achtsamkeitsbasierte rückfallprävention bei …...achtsamkeit des alltags trinke deinen tee...

20
Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei Suchterkrankungen Oliver Kreh Leitender Psychologe AHG Klinik Tönisstein Achtsamkeit „Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Art aufmerksam zu sein: absichtsvoll, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu bewerten.“ (nach Jon Kabat-Zinn, 1994) Achtsamkeit • Kabat-Zinn, 1990: "present moment, on purpose and nonjudgemental" auf den aktuellen Moment bezogen (vs. "Autopilot") absichtsvoll (vs. "Selbstvergessenheit") nicht-wertend (keine Kategorisierung der Wahrnehmung) • formelle Übungen (z. B. Atemmeditation) informelle Übungen (z. B. Achtsamkeit bei alltäglichen Verrichtungen)

Upload: others

Post on 21-Feb-2020

3 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei

Suchterkrankungen

Oliver KrehLeitender PsychologeAHG Klinik Tönisstein

Achtsamkeit

„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Art aufmerksam zu sein: absichtsvoll, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu bewerten.“(nach Jon Kabat-Zinn, 1994)

Achtsamkeit

• Kabat-Zinn, 1990: "present moment, on purpose and nonjudgemental"

– auf den aktuellen Moment bezogen (vs. "Autopilot")

– absichtsvoll (vs. "Selbstvergessenheit")

– nicht-wertend (keine Kategorisierung der Wahrnehmung)

• formelle Übungen (z. B. Atemmeditation)

informelle Übungen (z. B. Achtsamkeit bei alltäglichen Verrichtungen)

Page 2: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Fertigkeiten der Achtsamkeit(Kentucky Inventory of Mindfulness Skills (KIMS), Baer, Smith & Allen (2004)

• Beobachten

aufmerksame Beobachtung und Wahrnehmung einer Vielzahl äußerer und innerer Reize

• Beschreiben

kurzes begriffliches Benennen von wahrgenommenen Phänomenen – nicht wertend, ohne gedankliche Analyse!

Fertigkeiten der Achtsamkeit(Kentucky Inventory of Mindfulness Skills (KIMS), Baer, Smith & Allen (2004)

• mit Aufmerksamkeit handeln

= „teilnehmen“, sich ganz auf eine Aktivität einlassen, aufmerksam auf nur eine Sache sein

• akzeptieren ohne Bewertung

nicht wertende Haltung gegenüber aktuellen Erfahrungen, automatische Werturteile nicht anwenden

Achtsamkeitsbasierte Ansätze

• Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR): Kabat-Zinn (1990)

– unterschiedliche Anwendungsbereiche: z.B. bei Ängsten, Schmerzen, Hauterkrankungen

• Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT): Segal, Williams & Teasdale (2002)

– Rückfallprophylaxe bei Depression

• Mindfulness-Based Relapse Prevention (MBRP) bei Abhängigkeit (Bowen, Chawla & Marlatt, 2011)

• Ansätze mit Achtsamkeits-Elementen: DBT, ACT

Page 3: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Mindfulness-based

stress reduction

(MBSR)

Mindfulness-based stress reduction(MBSR)

- Stressbewältigung durch Achtsamkeit -

• Das MBSR-Programm wurde 1979 von Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn et al entwickelt.

• Im gleichen Jahr Gründung der Stress-Reduction-Clinic der Universität Massachusetts.

• Die Methode wird heute weltweit an Kliniken und verschiedenen Institutionen sowie ambulant erfolgreich angeboten.

• Seit Anfang der neunziger Jahre in Deutschland.

Mindfulness-based stress reduction(MBSR)

•• Das Programm ist stark strukturiert und hat sich grundsDas Programm ist stark strukturiert und hat sich grundsäätzlich tzlich seit 1979 kaum verseit 1979 kaum veräändert:ndert:

•• 8 Sitzungen 8 Sitzungen àà 22--3 Stunden3 Stunden

•• Achtsamkeitstag zur VertiefungAchtsamkeitstag zur Vertiefung

•• Heterogene GruppenHeterogene Gruppen

•• individuelles Vorgesprindividuelles Vorgesprääch oder Orientierungsveranstaltung und ch oder Orientierungsveranstaltung und evtl. Nachgesprevtl. Nachgespräächch

•• 90% der Interessenten nehmen teil, 85% beenden den Kurs 90% der Interessenten nehmen teil, 85% beenden den Kurs (z.B. (z.B. KabatKabat--ZinnZinn & & ChapmanChapman--WaldropWaldrop, 1988) , 1988)

Page 4: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Mindfulness-based stress reduction(MBSR)

Metaanalyse von Koch et al. (2007), Universität Jena

- 31 Studien mit 1631 Teilnehmern

- signifikante, moderate und homogene Effektstärken von

- Pathophysiologie: 0,35

- Salutogenese/ Coping: 0,40

- Psychopathologie: 0,51

- Psychosomatik: 0,51

- Lebensqualität: 0,55

Übungen in der

Mindfulness-BasedStress Reduction

Die formellen Übungen

• Achtsame Körperwahrnehmung (Body-Scan)

• Achtsames Sitzen

• Achtsames Gehen

• Achtsames Yoga

Page 5: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Achtsamkeit des Alltags

Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

gleichmäßig, ohne in die Zukunft zu eilen.

Lebe den gegenwärtigen Augenblick. Nur dieser Augenblick ist das Leben.

Tich Nhat Hanh

Body Scan

• In der Regel auf dem Rücken liegend; warmer und ruhiger Ort

• Aufmerksamkeit wird durch den Körper gelenkt (von linkem Fuß bis Schädeldecke)

• Keine Entspannungsinstruktion!

• Bei Auftreten unangenehmer Empfindungen: diese achtsam wahrnehmen

Sitz/ Atemmeditation

• Aufmerksamkeit wird auf den Atem gerichtet

• Bei Erleben anderer Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen, Geräusche: wahrnehmen und Aufmerksamkeit wieder zurück zur Atmung lenken

• „choiceless awareness“: wahrnehmen, was ins Bewusstsein dringt

Page 6: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

achtsames Yoga

• Drehung im Liegen

• Katzenbuckel / Kuhrücken

• Haltung des Kindes

• Berg-Haltung

• Vorwärtsbeuge

• abschließende Ruheposition

Mindfulness-Based Cognitive Therapy(MBCT)

Zindel Segal

University of Toronto

Mark Williams

University of Oxford

John Teasdale

University of Cambridge

Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression(Segal, Williams & Teasdale)

Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie der Depression

– Ein neuer Ansatz zur Rückfallprävention

� Ausgangspunkt: hohes Rückfallrisiko bei Depressionen

� Überlegung, effektive Therapien fortzusetzen

� Analog der Erhaltungstherapie mit Antidepressiva eine Erhaltungsform der Psychotherapie entwickeln

Page 7: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

� dysfunktionale Einstellungen scheinen keine Traits zu sein

�Hinweise, dass negative Stimmungen die negativen Denkstil reaktivieren – einen Teufelskreis in Gang setzen

� spätere depressive Episoden werden leichter ausgelöst, immer unabhängiger von belastenden Lebensereignissen

� „ruminativer Stil“: Fokussierung auf sich selbst, nachdenken über Ursachen für Probleme

�Kognitive Therapie wirkt vermutlich weniger durch eine inhaltliche Veränderung dysfunktionaler Einstellungen, als eher durch das „Dezentrieren“(Gedanken als Gedanken betrachten, nicht als Abbild der Realität)

Auslöser depressiver Episoden(Kraepelin, 1921; Matussek et al., 1965; Monroe & Harkness, 2005; Post, 1992)

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

1 2 3 4 Episoden

%

Häufigkeit bedeutsamer Lebensereignisse in Abhängigkeit von der Anzahl vorangegangener depressiver Episoden

N=242 N=135 N=82 N=119N=242

Mindfulness-Based Cognitive Therapy (Segal et al., 2002)

• störungsspezifischer Ansatz zur Rückfallprophylaxe bei rezidivierenden depressiven Störungen

• starke kognitiv-theoretische Fundierung

• kombiniert MBSR-Prinzipien sensu Kabat-Zinn mit kognitiven Therapieprinzipien

• 8 wöchentliche Sitzungen à 2 Stunden

• max. 12 Patienten pro Gruppe

Page 8: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Therapie bei Depressionen

Teasdale et al. (2000)

Journal of Consultingand ClinicalPsychology

Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Therapie bei Depressionen

• Replikation des Befundmusters durch Ma und Teasdale (2004):

– Reduktion der Rückfallraten um mehr als 50% bei Patienten mit drei oder mehr Episoden(MBCT: 36% vs. TAU 78%)

– Keine Reduzierung bei Patienten mit zwei Episoden

– Ein positiver Zusammenhang zwischen Anzahl vorangegangener Episoden und Rückfallrisiko zeigte sich für die TAU-Gruppe, nicht jedoch für die MBCT-Gruppe

Achtsamkeit in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen:

Mindfulness-Based Relapse Prevention (MBRP)

Page 9: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Mindfulness-Based Relapse Prevention

Sarah Bowen

Neha Chawla

G. Alan Marlatt

(1941 -2011)

Sozial-kognitives Rückfallmodell(Marlatt & Gordon, 1985)

Unaus- gewogene Lebens- situation

Risiko-

situation

Bewälti-gungs-

strategien

erhöhte Selbstwirk-

samkeit

geringe Wahrscheinlichkeit

für Rückfall

keine Bewälti-gungs-

strategie

positive Wirkungser-wartungen

(bezüglich der unmittelbaren Wirkung der Substanz)

verminderte Selbstwirk-

samkeit

erster Konsum

der Substanz

Abstinenzver-letzungseffekt

Dissonanzkon-flikt und Selbst-

attribution (Schuld und

Wahrnehmung des eigenen Kontrollver-

lustes)

erhöhte Wahrscheinlich-keit für Rückfall

Theoretische Überlegungen:Marlatt (2002)

• Zentraler Ansatzpunkt: „lifestyle Balance“– Grundsätzliches Gefühl von Balance und Harmonie in

den alltäglichen Verrichtungen

• Wesentliches Kennzeichen abhängigen Verhaltens:– den aktuellen „nüchternen“ Zustand nicht akzeptieren

zu können

– Erneute Substanzeinnahme wirkt dem entgegen

– kurzfristige Regulation aversiver Emotionen

Page 10: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Abhängiges Verhalten:

• Fixierung auf antizipiertes zukünftiges Erleben

und

• Ablehnung des Hier-und-Jetzt-Erlebens

Theoretische Überlegungen:Marlatt (2002)

• „Urge Surfing“

– innere Abläufe (z.B. Craving) nicht bezwingen, sondern erleben (auch ihre spontane Veränderlichkeit)

– dem Drang nicht nachgeben führt zu

• Schwächung der Suchtkonditionierung

• Stärkung von Akzeptanz und Selbstwirksamkeitserwartung

• Langfristiger Nutzen von Achtsamkeit

– automatisierte Abläufe (die zu Lapse / Relapse führen) möglichst frühzeitig bewusst wahrnehmen und aus ihnen auszusteigen zu können

Theoretische Überlegungen:Marlatt (2002)

• Annahme: Koppelung von negativem Affekt und Substanzeinnahme während Suchtentwicklung

a) Bewältigung negativen Affekts und allen damit verbundenen Stimuli mittels Substanzkonsum

b) Zunehmend häufigere Auslösung negativer Zustände im Laufe der Abhängigkeitsentwicklung

c) Verminderte Toleranz, d.h. immer unbedeutendere Stimuli lösen Substanzkonsum aus

• Ziel: Auflösung der Koppelung von negativem Affekt und Substanzeinnahme

Das Modell süchtigen VerhaltensBreslin, Zack & McMain (2002)

Page 11: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

• Informationsverarbeitungsmodell des Rückfallgeschehens bei Abhängigkeit

– abhängiges Verhalten ist weitgehend automatisiert

– Verlangen wird erst dann bewusst, wenn ein

• automatisierter Impuls zum Drogen- oder Alkoholkonsum von einem

• bewussten Abstinenzwunsch „gebremst“ wird– Substanzbezogene Gedächtnisnetzwerke

Das Modell süchtigen VerhaltensBreslin, Zack & McMain (2002)

Interozeptive sensorische Daten:

Craving, Affekt

Drogen-relevante Stimuli / Hinweisreize

(äußere Hinweisreize, Stress)

Substanzbezogenes Gedächtnisnetzwerk

Automatische Aktivierung drogenbezogener Kognitionen

Bewusstes Denken

Drogen-Gebrauch

Chronische Reaktivierung

Spezifische Bedeutungen: Selbstwirksamkeitserwartungen und

Outcome-ErwartungenGed

äch

tnis

sch

leif

e

Au

fmerksam

keits-Sen

sorik-S

chleife

Breslin et al., 2002

• Fähigkeit entwickeln, starke Gefühle vollständig zu erleben, ohne diese unmittelbar verändern zu müssen, aber auch ohne sie auszuagieren (vgl. Dezentrierung)

– Sensibilisierung i. S. einer bewussten Wahrnehmung der aktuellen Situation

– Desensibilisierung gegenüber (negativen) emotionalen Zuständen

Potential von Achtsamkeit im Modell von Breslin et al. (2002)

ErhErhööhte Emotionstoleranzhte Emotionstoleranz

Page 12: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

MBRP – Das Programm

1. „Auto-Pilot“ und Rückfall2. Achtsamkeit für Auslöser

und Verlangen3. Achtsamkeit im Alltag4. Achtsamkeit in Risiko-

situationen5. Akzeptanz und geschicktes

Handeln6. Gedanken sind Gedanken 7. Selbstfürsorge und

ausgewogene Lebensführung8. Soziale Unterstützung und

weitere Übung

Bewusstsein / gegenwärtiger Augenblick

Achtsamkeit, Akzeptanz und Rückfall

ausgewogener Lebensstil / soziale Unterstützung

1. Sitzung: „Auto-Pilot“ und Rückfall

• Einführung

• Erwartungen an die Gruppe / Gruppenregeln

• Struktur und Rahmenbedingungen

• „Rosinen-Übung“ / „Auto-Pilot“ und Rückfall

• Was ist Achtsamkeit?

• Der Body-Scan

• Übungen im Alltag / Achtsamkeit bei einer Aktivität des Alltags

Exploration von Erfahrungen im MBRP

Unmittelbare Wahrnehmung

Reaktion (Gedanken,

Gefühle, Körper)

weitere Reaktionen

Was war die Wahrnehmung in diesem Augenblick?

Wie haben Körper und Geist darauf reagiert?

Ist dieser Prozess bekannt? Bezug zu automatisierten Verhaltensweisen, Rückfall…

Page 13: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Exploration von Erfahrungen im MBRP

• Was war die Erfahrung in diesem Augenblick?

• Wo im Körper war das zu spüren? Was war dort zu spüren?

• Welche Gedanken sind dazu aufgetaucht?

• Zusammenfassung der körperlichen, emotionalen und kognitiven Erfahrungen. Unterscheidung dieser Wahrnehmungsqualitäten.

• Widerwillen, das Bedürfnis abzubrechen…

� als weitere Erfahrung explorieren

Exploration von Erfahrungen im MBRP

Unmittelbare Wahrnehmung

Reaktion (Gedanken,

Gefühle, Körper)

weitere Reaktionen

„Ich halte das nicht mehr aus!“

Schmerzen

„achtsam sein“ bedeutet nicht

• keine Gedanken zu haben…• einen Zustand totaler Entspannung …

„Achtsam sein“ heißt, bewusst wahrzunehmen, was auch immer passiert.

Wenn unsere Gedanken wandern oder Widerwillen auftaucht, nehmen wir auch das wahr und kehren in den Augenblick zurück.

Das Ziel des Übens ist nicht ein bestimmter Zustand, sondern sich aller Erfahrungen bewusst zu werden.

Page 14: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Der Body Scan

• erste formale Meditationspraxis im MBRP• Stammt aus der Vipassana- / „Einsichts-“Mediation• Aufmerksamkeit durch alle Körperregionen lenken• in die verschiedenen Körperregionen „hineinatmen“• Übung auf emotionale / kognitive Erfahrungen ausweiten

�Alkohol-/ Drogenverlangen manifestiert sich oft zunächst körperlich!

�bewusste Wahrnehmung körperlicher Empfindungen als erster Schritt aus automatisierten Mustern zu bewussten Entscheidungen

2. Sitzung: Achtsamkeit für Auslöser und Verlangen

• Body Scan

• Besprechung der Übungen zu Hause und häufiger Schwierigkeiten

• Übung „die Straße entlang gehen“

• Übung „Urge-Surfing“ / Diskussion von Craving

• Bergmeditation

• Übungen im Alltag

Häufige Schwierigkeiten bei den Übungen

• aversive Gefühle / körperliche Zustände

• Verlangen und Begehren

• Rastlosigkeit / Unruhe (körperlich wie gedanklich)

• Trägheit / Schläfrigkeit

• Zweifel

� gegen diese Zustände wird nicht angekämpft

� die Beobachtung dieser Zustände ist Teil der Meditation

� geübt wird eine neugierige, freundliche Wahrnehmung dieser Zustände

Page 15: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Übung „Die Straße entlang gehen“

• ein Bekannter erwidert meinen Gruß nicht…

• Unterscheidung Gedanken, Gefühle, körperliche Empfindungen üben

• Erarbeiten, dass Gedanken / Interpretationen nicht die „Wahrheit“ abbilden

…………

Impulse zu Verhalten

körperliche

Empfindungen

Gefühle Gedanken

Übung „Urge Surfing“

• Problemsituation vorstellen / Auslöser für Alkohol- oder Drogenverlangen

• nicht automatisch reagieren, weder vermeiden, noch Substanz konsumieren

• alle aufkommenden Empfindungen neugierig und freundlich wahrnehmen

• Bild des „Surfens auf der Welle des Verlangens“

� Umgang mit Craving verändern: von Angst / ankämpfen zum wahrnehmen / „damit sein“

Page 16: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

3. Sitzung: Achtsamkeit im Alltag

• achtsam hören

• Besprechung der Übungen zu Hause

• Atem-Meditation und Besprechung

• Video

• der Atemraum (SOBER Breathing Space)

• Übungen im Alltag

SOBER-Breathing Space

SOBER:

S = Stop

O = Observe

B = Breathe

E = Expand

R = Respond

� Adaption des „Drei-Minuten-Atem-Raums“ (MBCT)

4. Sitzung: Achtsamkeit in Risikosituationen

• achtsam sehen

• Besprechung der Übungen zu Hause

• Sitzmeditation – Achtsamkeit gegenüber Geräuschen, des Atems, des Körpers und schließlich Gedanken

• individuelle und häufige Rückfallrisiken

• Geh-Meditation

• Übungen im Alltag

Page 17: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

5. Sitzung: Akzeptanz und geschicktes Handeln

• Sitzmeditation – Achtsamkeit gegenüber Geräuschen, des Atems, des Körpers, Gedanken und Gefühlen

• Besprechung der Übungen zu Hause

• der Atemraum (SOBER Breathing Space)

• Diskussion von Akzeptanz und geschicktem Handeln

• Körperübungen aus dem Hatha-Yoga

• Übungen im Alltag

6. Sitzung: Gedanken sind Gedanken

• Sitzmeditation – Achtsamkeit gegenüber Gedanken

• Besprechung der Übungen zu Hause

• Gedanken und Rückfall

• Teufelskreis des Rückfalls

• der Atemraum (SOBER Breathing Space)

• Vorbereitung auf das Ende des Kurses

• Übungen im Alltag

7. Sitzung: Selbstfürsorge und ausgewogener Lebensstil

• Sitzmeditation – Freundlichkeit (Metta)

• Besprechung der Übungen zu Hause

• Arbeitsblatt „Tägliche Aktivitäten“

• Wo fängt ein Rückfall an?

• der Atemraum (SOBER Breathing Space)

• Gedächtnisstützen

• Übungen im Alltag

Page 18: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

8. Sitzung: Soziale Unterstützung und weitere Übung

• Body Scan

• Besprechung der Übungen zu Hause

• Die Bedeutung sozialer Unterstützung

• Austausch zum Kurs

• Vorhaben für die Zukunft

• Abschlussmeditation

• Abschlussrunde

MBRP und 12-Schritte Programme - Gemeinsamkeiten

• Eingeständnis: eigenes Verhalten ist das Problem

• Erkenntnis, dass Substanzkonsum nicht die geeignete Lösung darstellt

• Betonung von Akzeptanz / Verlust persönlicher Kontrolle

• Bedeutung von Gebet bzw. Meditation

• Unterscheidung: was ist beeinflussbar / was nicht

• Akzeptanz der Dinge, die nicht beeinflussbar sind

• Risiken für Rückfälle erkennen (Körper, Gefühle)

• Verfallen in automatisierte Muster als Rückfallrisiko

MBRP und 12-Schritte Programme – Unterschiede

Abstinenz als ideales Ziel,

aber keine Bedingung

Selbstverpflichtung Abstinenz als Ziel

Gefühl von Wahlfreiheit und Befähigung bewirken

Berufung auf höhere Macht

den Klienten stärken (Bewäl-tigung, Selbstwirksamkeit)

Machtlosigkeit eingestehen

keine Labels, Wahrnehmung ohne Bewertung

Krankheitsakzeptanz als Bedingung

MBRP12- Schritte-Programme

Page 19: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

MBRP – erste empirische Ergebnisse

• Davidson et al. (2003)

10 Tage „Vipassana- Meditation“ versus „Treatment as usual“ bei alkohol- und drogenabhängigen Häftlingen

� 3 Monate nach Haftentlassung signifikante Reduktion des Konsums von Alkohol, Marihuana, Crack / Kokain

� mehr Optimismus

� weniger psychopathologische Symptome

MBRP – erste empirische Ergebnisse

• Bowen et al. (2009)

MBRP versus „Treatment as usual“ (Psychoedukation, 12-Step-Programm), randomized-controll-trial (n = 168)

� nach vier Wochen berichten 54% wöchentliche Meditationspraxis von mind. viermal / Woche

� signifikante Reduktion von Craving

� signifikante Reduktion depressiver Symptome

� MBRP schwächt den Zusammenhang zwischen depressiven Symptomen und Craving

� Substanzkonsum signifikant reduziert 2 Monate nach Behandlung, aber gleich TAU 4 Monate nach Behandlung

MBRP – weitere empirische Ergebnisse

• Bowen et al. (voraussichtl. 2013)

MBRP vs CBT (Rückfallprävention) vs 12-Step-Programm, randomized-controll-trial

�geringere Rückfallraten bei MBRP und CBT

�selbst bei Rückfall geringere negative Konsequenzen des Substanzkonums bei MBRP

�Alter < 30 CBT überlegen gegenüber MBRP

Alter 30 – 40 MBRP überlegen CBT

� längere Dauer der Abhängigkeit: MBRP überlegen

Page 20: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei …...Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert – langsam,

Meditation und neurophysiologische Befunde

Bei regelmäßig meditierenden Probanden finden sich:

• eine dickere Hirnrinde,

• eine höhere Dichte der Nervenzellen im orbitofrontalen Cortex (Emotionsregulation?),

• eine erhöhte Aktivität im linken Stirnlappen

• bei buddhistischen Mönchen bis zu 30mal stärkere Gamma-Wellen

• …..

Zusammenfassung:

• Achtsamkeitsbasierte Therapie zielt nicht ab auf Symptomreduktion (Verhaltenstherapie), sondern auf die Veränderung des Verhältnisses des Patienten zu seinen Symptomen

• Das Leben läuft nicht einfach ab – ich kann innehalten und habe eine Wahl.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!über Fragen oder Anregungen freut sich

Oliver Kreh

Leitender Psychologe

AHG Klinik Tönisstein

[email protected]

www.wir-machen-unabhaengig.de