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„Dem Leben gewachsen – Gesundheitsressourcen von Berliner Jugendlichen gemeinsam stärken“ Dokumentation des Gesundheitsforums der Landesgesundheitskonferenz Berlin vom 2. Dezember 2013

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„Dem Leben gewachsen – Gesundheitsressourcen von

Berliner Jugendlichen gemeinsam stärken“

Dokumentation des Gesundheitsforums der Landesgesundheitskonferenz Berlin vom 2. Dezember 2013

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„Dem Leben gewachsen…“ Dokumentation des Gesundheitsforums der LGK vom 2. Dezember 2013

Einführungsvortrag:

Heike Hölling, Projektleiterin KiGGS-Studie beim Robert Koch-Institut Berlin

Podium• emine Demirbüken-Wegner, Staatssekretärin für Gesundheit Berlin

• elfi Jantzen, Bezirksstadträtin für Jugend, Familie, Schule, Sport und Umwelt Charlottenburg-Wilmersdorf

• klemens senger, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Neukölln, Landesverbandsvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V.

• iris spitzner, IKK Brandenburg und Berlin

• ilona bernsDorf, Schulleiterin der Herman-Nohl-Schule Berlin

• erika takano-forck, Landeselternausschuss Schule Berlin

Moderation Dagmar lettner, Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.

Einleitung

Neben der Kindheit stellt die Jugend eine Le-bensphase dar, in der wichtige Weichen für die weitere Entwicklung eines Menschen gestellt werden. Gleichzeitig ist diese Lebensphase mit vielfältigen körperlichen Veränderungen und psychischen Belastungen verbunden, denen sich junge Menschen spätestens mit dem Über-gang in diese sensible Phase stellen müssen.

Untersuchungen (u.a. KiGGS, HBSC-Studie) zeigen eine Verschiebung von akuten zu chro-nischen Erkrankungen sowie von somatischen zu psychischen Störungen bei Kindern und Ju-gendlichen – Stichwort „Neue Morbidität“. Ganz konkret gibt es bei jeder/m siebten 11 bis 15-Jährigen Hinweise auf psychische Auffällig-keiten. Für die Betroffenen bedeuten diese ei-ne deutliche Beeinträchtigung ihrer Lebens-qualität und stehen häufig in Zusammenhang mit weiteren (gesundheits-)schädigenden Fak-toren oder Verhaltensweisen in ihrer Form und

chen gemeinsam stärken“ der Landesgesund-heitskonferenz Berlin statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurde über das Thema Jugend-gesundheit – besonders im Hinblick auf psychi-sche Gesundheit – informiert, Einblicke in be-reits in Berlin bestehende Strukturen und lau-fende Aktivitäten der Prävention und Gesund-heitsförderung gegeben und deren Weiterent-wicklungspotenziale diskutiert – so auch die Ausweitung des Einladewesens der Jugendge-sundheitsuntersuchung J1. Das Gesundheitsfo-rum, durch das Dagmar Lettner von Gesund-heit Berlin-Brandenburg führte, gab zahlrei-chen Akteurinnen und Akteuren aus unter-schiedlichen Bereichen, z.B. Krankenkassen, Schulen, Verwaltung, Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe, Stadtentwicklung, als auch den Eltern, Lehrer/innen, Kinder- und Jugendärzt/innen eine Plattform zur Vernetzung und zur Diskussion mit politischen Entscheidungsträ-gern.

Blitzlicht: Jugendliche über Gesundheit Filmbeitrag von Caiju e.V.

ihrem Ausmaß beeinflusst vom familiären Wohlstand, Geschlecht und Migrationshinter-grund.

Um diesen Entwicklungen zu begegnen, ist es notwendig, Jugendliche in ihren körperlichen, geistigen und psychischen Ressourcen zu stär-ken, um sie so für die Bewältigung aktueller und künftiger Herausforderungen zu befähi-gen. Hier kommt der Prävention und Gesund-heitsförderung eine entscheidende Bedeutung zu. Um diese nachhaltig umsetzen zu können, sind neben den Jugendlichen selbst zahlreiche Akteure gefordert: Eltern, Schulen, Kranken-kassen, Ärztinnen und Ärzte sowie andere Fachkräfte bis hin zu kommunalen Einrichtun-gen und politischen Entscheidungsträgern.

Vor diesem Hintergrund fand in der Urania das Gesundheitsforum „Dem Leben gewachsen – Gesundheitsressourcen von Berliner Jugendli-

Das Gesundheitsforum der Landesgesund-heitskonferenz wurde mit einem filmischen Eingangsstatement von Jugendlichen eröffnet. Die Heranwachsenden stellen in dem Filmbei-trag, welcher in Auftrag von Gesundheit Berlin-Brandenburg vom Verein Caiju produziert wur-de, ihre Sicht auf Gesundheit und Wohlbefin-

den dar. Der Film zeigt, dass die Jugendlichen ein differenziertes Verständnis von Gesundheit – auch im Kontext psychischer Gesundheit – haben und darüber hinaus Mittel und Wege kennen, (ihre) Gesundheit zu erhalten. Damit wird einmal mehr deutlich, wie wertvoll die Perspektive der Jugendlichen grundsätzlich ist

und wie nützlich ihre stärkere Einbeziehung in die Planung und Umsetzung von Angeboten der Prävention und Gesundheitsförderung wä-re. Das Video kann unter folgendem Link abgeru-fen werden: www.youtube.com/watch?v=PSwi1DwXsJs

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Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – Risiken und Ressourcen für eine gesunde EntwicklungHeike Hölling, Robert Koch-Institut, Berlin

Bezugnehmend auf den vorangegangenen Filmbeitrag berichtet Heike Hölling vom Robert Koch-Institut und Leiterin der bundesweiten KiGGS-Langzeitstudie über den aktuellen Ge-sundheitszustand der unter 18-Jährigen sowie über mögliche Risiken und Ressourcen für eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugend-lichen.

Wie gesund sind Kinder und Jugendliche in Deutschland?

Kurth & Lange (2007) berichten auf der Daten-grundlage der KiGGS-Baselineuntersuchung (2003-2006) darüber, dass über 90% der El-tern den Gesundheitszustand ihrer Kinder als „sehr gut“ oder „gut“ einschätzen. Bei 6,8% der Kinder und Jugendlichen bewerten die El-tern den Gesundheitszustand als mittelmäßig, schlecht oder sehr schlecht. Dabei haben unter anderem Kinder und Jugendliche aus Eltern-häusern mit niedrigem Sozialstatus häufiger ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Proble-me.Mit Blick in aktuelle Pressemeldungen ent-steht der Eindruck, dass Kinder und Jugend-liche immer häufiger von psychischen Auffäl-ligkeiten oder Störungen betroffen sind: von immer mehr Kindern mit ersten Symptomen einer Essstörung ist im Ärzteblatt die Rede (2013) und auf Depression als unterschätztes Problem bei 8- bis 14-Jährigen wird aufgrund der Life-Studie des Leipziger Forschungszent-rums für Zivilisationskrankheiten (2013) hinge-wiesen. Die epidemiologische Datenlage spie-gelt ähnliches wieder: Auffälligkeiten im Erle-ben und Verhalten (Barkmann & Schulte-Mark-wort 2012) und eine frühe Prävalenz jeglicher psychischen Störungen (Wichstrom et al. 2012) sind zu beobachten, oftmals sind psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen chronisch und häufig Wegbereiter für genau solche Erkrankungen im Erwachsenenalter (Ih-le et al. 2000).

Vor diesem Hintergrund komme der Förderung der psychischen Gesundheit im Kindes- und Ju-gendalter eine große Bedeutung zu. Dement-sprechend sei es wichtig, die Faktoren zu ken-nen, mit denen Einfluss auf die psychische Ge-sundheit genommen werden kann. Neben indi-viduellen, familiären und sozialen Faktoren werden diesbezüglich insbesondere wirtschaft-liche und Umfeldfaktoren (wie soziale Lage und Lebensbedingungen) hervorgehoben.

Schwerpunkte und Ergebnisse bei der Erhebung der psychischen Gesundheit

von Kindern und Jugendlichen

KiGGS erfasse die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen über verschiedene Fragestellungen. Es werde unter anderem die Prävalenz spezifischer Merkmale psychischer

Auffälligkeiten, die Häufigkeit und Ausprägung von Risiko- und Schutzfaktoren sowie Zusam-menhänge zwischen Belastungen/Ressourcen und psychischen Auffälligkeiten betrachtet. Hölling warnt: Bei fast jedem 7. Kind seien im Rahmen der Erhebung sowohl psychische Auf-fälligkeiten in Form von emotionalen- und Peerproblemen als auch Hyperaktivitäts- und Verhaltensprobleme festgestellt worden.Im Hinblick auf die gesundheitliche Entwick-lung seien in Abhängigkeit des Geschlechts und des sozialen Status Unterschiede festzu-stellen: Demnach treten bei Kindern und Ju-gendlichen aus Familien mit niedrigem sozia-len Status häufiger psychische Auffälligkeiten auf als bei Kindern und Jugendlichen mit mitt-lerem oder hohem sozialen Status. Ge-schlechtsspezifisch betrachtet seien Jungen häufiger von psychischen Auffälligkeiten und Hyperaktivitätsproblemen betroffen, Mädchen dagegen öfter emotional belastet. Hinsichtlich der Prävalenz von Essstörungen zeige sich, dass insgesamt mehr als jedes 5. Kind in

Deutschland entsprechende Symptome hat. Dabei dominiere der Anteil der Mädchen deut-lich, jedoch seien auch Jungen betroffen. Bei 4,8% der Heranwachsenden in Deutschland sei zudem ADHS diagnostiziert worden, die Anzahl der zusätzlichen Verdachtsfälle liegt in etwa im gleichen Prozentbereich. Von dieser Erkran-kung sind deutlich mehr Jungen als Mädchen

betroffen. Hinsichtlich Gewalterfahrungen nennt Hölling ebenfalls bedenkliche Fakten. Demnach wäre ein Viertel der Kinder und Ju-gendlichen in Deutschland in den letzten 12 Monaten von Gewalt betroffen – mit Blick auf das Geschlecht ist das etwa jeder 3. Junge und jedes 6. Mädchen.

Neue Morbidität auch ein Ausdruck des Ungleichgewichts von Risiko- und

Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen?

Die KiGGS-Studie beschäftige sich auch inten-siv mit Risiko- und Schutzfaktoren. Hölling dif-ferenziert zwischen beiden Begriffen – diese seien nicht automatisch zwei Seiten einer Me-daille. Risikofaktoren verringern die Wahr-scheinlichkeit einer Person, gesund zu bleiben oder zu werden. Schutzfaktoren hingegen mil-dern die Auswirkungen von Risikofaktoren ab oder steigern Gesundheit und Wohlbefinden.

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Die neue Morbidität wird als eine Verschie-bung des Krankheitsspektrums von den aku-ten zu den chronischen Erkrankungen sowie von den somatischen zu den psychischen Stö-rungen und Auffälligkeiten beschrieben. Zu den Erscheinungsformen der neuen Morbidität im Bereich der psychischen Gesundheit im Kin-des- und Jugendalter zählen unter anderem verschiedene Formen von Verhaltens- und Ent-wicklungsstörungen. Die Bewältigung von in-neren (körperlichen und psychischen) und äu-ßeren (sozialen und materiellen) Anforderun-gen gelinge einem Teil der Kinder und Jugend-lichen nicht mehr ausreichend.

Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und psychischen Erkrankungen im

Jugendalter

Entsprechend der gewonnenen Erkenntnisse aus KiGGS stellten beispielsweise Familien-konflikte und chronische Erkrankungen Risiko-faktoren für das Auftreten von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen dar. Zudem wurde ein Zusammenhang zwi-schen Familienklima und Gesundheitsverhal-ten festgestellt. So zeigten Kinder und Jugend-liche mit defizitärem Familienklima ein erhöh-tes gesundheitliches Risikoverhalten, gemes-sen an den Parametern Rauchen sowie Alko-hol- und Drogenkonsum. Untersucht wurden auch Familienkonstellationen hinsichtlich „vollständig“ und „unvollständig“, wonach Kinder in unvollständigen Familien auffälliger seien als solche in vollständigen Familien. Ein-fluss auf den Gesundheitszustand der Heran-wachsenden nehme auch die Berufstätigkeit

von alleinziehenden Müttern: Hier wurde deut-lich, dass Kinder arbeitsloser bzw. nicht be-rufstätiger alleinerziehender Mütter mehr Auf-fälligkeiten als Kinder von alleinerziehenden, aber berufstätigen Müttern zeigen. Berufstä-tigkeit bringe meist ein soziales Netz und Er-

Welche Ressourcen wirken sich auf die psychische Gesundheit von

Jugendlichen aus?

Im Rahmen von KiGGS seien zudem Erkennt-nisse zu gesundheitlichen Schutzfaktoren ge-wonnen worden. Protektiv auf die Gesundheit wirken beispielsweise ein positives Selbst-wertgefühl und Autonomie (personale Res-sourcen), Harmonie und sichere Bindung (fa-miliäre Ressourcen) sowie soziale Unterstüt-zung (soziale Ressourcen). In den Erhebungen von KiGGS beantworteten Kinder mit psychi-schen Auffälligkeiten Fragen nach diesen Schutzfaktoren deutlich ungünstiger als Nicht-auffällige.

Wo sollten Maßnahmen der Prävention und

Gesundheitsförderung ansetzen?

Abschließend und im Hinblick auf die Umset-zung von Maßnahmen der Prävention und Ge-sundheitsförderung betonte Heike Hölling nochmals die Bedeutung von Schutz- und Risi-kofaktoren. Diesbezüglich gelte es Risiken zu identifizieren und zu minimieren oder gar ab-zubauen sowie gleichzeitig auch Schutzfakto-ren zu stärken und zu entfalten.

folgserlebnisse mit sich und wirkt dahinge-hend protektiv. Risikofaktoren für Störungen im Essverhalten seien beispielsweise ein gerin-ges Selbstwertgefühl oder zunehmender Ein-fluss durch die Medien („Schlankheitsnorm“).

Damit sich Jugendliche wohlfühlen und gesund entwickeln können, kommt nach Frau Hölling auch der Gesellschaft insgesamt eine entschei-dende Verantwortung zu. Zu einer angeneh-men Atmosphäre und zur guten Stimmung kön-ne jeder beitragen. Bezogen auf die Gruppe der

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Jugendlichen seien hier insbesondere Lernräu-me inner- und außerhalb von Schulen wichtig.

In Rahmen von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung komme zudem den Eltern eine wichtige Rolle zu. Eltern wollten in der Regel das Beste für ihr Kind. Was den El-

tern heute allerdings oftmals fehle, ist ein „ge-sundes Bauchgefühl“ – das Vertrauen in die eigene Erziehungskompetenz. Diesbezüglich gelte es Eltern zu stärken, um es ihnen zu er-leichtern, selbstbestimmt Entscheidungen für und mit ihren Kindern zu treffen.

Außerdem könne eine weitere Vernetzung und intensivere Zusammenarbeiter aller Akteur/in-nen, die Verantwortung für Kinder und Jugend-liche und deren Gesundheit übernehmen, zum besseren Erkennen, Bewerten und Handeln vor oder in Problemsituationen beitragen.

Zu diesem Zweck werde beispielsweise eine ‚virtuelle Landkarte‘ mit den Mitgliedern der Landesgesundheitskonferenz (u. a. Kassen, Ver bände, Bezirke) entwickelt, um Angebotslü-cken in Berlin gemeinsam zu identifizieren und zu schließen.

Darüber hinaus werde gemäß den Koalitions-vereinbarungen aktuell die Erweiterung der Einschulungsuntersuchungen um den Teil der seelischen Gesundheit erarbeitet. Durch den SDQ – Fragebogen (Strenghts and Difficulties Questionnaire) könnten vielfältige Erkenntnis-se darüber gewonnen werden, welche Fakto-ren die seelische Gesundheit bereits bei Vor-schulkindern besonders beeinflussen und wie der Übergang von der Kita in die Schule besser gestaltet werden kann. Insbesondere auch Kin-der mit Zuwanderungsgeschichte könnten da-von profitieren, weil der notwendige Förderbe-darf früher erkannt wird.

klemens senger, Facharzt für Kinder- und Ju-gendmedizin Neukölln und Landesverbands-vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V., bestätigt die Ergebnisse

Podiumsdiskussion

Zentrale Herausforderungen und Handlungsansätze zur

Förderung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen

Die Staatssekretärin für Gesundheit, Frau emine Demirbüken-Wegner, führt aus, dass für sie das Thema Kinder- und Jugendgesundheit seit ihrer Abgeordnetenzeit ein Herzensanliegen ist. Des-halb erschrecke es sie immer wieder feststellen zu müssen, dass seither in diesen Fragen die grundlegend positiven Veränderungen schlep-pend vorangehen. Allein die Tatsache, dass be-reits 10% aller Kinder im Vorschulalter an seeli-schen Störungen leiden und jedes 5. Kind mit Verhaltensauffälligkeiten in die Schule kommt, verdeutlicht, dass die Gesundheitsförderung für junge Menschen frühzeitig und nachhaltig an-setzen muss. Das heißt, neben dem körperli-chen müssen gleichzeitig das emotional-seeli-sche und soziale Wohlbefinden in den Fokus gerückt werden. Dieser besondere Blick müsse insbesondere auch den jungen Heranwachsen-den gelten, bei denen die Zeit des Erwachsen-werdens oft von großen körperlichen Verände-rungen, Unsicherheiten und Selbstzweifeln ge-prägt sei. Gerade in dieser sensiblen Phase nehme das subjektive wie objektive Wohlbefin-den bei einigen Jugendlichen ab – häufig ver-bunden mit gesundheitsgefährdenden Faktoren und Verhaltensweisen als auch beeinflusst von familiärer Situation, Zuwanderungsgeschichte oder dem Geschlecht. Daher sei gerade die Ein-führung einer gewissen Verbindlichkeit für Vor-sorgeuntersuchungen wichtig, weil dort Hilfen geboten werden können, zu der sich vielen El-tern nicht mehr in der Lage fühlen. Deshalb sei nach ihrer Meinung neben verbindlichen Vorsor-geuntersuchungen die Stärkung der Elternkom-petenz eine besondere Herausforderung. Vor diesem Hintergrund betont die Staatssekretärin nachfolgend die Dringlichkeit der übergreifen-den Vernetzung der unterschiedlichen Akteure und Akteurinnen aus Fachwelt und Politik, da-mit die Angebote für junge Menschen schneller den Bedarfen angepasst und Lücken geschlos-sen werden.

von KiGGS. Er erlebe diese in seinem täglichen Praxisalltag. Um psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen bei Jugendlichen zu erken-nen, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“, setze Senger insbesondere auf Angebote der Primärprävention. Die Vorsorgeuntersu-chungen spielten dabei eine große Rolle. Das Vorhaben, das Einladewesen in Berlin auf die Jugenduntersuchungen auszudehnen, sei aus Sicht der Kinder- und Jugendärzte wichtig und unterstützenswert.

Herr Senger selbst legte in seiner Praxis von Anfang an einen besonderen Schwerpunkt auf Vorsorge und führte frühzeitig auch Vorsorge-untersuchungen durch, die nicht von der Ge-setzlichen Krankenversicherung getragen wur-den. Nur so, berichtet Senger, konnten bereits zum damaligen Zeitpunkt alle Altersgruppen in einem gesunden Aufwachsen unterstützt wer-den. Die damit zusammenhängenden Verhand-lungen mit den Krankenkassen fanden vor ca. zehn Jahren statt: inzwischen übernehmen ak-tuell ca. 90% der Krankenkassen die Kosten für diese zusätzlichen Vorsorgeuntersuchungen. Zudem biete Herr Senger in seiner Praxis pri-

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märpräventive Angebote zu den Themen Er-nährung, Drogen, neue Medien etc. an. Dass Kindern und Jugendlichen jederzeit die Mög-lichkeit für ein Gespräch zu ihrem aktuellen Befinden gegeben wird, sei dabei für ihn selbstverständlich.

iris spitzner von der IKK Brandenburg und Ber-lin verdeutlicht in ihrem Eingangsstatement die Priorität der Strukturbildung: Um nachhal-tig wirken zu können, möchte die Kasse mit ih-ren Angeboten „keine Eintagsfliegen“, son-dern mit Blick auf Probleme und Bedarfe struk-turell ansetzen. Spitzner lobt dahingehend das Berliner Landesprogramm „Gute gesunde Schule“, das in vielen Teilen bereits gut umge-setzt werden konnte. Das führt Frau Spitzner vor allem auf die gute Vernetzung der verschie-denen Partner zurück – deshalb sei die IKK Brandenburg und Berlin auch Mitglied der Lan-desgesundheitskonferenz.

Gesundheit zu schaffen und zu erhalten, könne zudem nicht allein Aufgabe des Gesundheits-systems sein. Dies lege vielmehr in der Verant-wortung der ganzen Gesellschaft. Diese Not-wendigkeit ergebe sich vor allem aus der un-gleichen Verteilung von Gesundheitschancen. Das zeigten Studienergebnisse, nach denen Kinder aus Familien, die ärmer sind oder einen Migrationshintergrund haben, mehr Gesund-heitsrisiken mit sich tragen.

Bewährte Methoden der Organisationsent-wicklung könnten dabei helfen, Potenziale und Risiken zu erkennen sowie gesundheitliche Schwerpunkte für Veränderungen im Alltag ei-ner Kita oder Schule festzulegen – um organi-sationsübergreifend und kooperativ einen ganzheitlichen Ansatz nachhaltig im Setting zu implementieren.

elfi Jantzen, Bezirksstadträtin für Jugend, Fami-lie, Schule, Sport und Umwelt in Charlotten-

burg-Wilmersdorf, hat sich in ihrer früheren Funktion als familienpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus intensiv mit der Gesundheitsförderung und -versorgung für Kin-der und Jugendliche beschäftigt. Probleme sehe sie bereits „in den Wurzeln“: Wie sollen Erwach-sene, die bis zu 30% selbst depressiv sind und emotionale Schwierigkeiten haben, ihren Kin-dern psychische Stabilität vermitteln? Wichtig für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sei laut Jantzen vor allem die Ver-mittlung von Kontinuität durch die Bezugsper-sonen. Nur dann könne ein Kind Vertrauen in sich und seine Umwelt aufbauen. Darüber hin-aus wäre es aus Sicht von Frau Jantzen wün-schenswert, mehr von den finanziellen Mitteln, die derzeit in kurzfristige Projekte fließen, als dauerhafte Mittel im Bezirkshaushalt zu haben, um bestehende Strukturen zu stabilisieren.

Gleiches gelte auch für Schulen: Der Anteil an Kindern, die emotional-soziale Störungen auf-weisen und inklusiv unterrichtet werden soll-ten, steige stetig. Hier würden mehr qualifizier-te Mitarbeiter/innen benötigt. Jantzens Plädo-yer sei für die Basis: (kassen-) finanzierte Pro-jekte zu haben sei einerseits gut und bringe Ideen und Weiterentwicklungspotenziale – das Wichtigste seien jedoch gute Strukturen in den Jugendämtern, Kinder- und Jugendge-sundheitsdiensten, Familienberatungsstellen, Schul psychologischen Diensten, Schulen und Freizeiteinrichtungen. Eine positive Atmosphä-re in Schulen könne als ein wesentlicher Schutzfaktor für Jugendliche fungieren. Hier verbringen Heranwachsende einen Großteil ih-rer Zeit und können befähigt werden, selbstbe-wusst und selbstbestimmt in das Berufs- und Erwachsenenleben zu gehen.

erika takano-forck vom Landeselternausschuss Schule Berlin spricht verschiedene Herausfor-derungen im Alltag von Schülern und deren El-tern an. Viele elementare Grundbedürfnisse

der Kinder und Jugendlichen würden nicht be-dient. Takano-Forck kritisiert hier insbesonde-re unhygienische Schultoiletten, den nicht an die Bedürfnisse der Heranwachsenden ange-passten Rhythmus des Schulalltags, überhitzte Räume und eingeschränkte Bewegungsmög-lichkeiten. Ließe man die Kinder und Jugendli-chen hier selbst zu Wort kommen, würden sie schnell diese Basis-Problematiken anspre-chen, so Takano-Forck.

Trotz einer Fülle an Ratgebern fühlten sich vie-le Eltern durch die zahlreichen prophylakti-schen Untersuchungen verunsichert und zum „Objekt einer Maßnahme“ gemacht – allein gelassen, wenn es nicht engagierte Kinderärz-te und -ärztinnen und Mitmenschen gäbe. Die Vertreterin des Landeselternausschusses Schule Berlin unterstreicht hier die Notwendig-keit einer stetigen Kommunikation und menschlichen Zuwendung in Zeiten verknapp-ter personeller und zeitlicher Ressourcen. Zum Beispiel: Auch trotz „befremdlicher Hand-lungsweisen und Mimik“ der Jugendlichen dürften Erwachsene nicht vorschnell verurtei-len. Eine ihnen gemäße, bewusstere Wahrneh-mung braucht Zeit. Um die Jugendlichen part-nerschaftlich einzubeziehen, müssen gezielt Feedback von ihnen eingeholt, ihre Bedürfnis-se stärker wahrgenommen werden und ad-äquate Rahmenbedingungen in den Schulen geschaffen werden.

„Nie leise und nie langweilig“ nennt Schulleite-rin ilona bernsDorf den Alltag der Herman-Nohl-Schule Berlin. Ihre Schülerschaft sei sehr heterogen – fast 450 Kinder aus 44 Nationen, insgesamt 80% der Kinder sind „nichtdeut-scher Herkunft“. Bernsdorf lehne solche Zu-schreibungen ab, da jedes Kind herkunftsun-abhängig Fürsorge und Zuwendung verdiente. 2010 wurde die Schule mit dem deutschen Prä-ventionspreis ausgezeichnet. Als Erfolgsrezept nennt Bernsdorf das aktive Einbeziehen der Kinder in die Prozesse gemäß dem Leitsatz: Nicht nur über, sondern vor allem mit den Kin-dern reden. Auf dieser Grundlage wurden zahl-reiche, den Stärken der Schüler/innen entspre-chende Angebote geschaffen. Beispielsweise werde im Förderzentrum eine aktive Schülerfir-menarbeit für die leistungsschwächsten Kinder mit unterschiedlichen Anforderungsbereichen umgesetzt. Darüber hinaus arbeiteten die Leh-rer/innen und Erzieher/innen nach ETEP, also nach einem entwicklungstherapeutischen und entwicklungspädagogischen Ansatz. Außer-dem werden Entspannungsverfahren, autoge-nes Training oder progressive Muskelentspan-nung angeboten, um einen Ausgleich zu den schulischen Leistungsanforderungen bereit zu stellen. Durch den ressourcenorientierten An-satz der Schule fühlten sich auch die Eltern da-zu eingeladen, sich am Schulgeschehen aktiv zu beteiligen. Oftmals, so Bernsdorf, wachsen ihre Schüler/innen in schwierigen Elternhäu-

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sern auf und haben „Dinge erlebt, die sie nie-mandem wünscht“. Deren Potenziale zu akti-vieren, sie zu befähigen sich in den Schulalltag zu integrieren und ihnen zuzuhören, benennt Frau Bernsdorf als guten Ansatz, der sich auch in den Ergebnissen der Schüler/innen und der Schule positiv wiederspiegelt. Ihre Forderung an die Politik: Den Blick auch auf die Mitarbei-ter/innen der Schulen richten, deren Arbeit an-zuerkennen und auch diese durch Präventions-programme zu stärken. Bernsdorf warnt außer-dem davor, dass der bereits realisierte inklusi-ve Ansatz an ihrer Schule nicht der Inklusion zum Opfer fallen dürfe.

Potenziale der Jugendvorsorgeuntersuchungen und

weiterer Handlungsansätze der Gesundheitsförderung und Prävention bei

Jugendlichen

Die staatssekretärin emine Demirbüken-Wegner sieht Potenziale in der J1-Untersuchung. Bun-desweit nehmen ca. 43% der Jugendlichen die-se Vorsorgeuntersuchung in Anspruch. Das ist aus Sicht der Staatssekretärin noch ausbaufä-hig, denn die Untersuchung sei eine gute Gele-genheit, gesundheitliche Defizite und Fehlent-wicklungen frühzeitig zu erkennen sowie die Jugendlichen umfassend zu beraten. Daher sollte mehr für diese Untersuchung geworben werden, was zum Beispiel in Berlin eventuell über das zentrale Einladewesen gelingen könnte. Diese Thematik habe sie bereits in die unterschiedlichsten Gremien eingebracht, so dass derzeit diverse Modelle intensiv disku-tiert und beraten werden.

Hervorzuheben sei an dieser Stelle auch, was bereits in Berlin an Präventionsarbeit geleistet wird. So werden beispielsweise Präventions-ketten aufgebaut, Programme mit Fokus auf Ernährung, Bewegung oder Mundgesundheit etabliert sowie das Landesprogramm „Gute gesunde Schule“ umgesetzt. Trotzdem müsse strukturell eine Ergänzung um das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden von Her-anwachsenden stattfinden. Die Staatssekretä-rin setze dabei vor allem auf die individuellen Potenziale der Jugendlichen – diese müssen in der Schule als auch im Elternhaus gestärkt werden.

Vor diesem Hintergrund spiele deshalb auch die Qualität der Einrichtungen, in denen sich die Jugendlichen den größten Teil des Tages aufhalten, eine sehr viel größere Rolle im Pro-zess der Gesundheitsförderung als zurzeit wahrgenommen wird. Gerade die Schulen müssten ihre sozialkompensatorischen und gesundheitsförderlichen Möglichkeiten zum Wohle der Jugendlichen voll entfalten können, um deren körperliche, geistige und seelische Ressourcen gezielt zu stärken und gesund-

heitsförderliches Verhalten gemeinsam zu er-lernen. Dabei sei auch die „Entstressung“ des Schulalltags ein wichtiger Punkt. Bereits durch eine andere Pausengestaltung oder durch schulische Projekte zur Förderung des seeli-schen Wohlbefindens könnten Lebensqualität und Gesundheit entschieden beeinflusst wer-den. Dafür gibt es interessante und erfolgrei-che Beispiele aus anderen Bundesländern.

Abschließend betont die Staatssekretärin wie-derum die Notwendigkeit der Vernetzung aller relevanten Akteurinnen und Akteure, um mehr Mittel und Möglichkeiten zu erschließen, die das gesundheitsförderliche Verhalten von jun-gen Menschen stärken und deren seelisches Wohlbefinden verbessern helfen.

Im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Vor-sorgeuntersuchungen haben Bonusleistungen laut iris spitzner nicht den erhofften Einfluss auf eine höhere Teilnahme bei den Versicher-ten. Die kontinuierliche Teilnahme an den Vor-sorgeuntersuchungen sei jedoch von großer Bedeutung, da dadurch ein Vertrauensverhält-nis zum/zur Arzt/Ärztin aufgebaut wird. Insbe-sondere Ärzt/innen können im Rahmen ihres Kontaktes mit den Familien eigene Hilfemaß-nahmen einleiten bzw. auf Unterstützungsan-gebote weiterer Akteure hinweisen. Für die IKK-Vertreterin sei dementsprechend auch Aufklärung über die Vorsorgeuntersuchungen ein wichtiger Ansatz. Hier können u.a. Kran-kenkassen und Ärzt/innen einen wichtigen Beitrag leisten.

Kooperation und Vernetzung mit niedergelassenen Kinder- und

Jugendärzt/innenIm Hinblick auf Kooperation und Vernetzung weist klemens senger auf die knappen zeitli-chen Ressourcen der niedergelassenen Ärzt/innen hin. Außer mittwochs und am Wochen-ende sei es für diese Berufsgruppe extrem schwierig, an entsprechenden Aktivitäten teil-zunehmen und mitzuwirken. Über den Berufs-verband vernetzt Senger sich in „alle Richtun-gen“. Für die Kinder, Jugendlichen und ihre Fa-milien seien vor allem lokale Netzwerke von großer Bedeutung. Diese müssten durch alle Beteiligten im alltäglichen Miteinander weiter ausgebaut werden. Senger selbst hat beispiel-weise durch Informationsveranstaltungen in Kindertagesstätten Kontakt mit Eltern herstel-len und deren Ressourcen durch Erste-Hilfe-Übungen stärken können.

Herausforderungen und Anforderungen an die Elternarbeit in Schulen

erika takano-forck bekräftigt, dass es sinnvoll ist, Eltern gezielt zu dieser Vernetzung in Schu-len einzuladen. Gleichzeitig stelle sie fest, dass viele Lehrer/innen keine professionelle Eltern-arbeit leisten. Das führt Frau Takano-Forck auf unterschiedliche Gründe zurück. Zum einen werden Lehrer/innen im Rahmen ihrer Ausbil-dung dazu nicht ausreichend qualifiziert. Zum anderen führen personelle Engpässe in Schu-len dazu, dass es Lehrer/innen schlicht an Zeit zur Arbeit mit den Eltern fehlt. Das wirke sich wiederum auf die gegenseitige Bereitschaft von Eltern und Lehrer/innen aus, miteinander ins Gespräch zu kommen. Daher die Forderung von Takano-Forck an Schule, Lehrer und Eltern: miteinander kommunizieren – auf allen Ebe-nen. Außerdem sieht sie ein Einladungswesen,

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das personelle Ressourcen bindet, kritisch. Diese werden dringend bei der direkten Arbeit mit Jugendlichen an anderer Stelle benötigt.

Ausbau integrierter Vorgehensweisen durch Stärkung von Strukturen

elfi Jantzen kritisiert im Hinblick auf eine be-darfsgerechte Gestaltung von Unterstützungs-angeboten für Jugendliche die mangelnden personellen Ressourcen. Das Jugendamt Char-lottenburg-Wilmersdorf habe vor diesem Hin-tergrund eine Überlastungs- und Probleman-zeige gemacht, da die Mitarbeiter/innen ihre Aufgaben zeitweise nicht mehr im erforderli-chen Umfang wahrnehmen können. Durch den Personalmangel gebe es zudem immer weni-ger Ressourcen für die notwendige Koopera-

tion und Vernetzung mit anderen. Vor diesem Hintergrund sei es notwendig, Prioritäten zu setzen, gemeinsame Ziele festzulegen und Maßnahmen zu bündeln. Frau Jantzen gibt zu bedenken, dass gleiche Ziele und Maßnahmen oft in unterschiedlichen Programmen umge-setzt werden. Vor dem Hintergrund der Nach-haltigkeit fordert sie eine bessere Ausstattung der Strukturen – doch dafür wird Unterstüt-zung, in finanzieller und personeller Hinsicht, benötigt.

Förderung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen: Beitrag der Schulen

ilona bernsDorf nimmt ebenfalls wahr, dass psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Ju-gendlichen zunehmen. Im Schulalltag bestehe

immer die latente Gefahr, dass Kinder und Ju-gendliche – zum Beispiel bei Überforderung – psychische Auffälligkeiten entwickeln. Durch den in der Herman-Nohl-Schule umgesetzten ETEP-Ansatz werde nicht so sehr mit Verboten, sondern eher mit Trainingszielen und den Po-tenzialen der Kinder und Jugendlichen gearbei-tet. Damit solle ihnen Mut gemacht werden, an den Dingen zu arbeiten, die ihnen noch schwer fallen. Ein anderer Ansatz sei die kontinuierli-che und wertschätzende Elternarbeit, die an der Herman-Nohl-Schule gelebt wird. Hier sei es wichtig, dass Lehrer/innen, Erzieher/innen und Eltern an einem Strang ziehen. Zudem lege Frau Bernsdorf Wert darauf, sich an Fortschrit-ten und Erfolgen zu erfreuen und diese zu multiplizieren. Sie rät dazu, Kinder und Ju-gendliche stärker aktiv in die Gestaltung ihrer Schule als Lebensraum einzubeziehen und ih-re Sicht der Dinge und ihre Kompetenzen zu nutzen. Hier habe sich im schulischen Rahmen unter anderem ein Kinderparlament und ein Kinderausschuss bewährt, auch ein mehrtägi-ger Workshop zum „Design-thinking“.

Zunahme psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen als Folge der

Medikalisierung pädagogischer Problematiken

klemens senger hebt hervor, dass sich ca. 30-40% der Kinder in seiner Praxis in Therapie befinden und warnt, dass hier pädagogische Problematiken medikalisiert werden. Dies sei jedoch nicht die Lösung, um Defiziten im El-ternhaus oder in den Schulen zu begegnen. Im Rahmen ihrer (begrenzten) Möglichkeiten be-mühen sich die niedergelassenen Ärzt/innen, die individuellen Bedürfnisse zu berücksichti-gen und ihnen gerecht zu werden.

Fazit und Ausblick

Alles in allem hat das Gesundheitsforum deut-lich gemacht, dass in vielen Bereichen noch immense Handlungspotenziale bestehen, um die Gesundheit von allen Jugendlichen in Ber-lin nachhaltig zu stärken. Sowohl die Ergebnis-se der KiGGS-Studie als auch die Beiträge der teilnehmenden Akteure aus den Bereichen Ge-sundheit, Jugend und Bildung haben gezeigt, dass gerade sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche von den Angeboten oftmals nicht erreicht werden. Eine mögliche Strategie um dem zu begegnen ist einerseits die angestreb-te Erhöhung der Teilnahme an der J1-Vorsorge-untersuchung. Andererseits ist es wichtig,

noch früher anzusetzen: ab Lebensbeginn wirkt – statusabhängig – ein Geflecht von Ein-flussfaktoren. Soziale und wirtschaftliche Be-dingungen, Familienformen, Zugang zur medi-zinischen Versorgung – eine nachhaltige Wir-kung kann nur über kombinierte und ineinan-dergreifende Unterstützungsangebote über den gesamten Verlauf von Kindheit und Jugend erreicht werden. Dazu bedarf es sowohl auf Landes- als auch auf bezirklicher Ebene ent-sprechender Strukturen. Dahingehend muss und wird auch künftig der Aufbau von Präven-tionsketten ein kontinuierlicher Schwerpunkt der Berliner Landesgesundheitskonferenz

sein. Hier sind alle Akteure gefordert, die dazu nötige Ressourcenbasis zu schaffen. Der Ge-sundheitsförderung und Prävention – insbe-sondere der Primärprävention – muss ein noch höherer Stellenwert eingeräumt werden. Ins-gesamt ist es eine gesellschaftsübergreifende Aufgabe, jungen Menschen vorurteilsbewusst gegenüberzustehen, ihnen zuzuhören, sie zu unterstützen und ihnen Möglichkeiten aufzu-zeigen, ihren Alltag gesundheitsfördernd zu gestalten.

Svenja Gelowicz & Katja Beckmüller, Fachstelle für Prävention und

Gesundheitsförderung im Land Berlin