alles gute zum 40. geburtstag

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| EDITORIAL K ürzlich äußerte ich gegenüber der Redaktion, dass ich Physik in unserer Zeit von Anfang an lese. Da ich seit 17 Jahren zusammen mit Christian Ucke für die von uns ge- gründete Rubrik Spielwiese schreibe, stehe ich in regel- mäßigem Kontakt zu den Redakteuren.Also baten sie mich, ein Editorial zur vorliegenden Jubiläumsnummer zu verfas- sen. Ich komme dem Wunsch gerne nach, weil mich diese Zeitschrift nach wie vor begleitet und begeistert. Warum eigentlich? I ch kann mich nur vage erinnern,wie ich während der Vor- bereitung zum Vordiplom eine der ersten Nummern der Zeitschrift in Händen hielt. Gleich beim ersten Lesen emp- fand ich sie als willkommene Ablenkung vom Pauken. Ich weiß auch nicht mehr, um welchen Artikel es ging. Es war aber eine anspruchsvolle Thematik, bei deren Lektüre ich den Eindruck gewann, etwas zu verstehen und nicht nur – wie es in jenen Wochen der Fall war – etwas nachzuvoll- ziehen. M ein erster Eindruck sollte mich nicht trügen. Der Zeitschrift ge- lang es von Beginn an, Autoren zu ge- winnen, die das Material wirklich grundlegend darstellen können. So kann man auch ohne spezielle Vorbil- dung für die jeweilige Thematik das Wesentliche verstehen. Dabei gehen die Ausführungen meistens über rein populärwissenschaft- liche Darstellungen hinaus. Analogien und Visualisierungen veranschaulichen wesentliche quantitative Zusammenhän- ge der Physik. G erade bei Themen der modernen Physik, wo es oft nö- tig ist, Dinge zu veranschaulichen, die keine Anschau- ung im ursprünglichen Verständnis besitzen, werde ich bei so manchem gelungenen Beitrag an eine Anekdote erin- nert. Man bat Einstein einmal, mit ein paar Worten seine Relativitätstheorie zu erklären, worauf er Folgendes ant- wortete: „An einem heißen Tag ging ich einmal mit einem blinden Freunde über Land und bemerkte beiläufig,daß ich gern ein Glas Milch trinken würde. „Milch?“ fragte mein Freund.„Was trinken ist,weiß ich.Aber was ist Milch?“ „Ein weißes Getränk“, antwortete ich. „Getränk – das kenne ich“, sagte der blinde Mann. „Aber was ist weiß?“ „Die Farbe der Federn eines Schwans.“ „Federn kenne ich. Aber was ist ein Schwan?“ „Ein Vogel mit einem krummen Hals.“ „Was ein Hals ist, weiß ich. Aber was ist krumm?“ Nun verlor ich die Geduld. Ich nahm seinen Arm und streckte ihn. „Das ist gerade“, sagte ich. Dann bog ich den Arm. „Und das ist krumm.“ „Oh“, strahlte der Blinde beglückt, „nun weiß ich, was Sie mit Milch meinen!“ W enn ich in den alten Ausgaben blättere, komme ich nicht darum herum, die rasante Entwicklung der Physik seit jenen Tagen zur Kenntnis zu nehmen.Der Titel Physik in unserer Zeit wächst dabei beständig mit und bleibt stets aktuell. Dabei hat sich nicht nur der Inhalt, son- dern auch die Form der Zeit angepasst. In den ersten Jah- ren füllten die ausführlichen Übersichtsaufsätze fast das ge- samte Heft.Nach und nach gesellten sich neue Rubriken mit unterhaltendem Charakter hinzu,aktuelle Beiträge erhielten mehr Gewicht. Und der anfänglich zweifarbige Druck wur- de von einem durchgehend farbigen abgelöst. H eute beziehen Leser ihre Informationen zunehmend aus dem Internet. Auch dieser Entwicklung trug die Zeitschrift Rechnung: Auf www.phiuz.de sind alle Aus- gaben – seit dem ersten Jahrgang – mit einem entsprechenden Abonne- ment zugänglich. Freien Zugriff haben außerdem alle Besucher auf eine Fül- le an Zusatzmaterial, das von Texten über instruktive Videos bis zu kleinen Programmen reicht. D ie Verbindung von Forschung und Lehre kommt nicht nur implizit in den Aufsätzen zum Ausdruck, auch ex- plizit wird sie durch fachdidaktisch und kontextorientierte Beiträge und Rubriken unterstützt. Oft wird hierbei ein di- rekter Bezug zur Schulphysik hergestellt.In diesem Sinne ha- be ich Physik in unserer Zeit auch immer als inhaltsorien- tierte fachdidaktische Zeitschrift verstanden. I n den vierzig Jahren ihres Bestehens hat die Zeitschrift trotz innerer und äußerer Veränderungen ihr anspruchs- volles und ansprechendes Format behalten. Dazu gratulie- re ich sehr herzlich und wünsche Physik in unserer Zeit, dass sie auch in Zukunft mit zeitgemäßen Beiträgen zur Ver- breitung interessanter,anspruchsvoller und eingängiger phy- sikalischer Ideen, Forschungsergebnisse und kontextorien- tierten Themen erfolgreich wirken kann. Alles Gute zum 40. Geburtstag Prof. Dr. Hans- Joachim Schlichting leitet das Institut für Didaktik der Physik an der Universität Münster. Er ist Mitbegründer der Rubrik Spielwiese in der Phiuz, 2008 ver- lieh ihm die Deutsche Physikalische Gesell- schaft den Robert- Wichard-Pohl-Preis. DINGE VERANSCHAULICHEN, DIE KEINE ANSCHAUUNG BESITZEN © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 1/2010 (41) | Phys. Unserer Zeit | 3

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Page 1: Alles Gute zum 40. Geburtstag

| E D I TO R I A L

Kürzlich äußerte ich gegenüber der Redaktion, dass ichPhysik in unserer Zeit von Anfang an lese. Da ich seit

17 Jahren zusammen mit Christian Ucke für die von uns ge-gründete Rubrik Spielwiese schreibe, stehe ich in regel-mäßigem Kontakt zu den Redakteuren.Also baten sie mich,ein Editorial zur vorliegenden Jubiläumsnummer zu verfas-sen. Ich komme dem Wunsch gerne nach, weil mich dieseZeitschrift nach wie vor begleitet und begeistert. Warumeigentlich?

Ich kann mich nur vage erinnern,wie ich während der Vor-bereitung zum Vordiplom eine der ersten Nummern der

Zeitschrift in Händen hielt. Gleich beim ersten Lesen emp-fand ich sie als willkommene Ablenkung vom Pauken. Ichweiß auch nicht mehr, um welchen Artikel es ging. Es waraber eine anspruchsvolle Thematik, bei deren Lektüre ichden Eindruck gewann, etwas zu verstehen und nicht nur –wie es in jenen Wochen der Fall war – etwas nachzuvoll-ziehen.

Mein erster Eindruck sollte michnicht trügen. Der Zeitschrift ge-

lang es von Beginn an, Autoren zu ge-winnen, die das Material wirklichgrundlegend darstellen können. Sokann man auch ohne spezielle Vorbil-dung für die jeweilige Thematik dasWesentliche verstehen. Dabei gehendie Ausführungen meistens über rein populärwissenschaft-liche Darstellungen hinaus.Analogien und Visualisierungenveranschaulichen wesentliche quantitative Zusammenhän-ge der Physik.

Gerade bei Themen der modernen Physik, wo es oft nö-tig ist, Dinge zu veranschaulichen, die keine Anschau-

ung im ursprünglichen Verständnis besitzen, werde ich beiso manchem gelungenen Beitrag an eine Anekdote erin-nert. Man bat Einstein einmal, mit ein paar Worten seineRelativitätstheorie zu erklären, worauf er Folgendes ant-wortete: „An einem heißen Tag ging ich einmal mit einemblinden Freunde über Land und bemerkte beiläufig,daß ichgern ein Glas Milch trinken würde. „Milch?“ fragte meinFreund.„Was trinken ist,weiß ich.Aber was ist Milch?“ „Einweißes Getränk“,antwortete ich.„Getränk – das kenne ich“,sagte der blinde Mann. „Aber was ist weiß?“ „Die Farbe derFedern eines Schwans.“ „Federn kenne ich. Aber was istein Schwan?“ „Ein Vogel mit einem krummen Hals.“ „Wasein Hals ist, weiß ich. Aber was ist krumm?“ Nun verlor ich

die Geduld. Ich nahm seinen Arm und streckte ihn. „Das istgerade“, sagte ich. Dann bog ich den Arm. „Und das istkrumm.“ „Oh“, strahlte der Blinde beglückt, „nun weiß ich,was Sie mit Milch meinen!“

Wenn ich in den alten Ausgaben blättere, komme ichnicht darum herum, die rasante Entwicklung der

Physik seit jenen Tagen zur Kenntnis zu nehmen. Der TitelPhysik in unserer Zeit wächst dabei beständig mit undbleibt stets aktuell. Dabei hat sich nicht nur der Inhalt, son-dern auch die Form der Zeit angepasst. In den ersten Jah-ren füllten die ausführlichen Übersichtsaufsätze fast das ge-samte Heft.Nach und nach gesellten sich neue Rubriken mitunterhaltendem Charakter hinzu,aktuelle Beiträge erhieltenmehr Gewicht. Und der anfänglich zweifarbige Druck wur-de von einem durchgehend farbigen abgelöst.

Heute beziehen Leser ihre Informationen zunehmendaus dem Internet. Auch dieser Entwicklung trug die

Zeitschrift Rechnung: Auf www.phiuz.de sind alle Aus-gaben – seit dem ersten Jahrgang –mit einem entsprechenden Abonne-ment zugänglich.Freien Zugriff habenaußerdem alle Besucher auf eine Fül-le an Zusatzmaterial, das von Textenüber instruktive Videos bis zu kleinenProgrammen reicht.

Die Verbindung von Forschung und Lehre kommt nichtnur implizit in den Aufsätzen zum Ausdruck, auch ex-

plizit wird sie durch fachdidaktisch und kontextorientierteBeiträge und Rubriken unterstützt. Oft wird hierbei ein di-rekter Bezug zur Schulphysik hergestellt. In diesem Sinne ha-be ich Physik in unserer Zeit auch immer als inhaltsorien-tierte fachdidaktische Zeitschrift verstanden.

In den vierzig Jahren ihres Bestehens hat die Zeitschrifttrotz innerer und äußerer Veränderungen ihr anspruchs-

volles und ansprechendes Format behalten. Dazu gratulie-re ich sehr herzlich und wünsche Physik in unserer Zeit,dass sie auch in Zukunft mit zeitgemäßen Beiträgen zur Ver-breitung interessanter,anspruchsvoller und eingängiger phy-sikalischer Ideen, Forschungsergebnisse und kontextorien-tierten Themen erfolgreich wirken kann.

Alles Gute zum 40. Geburtstag

Prof. Dr. Hans-Joachim Schlichtingleitet das Institut fürDidaktik der Physikan der UniversitätMünster. Er istMitbegründer derRubrik Spielwiese inder Phiuz, 2008 ver-lieh ihm die DeutschePhysikalische Gesell-schaft den Robert-Wichard-Pohl-Preis.

DINGE VERANSCHAULICHEN,

DIE KEINE ANSCHAUUNG

BESITZEN

© 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 1/2010 (41) | Phys. Unserer Zeit | 3