1939-1948: von berlin nach ghazir (libanon) paul zein mit der hilfe von antoine zein

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1939-1948: von Berlin nach Ghazir (Libanon) Eine kurze Geschichte der Soistheim Familie Paul Zein Mit der Hilfe von Antoine Zein

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Page 1: 1939-1948: von Berlin nach Ghazir (Libanon) Paul Zein Mit der Hilfe von Antoine Zein

1939-1948: von Berlin nach Ghazir (Libanon)

Eine kurze Geschichte der Soistheim Familie

Paul ZeinMit der Hilfe von Antoine Zein

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Marion Soistheim, meine Großmutter väterlicherseits, ist am 9. Februar 1939 in Brüssel geboren. Ihre jüdischen Eltern, Herbet Soistheim und Nety Rosen, hatten ihr Haus in (Ost)Berlin - die „Villa Sonnenschein“ - verlassen und waren nach Anvers (Belgien) geflohen. Ihr Bruder Peter-Klaus ist am 6. September 1937 in Schöneberg als Österreicher geboren (laut seines französichen Reisepasses, den er in Nizza im November 1946 bekommen hat).

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Am 18. Mai 1908 ist Herbert Soistheim (mein Urgroßvater) in Schöneberg geboren. Er

war Möbeltischler von Beruf.

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Nety Rosen (meine Urgroßmutter) ist am 4. Februar 1916 in Iași (Moldawien) geboren. Sie war Bürokraft von Beruf.

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Wahrscheinlich haben sie sich in Berlin getroffen und geheiratet. Beide waren in Nizza nach einer zweiten Flucht aus Brüssel entführt worden und in Drancy am 16. Oktober 1943 mit den Häftlingnummern 6594 und 6595 interniert. Am 20. November 1943 wurden sie mit dem Konvoi Nr. 62 nach Auschwitz (Polen) deportiert. Dort sind sie ermordet worden.

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Als die „rafle du Vel d'Hiv“ passiert ist, sind Marion, Peter-Klaus und 527 andere Kinder durch das Marcel Netzwerk gerettet worden. 1943 haben Odette Rosenstock und Moussa Abadi (M. Marcel), mit Unterstützung des Bischofs Paul Rémond aus Nizza, ein Widerstandsnetz gegründet. Am 10. September 1943 beginnt die Rettung der Kinder. Peter und Marion wurden in Villefranche ans Kinderheim Le Résurrectoire und dann ans Institut des Heiligen Kindheit in Digne überstellt. Dort wurden sie getauft.

Moussa Abadi (M. Marcel)

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Sie wurden von ihrer Tante und Pflegemutter Ilse Soistheim (Herbert Soistheims Zwillingsschwester und Ehefrau von Sélim Daoud Sahyoun) wiedergefunden. Am 17. Januar 1947 erreichen sie den Hafen von Haifa (Israël). Sélim Sahyoun kam aus dem Libanon. Er besaβ einen Juwelierhandel in Haifa. Ilse Soistheim war schon in Palästina (bevor der Krieg), um „Weihnachten in Jerusalem zu verbrigen“. Sie habe ein Stipendium gewonnen, weil sie die Stärkste in ihrer Klasse sein würde. Sélim besuchte seine Schwester (eine Nonne) in einem Kloster, als er Ilse zum ersten Mal getroffen hat. Sie haben sehr schnell geheiratet. Ilse hatte die Kinder ihres Zwillingsbruders durch das Internationale Rote Kreuz in der Schweiz wiedergefunden. In Anerkennung wird Ilse mehr als fünfzig Jahre für das libanesische Rote Kreuz ehrenamtlich arbeiten!

Ilse Soitheim-Sahyoun

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Am 15. März 1948 lässt sich die ganze Familie in Dahr Sarba (Jounieh, Libanon) nieder, wahrscheinlich wegen des Palästinakriegs 1948. Sélim hatte seine Geschäfte verloren.

Dann verliebte sich Marion in Paul Zein (meinen Großvater). Er war Peters Klassenkamerad und bester Freud. Paul und Marion heirateten in Ghazir am 12. Oktober 1963. Sie bekamen drei Kinder, Nicole (1964), Antoine (1965, meinen Vater) und André (1968), und sechs Enkelkinder.

Marion und Paul mit ihren Kindern (1969)

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Marion und Paul mit ihren Enkelkindern (2014)

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Die Suche nach der WahrheitDie jüdische Herkunft meiner Familie war lange Zeit ein Tabu, weil wir im Libanon – einem Feindstaat von Israel – lebten (kein Mensch, der nach Israel gegangen ist, kann in den Libanon, und umgekehrt), und wahrscheinlich weil diejenigen, die die ganze schreckliche Geschichte wussten (besonders Ilse Soistheim Sahyoun), alles vergessen and von vorne anfangen wollten.

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Deshalb haben mein Vater (Antoine Zein) und seine Geschwister ihre ganze Kindheit in der Lüge gelebt. Ihnen wurde gesagt, dass ihre Groβeltern (i.e. Herbert und Nety Soistheim) kollaterale Opfer einer englischen Bombardierung Berlins waren.

Aber mein Vater wusste, dass da etwas faul war: niemand sprach von Nety und ihrer Seite der Familie. Einmal habe Ilse ihm gesagt: „Diese Leute kennen wir nicht!“ Netys Familie war eine bekannte jüidsche Familie aus Moldawien… Mein Vater verdächtigt, dass Herbert christlich war und dass er zum Judentum konvertiert ist, um Nety zu heiraten. Noch sind wir nicht sicher.

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Aber der Grund für die Suche nach der Wahrheit war vor allem der Wille meines Vaters als Deutscher anerkannt zu werden. 1984, als er noch ein Student war, hatte er sich für ein Stipendium (um in Deutschland zu studieren) beworben. Der Antrag wurde abgelehnt, weil er nicht deutsch war... Diese Ungerechtigkeit musste abgeschafft werden.

Als Ilse einge Jahre später erfährt, dass mein Vater die deutsche Nationalität bekommen wollte, lässt sie endlich verlauten, dass Nety Jüdin war. Aber mein Vater hatte es schon gewusst.

Marion und Antoine Zein (1985)

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Um die Nationalität zu bekommen, musste er beweisen, dass seine Mutter wirklich deutsch war. Aber die deutsche Botschaft hatte ihm gesagt, dass es leichter für sie sei, die Nationalität als Adoptivtochter einer deutschen Bürgerin zu erfordern. In der Tat verfügten sie über handfeste Beweise (Geburtsurkunde), dass Ilse aus Deutschland kam.

Marion (1988)

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Tatsächlich war die ganze Familie ein paar Tage nach der Wende vor die deutsche Botschaft geladen wurde. „Warum wollen sie deutscher Staatsbürger werden?“ hat ein Beamter meinen Vater gefragt. „Gerade weil ich Deutscher bin!“ antworte er empört. Am Ende des Tages sind Marion, Peter, Nicole, André und mein Vater wieder deutsche Staatsbürger geworden. Mein Vater war 24.

André, Marion, Paul, Nicole und Antoine (1988)

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Die Jahre vergehen und mein Vater heiratete meine Mutter. Mein Bruder und ich sind geboren. Deshalb hatte er immer weniger Zeit zum Forschen.

1999 fühlte er sich wieder arbeitsfähig. Mit der Hilfe von seinem Cousin Karim (Peters Sohn), nahm er also die Arbeit wieder auf. Über das Internet-Netzwerk IRC hat er eine gewisse Yvonne Soistheim kennengelernt. Sie lebte in Australien und kannte Georges Soistheim, Ilse und Herberts Bruder (er lebte auch in Australien).

Yvonne informierte meinen Vater, dass ein Familienmiglied, der Tal Soistheim hieβ, in Israel lebte. Er kam in Kontakt mit Tal im November 2000.

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Tal wusste viel über die Familie. Er erzählte meinem Vater eine Geschichte, die man ihm erzählt hatte, über ein Ehepaar in der Familie, das während des Krieges mit zwei Kindern nach Frankreich geflüchtet ist. Könnten es Herbert, Nety, Peter und Marion sein? Mein Vater suchte eine solche Geschichte im Internet und fand eine Website, die über die Flucht jüdischer Kinder berichtete, zu denen ein gewisser Peter-Klaus und seine kleine Schwester (Marion?) zählt . Es war leider ein Irrweg... Nach ein paar Misserfolgen, verliert mein Vater den Mut.

Nety und Herbert mit Marion und Peter

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2004 wird er auf eine langfristige Dienstreise nach Jemen geschickt. Er hatte mehr Zeit, deshalb nahm er die Arbeit wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt entdeckte er, dank der Schoah-Gedenkstättes in Paris, dass Herbert und Nety am 20. November 1943 mit dem Konvoi Nr. 62 nach Auschwitz deportiert waren, und dass sie dort ermordet worden sind.

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2007 besuchte mein Vater die Schoah-Gedenkstätte zum ersten Mal. Nety und Herberts Namen stehen an der Mauer der Namen.

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Wir sind alle sehr dankbar, dass mein Vater mit viel Geduld und Mut die Geschichte der Familie aufgedeckt hat. Und ich danke ihm persönlich für seine Hilfe in der Ausarbeitung des Projekts!