-Formate PREMIS und METS sind beide mit demBlick auf OAIS-Kompatibilität entwickelt worden. Durchdie Umsetzung von METS und PREMIS in XML soll einautomatisierter Metadatentransfer möglich sein. MarkusEnders von der SUB Göttingen zeigte jedoch auch, dassan der Kompatibilität von METS zu PREMIS noch gearbei-tet werden muss.

Mit einer abschließenden Diskussionsrunde endete dieiPRES. Eine Umfrage der Organisatoren ergab, dass dieBesucher sehr zufrieden mit den Vorträgen und den Leis-tungen der Referenten waren. Die nächste iPRES-Konfe-renz ist für 2006 in den Vereinigten Staaten geplant.

Koblenz Karsten Huth

Deutschland als Entwicklungsland?!Bericht vom TAPE-Workshop „Probleme der Konservierungund Restaurierung von Aufzeichnungen auf Magnetband“ inBerlinAudiovisuelle Quellen gehören zu unserem kulturellenErbe wie Baudenkmäler, museale Sachzeugen, Bücher undArchivalien. Nur die Gesamtheit der Überlieferung allerArten und Gattungen von Kulturgut ist ein kulturellesGedächtnis, das diesen Namen auch verdient.

Der Wert audiovisueller Quellen kann in unserermedialen Gesellschaft nicht angezweifelt werden. Wieaber sieht es mit deren Bewahrung aus? Internationale

99Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Bemühungen insbesondere der Internationalen Vereini-gung der Schall- und audiovisuellen Archive (iasa)1 zei-gen, dass es weltweit nicht nur ein Bewusstsein zu dieserProblematik gibt, sondern auch Lösungen entwickelt undumgesetzt werden. In Deutschland bleibt das Thema ehereines weniger Spezialisten – in dem Land, in dem bereits1935 die AEG auf der Funkausstellung in Berlin das „Mag-netophon K1“ und damit das erste Tonbandgerät mit Zel-luloidband nach den Ideen von Fritz Pfleumer präsen-tierte. Insbesondere in den Archiven führen audiovisuelleQuellen oftmals ein Schattendasein und rangieren weithinter anderen Archivaliengattungen wie Urkunden undAkten. Selbst Bildbestände oder -sammlungen erfreuensich meist größerer Akzeptanz. Einrichtungen wie dasBundesarchiv-Filmarchiv oder das „Sachgebiet audiovi-suelle Medien“ im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig, diesich auch intensiv der Bestandserhaltung widmen, bildeneine rühmliche Ausnahme.

Archivare zeigen gegenüber audiovisuellen Quelleneher Berührungsängste, was an der (naturgemäßen?)Technik-Abneigung liegen mag. Leider spielt das Themabei der archivarischen Aus- und Fortbildung kaum eineRolle. Dies gilt für alle Aufgabenfelder wie der Über-nahme, Erschließung, Nutzbarmachung und auch derBestandserhaltung. Gerade in der Bestandserhaltung liegtbekanntlich die größte Brisanz. Dass Papier zerfällt unddabei Säure freisetzt, wissen wir Archivare. Aber ist unsauch bewusst, dass diese wiederum Magnetbänder schä-digt, die in ungeeigneten (und fabrikmäßig üblichen)Pappschachteln lagern?

Umso verdienstvoller ist die von der European Com-mission on Preservation and Access (EPCA) zum 1. Sep-tember 2004 ins Leben gerufene, auf drei Jahre angelegteInitiative „Training for Audiovisual Preservation inEurope“ (TAPE).2 TAPE hat sich die Entwicklung undDurchführung eines Fortbildungsprogramms für „betrof-fene Nicht-Spezialisten“ auf diesem Gebiet zum Zielgesetzt. Partner sind das Centro di FotoriproduzioneLegatoria e Restauro degli Archivi di Stato, die EuropeanCommission on Preservation and Access, die Finnish Jazzand Pop Archive, das State Archive of Poland und dasPhonogrammarchiv der Österreichischen Akademie derWissenschaften Wien. Das Fortbildungsprogrammbegann mit einem internationalen Workshop in Amster-dam vom 28. September bis 4. Oktober 2005. Auf diesenfolgen Workshops im nationalen Rahmen. Dass auch inDeutschland ein solcher stattfinden konnte, ist vor allemdem Lehrstuhlinhaber des Studienganges „Restaurie-rung/Grabungstechnik, Spezialisierung Film/Foto/Datenträger“ (Fachbereich 5) der Fachhochschule fürTechnik und Wirtschaft Berlin (FHTW)3, Prof. MartinKoerber M. A., zu verdanken. „Die Konservierung undRestaurierung von Fotografien, Filmen und Datenträgernan der FHTW Berlin ist in dieser Kombination ein weltweiteinmaliges Lehrangebot.“4 Der vom 21. bis 23. November2005 veranstaltete TAPE-Workshop zu „Problemen derKonservierung und Restaurierung von Aufzeichnungenauf Magnetband“ an der FHTW Berlin brachte Studentenund „Praktiker“ aus Archiven, Museen, Bibliotheken und

1 URL http.//www.iasa-web.org.2 URL http://www.tape-online.net/.3 URL http://www.fhtw-berlin.de/.4 URL http://restau.f2.fhtw-berlin.de/frameset/frameset.htm.

anderen Einrichtungen zusammen – ein zweifellos gelun-genes Konzept. Die Referenten überzeugten durch didak-tische Aufbereitung des vielseitigen Stoffes und durch ihreprofunde Fachkenntnis. Mag. Nadja Wallaszkovits vomPhonogrammarchiv der Österreichischen Akademie derWissenschaften Wien widmete sich insbesondere denGrundlagen der Digitalen Audio- und Video-Archivie-rung, den Voraussetzungen für einen optimalen Transfer,der Wiedergabe analoger Magnetbänder und den Basis-strategien für einen A/D Transfer. Wichtige Schwerpunktebildeten Fragen der Obsoleszenz von Formaten und Gerä-ten sowie die Lagerungsbedingungen für audiovisuelleQuellen. Dipl. Rest. (FH) Andreas Weisser, RestaumediaFreiburg, stellte den Aufbau, die Abbauerscheinungenund Schadensbilder sowie die physische und thermischeBehandlung von geschädigten Magnetbändern vor. Wäh-rend am Vormittag die Vermittlung der theoretischenGrundlagen erfolgte, bestand am Nachmittag die Gele-genheit zur praktischen Übung und Vertiefung des Gehör-ten. Die Spanne reichte dabei vom Einlegen der Tonbänderin eine Bandmaschine, der Einmessung analoger Bandma-schinen, dem A/D-Transfer, dem Reinigen von Audio-und Videoköpfen an verschiedenen Geräten, dem visuel-len Schadensbefund an Videokassetten, deren Reinigungbis hin zur Reparatur „havarierter“ Kassetten mit der„Hausapotheke“.

Eindrucksvolle Beispiele geschädigter und nunmehrrestaurierter Videoaufzeichnungen gaben den Teilneh-mern der Veranstaltung zumindest eine Hoffnung auf dieWiederherstellbarkeit verloren geglaubter Informationen.Hörproben zeigten Auswirkungen der Pegeleinstellungenauf die Qualität und die authentische Wiedergabe histori-scher Tondokumente. Von der externen Digitalisierunganaloger Tonaufnahmen wurde eindringlich abgeraten,favorisiert hingegen die interne Realisierung und dieSchulung von Personal, das sich mit den Quellen identifi-ziert und primär an einem authentischen Transfer undnicht an tontechnischen Optimierungen interessiert ist.Auch eine Digitalisierung analoger Videoaufzeichnungenbspw. von U-Matic wurde in Hinblick auf den derzeitigenStand der Technik nicht empfohlen. Tipps aus der Praxiswie die Führung eines „Fahrtenbuches“ zu jedem Gerätuntermauerten die theoretischen Grundlagen. Die nützli-chen Handouts ermöglichen ein Nachschlagen und Nach-bereiten des Workshops.

Abgerundet wurde die Veranstaltung durch viele derwichtigen Pausengespräche und Kontaktaufnahmen derTeilnehmer untereinander sowie die Diskussion ethischerFragen. Weisser gab eine Einführung in die EthischenGrundsätze der Restaurierung, insbesondere in die Chartavon Venedig aus dem Jahre 1964. Hier zeigten sich vieleÜbereinstimmungen mit den – leider nicht in dieser Formniedergelegten – ethischen Ansprüchen der archivari-schen Profession. Der Versuch einer Übertragung der inder Charta fixierten Grundsätze auf die Restaurierungaudiovisueller Quellen bewies zwar im Wesentlichen auchdort ihre Tauglichkeit, an einigen Punkten taten sich aberdurchaus noch Diskussionsbedarf und Fragen auf. Diesebeschäftigen auch die Archivare: was ist Authentizität –zumal im digitalen Zeitalter? Ist ein Original noch ein Uni-kat, woran erkennt man Kopien? Was wollen und müssendie mit der Bewahrung kulturellen Erbes befassten Profes-sionen überliefern und sichern?

100 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Auch wenn im Workshop nicht alle Probleme gelöstwerden konnten, so brachte er doch allen Teilnehmerndem Vernehmen nach einen großen Erkenntnisgewinnund zumindest bei der Verfasserin dieses Berichtes aucheine grundlegend neue Sicht auf dieses an Herausforde-rungen so reiche Gebiet. Zu hoffen bleibt daher, dass nunder Boden für kleine Netzwerke im „EntwicklungslandDeutschland“ bereitet worden ist, und nicht zuletzt auchauf weitere Veranstaltungen zur Bewahrung und Erhal-tung audiovisuellen Erbes.

Berlin Angela Ullmann

Heraldik in St. PetersburgDas 14. Internationale Heraldische Kolloquium fand vom5. bis 8. September 2005 im Ermitage-Museum in St.Petersburg statt. Gastgeber waren das weltberühmteMuseum, der heraldische Rat beim Präsidenten der Russi-schen Föderation sowie die Académie Internationaled’Héraldique. Das hochaktuelle Thema lautete „Heraldikund Frau“. Neben klassischen Vorträgen über „Das Bildder Frau in der Heraldik des Mittelalters: Das Zeugnis derSiegel“ oder zahlreichen monographischen Darstellungenaus einzelnen europäischen Ländern wurde auch über dieaktuelle Praxis in belgischen Adelsdiplomen oder Frauenim schwedischen Seraphimorden gesprochen. Drei Vor-träge kreisten um ein heiß umstrittenes Thema, nämlichdie weibliche Emanzipation und modernes Namensrecht,wo man bislang in Deutschland keine heraldischen Konse-quenzen sehen kann. Demgegenüber hat das kanadischeHeroldsamt ein komplett reformiertes heraldisches Rechteingeführt, worüber der chief herold und seine Stellvertre-terin in zwei glänzenden Vorträgen berichteten, was man-chen Widerspruch herausforderte. Dennoch wird dieZukunft in diese Richtung gehen.

Aus Anlass des Kolloquiums zeigte das Ermitage-Museum eine großartige Ausstellung „HeraldischeBücher in der Ermitage“, begleitet von einem Katalog(hrsg. von Georg Vilinbahov, ISBN 5-93572-182-1), des-gleichen das Russische Historische Staatsarchiv „ThreeAges of Russian Heraldry“ (ISBN 5-93572-183-X) mitprachtvollen und reichen bildlichen und kaligraphischenBeispielen.

Das emblematische Leitmotiv des Kolloquiums war dasBild des Ritters Ulrich von Lichtenstein (Codex Manesse)mit seiner geheimnisvoll provozierenden Helmzier derFrau Venus. Die gesellschaftlichen Veranstaltungen(Exkursionen und Theaterabende) im Ambiente des impe-rialen St. Petersburg seien am Rande erwähnt.

Anfängliche Kommunikationsschwierigkeiten in derVorbereitung der Tagung sind vielleicht der Grund derschwachen Beteiligung aus einigen westlichen Ländern.Insgesamt gebührt den Russen großes Lob für die Durch-führung dieses Kolloquiums, man wird sich im Jahre 2006in St. Andrew (Schottland) wiedersehen.

Düsseldorf Rolf Nagel

Go East! – Heidelberger Stadtarchiv mit Wanderaus-stellung in ChinaAusstellungen sind selbstverständlicher Bestandteil derhistorischen Bildungsarbeit von Archiven. Sie leistendamit einen mittlerweile als normal empfundenen Beitragzum Kulturangebot in unserer Gesellschaft. Archivaus-stellungen auch im Ausland zu zeigen, ist dagegen noch

eher ungewöhnlich. Und geraten dabei gar die chinesi-schen Millionenmetropolen in den Blick, so mag dieseinerseits bemerkenswert erscheinen. Andererseits abermag ein derartiges Engagement des Archivs in mancherHinsicht erklärungsbedürftig anmuten. So informiert dernachfolgende Bericht über Motive, Erfahrungen und Pro-bleme bei der Umsetzung eines aktuellen Ausstellungs-projekts des Heidelberger Stadtarchivs im Reich der Mitte.Zugleich werden die mit einem solchen Engagement ver-bundenen Chancen und Möglichkeiten angedeutet, dievielleicht zu ähnlichen Projekten ermuntern können.

Am Anfang stand das Buch: Bei dem im Jahr 1998 vomStadtarchiv veröffentlichten „Architekturführer Heidel-berg“ handelt es sich um ein Gebäudelexikon, das anhandvon annähernd 300 ausgewählten Beispielen erstmals dieBaugeschichte der Stadt Heidelberg populärwissenschaft-lich vorstellt. Die positive Resonanz auf das Buch und dasgestiegene Interesse der Öffentlichkeit an Architekturthe-men gaben schließlich den Anstoß, den Buchinhalt in ver-änderter medialer Form, eben als Ausstellung, einem nochgrößeren Publikum nahe zu bringen. So wurde eine inhalt-lich wie gestalterisch vom Buch abgeleitete Ausstellungerarbeitet. Dabei sollten die bei der Gestaltung infolgeStandardisierung und Orientierung an den Druckvorla-gen möglichen Kostenvorteile für die Herstellung derjeweils 1,10 x 0,65m großen Ausstellungstafeln konse-quent genutzt werden, was auch gelang. Die Ausstellungwurde – ergänzt um Architekturmodelle und Computersi-mulationen – in den folgenden Jahren in Heidelberg, Hei-delbergs Partnerstadt Bautzen und in Karlsruhe gezeigt.

Mit dem Erfolg dieser Ausstellung keimte die Idee zueinem noch flexibleren Ausstellungskonzept: Modularzusammengestellt, identisch gestaltet, jedoch in der Aus-wahl der abgebildeten Bauwerke und der (Fremd-)Spra-che der Erläuterungstexte ganz auf die individuellenGegebenheiten oder Wünsche des jeweiligen Ausstel-lungsortes bzw. Gastgebers bezogen. Sodann wurde mitder Heidelberger Kongress- und Tourismus GmbH (HKT),einer aus dem ehemaligen Verkehrsverein hervorgegange-nen städtischen Gesellschaft, ein kompetenter Partnergewonnen. Dieser verfügte über starkes Eigeninteresse aneiner internationalen Wanderausstellung im Rahmen desStadtmarketings wie gleichermaßen über die erforderli-chen internationalen Kontakte. Damit konnte das Ausstel-lungsangebot aus Heidelberg unter dem Titel „Architectu-ral highlights in Heidelberg – An exhibition that bringstogether“ mit den Mitgliedern des Heidelberg Club Inter-national kommuniziert werden; einem Club, der Men-schen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur aus allerWelt auf allen nur denkbaren Feldern mit Heidelberg zuvernetzen sucht.

Mitte 2004 wurde via Internet und E-Mail die Ausstel-lungskonzeption verbreitet. Dies beinhaltete drei Ausfüh-rungsbeispiele für die Tafeln und inhaltliche wie organisa-torische Erläuterungen in deutscher wie englischer Spra-che. Die Reaktionen blieben zunächst verhalten, ehe MitteFebruar 2005 eine konkrete und – wie sich rasch zeigensollte – brandeilige Anfrage eintraf. Mit der in China undDeutschland aktiven Firma SinaLingua stellte sich einDienstleister für Sprachtraining und so genanntes inter-kulturelles Management vor. Von der StadtverwaltungShanghai war das Unternehmen mit der Organisation undDurchführung der German Culture Week beauftragt wor-den. Dieser Event ging zurück auf eine Initiative des deut-

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schen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und sollte unterdessen persönlicher Schirmherrschaft vom 1.–14. Mai 2005erstmalig in Shanghai ausgetragen werden. Innerhalb die-ser Zeit, in der traditionell viele Chinesen die zur Steige-rung des Konsums „verordneten“ Urlaubstage zum Shop-ping, Verwandtenbesuchen und ebenso zu touristischenAusflügen nutzen, sollten unterschiedliche Veranstaltun-gen zunächst in der Shanghai Concert Hall und anschlie-ßend im legendären Grand Theatre dargeboten werden.Renommierte Bestandteile des umfangreichen Veranstal-tungsprogramms waren bereits Konzerte der Staatsphil-harmonie Rheinland-Pfalz und der NDR Bigband.

Die Bevölkerung Shanghais wächst jährlich um etwaeine Million Menschen. Der anhaltende Bauboom ist nichtallein an den Wolkenkratzern des binnen nur zehn Jahrenaus dem Boden gestampften Bankenviertels von Pudongfestzumachen; er ist in der Stadt allgegenwärtig. So hatteder Organisator folgerichtig auch eine Architekturausstel-lung ins Programm aufgenommen. Diese sollte das ange-sehene Architektenbüro KSP Engel & Zimmermann, archi-tects, Frankfurt beisteuern; eines von zahlreichen deut-schen Architekturbüros neben etwa Albert Speer & Part-ner, die gegenwärtig in China Bauprojekte von schier exor-bitanten Dimensionen realisieren. Dieser Ausstellung ehermondän anmutender „Architekturtempel“ beabsichtigteSinaLingua das Beispiel einer gewachsenen deutschenStadt gegenüber zu stellen. Heidelberg gehört zu den ganzwenigen Städten in Europa, an denen sich die Entwick-lung der Architektur der letzten 1000 Jahre komplett nach-vollziehen lässt. Heidelberg blieb von den Zerstörungender letzten beiden Weltkriege weitestgehend verschont. Sohaben sich viele Bauwerke von außergewöhnlichem histo-rischen Rang erhalten, findet sich Altes und Neues wieunter einem Brennglas vereint.

Doch so ideal sich das bereits schlüssige Programm derGerman Culture Week zuletzt um die vom Stadtarchivprojektierte Architekturausstellung komplettieren ließ, sofehlten am Ende Finanzmittel. Mehr als logistische Unter-stützung, kostenfreie Übersetzungsleistungen, die Bereit-stellung eines neuen Stellwandsystems vor Ort und dieZusage, die in der Mitte des Events notwendige Verlage-rung der Ausstellung von der Concert Hall ins GrandTheatre mit SinaLinguamitarbeitern durchzuführen, warnicht zu leisten. Die Übersetzung der Ausstellungstexte indie englische Sprache hatte im Vorfeld die HKT zugesagt.Ebenso hatte sich schon im Vorfeld die Fa. Baier Digital-druck zur kostenfreien technischen Herstellung der Aus-stellungstafeln bereit erklärt. So fehlten noch ca. 2.500 C,um die Speditionskosten der Tafeln und die Dienstreise-kosten nach Shanghai (zwei Personen zwecks Ausstel-lungsaufbau) abzudecken. Ausgerechnet zu diesem Zeit-punkt war erstmalig für Heidelberg ein Doppelhaushaltfür 2005/06 in Arbeit, der noch der Zustimmung desGemeinderats wie der Genehmigung des Regierungsprä-sidiums bedurfte. Da nutzte es wenig, dass sich HKTsowie städtische Wirtschaftsförderung und Verwaltungs-spitze angetan von dem Gedanken zeigten, an einem fürHeidelbergs Image in der Welt durchaus bedeutendenEvent mitzuwirken. Glücklicherweise fand sich in dieserSituation in der Gründerin und Direktorin des Heidelber-ger Carl Bosch Museums Gerda Tschira eine begeisterteSponsorin, und die Arbeiten konnten endlich anlaufen.

In nur knapp acht Wochen musste die Ausstellung reali-siert werden. Zunächst wurden die auf den 32 Tafeln abzu-

bildenden Bauwerke ausgewählt, die Einführungstextedaraufhin überarbeitet und die vorhandenen objektbezo-genen Textbausteine der Buchveröffentlichung derartreduziert, dass an ihrer Stelle Platz blieb für zweisprachigeenglisch/chinesische Texte. Während die Übersetzerinnenunter Hochdruck die Arbeit aufnahmen, wurde ein Groß-teil der archivtypisch überwiegenden Schwarzweißabbil-dungen durch neue Farbaufnahmen ersetzt. Mit Blick aufdie Wiedergabegröße dieser Abbildungen auf den Tafelnund vor allem, um mit den imposanten State-of-the-Art-Aufnahmen der KSP-Ausstellung mithalten zu können,waren an diese Neuaufnahmen besondere Anforderungenzu stellen. Mit der Software Corel Draw wurden die Abbil-dungen, die englischen und sodann die chinesischen Texteeingepflegt. Letztere bereiteten gravierende Probleme undhinterließen wiederholt massive Zweifel an so genanntenMicrosoft-Standards. In vielen Fällen konnte der genervteBearbeiter auftretenden Problemen nur mehr begegnen,indem die größeren zusammenhängenden chinesischenTextblöcke erst digitalisiert und dann auf die jeweiligeSeite montiert wurden. Damit nicht genug stellten sicherneut diese Probleme ein, als die fertig aufbereitetenDateien auf Tafelgröße ausgedruckt werden sollten. MitHinweis darauf, dass der Ausdruck einer einzigen Tafel-seite im Maß von 1,10 x 0,65 m bisweilen über eine Zeit-stunde erforderte, sei hier angedeutet, wie viel außerplan-mäßigen Zeitaufwand die technische Ausstellungsaufbe-reitung bei den Bearbeitern wie bei unseren (für dasArchiv) kostenfrei tätigen Digitaldruckern verschlungenhat ...

Was eigentlich als Low-Budget-Produktion begonnenhatte, entwickelte sich in der Umsetzung bei allen Beteilig-ten in zunehmend professionelleren Bahnen. Will sagen:mit jeder weiteren investierten Stunde Zeitaufwandwuchs zugleich der eigene Anspruch! Angesichts des nundoch recht großen Aufwands stellte sich mit kritischeremBlick auf ein „nur“ 14-tägiges Gastspiel als „Beipro-gramm“ zu den Bühnenaufführungen in der ShanghaiConcert Hall und im Grand Theatre in Shanghai zuneh-mend die Frage der Verhältnismäßigkeit. Damit war raschdie Idee geboren, die teils bereits bestehenden Kontakte zuchinesischen Archiven/KollegInnen für weitere „Ausstel-lungsgastspiele“ zu nutzen. Zumal ein Rücktransportnach Deutschland und die weitere Präsentation aus-schließlich in englischer und chinesischer Sprache betexte-ter Tafeln nicht nur aus Kostengründen obsolet erschien.Da die Ausstellung und ebenso das davon abgeleitete alleTafeln beinhaltende Booklet noch im Werden waren, wareine rasche Zusage chinesischer Archive, die Ausstellungunmittelbar im Anschluss an die German Culture Week zuübernehmen, eher unrealistisch. Immerhin ließen sich imVorfeld Besuchstermine abstimmen, um die Frage vor Ortmit den KollegInnen zu besprechen.

Parallel dazu liefen die Bemühungen, die Ausstellungs-tafeln mit einem mehr oder minder multifunktionalemAufhängungssystem für unterschiedlichste räumlicheVoraussetzungen auszustatten. Die Ausstellung wieder-holt auf- und abzubauen, das setzte zudem eine „publi-kumsresistente Vergütung“ der Ausstellungstafelnvoraus. Darum wurden die Hartschaumtafeln mit einernicht sicht-, aber abwaschbaren Folie überzogen und mitmassiven Metallprofilen gerahmt. Massiv sollte auch dieVersandkiste ausgeführt sein, für die zur Einfuhr nachChina ein so genanntes „Begasungszertifikat“ vorliegen

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musste. Weitere Erläuterungen dazu wie zu den Zoll- undVersicherungsformalitäten sollen dem Leser hier erspartbleiben mit dem Hinweis, dass die sorgfältige Auswahleiner nicht allein preiswerten international erfahrenenSpedition als arbeitsökonomisch wie nervenschonendnachdrücklich empfohlen werden kann.

Knapp zwei Tage vor Eröffnung der German CultureWeek traf ein von seinen Sponsoren begleitetes Heidelber-ger Archivteam in Shanghai ein. Bald darauf erreichte dievor Ort herrschende feucht-schwüle Witterung ihren abso-luten Höhepunkt in den Untergeschossen der ConcertHall. Aber nachdem die Ausstellungskiste nach mehrerenvergeblichen Anläufen in einem unscheinbar wirkendenNebenraum entdeckt wurde, machte sich Erleichterungbreit. Die als Planungsgrundlage in Deutschland zur Ver-fügung gestellten Pläne der Ausstellungsräume decktensich mit der Realität. Das Stellwandsystem stand bereitund entsprach den Erwartungen. So konnte der Ausstel-lungsaufbau zügig erledigt werden. Tags darauf erlebtedie German Culture Week ihre feierliche Eröffnung durchVertreter der Verwaltungsspitze der Stadt Shanghai undden deutschen Generalkonsul. Publikumsresonanz undMedienecho (auch der deutsch-französische KulturkanalArte berichtete) auf die 14-tägige Kulturwoche erfülltendie Erwartungen des Gastgebers derart, dass dieser nochwährend des laufenden Events dessen Fortsetzung in 2006und 2007 beschloss.

In der Folge versucht das Heidelberger Stadtarchiv,seine Kontakte zu den chinesischen KollegInnen weiter zuvertiefen. Dabei geht das Interesse an einem stärkerenAustausch selbstredend über das Nahziel der Vorberei-tung einer Übernahme und Präsentation unserer aktuellenAusstellung durch weitere chinesische Archive hinaus.

Denn beide Seiten können dabei nur gewinnen. Auchwenn nicht jeder überraschende Denkanstoß – wie etwader vom Stadtarchiv Shanghai seinen BesucherInnengebotene Fitnessraum ... – ohne weiteres auf hiesige Ver-hältnisse übertragbar erscheinen mag. Direkter Kontaktvia E-Mail oder über Chat-Medien wie z. B. msn.messen-ger ist ebenso unproblematisch umzusetzen, wie eine gele-gentliche Privatreise ggf. mit einem Vortrag bei ausländi-schen FachkollegInnen zu verbinden. Speziell die chinesi-sche Mentalität erschließt sich uns erst nach und nach.Aber sind gewisse Kontakte erst einmal geknüpft undgewinnen eine gewisse Tradition, so ergeben sich in derPraxis öfter vielleicht, als zunächst erwartet, konkreteAnknüpfungspunkte, Möglichkeiten zu gegenseitigerHilfe ... Das Heidelberger Stadtarchiv zumindest ist zuver-sichtlich, seine aktuelle Ausstellung in den nächstenMonaten noch in Beijing, Hangzhou und Shanghai zeigenzu können. Dabei haben wir uns erfolgreich über das Bun-deskanzleramt und das Auswärtige Amt um die Unter-stützung durch die Deutsche Botschaft in Beijing bemüht.– Und unser Interesse besteht durchaus auch darin, 2006möglicherweise erneut einen Beitrag zur German CultureWeek in Shanghai zu leisten. Solche Aktivitäten machenetwa gegenüber Ausstellungen „vor heimischer Kulisse“zudem Sinn, indem das Archiv damit zugleich stärkerdenn je als Repräsentant seines Archivträgers hervortrittund die „internationale Karte“ zusätzlich verwaltungsin-tern eine überraschende Aufwertung des Archivs leistenkann. Das wiederum kann manche Synergieeffekte auslö-sen, die das Standing des Archivs und die Arbeitssituationder ArchivarInnen verbessern helfen.

Heidelberg Peter Blum

Literaturbericht

Archive und Gesellschaft – 50 Jahre SächsischesStaatsarchiv Leipzig. Beiträge zum Festakt, zurarchivischen und genealogischen Fachtagung. Hrsg.vom Sächsischen Staatsministerium des Innern. Dres-den 2004. 144 S., Paperback. 13,– C.

Im März 2004 feierte das Staatsarchiv Leipzig seinen 50. Geburts-tag und verband dies mit zwei Fachtagungen, der Jahrestagungder Fachgruppe 1 im VdA und einer Genealogischen Fachtagung.Bekanntlich ist die Deutsche Zentralstelle für Genealogie alsAbteilung in das Staatsarchiv Leipzig integriert. Die dankenswer-terweise noch im gleichen Jahr vorgelegte Dokumentationumfasst die Grußworte und die Fachbeiträge zu den drei Veran-staltungen. Einige der gedruckten Beiträge sind von bleibendemWert. Ingrid Grohmanns Überblick über das halbe Jahrhundertdes von ihr geleiteten Archivs ist die fundierte Darstellung einerErfolgsgeschichte, denn anders kann man weder das Wachstumder Bestände und der Benutzer noch den Weg vom ruinösenReichsgerichtsgebäude (mit Deckeneinbruch im Magazin 1956)bis zum Umzug in ein modernes Archivgebäude in Paunsdorfbezeichnen. Christoph Graf, Präsident des SchweizerischenBundesarchivs, rekapituliert die Funktion seines Hauses in denjüngsten Diskussionen über die Rolle der Schweiz während desZweiten Weltkriegs. Liest man seinen Beitrag, so gewinnt manden Eindruck, dass wegen der seit 1945 verstrichenen Zeit die

Debatte umso heftiger war. Aufmerksamkeit dürfte einer seinervier abschließenden Thesen finden, dass „die Aufgabe derArchive über ihren eigentlichen Kernbereich – die Archivierung –hinaus zu erweitern“ sei und sie „noch stärker als bisher“ annationalen Geschichtsdebatten teilnehmen sollten. Graf plädiertfür ein Selbstverständnis von Archiven als historisches Kompe-tenzzentrum durch Mitwirkung an Auswertungsarbeiten und füreine Sensibilisierung der Handlungsträger in Politik, Wirtschaftund Verwaltung für die historischen Dimensionen ihres Tuns(S. 52). Unter der Überschrift „Historische Quellen und sozialeVerpflichtung“ rekapituliert Klaus Oldenhage die Arbeit derdeutschen Archive bei der Aufarbeitung der deutschen Diktatu-ren im 20. Jahrhundert. Alfons Kenkmann bewertet alsGeschichtsdidaktiker die Archive als Lernorte für Schule undUniversitäten. Gerald Kolditz geht von der archivischen Seiteaus und beschreibt die Archive als Dienstleister für Bürger, For-scher und Verwaltung. Er sieht ihre Bedeutung in der Öffentlich-keit zur Zeit eher unterbewertet und fragt: Was wäre GuidoKnopp ohne Filmarchive? Die Beiträge der Genealogischen Fach-tagung schildern die Methodenfragen, erörtern quellenkundlicheAspekte (Erbteilbücher des 16. Jahrhunderts aus Annaberg alsQuelle) und resümieren die Geschichte des genealogischen Ver-eins Roland (Dresden) in der NS-Zeit.

Düsseldorf Wilfried Reininghaus

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Archivpflege in Westfalen-Lippe. Im Auftrage desLandschaftsverbandes Westfalen-Lippe hrsg. vomWestfälischen Archivamt, Münster. Nr. 58, April 2003,64 S.; Nr. 59, Oktober 2003, 48 S.; Nr. 60, April 2004, 44 S.;Nr. 61, Oktober 2004, 56 S. geh.

Heft 58 ist dem 12. Deutsch-Niederländischen Archivsymposiongewidmet, das das Generalthema „Archive – offen für jeder-mann“ behandelte. Die Rechtslage in den Niederlanden und inDeutschland stellen – auch unter Einbeziehung der neuen sog.Informationsfreiheitsgesetze – Charles G. M. Norrdam und Rai-ner Polley vor, wobei letzterer herausarbeitet, wie uneinheitlichletztlich die Praxis in einem förderalstrukturierten Land ist, sodass sich Rechtsunsicherheiten nicht vermeiden lassen. Die allge-meinen Ausführungen werden ergänzt durch Beiträge aus derPraxis eines Landes- (Landesarchiv Berlin – Michael Klein), einesPrivat- (Internationales Institut für Sozialgeschichte Amsterdam –Jaap Kloosterman) und eines Wirtschaftsarchivs (Thyssen-Krupp Konzernarchiv – Astrid Dörnemann). – „Der Archivar als,Schiedsmann‘“ hat Francien van Anrooij ihren Bericht über dieBenutzung des Bestandes „Zentralarchiv Besondere Rechts-pflege“ im Nationalarchiv Den Haag, der etwa 4,5 km Strafaktenvon politischen Delinquenten umfasst, überschrieben. Problema-tisch ist nicht so sehr die Einsichtnahme in die Akten durch Histo-riker – sie müssen sich an bestimmte Auflagen halten –, sondernvielmehr die durch Familienangehörige. Sie entdecken oft grau-same Vorgänge, für die der Vater verantwortlich war und diedaher nicht so leicht zu verarbeiten sind. Der Betreuungsaufwandist bei dieser Benutzergruppe sehr hoch, denn solche Besucherkönnen nicht einfach in den Lesesaal platziert und mit den Aktenund den Gefühlen allein gelassen werden. – Das Spezialproblemder als „geheim“ deklarierten Akten, die damit einer verlängertenSperrfrist unterliegen, schildern aus der Sicht der Forschung CeesWiebes und Gustav Schmidt. Schmidt beklagt die sich darausim Einzelfall ergebende, groteske Situation, dass er zwar multina-tionale Vorgänge aus amerikanischen und britischen Aktenrekonstruieren, aber die interne Diskussion auf deutscher Seitenicht ermitteln kann, da diese Akten wegen der Geheimhaltungnoch gesperrt sind. Er fordert daher eine liberalere Praxis, ange-lehnt an anglo-amerikanische Vorbilder. Dass die Klassifizierungals „geheim“ stark übertrieben wird, bestätigt Wiebes aus nieder-ländischer Sicht. Er gehörte zu einem Team, das im Auftrage derRegierung die Vorgänge in Srebrenica aufklären sollte und dasdaher freien Zugang zu allen Unterlagen, einschließlich denendes Geheimdienstes, hatte. Noch mehr hat ihn aber die Erfahrungbeunruhigt, dass viele Akten nicht mehr aufzufinden waren bzw.nach kurzer Zeit eigenmächtig von den Militärs vernichtet wor-den waren. – Am Schluss der Tagung standen zwei Vorträge, wiesie unterschiedlicher nicht sein können. Während Matthias Kor-des über das Eingebundensein des Stadtarchivs in der Reckling-häuser Öffentlichkeit referiert, philosophiert Bert Looper (Histo-risch Centrum Overijssel in Zwolle), ausgehend von den ThesenJeremy Rifkins, über die Rolle der Archive in der Informationsge-sellschaft des 21. Jahrhunderts. Sie müssen – so Looper – denBedürfnissen der Erlebniswirtschaft entsprechen und den Bedarfder neuen Generationen an kultureller Verschiedenheit decken. –Mit einer eingehenden Information über das „MoM-Projekt“, beidem eine Datenbank mit sämtlichen Texten/Regesten der nieder-österreichischen und wienerischen Klosterurkunden aufgebautwerden soll, und einem Erfahrungsbericht über die Neuverzeich-nung des Bestandes „Altes Bergamt Siegen“ schließt Heft 58.

Heft 59 vereinigt Referate des 55. Westfälischen Archivtags inWarendorf, dessen Generalthema „Öffentliche Verwaltung imUmbruch – Archive zwischen Defensive und Offensive“ lautete.Nach dem Eingangsvortrag von Raimund Bartella (DeutscherStädtetag) über das ausgezeichnete Positionspapier der Bundes-konferenz der Kommunalarchive (BKK) berichtet WilhelmGrabe über die Geschichte und die Arbeit der westfälischenKreisarchive. Wenngleich die historische Forschung nicht ver-nachlässigt wird, so haben sie doch mit dem Problem zu kämpfen,dass sich eine Kreisidentität vielfach nicht herausgebildet hat. Indieser Beziehung ist die Tätigkeit eines Stadtarchivars einfacher,wie Ludwig Burwitz am Beispiel Siegens deutlich macht. The-

menbezogene Dokumentationen im Internet als neue Form derhistorischen Bildungsarbeit stellt Franz-Josef Jakobi vor.Anhand von Münsteraner Projekten zeigt er, wie sich Archive soals „bürgernahe Dienstleistungsinstitutionen“ profilieren kön-nen. Eine Podiumsdiskussion behandelte die Frage, ob sichArchive auf dem Konkurrenzfeld der lokalen Veranstaltungskul-tur tummeln sollten. Obwohl die Teilnehmer – Rikarde Riedesel(Bad Berleburg), Rico Quaschny (Bad Oeynhausen), FranzMeyer (Bad Salzuflen) und Norbert Wex (Soest) – die Notwen-digkeit archivischer Öffentlichkeitsarbeit bejahten – und in ihrenStatements belegen sie die durchaus beachtlichen Aktivitäten –,betonten sie zugleich, dass man sich auf archivspezifische Ange-bote beschränken sollte. Zu Recht wies Wex darauf hin: „Wirhaben es mit einem verwöhnten Publikum zu tun, das gewohntist, von Veranstaltungs- und Präsentationsprofis bedient zu wer-den. Warum sollten wir – um noch einmal taktisch zu argumentie-ren – die Leistungsfähigkeit unserer Einrichtungen gerade aufdiesen Feldern nachweisen? Ich denke, die Ergebnisse könnteneher kontraproduktiv sein.“ Sein Fazit: „Wir müssen anderes tun –und wir können anderes besser. ... Wir sind vorrangig keine Veran-stalter. Auch aus instrumenteller Perspektive gilt: Besser ein erst-klassiges Kompetenzcenter für (Stadt-)Geschichte als ein mittel-mäßiger Veranstalter.“ – Am Schluss der Berichterstattung steheneine Vorstellung des Unternehmens Facts & Files, dessen Spek-trum von Archivrecherchen über historische Gutachten bis zurOrdnung und Verzeichnung von Archiven reicht, und ein Erfah-rungsbericht über das „Outsourcing von archivtechnischen Auf-gaben“, nämlich über das Restaurieren von Archivalien durch diePapierservice Britanniahütte gemeinnützige GmbH.

Heft 60 ist ein Sammelband mit Beiträgen zu ganz unterschied-lichen Themen. Am 22. November 2003 wurde das neue Stadtar-chiv Münster in der „Speicherstadt Nord“, das Anja Gussek-Revermann und Christa Wilbrand vorstellen, der Öffentlich-keit übergeben. In seinem Grußwort zur Eröffnung nahm NorbertReimann den Prüfbericht des Sächsischen Landesrechnungsho-fes, der gefordert hatte, die Akten zu digitalisieren und die Origi-nale dann zu vernichten, zum Anlass, um nochmals die Bedeu-tung der Archivbestände als Kulturgut zu betonen: „Nur mitHilfe von Archivgut sind wir in der Lage, unsere politische,gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung vom Beginn derSchriftlichkeit bis heute detailliert und umfassend nachzuvollzie-hen.“ Man kann nicht oft genug wiederholen, dass Investitionenim Archivwesen „unschätzbar viel für die Erhaltung unseres kul-turellen Erbes, für die Festigung der Identität der Bürger mitihrem Gemeinwesen, für die Sicherung der Transparenz undNachvollziehbarkeit von politischen und administrativen Ent-scheidungen, wie auch für die historisch-politische Bildungsar-beit“ bewirken. – Wenngleich große Unterschiede in Form undInhalt für Nachlässe kennzeichnend sind, so dass ein „flexiblesStrukturprinzip“ (Eberhard Illner) für die Verzeichnung nahelie-gend ist, plädiert Hans-Jürgen Höötmann für eine standardi-sierte Form von Klassifikation. Er schlägt vor, Nachlässe in fünfHauptgliederungspunkte – biographische Unterlagen, beruflicheTätigkeit, Korrespondenz, Sammlungen des Nachlassers, prove-nienzfremde Dokumentationen – zu unterteilen, wobei nicht jedeHauptgruppe besetzt sein muss und zur weiteren Feingliederungweitere Untergruppen erforderlich sein können. Das standardi-sierte Klassifikationsschema erleichtere einerseits die Erschlie-ßungsarbeiten und erlaube andererseits den Benutzern „eineschnelle und eindeutige Orientierung“. – Im Wintersemester2002/2003 bot Detlef Briesen ein Seminar an, bei dem die Stu-dentinnen und Studenten die Forschungstätigkeit im Archiv unddas Berufsfeld der Archivarin/des Archivars kennen lernen soll-ten. Nach einer theoretischen Einführung standen Besuche desBundesarchivs Koblenz, des Westfälischen Archivamtes in Müns-ter und des Kreisarchivs Siegen auf dem Programm. DenAbschluss bildete ein viertägiges Blockpraktikum im StadtarchivGarbsen, bei dem anhand von Akten des Bauamtes die einzelnenArbeitschritte bei der Erschließung von Archivalien vermitteltwurden. Das Seminar war ein erster Versuch, und die Erfahrungs-berichte des Hochschullehrers, der Studierenden und der Stadtar-chivarin zeigen, dass sich noch einiges verbessern lässt. Im Mittel-punkt der Lehrveranstaltung stand die praktische Archivarbeit,

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die aber bei den Studierenden weniger Anklang fand. Sie hättenlieber mehr Einblicke in die Informationsbeschaffung und in dieForschungsmöglichkeiten erhalten, denn für sie stellt sich die –für einen Archivar wohl geordnete – deutsche Archivlandschaftals „Archivdschungel“ dar. Ein Indiz dafür, dass Archive nochviel Aufklärungsarbeit an den Universitäten zu leisten haben. –Andreas Neuwöhner befasst sich mit dem KZ Niederhagen, dasim unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ausbau der SS-Kult-stätte Wewelsburg stand. Bis zu seiner Auflösung im April 1943waren hier etwa 3900 Personen inhaftiert, von denen nachweis-lich 1285 umkamen. Das Kreismuseum Wewelsburg ist seit eini-ger Zeit bemüht, einerseits die Häftlinge in einer Datenbanknamentlich zu erfassen, andererseits mehr über die Geschichtedes Lagers und seiner Insassen zu erfahren. Wie mühselig dieRecherche ist, welche Quellen(gruppen) aber möglicherweiseInformationen enthalten, dies schildert Neuwöhner eingehend.Sein Bericht ist zugleich ein Aufruf, das Projekt zu unterstützenund dem Kreismuseum alle Hinweise auf das KZ zu übermitteln.– Stefan Sudmann informiert über das Schwul-lesbische ArchivMünster, das in institutioneller Form seit 2001 existiert. Es über-nimmt und erschließt die Unterlagen der Schwulen- und Lesben-bewegung der Region mit dem besonderen Schwerpunkt Müns-ter, das nicht nur eine bunte und vielfältige „Szene“ aufweist, son-dern auch für sich in Anspruch nimmt, „Wiege“ der deutschenBewegung zu sein. Am 29. April 1972 fand hier die erste Homose-xuellendemonstration in der Bundesrepublik statt. Das Archiv,das Dokumente seit den 1970er Jahren besitzt – u. a. das umfang-reiche Material des Schwulenreferats der Universität Münster –,ist bestrebt, seine Bestände zu erweitern, und hofft auf die Unter-stützung der lokalen Gruppen.

Im Heft 61 steht der 56. Westfälischen Archivtag in Brakel mitseinem Generalthema „Verwahren, Erhalten, Nutzbarmachen“im Mittelpunkt. Nach dem sehr interessanten Eröffnungsvortragvon Barbara Strambolis über das Hochstift Paderborn alsGeschichts- und Gedächtnislandschaft – „Des Krummstabs lan-ger Schatten“ – behandelten Janbernd Oebbecke und ChristianNienkemper die Unterschiede im Benutzungsrecht, wie sie sichaus dem Archivgesetz und dem Informationsfreiheitsgesetz erge-ben. Sofern letzteres einen Anspruch auf Einsichtnahme nichtausschließt, müssen die Archive nach ihrer Auffassung denZugang zum Archivgut auch in den Fällen gewähren, in denen ernach dem Archivgesetz zu versagen wäre, z. B. weil die Sperrfristnoch nicht abgelaufen ist. Allgemein konstatieren die Autoren:„Das allgemeine Informationszugangsrecht schiebt sich zu Lastender traditionellen Regelung der Archivbenutzung deutlich in denVordergrund.“ Zu dem gleichen Ergebnis gelangt auch AlexanderDix, Landesbeauftragter für den Datenschutz und für das Rechtauf Akteneinsicht in Brandenburg. Sein Anliegen ist es aber, nichtso sehr die Unterschiede zu betonen als vielmehr die gemeinsa-men Ziele von Archivrecht und Informationszugangsrecht her-vorzukehren. „Beide sichern den voraussetzungslosen Zugang zuInformationen der öffentlichen Verwaltung in unterschiedlichenPhasen und in unterschiedlichem Umfang.“ Daher sollten sichArchivare und Informationszugangsbeauftragte als „Bündnis-partner“ verstehen und gemeinsam alle Anstrengungen aufwen-den „für die Sicherstellung der durchgängigen Dokumentationaller wesentlichen Entscheidungsprozesse in der Verwaltung undfür die Bereitstellung von allgemein zugänglichen Metadaten(verständlichen Aktenplänen und Behördenwegweisern)“. –Ausgehend von der Frage, was einen Gemeindevorsteher in Zei-ten leerer Kassen bewegen sollte, Geld für das Archiv auszuge-ben, beschreibt Manfred Müller, Bürgermeister der Stadt Lichte-nau, den Nutzeffekt dieser Investitionen. Aus seiner Sicht fördertdie Beschäftigung mit Ortsgeschichte das Denken über den Taghinaus. Sie vermittelt Erkenntnisse, relativiert die Probleme derGegenwart und gibt Impulse für die Zukunft. Kurz: „Der Blickzurück ist ein Blick nach vorn.“ Die Ausgaben für das Archiv sindlohnende Ausgaben, weil die Archive dem allgemeinen Wohl die-nen. Mögen viele Verantwortliche diese Ausführungen nicht nurzur Kenntnis nehmen, sondern auch beherzigen. – Um die Akzep-tanz des Archivs beim Archivträger zu erhöhen, bedarf es der„verwaltungsinternen Öffentlichkeitsarbeit“, mit der sich eineArbeitsgruppe auf dem Archivtag befasst hat. Über die Ergeb-

nisse berichtet Hans-Jürgen Höötmann, wobei er besondersdarauf aufmerksam macht, dass die Möglichkeiten, die das Intra-net bietet, kaum genutzt werden. Dass der Bekanntheitsgrad derArchivtätigkeit innerhalb der Verwaltung nicht allzu hoch einge-schätzt werden darf, bestätigt Claudia Becker am Beispiel Lipp-stadts. Weitere Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse hier ebenfallsabgedruckt sind, behandelten die Themen „Kooperation mitSchulen“, „Stadtmarketing und Archive“ und „Sammlungstätig-keiten von Archiven“. – Die zweite gemeinsame Arbeitssitzungbegann mit einem Vortrag von Lutz Gollan (Städte- undGemeindebuch NRW) über das „Gemeinschaftsprojekt eGovern-ment NRW“, an dem sich zwölf Kommunen zusammen mitMicrosoft Deutschland und der Bertelsmannstiftung beteiligthaben und bei dem zunächst Verfahren für die Bereiche Bauge-nehmigung/Bauvoranfragen, Bauleitplanung, Melderegisteraus-kunft, Personenstandsurkunden-Beantragung und Müllgefäßän-derungen entwickelt worden sind. Gollan schildert die Vorteiledes gemeinsamen Vorgehens (u. a. Kostenersparnisse), ver-schweigt aber nicht die aufgetretenen Schwierigkeiten (u. a. recht-liche Hindernisse; Personenabhängigkeit in der Projektphase).Der „elektronischen Signatur und Verschlüsselung in der Verwal-tung“ widmet sich Gudrun Klee-Kruse. Sie beschreibt diegesetzlichen Grundlagen, die Verfahren des Signierens und dieProbleme bei der Langzeitarchivierung. – Das Heft endet miteinem Erfahrungsbericht über den Einsatz der von Norbert Rei-mann herausgegebenen „Praktischen Archivkunde“ im Berufs-schulunterricht, der natürlich positiv ausfällt, und mit der Stel-lungnahme von Jutta Katernberg, Referentin bei der Landesbe-auftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW, zurFrage, ob es rechtlich erlaubt sei, Kommunalarchive zu privatisie-ren. Ihr Urteil ist eindeutig. Durch die Übernahme, Erschließungund Nutzbarmachung von personenbezogenen Unterlagen wer-den die Archive hoheitlich tätig, da die Erfüllung dieser genann-ten Aufgaben mit Eingriffen in das Grundrecht auf informatio-nelle Selbstbestimmung verbunden ist. „Da das ArchivgesetzNRW eine Übertragung dieser hoheitlichen Aufgaben und Ein-griffsbefugnisse der kommunalen Archivverwaltungen auf einejuristische Person des Privatrechts nicht vorsieht, sich eine ent-sprechende Rechtsgrundlage auch nicht in anderen Vorschriftenfindet und die fehlende gesetzliche Regelung nicht durch einenUnternehmensvertrag ersetzt werden kann, scheidet – jedenfallsaus Gründen des Datenschutzes – eine Überführung kommunalerArchive in juristische Personen des Privatrechtes in Nordrhein-Westfalen aus.“ Diese Argumentation wird sicherlich allen Kolle-ginnen und Kollegen sehr hilfreich sein, wenn es wieder einmalgilt, die Überführung des Archivs in eine KulturGmbH abzuweh-ren.

Fazit: Auch nach der Änderung des Titels gehört die Zeitschriftdes Westfälischen Archivamtes zu den wichtigsten archivfachli-chen Periodika in Deutschland. Sie zeichnet sich durch die Quali-tät der Beiträge und durch das breite Themenspektrum aus, beidem alle Bereiche der Archivarbeit – von der Erschließung überdie historische Bildungsarbeit bis hin zu archivrechtlichen Erörte-rungen – Berücksichtigung finden. Archivpflege in Westfalen-Lippe darf daher weit über den regionalen Raum Interesse bean-spruchen.

Essen Klaus Wisotzky

Die Bestände des Landesarchivs Nordrhein-West-falen Staatsarchiv Münster. Erweiterte Neubear-beitung. 4. Auflage. Münster 2004. 839 S., brosch. 15,– C.(Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des LandesNordrhein-Westfalen, Reihe B: Archivführer und Kurz-übersichten, H. 1.)

Unmittelbar nach Abschluss der Neuorganisation der staatlichenArchive in Nordrhein-Westfalen legt das Staatsarchiv Münstereine neue, voluminöse Übersicht seiner Bestände vor. Die 4. Auf-lage dieses Wegweisers zu den insgesamt etwa 1000 Einzelbestän-den des Archivs ist gegenüber ihrer Vorgängerin aus dem Jahr1990 beinahe auf den doppelten Umfang angewachsen. Damitliegt nach langer Zeit wieder eine aktuelle und besonders für den„schnellen Zugriff“ geeignete Orientierungshilfe vor, die den

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Archivbesucher in die Tektonik des Hauses einführt und wichtigeVorentscheidungen für die Recherche ermöglicht.

Viele neue Bestände sind in den letzten 15 Jahren in das Staats-archiv Münster gelangt und werden hier erstmals in integrierterForm dokumentiert. So ist inzwischen auch die Überlieferung derStaatlichen Umweltämter, mehrerer Landesbetriebe des LandesNRW oder der zahlreichen im Sauer- und Siegerland gelegenenForstämter in das zuständige Archiv gelangt. Ebenfalls ausgewie-sen sind die neueren Aktenzugänge bereits existierenderBestandsbildner. Ein erheblicher Teil der Umfangserweiterung istindessen nicht nur auf die Hinzufügung von Inhalten zurückzu-führen, sondern auch auf die Entscheidung der Redaktion, diesePublikation in einem übersichtlichen und lesefreundlichen Lay-out zu präsentieren.

Alles in allem ist es mehr als gerechtfertigt, von einer „Neube-arbeitung“ der Kurzübersicht zu sprechen. Neben den genanntenAktualisierungen besteht der entscheidende Gewinn dieser Neu-ausgabe darin, dass sich die Bearbeiter entschlossen haben, dieBeschreibung der Behördenüberlieferung nach 1816 in sehr vielumfassenderer Weise in die Beständeübersicht zu übertragen alsbisher. In der Regel wird die Gliederung der Findbücher (ein-schließlich der Angabe der auf jeder Klassifikationsebene vorhan-denen Anzahl der Akten) vollständig aufgeführt. Die jedemBestandseintrag vorangestellte kurze Charakterisierung der ein-zelnen Behörden blieb zwar in den meisten Fällen unverändert,jedoch konnten hier und da nachgeordnete Provenienzen genauerals solche gekennzeichnet und erschlossen werden.

Wie schon die Vorgängerauflage, deren Grundstruktur undinhaltliche Vorgaben im Wesentlichen beibehalten wurden, hältauch die neue Übersicht zahlreiche nützliche Zusatzinformatio-nen bereit – etwa zu Ergänzungsüberlieferungen oder Kriegsver-lusten. Außerdem haben die Bearbeiter ihrer Kurzübersicht wei-terführende Literaturhinweise beigegeben, die sich unmittelbarauf die fraglichen Bestände beziehen. Diese Literaturangabenbefinden sich durchgehend auf dem neuesten Stand und genügenin der Regel, um den Lesern einen fundierten ersten Einblick inden historischen Kontext oder die Genese der einzelnen Behördeoder Institution zu vermitteln. Der frühere Namenindex wurdedurch übersichtliche Orts- und Personenindices ersetzt, auf einenzusätzlichen Sachindex wurde ganz verzichtet. Die Autorenhaben ihrer Beständebeschreibung zudem einen sehr nützlichenLeitfaden vorangestellt, der auf anschauliche Weise und in allerKürze das „Funktionsprinzip“ eines Staatsarchivs erklären undden für den Erstbenutzer sicher kaum durchschaubaren Weg zurgesuchten Akte oder Urkunde nachvollziehbar machen soll. Die-ser Leitfaden, dem auch ein Abdruck der einschlägigen Gesetzeund Verordnungen beigegeben ist, dürfte zusätzlich dazu beitra-gen, die Funktionsweise und die Arbeit der „Behörde Staatsar-chiv“ über den Kreis der regelmäßigen Archivbenutzer hinaustransparenter zu machen.

Wo ist Kritik angebracht? Nach wie vor können Strukturierungund Beschreibung des nichtstaatlichen Archivgutes in Münsternicht restlos überzeugen. Diese „Abteilung“ wird im Rahmen derBeständeübersicht in folgende Gruppen gegliedert: PolitischeParteien (überwiegend NSDAP) – Verbände und Vereine –Gewerbebetriebe und adelige Häuser – Nachlässe und Sammlun-gen. Auch wenn diese Einteilung aus fachlicher Sicht schlüssigwirken mag: Den nicht mit archivischem Denken vertrautenBenutzer dürfte es eher irritieren, wenn beispielsweise ein Sam-melbestand der Brau und Brunnen AG nicht den Gewerbebetrie-ben, sondern den Nachlässen und Sammlungen zugeordnet wird.Gute Aussichten, mit dem eigenen Nachlass selbst zum Bestands-bildner zu werden, scheint man vor allem als Archivar des Staats-archivs zu haben. Insgesamt zwölf Archivarsnachlässe mit „Auf-zeichnungen zur westfälischen Geschichte“ und zehn weitereNachlässe von westfälischen Heimatforschern und Landeshisto-rikern finden sich unter den Beständen des Hauses. Die Akquisi-tion der Nachlässe macht bisher überhaupt einen sehr behörden-lastigen Eindruck. Diese Ausrichtung lässt sich zwar mit demHinweis auf Geschichte und Funktion der „Verwaltungszentra-len“ Münster und Arnsberg erklären und begründen. Geht esjedoch um die Abbildung von Entscheidungsstrukturen undgesellschaftlichen Veränderungen in den beiden Regierungsbe-

zirken, zu denen immerhin der größte Teil des Ruhrgebietesgehört, wird man die vorliegende Sammlung privater und halb-öffentlicher Überlieferung nicht unbedingt als repräsentativ emp-finden.

Die Erarbeitung und Publikation der 4. Auflage wirft zwangs-läufig auch die Frage nach den Unterschieden zwischen dergedruckten und der seit einigen Jahren verfügbaren Online-Aus-gabe der Beständeübersicht auf. Zweifellos hat sich die im Inter-net bereitgestellte Datenbank der nordrhein-westfälischenArchivbestände für die gezielte Einzelrecherche als probates „flä-chendeckendes“ Findmittel bewährt. Einen höheren Grad anAktualität darf man bei ihrer Benutzung allerdings nicht in jedemFall erwarten. Ein Vergleich zwischen der Recherchemöglichkeit,die das Landesarchiv im Internet anbietet, und dem einfachen„Nachschlagen“ in der Kurzübersicht fällt – zumindest im Jahrder Neuauflage – eindeutig zugunsten der letzteren aus: Dieonline verfügbaren Daten werden offenbar nur in größerenAbständen aktualisiert und sind wesentlich knapper gefasst alsdie detaillierten Informationsblöcke der gedruckten Version. Beifünf zufällig gewählten „Testläufen“ zeigten die Suchergebnissein vier Fällen gravierende Abweichungen (Fehlanzeigen bzw.nicht enthaltene Einzelbestände in der Online-Ausgabe) undlediglich in einem Fall weitgehende Übereinstimmung zwischender gedruckten und der digitalen Beständeübersicht.

Insgesamt lässt sich auch am Beispiel dieser vorbildlichenÜbersicht die in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewach-sene „Kundenorientierung“ der (staatlichen) Archivpolitik able-sen. Die Anliegen der Benutzerinnen und Benutzer genießenheute einen hohen Stellenwert, dem die Archive mit entsprechen-dem technischen und organisatorischen Aufwand gerecht zuwerden versuchen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern desStaatsarchivs Münster ist es mit diesem Beständeverzeichnisgelungen, den hohen Standard ihrer Erschließungsarbeit und dienachdrückliche Dienstleistungsbereitschaft ihres Hauses über-zeugend unter Beweis zu stellen.

Münster Thomas Küster

Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Welt-krieg – Dokumentation. Vierter Band. Bearb. vonGerhard Granier. Bundesarchiv, Koblenz 2004. 527 S.,geb. 15,50 C.(Materialien aus dem Bundesarchiv, Heft 9.)

Mit dem vorliegenden 4. Band der „Dokumentation“ schließtGranier ein Vorhaben ab, das zweierlei deutlich macht: Zum einenführt er den Nachweis, dass weder das „Admiralstabswerk“ nochdie seitdem entstandene Literatur zur Marinegeschichte des Ers-ten Weltkrieges erschöpfend und vollständig sind, es zum ande-ren skandalös bleibt, dass zentrale Quellen nicht nur zur Marine –,sondern der deutschen Geschichte dieser Zeit, die auch Graniernicht in toto edieren konnte, immer noch nicht die wissenschaftli-che Aufmerksamkeit gefunden haben, die ihnen zukommt. Wäh-rend beispielsweise das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung imZweiten Weltkrieg vollständig ediert vorliegt (wenigstens der TeilA, 68 Bände), gibt es etwas Vergleichbares für die verschiedenenObersten Marinebehörden- und Stäbe aus der Zeit des ErstenWeltkrieges nicht.

Immerhin werden viele andernorts bereits auszugsweisepublizierte Quellen nunmehr gründlich und vollständig dargebo-ten; wenn dies nicht immer in einem chronologischen Kontextgeschieht, sondern nach Sachgesichtspunkten geordnet, so för-dert dies auf der einen Seite den Erkenntnisprozess, auf der ande-ren verhindert er jene Synergieeffekte, die unweigerlich zu beob-achten wären, würde das gesamte Material in einer strengen chro-nologischen Reihenfolge präsentiert. Aber es ist schon richtig,dass der Leser, dem es auf rasche quellengestützte Information zubestimmten Sachfragen ankommt, hier gut bedient wird; dieNachteile werden überdies durch ein sehr ausführliches Sachre-gister, das alle vier Bände umfasst, einigermaßen ausgeglichen –wie auch die geradezu massenhaft in den ersten Bänden auftre-tenden Fehler, die in einer (nicht vollständigen) „Addenda et cor-rigenda“-Liste behoben werden. Das ist, ich wiederhole mich,nicht der Inkompetenz von Granier, sondern der Schludrigkeit

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des Bundesarchivs geschuldet, und wenn man nun sieht, dass die-ses auch im 4. Band nicht einmal in der Lage war, den Einbandund die Titelei nach den üblichen Gepflogenheiten zu gestalten,so wirft dies ein beschämendes Licht auf unser Zentralarchiv, undder „Verbraucher“ fragt sich verwundert, warum man nicht wiein so vielen anderen Fällen einen erfahrenen und bewährten Ver-lag mit der Herausgabe des Bandes betraut hat. Dieser formaleDilettantismus, auch in Umbruch und Layout, ließe sich geradezuals abschreckendes Beispiel dafür nehmen, wo die Geisteswissen-schaften hinkommen, wenn sie immer nur eines müssen: sparen,sparen, sparen…

Das leitet zum Inhalt des 4. Bandes über. In dem wurde gleich-sam mit nichts gespart, und mit wachsendem Erstaunen liestman, mit welchem Optimismus Scheer und die Seekriegsleitungdavon überzeugt waren, bis tief in den Oktober 1918 hinein, das„große“ U-Bootprogramm, das offiziell den Namen „Scheer“ garnicht tragen durfte, zu realisieren. In einer Reihe von Besprechun-gen zwischen Marineführung und Industrie wurden Pläne entwi-ckelt, die zu realisieren offensichtlich als durchaus möglich ange-sehen wurde; im Endziel sollten ab 1919 monatlich 36 U-Bootegebaut werden, was an die Dönitz’schen und Speerschen Planun-gen von 1943 erinnert, 40 Boote pro Monat herzustellen. Nicht derMaterial-, der Arbeitermangel war wie 1943 f. auch schon 1918 daseigentliche Problem, aber alle blieben optimistisch, dass es gelöstwerden könnte. Geradezu mit propagandistischer Holzhammer-methode wurde den Heeresleuten mit Ludendorff an der Spitzeeingetrichtert, dass allein die Marine, genauer: allein der U-Boot-krieg, noch eine siegreiche Wende des gesamten Kriegs herbeifüh-ren könne – auch hier überfällt den Kenner der Marinegeschichtedes „Dritten Reiches“ ein unheimliches Déjà-vu. In diesemZusammenhang wird der jetzt dankenswerterweise in seineneigentlichen Kontext eingebettete Satz Scheers von der Marine,die keinen Waffenstillstand nötig habe, verständlich. Der Verlustdes Realitätssinns in der Seekriegsleitung führte gelegentlich bisin die Groteske – so wenn man darüber reflektierte, wie die deut-sche „Seeherrschaft“ im Kaspischen Meer errungen werdenkönnte. (Dass diese nach der Edward Wegener’schen Definitionin jedem Fall gleich Null gewesen wäre, hat wohl niemand begrif-fen.)

Sehr schön deutlich wird, wie die Marine den U-Bootkrieg imMittelmeer als Experimentierfeld für den seit 1915 ständiggeplanten und geforderten unbeschränkten U-Bootkrieg nutzte.Was Bernd Stegemann (Die deutsche Marinepolitik 1916–1918,Historische Forschungen 6, Berlin 1970) schon vor Jahrzehntennachwies, wird bestätigt: auch ohne diesen ließen sich enormeErfolge erzielen. Um so dringlicher stellt sich die Frage, warumman dennoch so borniert auf dieser Verschärfung des U-Bootkrie-ges bestanden hat, wohl wissend, was das gesamtpolitisch undstrategisch gesehen bedeutete. Auch das, was ich einmal die„doppelpolige Kampfführung“ genannt habe, findet sich ansatz-weise bereits in der Mittelmeerstrategie des Admiralstabs und derSeekriegsleitung, desgleichen die Vernachlässigung des Atlantikszugunsten des Mittelmeeres. Die hier publizierten Quellenmachen deutlich, dass die Dönitzsche Idee des reinen Tonnage-kampfes offensichtlich auf die Erfahrungen aus dem Mittelmeerzurückgeht – und genau da war Dönitz bei Kriegsende 1918 ein-gesetzt.

Man kann Gerhard Granier zu dieser großen, entsagungsvol-len Arbeit, die „an sich“ von vielen „amtlichen“ Archivaren undHistorikern hätte geleistet werden müssen, nur gratulieren. Siezeigt, was ein Einzelner zu leisten vermag, sie zeigt aber auch, wonaturnotwendig dessen Grenzen sind.

Kiel Michael Salewski

Dokumente aus geheimen Archiven. Übersichtender Berliner politischen Polizei über die allge-meine Lage der sozialdemokratischen undanarchistischen Bewegung 1878–1913. Teil III:1906–1913. Bearb. von Dieter Fricke und RudolfKnaack. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2004.798 S., 30 Abb., kart. 80,– C.

(Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landes-hauptarchivs, Bd. 42.)

Der vorliegende Schlussteil der dreibändigen Publikation enthältdie letzten sieben der insgesamt 34 in den Jahren 1878–1913 ange-fertigten „Übersichten der Berliner politischen Polizei ...“ (Teil I,1878–1889: Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, Bd. 17,1983; Teil II, 1890–1906: ebd., Bd. 24, 1989) und vollendet damit dieseit Mitte der 1970er Jahre in Angriff genommene – „Wende über-greifende“ – Veröffentlichung einer für die deutsche und interna-tionale Arbeiterbewegung sehr aussagekräftigen Quellengruppe.Die umfangreichen jährlichen Berichte über die Sozialdemokratieund den „Anarchismus“ in Deutschland und den anderen – vorallem europäischen – Ländern sind in ausführlichen und instruk-tiven Anmerkungen gründlich kommentiert, was dem Leser diehistorische Einordnung der zahlreich genannten Fakten undNamen erheblich erleichtert und den Weg für weiterführende Stu-dien weist. Hier hat sich die langjährige fruchtbare Zusammenar-beit zwischen Fachhistoriker und Archivar erneut bewährt.

Ein umfangreicher Anhang kommt der Benutzbarkeit derGesamtpublikation sehr zugute: Personen- und geographischesRegister und Register der Zeitungen und Zeitschriften für die dreiTeile der Publikation. – Nachweis der unveröffentlichten archiva-lischen Quellen und der Handbücher, Bibliographien, Quellen-übersichten, Zeitungen, Zeitschriften zum Thema (S. 639–648). –Literaturverzeichnis: Biographische Sammelwerke (S. 648–650);zeitgenössische Literatur (S. 650–657); neuere und neueste Litera-tur – bis etwa Mitte der 1990er Jahre (S. 657–688). So ist die Quel-lenpublikation für jeden einschlägig Forschenden ein inhaltlichund methodisch sehr nützliches Hilfsmittel.

Auf zwei weitere thematisch ähnliche Publikationen – Bd. 4und 5 der Reihe „Dokumente aus geheimen Archiven“ – sei in die-sem Zusammenhang ergänzend hingewiesen: „Die Polizeikonfe-renzen deutscher Staaten 1851–1866“, eingeleitet und bearb. vonF. Beck und W. Schmidt (Veröffentlichungen des BrandenburgischenLandeshauptarchivs, Bd. 27, 1993) und „Berichte des Berliner Poli-zeipräsidenten zur Stimmung und Lage der Bevölkerung1914–1918“, bearb. von I. Materna und H.-J. Schreckenbach (Veröf-fentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, Bd. 22, 1987). Abschlie-ßend die erfreuliche Mitteilung, dass im Ergebnis von Bestands-abgrenzungsverhandlungen die kriegs- und nachkriegsbedingteAufteilung des Archivbestandes „Polizeipräsidium Berlin“ aufdas Brandenburgische Landeshauptarchiv Potsdam und das Lan-desarchiv Berlin durch Übergabe des Potsdamer Teilbestandes andas Landesarchiv Berlin beseitigt worden ist (S. VIII).

Potsdam Hermann Schreyer

Entnazifizierung – Mitbestimmung – Schulgeld-freiheit. Hessische Landtagsdebatten 1947–1950. EineDokumentation. Bearb. von Wolf-Arno Kropat. Histo-rische Kommission für Nassau, Wiesbaden 2004. 368 S.,9 Abb., geb. 24,– C.(Politische und parlamentarische Geschichte des Lan-des Hessen 31.)

Wolf-Arno Kropat, der im vorigen Jahr verstorbene ehemaligelangjährige Leiter des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesba-den, hat der Erforschung der hessischen Nachkriegsgeschichtewesentliche Impulse gegeben. Seine hier anzuzeigende Veröffent-lichung dokumentiert die parlamentarische Arbeit des am1. Dezember 1946 gewählten ersten hessischen Landtages.

In einer instruktiven Einführung beschreibt Kropat zunächstden Weg Hessens zu einem freiheitlichen und sozialen Rechts-staat. Er informiert über die Gründung des Landes und die Bil-dung der ersten Regierung Karl Geiler, die politischen Parteienund die Verfassung als gesellschaftspolitisches Reformpro-gramm, die Wahl, Konstituierung und Geschäftsordnung desLandtages, die Abgeordneten und die Bildung der Großen Koali-tion von SPD und CDU unter Ministerpräsident Christian Stock(SPD).

Jede Dokumentation von Parlamentsdebatten steht vor demProblem der thematischen wie quantitativen Auswahl. Kropat hatdies überzeugend gelöst. Er wollte nicht einfach nur einzelne

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bemerkenswerte Reden wiedergeben. Da zudem eine vollstän-dige Wiedergabe der Debatten nicht möglich war, konzentriert ersich auf sieben bedeutende Themenbereiche, die er auszugsweisedokumentiert. Dabei war es sein besonderes Anliegen, dass injeder Debatte die Standpunkte der verschiedenen Fraktionendeutlich zum Ausdruck kommen. Den Dokumentengruppenvorangestellt sind Einführungstexte, die dem Leser eine ausge-zeichnete Einführung in die jeweilige Problematik geben.

Das hessische Landesparlament widmete sich nicht nur derMängelverwaltung, der Bekämpfung der wirtschaftlichen undsozialen Not, dem Neuaufbau von Verwaltung und Justiz. Es warauch, und dies war eine Folge der Vorgaben der Hessischen Ver-fassung, mit der Vorbereitung umfassender Reformen in denBereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur befasst.

So waren auch die Regierungserklärung von Ministerpräsi-dent Stock und die sich anschließende Debatte, die am Anfang desDokumententeils stehen, nicht nur von den aktuellen Problemengeprägt, sondern bereits auch von den angestrebten Reformvor-haben.

Als erstes großes Reformprojekt folgt dann die Auseinander-setzung um die Einführung der Unterrichts- und Schulgeldfrei-heit, welche die Chancengleichheit für Kinder aller sozialerSchichten eröffnen und so zur Grundlage der reformfreudigenhessischen Schulpolitik werden sollte.

Der dritte Themenbereich befasst sich mit dem „Konflikt umeine demokratische Hochschulreform“, und zwar einmal mit dengrundsätzlichen Forderungen von Kultusminister Erwin Stein(CDU) nach einer umfassenden Hochschulreform, die auch vorü-bergehende Eingriffe in die traditionelle Selbstverwaltung derhessischen Universitäten implizierten, dann mit seiner Initiative,den Staatssekretär in der Staatskanzlei Hermann Brill zum Hono-rarprofessor im Bereich des Staatsrechts zu ernennen, die füh-rende Persönlichkeiten der Frankfurter Universität als geeignetenPräzedenzfall betrachteten, um ihren Anspruch auf Selbstverwal-tung zu demonstrieren.

Der vierte Themenbereich ist dem Betriebsrätegesetz gewid-met, das mit seinen Bestimmungen über die Mitbestimmung inwirtschaftlichen Angelegenheiten bis dahin in Deutschland ohneBeispiel war. Es wurde zwar von dem vom Deutschen Bundestagim Oktober 1952 beschlossenen Betriebsverfassungsgesetz abge-löst, stellt aber gleichwohl einen wichtigen Meilenstein auf demWeg zu einer modernen Betriebsverfassung dar.

Der fünfte Komplex widmet sich dem in der historischen For-schung besonders beachteten hessischen Sozialisierungsexperi-ment. Es dokumentiert die Debatte um das von Wirtschaftsminis-ter Harald Koch (SPD) entwickelte Konzept der „Sozialgemein-schaften“ als Träger der durch Art. 41 der Landesverfassung inGemeineigentum überführten Unternehmen, das zwar bei Stim-mengleichheit scheiterte, von der SPD aber noch eine gewisse Zeitals Modell für einen dritten Weg zwischen Privatkapitalismusund Staatssozialismus gesehen wurde.

Ausführlich dokumentiert wird anschließend die „Krise derEntnazifizierung“. Die Auseinandersetzung um die Dienstver-pflichtung zu Spruchkammervorsitzenden, mit der die Verfahrenbeschleunigt werden sollten, gab den Fraktionen die Gelegenheit,sich erstmals zu den Problemen der Entnazifizierung äußern zukönnen. Den Bemühungen der Parteien um eine grundlegendeReform des Befreiungsgesetzes, die in eine gemeinsame Resolu-tion aller Landtagsfraktionen mündeten, war allerdings einunmittelbarer Erfolg nicht beschieden. Zudem traten alsbald dieunterschiedlichen Vorstellungen hervor, die sich auch, bei allennoch vorhandenen Gemeinsamkeiten, bei der Debatte um dasAbschlussgesetz zeigten.

Die Dokumentation schließt mit der Landtagsdebatte vom20. Mai 1949 über die Zustimmung zum Grundgesetz, in der,abgesehen von der grundsätzlichen Opposition der KPD, bei allerZustimmung auch eine gewisse Unzufriedenheit mit den Ergeb-nissen der Beratungen im Parlamentarischen Rat zum Ausdruckkam.

Landtagsdebatten werden nur selten publiziert und auch inwissenschaftlichen Darstellungen kaum berücksichtigt. Dabeibieten sie, wie Kropat zu Recht betont und mit seiner Auswahlauch eindrucksvoll belegt, einen sehr anschaulichen Überblick

über den Stand der zeitgenössischen politischen Diskussion.Auch aus diesem Grund ist dieser Dokumentation eine weite Ver-breitung zu wünschen.

Wetzlar Wolfgang Wiedl

Gerhard von Scharnhorst. Private und dienstli-che Schriften. Band 2: Stabschef und Reformer (Kur-hannover 1795–1801). Hrsg. von Johannes Kunisch.Bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve. BöhlauVerlag, Köln – Weimar – Wien 2003. XXI, 858 S., geb.99,– C.(Veröffentlichungen aus den staatlichen Archiven Preu-ßischer Kulturbesitz, Bd. 52,2.)

Der zweite Band der auf fünf Bände geplanten Scharnhorst-Edi-tion dokumentiert die Überlieferung bis zum Eintritt in den preu-ßischen Dienst im Jahre 1801. Wie der erste Band erschließt auchdieser weitgehend Neuland. Er gliedert sich in zwei Hauptkapi-tel, die Scharnhorsts Tätigkeit im Stab des Observationskorps1795–1798 und seine Bemühungen um eine Reform der hannover-schen Armee zwischen 1798–1801 zum Thema haben. Die Unter-teilung kann sich nicht an eindeutigen Zäsuren orientieren, son-dern zeigt lediglich Arbeitsschwerpunkte Scharnhorsts in diesenJahren. Jedes der beiden Hauptkapitel beginnt mit einem chrono-logischen Abschnitt, der Privatbriefe und Schriften über Dienst-geschäfte enthält. Das erste Hauptkapitel bringt danach Ab-schnitte über Planungen und Landesaufnahme für die Observati-onsarmee, Unterricht, Richtlinien für den Postendienst, Artillerie-fragen, Reformpläne, Revolutionskriege und Militärpublizistik,der zweite über Reformprojekte, Vorarbeiten und Entwürfe, Stu-dien über Reform der Artillerie, Einsatz von Scharfschützen undVerschanzungsarbeiten, schließlich historische und politischeStudien.

Bis 1798 beschäftigten Scharnhorst vorrangig Erkundungenund logistische Aufgaben für die preußisch-hannoversche Obser-vationsarmee, die nach dem Frieden von Basel Norddeutschlandsicherte. Er arbeitete zusammen mit dem preußischen GeneralLecoq an der karthographischen Aufnahme von Nordwest-deutschland. Dies führte zu ersten Kontakten wegen eines Über-tritts in den preußischen Dienst, die offensichtlich von Lecoq aus-gegangen sind. Im Jahre 1797 stand Scharnhorst dichter vor einemWechsel als bisher angenommen wurde. Noch überwog aberseine Verbundenheit mit der hannoverschen Armee. Er nutzte dasAngebot Lecoqs lediglich zur Unterstützung der Forderung, seineEinsetzung in der Artillerie und Aussicht auf ein Regiment zuwahren.

Das zweite Hauptkapitel zeigt die vielfachen BemühungenScharnhorsts, in Kurhannover Konsequenzen aus den Erfahrun-gen des ersten Koalitionskrieges zu ziehen. Zu seinen Reformvor-haben im engeren Sinne gehören Überlegungen zu Ausrüstungund Einsatz der Artillerie, den Bau von Verschanzungen, zur tak-tischen Neuordnung gemischter Verbände von Artillerie, Kaval-lerie und Infanterie und zum aufgelösten Schützengefecht, einemKernstück der revolutionären Kriegführung. Neben den militäri-schen Alltagsgeschäften wie Dislokation, Verpflegung, Rekog-noszierungen u. a. finden sich Vorschläge, die sich mit einer Ver-besserung des Bildungsstandes der Offiziere, Reduzierung ihrerBagage im Felde, der Ausbildung der Unteroffiziere, die notfallseinen Offizier ersetzen müssen, mit dem Ansehen des Soldaten inder Öffentlichkeit und der Menschenführung befassen. Das allessind Gedanken, die sich später in den preußischen Militärrefor-men wiederfinden.

Die Forschung hat sich bisher im Wesentlichen nur auf Scharn-horsts Reformtätigkeit in Preußen konzentriert, und damit ¾ sei-nes Lebens kaum beachtet. Der Band zeigt, dass Scharnhorstbereits vor 1801 als Reformer tätig war. Als Generalquartiermeis-ter der Armee, als Vertrauter des kommandierenden GeneralsGraf Wallmoden und als militärischer Lehrer des Prinzen AdolphFriedrich, des designierten Nachfolgers Wallmodens, nahmScharnhorst in der hannoverschen Armee eine Schlüsselstellungein, die den Rahmen der durch Rang und Dienstalter bestimmtenHierarchie sprengte. Die letzten Jahre in Hannover können gera-

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dezu als Vorlauf auf sein Wirken in Preußen nach 1807 angesehenwerden. Allerdings setzten die dortigen Verhältnisse seinenReformbemühungen Grenzen. So scheiterte die von ihm vorge-schlagene Verschmelzung von Söldnerheer und Landmiliz letzt-lich am Widerspruch der Landstände und am Geldmangel. DieReformen blieben Torso und gerieten mit dem Ende der staatli-chen Unabhängigkeit Hannovers und der Auflösung der Armee1803 in Vergessenheit. In Preußen dagegen wurden die Reformendurch den Sieg über Napoleon gekrönt und Gegenstand kollekti-ver Erinnerung.

Der Band enthält wohl zahlreiche Ergebnisse kriegsgeschicht-licher Studien, die sich zum großen Teil mit Schlachten des 17.und des vorrevolutionären 18. Jahrhunderts auseinandersetzen,doch nur wenige grundsätzliche Äußerungen, die seinemberühmten Aufsatz über die „allgemeinen Ursachen des Glücksder Franzosen in dem Revolutionskriege“ von 1797 an die Seite zusetzen wären.

Für den Nicht-Militärhistoriker dürften auch die Aufzeich-nungen über Beschaffenheit von Natur, Landschaft, Vegetation,Wegeverbindungen zwischen einzelnen Orten u. ä. von Interessesein, die sich vielfach in den Berichten über die Unterbringungder Truppen und Verteidigungsmöglichkeiten finden. Oftmalswird Bezug genommen auf eine topographische Darstellung.Hier hätte man sich in dem einen und anderen Fall eine Abbil-dung mehr gewünscht. Doch hätte das wohl zu nicht vertretbarenMehrkosten geführt.

Auch dieser Band enthält im Anhang wieder die Lebensläufevon Menschen um Scharnhorst – und wie schon der erste – denMitgliedern seiner Familie. Ein ausführliches Glossar militäri-scher und ziviler Fachausdrücke öffnet die Publikation weiterenInteressentenkreisen.

Münster Hans-Joachim Behr

Geschichte der Stadt Würzburg. Band II. Vom Bau-ernkrieg 1525 bis zum Übergang an das Königreich Bay-ern 1814. Hrsg. von Ulrich Wagner. Konrad Theiss Ver-lag, Stuttgart 2004. 1108 S., 327 Abb., 72 Tafeln, geb.66,– C.

Ihre Funktion als fürstbischöflich-katholische Residenz hat dieGeschichte der Stadt Würzburg in den drei Jahrhunderten zwi-schen 1500 und 1800 nachhaltig bestimmt: beim repräsentativenAusbau der Stadt zur barocken Residenz und zum geistlichenMittelpunkt des Fürstbistums, in der schicksalhaften Verbindungder Stadtgeschichte mit der jeweiligen politischen und damitauch militärischen Option der Bischöfe in den großen Auseinan-dersetzungen der Zeit im Reich und in Europa, bei der Ansied-lung wissenschaftlicher Institutionen wie des Julius-Spitals oderder Universität. Nicht zuletzt aber war die Residenzfunktionbestimmend für das soziale Profil der Einwohnerschaft der Stadt:eine starke Geistlichkeit, Hofadel, bedeutende Gelehrte, Architek-ten und Kunsthandwerker kamen in Würzburg zusammen; die-sen hofnahen Gruppen stand eine Bürgerschaft gegenüber, derenHandelstätigkeit in Reichweite und Intensität im überregionalenVergleich eher zurücktrat.

Dieses in aller Kürze skizzierte Gesamt-Bild bringt der zweiteBand der Würzburger Stadtgeschichte umfassend und in vieleninteressanten Facetten auf 1108 Seiten (!) zur Anschauung. Wiebereits der erste, 2001 publizierte Band zur mittelalterlichenStadtgeschichte ist auch dieser ein Gemeinschaftswerk zahlrei-cher kompetenter Fachleute, die zumeist in Würzburg tätig sindoder es einmal waren, in Universität, Archiven, Museen undBibliotheken. Federführend war wieder das Stadtarchiv mit sei-nem Direktor Ulrich Wagner als Herausgeber.

Fünf chronologisch angelegte Beiträge befassen sich vor allemmit der politischen Ereignis- und Verwaltungsgeschichte derStadt und behandeln Bauernkrieg, konfessionelles Zeitalter, Drei-ßigjährigen Krieg, die Zeit des fürstlichen Absolutismus und denÜbergang an Bayern 1814. Dazu treten thematische Beiträge,deren breite Streuung keine Wünsche offenlässt: von der Umwelt-und Siedlungsgeschichte reicht das Spektrum über die Rechts-und Verfassungsgeschichte, die Wirtschafts- und Sozialgeschichtebis hin zur Frömmigkeits- und Kirchengeschichte, zur Geschichte

der jüdischen Gemeinde, zum Alltagsleben, zu Festen und Bräu-chen, dem Bildungs-, Buch- und Bibliothekswesen. Dazu tretenspeziellere Gesichtspunkte wie die in Würzburg um 1600 aus-ufernden Hexenprozesse, aber auch das Spital- und Gesundheits-wesen, die Literatur- und Sprachgeschichte, die Theater- undMusikgeschichte oder die städtischen Wappen und Siegel habeneigene Beiträge erhalten. Schließlich kommen auch die heutigenWürzburger Stadtteile eigens zur Sprache, insoweit sie auf frü-here Dörfer zurückgehen bzw. eine eigenständige Stadt gebildethaben (Heidingsfeld).

Besonders hervorgehoben werden müssen jedoch die Ab-schnitte zur städtebaulichen Entwicklung, zu den bildlichen undkartographischen Stadtdarstellungen, ganz besonders aber derausführliche Beitrag des Würzburger Kunsthistorikers StefanKummer zu Architektur und bildender Kunst. Das nach denZerstörungen des Zweiten Weltkriegs leider nur noch bruch-stückhaft erhaltene barocke Stadtbild der geistlichen Residenz-und Festungsstadt wird hier umfassend und präzise rekonstru-iert, die zum Teil weltberühmten Kunstdenkmäler erfahren einekunstgeschichtliche Würdigung auf höchstem Niveau. Die reicheIllustration des Bandes kommt diesen Beiträgen in besonderemMaße zugute.

Die ausführlichen, mit Fußnoten versehenen Hauptbeiträgewerden in gelungener Weise ergänzt durch kurze so genannteSchlaglichter zu berühmten oder interessanten Persönlichkeiten(u. a. Tilman Riemenschneider, Balthasar Neumann), zu spekta-kulären Ereignissen (u. a. Attentat auf einen Bischof, Napoleon inWürzburg), mit kleinen Quelleneditionen (u. a. Südfrüchte im18. Jahrhundert, Neujahrswünsche des Rates von 1621) oderMilieustudien (u. a. studentisches Leben).

Hervorgehoben seien – aus Sicht des Rezensenten – noch zwei„Schlüsselstellen“ des Bandes: Einmal (im Beitrag von Hans-PeterBaum) die intensive Beschreibung der zielstrebigen Rekatholisie-rung des führenden Ratsbürgertums im Zuge der gegenreforma-torischen Politik Julius Echters, dann (bei Peter Baumgart) dieZusammenstellung der zahlreichen Maßnahmen und kleinenSchritte im Zuge einer gemäßigten katholischen Aufklärung des18. Jahrhunderts noch in der Zeit der Fürstbischöfe.

Eine Würzburger Geschichte der Frühneuzeit steht in derGefahr, dass die Stadtgeschichte hinter der dominierenden fürst-bischöflichen Landes- bzw. Kirchengeschichte verschwindet. Diemeisten – nicht alle – Autoren sind dieser Gefahr entronnen. Derbeste Schutz gegen diese Gefahr ist die Verwertung der städti-schen Archivalien, ohne doch die fürstbischöflichen außer Achtzu lassen. Die genuin städtischen Quellenbestände sind im Stadt-archiv geschlossen und zahlreich überliefert. Für etliche Beiträgewurden sie erstmals in Breite verwertet, so insbesondere auch vonzwei jungen Historikern für die städtische Wirtschaftsgeschichte.Die Forschung wird gleichwohl noch Betätigungsfelder finden,nicht zuletzt etwa im Bereich der städtischen Sozialgeschichte.Die als monumental zu bezeichnende neue Würzburger Stadtge-schichte der Frühneuzeit schafft für künftigen Arbeitsfortschrittdie besten Voraussetzungen. Den Wissensdurst eines historischinteressierten regionalen Publikums kann sie mehr als befriedi-gen (ein ausführliches Register macht den Band zur Fundgrube),Stadtgeschichtsforschern aus anderen Regionen liefert sie will-kommenes Anschauungs- und Vergleichsmaterial.

Würzburg Joachim Schneider

Kai F. Hünemörder, Die Frühgeschichte der globa-len Umweltkrise und die Formierung der deut-schen Umweltpolitik (1950–1973). Franz SteinerVerlag, Wiesbaden 2004. 386 S., kart. 54,– C.(Historische Mitteilungen, Bd. 53.)

Die vorliegende Kieler Dissertation geht der Frage nach, welcheEreignisse und Entwicklungen für die Herausbildung einesUmweltbewusstseins in der bundesdeutschen Politik und Öffent-lichkeit in der Zeit des Wirtschaftswunders bis zu den Auswir-kungen der ersten Ölkrise Mitte der siebziger Jahre grundlegendwaren. Zunächst beschäftigt sich die Arbeit mit den gesundheits-und umweltschädlichen Begleiterscheinungen des Wirtschafts-booms im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit und stellt sog. „techni-

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sche Lösungsansätze“ der Behörden zur Minimierung der Belas-tungen vor. Nach einem informativen Blick auf die zeitgenössi-sche nordamerikanische Auseinandersetzung mit Umweltbelas-tungen, die in vieler Hinsicht (bis zur wörtlichen Übersetzungvon Begriffen) die nachfolgende Entwicklung in der Bundesrepu-blik prägte, zeigt der Autor, wie sich die Wahrnehmung umwelt-politischer Probleme unter der sozial-liberalen Bundesregierungseit 1969 tiefgreifend änderte und Umweltpolitik ein wichtigesneues Politikfeld wurde, wenngleich in dieser Zeit nicht nurumweltpolitische Erfolge zu verzeichnen sind, sondern auch vie-les ungebremst weiter lief wie bisher. In weiteren Kapiteln erörtertder Autor die mentalen Gründe des wachsenden Interesses derBevölkerung an der Erhaltung der natürlichen Umwelt und fragtnach den Auswirkungen des Club of Rome-Berichts und der UN-Umweltschutzkonferenz von 1972 sowie der ein Jahr später ein-setzenden Rezession auf die Umweltdiskussion in der Bundesre-publik. Wie sehr sich die Einstellung zu UmweltbelastungenAnfang der siebziger Jahre wandelte, demonstriert der Verf. zumSchluss sehr schön am Konflikt um die Ansiedlung einer großenRaffinerie der VEBA-Chemie im Orsoyer Rheinbogen bei Duis-burg. Die Arbeit fußt auf der Auswertung von Akten der Bundes-und NRW-Landesregierung, wobei das NRW-Kultusministeriumteilweise Benutzungssperrfristen aufgehoben hat. Außerdemwurden umfangreiche Zeitungsausschnittssammlungen imHamburgischen-Welt-Wirtschafts-Archiv und Wirtschaftsarchivdes Kieler Instituts für Weltwirtschaft sowie Bundestags- undLandtagsprotokolle und Parteienunterlagen herangezogen. Fer-ner wurden einige Zeitzeugen befragt – unter ihnen mit PeterMenke-Glückert, einer der wichtigen umweltpolitischen Ratge-ber des damaligen Bundesinnenministers Hans-Dietrich Gen-scher. Die Untersuchung vermittelt einen breiten und genauenÜberblick über die Entwicklung eines zunehmenden Bewusst-seins für Umweltfragen in der bundesdeutschen Politik undÖffentlichkeit bis Mitte der siebziger Jahre. Allerdings kommt dasnarrative Element in ihr zu kurz; der Wert einer historischen Dar-stellung, zumal wenn sie sich an ein breiteres Publikum wendet,bemisst sich auch an der Fähigkeit, einen komplexen Sachverhaltsprachlich entschlackt und anschaulich zu präsentieren.

Troisdorf Johann Paul

Bettina Joergens, „Männlichkeiten. Deutsche Jun-genschaft, CVJM und Naturfreundejugend inMinden, 1945–1955“. Verlag für Berlin-Branden-burg, Potsdam 2005. 603 S., brosch. 30,– C.(Potsdamer Studien, Bd. 17.)

Bettina Joergens verbindet in ihrer Arbeit „Männlichkeiten. Deut-sche Jungenschaft, CVJM und Naturfreundejugend in Minden,1945-1955“ zwei Topoi der Zeitgeschichtsschreibung, die erst inden letzten Jahren vermehrt in den Blickpunkt gerückt sind: DieGeschichte der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die inzwischenvon der Kulturgeschichte entdeckt wurde, und die Geschichte derMännlichkeit als lange vernachlässigte Seite der gender-For-schung.

In der deutschen Nachkriegsära ergibt sich hier eine reizvolleSchnittfläche von soldatisch-zackigem und sensibel-lässigemMännlichkeitsideal. Joergens setzt die Identitätssuche einerNation mit jener einer männlichen Generation in Beziehung undverwendet als Bindeglied die organisierte Jugend, die gemeinhinals Elite der Jugendlichen verstanden wird. Im Bewusstsein, dassJugend gerade in der Nachkriegszeit Reflexionsfläche politischerHoffnungen und Befürchtungen war, versucht sich die vorlie-gende Arbeit allerdings von diesem Eliteverständnis zu lösen undauf einer niedrigeren Ebene anzusetzen.

In ihrer enorm materialreichen Arbeit verwendet Joergenseinen mikrohistorischen Ansatz sowie Anleihen aus der histori-schen Anthropologie, um in den sozialen Praktiken männlicherJugendlicher in Jugendgruppen deren Konstruktionsmodi fürMännlichkeit zu erforschen. So greift sie nicht allein auf amtlicheoder vereinsinterne Quellen zurück, um die Strukturen und Ver-anstaltungspläne der Gruppen zu rekonstruieren, sondern analy-siert mit Hilfe von privaten Aufzeichnungen, Zeitzeugeninter-views und Zeitungsartikeln auch die Alltagspraktiken (die

wöchentlichen Treffen, das Liedgut, Ver- und Gebote des Zusam-menlebens) der Gruppen. Hegemoniale Diskurse und „Schlüssel-erlebnisse“ des Gruppenlebens treten damit in den Hintergrund.

Joergens’ Ansatz überzeugt, weil er „Jugend“ nicht allein alsKategorie oder Schlagwort begreift, sondern auch die individuellempfundene Übergangsphase von Kindheit zum Erwachsenenal-ter in den Blick nimmt. So löst sie ihren Anspruch ein, ein Neben-einander von Alt und Neu, von „Normalität“ und „Chaos“ wäh-rend des untersuchten Zeitraums darzustellen, das der schein-bare Gegensatz von Kontinuität und Wandel in vielen bisherigenArbeiten überdeckt hat. Konsequent vermeidet sie daher den Fak-tor „Politisierungsgrad“, der im Anschluss an Wolfgang Schelkys„Skeptische Jugend“ von 1957 allzu lange für verzerrende Kate-gorien in vielen Arbeiten der Jugendforschung gesorgt hat.

Als Forschungsfeld wählt Joergens die westfälische Mittel-stadt Minden, in der sie drei Milieus ausmacht, die Nationalsozia-lismus und Weltkrieg überlebt haben. Das (national-)liberale, daschristlich-konservative und das sozialdemokratisch-proletari-sche Milieu bestimmen vornehmlich die Zugehörigkeit dermännlichen organisierten Jugend zur Deutschen Jungenschaft(einer bündischen Gruppe), dem Christlichen Verein Junger Män-ner (CVJM) oder der koedukativen Naturfreundejugend.

Die sozialen Praktiken, mit denen die jungen Männer ihreMännlichkeit erprobten und einübten, spiegelten nach Joergens'Analyse die Verortung ihrer Elternhäuser im Nachkriegsdeutsch-land wider. So hatten etwa die an die Bündische Jugend angelehn-ten Jungenschaftler zunächst Orientierungsprobleme im entmili-tarisierten und vom Soldatenideal abgewandten Nachkriegs-deutschland, was mit dem politischen Nachkriegsschock des(national-)liberalen Milieus ihrer Eltern korrespondierte.Zugleich fand hier der schärfste Abgrenzungsprozess der Jungenvon ihren Eltern statt. Die Elterngeneration des christlich-konser-vativen und sozialdemokratischen Milieus hingegen konnte weiteinfacher an Weltbilder und Gesellschaftsentwürfe der Vorkriegs-zeit anknüpfen. In den Praktiken ihrer Jugendgruppen spiegeltesich dies in einem weit schwächeren Generationenkonflikt.Zugleich aber war hier eine unverkrampftere Übernahme neuerMännlichkeitsbilder, wie etwa durch amerikanische Filme trans-portiert, möglich – besonders im sozialdemokratischen Milieufehlte die elitistische Männerbundideologie ganz, wurde auf Inte-gration sowohl verschiedener Altersgruppen wie auch derGeschlechter geachtet.

Joergens entdeckt hinter diesen scheinbaren Trennlinien eineletztlich allen Gruppen gemeinsame familiäre Struktur. Währendaber die Deutsche Jungenschaft sich als Jungenbund dem Män-nerbund anlehnte, was Selbstdisziplinierung und „soldatische“Kameradschaft sowie die Konzentration auf einen Führer ein-schloss, inszenierte sich die CVJM-Gruppe als familienähnliche,patriarchalische Gemeinschaft und die jungen Männer der Natur-freunde als „Bruderschaft“ innerhalb der familiären Gemeinde.Auch ihre Stellung zu Politik und gesellschaftlichem Engagementformierte sich entlang ihrer Milieuverbundenheit. Innerhalb ihrerMilieus trugen die untersuchten Jugendlichen zu einer Neuver-handlung von Werten und Normen bei, nicht zuletzt dem vor-herrschenden Männlichkeitsbild. Alter und Generation tratengegenüber dem Milieu als Faktoren in den Hintergrund.

Bettina Joergens hat das von ihr selbst gesetzte Ziel einer „dich-ten Beschreibung“ ihres Forschungsgegenstandes auf mehrerenEbenen (Stadt, Milieu, Organisation, Kleingruppe) eingelöst. Ihrehoch differenzierten Ergebnisse lassen sich schwer generalisieren,was als eine kleine Schwäche der Arbeit gelten kann. Dies ist aberlediglich die Kehrseite eines Detail- und Methodenreichtums, dersich zu einer geschlossenen und stringenten Großleistung zusam-menfügt.

Freiburg Andrea Meyer-Tuve

Die Kabinettsprotokolle der Landesregierungvon Nordrhein-Westfalen 1962 bis 1966 (FünfteWahlperiode). Eingeleitet und bearbeitet von VolkerAckermann. 2 Halbbände. Respublica-Verlag, Sieg-burg 2002. 1378 S., geb. 50,– C.

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(Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des LandesNordrhein-Westfalen, Reihe K: Kabinettsakten, Bd. 5.)

Mit dem vorliegenden fünften Band der Edition der Kabinettsak-ten des Landes Nordrhein-Westfalen wird die Regierungsperiodedes zweiten Kabinetts Meyers (Juli 1962 bis Juli 1966) dokumen-tiert. Es handelte sich um eine Koalition aus CDU und FDP, dieeine stabile Mehrheit hatte, aber, auch unter dem Einfluss bundes-politischer Entwicklungen, allmählich an Wertschätzung bei denWählern verlor. Das Kabinett trat 163 Mal zusammen, d. h. beiweitem nicht in jeder der 202 Wochen der Regierungsperiode. Zuden 163 Protokollen kommen 181 weitere Dokumente, überwie-gend Kabinettsvorlagen und Vermerke; das quantitative Verhält-nis der Protokolle zu den sonstigen Dokumenten beträgt also 1 zu1,1. Das ist bedeutend mehr als beim vierten Band (Zeitraum1958–62), bei dem eine unüberbietbar strenge Auswahl stattge-funden haben muss. Das Verhältnis beim fünften Band entsprichtdem Fünf-Bände-Durchschnitt. In der Gesamtedition markierender erste (1 zu 1,6) und der vierte Band (1 zu 0,5) die Extreme.

In der Einleitung, die wie bei den vorausgegangenen Bändender Edition zunächst die Kabinettsmitglieder vorstellt, behandeltVolker Ackermann, geordnet nach den Ressorts der Landesregie-rung, mit Ausnahme der Personalentscheidungen offenbar alleThemen, die in den Kabinettsberatungen eine Rolle spielten. BeimKultusministerium z. B. waren dies Schulen, Universitäten, For-schung, Erwachsenenbildung, das Staatsarchiv Detmold, dieKatholischen Kirchengemeinden, die Kunstpreise des Landesund die Verleihung des Professorentitels. Welche Themen in ihrerpolitischen Bedeutung herausragten, ist am Umfang der jeweili-gen Darstellung in der Einleitung erkennbar: Schulen, Universitä-ten, Steinkohlenbergbau und Energiewirtschaft, Strukturförde-rung und Landesplanung, Umweltschutz und Wohnungsbau.Nicht glücklich ist die Behandlung des Politikbereichs „For-schung“ an zwei Stellen (einmal unter Kulturpolitik, das andereMal, und hier mit mehr Berechtigung, bei Wirtschaft und Ver-kehr).

Die erste Hälfte der 1960-er Jahre war eine Zeit krasser Über-lastung des bestehenden Schulsystems, aber auch eines „bil-dungspolitischen Aufbruchs“, der sich in Reformen der Schulver-fassung und der Lehrerausbildung manifestierte. Vor allem in denVolksschulen, in denen sich die „geburtenstarken Jahrgänge“drängten, gab es viel zu wenig Lehrer; Mitte 1962 waren fast 4500Planstellen unbesetzt. Kultusminister Paul Mikat (CDU) hatteverschiedene Ideen, diesem Mangel abzuhelfen – in erster Liniedie Ausbildung von Aushilfslehrern in einjährigen Lehrgängen –,aber nicht alle fanden ungeteilte Zustimmung im Kabinett. Daszweite große Aktionsfeld des Kultusressorts waren die Universi-täten und anderen Hochschulen. 1965 erhielt das Ruhrgebiet mitder Ruhr-Universität Bochum, zu deren Planung und Aufbau einbeispielloser Aufwand betrieben wurde (Einleitung S. 22 f.), nichtnur die seit langem versprochene erste Volluniversität, sonderndank des Wirkens der Dortmunder Lobby in Düsseldorf dieZusage für eine weitere Universität in Bochums NachbarstadtDortmund, wo ursprünglich „nur“ eine Technische Hochschulevorgesehen gewesen war. Am 9. November 1965 beschloss dasKabinett die Gründung einer – nach Münster, Bochum und Dort-mund – vierten Volluniversität im Landesteil Westfalen in Biele-feld. Im Landesteil Nordrhein wurde die Technische HochschuleAachen um eine Medizinische Fakultät erweitert und die Medizi-nische Akademie Düsseldorf für den Ausbau zur Volluniversitätvorgesehen.

Mochte auch der Lehrermangel in den Volksschulen katastro-phal erscheinen, das größte Problem der Landespolitik war dochdie Krise des Steinkohlenbergbaues im Ruhrgebiet, eine echteStrukturkrise, die schon 1958 begonnen hatte und nach kurzfristi-ger Erholung der Branche 1960 im Winter 1961/62 zurückgekehrtwar. Sie konnte nur durch Zechenstillegungen, durch ein Gesund-schrumpfen der Branche gemeistert werden, aber die Umsetzungdieser Erkenntnis in praktische Politik war nicht einfach. DieHauptursache der Krise waren die preisbedingten Geländege-winne des Heizöls auf dem Energiemarkt zu Ungunsten der rela-tiv teuren Kohle, eine Folge der Liberalisierung des westdeut-schen Energiemarktes 1955/56. 1962 verbrauchte die Bundesre-

publik 23,6 Millionen Tonnen Heizöl, 1966 schon 43,2 MillionenTonnen. In neun Jahren (1958 bis 1966) sank die Zahl der Beschäf-tigten im Ruhrbergbau von 389 000 auf 207 000. Auf dem Höhe-punkt der Krise, zwischen März und September 1966, wurden imRuhr- und im Saargebiet insgesamt 13 große Bergwerke geschlos-sen. Die Landesregierung erwartete vom Bund außer einem Ener-giewirtschaftsgesetz auch wirkungsvolle Maßnahmen gegen dasweitere Vordringen des Erdöls auf dem Markt für Heizenergie.Anfang 1964 ergaben sich Differenzen zwischen dem Minister fürLandesplanung, Wohnungsbau und Öffentliche Arbeiten, JosefPaul Franken (CDU), und dem Minister für Wirtschaft, Mittel-stand und Verkehr, Gerhard Kienbaum (FDP), über die „Struktur-verbesserung der Steinkohlengebiete“ (Kabinettsprotokoll vom14. Januar 1964 [Dok. 136] sowie Kabinettsvorlage des Wirt-schaftsministers vom 13. Januar 1964 [Dok. 137]; das andereBezugsdokument, eine Kabinettsvorlage des Ministers für Lan-desplanung vom 10. Januar 1964, fehlt leider). Die finanzielle För-derung des „Gemeinschaftskraftwerks West“ des Ruhrbergbaueszur Sicherung des Absatzes von Steinkohle scheint in der Landes-regierung wie im Landtag unumstritten gewesen zu sein; alleindie „Fachpresse“ wies darauf hin, dass es ökonomisch langfristigvernünftiger wäre, wenn für die veranschlagten Mittel ein Atom-kraftwerk gebaut würde (S. 36).

Offensiv statt defensiv wie bei der Energiepolitik ging die Lan-desregierung beim dritten Hauptthema der Landespolitik, derStrukturpolitik und der Landesplanung, zu Werke. Die „Pla-nungseuphorie“, ein Phänomen der ersten drei Nachkriegsjahr-zehnte in allen westlichen Industrieländern, erreichte auch in denDüsseldorfer Ministerien zwischen 1965 und 1970 ihren Höhe-punkt. Die „Steuerung und Planung wirtschaftlicher und gesell-schaftlicher Prozesse“ zum Zweck der allgemeinen Wohlstands-mehrung, der besseren Allokation von Ressourcen und der Her-stellung gleichartiger „Lebensverhältnisse“ in allen Teilen einesGebietes schien damals nur eine Frage des Wollens zu sein. InNordrhein-Westfalen war die Landesplanung wie schon in derZwischenkriegszeit eine Gemeinschaftsaufgabe von Staat undregionalen Selbstverwaltungsinstanzen wie dem Siedlungsver-band Ruhrkohlenbezirk (SVR). Noch zur Zeit des ersten KabinettsMeyers, am 10. April 1962, hatte der Landtag die Novellierungdes Landesplanungsgesetzes verabschiedet, mit der die gesamteWirtschaftsstruktur in den Bereich der Landesplanung aufge-nommen wurde. Das neue Landesplanungsgesetz bildete denAusgangspunkt für das am 8. August 1964 vorgelegte Landesent-wicklungsprogramm mit seinem enorm weit gefassten Zustän-digkeitsbereich (S. 41). Dabei gab es in Teilen der CDU und auchbeim Ministerpräsidenten Franz Meyers selbst durchaus einengewissen Widerwillen gegen die Landesplanung neuen Stils alseine Art von „Planwirtschaft“ (so Meyers 1964, S. 42). Dass auchdie Konservativen, wo sie regierten, mit dem Strom schwimmenmussten, zeigt nur die Macht der Planungsideologie dieser Zeit.Wohin es führen konnte, wenn (wie etwa in den – späteren – Fäl-len Duisburg-Hamborn-Neumühl und Essen-Steele) das Landund eine Kommune gemeinsam die nun bestehenden, erhebli-chen Eingriffsmöglichkeiten in die natürlichen Gegebenheitenund die überkommene städtebauliche Substanz nutzten, wirdrichtig beim Namen genannt („Kahlschlagsanierungen“, S. 41).

Was Strukturpolitik konkret bedeuten konnte, dafür gab in densechziger Jahren das Siegerland ein Beispiel ab. Zugleich mit einerkommunalen Gebietsreform sollte die Wirtschaftsstruktur dieserbergigen, verkehrsmäßig unzureichend erschlossenen „alten“Industrieregion verbessert werden. Das Konzept sah die „Talla-gen“ an den Verkehrsbändern für industrielle Zwecke vor, wassogar den Abbruch von bestehenden Siedlungen zugunsten vonIndustrie legitimieren konnte, die erste Höhenstufe („flacheHänge“) dagegen für Siedlungsbebauung. Nach einer Volksab-stimmung mit positivem Ergebnis im Sinne der Landesregierungerging am 28. Januar 1964 der Auftrag an den Innenminister, diekommunale Gebietsreform im Raum Siegen durchzuführen(S. 43). Kurz vor der Landtagswahl von 1966 setzte die RegierungMeyers noch eine Sachverständigenkommission zur Entwicklungvon Neugliederungs- und Reformkonzepten („Adenauer-Kom-mission“) ein, welche an der Vorbereitung der landesweitenGebietsreform der 1970-er Jahre mitwirkte.

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Für das Ruhrgebiet erarbeitete man zur Verbesserung derInfrastruktur mit dem „Alternativplan Ruhr“ von 1965 eine Vor-stufe für das unter Meyers Nachfolger Kühn 1968 verabschiedete„Entwicklungsprogramm Ruhr“, in das auch Vorarbeiten desSVR einflossen. Das Hauptproblem aller Editionen von Kabinetts-akten, nämlich der „Sachzwang“, dass manche umstrittene Ent-scheidung – oder auch Nicht-Entscheidung – einer Regierungnicht dokumentiert werden kann, weil sie überall, nur nicht imKabinett erörtert wurde, zeigt sich bei dem vorliegenden Banddarin, dass die ambivalente Haltung der Regierung Meyers demRuhrgebiet gegenüber nicht deutlich wird. Mit den in den Kabi-nettsakten dokumentierten, organisatorischen Maßnahmen fürdie Optimierung der Strukturpolitik und Landesplanung imRuhrgebiet (Einleitung S. 45 f.) kontrastierte die Zurückhaltungder Landesregierung bei konkreten Gründungsvorhaben. DieVersuche der größeren Ruhrgebietsstädte, den sich seit 1962abzeichnenden wirtschaftlichen Abstieg durch ein Aufbrechender montanindustriellen Monostruktur und die Ansiedlung vonIndustriebetrieben anderer Branchen aufzuhalten, wurden, wievor wenigen Jahren Christoph Nonn in seiner Habilitationsschriftüber die Ruhrbergbaukrise nachgewiesen hat, vom Land in derÄra Meyers nur in minimalem Umfang unterstützt; der Bau einesgroßen Automobilwerkes von Opel in Bochum (1960/61) bliebder einzige nennenswerte Erfolg. Die CDU hatte sich von jeherdem Ziel einer „Entballung“ des Ruhrgebietes verschrieben undbegrüßte daher grundsätzlich den Abbau industrieller Kapazitätin der Region.

Auf dem Gebiet des Umweltschutzes war Nordrhein-Westfa-len in Deutschland führend; dennoch lag auch 1966 noch vieles imArgen, was in der Einleitung (S. 55 f.) stärker hätte betont werdenkönnen. Die Schutzauflagen für die Emittenten von Schadstoffenreichten bei weitem noch nicht an die heutigen Standards heran;das Bewusstsein der Politiker für Umwelt- und damit verbun-dene gesundheitliche Probleme jedoch schärfte sich. Am1. Dezember 1963 begann die Landesanstalt für Immissions- undBodennutzungsschutz in Essen ihre Tätigkeit.

In den Zeitraum des fünften Bandes der Edition fällt auch der„Abbau der Wohnungszwangswirtschaft“, der nach einem Bun-desgesetz, dem so genannten Lücke-Plan, vonstatten ging, wobeijedoch den Landesregierungen die Entscheidung darüber vorbe-halten war, welche Stadt- oder Landkreise als „Weiße Kreise“ füreine Freigabe der Mieten von Altbauwohnungen in Frage kamen.1965 herrschte an einigen „Brennpunkten“ noch ein Wohnungs-defizit, das u. a. durch den Zustrom von Flüchtlingen aus derDDR vor dem Bau der Berliner Mauer verursacht worden warund nun zügig abgebaut werden sollte. Die CDU-FDP-Koalitionhielt sich dabei auf der Linie der Bundesregierung mit dem Zieleiner verstärkten Förderung der „Schaffung von Einzeleigentumin Form von Familienheimen und Eigentumswohnungen“ zuLasten des „Sozialen“ (d. h. Miet-) Wohnungsbaues (Dok. 169 u.170).

Das Fazit Ackermanns über die vier Jahre (S. 78 f.), in dem errecht weit bis zur Mitte der 1970-er Jahre ausblickt, attestiert derzweiten Regierung Meyers beachtliche „Initiativen und Erfolge“.Mit dem 1964 verkündeten Landesentwicklungsprogrammwurde die kommunale Gebietsreform eingeleitet, die am 1. Januar1975 ihren Abschluss fand. Die Lehrerausbildung wurde durchdie Errichtung der pädagogischen Hochschulen (seit 1965) refor-miert, die Wissenschaftslandschaft zwischen Rhein und Weserdurch den Bau einer Volluniversität (Bochum) und die Planungvon drei weiteren gravierend verändert. Im Bereich des Umwelt-schutzes ergriff das Land Maßnahmen, die damals alles andere alsselbstverständlich waren. Das schlechtere Abschneiden der CDU-FDP-Regierung in der Landtagswahl vom 10. Juli 1966 im Ver-gleich zur Wahl von 1962 hatte damit zu tun, dass die Wählernicht hinreichend zwischen Landes- und bundespolitischen Pro-blemen unterschieden. Die Energiepolitik des Bundes war in denAugen der Wähler im Ruhrgebiet zu wenig einer sozial schonen-den und Substanz bewahrenden Bewältigung der Bergbaukriseverpflichtet, die Steigerungen von Preisen und Mieten verdrossenVerbraucher und Mieter; hinzu kam die allgemeine Unsicherheitüber die wirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands nachdem Ende des „Wirtschaftswunders“ in der Rezession von 1966.

28 Abbildungen, davon 26 Fotos und zwei Karten (zur Elektri-fizierung der Bahnstrecken in Nordrhein-Westfalen und zum„Strukturplan Siegerland“), erleichtern dem Leser das Hineinfin-den in das politische Leben der Zeit vor vierzig Jahren. Ein Orga-nisationsplan der Landesregierung aus dem Frühjahr 1963(S. 80 f.) zeigt sowohl die beinahe noch „klassische“ Ressortglie-derung einer Landesregierung als auch die anhaltende Bedeu-tung zweier Kriegsfolgeaufgaben, der „Wiedergutmachung“(nationalsozialistischen Unrechts) und der Betreuung von „Ver-triebenen, Flüchtlingen und heimatlosen Ausländern“, wofür jeeine eigene Abteilung im Innenministerium respektive im Minis-terium für Arbeit und Soziales bestand.

Duisburg Michael A. Kanther

Dieter Kastner, Kinderarbeit im Rheinland. Entste-hung und Wirkung des ersten preußischen Gesetzesgegen die Arbeit von Kindern in Fabriken von 1839. SH-Verlag, Köln 2004. 303 S., geb. 29,80 C.(Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur, Bd. 27.)

Zwar sind die vor allem in den Textilfabriken des frühen 19. Jahr-hunderts weit verbreitete Kinderarbeit und die Maßnahmen despreußischen Staates zur Beschränkung der Kinderarbeit schonvielfach Gegenstand der historischen Forschung gewesen, dochstehen derartige Untersuchungen nicht selten auf schmaler Quel-lenbasis und transportieren häufig nur gängige Forschungsmei-nungen weiter. D. Kastner führt das weiterhin interessierendeThema wieder stärker an die Quellen heran und beschreibt nachgründlicher Auswertung bisher nicht oder nur teilweise benutz-ter Akten des Kultus- und Innenministeriums, des Oberpräsiden-ten und der (Bezirks-)Regierungen der Rheinprovinz und mehre-rer Kommunalverwaltungen wie auch der Protokolle des rheini-schen Provinziallandtags die Entstehungs- und Wirkungsge-schichte des Gesetzes von 1839 wesentlich nuancierter und zuver-lässiger.

Bekannt war das Problem der Fabrik-Kinderarbeit in Preußenschon seit einer Umfrage des Staatskanzlers v. Hardenberg imJahre 1817. Dass Hardenbergs Initiative, auf die die beiden rheini-schen Oberpräsidenten in Köln und Koblenz mit Vorschlägen zurVerbesserung der Elementarschulbildung von Fabrik-Kindernreagierten, anschließend im Sande verlief, lag, wie Kastner über-zeugend herausarbeitet, vor allem daran, dass der langjährigeKultusminister v. Altenstein die Angelegenheit in den folgendenJahren immer wieder auf die lange Bank schob oder nur halbher-zig handelte.

Ein erster Schritt, der von den Bezirksregierungen verschie-dentlich beklagten moralischen Verwilderung der Fabrik-Kinderentgegenzuwirken, war die Einführung der allgemeinen Schul-pflicht im Rheinland 1825, die jedoch von den Fabrikbesitzernund den auf den Zuverdienst ihrer Kinder angewiesenen Elternhäufig unterlaufen wurde und auch wegen fehlender Schulräumezunächst vielerorts nicht durchsetzbar war. Allerdings war dieSituation, wie Kastner mit zahlreichen Beispielen belegt, durch-aus nicht überall gleich schlecht. Aus den von Kastner benutztenMinisterialakten geht klar hervor, dass die preußische Regierungin der Frage der Regelung der Fabrik-Kinderarbeit stets die Ent-wicklung in England beobachtete und die eigene, noch kaum kon-kurrenzfähige Industrie gegenüber der mächtigen englischennicht durch soziale Auflagen benachteiligen wollte.

Aber auch nach Erlass des englischen Fabrikengesetzes imJahre 1833 war eine vergleichbare gesetzliche Regelung in Preu-ßen keineswegs selbstverständlich. Kastner arbeitet in seinerUntersuchung sehr schön heraus, dass es den Impulsen einzelnerBeamter und Politiker zu verdanken ist, dass nun auch der preu-ßische Staat handelte und Widerstände in der Ministerialbürokra-tie überwunden wurden. Neben dem bereits von W. Köllmannvorgestellten Barmer Fabrikanten und Abgeordneten im rheini-schen Provinziallandtag, Johannes Schuchardt, war es vor allemder von der Forschung bisher weitgehend unbeachtete rheinischeOberpräsident Ernst v. Bodelschwingh, dessen persönlicher Ein-satz, wie Kastner aus den Akten nachweist, erheblich zum Erlassdes Regulativs gegen die Kinderarbeit beitrug. Dass sich bislangniemand näher mit dem Engagement Bodelschwinghs, der sein

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Amt in Koblenz 1834 antrat, beschäftigt hat, ist nach Kastnerdarauf zurückzuführen, dass Historiker um seine nur mühsam zuentziffernden handschriftlichen Konzepte und Randbemerkun-gen lieber einen weiten Bogen gemacht haben.

Sehr verdienstvoll sind auch Kastners ausführliche Darstel-lung und Analyse der Kinderschutzdebatte im rheinischen Pro-vinziallandtag 1837, deren Verlauf bisher im Einzelnen nichtbekannt war. Ebenso aufmerksam verfolgt der Autor den weite-ren Gang der Verhandlungen in den Ministerien der preußischenRegierung. Das von ihm im Einzelnen vorgestellte Gesetz von1839 vergleicht er mit der englischen Kinderschutzgesetzgebungund kommt zu dem Schluss, dass das preußische Gesetz „wegender starken Betonung des schulischen Aspektes weiter als dasenglische reichte und fortschrittlicher war“ (S. 183). Der Autorbeschäftigt sich des weiteren mit dem Stand der entsprechendenGesetzgebung in anderen deutschen Staaten sowie in Frankreichund den Niederlanden.

Da bekanntlich mit der Verabschiedung von Gesetzen dieangestrebten Änderungen keinesfalls von selbst eintreten, gehtKastner der wichtigen Frage nach, wie das preußische Gesetz von1839 insbesondere in den rheinischen Regierungsbezirken umge-setzt wurde. Er konstatiert, dass sich das Gesetz schon nach weni-gen Jahren positiv auf die Durchsetzung der allgemeinen Schul-pflicht bei Kindern aus ärmeren Bevölkerungskreisen auswirkte.Vielleicht hätte er der zweifellos berechtigten Kritik bedeutenderzeitgenössischer Pädagogen wie Diesterweg und Kalisch, die sichin die Lage der in den amtlichen Berichten selbstredend nicht zuWort kommenden betroffenen Kinder sicherlich am ehesten ver-setzen konnten, etwas mehr Beachtung schenken sollen. Weil dieamtlichen Berichte aufgrund der schon bald von den Oberbehör-den erkannten ungenügenden polizeilichen Fabrik-Kontrollekein wirklich zuverlässiges Bild von der Einhaltung des Gesetzesvon 1839 geben und auch andere Defizite erkennbar werden,bezieht der Autor die Entstehung des preußischen Ergänzungsge-setzes von 1853 in seine Darstellung mit ein. Dabei analysiert erauch die Debatte des preußischen Landtags über den Gesetzent-wurf der Regierung. In dieser Beratung führen Befürworter undGegner des Gesetzes Argumente ins Feld, die angesichts dergegenwärtigen Kinderarbeit in unterentwickelten Ländern vonungebrochener Aktualität sind und dem Leser zudem bewusstmachen, dass nicht, wie geschichtsblinde Neoliberale neuerdingswieder glauben machen wollen, die Kräfte des Marktes, sondernnur der Staat und die Gesellschaft der Ausbeutung wirtschaftlichschwacher Gruppen durch Schutzgesetze entgegenwirken kön-nen.

Kastner hat eine umsichtig aus den Quellen erarbeitete Studievorgelegt, die am Beispiel der im industriellen SchwellenlandPreußen wirtschaftlich führenden Rheinprovinz mit großer Akri-bie das Phänomen der Fabrikarbeit von Kindern im frühen 19.Jahrhundert und die einzelnen Abschnitte des doch recht langenund vom Engagement bzw. Desinteresse einiger weniger Perso-nen gekennzeichneten Wegs zur Einschränkung der Kinderarbeitin Preußen beschreibt.

Troisdorf Johann Paul

Katalog der Leichenpredigten und sonstigerTrauerschriften in der OberlausitzischenBibliothek der Wissenschaften zu Görlitz.Bearb. von Rudolf Lenz, Gabriele Bosch, WernerHupe und Helga Petzoldt. Franz Steiner Verlag,Stuttgart 2004. Katalogteile I und II zus. 1000 S., Regis-terteil 690 S., kart. Alle Bände zus. 99,– C.(Marburger Personalschriften-Forschungen, Bd. 38.)

Mit den vorliegenden drei Bänden wird die bewährte Reihe derMarburger Personalschriften-Kataloge, die das Gebiet der Ober-lausitz betreffen, fortgesetzt. Zittau, Kamenz, Bautzen und Löbausind bereits von der Forschungsstelle für Personalschriften bear-beitet worden, auch die evangelische St. Peter und Paul Kirchge-meinde zu Görlitz wurde im Band 31 mit ihren 807 Leichenpre-digten und Gelegenheitsschriften erschlossen. Nach mehrjährigerArbeit konnte nunmehr mit 4 174 Katalogeinträgen für die Ober-

lausitzische Bibliothek der Wissenschaften zu Görlitz eine weitereForschungslücke geschlossen werden. Damit wird das bishererschienene unvollständige Funeralienverzeichnis von EberhardStange, publiziert in der Zeitschrift Ekkehard, MitteilungsblattDeutscher Genealogischer Abende 1927 bis 1930, durch ein vollstän-diges Kompendium ersetzt.

Die am 21. April 1779 in Görlitz von dem Juristen, Historikerund Sprachforscher Karl Gottlob von Anton (1751–1818) sowiedem Gelehrten und Naturwissenschaftler Adolf Traugott vonGersdorf (1744–1807) initiierte und von 20 namhaften Vertreterndes gebildeten Bürgertums und des aufgeklärten Adels gegrün-dete Oberlausitzische Gesellschaft zur Beförderung der Ge-schichts- und Naturkunde trug ab 1792 den Namen Oberlausitzi-sche Gesellschaft der Wissenschaften. Bereits in den Gründungs-statuten der Gesellschaft war die Anlegung einer Bibliothek ver-brieftes Ziel, denn jedes Mitglied sollte bei seinem Eintritt in dieGesellschaft „ein brauchbares Buch im Werthe eines Ducaten“bzw. von seinen Veröffentlichungen ein Pflichtexemplar überrei-chen. Heute verfügt die Oberlausitzische Bibliothek der Wissen-schaften über einen Bestand von ca. 120 000 Bänden. Davon gehö-ren etwa 40% dem historischen Bestand vor 1945 an. Zu diesemzählt auch die Milich’sche Stadt- und Gymnasialbibliothek, dieauf eine Stiftung des Schweidnitzer Juristen Johann GottliebMilich (1678–1726) zurückgeht. 1726 hinterließ er der Stadt Gör-litz seine private Sammlung von ca. 7000 Bänden und 200 Hand-schriften und verfügte testamentarisch, dass die Sammlungöffentlich zugänglich sein soll. Später wurden die Bestände derMilich’schen Bibliothek mit denen der Gymnasialbibliothek, wel-che bereits Bestände einer alten Klosterbibliothek beherbergte,vereinigt.

Aus diesen Provenienzen speist sich der Bestand von über4000 katalogisierten Trauerschriften, Leichenpredigten und ande-ren Ephemera, deren Schwerpunkt daher im mittel- und ostdeut-schen Raum, vor allem im oberlausitzischen und niederschlesi-schen Gebiet liegt und die Zeit von 1513 bis 1800 abdeckt. Alleindie 64 Einträge zur Familie von Gersdorf belegen diesen Sachver-halt. Empfehlenswert wäre es sicher noch gewesen, im Sinne derhistorischen Autopsie die Provenienz der 42 Leichenpredigtenund der 10 Gelegenheitsschriften, die der Milich'schen Bibliothekzuzurechnen sind, detailliert auszuweisen.

In bewährter Form, alphabetisch gegliedert nach den Geehrtenund ergänzt durch einen gewohnt ausführlichen Registerbandauf 690 Seiten mit Personen-, Orts- und Berufsregistern, mit Verle-ger- und Verfasserregister, werden die notwendigen Zusatzinfor-mationen in strukturierter Form aufbereitet. Besonders dankbarwird vom Fachpublikum das quellennahe Verarbeiten der Text-teile angenommen werden. Die jedem Katalogband beigegebeneausklappbare Erläuterung der verwendeten Siglen erleichtert dieinhaltliche Erfassung der Einträge.

Neben der Leichenpredigtensammlung der Zittauer Christian-Weise-Bibliothek (4 720 Einträge) ist dies der umfangreichsteBestand an personalschriftlichen Einträgen, den das Team umRudolf Lenz aufgearbeitet und somit der Forschung zur Verfü-gung gestellt hat. Dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung.

Leipzig Martina Wermes

Stefan Litt, Juden in Thüringen in der Frühen Neu-zeit (1520–1650). Böhlau Verlag Köln – Weimar –Wien 2003. 250 S., 13 Karten, geb. 29,90 C.(Veröffentlichungen der Historischen Kommission fürThüringen, Kleine Reihe, Bd. 11.)

Die vorliegende Arbeit beruht auf einer Dissertation, die 2001 vonder Hebräischen Universität Jerusalem angenommen wurde. Alsterritorialgeschichtliche Studie fügt sie sich in das internationaleForschungsprojekt Germania Judaica IV ein. Die Geschichte derJuden in der Neuzeit stellt, v. a. für Thüringen, ein Forschungsde-siderat dar.

Einer Einführung in das zu untersuchende Territorium, diegeographischen und historischen Grundlagen (einschließlich derSiedlungsgeschichte, des Straßennetzes, der Handelswege undder wirtschaftlichen Lage überhaupt), folgt ein Abriss zur Ge-

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schichte der Juden im Mittelalter, der das bisher Bekannte zusam-menfasst.

Das vierte Kapitel widmet der Autor den einzelnen jüdischenNiederlassungen, alphabetisch geordnet, unter Beachtung derZugehörigkeit zur jeweiligen Landesherrschaft. Akribisch führter die archivalischen Nachweise auf und schließt eine Interpreta-tion des siedlungsgeschichtlichen Befundes an. Hierbei unter-scheidet Litt fünf Perioden mit unterschiedlicher Dichte, an derenBeginn die jüdische Wiederbesiedlung Thüringens ab 1522 steht.Jüdische Präsenz lässt sich zunächst v. a. in Städten bzw. derenNähe, vielfach entlang der Handelsstraßen Zentralthüringens,z. T. aber auch im Süden, nachweisen. Es folgen mehr oder weni-ger stabile Siedlungsperioden, die meist durch Vertreibungen undAusweisungen durch die einzelnen Landesherren beendet wur-den, bis die jüdische Bevölkerung in die kleineren reichsritter-schaftlichen Orte im Südwesten des heutigen Freistaats abge-drängt wurde. Dort siedelten sich auch Juden an, die aus denHochstiften Würzburg und Bamberg vertrieben wurden. Aller-dings sind erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in größe-rer Zahl jüdische Haushalte in diesen kleinen Orten zu finden.Gerne wurden für die Ansiedlung auch Ortschaften in Gebietenmit geteilter Herrschaft und damit unklarer Rechtslage gewählt,um das Bleiben für eine gewisse Zeit zu sichern. Zahlreiche Dia-gramme illustrieren den Befund.

Im fünften Kapitel wird die rechtliche Stellung der Juden imterritorialpolitischen Gefüge behandelt, die gerade in Thüringenwesentlich durch die starke staatliche Zersplitterung bestimmtwird. Neben der Wirksamkeit und Durchsetzung kaiserlicherMandate bzw. der Reichspolizeiordnungen und Reichsabschiedewerden die Judenordnungen und Landesordnungen der ver-schiedenen Landesherren untersucht. Litt vergleicht die Schutz-briefpraxis in den einzelnen Territorien mit ihren verschiedenenModellen bzw. Konditionen und stellt sie in tabellarischer Formzusammen. Im Vergleich mit Niedersachsen kann er so konstatie-ren, dass die Niederlassung in Thüringen schon während des16. Jahrhunderts relativ klar geregelt war, während dort ein sehrallgemeiner Schutz ohne deutliche Konditionen galt. Es fehltallerdings die Untersuchung der Verhältnisse in den reichsritter-schaftlichen Gebieten. Diese wird durch die ungünstige Quellen-lage aber sehr erschwert. So ist z. B. für Berkach der älteste Schutz-brief im Archiv der Freiherrn von Stein in Völkershausen erst ausdem Jahre 1729 überliefert, der älteste Beleg für die Ansiedlungvon Juden datiert aber schon aus dem Jahre 1632.1

Darüber hinaus untersucht Litt den Zusammenhang von Ver-treibungen und reformatorischem Gedankengut. Er stellt fest,dass die Ausweisungen des 16. Jahrhunderts in Thüringen, wieauch in anderen protestantischen Territorien des Reiches, religiösbegründet wurden. Unterschiede gab es jedoch in der Härte ihrerDurchsetzung.

Im sechsten Kapitel gibt der Autor interessante Einblicke indas innerjüdische Leben. Aufgrund der unzureichenden Quellen-lage gestalten sich demographische Untersuchungen schwierig.Trotzdem wagt er es, am Beispiel dreier Familien des 16. Jahrhun-derts Rückschlüsse auf die Durchschnittsgröße von Familien zuziehen, während zum Durchschnittsalter keine Aussagen mög-lich sind.

Besser dokumentiert ist die wirtschaftliche Tätigkeit der jüdi-schen Bevölkerung, für die der Autor zahlreiche Beispiele bringenkann. Dies fängt bei den auf der sozialen Leiter recht hoch ange-siedelten Ärzten an, von denen einer selbst am Weimarer Hofetätig war, und reicht bis hin zu den verbreiteten Vieh- und sonsti-gen Händlern oder Geldverleihern. Das Bild entspricht dem derjüdischen Wirtschaftstätigkeit im Reich. Als Folge der Vertreibun-gen und der im Untersuchungszeitraum erfolgten Ansiedlung imdörflichen Bereich (siehe Kapitel 4) konstatiert Litt in wirtschaftli-cher Hinsicht einen Niedergang. Auch Migrationen und Kontaktezu Juden in anderen Territorien hat er aufspüren und ihnen nach-gehen können. Wenig ist zu erfahren über das innergemeindlicheLeben. Dies ist einerseits im Mangel an innerjüdischen Quellen

1 Franz Levi, 12 Gulden vom Judenschutzgeld…: Jüdisches Leben in Ber-kach und Südwestthüringen. München, Jena, 2001 (Veröffentlichungen derHistorischen Kommission für Thüringen, Große Reihe, Bd. 7).

bedingt, andererseits konnte sich aufgrund der Kleinheit so man-cher jüdischer Ansiedlung kein gemeindliches Leben bilden.

Auch die Lebensumstände jüdischer Frauen werden themati-siert. Deren Rolle im Haushalt unterschied sich nur wenig vonderjenigen ihrer christlichen Nachbarinnen. Im Witwenstandführten sie aber häufig die Geschäfte ihrer verstorbenen Männerweiter. Als Protagonistin erscheint Merle, die Ehefrau des reichenMichel von Derenburg, die wahrscheinlich die Tochter des Josephvon Schleusingen war. Ihre Tätigkeit verrichtete sie allerdings v. a.außerhalb Thüringens.

Zum Komplex des geistig-religiösen Lebens zählt der Autordie rabbinische Gerichtsbarkeit, Synagogen- und Friedhofskultursowie die Territorialorganisationen der Juden. Breiten Raumnimmt das Thema Konversion zum Christentum und derenGründe ein. Schließlich untersucht Litt noch die äußeren Ein-flüsse auf das innerjüdische Leben, wobei er insbesondere aufHumanismus und Reformation, ökonomische Entwicklungenund die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges eingeht.

Ein Kartenanhang und Register komplettieren den Band, mitdem sich der Autor als ausgezeichneter Bearbeiter dieser Materieausweist. Die Nutzung umfangreichen Quellenmaterials, v. a.ungedruckter Quellen aus zahlreichen staatlichen Archiven imIn- und Ausland, und der souveräne Umgang mit ihnen tragenzum Wert der vorzüglichen Studie bei.

Eisfeld Katharina Witter

Peter Marchal, Kultur- und Programmgeschichtedes öffentlich-rechtlichen Hörfunks in derBundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch.2 Bde. Bd. I: Grundlegung und Vorgeschichte. Bd. II:Von den 60er Jahren bis zur Gegenwart. kopaed Verlag,München 2004. 939 S., kart. Jeder Band 19,90 C.

Ist sie das nun endlich, die auf vielen, vielen Jahrestagungen des„Studienkreises Rundfunk und Geschichte“ und auch auf Früh-jahrstagungen der Fachgruppe der Medienarchivare vermisste,als dringendes Desiderat beschworene „Gesamtdarstellung derProgrammgeschichte des öffentlich-rechtlich und föderal verfass-ten Hörfunks in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 biszur Gegenwart“? Der Autor, Professor für Medienwissenschaftund -praxis an der Universität Siegen und einige Jahre auchRedakteur beim Südwestfunk in Baden-Baden, behauptet esjedenfalls im Vorwort zu seinem zweibändigen „Handbuch“, undman muss ihm konzedieren, dass es so etwas noch nicht gab, eineBefassung mit Hörfunkprogrammgeschichte über fast tausendSeiten hinweg unter nahezu allen Aspekten: politischen, kulturel-len, soziologischen, produktionstechnischen, typologischen,ästhetischen. Bei letzteren, den ästhetischen, ist allerdings eineEinschränkung zu machen. Man erfährt in dieser Geschichte vongesendeten Programmen so gut wie nichts über einzelne Sendun-gen, über ihre Autoren, ihre Aussage, ihre formale Struktur.

Marchal versucht in einem „Exkurs: Archivalien und Tondo-kumente als Grundlage programmgeschichtlicher Forschung“auf gerade mal elf Seiten zu erklären, warum er das nicht leistenkonnte: in die Rundfunkarchive zu steigen und mittels Autopsiearchivierter Tonträger und Schriftstücke zu belegen, was er mitseinem „sekundäranalytischen Verfahren“ jeweils herausgefun-den zu haben glaubt. Das heißt: Seine Programmgeschichte ist tat-sächlich ein „Handbuch“, ein Nachschlagewerk, eine Fundgrubevon Stellungnahmen, Kommentaren, publizierten Beobachtun-gen, Interviews mit Zeitzeugen und Programmverantwortlichenetc. Es ist allerdings, wie wenn jemand eine Literaturgeschichtelediglich als Rezeptionsgeschichte schreiben würde, ohne Lektüreder behandelten Werke und ohne Eingehen auf deren Autoren.

Marchal stellt im ersten Band ausführlich die Schwierigkeitendar, die bislang einer umfassenden Beschäftigung mit der Pro-grammgeschichte des öffentlich-rechtlichen Hörfunks im Wegestanden. Er wiederholt da, was Kahlenberg, Lerg, Lersch, Hicket-hier und andere dingfest gemacht haben an faktischen Problemenwie Materialfülle, besondere Komplexität des Forschungsgegen-standes oder „Zustand der Archive“, aber auch an methodologi-schen Defiziten der herkömmlichen Publizistikwissenschaft.Nicht zuletzt die Heterogenität der einzelnen Fachwissenschaf-

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ten, das Neben-, ja Gegeneinander kommunikationsgeschichtli-cher, literaturwissenschaftlicher, empirisch-sozialwissenschaftli-cher Konzepte, verbunden mit der jeweiligen fachspezifischenHerangehensweise, hätten da abgeschreckt. In der Tat musste sichdie fünfbändige, breit angelegte Darstellung „Rundfunk inDeutschland“, 1980 herausgegeben von SDR-Intendant HansBausch, innerhalb derer ein programmgeschichtlicher Teilgeplant war, am Ende auf das historisch-geisteswissenschaftlichErprobte beschränken: die Erzählung von Politik-, Institutions-,Technik- und Organisationsgeschichte. Das „Mehr“, das eine Pro-grammgeschichte erforderte, war (noch) nicht zu haben: „Wirhaben es mehrfach versucht, aber die Versuche sind gescheitert“(Bausch 1981).

Nun also der „sekundäranalytische“ Ansatz, unter Verzichtauf den „Einblick in die Archive“. Peter Marchal hat in einer lang-jährigen Fleißarbeit zusammengetragen, was er in allen erreichba-ren Publikationen zum Thema aufspüren konnte, einschließlichverstreut publizierter Programmbeobachtungen, Programmvor-schauen, partieller Programmanalysen wie auch Auswertungender Archivalien, sofern sie veröffentlicht wurden. Außerdem hater Oral History betrieben mit zahlreichen, offenbar auf Tonbandmitgeschnittenen und dann in unredigierten Auszügen wieder-gegebenen Gesprächen mit „ausgewählten Mitarbeitern desöffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Herausgekommen ist dabeieine Programmgeschichte vom Hörensagen, aus zweiter Hand,vor allem aber eine Kulturgeschichte, die Signifikantes aussagtüber 60 Jahre Rundfunkmachen und Rundfunkhören in unseremföderal verfassten Staat.

Der Hörfunk in der Bundesrepublik Deutschland ist nach sei-nen glorreichen Anfängen als Leitmedium bis in die frühen sech-ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts inzwischen zu einemStiefkind nicht nur der Medienforschung, sondern auch deröffentlichen Wahrnehmung geworden. Die nach zwischenzeitli-chem – nicht nur durch die Konkurrenz des Fernsehens verur-sachtem – Hörerschwund heute wieder statistisch beachtlichenHörerzahlen scheinen daran nichts geändert zu haben. Marchallegitimiert seine Forschungsarbeit deshalb ausdrücklich damit,„dem Hörfunk seine Unscheinbarkeit zu nehmen, seineGeschichte und Verdienste dem Vergessen zu entreißen, seineLeistung als kulturelle festzuhalten“. Nicht zuletzt geht es ihmum die Erarbeitung von Qualitätskriterien, auch im Vergleichzum kommerziellen Programm. Und so legt er seine Analyse aufdem Hintergrund der Programmgeschichte der Weimarer Zeitund des Dritten Reiches als Entwicklungsgeschichte an, durchauschronologisch, mit den Zäsuren und Paradigmenwechseln, wiesie fällig waren – nach der Entlassung aus der alliierten Kontrolle,der Blütezeit der 50er Jahre mit ihren anspruchsvollen Mischpro-grammen, der Existenzkrise in den Sechzigern (Stichworte: Fern-sehkonkurrenz, Geschmackswandel bei der U-Musik, „Luxem-burgisierung“, Abkehr vom „Heimradio“ zum mobilen Begleit-Hören), der mit einer Hörfunk-Renaissance einhergehenden Pro-grammvermehrung in den 70er und 80er Jahren (Orientierungnach von der Hörer-Forschung ausgemachten „Zielgruppen“,Diktat der Einschaltquoten und Diversifizierung in Massen- undMinderheitsprogramme, Service-Wellen, Regionalisierung,„Magazinierung“ und „Formatisierung“, Konvergenz mit denvon Kohl und Schwarz-Schilling durchgesetzten Privatsendern),der Einverleibung des DDR-Rundfunks nach der Wende und derSchaffung neuer „nationaler“ Programme (Deutschlandfunk undDeutschlandradio). Auch in der systematischen Darstellung derGrundlagen für die Programmarbeit bleibt das Handbuch nichtsschuldig: Programmauftrag, öffentlich-rechtlicher Anspruch,Vorbilder in England (BBC), Frankreich und USA, Parteienein-fluss, wachsende Dominanz der Industrietonträger, Finanzie-rung, Personal, Technik.

Der „fehlende Einblick in die Archive“ und damit in die Pri-märquellen wird dabei mehrmals zugegeben. Und deshalb nenntMarchal seine Analyse „vorläufig“, denn: „Tatsächliche Rund-funk- und Programmgeschichte spiegelt sich nicht nolens volensim Bewusstsein der Akteure wie auch in der Literatur über siewider.“ Und: „Wenn die Senderarchive eines Tages für die Wis-senschaft frei zugänglich sein sollten, könnte eine neue Genera-tion von Rundfunkhistorikern und verwandter Disziplinen mehr

Licht in die internen Willensbildungsprozesse bringen.“ Bleibt zufragen, ob Marchal nicht zu früh darin aufgegeben hat, seine „Ver-mutungen“ und Erkenntnis-Defizite „am Sendematerial selbst“zu überprüfen. So verschlossen sind die Archive der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten schon längst nicht mehr. Esstimmt ja nicht, dass keine „festgelegten Regeln“ für die Langzeit-Archivierung in den Rundfunkanstalten bekannt seien. Schon1974 wurden „Richtlinien für die Dokumentation von Ton- undBildträgern im Rundfunk“ vom „Kriterienausschuss“ der ARDvorgelegt, die im Zuge des Datenbankaufbaus dann in verschie-denen ARD-Regelwerken weiter entwickelt wurden. Und auchAngebote an die Wissenschaft zur Archivbenutzung gibt es, ähn-lich dem an die Siegener Forscher in Sachen Fernsehen. Da sindaußerdem die seit Jahren – zunächst landes-, dann bundesweit –durchgeführten Programm-Mitschnitte eines gesamten ausge-wählten Tages; es gibt Kooperationsverträge mit Staatsarchivenüber die Erschließung für die Landesgeschichte bedeutsamerHörfunkbestände; das Institut für Zeitgeschichte in München hatpolitische Kommentare der Nachkriegsjahre erschlossen; dasLiteraturarchiv in Marbach sammelt seit 1974 die literarisch undliteraturhistorisch wichtigen Sendemanuskripte der deutschenRundfunkanstalten und hat über ein eigenes Tonstudio entspre-chende Sendungen auch mitgeschnitten. Gewisse programmäs-thetische Erkenntnisse, beispielsweise, wären da schon zu gewin-nen.

Uelzen Eckhard Lange

Kathrin Pilger, Der Kölner Zentral-Dombauvereinim 19. Jahrhundert. Konstituierung des Bürgertumsdurch formale Organisation. SH-Verlag, Köln 2004. 330S., 13 Abb., geb. 38,– C.(Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur, Bd. 26.)

„Schelme des Domvereins“ hat Heinrich Heine die Mitgliedergleichnamiger Organisation 1844 genannt – doch „fruchtlos undeitel“ (S. 41) mag man die Bemühungen des Kölner Bürgertumsum den Weiterbau des Domes nach der Lektüre der über 300 Sei-ten starken Dissertation, die Kathrin Pilger unter der Betreuungvon Heinz Durchhardt an der Universität Münster verfasst hat,wahrhaft nicht mehr nennen. Innerhalb des Zeitraums von denAnfängen der Dombaubewegung im frühen 19. Jahrhundert biszur Vollendung des Kölner Domes 1880 geht die Autorin imWesentlichen auf der Basis der in der Dombauverwaltung aufbe-wahrten Vereinsüberlieferung, dem Vereinsorgan „Kölner Dom-blatt“ und den Ministerialakten im Geheimen Staatsarchiv Preu-ßischer Kulturbesitz der Frage nach, wie die Organisation desBürgertums im 19. Jahrhundert im Rahmen des Kölner Zentral-Dombauvereins funktionierte (S. 18–20). Damit sind zugleich ver-schiedene Aspekte der Konstituierung des Bürgertums insgesamtangesprochen.

Die Darstellung ist sinnvoll gegliedert. Die Einleitung führtkurzweilig und gut lesbar an den Gegenstand heran: Die Vereins-und Bürgertumsforschung wird vorgestellt, das Ziel der histori-schen Organisationsanalyse formuliert und die Quellen- und For-schungslage beschrieben (S. 11–25). Sodann stellt Pilger im erstenTeil die Debatte um den Dom vor der Wiederaufnahme der Bauar-beiten sowie erste Impulse zu einer Vereinsgründung und dieKonstituierung des Dombauvereins dar (S. 26–106). Die eigentli-che Organisationsanalyse behandelt im zweiten Teil das obersteVereinsziel (den Ausbau des Domes), den Aufbau der innerenOrganisationsstruktur und die Mitglieder des Zentral-Dombau-vereins (S. 107–175). Es schließen sich im dritten Teil Untersu-chungen zur finanziellen Sicherung und baulichen Ausführungdes Domes als unternehmerische Herausforderung an, zur Moti-vationskrise an der Basis und zu Versuchen einer führungsorien-tierten Neustrukturierung, sodann zur Entwicklung der Mit-gliedschaft zwischen 1850 und 1870/71 (S. 176–237). Im letztenTeil geht es um die Frage ob der Dom im Jahrzehnt seiner Vollen-dung als Bischofskirche oder Kaiserdenkmal anzusehen sei, fer-ner um einzelne Probleme der Vereinsstruktur sowie um die zwi-schen Katholiken und Nationalliberalen strittige Vorherrschaft imDombauverein (S. 238–297).

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Naturgemäß ist die Arbeit auf die Vereinsgeschichte und dassichtbare Handeln von Individuen ausgerichtet. So traten geradebei der Vereinsgründung einzelne Personen als Vordenker durchIdeen und Denkschriften hervor (Johann Vincenz Joseph Bracht,August Reichensperger, Bernhard von Gerolt) oder setzten sich inder Organisation der Vereinsgründung taktisch durch (Heinrichvon Wittgenstein, Eberhard von Groote). Diesen Befund wertetPilger dahingehend, dass „schon an diesem frühen Punkt der Ver-einsgeschichte ein deutlicher Vergesellschaftungsprozess derneuen bürgerlichen Sozialformationen ... aus Vertretern des Bil-dungsbürgertums und des aufstrebenden Wirtschaftsbürger-tums“ (S. 73) stattfand. Zudem strebte das Bürgertum bereits zudiesem Zeitpunkt danach, ultramontane und liberaldemokrati-sche Tendenzen aus dem Verein auszuschließen, womit nicht nurdie soziale, sondern auch die politische und kulturelle Konstituie-rung des neuen Bürgertums gefördert wurde (S. 78–83, S. 105).Auch die Vorgänge an der Vereinsspitze, so z. B. die Kontinuität inder Führung unter der Präsidentschaft Ferdinand Essers(1849–1871, S. 225) verfestigte die Position einer städtischen Elite.Die Auseinandersetzungen zwischen den Katholiken und demnationalliberalen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum währenddes Kulturkampfes diente dem Zusammenhalt eines „rechtslibe-ralen, kaiser- und regierungstreuen Bürgertums“ (S. 274), mithinder weiteren politischen Konstituierung dieses Bürgertums. Mitsolchen Ergebnissen geht die Autorin weit über die reine Schilde-rung der Geschichte des Dombauvereins hinaus.

Besonderes Augenmerk verdient auch die über den Untersu-chungszeitraum angefertigte Mitgliederanalyse, in der die sozialeZusammensetzung der Spitzengremien und der einfachen Mit-glieder in den Blick genommen und durch Tabellen im Anhangerläutert werden. Dabei zeigt sich, dass der Zentral-Dombauver-ein ein fast ausschließlich bürgerlicher Verein war, in dem derAdel und städtische Unterschichten fehlten. Den Vorstand domi-nierte schon 1842 das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum(beamtete Intelligenz, Kaufleute, Großbürger und das traditio-nelle Stadtbürgertum), dessen Anteil im 19. Jahrhundert jedochschwankte. So ging der Anteil des Wirtschaftsbürgertums im Vor-stand gegenüber den Bildungsbürgern in den Jahren der Revolu-tion zurück, stieg jedoch bis 1880 wieder an. Die Vereinsbasis bliebhingegen kleinbürgerlich, zwischen 1871 und 1880 aber überwie-gend wirtschaftsbürgerlich (S. 94 f., 142, 221 f., 265 f.).

Die Dissertation von Kathrin Pilger bietet erstmals eine wissen-schaftlich fundierte Darstellung der Geschichte des Zentral-Dom-bauvereins. Darüber hinaus leistet die Arbeit einen gewichtigenBeitrag zur Kölner Stadtgeschichte, wobei sie sich vielfach einerpersonengeschichtlichen Vorgehensweise bedient, wenn bei-spielsweise die personelle Zusammensetzung der Vereinsführungund deren Vernetzung zu anderen politischen und kulturellenGremien der Domstadt erörtert werden. Schließlich zeigt KathrinPilger eindrucksvoll, dass die Untersuchung eines einzelnen bür-gerlichen Vereins wertvolle Ergebnisse für die Bürgertumsfor-schung insgesamt zu erbringen vermag – auch wenn man diesenAnsatz für problematisch halten mag. Sie weist nach, dass bis zurRevolution demokratische Tendenzen im Zentraldombauvereindurch bürgerlich-liberale verdrängt wurden, eine bürgerliche Eliteaus Bildungs- und Wirtschaftsbürgern sich im Verlauf des 19. Jahr-hunderts im Verein durchsetzte, was schließlich in der Dominanzdes Wirtschaftsbürgertums gipfelte. Über die Fragen von Politik,Wirtschaft und Kultur in Bezug auf den Dombau (S. 202, 206 f.) bil-dete sich ein bürgerliches Klassenmerkmal gegenüber dem Adelund anderen städtischen Schichten heraus: exklusiv, aber mit demVerein als Schaltstelle zur Gestaltung der Gesellschaft.

Insgesamt ist der Autorin eine sorgfältig recherchierte, gut les-bare und facettenreiche Arbeit über den Kölner Zentral-Dombau-verein gelungen.

Köln Gabriele Oepen-Domschky

Regesten der Reichsstadt Aachen (einschließlichdes Aachener Reiches und der ReichsabteiBurtscheid). 5. Band: 1381–1395. Bearbeitet von Tho-mas R. Kraus. Droste Verlag, Düsseldorf 2005. XXXIX,527 S. 50,– C.

Bereits drei Jahre nach dem 4. Band der Aachener Regesten legtder Bearbeiter einen weiteren umfangreichen Band, den 5. desgesamten Unternehmens, vor. Er liefert stattliche 787 teilsumfangreichere, teils kürzere Regesten, die eine imposante Leis-tung darstellen, zu der man nur gratulieren kann. Die Bearbei-tungsgrundsätze sind im Wesentlichen beibehalten worden undrichten sich nach den in den vorangegangenen Bänden beobach-teten und bewährten Grundsätzen, lediglich Zitate der Vorlagensind großzügiger beigefügt. Das mag den Lesefluss der Regestengelegentlich stören, wird aber von jedem, der sich intensiver mitden zugrunde liegenden Urkunden beschäftigen will, dankbarentgegengenommen werden. Wie schon die beiden vorangegan-genen bietet auch der vorliegende Regestenband eine Fülle vonAnregungen zu weiteren Untersuchungen in sozial-, verfassungs-oder wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht. Auch der regional oderlokal interessierte Historiker oder Laie wird in den RegestenAnregungen vielfältiger Art finden. Das gilt ebenfalls für denüberregional forschenden Historiker. Man kann in einer kurzenRezension gar nicht alle Aspekte, für die eine solche Quellenbear-beitung mit Gewinn heranzuziehen ist, aufzählen. Das liegt auchan der Vielfalt der bearbeiteten Quellen selbst, die eben nicht nureine Seite des damaligen Lebens, sondern mehrere beleuchtenoder auf sie ein Schlaglicht werfen können. Wenn man überhauptleise Kritik anmelden darf, so in wenigen Fällen. In Nr. 241 wirdals Überlieferung einer Kölner Urkunde nur eine Abschrift inAachen erwähnt. Es gab aber eine Kölner Überlieferung, die wohlbesser als die Aachener ist. Das Stück findet sich auch als Regestbei B. Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Ver-kehrs im Mittelalter, Bd. 1 (Publikationen der Gesellschaft für Rheini-sche Geschichtskunde 33), Bonn 1923, Nr. 221. In Nr. 245 handelte essich um Bürgen nicht um Bürger, die zum Einlager verpflichtetwurden. In Nr. 251 hat der Bearbeiter Johann „Verluys, der gruys-ser“ mit „Fermentierer“ übertragen. Das mag hingehen. Gemeintist aber doch derjenige, der die Grut, den Zusatzstoff zum Halt-barmachen des Grutbiers, herstellte. Als Nr. 531 gibt der Bearbei-ter ein Regest einer angeblichen Urkunde von 1392 wieder, dienur aus einem Druck bekannt sei. Der dort angegebene Gewährs-mann Quix hat aber das Datum verlesen, indem er einen Hunder-ter zuviel angab. Die Urkunde gehört also in das Jahr 1292 undpasst dann auch zu den Amtsdaten des genannten kurländischenBischofs Edmund von Werth, der im Jahr 1292, nachdem er zuvornach Livland gegangen war, in das Rheinland zurückkehrte undBurtscheid einen Ablass verlieh; vgl. Udo Arnold, Edmund vonWerth, priester van de Duitse Orde en bisschop van Koerland, in:Bijdragen tot de geschiedenis van de Duitse Orde in de balije Bie-sen 1, Bilzen 1994, S. 198. Dort auch der Hinweis auf U. Berlière,Les évêques auxiliaires de Liège, Bruges-Paris 1919, S. 30, der aufden Datierungsfehler hingewiesen hat. Die Urkunde selbst mitdem korrekten Datum ist als Regest von Wilhelm Mummenhoff,Regesten der Reichsstadt Aachen, Bd. 1 (Publikationen der Gesell-schaft für Rheinische Geschichtskunde 47), Bonn 1961, Nr. 505 publi-ziert. Dort findet sich auch die Fundstelle im HauptstaatsarchivDüsseldorf im Bestand Burtscheid Nr. 121. Quix hatte also keinebislang unbekannte Quelle, sondern, wie wohl feststehen dürfte,nur ein falsches Datum angegeben. Das Regest ist also zu strei-chen. Wenn man sich die vielen insgesamt korrekt regestiertenStücke vor Augen hält und in Erinnerung ruft, bleiben die kleinenVersehen, die immer einmal unterlaufen können, unbedeutend.

Köln Klaus Militzer

Rheingold. Menschen und Mentalitäten imRheinland. Eine Landeskunde. Hrsg. von JörgEngelbrecht, Norbert Kühn, Georg Mölich, ThomasOtten und Karl Peter Wiemer im Auftrag des Rheini-schen Vereins für Denkmalpflege und Landschafts-schutz. Böhlau Verlag, Köln – Weimar – Wien 2003. 320S. mit zahlr., z. T. farb. Abb., geb. 24,90 C.

Wenn die landestypischen Spezifika der Kultur verschwinden,wenn lokaltypische Speisen ins Kuriositätenkabinett wandernund die letzten Reste der Regionalsprachen Auflösungserschei-nungen zeigen, dann ist raumgebundene Identität bedroht, alsoHeimat – ein Gefühl, das im Rheinland weit verbreitet ist und

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ernst genommen werden muss, denn wessen Heimat ihr Profilverliert, der kann kein selbstbewusster Europäer sein. Diese Ideemag bei der Konzeption vorliegender Publikation Pate gestandenhaben, denn die Herausgeber haben es sich zum Ziel gesetzt, „soetwas wie eine ‚Archäologie' des Rheinlands und der Rheinländerzu betreiben“. „Die Autoren“, so ist in der Einleitung zu lesen,„bemühen sich, die Tiefenschichten ihrer Themen freizulegenund hinter den Strukturen und Ereignissen die Mentalität desRheinländers erkennbar werden zu lassen“ (S. 1).

Erkennt, wer die sieben Beiträge der profilierten Rheinland-Forscher liest, dass das ambitionierte Ziel erreicht wurde? DenReigen eröffnet Jörg Engelbrecht mit zwei Aufsätzen („DasRheinland und die Rheinländer“, S. 3–49; „Der Rhein“, S. 51–79).Engelbrecht analysiert den diffusen und eher hinsichtlich derpolitischen Entwicklung als geografisch oder kulturräumlich zufassenden Rheinlandbegriff und stellt eine Reihe von signifikan-ten Kulturmustern heraus, welche viele der Rheinland-Bewohnerteilen. Dazu gehören vor allem wirtschaftliche Innovationsfreu-digkeit und eine prinzipielle Offenheit gegenüber Fremden undFremdem. Die ausgeprägte Bürgerlichkeit, die Engelbrecht fest-zustellen glaubt, hätte ich mir weniger vor dem Hintergrund desfrühmodernen Vereinslebens verortet gewünscht, das in hohemMaße handwerklich-zünftische Traditionen fortführte, als eherunter Einbeziehung neuerer Forschungen zur Genese der bürger-lichen Gesellschaft. Der Aufsatz über den Rhein und seine Wahr-nehmung von der Antike bis zur Gegenwart, der unverständli-cherweise und wohl versehentlich ganz ohne Literaturangabenauskommen muss, diskutiert die kulturelle Deutung des Flussesoriginell und gekonnt; gleichsam vom Strom aus lässt er denLeser über die Rheinlande schauen und eine konzentrierte, inno-vative, im 19. Jahrhundert romantisch verklärte und dann starkindustriell überformte Rheinlandschaft erleben. Beide AufsätzeEngelbrechts sind geist- und materialreich geschrieben. Aller-dings fallen Unschärfen auf: begrifflich, wenn es etwa um„Brauchtum“ oder „Romantik“ geht, inhaltlich, wenn es heißt,der Rhein sei neben der Donau der wasserreichste Fluss Europas(S. 53); denn dies ist die Wolga. Zudem fällt auf, dass vermeintlichtraditionelles Leben am Rhein recht romantisierend gesehenwird, z. B., wenn es um den Karneval geht.

„Wirtschaftsraum nördliches Rheinland“ ist der Beitrag HeinzGünter Steinbergs (S. 81–108) überschrieben. Der deskriptiveÜberblick hält, was der Titel verspricht: solide, von naturräumli-cher Gliederung bis zu Landwirtschaft und Industrie, mit einemSchwerpunkt auf dem 19. und vor allem auf dem 20. Jahrhundert.Da einige Angaben bis ins späte 20. Jahrhundert reichen, mag esaber manchen Leser verwirren, wenn etwa im Präsens von derstarken Stellung der Textil- und Eisenindustrie im Gummersba-cher Raum die Rede ist – beide sind weitgehend abgewandert.Dennoch: Steinbergs Beitrag ist für den Band unbedingt notwen-dig, er ist klar gegliedert und faktenreich; ohne genau dieseGrundinformationen ist jede Diskussion über Mentalitäten sinn-los.

Bernd-A. Rusinek nimmt sich in seinem Beitrag der rheini-schen Institutionen an (S. 109–146). Darunter versteht er zunächst„für das Rheinland spezifische Institutionen“. Dazu gehört aberauch „ein bestimmter Stil in Institutionen“ (S. 114). Letztlich gehtes um Stereotypenbildungen und die Interpretation von Stereoty-pen, so dass kaum messbar Rheinisches bleibe. Institutionen wieder Kölner Dom oder die Bonner Universität und eine letztlichauch erklärbare Lockerheit im Umgang mit Obrigkeiten – das spe-zifisch Rheinische gibt es aber trotzdem, fühlbar, aber nicht mess-bar. Ein lesenswerter Aufsatz, eine gute Diskussionsgrundlage,denn Rusinek bleibt allen Vorurteilen gegenüber zu Recht kri-tisch, auch wenn der rheinische Leser ebenso zu Recht mit ihnensympathisieren mag.

Ernster wird es im folgenden Aufsatz mit Walter RummelsText über die „Frömmigkeit im Rheinland“ seit der Spätantike(S. 147–234), wobei Rummels Koblenzer Perspektive mit einerausschließlich katholischen Perspektive deckungsgleich ist. Ausder Sicht des Kulturwissenschaftlers, der sich auch mit der reli-giösen Volkskunde zu beschäftigen hat, ist der Begriff „Frömmig-keit“ nicht ganz glücklich gewählt; zudem wird er im Text über-strapaziert. Abgesehen davon haben wir es mit einer Darstellung

katholischen Lebens im Rheinland zu tun, welche die Sicht derGläubigen ins Zentrum rückt und die der Kirche dennoch hinrei-chend berücksichtigt – ein origineller und von seiner Perspektiveher absolut überfälliger Text.

„Mythen und Symbole am Rhein“ lautet der Titel des Aufsat-zes von Georg Mölich (S. 235–246). Der knappe Text macht diekomplexe Konstruktion eines Rheinlandbildes, dessen Geneseeng mit der Romantik des frühen 19. Jahrhunderts verzahnt ist,erstaunlich transparent und bringt das Ergebnis dieses Prozessesauf die griffige und treffende Formel von einer „konstruierte[n]‚Bewusstseinsregion‘ Rheinland“ (S. 245).

Abgeschlossen wird der Band von Wolfgang HerbornsGeschichte der „Städte am Rhein“ (S. 247–306), worunter er vorallem die Städte innerhalb der preußischen Rheinprovinz ver-steht. Auch wer die enorme Flut an Literatur zur rheinischenStadtgeschichte seit der Antike nicht überblickt, bekommt hiereine gelungene Gesamtschau der Entwicklung des rheinischenStädtewesens unter Einbeziehung unterschiedlicher Stadttypensowie politischer und geografischer wie wirtschaftlicher undkirchlicher Aspekte geliefert. Genauso wenig wie es letztlich einemessbare rheinische Mentalität gab oder gibt, existiert ein spezi-fisch rheinischer Städtetyp. Es ist eben eine vielfältige Städteland-schaft, die dem rheinischen Raum den charakteristischen Stempeleiner früh ausgeprägten Urbanität aufdrückte.

Was bleibt als Fazit? Eine komplette „Archäologie“, wie dieEinleitung kokett ankündigt, ist es natürlich nicht geworden.Aber in Zeiten von Mikrostudien und Spezialuntersuchungen, inderen Dschungel sich nur noch wenige Experten zu orientierenvermögen, nehmen wir dankbar ein Lese- und Schmökerbuch zurHand, welches dann tatsächlich Tiefenschichten freilegt, kontro-verse Themen mutig anpackt und leichtfüßig erklärt, ohne zu ver-allgemeinern, und das sich der Problematik des Mentalitätsbe-griffs trotzdem stets bewusst ist. Ein wenig störend für den Lese-fluss sind gelegentliche Interpunktionsfehler, welche die Redak-tion verursacht haben dürfte. Wunderbar sind die vielen Abbil-dungen, die wiederum genauere Unterschriften hätten tragendürfen. Aus der Sicht des Rezensenten ist ferner zu mokieren,dass Sprachgeschichte und Volkskunde unbedingt hätten einge-bunden werden sollen. Wer „Rheingold“ als Ausgangspunkt fürweitere Forschungen zu nutzen beabsichtigt, könnte mittels kar-tografischer Methoden, wie dies der „Geschichtliche Atlas derRheinlande“ erfolgreich praktiziert und wie es der „Atlas derdeutschen Volkskunde“ seit den 1920er Jahren auch angestoßenhat, vieles im Bereich der materiellen Kultur wie spezifischeHandlungsmuster im Rahmen komplexer Brauchhandlungenbenennen und sichtbar machen, was rheinische Alltagskulturmessbar von der ihrer Nachbarlandschaften abgrenzt. Letztlichliegt mit „Rheingold“ aber eine ebenso gelungene wie innovativeund originelle Mischung vor, die nicht nur den wissenschaftli-chen Diskurs bereichert, sondern die darüber hinaus völlig zuRecht auf Dauer zum beliebten Geschenk für alte und neue Rhein-länder werden dürfte.

Bonn Gunther Hirschfelder

Der Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung1923. Hrsg. von Gerd Krumeich und Joachim Schrö-der. Klartext Verlag, Essen 2004. 363 S., 70 Abb., geb.24,90 C.(Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichteund zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 69.)

Hervorgegangen aus einer interdisziplinären Tagung, die 2003 imEssener Ruhrlandmuseum stattgefunden hat, versteht sich dieserSammelband mit Beiträgen belgischer, französischer und deut-scher Historiker und Kulturwissenschaftler als Versuch, eine neuePerspektive auf die Geschehnisse des Jahres 1923 zu entwerfen.Die Ruhrbesetzung und die Reaktionen der Deutschen werdeneindeutig in der Perspektive des Ersten Weltkrieges gesehen – dieRuhrbesetzung wird als „Krieg im Frieden“ (eine zeitgenössischeFormulierung von Erik Reger) verstanden, in der der Erste Welt-krieg im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung nun im eigenenLand fortgesetzt wurde. In seinem einleitenden Aufsatz „Der‚Ruhrkampf‘ als Krieg“ betont Gerd Krumeich, dass die Formen

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der Besetzung 1923 „eine Art fortführende Wiederholung“ (S. 9)der Kriegsbesetzung Belgiens und Frankreichs zwischen1914 und1918 gewesen seien und dass dieser „nachgespielte Krieg“ für dieBesatzer die „Möglichkeit darstellte, Deutschland endlich auchden wirklichen Krieg spüren zu lassen – und sich selber vomTrauma der deutschen Kriegsbesetzung zu befreien“ (S. 20).Christoph Cornelißen beschreibt überzeugend die Entwicklungder Historiografie der Ruhrbesetzung in den Generationsbezü-gen der „ruhrkämpfenden Historiker“ (z. B. die zentrale FigurPaul Wentzcke) oder der Kriegsjugendgeneration und charakteri-siert dann die Phasen der Ruhrkrisen-Historiografie, wobei Cor-nelißen besonders die methodisch durchaus innovativen Ansätzev. a. bei Wentzcke herausarbeitet (Erarbeitung der „Quellen vonunten her“, Rückgriff auf die mündliche Überlieferung), die dazuführen, dass z. B. der Besatzungsalltag an der Ruhr durchaus imBlickwinkel der Darstellungen lag. Ebenfalls noch in dem erstenTeil „Die Ruhrbesetzung als historischer Ort“ findet sich ein Auf-satz von Gertrude Cepl-Kaufmann über die Rolle der Schrift-steller im Spannungsfeld der Politik der frühen 1920er Jahre, wodeutlich wird, dass die Autoren nur sehr begrenzt auf die sichüberschlagenden Ereignisse des Krisenjahres 1923 reagierten,vielmehr stärker in langfristigen Diskurszusammenhängen überdie „Erinnerungslandschaft Rhein“ verfangen blieben, bis dannim „Mythos vom Märtyrer“ (festgemacht am heroisierten TodAlbert Leo Schlageters) ein neues Denk- und Gestaltungsmodellum sich greifen konnte.

Unter dem Oberbegriff „Absichten und Wahrnehmung“ wer-den die westlichen Perzeptionsebenen der Ruhrbesetzung behan-delt. Georges-Henri Soutou analysiert die Absichten und Pla-nungen der französischen Regierung und kann dabei zeigen, dasses bei Poincaré durchaus eine klare Option hin auf das Ende desReiches als Einheitsstaat gegeben hat. Ein Prozess des Umden-kens setzt nach Soutou erst nach dem Hitler-Putsch im November1923 ein, als die Verteidigung der Demokratie in Deutschland alsbeste Sicherheitsgarantie für Frankreich angesehen wurde – waseinherging mit einer französischen Politik, die auch in Kategoriender Weiterexistenz des Reiches dachte. Anna-Monika Lauterbeschreibt die öffentliche Meinung in Frankreich im Vorfeld derRuhrbesetzung und zeigt, dass es dort praktisch keine Differen-zierung zwischen der Nachkriegsbesetzung des Rheinlandes undder Ruhrbesetzung gegeben habe – die Ruhrbesetzung wurde nurals berechtigte Erweiterung des Besatzungsraumes wahrgenom-men. Laurence van Ypersele behandelt die schwierige Situationder belgischen Politik in der Phase der Ruhrbesetzung: Einerseitsals „Vasall“ Frankreichs angesehen zu werden, anderseits zu ver-suchen, die französische Politik der dauerhaften Besetzung deswestlichen Deutschlands mit der Perspektive einer vom Reichunabhängigen Staatsgründung zu konterkarieren. Die Autorinwertet v. a. eine größere Zahl von belgischen Pressekarikaturenaus, die zeigen, wie omnipräsent die Erinnerung an den ErstenWeltkrieg war und wie stark in dieser Phase in der öffentlichenWahrnehmung das Bemühen war, die „Verschiedenheit derStandpunkte zu verwischen“, welche es zwischen Belgien undFrankreich gab (S. 118). Gilbert Merlio untersucht die Wahrneh-mung des Ruhrkampfes bei französischen Intellektuellen undkonstatiert dabei eine allgemeine Unterstützung der Politik Poin-carés in der öffentlichen Meinung, wobei es erhebliche Unter-schiede in der Bewertung der zukünftigen Entwicklungsperspek-tiven gab. Vielen französischen Intellektuellen erscheint dabei die„Idee eines autonomen Rheinlandes“ als die richtige Lösung(S. 130).

Unter der Überschrift „Aktion und Reaktion“ werden vier eherdisparate Einzelstudien zusammengefasst. Christian Klein-schmidt analysiert die aktiven Strategien der deutschen Unter-nehmer während und nach der „Ruhrkrise“ und kann dabei zei-gen, dass diese Phase als „Chance grundsätzlicher, inner- wieaußerbetrieblicher ökonomischer Klärungsprozesse“ genutztwurde (S. 135). So konnten im Bereich der Modernisierung derBetriebsanlagen beispielsweise im Bergbau und in der Eisen- undStahlindustrie Ersatzleistungen des Reiches quasi als Subventio-nen genutzt werden, um im Bereich der Energie- und Wärmewirt-schaft erhebliche betriebswirtschaftliche Einsparungen umzuset-zen. Nach dem Ende des passiven Widerstandes gelang es den

Arbeitgebern zudem, den Achtstundentag, das „Kernstück dersozialen Errungenschaften der direkten Nachkriegszeit“ (S. 142),durch erhebliche Arbeitszeitverlängerungen auszuhebeln. ConanFischers Beitrag, der einem Kapitel seiner Monographie „TheRuhr Crisis“ (2003) entspricht, behandelt soziale Verwerfungenim Ruhrkampf am Beispiel der problematischen Lebensmittelver-sorgung, die zum politischen Zankapfel wurde, und an der „Kin-derlandverschickung“ aus dem Ruhrgebiet, die eine Gesamtzahlvon weit über 300.000 evakuierten Kindern betraf. Weitere Bei-träge behandeln die gescheiterten Versuche deutscher und fran-zösischer Kommunisten, den Widerstand gegen die Ruhrbeset-zung zu organisieren (Joachim Schröder), und das Verhältnis derSowjetunion zum „Ruhrkampf“ am Beispiel der schillerndenFigur von Karl Radek, der Mitglied des Führungszirkels der Rus-sischen Kommunistischen Partei war (Hans Hecker).

Der Abschnitt „Gewalt“ wird eingeleitet durch eine Darstel-lung der Übergriffe der französischen Besatzungsmacht und derdazu vorgetragenen deutschen Beschwerden durch StanislasJeannesson, der sich auf schwere Delikte beschränkt und diesenach deutschen und französischen Quellen quantifizierend aus-wertet. Es wird dabei deutlich, dass die Zahlen zwar z. T. erheb-lich voneinander abweichen, dass es aber dennoch um überschau-bare Größenordnungen ging (z. B. Verletzte durch Schusswaffenoder Bajonette 1923: 110 [dt. Quellen] bzw. 72 [frz. Quellen]),wenn man bedenkt, dass im Besatzungsgebiet etwa 60.000 Solda-ten stationiert waren. Die Instrumentalisierung durch die deut-sche Propaganda sorgte dafür, dass die Übergriffe „im kollektivenGedächtnis sorgfältig bewahrt wurden“ (S. 224). Gewalt aus derPerspektive der Deutschen behandelt Gerd Krüger in einem Bei-trag, der zunächst gewalttätige Aktionen gegen die Besatzungs-truppen auf quasi-staatlicher Ebene beschreibt (v. a. durch die inMünster angesiedelte Befehlsstelle „Zentrale Nord“, die „dezi-diert mit Vorbereitung und Führung eines Guerillakrieges betrautworden“ war [238]), dann die Gewaltmaßnahmen gegen „Verrä-ter und Separatisten“ und die Gewalt im passiven Widerstandgegen Deutsche darlegt, bevor abschließend die Gewalt gegen„Franzosenfreunde“ und „Franzosenliebchen“ behandelt wird,die durchaus als halblegitimierte Selbstjustiz angesehen werdenkann. In Frankreich wurde das Begräbnis des im März 1933 inBuer erschossenen Leutnants Pierre-Marie Colpin zu einer Insze-nierung der „Union sacrée“ genutzt, die Annette Becker-Dero-eux beschreibt, während Klaus Wisotzky in einer luziden Ana-lyse die Ereignisse um den „blutigen Karsamstag“ 1923 bei Kruppin Essen beleuchtet und Angelika Schnorrenberg den Düssel-dorfer „Blutsonntag“ (30. 9. 1923) behandelt, bei dem nach demoffiziellen Ende des passiven Widerstandes Separatistenverbändeund Schutzpolizei unter Duldung der Besatzungsmacht blutigaufeinander trafen.

Abschließend bilanziert Hans Mommsen die politischen Fol-gen der Ruhrbesetzung, wobei er konstatiert, dass in übergreifen-den historischen Darstellungen die Rolle der Ruhrbesetzung „fastvollständig hinter die Analyse der Auswirkungen der deutschenInflation zurückgetreten“ sei. Diskussionswürdig vor allem vordem Hintergrund der Forschungsergebnisse z. B. von Gerd Krü-ger ist sicher Mommsens Einschätzung, dass die Ruhrkrise nichtzu einer „nennenswerten Ausweitung rechtsextremer oder völki-scher Strömungen“ in Deutschland geführt habe (S. 310). WilfriedLoth beschreibt dann zeitlich weit ausgreifend die strategischeRolle der Ruhr (und des Ruhrgebietes) als Problem für die Nach-barn Deutschlands in der europäischen Politik des 20. Jahrhun-derts und plädiert dann dafür, die Region „Ruhr“ als europäi-schen Erinnerungsort wahrzunehmen.

Der Band enthält – neben den Abbildungen in den Beiträgen –auf gut 30 Seiten interessante „Bilddokumente zur Ruhrbesetzung“(v. a. Flugblätter und Karikaturen), die zum weit überwiegendenTeil aus der Sammlung des Düsseldorfer Stadtarchivs stammenund die die unterschiedlichen propagandistischen Perspektivenbeleuchten. Leider sind die Dokumente nicht kommentiert undauch nicht durch Verweise auf die Beiträge erschlossen (z. B. wirdS. 209 auf die spektakuläre Durchsuchung der IHK Bochum unddie Bildpropaganda verwiesen; S. 347 findet sich das entspre-chende Dokument abgedruckt!). Insgesamt ist der Sammelband,der leider auf ein Register verzichtet, ein weitere Forschungen

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anregendes eindrucksvolles Kompendium von neuen Sichtwei-sen und Interpretationen zu einem dramatischen Abschnitt derdeutschen und europäischen Geschichte.

Köln Georg Mölich

Spuren menschlichen Wollens, Handelns undErleidens. Katalog zur Ständigen Ausstellung desHauptstaatsarchivs Stuttgart. Bearb. von Robert Kretz-schmar. Stuttgart 2004. 94 S., zahlr. Abb., kart. 12,– C.

Über die Möglichkeiten und Grenzen der Präsentation von Archi-valien in Ausstellungen ist in den letzten Jahren viel diskutiertund geschrieben worden. Manch eine Archivalienausstellung, inderen Mittelpunkt die Präsentation von Zimelien stand, hatinzwischen ihr Aussehen geändert. Didaktische und methodischeÜberlegungen werden verstärkt in die Ausstellungskonzeptioneinbezogen. Auch im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, einer Abtei-lung des Landesarchivs Baden-Württemberg, ist unter der Lei-tung von Robert Kretzschmar eine völlige Neubearbeitung derseit den frühen siebziger Jahren bestehenden Dauerausstellung,die einen Einblick in die Bestände des Archivs gewährte, vorge-nommen worden, dessen Ergebnis auch in einem sehr anschau-lich gestalteten Katalog vorliegt.

Mit dem Titel von Ausstellung und Katalog greift Kretzschmarauf eine Formulierung zurück, die in den letzten Jahren häufig inden Diskussionen zu Bewertungsfragen gefallen ist und die „denCharakter des nutzbaren Archivguts besonders zutreffendbeschreibt.“ (S. 7) Er weist sowohl auf die Subjektivität des über-lieferten, in Archiven aufbewahrten Materials hin als auch auf dasperspektivengebundene Verstehen dieses Materials durch dieNachwelt. Der Titel erklärt ferner, dass es sich bei dem überliefer-ten Material um „Spuren“, um Teile des Ganzen handelt, mitdenen der Benutzer in einen „Dialog“ (S. 7) treten kann und soll.Der „Dialog“ scheint überhaupt das Schlüsselwort dieser Ausstel-lung zu sein, denn dem interessierten Betrachter werden vieleAngebote gemacht, über deren Nutzung er ständig neu entschei-den kann.

Zielgruppe der Ausstellung ist vor allem das breite Publikumohne besondere historische oder archivische Fachkenntnisse. Demderart heterogenen Adressatenkreis entspricht die Mehrdimensio-nalität der Ausstellung. Grundlage bilden 91 Exponate mitbewusst kurz gehaltenen Erläuterungen, die nicht nur einen Über-blick über die Vielzahl archivalischer Quellenarten geben, sondernauch einen Einblick in die baden-württembergische Geschichtevom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart ermöglichen.

Auf einer farblich und gestalterisch abgegrenzten Ebene wer-den stichwortartig Begriffe zum jeweiligen geschichtlichen Zeit-abschnitt sowie hilfs- und archivwissenschaftliche Fachbegriffegenannt. Auf einer weiteren Ebene werden darüber hinaus zurVertiefung einzelner Stichworte aus den kurzen Dokumentenbe-schreibungen erläuternde Texte angeboten, sowohl zu histori-schen Begriffen (z. B. „Das Habsburger Urbar“, S. 30/31) als auchzu anderen Sachthemen (z. B. „Nachlässe“, S. 57, „Aus derGesamtübersicht des Hauptstaatsarchivs Stuttgart“, S. 58).Außerdem gibt es Literatur- und Internettipps. Diese Zusatzinfor-mationen befinden sich in Schubladen, die Teil des Ausstellungs-designs sind. Im Katalog sind sie farbig unterlegt; die einfacheErkennbarkeit dieser Vertiefungsebene ermöglicht und erleichtertdie eigene Entscheidung, sich entweder mit dem angebotenenText zu beschäftigen oder darüber hinwegzulesen. Leider gibt esim Katalog keine Abbildung der Ausstellungsarchitektur, um sichein genaues Bild von der Integration der Schubladentexte in dasGanze sowie natürlich auch von den anderen didaktischen Ele-menten der Ausstellung zu machen.

Inhaltlich wird im ersten Kapitel mit wenigen Abbildungendie Bandbreite des Überlieferungsgutes – von dem Notariatsin-strument des 16. Jahrhunderts bis zur Diskette der Gegenwart –und des Entstehungsortes von Überlieferungsgut gezeigt: dasBüro eines Beamten heute und eines Advokaten im 17. Jahrhun-dert. Auch auf die Verwertbarkeit des Archivgutes für Publikatio-nen wird anschaulich hingewiesen.

Um „vereinzelte Spuren im Mittelalter“ geht es im 2. Kapitel.Vorgestellt werden Urkunden, Karten, Amtsbücher und Siegel

mit entsprechenden Erläuterungen, die auch über Sprache,Beschreibstoff und Schreibmaterial informieren. Aus der Reihefällt ein Schubladentext über „Überlieferungschance und Überlie-ferungszufall“ (S. 29), der zum Verständnis über das Vorhanden-sein bzw. das Nichtvorhandensein von mittelalterlichen Quellen-beständen beiträgt.

„Immer dichtere Spuren – von der frühen Neuzeit bis zurGegenwart“ lautet der Titel des 3. Kapitels, das in 9 chronologischaufbauende Teilbereiche gegliedert ist. Auch in diesem Kapitelfindet man einen aus der Reihe fallenden erläuternden Text, dereinen „Impuls zur Reflexion“ (S. 8) geben soll. Hier wird am Bei-spiel der aktuellen Ausstellung die Zeitgebundenheit historischerAussagen erläutert. Besonders erfreulich ist die Größe und dieausgesprochen gute Qualität der Reproduktionen, die es häufigsogar ermöglichen, die Texte der dargestellten Dokumente zulesen, auch wenn es von der Ausstellungsintention her eher umden optischen Eindruck geht.

Das letzte Kapitel zeigt Autografen berühmter Persönlichkei-ten, ohne in der dazugehörigen Texttafel deren Namen zu nennen.Allerdings kann anhand der sehr kurzen Erläuterungen zumjeweiligen Namenszug eine Lösung gefunden werden, die sichaber auch in verdeckten Schubladen nachlesen lässt.

Zur Ausstellung gehört ein Studierbereich mit Internetzugangund der in der Ausstellung genannten und darüber hinausgehen-den Literatur.

Die neue Ständige Ausstellung und der Katalog geben gerademit ihrem Dialogcharakter und ihrer Mehrdimensionalität vielfäl-tige Anregungen für breite Bevölkerungsschichten zur Beschäfti-gung mit der Geschichte in Archiven. Katalog und Ausstellungsind mit ihrem didaktischen Ansatz darüber hinaus für Archive,die selbst Dauerausstellungen in ihren Häusern zeigen oder pla-nen, interessant und mit Gewinn zu betrachten. Auch wer keineMöglichkeit zum Besuch der Ausstellung hat, findet mit Hilfe desKatalogs einen informativen Überblick über die Bestände desHauptstaatsarchivs Stuttgart und zusätzlich noch manch einenHinweis zur Spurensuche im Archiv.

Münster Roswitha Link

Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945.Hrsg. von Hermann Rumschöttel und Walter Zieg-ler. Verlag C. H. Beck, München 2004. 797 S., 54 Abb.,geb. 48,– C.(Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Reihe B,Beiheft 21.)

Wie funktionierte Bayern im Nationalsozialismus? Dieser Fragegingen die Teilnehmer des Symposiums „Staat und Gaue in Bay-ern 1933–1945“ nach, das im Juli 2000 in München stattfand. Wel-che Gestaltungsmöglichkeiten auf Landesebene nach der Gleich-schaltung der Länder durch das nationalsozialistische Regimenoch bestanden, war eine bisher wenig beachtete Fragestellung.Abläufe, Zuständigkeiten und Spielräume auf der Ebene des Lan-des Bayern werden im vorliegenden Sammelband an vielen, gutausgewählten Beispielen untersucht.

Die Aufsätze sind in den Themengruppen „Grundlagen“,„Regierungstätigkeit“, „Verwaltung“ und „Parteiaktivitäten“zusammengefasst. Ein Vergleich mit der Situation in Baden(Michael Kißener) und ein Überblick über die Historiographie(Walter Ziegler) schließen sich an. Der Anhang enthält neben Per-sonen- und Ortsregister (Sabine Rehm-Deutinger) auch reich-lich zwei Dutzend Kurzbiographien (Michael Unger), die überWerdegang und Schicksal von Entscheidungsträgern informieren.Damit erhält diese Aufsatzsammlung Handbuchcharakter.

Die Funktion und der Antagonismus der Landesregierung(Hermann Rumschöttel) und der Gauleiter (Walter Ziegler)bilden die Grundlagen. Die Regierungstätigkeit wird mit einemAbriss der Rolle des Reichsstatthalters (Bernhard Grau) eingelei-tet und stellt unter anderem die Spielräume im Zeichen der Zen-tralisierung für das Innenministerium (Gerhard Hetzer), dasKultusministerium (Winfried Müller) und das Finanzministe-rium (Mathias Rösch) dar. Eine Analyse der nationalsozialisti-schen Wirtschaftspolitik in Bayern (Paul Erker) schließt diesenAbschnitt.

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Die Verwaltungswirklichkeit wird für die Oberste Baubehörde– als bayerische Besonderheit – (Karl-Ulrich Gelberg), die Forst-verwaltung (Michael Unger), die sich wandelnde Funktion derRegierungspräsidenten (Stephand Deutinger), die Kommunal-verwaltungen (Andreas Wirsching) und das gescheiterte Projekteiner Landkreisreform (Thomas Forstner) rekonstruiert. Die Par-teiaktivitäten finden am Beispiel der Partei und ihrer Kreistage imGau Oberbayern (Bernhard Schäfer), der NationalsozialistischenVolkswohlfahrt (Katja Klee) und des im agrarisch geprägten Bay-ern bedeutenden Reichsnährstandes (Christoph Bachmann)Berücksichtigung.

Bei der Machtergreifung in Bayern stand zunächst – wie über-all – die Personalpolitik im Zeichen einer politischen Säuberungim Vordergrund. Politische Zuverlässigkeit war der Maßstab undlohnende Posten dienten zur „Bepfründung“ verdienter „alterKämpfer“. Je mehr Anforderungen jedoch an ein Amt gestelltwurden, desto mehr hatten die ausgebildeten Fachleute die Mög-lichkeit, weiter im Amt zu bleiben. Die traditionell selbstbewuss-ten, hochqualifizierten Beamten auf allen Ebenen dienten ihremSelbstverständnis nach weiterhin loyal ihrer Heimat Bayern, dochsie wurden zu ausführenden Organen der Zentralbehördendegradiert.

Die Regierungs- und Verwaltungstätigkeit stand unter demPrimat der Ideologie. Die Gleichschaltung setzte den Gestaltungs-möglichkeiten einen engen Rahmen. Die Überlappung von Wehr-kreis-, Landes- und Gaugrenzen machte in Bayern die Lagebesonders unübersichtlich. Zuständigkeiten überschnitten sichund verschärften sich außerdem durch das System der überall inDeutschland wuchernden Sonderverwaltungen. Reichsbehördenkonnten jederzeit direkt eingreifen und machten auch Gebrauchdavon. Gleichzeitig entstanden Reibungen zwischen Partei-dienststellen und dem staatlichen Apparat. Durch ihre persönli-che Bindung an Hitler setzen sich eher die Gauleiter durch, diestets auf die Fähigkeiten der Behörden angewiesen waren, Maß-nahmen und Planungen umzusetzen. Vielfach unternahmen dieBetroffenen den erfolglosen Versuch, direkte Einmischung unterVerweis auf das Führerprinzip zu verhindern. Die Druckmittelwaren jedoch so erheblich, dass im Zweifel immer der GauleiterRecht behielt.

Bayern und die bayerische Bevölkerung, so kann man vielender Aufsätze entnehmen, profitierten in viel geringerem Umfangvon der nationalsozialistischen Herrschaft als man vermutenkönnte. Die deutschen Autarkiebestrebungen führten in einevolkswirtschaftlich schädliche und betriebswirtschaftlich gera-dezu widersinnige Sackgasse. Bürokratisierung und Kontrollevon Fördermaßnahmen bremste deren Wirksamkeit erheblich ab,so dass die Arbeitslosigkeit langsamer als in anderen Gegendenabgebaut werden konnte. Die großen, tatsächlich zukunftweisen-den Reformprojekte der Landesregierung scheiterten, weil dieNSDAP Verschiebungen im labilen innerparteilichen Machtge-füge befürchtete. Wie überall in Deutschland versuchte dieNSDAP auch in Bayern, das gesamte öffentliche und privateLeben zu durchdringen. Das hier besonders lebendige, traditio-nelle Brauchtum wurde vereinnahmt und umgedeutet, was trotzder starken Verwurzelung im Katholizismus ansatzweise gelang.

Dieser Sammelband ist das Ergebnis lebendiger, modernerLandesgeschichtsschreibung, die die gesamtstaatliche Entwick-lung im Auge behält und zahlreiche weitere Forschungen anregensollte.

München Klaus A. Lankheit

Hans Stallmann, Euphorische Jahre. Gründungund Aufbau der Ruhr-Universität Bochum.Klartext Verlag, Essen 2004. 281 S., 22 Abb., geb. 19,90 C.(Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichteund zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 68.)

„Euphorische Jahre“ – das hört sich an wie eine Fortsetzung zuCharles Dickens’ Roman „Große Erwartungen“. Wie der Unterti-tel verrät, geht es aber in dieser bei Wilhelm Bleek entstandenenund 2003 in Bochum vorgelegten Dissertation um „Gründungund Aufbau der Ruhr-Universität Bochum“, deren Gründung dieälteren Landeshochschulen in Köln, Münster, Aachen und Bonn

entlasten sollte. Angesichts der großen Zahl von Folgegründun-gen in den 1960er und 70er Jahren in Nordrhein-Westfalen wardiese Arbeit ein längst überfälliges, notwendiges Unterfangen.Zugleich widmet sich Stallmann dem „Reform“-Mythos dieserNeugründungen, die sich als Kontrapunkt zu den „alten“ wissen-schaftlichen Hochschulen „Humboldt’scher“ Prägung verstan-den.

Stallmann verbindet in seiner gut lesbaren Arbeit die regional-und die landespolitische Perspektive, wobei er sich mit densozial-, struktur- und wirtschaftspolitischen Aspekten dieser ers-ten nordrhein-westfälischen Universitätsneugründung nach 1945auseinandersetzt. In seiner quellenmäßig breit fundierten Arbeitverifiziert der Verfasser, was Wolfgang Schieder 1992 beim 25-jäh-rigen Jubiläum der Universität Trier feststellt, dass nämlichBochum unter den „neuen“ Hochschulen sowohl von der Größewie der Lage in einem Ballungsraum eine Ausnahmestellung ein-nimmt.1 Spannend liest sich im Rahmen der vielfältigen Aspektedas Wettrennen der Städte Bochum und Dortmund um denZuschlag als Standort der neuen Hochschule. Angesichts der brei-ten archivischen Fundierung verwundert, dass Stallmann geradehierfür neben den Unterlagen des Stadtarchivs Bochum nichtauch solche aus Dortmund herangezogen hat.

„Große Erwartungen“ – diese hegt der Rezensent als Resümeedieser Lektüre mit Blick auf die weitere Erforschung der jüngstenHochschulgeschichte unseres Landes.

Köln Andreas Freitäger

1 Wolfgang Schieder, Alte Universitäten – neue Universitäten. In: Uni-journal – Zeitschrift der Universität Trier 21/1995. Sonderausgabe 25 JahreUniversität Trier, S. 22–24.

Die touronische Bibel der Abtei St. Maximin vorTrier. Faksimile der erhaltenen Blätter, Farbtafeln mitden Initialen, Aufsätze. Im Auftrag der Gesellschaft fürnützliche Forschungen zu Trier hrsg. von Reiner Nol-den. Trier 2002. IV, 252 S., s/w-Tafeln, Farbtafeln, zahlr.Abb., geb. 48,– C.

Nach Aufkommen des Papiers als Beschreibstoff und Erfindungdes Buchdrucks benutzte man – wie an anderen Orten – auch inder Bibliothek der Benediktinerabtei St. Maximin beschriebenesPergament für Schutzumschläge oder Buchbindearbeiten. Im spä-ten 15. Jahrhundert ist so ein heute für besonders wertvoll erach-teter Codex als Makulatur zerfleddert worden, eine touronischeBibelhandschrift aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, die seit dem10. Jahrhundert im Besitz der Abtei St. Maximin nachzuweisen ist.

Nachdem die ehemalige Klosterbibliothek im Zuge der Säku-larisation vor 1810 in die Trierer Stadtbibliothek gelangt war, sam-melte man dort gelegentlich aufgefundene Fragmente von Perga-menthandschriften in sogenannten Fragmentmappen. 1936gelang es dem schwedischen Kunsthistoriker Carl Nordenfalk,einige der ihm aus diesen Mappen vorgelegten Trierer Fragmentemit andernorts verstreut aufbewahrten Initialen zusammenzu-führen und als Teile einer touronischen Bibel aus St. Maximin zuidentifizieren. Fortan richteten die Bibliotheks- und Archivdirek-toren in Trier ein besonderes Augenmerk auf weitere Fragmentevon Bibeln aus der Karolingerzeit. Anlässlich der 2000-JahrfeierTriers wurden 1984 die touronischen Bibelfragmente erstmals ineiner Ausstellung der Stadtbibliothek zusammengestellt. Mitdem damals von ihm verfassten Beitrag zum Ausstellungskatalogbegann auch die langjährige Beschäftigung des Archivars ReinerNolden mit der touronischen Bibel aus St. Maximin. Unermüd-lich hat er seither nach weiteren Fragmenten in Buchumschlägenaus der ehemaligen Klosterbibliothek gesucht und in mehrerenAufsätzen die Wissenschaft auf die Fragmente der touronischenBibel hingewiesen.

Aus Anlass ihres 200-jährigen Bestehens beauftragte dieGesellschaft für nützliche Forschungen in Trier Nolden mit derHerausgabe des vorliegenden Bandes. Außer als Festgabe derehrwürdigen Gesellschaft erfüllt dieser Band den Zweck, den For-schungen zur touronischen Bibel der Abtei St. Maximin einenweiteren Impuls zu geben. Die Gesellschaft will dazu beitragen,wie ihr Vorsitzender Heinz Cüppers in seinem Vorwort betont,

120 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

die im Gefolge der Säkularisation über den gesamten Globus ver-teilten Fragmente wieder zusammenzutragen.

Um über den Ist-Zustand zu informieren, wurden in geradezukriminalistischer Kleinarbeit die bisher bekannten Fragmente dertouronischen Bibel ermittelt, fotografiert (Dagmar Knürr) und zuFaksimileseiten zusammengefügt (dito). Nicht nur die in derStadtbibliothek Trier vorhandenen Fragmente, sondern weitereBibelfragmente aus 11 Bibliotheken, Museen und Archiven inDeutschland, Österreich, England und Nordamerika konnten fürdas Faksimile berücksichtigt werden. Auf diese Weise sind Teilevon fast 170 Seiten der Handschrift rekonstruiert worden, die ineinem verkleinerten Format in Schwarz/weiß-Tafeln hier darge-stellt werden. In Farbfotos werden die 23 bisher bekannten Initia-len wiedergegeben.

Den Faksimiles ist ein knapper, aber informativer Aufsatzteilbeigefügt. Darin leitet Michele C. Ferrari in seinem Beitrag„Bibelhandschriften im Frühmittelalter“ in die Thematik ein. Rei-ner Nolden bietet in „Die Fragmente der touronischen Bibel vonSt. Maximin vor Trier“ einen ausführlichen Apparat mit kodikolo-gischer Beschreibung und Kommentar zu den Faksimiles und dieAktualisierung des Forschungsstandes. Die Initialen kommen-tiert Florentine Mütherich in ihrem Aufsatz „Der ornamentaleSchmuck der Bibel von St. Maximin“. Farbmittel und Maltechnikder Bibelfragmente werden in einem Beitrag der RestauratorenRobert Fuchs, Doris Oltrogge und Oliver Hahn beschrieben.Ergänzt werden die Aufsätze durch eine Bibliographie, ein Regis-ter der Handschriften, die Fragmente der touronischen Bibel ausSt. Maximin enthalten, und zwei Zusammenfassungen in franzö-sischer und englischer Sprache.

Im Ergebnis stellt dieser Faksimileband keine Prachtausgabedar, sondern ein Arbeitsmittel, welches klar formulierten Zwe-cken dient: Das Buch bietet eine ausgezeichnete Zusammenfas-sung des Forschungsstandes, erlaubt methodisch Interessiertenwertvolle Aufschlüsse und soll die Auffindung oder Identifizie-rung weiterer Fragmente der touronischen Bibel aus St. Maximinerleichtern. Dazu sei Herausgeber und Autoren guter Erfolg ge-wünscht!

Rheine Thomas Gießmann

Von der Kgl. Gewerbeschule zur TechnischenUniversität. Die Entwicklung der höheren techni-schen Bildung in Chemnitz 1836–2003. Hrsg. vom Rek-tor der Technischen Universität Chemnitz. Gesamtlei-tung: Stephan Luther. Chemnitz 2003. 295 S. mit zahlr.Abb., kart. 19,80 C.

Die Anfänge des technischen Bildungswesens im deutschsprachi-gen Raum liegen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, als in dengrößeren deutschen Staaten Gewerbeschulen zwecks Förderungder erhofften neuen Industriezweige gegründet wurden. Ausihnen entwickelten sich die späteren Technischen Hochschulenund die heutigen Universitäten mit ingenieurwissenschaftlichemSchwerpunkt. Das hier anzuzeigende Buch der Autoren StephanLuther, Hans-Joachim Hermes und Wolfgang Lambrechtbehandelt aus Anlass eines Jubiläums (50 Jahre Hochschule fürMaschinenbau Karl-Marx-Stadt) die Entwicklung der Chemnit-zer technischen Schulen von ihrer Vorgeschichte mit den zweck-orientierten, berufsbezogenen Konzeptionen bis zur Gegenwartder heutigen Technischen Universität Chemnitz. Nicht nur dieseumfassende Zeitspanne, die die Nähe zur Gegenwart nicht scheutund das Buch zu einem umfassenden Kompendium der Chemnit-zer Universitätsgeschichte macht, ist beeindruckend. In Ermange-lung guter Vorarbeiten, die nicht tendenziöse, sozialistischeSchwerpunkte setzten, erarbeiten die Autoren zudem durchgän-gig die Darstellung auf der Grundlage der archivischen Quellen –hierunter auch Zeitzeugen-Interviews, verlieren dabei aber nichtdie allgemeine politische und soziale Geschichte und die überre-gionalen Entwicklungen im Hochschulwesen aus dem Blick. Ten-denzen und Legendenbildungen der älteren, dem DDR-Sozialis-mus verpflichteten Literatur konnten so objektiviert werden, wiebeispielsweise die Konstruktion eines antifaschistischen Wider-stands an der Staatlichen Akademie für Technik während der NS-Herrschaft, nur ein Ergebnis von vielen in diesem Buch, die der

Geschichte des Hochschulwesens zugute kommen. Ein weitererVorzug der Darstellung: Das Buch beschreibt die Hochschule alsInstitution und nicht als Sammelbecken wirklicher oder ver-meintlich hervorragender Einzelgelehrter, wodurch ihre Funk-tion für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung inden Vordergrund tritt. Wer sich eine Vorstellung von den Bedin-gungen für Forschung, Lehre und studentisches Leben im DDR-Sozialismus machen möchte, erfährt hier ausführlich und sach-lich geschrieben, nichtsdestotrotz bedrückend zu lesen, vom Sys-tem der Stasi-Bespitzelung und dem umfassenden Anspruch derStaatspartei auf Lenkung und Kontrolle oder von den ideologi-schen Implikationen der III. Hochschulreform Ende der 1960erJahre, aber auch vom Engagement mancher Personen, die Hoch-schule dem Einfluss der SED so weit wie möglich zu entziehen.Bemerkenswert, dass das Buch nicht mit der „Wende” endet, son-dern auch die starken und für die Hochschule äußerst schwieri-gen Umbrüche und Personalveränderungen durch die sächsischeHochschulpolitik in der Nachwendezeit behandelt. Hervorzuhe-ben sind ebenfalls die Auswahl der zahlreichen farbigen, aussage-kräftigen Abbildungen sowie der Anhang mit Organisationsplä-nen, die die Orientierung über die zahlreichen Strukturverände-rungen der Hochschule gewährleisten, und zuletzt der Personen-index, in dem auch Lebensdaten, Berufe und Funktionen aufge-führt sind.

Stuttgart Norbert Becker

Die Wallfahrt zu Grimmenthal. Urkunden, Rechnun-gen, Mirakelbuch. Hrsg. von Johannes Mötsch. BöhlauVerlag, Köln – Weimar – Wien 2004. VI, 426 S., geb.44,90 C.(Veröffentlichungen der Historischen Kommission fürThüringen, Große Reihe, Bd. 10.)

Wallfahrten waren in Mittelalter und früher Neuzeit zentralesinntragende Ereignisse im Leben von Menschen. Angetriebenvon der Hoffnung auf Heilung von Krankheit und Gebrechenoder auf Rettung aus Gefahr oder aus Dankbarkeit für eine bereitserfolgte Überwindung einer existentiellen Not machten sie sichauf den Weg zu einem Ort, wo die Präsenz des Heiligen, zumeistin Gestalt der Gnadenmuttergottes, verbürgt war. Die Massenhaf-tigkeit des Zulaufs verschafft solchen Wallfahrtsorten zugleicheine zentrale ökonomische Bedeutung. Beides bringt das Werkvon Johannes Mötsch zur Wallfahrt nach Grimmenthal in Thürin-gen deutlich zum Ausdruck, indem es nicht allein die klassischeQuelle eines jeden Wallfahrtsortes – das Mirakelbuch – ediert,sondern den politischen, wirtschaftlichen und alltagsgeschichtli-chen Kontext des Geschehens umfassend mit Urkunden (inRegestenform) und Rechnungen (im Volltext, in Auszügen oderin Zusammenfassung) dokumentiert.

Die 1498 entstandene Grimmenthal-Wallfahrt stellt den TypusGnadenbildwallfahrt dar, wie er im Übergang vom späten Mittel-alter zur frühen Neuzeit an vielen Orten des Reiches vor dem Hin-tergrund der zeitgenössischen Verehrung der Muttergottes undzunehmender Laienreligiosität aufgekommen war. Ihre durch„wildes Laufen“ der Laien gekennzeichnete Attraktivität erlittjedoch dort, wo sich die Reformation festsetzen konnte, ein vor-zeitiges Ende, so auch im Fall Grimmenthal um 1545. Symptoma-tisch für die zeitgenössische Bedeutung der Laienreligiosität ist,dass auch im Fall von Grimmenthal ein Laie die Wallfahrt seiner-zeit initiiert hatte. Die genauen Umstände und die dazugehörigeChronologie sowie die politischen Implikationen in Gestalt derRivalität des Bischofs von Würzburg mit dem Landesherrn, demGrafen von Henneburg, werden von Mötsch auf der Grundlageeiner akribischen Analyse der Urkunden nachgezeichnet. Man-che bislang als sicher erscheinende Datierung wird korrigiert. Dieweitere Auswertung insbesondere der Rechnungen lässt denAusbau der Strukturen und die vielen Kassen bzw. „Projekte“erkennen, in welche die reichlich sprudelnden Einnahmen flos-sen; die Auswertung der in den Mirakelberichten enthaltenenAngaben zur Herkunft der Wallfahrer macht das weite geogra-phische Einzugsfeld, die darin genannten Gründe für das Wall-fahren die zeittypischen Kalamitäten sichtbar. Deutlich zeichnetsich darin bereits das Aufkommen der Volksseuche Syphillis ab,

während die zukünftige Besessenheit der frühneuzeitlichenGesellschaft von dem Glauben an die teuflische Sekte der Hexenpraktisch noch nicht zu erkennen ist. Als Beispiel für das kom-plexe Miteinander von Gnadensehnsucht und Geschäft unddaraus resultierendem Regelbedarf sei ein „Merkzettel“ (vermut-lich Ende 1499) angeführt, der Regelungen darüber verlangte,„wo die Bäcker stehen und wo sie das Brot machen sollen ...; wodie Krämer gebrannten Wein und Kram feilhalten; wie man mitden Bettlern und Siphilitikern (‚frantzoßen lewth‘) umgehen soll.Der Graf soll dem Pfarrer Schutz und Schirm gegenüber demBischof von Würzburg versprechen. Wegen des Wein-Aus-schanks bei der Kirchweihe soll eine Ordnung gemacht werden ...Außerdem ist eine päpstliche Bulle zu beschaffen.“ (S. 88).

Mit 304 Urkunden, 57 teils sehr umfangreichen Rechnungenund dem 153 Einträge umfassenden Mirakelbuch weist die Edi-tion von Mötsch für die Gnadenbildwallfahrt nach Grimmenthaleine im Verhältnis zu ihrer kurzen Blütezeit relativ dichte Überlie-ferung nach. Ein Literaturverzeichnis und ein ausführlichesRegister der in den edierten Quellen vorkommenden Orts- undPersonennamen rundet den reichhaltigen Ertrag des Werkes ab.

Koblenz Walter Rummel

Lilia Wick, Geschichte der Frauen in Kempen. Ar-beit, Bildung und Öffentlichkeit im 19. und 20. Jahrhun-dert. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2003. 352S., 82 s/w Abb., geb. 19,– C.

Anliegen dieser lokalgeschichtlichen Untersuchung ist es darzu-stellen, wie sich die Situation der Frau in der Periode vom Anfangdes 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in der Stadt Kempen ent-wickelt hat. Als Quellen dienten der Autorin die bisher erschiene-nen Arbeiten zur Geschichte Kempens, Pfarrchroniken, Artikelaus lokalen Zeitungen und aus Untersuchungen zur Regionalge-schichte und zur allgemeinen Frauengeschichte. Inhaltlichbeschränkt sich die Untersuchung auf ausgewählte Themenberei-che, die quellenmäßig gut dokumentiert und zugleich von ele-mentarer Bedeutung sind.

Den ersten Themenkomplex bildet das Thema „Frauenarbeit“,bei dem es sowohl um Erwerbsarbeit als auch um die Tätigkeit imeigenen Haushalt geht. Hierbei beschreibt die Autorin inanschaulicher Weise die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeitin ihrer Abhängigkeit von den ökonomischen und gesellschaftli-chen Veränderungen in Deutschland.

Beim Thema Bildung rücken sowohl die Ausbildung der Mäd-chen als auch die Rolle der Frau in Erziehung und Bildung insBlickfeld. Auch hier werden die Kempener Verhältnisse im Kon-text der historischen Situation in Deutschland beleuchtet.

Der 3. Teil beschäftigt sich mit der Frau im öffentlichen Leben,im Vereinsleben und in den Einrichtungen der Wohlfahrt undJugendpflege. In dem Kapitel „Frauen im öffentlichen Leben“geht es um die Rolle, die die Frauen nicht nur in den Frauenverei-nen, sondern darüber hinaus in der weitgehend staatlich organi-sierten Fürsorge, Wohlfahrtspflege und Kommunalpolitik spiel-ten. Von besonderem Interesse sind hier die Ausführungen überdie Haltung der Kempener Frauen zum Nationalsozialismus. Fürdie Behauptung, dass es auch von Frauen aktiven Widerstandgegen die nationalsozialistische Politik gegeben habe, werden lei-der keine konkreten Beispiele angeführt, vielmehr wird nur aufweiterführende Literatur verwiesen; das irritiert angesichts deransonsten gut belegten Darstellungsweise.

In einem „Ausblick in die Nachkriegsjahre“ gibt die Autorineinen Einblick in die Lebensverhältnisse in Kempen nach demKrieg. Es wird geschildert, wie es in den 50er und 60er Jahren des20. Jahrhunderts allmählich zu einer Rückbesinnung auf die tradi-tionellen Rollenmuster kam und die Frau wieder an den häusli-chen Herd zurückgedrängt wurde. Abschließend wird die heu-tige Situation der Mädchen und Frauen erörtert.

Mit ihrer Studie gelingt es der Autorin in vorzüglicher Weise,das Leben der Frauen in Deutschland und hier speziell in Kempenin dem untersuchten Zeitraum anschaulich, überzeugend undmit viel Liebe zum Detail darzustellen. Das Buch stellt einen wich-tigen Beitrag nicht nur zur Geschichte Kempens, sondern auchzur Frauengeschichte im Allgemeinen dar.

Hamburg Elke Hertel

125Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Kurzinformationen, Verschiedenes

Archive als Behörden aufgelöstIn Mecklenburg-Vorpommern sind durch Landesverord-nungen vom 15. Juni 2005 das Landesarchiv Greifswaldund das Landeshauptarchiv Schwerin als eigenständigeBehörden aufgelöst worden. Die archivischen Aufgabendes Landes nimmt vom 1. 1. 2006 an das Landesamt fürKultur und Denkmalpflege wahr. Das Landesarchivgesetzwurde durch eine Novelle vom 9. November 2005 entspre-chend geändert.

Schwerin Andreas Röpcke

Neue Bestände im Archiv des Hauses der Orden in BonnDas Archiv der Vereinigung Deutscher Ordensobern unddes Deutschen Katholischen Missionsrats (AVDO), das bisJuli 2005 in Bamberg untergebracht war, findet sich seitherzusammen mit den Generalsekretariaten der Vereinigungder Ordensoberinnen Deutschlands (VOD) und der Verei-nigung Deutscher Ordensobern (VDO) sowie mit demDeutschen Katholischen Missionsrat (DKMR), dem Insti-tut der Orden für missionarische Seelsorge und Spirituali-tät (IMS) und dem Solidarwerk der Orden (SW) im Hausder Orden (Wittelsbacherring 9, 53115 Bonn; Tel.0228/68449-0, Fax 0228/68449-44; Ansprechpartner: Flo-rian Buschermöhle).

München Gerhard Hetzer

„Tag der Archive“ in MünchenVorankündigungAls kulturelle und wirtschaftliche Metropole beherbergtdie Landeshauptstadt München eine Vielzahl von Archi-ven. Diese geben am Samstag, dem 6. Mai 2006, von 10 bis17 Uhr interessierten Münchnerinnen und Münchnernunter dem Motto „Vielfalt des Erinnerns“ Einblick in ihreBestände. Für diesen dritten bundesweiten „Tag derArchive“ stellen staatliche, kommunale und kirchlicheArchive, Archive von Wirtschafts- und Bildungseinrich-tungen, von Verbänden, Vereinen und Medien in Mün-chen ein gemeinsames Programm zusammen. Dieses bie-tet mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten an deneinzelnen Standorten Einblick in das breite Spektrum derarchivalischen Überlieferungen. Im Fokus einiger Archivestehen Unternehmer- und Forscherpersönlichkeiten, derFußball, die Päpste sowie das Chorleben in München.

Veranstaltungstermine(ohne Gewähr)

21. 10. 2005 bis17. 3. 2006:Schleswig

Ausstellung des LandesarchivsSchleswig-Holstein „Vermessen…!Preußisches Kataster und Landver-messung in Schleswig-Holstein“(Landesarchiv)

3. 12. 2005 bis4. 3. 2006:Leipzig

Wanderausstellung des SächsischenStaatsarchivs „In Fahrt – Autos ausSachsen“ (Sächsisches Staatsarchiv,Staatsarchiv Leipzig)

9. 1. bis 29. 9. 2006:Wien

Ausstellung des Wiener Stadt- undLandesarchivs „Mozarts Spuren inWien“ (Gasometer D)

19. 1. bis 31. 8. 2006:Erfurt

Ausstellung des Stadtarchivs Erfurt„Zwischen den guten Menschen inden östlichen und westlichen Län-dern – Heinrich Wilhelm Ludolf(1655–1712), ein Brückenbauer ausErfurt“ (Stadtarchiv)

22. 1. bis 23. 4. 2006:Schwedt/Oder

Ausstellung des BrandenburgischenLandeshauptarchivs in Zusammen-arbeit mit dem BrandenburgischenLandesamt für Denkmalpflege unddem Archäologischen Landesmu-seum „‚Gestaltete Landschaft‘ –Archivalische Quellen zu Schlös-sern, Herrenhäusern und Gärten imLand Brandenburg“ (Stadtmuseum,Jüdenstraße 17)

27. 1. bis 7. 4. 2006:Detmold

Ausstellung des LandesarchivsNordrhein-Westfalen Staats- undPersonenstandsarchiv Detmold„Schutzhaft – auf den Weg in den

Diese überaus erfolgreiche Kooperation lockte bereits 2004durch ihre vernetzte Werbung große Besuchermengen indie Archive.

München Bettina Hasselbring

126 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Terrorstaat“ (Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen Staats- und Perso-nenstandsarchiv Detmold)

8. 2. bis 31. 3. 2006:Stuttgart

Ausstellung des LandesarchivsBaden-Württemberg – Hauptstaats-archiv Stuttgart „Heute gerettet –gesichert für die Zukunft. Konser-vierung und Restaurierung im Lan-desarchiv Baden-Württemberg“(Landesarchiv Baden-Württemberg– Hauptstaatsarchiv Stuttgart)

18. 2. bis 31. 3. 2006:Frankfurt/Oder

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Frankfurt/Oder„Die geheimen Treffpunkte derStasi. Konspirative Wohnungen inder Region Frankfurt/Oder“ (BStU,Fürstenwalder Poststr. 87)

21. 2. bis 17. 4. 2006:München

Ausstellung der Generaldirektionder Staatlichen Archive Bayerns unddes Centre Historique des ArchivesNationales „France – Bavière: Allerset retours. 1000 ans de relationsfranco-bavaroises. Bayern undFrankreich: Wege und Begegnun-gen. 1000 Jahre bayerisch-französi-sche Beziehungen“ (BayerischesHauptstaatsarchiv)

26. 2. bis 19. 3. 2006:Bielefeld

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR „Staatssicherheit – Garant derSED-Diktatur“ (Historisches Mu-seum Bielefeld, Ravensberger Park 2)

3. 3. bis 24. 4. 2006:Görslow

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Schwerin „Mutund Zivilcourage in Deutschlandvon 1933–1989“

4. bis 26. 3. 2006:Rüsselsheim

Wanderausstellung der HessischenStaatskanzlei und des HessischenHauptstaatsarchivs „Hessen – Einestarke Geschichte. 60 Begegnungenmit unserem Land seit 1945“(Museum der Stadt Rüsselsheim)

4. 3. bis 24. 4. 2006:Neustadt/Orla

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Gera „‚Verdecktund getarnt‘ – Mittel und Methodender geheimen Beobachtung“ (Mu-seum, Kirchplatz 7)

8. 3. bis 23. 3. 2006:Ludwigshafen

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Rostock „Stasi im

Ostseeraum“ (Stadtmuseum, Rat-hausplatz 20)

9. bis 10. 3. 2006:Berlin

Qualifizierungsprogramm der Fach-hochschule Potsdam für Führungs-kräfte im ArchivwesenModul W 2: Finanzmanagement(Tagungsgebäude des Weiterbil-dungszentrums der Freien Universi-tät Berlin, Otto-von-Simson-Str.13/15)(Die Veranstaltungen des Qualifizierungspro-gramms können einzeln belegt werden.Nähere Informationen unter www.fu-ber-lin.de/weiterbildung.)

10. 3. 2006:Karlsruhe

7. Karlsruher Tagung für Archivpä-dagogikThema: Private Archive – Chancenund Grenzen für Projektarbeit(Kontakt: Dr. Clemens Rehm, LandesarchivBaden-Württemberg – GenerallandesarchivKarlsruhe, Nördliche Hildapromenade 2,76133 Karlsruhe, Tel.: 0721/926-2267, Telefax:0721/926-2231, E-Mail: [email protected])

14. bis 15. 3. 2006:Bad Oeynhausen

58. Westfälischer Archivtag (Theaterim Park)Thema: Kooperation zwischen denArchivsparten und Bau und Einrich-tung von Archivbauten – aktuelleBeispiele aus Westfalen-Lippe

15. 3. bis31. 12. 2006:Frankfurt/Oder

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Frankfurt/Oder„Eingesperrt… Untersuchungshaftbei der Staatssicherheit in Frankfurt/Oder“ (Gedenk- und Dokumentati-onsstätte „Opfer politischer Gewalt-herrschaft“, Collegienstr. 10)

16. 3. bis 28. 5. 2006:Breisach am Rhein

Ausstellung „Leo Wohleb 1888–1955. Ein Leben für Baden“ (Mu-seum für Stadtgeschichte, Rheintor-platz 1)

16. 3. bis 31. 5. 2006:Leipzig

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Leipzig „Gegenden Strom. Ein Stück originäre Leip-ziger Literaturgeschichte aus demJahre 1968“ („Runde Ecke“, Dittrich-ring 24)

20. bis 24. 3. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 1-1: Einführung in die Ordnungund Verzeichnung von Archivgut(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

23. bis 24. 3. 2006:Saarbrücken

Frühjahrstagung der Fachgruppe 8des VdA (Universität des Saarlan-des)

127Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

23. 3. bis 5. 6. 2006:Mannheim

Ausstellung des Stadtarchivs Mann-heim in Verbindung mit dem Institutfür Stadtgeschichte – StadtarchivKarlsruhe und der MannheimerAbendakademie und Volkshoch-schule „Geschichte im Plakat: 1933-1945“ (Stadthaus N1)

25. 3. bis 18. 6. 2006:Hechingen

Ausstellung des LandesarchivsBaden-Württemberg – StaatsarchivSigmaringen „Alte Pläne neu imBlick. Hohenzollern in historischenPlänen des 19. und 20. Jahrhun-derts“ (Hohenzollerisches Landes-museum)

27. bis 28. 3. 2006:Wolfsburg

Tagung der Arbeitsgemeinschaft derNiedersächsischen Kommunalar-chivare (ANKA) „Diplome, Doppik,digitales Desaster – Das Kommunal-archiv im Spannungsfeld seinerAufgaben“

30. 3. 2006:Köln-Deutz

Seminar der ArchivberatungsstelleRheinland „Die offene Ganztags-schule – Erfahrungen der Zusam-menarbeit zwischen Archiv undSchule“ (Horion-Haus, Hermann-Pünder-Str. 1)

30. bis 31. 3. 2006:Cottbus

9. Brandenburgischer ArchivtagThema: Archivberatung und -pflegein Brandenburg

1. bis 23. 4. 2006:Neu-Anspach

Wanderausstellung der HessischenStaatskanzlei und des HessischenHauptstaatsarchivs „Hessen – Einestarke Geschichte. 60 Begegnungenmit unserem Land seit 1945“ (Hes-senpark)

1. bis 28. 4. 2006:Stuttgart

Ausstellungsreihe des Landesar-chivs Baden-Württemberg – Haupt-staatsarchiv Stuttgart „Archivaledes Monats“: 200 Jahre KönigreichWürttemberg (Landesarchiv Baden-Württemberg – HauptstaatsarchivStuttgart)

1. bis 30. 4. 2006:Marburg

Wanderausstellung des Landes-kirchlichen Archivs Kassel „Vongebrochenem Brot und zerbroche-nen Bildern – Die zweite Reforma-tion in Hessen-Kassel 1605“ (Ev.Pfarrkirchengemeinde)

3. bis 4. 4. 2006:Berlin

Qualifizierungsprogramm der Fach-hochschule Potsdam für Führungs-kräfte im ArchivwesenModul W 3: Archive in der Informa-tionsgesellschaft (Tagungsgebäudedes Weiterbildungszentrums derFreien Universität Berlin, Otto-von-Simson-Str. 13/15)(Die Veranstaltungen des Qualifizierungspro-gramms können einzeln belegt werden.Nähere Informationen unter www.fu-ber-lin.de/weiterbildung.)

3. bis 4. 4. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 51-1: Elektronische Unterlagen I:IT-gestützte Vorgangsbearbeitungund elektronische Aussonderung(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

6. 4. 2006:Wertheim-Bronnbach

Bronnbacher Gespräche – Stadtge-schichte(n) (Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Wert-heim)Vortrag: Der Lebensweg des Ritters.Wolfram von Eschenbach

21. 4. bis 21. 5. 2006:Eupen

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR„Staatssicherheit – Garant der SED-Diktatur“ (VHS der Ostkantone, Kul-turstätte „Alter Schlachthof“)

24. bis 25. 4. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 52-1: Elektronische UnterlagenII: Archivierung(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

24. bis 26. 4. 2006:Bonn

Frühjahrstagung der Fachgruppe 7im VdA (Haus der Geschichte)Thema: Archive, Zeit & Zeichen.Digitale Mediendokumentation zwi-schen Bestandsmanagement undintegrierter Produktion

24. bis 28. 4. 2006:Köln-Deutz

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland „Ein-führung in die Archivarbeit“ (Ho-rion-Haus, Hermann-Pünder-Str. 1)

27. 4. 2006:Wertheim-Bronnbach

Bronnbacher Gespräche – Stadtge-schichte(n) (Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Wert-heim)Vortrag: Wertheim als fränkischeResidenzstadt der Frühen Neuzeit

27. 4. bis 31. 5. 2006:Ranis

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Gera „‚Verdecktund getarnt‘ – Mittel und Methodender geheimen Beobachtung“(Museum Burg Ranis, Burg 2)

27. 4. bis 9. 6. 2006:Chemnitz

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Chemnitz „Zivil-courage“ (Industrie- und Handels-kammer, Straße der Nationen 25)

128 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

28. 4. bis 21. 5. 2006:Fulda

Wanderausstellung der HessischenStaatskanzlei und des HessischenHauptstaatsarchivs „Hessen – Einestarke Geschichte. 60 Begegnungenmit unserem Land seit 1945“ (Von-derau-Museum)

2. bis 11. 5. 2006:Wetter

Wanderausstellung des Landes-kirchlichen Archivs Kassel „Vongebrochenem Brot und zerbroche-nen Bildern – Die zweite Reforma-tion in Hessen-Kassel 1605“ (Ev. Kir-chengemeinde)

2. bis 31. 5. 2006:Stuttgart

Ausstellungsreihe des Landesar-chivs Baden-Württemberg – Haupt-staatsarchiv Stuttgart „Archivaledes Monats“: 450 Jahre Klosterschu-len im Herzogtum Württemberg.Das Beispiel Adelberg (Landesar-chiv Baden-Württemberg – Haupt-staatsarchiv Stuttgart)

3. 5. bis 25. 6. 2006:Görslow

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Schwerin„Unverschämtes Glück – Fotogra-fien aus Deutschland von RobertLebeck“

6. bis 7. 5. 2006: 3. TAG DER ARCHIVEdeutschlandweit

12. 5. bis 18. 6. 2005:Lübben

Ausstellung des BrandenburgischenLandeshauptarchivs in Zusammen-arbeit mit dem Stadt- und Regional-museum Lübben „‚… Zierde desLandes gewest…‘ – Lübben (Spree-wald) im Spiegel archivalischerQuellen“ (Museum Schloss Lübben,Ernst-von-Houwald-Damm 15)

13. 5. bis29. 10. 2006:Sigmaringen

Ausstellung der Gesellschaft Ober-schwaben „Adel im Wandel. 200Jahre Mediatisierung in Oberschwa-ben“ (Landeshaus und Staatsarchiv)

17. bis 18. 5. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 14: Internationale Erschlie-ßungsstandards: ISAD (G), ISAAR-CPF, EAD, EAC(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

17. bis 28. 5. 2006:Datterode

Wanderausstellung des Landes-kirchlichen Archivs Kassel „Vongebrochenem Brot und zerbroche-nen Bildern – Die zweite Reforma-tion in Hessen-Kassel 1605“ (Ev. Kir-chengemeinde)

18. 5. bis 6. 6. 2006:Gera

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligen

DDR, Außenstelle Gera „Überwei-sung in den Tod. NS-‚Euthanasie‘ anKindern in Thüringen“ (Stadt- undRegionalbibliothek, Puschkinplatz 7)

19. bis 21. 5. 2006:Borna

14. Sächsischer ArchivtagThema: Bestandserhaltung

21. bis 24. 5. 2006:Heidelberg

Fortbildungsveranstaltung der Ver-einigung deutscher Wirtschaftsar-chivare e.V.56. VdW-Lehrgang: Quo vadisArchivar? – „Excellence in Change“für Führungskräfte(Information und Anmeldung: Dr. Peter Blum,Fon: 06221 / 5819800, Fax: 06221 / 5849470, E-Mail: [email protected] – Infos auchunter www.wirtschaftsarchive.de)

21. 5. bis 24. 6. 2006:Rostock

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Rostock „Todesstrafe inder DDR – Hinrichtungen in Leipzig“(Dokumentations- und Gedenkstätteder BStU, Hermannstr. 34b)

24. 5. bis 5. 6. 2006:Hessisch Lichtenau

Wanderausstellung der HessischenStaatskanzlei und des HessischenHauptstaatsarchivs „Hessen – Einestarke Geschichte. 60 Begegnungenmit unserem Land seit 1945“ (Hes-sentag)

29. bis 30. 5. 2006:Berlin

Qualifizierungsprogramm der Fach-hochschule Potsdam für Führungs-kräfte im ArchivwesenModul W 4: Personalmanagement(Tagungsgebäude des Weiterbil-dungszentrums der Freien Universi-tät Berlin, Otto-von-Simson-Str.13/15)(Die Veranstaltungen des Qualifizierungspro-gramms können einzeln belegt werden.Nähere Informationen unter www.fu-ber-lin.de/weiterbildung.)

31. 5. bis 1. 6. 2006:Neuss

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland in Zu-sammenarbeit mit dem StadtarchivNeuss „Verzeichnung von Akten undSammlungsgut“ (Stadtarchiv)

1. bis 20. 6. 2006:Lippoldsberg

Wanderausstellung des Landes-kirchlichen Archivs Kassel „Vongebrochenem Brot und zerbroche-nen Bildern – Die zweite Reforma-tion in Hessen-Kassel 1605“ (Ev. Kir-chengemeinde)

1. bis 24. 6. 2006:Bonn

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR „Staatssicherheit – Garant derSED-Diktatur“ (Wissenschaftszen-trum Bonn, Ahrstr. 45)

1. 6. bis 9. 7. 2006:Brandenburg/Havel

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligen

129Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

DDR, Außenstelle Potsdam „‚Frei-heit wollen wir!‘ – Der 17. Juni imLand Brandenburg“ (PetrikapelleDomstift Brandenburg, Burghof)

6. 6. bis 15. 10. 2006:Weida

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR, Außenstelle Gera „‚Verdecktund getarnt‘ – Mittel und Methodender geheimen Beobachtung“(Museum in der Osterburg, Schloss-berg 14)

8. bis 9. 6. 2006:Düsseldorf

40. Rheinischer Archivtag (SchlossBenrath)Thema: Wirtschaft und Archive

12. bis 14. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 61: Digitale Bildbearbeitung imArchiv(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

13. 6. 2006:Limburg

Hessischer ArchivtagThema: Lernort Archiv

14. 6. 2006:Sömmerda

55. Thüringische ArchivtagThema: Wirtschaftsüberlieferung inThüringen – Tradition und Gegen-wart (Volkshaus)

16. bis 17. 6. 2006:Bremen

20. ArchivpädagogenkonferenzThema: Aufbruch! Konsolidierung!Kontinuität? 20 Jahre Archivpäda-gogik in Deutschland

19. bis 20. 6. 2006:Berlin

Qualifizierungsprogramm der Fach-hochschule Potsdam für Führungs-kräfte im ArchivwesenModul W 6: Operatives Manage-ment: Prozess- und Qualitätsmana-gement (Tagungsgebäude des Wei-terbildungszentrums der FreienUniversität Berlin, Otto-von-Sim-son-Str. 13/15)(Die Veranstaltungen des Qualifizierungspro-gramms können einzeln belegt werden.Nähere Informationen unter www.fu-ber-lin.de/weiterbildung.)

19. bis 20. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 23: Vergabemanagement – Vor-bereitung und Abwicklung von Res-taurierungsaufträgen(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

19. bis 23. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule Marburg

GK 1-2: Einführung in die Ordnungund Verzeichnung von Archivgut(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

20. bis 21. 6. 2006:Lüneburg

3. Norddeutscher Archivtag

23. bis 24. 6. 2006:Karlsruhe

66. Südwestdeutscher ArchivtagThema: Digitale Bildarchive – Mar-keting und Vermarktung

23. 6. bis 16. 7. 2006:Biedenkopf

Wanderausstellung des Landes-kirchlichen Archivs Kassel „Vongebrochenem Brot und zerbroche-nen Bildern – Die zweite Reforma-tion in Hessen-Kassel 1605“ (Hinter-landmuseum Schloss Biedenkopf)

26. bis 28. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 71: Praktische Umsetzung vonQualitätsmanagement und Perso-nalentwicklung in Archiven(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

2. bis 4. 7. 2006:Heidelberg

Fortbildungsveranstaltung der Ver-einigung deutscher Wirtschaftsar-chivare e.V.57. VdW-Lehrgang: Standards erfül-len – Standards mitgestalten(Information und Anmeldung: Dr. Peter Blum,Fon: 06221 / 5819800, Fax: 06221 / 5849470, E-Mail: [email protected] – Infos auchunter www.wirtschaftsarchive.de)

3. bis 4. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 13: Zugangsbearbeitung undErschließung von Archivgut alsFührungsaufgabe(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

3. bis 5. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 32: Öffentlichkeitsarbeit im Ar-chiv(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

10. bis 14. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 2: Einführung in das Archivwe-sen(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,

130 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

17. bis 19. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 41: Archivrecht und Rechtsfra-gen im Archivalltag(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

21. bis 22. 7. 2006:Würzburg

Wissenschaftliche Tagung des Baye-rischen Archivtags und der Bayeri-schen Staatlichen und Universitäts-bibliotheken „Bayerische Archiv-und Bibliothekskonferenz 2006“(Julius-Maximilians-Universität)(Das genaue Programm ist ab Frühjahr 2006 beider Generaldirektion der Staatlichen ArchiveBayerns erhältlich.)

24. 8. 2006:Köln-Deutz

Tagung des LandschaftsverbandesRheinland „Mehrheitsgesellschaftund jüdische Minderheit – Inhaltli-che Zugänge und Fragestellungen“(Horion-Haus, Hermann-Pünder-Str. 1)

30. bis 31. 8. 2006:Pulheim-Brauweiler

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland „Be-standserhaltung im Archiv“ (Archivdes Landschaftsverbandes Rhein-land)

4. bis 8. 9. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 1-3: Einführung in die Ordnungund Verzeichnung von Archivgut(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

6. bis 29. 9. 2006:Hildesheim

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staats-sicherheitsdienstes der ehemaligenDDR „Staatssicherheit – Garantder SED-Diktatur“ (Rathaushalle,Markt 1)

8. 9. 2006 bis1. 1. 2007:Lemgo

Ausstellung des LandesarchivsNordrhein-Westfalen Staats- undPersonenstandsarchiv Detmold unddes Städtischen Museums Lemgo„‚Wie Engel Gottes…‘ – 700 Jahre St.Marien in Lemgo“ (Hexenbürger-meisterhaus)

11. bis 12. 9. 2006:Berlin

Qualifizierungsprogramm der Fach-hochschule Potsdam für Führungs-kräfte im ArchivwesenModul A 1: Arbeit mit großen Grup-pen – Veränderungsprozesse initiie-ren und gestalten (Tagungsgebäudedes Weiterbildungszentrums der

Freien Universität Berlin, Otto-von-Simson-Str. 13/15)(Die Veranstaltungen des Qualifizierungspro-gramms können einzeln belegt werden. DieseVeranstaltung richtet sich vor allem an ehema-lige Teilnehmer/innen der Bausteinpro-gramme „Management in Archiven“. NähereInformationen unter www.fu-berlin.de/wei-terbildung.)

11. bis 13. 9. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 12: „Von der Truhe ins Magazin“– Nachlässe in Archiven(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

14. 9. 2006:Wertheim-Bronnbach

Bronnbacher Gespräche – Stadtge-schichte(n) (Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Wert-heim)Vortrag: „Vollständig vom Weltver-kehr abgeschlossen…“ Infrastruk-turpolitik in Wertheim 1850–1939am Beispiel der Flussschifffahrt

26. bis 29. 9. 2006:Essen

76. Deutscher ArchivtagThema: Archive und Öffentlichkeit

4. 10. 2006 bis2. 2. 2007:Wien

Ausstellung des Wiener Stadt- undLandesarchivs „Kapuziner, Ein-spänner, Scharlerl Gold – ZurGeschichte der Wiener Kaffeehäu-ser“ (Gasometer D)

12. 10. 2006:Wertheim-Bronnbach

Bronnbacher Gespräche – Stadtge-schichte(n) (Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Wert-heim)Vortrag: Ackerbürger in der Resi-denz – Stadtwirtschaft und Stadtver-fassung in Wertheim und in Süd-westdeutschland

16. bis 17. 10. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 51-2: Elektronische Unterlagen I:IT-gestützte Vorgangsbearbeitungund elektronische Aussonderung(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

16. bis 18. 10. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 22: Schäden an Archivgut erken-nen, begrenzen und behandeln(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

18. bis 19. 10. 2006:Pulheim-Brauweiler

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland in

131Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

MITTEILUNGEN DES VdA – VERBAND DEUTSCHERARCHIVARINNEN UND ARCHIVARE e.V.

Aktuelle Informationen aus dem VorstandNach der beim Deutschen Archivtag 2005 in Stuttgartdurchgeführten Wahl des 23 Mitglieder umfassendenGesamtvorstandes (siehe Protokoll der Mitgliederver-sammlung in Der Archivar 4/2005) wurde auf dessen kon-stituierender Sitzung am 8. Dezember 2005 in Wiesbadender Geschäftsführende Vorstand gewählt. Neben dembereits in der Mitgliederversammlung gewählten Vorsit-zenden Dr. Robert Kretzschmar (Stuttgart) gehören demGeschäftsführenden Vorstand Dr. Michael Diefenbacher(Nürnberg) als 1. Stellvertretender Vorsitzender, Stefan

Benning (Bietigheim-Bissingen) als 2. StellvertretenderVorsitzender, Dr. Martin Dallmeier (Regensburg) alsSchatzmeister und Dr. Heiner Schmitt (Mainz) alsSchriftführer an.

Die bisher bestehenden Ausschüsse „Öffentlichkeitsar-beit“ und „Tag der Archive“ werden auf Beschluss desVorstandes in einem Ausschuss „Öffentlichkeitsarbeit“zusammengefasst. Diesem Ausschuss gehören die Vor-standsmitglieder Prof. Dr. Hans Ammerich (Speyer), Dr.Michael Diefenbacher (Nürnberg), Brigitte Nelles

Zusammenarbeit mit dem Kreisar-chiv Siegburg „Urheberrecht imarchivischen Alltag: Sammlungsbe-reich und Publikation“ (Archiv desLandschaftsverbandes Rheinland)

23. bis 27. 10. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 3: Aufgaben und Betrieb kleinerund mittlerer Archive(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

30. 10. bis1. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 5: Einführung in die Paläogra-phie – 18.–20. Jahrhundert(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

2. bis 3. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 6: Einführung in die Paläogra-phie – 15.–17. Jahrhundert(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

5. bis 10. 11. 2006:Heidelberg

Fortbildungsveranstaltung der Ver-einigung deutscher Wirtschaftsar-chivare e.V.58. VdW-Lehrgang: Einführung indas Wirtschaftsarchivwesen (Ein-steigen – Aufsteigen – Auffrischen)(Information und Anmeldung: Dr. Peter Blum,Fon: 06221 / 5819800, Fax: 06221 / 5849470, E-Mail: [email protected] – Infos auchunter www.wirtschaftsarchive.de)

8. bis 30. 11. 2006:Osnabrück

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR „Staatssicherheit – Garant derSED-Diktatur“ (BBS Osnabrück,Natruper Str. 50)

13. bis 14. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 52-2: Elektronische UnterlagenII: Archivierung(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

13. bis 15. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 62: MidosaXML-Schulung(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

15. bis 16. 11. 2006:Pulheim-Brauweiler

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland „Ar-chivische Öffentlichkeitsarbeit“ (Ar-chiv des LandschaftsverbandesRheinland)

27. bis 30. 11. 2006:Hofgeismar

Wanderausstellung des Landes-kirchlichen Archivs Kassel „Vongebrochenem Brot und zerbroche-nen Bildern – Die zweite Reforma-tion in Hessen-Kassel 1605“ (Herbst-synode der Evangelischen Kirchevon Kurhessen-Waldeck)

8. 12. 2006 bis21. 1. 2007:Paderborn

Ausstellung der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligenDDR „Staatssicherheit – Garant derSED-Diktatur“ (Historisches Mu-seum im Marstall, Marstall 9)

132 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Neujahrsbrief des Vorsitzenden1

An alle Mitglieder des VdA – Verband deutscher Archiva-rinnen und Archivare e. V.Stuttgart, den 9. Januar 2006

Liebe Kolleginnen und Kollegen,in diesen Tagen werden viele von Ihnen wie ich aus demUrlaub zurückkehren, um die Arbeit im neuen Jahr wiederaufzunehmen.

Für dieses neue Jahr 2006 wünsche ich Ihnen herzlichstalles Gute: Gesundheit und Wohlergehen, die Erfüllungberuflicher Ziele und persönlicher Wünsche, nicht zuletztviel Freude an der Arbeit im Archiv und für das Archivwe-sen.

Für den VdA stellt das Jahr 2006 einen wichtigen Ein-schnitt dar. Erstmals in seiner Geschichte bezieht er in die-sen Tagen eine eigene Geschäftsstelle, die unabhängigvom Vorsitzenden eingerichtet ist. Der Vorstand des VdA,dessen Vorschlag zur Schaffung einer festen Geschäfts-stelle die Mitgliederversammlung auf dem 75. DeutschenArchivtag am 29. September 2005 in Stuttgart gefolgt ist,war und ist der Überzeugung, dass dies eine wichtigeVoraussetzung für die weitere Professionalisierung desVerbandes ist. Zugleich wird damit der Kreis der poten-tiellen Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt desVorsitzenden erweitert, da diese Funktion dann auchwahrgenommen werden kann, ohne dass besondereräumliche Anforderungen beim Vorsitzenden zu erfüllensind.

Wir sind zuversichtlich, dass die neue Geschäftsstelle inFulda, die seit dem 2. Januar unter der Leitung von HerrnThilo Bauer, des Geschäftsführers unseres Verbandes,bezogen wird, im Laufes dieses Monats voll funktionsfä-hig sein wird. Sollten sich hier und da umzugsbedingteVerzögerungen und Unpässlichkeiten ergeben, bitten wirSie um Ihr Verständnis.

Die konstituierende Sitzung des neuen Vorstands, derauf dem 75. Deutschen Archivtag in Stuttgart gewähltwurde, hat am 8. Dezember 2005 in Fulda stattgefunden.Dort wurden für den Geschäftsführenden Vorstand dieKollegen Dr. Michael Diefenbacher als 1. Stellvertreten-der Vorsitzender, Stefan Benning als 2. StellvertretenderVorsitzender, Dr. Martin Dallmeier als Schatzmeisterund Dr. Heiner Schmitt als Schriftführer gewählt.

1 Der Neujahrsbrief wurde am 10. Januar 2006 auf der Homepage des VdAveröffentlicht.

Für seine Arbeit in den kommenden Jahren hat sich derneue Vorstand in Fulda auf die folgenden Schwerpunkteverständigt:• Weitere Professionalisierung der Verbandsarbeit• Positionierung hinsichtlich des archivarischen Berufs-

bildes bzw. archivarischer Berufsbilder unter Einbezie-hung der Aus-, Weiter- und Fortbildung

• Verstärkte Positionierung in Fachfragen• Ausbau der zielorientierten Öffentlichkeitsarbeit, auch

durch eine verstärkte Einbringung der Arbeit des VdAin die kulturpolitische Diskussion

• Ausbau und kontinuierliche Anpassung des Internet-Angebots

• Ausbau der Kontakte zu ausländischen Fachverbändenund des Engagements in der internationalen Diskus-sion.Der Auseinandersetzung mit dem Berufsbild und allen

Fragen der Aus-, Weiter- und Fortbildung wird in dernächsten Zeit besondere Bedeutung zukommen. Diesspiegelt sich auch im neu eingerichteten Arbeitskreis desVdA „Ausbildung und Berufsbild“, der seine ArbeitAnfang dieses Jahres aufnehmen wird.

Ein wichtiger Schwerpunkt unseres Jahresprogrammswird der Tag der Archive am 6. und 7. Mai unter demMotto „Der Ball ist rund“ sein. Dazu darf ich auf meinenAufruf zur Mitarbeit in Heft 4 unseres Fachorgans DerArchivar 2005 verweisen, vor allem aber auf die näherenHinweise der Kollegen im Vorstand Prof. Dr. HansAmmerich und Dr. Clemens Rehm auf der Homepageunseres Verbandes, die nachstehend abgedruckt sind,sowie auf das dieser Ausgabe des „Archivar“ beigefügteInformationsblatt. Ich würde mich sehr freuen, wenn sichmöglichst viele Archive an dieser Gemeinschaftsaktion,die nun alle zwei Jahre im Frühjahr auf dem Programmstehen soll, beteiligen würden. Dies ist auch für den Erfolgdes Unternehmens insgesamt und die Außenwirkung desVerbands von großer Bedeutung.

Der 76. Deutsche Archivtag findet vom 26. bis 29. Sep-tember in Essen statt. Das übergeordnete Rahmenthema„Archive und Öffentlichkeit“ dürfte für alle Archivspartenund alle Mitglieder unseres Verbands von Interesse sein.Wir erhoffen uns vielfältige Anregungen für alle Arbeits-felder, geht es doch nicht nur um archivische Bildungs-und Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinne, sondern umdie Öffentlichkeit archivischer Arbeit schlechthin unddamit um die Position und Positionierung der Archive in

(Berlin), Dr. Clemens Rehm (Karlsruhe) und Hans Ger-hard Stülb (Frankfurt/Potsdam) an. Vorrangige Aufgabedes Ausschusses für 2006 ist die Organisation undAbwicklung der Veranstaltung „Tag der Archive“.

Der Vorstand bestätigte für die neue vierjährige Amts-periode die Fortführung der bestehenden Arbeitskreise„Archivische Bewertung“ (Leitung Dr. Andreas Pilger,Düsseldorf), „Archivpädagogik und historische Bildungs-arbeit“ (Leitung Roswitha Link, Münster) und „Ausbil-dung Fachangestellte“ (Leitung Dr. Angela Keller-Kühne, St. Augustin).

Auf Antrag einiger Vorstandsmitglieder richtete derVorstand einen neuen Arbeitskreis „Ausbildung undBerufsbild“ ein, der sich demnächst konstituieren wird.

Mittelfristig sollen die Arbeitskreise „Ausbildung undBerufsbild“ und „Ausbildung Fachangestellte“ zusam-mengeführt werden.

Der diesjährige Deutsche Archivtag findet vom 26.bis zum 29. September 2006 in Essen statt. Für den Archiv-tag 2007 liegt eine Einladung der Stadt Mannheim vor. Fürdie Jahre 2008 und 2009 sind als Austragungsorte Erfurtund Fulda im Gespräch.

Mainz, 13. Dezember 2005

Dr. Heiner SchmittSchriftführer des VdA

133Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

„Der Ball ist rund“ – Informationen zum Tag der Archive 2006Mit diesem Motto überrascht der „Tag der Archive“ imMai 2006 – also unmittelbar vor der Fußballweltmeister-schaft – die Öffentlichkeit. Wer erwartet schon, dassgerade Archive etwas zu diesem Ereignis beizutragenhaben !Wir haben dieses Motto aus folgenden Gründen gewählt:1. Es weckt Neugier und erreicht so die gewünschte Auf-

merksamkeit.2. Das Motto spricht die Besucher in ihrer Alltagswelt an

und ist nicht aus einer archivischen Sichtweise herausformuliert.

3. Viele Archivsparten können das Motto mit ihrenBeständen umsetzen. Dabei kann auch über den unmit-telbaren Anlass „Fußball“ hinaus gedacht werden (Vor-schläge s. u.).

4. Es ist ein facharchivischer Mehrwert erkennbar, weilman mit dem Motto eine archivfachliche Aufgabe vor-stellen kann – in diesem Fall die Sensibilisierung für dieÜberlieferungsbildung vor allem bei Vereinen und denfür den Sport zuständigen Verwaltungen.

Der Ball ist rund

Das Thema ermöglicht für Archive folgende Zugänge:• Der unmittelbarere Zugang zum Thema erfolgt vor

allem natürlich über die Begriffe „Ball“, „Fußball“ oder„Sport“. Als Quellen eignen sich Bilder, Zeitungen, Ver-einsregister, Audio- und Video-Dokumente, Sammlun-gen und Nachlässe. Gerade Archivgut aus dem nicht-staatlichen Bereich kann in den Blick genommen wer-den, um auf vorhandene, aber noch nicht gesicherteÜberlieferungen aufmerksam zu machen. Es können

Vereine gezielt angesprochen und als Besucher(-grup-pen) gewonnen werden.

• Das Thema kann von vielen Archivsparten dargestelltwerden:– Staats- und Kommunalarchive: Bildquellen, Zeitun-

gen, Vereinsregister– Kirchenarchive: christliche Sportvereine (z. B. DJK)– Herrschaftsarchive: Ballsport bei Hofe, Polo– Wirtschaftsarchivare: Betriebssport– Medienarchive: Mitschnitte von Sportereignissen,

Berichte, Hörfunk- und Fernsehsendungen, Diskus-sionen, O-Töne

– Parlamentsarchive: interfraktionelle Teams, Sportge-meinschaften der Parlamentsverwaltungen

– viele Archivsparten: Bau von Sportanlagen• Die zentrale Information der Medien durch den VdA

zum „Tag der Archive“ wird sich – mit Beispielen auseinzelnen Häusern – vor allem auf diesen Aspekt kon-zentrieren, weil wir uns davon eine großes Medienechoerhoffen. Als archivisches Thema werden dabei wir denAspekt Vereinsarchive – verlorene Überlieferungen?herausheben und auf die archivischen Angebote wieDeposita, Schenkungen, Registraturberatung etc. hin-weisen.

• Selbstverständlich ist eine „Übersetzung“ des Mottosebenso möglich. Neben der Bedeutung „Ball“ im Sinnevon „Festlichkeit“ steht eine „runde Sache“ dafür, dassetwas geklappt hat. Weitere Analogien z. B. vom „Ball“zur „Kugel“ könnten ebenfalls gezogen werden.Zu den Aspekten „Festball“ oder „runde Sache“ bötensich z. B. an

der Gesellschaft. Der Programmausschuss arbeitet derzeitanhand der zahlreichen Angebote auf den „Call forPapers“ ein Programm aus, das sehr viel versprechend ist.Auch hier wäre es mir eine große Freude, in Essen mög-lichst viele Teilnehmer begrüßen zu können.

Der Tagungsband zum 75. Deutschen Archivtag 2005 inStuttgart ist im Entstehen und soll bis zum Herbst erschei-nen. Er wird ganz auf das Tagungsthema „Das deutscheArchivwesen im Nationalsozialismus“ konzentriert seinund neben den vorgetragenen Referaten auch einige wei-tere Beiträge enthalten. Wir hoffen, dass dieser Band auchjenseits archivischer Fachkreise Resonanz und vor allemKäufer findet.

Hinweisen möchte ich auch noch darauf, dass am22. September auf dem Deutschen Historikertag in Kon-stanz der Arbeitskreis Archivische Bewertung im VdAeine Sektion zu dem Thema „Geschichtsbilder derArchive/Geschichtsbilder der Wissenschaft: Dokumenteund Deutungen zur Anti-Atomkraft-Bewegung in den1970er Jahren“ anbieten wird. Ich freue mich sehr, dass esgelungen ist, damit auf dem Historikertag im offiziellenProgramm präsent zu sein und mit der historischen For-schung in einen Dialog über Bewertungsfragen einzutre-ten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen im VdA, die Arbeiteines Verbands lebt in starkem Maße vom Engagement sei-ner Mitglieder. Für jedwede Anregung und Rückmeldungwäre ich Ihnen daher sehr dankbar. Die Einrichtung der

festen Geschäftsstelle ist ja gerade mit dem Ziel verbun-den, den Service für die Mitglieder zu optimieren.

Besonders wichtig wären mir auch Vorschläge aus derMitgliedschaft zu Rahmenthemen und Fragestellungen,die auf dem Deutschen Archivtag aufgegriffen werdensollten, oder zu einem geeigneten Motto für zukünftigeTage der Archive. Sollten Sie dafür Vorschläge haben, spre-chen Sie mich bitte an. Für den 77. Deutschen Archivtag,der 2007 in Mannheim stattfinden wird, ist das Rahmen-thema noch nicht festgelegt. Der Vorstand wird sich mitVorschlägen aus seiner Mitte in seiner nächsten SitzungAnfang März befassen, um eine Entscheidung zu treffen.Sollten Sie eine Idee haben, teilen Sie sie bitte möglichstbald, spätestens aber bis zum 6. März der Geschäftsstelleoder mir mit.

In den nächsten Wochen werden wir auch auf derHomepage des VdA eine allgemeine Seite für Anregungenund Anmerkungen aus der Mitgliedschaft einrichten, diedazu dienen soll, für die Kommunikation innerhalb desVerbandes ein Forum zu schaffen.

Mit herzlichen Grüßen bin ichIhr

Dr. Robert Kretzschmar

Vorsitzender des VdA –Verband deutscher Archivarinnen und Archivare

134 Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

LandesarchivSchleswig-Holstein

Im Landesarchiv Schleswig-Holstein ist zum 1. August 2006 dieStelle

der Leitenden Archivdirektorin/des Leitenden Archivdirektors

zu besetzen.Als Landesoberbehörde sichert das Landesarchiv das Archivgutdes Landes und seiner Rechts- und Funktionsvorgänger aufDauer. Zum Landesarchiv gehören das Landtagsarchiv, das Lan-desfilmarchiv und u. a. die Archive der Kieler Universität, derSchleswig-Holsteinischen Ritterschaft, vieler Guts- und Privatar-chive.Das Landesarchiv Schleswig-Holstein versteht sich als Dienstleis-tungseinrichtung auf dem Sektor der Überlieferungssicherung,der Verwaltungsrationalisierung, der Forschung und Bildung.Das Landesarchiv Schleswig-Holstein berät die Landesregierungin Grundsatzfragen der Registratur- und Aktenführung in der Lan-desverwaltung und des Archivwesens auf EU-, Bundes- und Län-derebene sowie bei der Ausgestaltung und Einführung deseGovernment.Zu den Aufgabenschwerpunkten der/s Leitenden Archivdirekto-rin/s zählen– die Leitung der Dienststelle mit rund 35 ständig und ca. 20 zeit-

lich Beschäftigten– die Pflege und Weiterentwicklung des Behördenprofils als

Dienstleistungszentrum– die Vertretung des Archivwesens des Landes – insbesondere in

der Archivreferentenkonferenz – nach außen– die Zusammenarbeit mit regionalen und überregionalen Gre-

mien archivfachlicher InstitutionenGesucht wird eine überdurchschnittlich engagierte und fachlichqualifizierte Persönlichkeit, die– über die Befähigung für die Laufbahn des höheren Archiv-

dienstes und mehrjährige Berufserfahrungen in herausgeho-benen Positionen des Archivwesens verfügt,

– ein hohes Maß an Leistungsbereitschaft, Organisations- undFührungskompetenz, Verhandlungsgeschick und Durchset-zungsvermögen besitzt,

– Erfahrungen in der Anwendung neuer Elemente der Verwal-tungssteuerung, der Kosten-Leistungs-Rechnung und voneGovernment Lösungen mitbringt,

– durch wissenschaftliche Leistungen und Betreuung kulturellerProjekte ausgewiesen ist.

Die Leitung des Landesarchivs Schleswig-Holstein ist eine Füh-rungsposition (Besoldungsgruppe A 16 BBesO), die bei Vorliegender beamtenrechtlichen Voraussetzungen zunächst im Beamten-verhältnis auf Zeit (§ 20 b Landesbeamtengesetz) übertragenwird. Sollten die beamtenrechtlichen Voraussetzungen nichtgegeben sein, ist auch eine Übertragung im Angestelltenverhält-nis (Verg. Gr. I BAT) möglich.Die Landesregierung setzt sich für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ein. Sie werden bei entsprechender Eig-nung bevorzugt berücksichtigt.Die Landesregierung ist bestrebt, ein Gleichgewicht zwischenweiblichen und männlichen Beschäftigten in der Landesverwal-tung zu erreichen. Sie bittet deshalb geeignete Frauen, sich zubewerben und weist darauf hin, dass Frauen bei gleichwertigerEignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorrangig berück-sichtigt werden.Der Initiative der Landesregierung „flexible Arbeitszeiten“ ent-sprechend werden an Teilzeitbeschäftigung interessierte Bewer-berinnen und Bewerber besonders angesprochen.Schriftliche Bewerbungen mit aussagekräftigen Unterlagen undLichtbild werden erbeten bis zum

15. April 2006

an den Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein,

Staatskanzlei, StK 105, Postfach 7122, 24171 Kiel.

Bei Fragen zu dieser Stellenausschreibung wenden Sie sich bittean Frau Stefanie Grembowski (Tel.: 0431/988-1748) oder bei fach-lichen Fragen an Herrn Prof. Dr. Reimer Witt (04621 /861837).

– Herrschaftsarchive: Zeremoniell, Festlichkeiten,Familienfeiern …

– Wirtschaftsarchive: Patente für Maschinen, die„rund“ laufen

– viele Archivsparten: Bau von Festhallen etc.Bei einem lokalen Schwerpunkt in dieser Richtungmuss die Verbindung selber gefunden und v.a. derPresse entsprechend vermittelt werden.

Der VdA bietet kostenlos• einen elektronischen Plakatentwurf zum Herunterla-

den, der eine lokale elektronische Weiterverarbeitungin den gängigen Formaten ermöglicht

• ein Basisplakat, das an zentralen Auslieferungsstellenab Anfang April abgeholt werden kann.Nähere Informationen hierzu entnehmen Sie bitte der

Homepage des VdA oder dem Informationsblatt, das die-ser Ausgabe des Archivar beigefügt ist.

Speyer und Karlsruhe, den 9. Januar 2006

Prof. Dr. Hans Ammerich, Dr. Clemens RehmAusschusss für Öffentlichkeitsarbeit im VdA

135Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 1

Administrative Reform and its Effects on Archival Practice –Baden-Württemberg and Nordrhein-Westfalen compared. 65thconference of archivists from the south-west of Germany at Lin-dau in Lake Constance.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 3–18.The „Südwestdeutsche Archivtag“ (conference of archivists fromthe south-west of Germany) in 2005 at Lindau dealt with the con-sequences of administrative reform on archival practice in thestate archives of Baden-Württemberg (BW) and Nordrhein-West-falen (NRW) and the effects on cooperation with the municipalarchives. Mechthild Black-Veldtrup tackled the reorganisation ofthe relation between state archives and the central departments ofthe Landesarchiv NRW. She also pointed out the positive effects ofa comprehensive discussion of questions of principle between thestate archives and explained the new shared restoration andreprogaphic facilities as well as the synergetic effects of internalreorganisation of the state archives. Robert Kretzschmar reportedon the internal discussion at the Landesarchiv BW which aimed atreviewing the objectives, the corporate identity and the basics ofcooperation. Manfred Waßner’s topic was the communicationbetween the Kreisarchive and the Landesarchiv BW on appraisal,on change of administration organisation and on improved accessto archival material. Thomas Wolf presented a historical review ofhow both state and municipal authorities took care of municipalarchives in Westfalen. He also reported on the possibilities ofcooperation on the field of appraisal between Landesarchiv andmunicipal archives in NRW. The following panel discussioncovered several issues, namely the organisation and the coopera-tion on the field of appraisal and the saving of costs by administra-

tive reorganisation and by reduction of archival tasks. Anotherissue was the communication between archivists, leading civilservants and politicians.

Archival Records as Movable Cultural Objects. – Schäfer, Udo,Objectives of the Reform of the Culture Protection Law from thepoint of view of the Federal and the States Archives Administra-tions – a Policy Document. Introduction and Text. – Olden-hage, Klaus, Archival Records as Subjects of Culture Pro-tection. – Odendahl, Kerstin, The Legal System of the Pro-tection of Cultural Objects in Germany – especially with regardto Archival Records.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 19–28.On November 19, 2004, a panel discussion concerning the cultureprotection law in Germany took place at the Marburg ArchivesSchool. The panel discussion has been organized by the workinggroup „Archives and Law“ set up by the German State Archivists.The audience has been introduced into the subject by presentati-ons of Klaus Oldenhage and Kerstin Odendahl. Klaus Oldenhageshared his long-time-experience concerning the protection ofarchival records as movable cultural objects with the audience,whereas Kerstin Odendahl presented the outlines of the legal sys-tem for the protection of private and public archival records. Thepublication of both presentations is completed by an overview ofthe latest developments in research and legislation written by UdoSchäfer. The overview includes the text of a policy document con-cluded by the German State Archivists already on September 21,1999, which is published the first time.