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Aktuelle Normative Orientierungen, Geschlechteridentitäten und Berufswahlentscheidungen junger Frauen AN(N)O 2015 Prof. Dr. Melanie Plößer Fachhochschule Bielefeld

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Page 1: Aktuelle Normative Orientierungen, Geschlechteridentitäten und Berufswahlentscheidungen junger Frauen AN(N)O 2015 Prof. Dr. Melanie Plößer Fachhochschule

Aktuelle Normative Orientierungen, Geschlechteridentitäten und

Berufswahlentscheidungen junger Frauen

AN(N)O 2015

Prof. Dr. Melanie Plößer Fachhochschule Bielefeld

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AN(N)O 2015 – Zum Forschungsprojekt Problemaufriss Forschungsinteresse Theoretische Rahmung Einblicke in die Datenauswertung

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Bundesweites Forschungsprojekt

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und aus Mitteln des Sozialfonds der Europäischen Union

Laufzeit: 2011-2014

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Frauenanteil an Beschäftigten insgesamt: 46%, an Hochschulabschlüssen: 51% (BMFSFJ 2010: Frauen in Führungspositionen. Barrieren und Brücken)

Angleichung der Erwerbsorientierung und des Bildungsniveaus von Frauen und Männern

Keine formalen Zugangsbeschränkungen zu einzelnen Berufsfeldern aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit

Deutliche, stabile Trennung der Geschlechter in unterschiedliche Bereiche der Arbeitswelt

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Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2012): Studienfachwahl - typisch Frau, typisch Mann?

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Welche normativen Orientierungsmuster leiten die Berufswahlentscheidungen junger Menschen, insbesondere junger Frauen?

Offenlegung von Hürden und Anforderungen in Bezug auf die Studien- und Berufswahl, um diese verändern zu können

Aufzeigen neuer Ansatzpunkte zur Entwicklung einer geschlechtergerechteren Studienfach- und Berufsfindung

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Berufswahlen und Lebensplanungen als interaktive Prozesse (doing gender / doing difference)

Wahlen erfolgen nicht frei, sondern vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen, individueller Sozialisationsgeschichte und innerhalb eines normativ vorstrukturierten Orientierungsrahmens

Gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen über anerkennenswerte Lebensentwürfe von Frauen und Männern (vgl. Butler 1993, 1995, 2009)

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Gruppendiskussionen mit Schülerinnen und Schülern an Schulen mit gymnasialer Oberstufe

Vertiefende Interviews mit Studentinnen der Ingenieurwissenschaften im ersten Semester

Erhebungen in Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Thüringen

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 Pia: Ich find´s voll witzig, ich hab also öfter diese Tests gemacht, auch so etwas umfangreichere Berufswahltests und da kamen IMMER

technische Berufe bei raus. Ich weiß nicht, ob das auch so en Wink mit dem Zaunpfahl ist, einfach von den Unis, dass die sich nach Frauen in technischen Berufen sehnen. Ich weiß es nicht.

((mehrere lachen)) Pia: Aber, ähm, ich hab, also ich find, also ich kann mir jetzt gar nicht

vorstellen, aber zum Beispiel was ich auch mitkriege, zum Beispiel mein Freund studiert Ingenieurinformatik und da sind auch im ganzen Studien-, Studiengang zwei Frauen, glaub ich, ne, und das sind auch so richtige Mannsweiber, also …

((mehrere lachen)) Nesrin: Boah.

((mehrere lachen))Pia: … das sind auch nicht, wo man, wo man sich vorstellen kann, okay,

das könnte jetzt jedes Mädchen einfach so machen, ne. Und, also obwohl, ich weiß nicht, es würd mich einfach nicht interessieren.

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Männliche Codierung des Informatikberufs

[„ob das auch so en Wink mit dem Zaunpfahl ist, einfach von den Unis, dass die sich nach Frauen in technischen Berufen sehnen“] → Wissen um gesellschaftliche Anrufungsprozesse

[„da sind auch im ganzen (…), Studiengang zwei Frauen“; „das sind auch so richtige Mannsweiber“] → Frauen in der Informatik weichen sowohl von der statistischen Norm als auch von der Geschlechternorm ab

[„das sind auch nicht, (…) wo man sich vorstellen kann, okay, das könnte jetzt jedes Mädchen einfach so machen“] → Argumentation auf Grundlage naturalisierter Geschlechterdifferenz reproduziert männliche Geschlechtersymbolik

Frauen in der Informatik laufen Gefahr berufliche Kompetenz oder geschlechtliche Identität aberkannt zu bekommen → Mechanismus der Aufrechterhaltung beruflicher Geschlechtergrenzen

[„Und, also obwohl, ich weiß nicht, es würd mich einfach nicht interessieren“] → Individuelles Interesse als legitimer und geschlechtsneutraler Begründungszusammenhang für die Verwerfung technischer Berufswahloptionen

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Elisa: Ich stell mir eigentlich auch mehr so die Frage, ähm, so, wenn ich mich jetzt dazu entscheide, Kinder zu bekommen, wozu schlag ich dann überhaupt diesen komplizierten Weg mit erst so lange Schule und dann Studium und so weiter, wozu schlag ich das alles ein, wenn ich nachher am Ende sowieso da steh und mit Anfang, Mitte 30 Hausfrau und Mutter bin. Senna: Du kannst trotzdem noch arbeiten. Du kannst ja, meine Eltern arbeiten auch beide.Elisa: Aber wenn ich jetzt den Beruf einschlage, den ich, äh, ja, in Erwägung ziehe, einzuschlagen und so ...Aline: Dann setzt du ein Jahr aus und dann kommt das Kind in den Kindergarten oder Tageskita.Senna: Oder, oder der Papa passt drauf auf. Oder dann hast du einen Hausmann zu Hause. Elisa: Also für mich gehört der Mann sowieso schon mal nicht nach Hause.

Aber da können wir uns auch noch drüber streiten. Also da … ((mehrere lachen))Senna: Ja oder dann guck mal, dann verdienst du viel Geld, dann kannst du dir ´ne,

´ne Nanny leisten, die dann auf dein Kind aufpasst.

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Gesa: Aber tut es dann einem Kind gut nur mit Nanny aufzuwachsen? Elisa: Ja eben. Also…Hanna: Aber, aber warum hab ich sonst Kinder in die Welt gesetzt, wenn

ich die Erziehung ... Gesa: Ja. Ja.Hanna: ... von meinen Kindern auch anderen überlasse. Aline: Man kann ja auch halbtags arbeiten.Elisa: Ja ist halt, ja, das ist in manchen Berufen aber einfach, einfach schwierig. Und ich ....Hanna: Aber in manchen Berufen ist es halt nicht möglich.

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Orientierungsrahmen: Anforderung, Elternschaft und Berufstätigkeit zu vereinbaren (Doppelorientierung)

Annahme einer Primärverantwortlichkeit für Kinder vor dem Hintergrund einer gleichzeitigen Erwerbsorientierung

Kollektives Wissen um traditionelle Geschlechterrollen

Kontroverse Diskussion von Möglichkeiten und Hürden einer Verbindung von Kindern/Mutter-Sein und Berufstätigkeit

Anforderung: Einbezug von Möglichkeiten und Hürden in eigene Berufswahlentscheidung

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 Fee: Also wenn ich/ wenn ich die/ die Frauen sehe, die Kfz-Mechatronikerin sind, ich kenne einige, die sehen echt nicht mehr weiblich aus. Die sehen aus wie so ein Bär.

(mehrere lachen)Fee: Das ist so für mich keine weibliche Rolle mehr, wenn ich so denke, ich sehe irgendwann so aus wie so/ (.) wie so ein Teddybär (lachend).

(mehrere lachen)Gesa: Ja aber das bringt das Körperliche so mit sich.Inga: Breites Kreuz.Fee: Ja, die sah aus wie´n Schrank, das könnte ich nicht.Gesa: Auch wenn du Tischlerin bist oder so.Henny: Aber ich finde jeder sollte das machen, worauf er Lust hat.Gesa: Wenn du schleppen musst oder so.Brit: Aber dann, wenn du Tischlerin bist, dann bist du glaube ich auch gar nicht mehr so weiblich in dem Sinne, wie wir das gerade so klischeehaft darstellen so (lachend). Ähm, du hast dann auch gar nicht mehr/, also, weiß ich nicht, ich kann das ja jetzt nicht so nachfühlen, aber ich kann mir halt vorstellen, dass dieses (.) weiblich sein (lacht), also dieses Nach-außen-Tragen so ein bisschen im Hintergrund kommt.

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normative Anforderung: der aktive Körper

Männlich codierte Berufe werden als Gefährdung der Darstellung von intelligibler, d.h. anerkannter Weiblichkeit durch die Ressource Körper verstanden / Gefahr der Angleichung an männlichen Körper („Das ist so für mich keine weibliche Rolle mehr“ / „aber ich kann mir halt vorstellen, dass dieses weiblich sein, also dieses Nach-außen-Tragen so ein bisschen im Hintergrund kommt“)

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In Gruppendiskussionen werden normative (dabei vielfach widersprüchliche) Anforderungen in Bezug auf Mutterschaft, Weiblichkeit, Vereinbarkeit, Körperlichkeit aktualisiert und damit erkennbar

Diese normativen Anforderungen müssen von den jungen Frauen (und Männern) im Zuge ihrer Lebensplanungen und Berufswahlentscheidungen bearbeitet werden

Die normativen Anforderungen haben großen Einfluss auf die Berufswahlentscheidungen und Lebensplanungen junger Frauen und Männer

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Herzlichen Dank!

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In Berufsberatungsprozessen geht es weniger darum, dass Entscheidungen getroffen werden, als dass Bedeutungen konstruiert, kohärente Erzählungen und Imaginationen von sich entwickelt werden (Savickas et al. 2009: 8)

Berufswahlentscheidungen erfolgen nicht isoliert, vielmehr werden hier weitere identitäre Positionierungen, wie die Rolle als Familiengründer_in, als Vater oder Mutter, Freund_in, Bürger_in, aber Fragen der körperlichen Darstellungsformen nach Hobbies oder der verfügbaren Zeit evident

Lebensplan-Beratung sollte die Subjekte unterstützen im Rahmen des Beratungsprozesses alle für sie wichtigen Lebens-Rollen im Rahmen ihrer Berufsplanungen in Betracht zu ziehen (Savickas et al. 2009: 4).

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Aufgabe von Berufsberatung nicht Addition weiterer Informationen oder Inhalte, sondern Vermittlung von Strategien des Umgangs mit und der Bewältigung von Informationen „Counselors must discuss with clients `how to` not `what to`“ (Savickas 2009: 4)

Begabungen und Interessen der Subjekte sind nicht starr und unveränderlich, sondern wandeln sich im Laufe der Biographie -> Annahme nicht linearer Dynamiken von Berufs- und Karrierewegen

Anerkennung der Bedeutung von Normen und Bildern im Rahmen der Berufsplanungen -> Einbezug & Reflexion dieser Normen und Bilder

Berufsfindung als diskursiver Konstruktionsprozess