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20 Mit Pauken und Trompeten An der Musikschule Nürnberg geben Menschen von zwei bis 79 Jahren den Ton an Text Annamaria Böckel · Fotos Stefan Hippel Nie interessiere sich das Publikum für den Streicher in der letz- ten Reihe, beklagt ein monologisierender Orchestermusiker in Patrick Süskinds Bühnenstück „Der Kontrabass“. Das kann dem siebenjährigen Moritz mit seinem blauen Instrument nicht passieren. Seit Geigenbauer Kontrabässe, sonst eher von gestandenen Männern und wenigen Frauen gespielt, auch im Mini-Format und mit buntem Anstrich herstellen, hal- ten sie Einzug in die Kinderzimmer. „In Deutschland gibt es noch sehr wenig Nachwuchs“, erklärt Corinna Zimprich, wa- rum sie in der Musikschule der Stadt Nürnberg bereits Vorschulkinder auf dem am tiefsten klingenden Streich- instrument unterrichtet. Moritz ist mit großem Eifer bei der Sache. Dafür nimmt seine Mutter den Weg von Langenzenn zum Unterricht im Schulhaus in der Knauerstraße, dem Sitz und wichtigsten der 21 im Stadtgebiet verteilten Unterrichts- orte der Musikschule, auf sich. NH 81

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Mit Pauken

und Trompeten

An der Musikschule Nürnberg geben Menschen

von zwei bis 79 Jahren den Ton an

Text Annamaria Böckel · Fotos Stefan Hippel

Nie interessiere sich das Publikum für den Streicher in der letz-ten Reihe, beklagt ein monologisierender Orchestermusiker inPatrick Süskinds Bühnenstück „Der Kontrabass“. Das kanndem siebenjährigen Moritz mit seinem blauen Instrumentnicht passieren. Seit Geigenbauer Kontrabässe, sonst ehervon gestandenen Männern und wenigen Frauen gespielt,auch im Mini-Format und mit buntem Anstrich herstellen, hal-ten sie Einzug in die Kinderzimmer. „In Deutschland gibt esnoch sehr wenig Nachwuchs“, erklärt Corinna Zimprich, wa-rum sie in der Musikschule der Stadt Nürnberg bereitsVorschulkinder auf dem am tiefsten klingenden Streich-instrument unterrichtet. Moritz ist mit großem Eifer bei derSache. Dafür nimmt seine Mutter den Weg von Langenzennzum Unterricht im Schulhaus in der Knauerstraße, dem Sitzund wichtigsten der 21 im Stadtgebiet verteilten Unterrichts-orte der Musikschule, auf sich.

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Dank Instrumentenim Kleinformat lernen an derMusikschule schondie JüngstenKontrabass.

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Vielstimmig schwirrt es am Nachmittag durch dieSchulhausflure. Aus einem der Klassenzimmer, in de-nen am Vormittag die Kinder des Förderzentrums ler-nen, tönt eine tiefe Posaune, aus dem nächsten per-len helle Kinderstimmen und gleich nebenan haut je-mand kräftig auf die Pauke. Von Musik für dieKleinsten, die mit Mama oder Papa Xylophon undRassel bearbeiten, bis zur Big Band reicht die klin-gende Bandbreite. Im Schuljahr 2006/2007 flöten,streichen, trommeln, zupfen und singen 2 150 Schü-lerinnen und Schüler von zwei bis 79 Jahren, ange-leitet von 76 haupt- und nebenamtlichen Lehrkräf-ten, in Nürnbergs lautester Schule. Bei zunehmen-dem Spardruck die musikalische und pädagogischeQualität zu halten, ist die hohe Kunst, die RudolfWundling, seit 1993 Schulleiter, abverlangt wird. Inden Anfangsjahren der 1936 von Waldemar Klink alsSingschule der Stadt gegründeten Einrichtung stan-den kindgemäße Stimmbildung, Notenlehre undLiedpflege auf dem Stundenplan. Erst 1965 wandel-te sie sich mit einer Instrumentalabteilung zur Sing-und Musikschule und 1993 zur Musikschule der StadtNürnberg.

Auch wenn heute der Großteil der Schüler einInstrument erlernt, wird Singen immer noch groß ge-schrieben. Vor gut einem Jahr rief Hartmut Kawohlden Jungen Chor Nürnberg ins Leben. Eine Aufbau-zeit von fünf Jahren hat er sich gegeben, um einenstabilen Kinder- und einen Jugendchor zu etablieren.Wenn die Sängerinnen und Sänger sich erst einmalauch über die Grenzen Nürnbergs hinaus einen Rufersungen haben, werde die Musikschule auch wiederstärker als Ausbildungsstätte für Kinder- und Jugend-stimmen wahrgenommen, hofft Schulleiter Wund-ling.

Die musikalische Arbeit mit Kindern ist von hoherFluktuation geprägt. „Ihr, die ihr schon länger dabeiseid, müsst die Neuen mit reinnehmen“, ermuntertKawohl bei der Probe. Aus 32 sieben- bis zwölfjähri-gen Kehlen schallt ein Mozart-Kanon. Danach geht esan die Feinheiten einer Kinder-Kantate. Die wenigenJungen haben sich mit einigen Mädchen in der zwei-ten Stimme zusammengefunden und singen tapfergegen die Oberstimme an. „Singt mal so, dass ichauch den Text verstehe“, ruft der Chorleiter. Bei

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Im Jungen ChorNürnberg bekommenKinder undJugendliche eineGesangsausbildung.

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Konzerten, der Eröffnung des Christkindlesmarktsund im nächsten Jahr bei einem Chorwettbewerbdürfen die Mädchen und Jungen sich einem Publikumpräsentieren. Damit die jungen Stimmen nicht durchfalsche Technik strapaziert werden, gibt es für alleMitglieder regelmäßig Stimmbildung. Mit den Ju-gendlichen ab 14 versucht Kawohl einen vierstimmi-gen Chor aufzubauen, der auch Nachwuchssängerfür die großen Nürnberger Konzertchöre stellenkönnte.

Die Schüler zur Mitwirkung in Ensembles zu qualifi-zieren, ist eines der Ziele, das die Musikschule in ih-rem Leitbild festgeschrieben hat. In Gesangs- undInstrumentalensembles, Bands und Orchestern wirdgemeinsam musiziert. „Wir fassen begabte und inter-essierte Instrumentalisten zusammen“, erklärt Schul-leiter Rudolf Wundling, der auch das NürnbergerJugendorchester dirigiert. Dieses Sinfonieorchestermit Musikern von 15 bis Anfang 20 gastiert mit sei-nem anspruchsvollen Repertoire regelmäßig inNürnbergs Partnerstädten. Mit dem BayerischenRundfunk wurde eine eigene CD produziert.

Für Marion Enachescu sind Auftritte mit demOrchester Routine. Seit acht Jahren lernt die 17-Jährige in der Musikschule Geige und gehört zu den15 Teilnehmern der Studienvorbereitenden Ausbil-dung (SVA). Kaum ein Tag der Woche, an dem Marionnicht mit Geigenkasten und Notenblättern unterwegsist. Zum Geigenunterricht und den Orchesterprobenkommen noch Klavier als Zweitfach und Musiktheo-rie. Ganz abgesehen vom Üben – mindestens zweiStunden am Tag. „Unter der Woche bleibt wenig Zeitfür Freunde“, sagt die Schülerin eines musischenGymnasiums. Für sie kein Opfer, denn: „Musik ist dasWichtigste für mich.“ Um in die SVA aufgenommenzu werden, musste sie in einer Auswahlprüfung ihrKönnen und Talent beweisen. „Die Vorbereitung hatviel Zeit und Nerven gekostet“, erinnert sie sich.Zweimal jährlich wird in einer Zwischenprüfung derLeistungsstand ermittelt. Schließlich ist die Ausbil-dung mit einem Stipendium verbunden und wird vomFreistaat mitfinanziert. Die Eltern bezahlen nur dasSchulgeld für den Einzelunterricht. „Wir verlangenvon den Jugendlichen entsprechend viel“, erklärtWundling. Marion kann sich gut vorstellen, nach dem

Die musikalische Zukunft fest im Blickhat die GeigerinMarion Enachescu.

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Abitur Musik zu studieren, das Hobby zum Beruf zumachen und als Musiklehrerin oder Musiktherapeutinzu arbeiten.

Ein „klar definiertes Ziel“ hält Rudolf Wundling in dermusikalischen Ausbildung für unabdingbar. DieMusikschule ermuntert ihre Schüler daher zur Teil-nahme am Wettbewerb „Jugend musiziert“. „Wirsind fast jedes Jahr im Bundeswettbewerb vertretenund haben schon einige Bundessiege errungen“, freutsich der Schulleiter.

Solide Ausbildung

Auch fünf 17- bis 19-jährige Fans des etwas härterenSounds haben ein Ziel fest im Blick. „Wir wollen beider NN-Rockbühne mitmachen“, berichtet OliviaBarth-Jurca, Sängerin der Band „In Circle“. JedeWoche trifft sich die Band in einem Probenraum derKnauerschule. Hier stehen die technische Ausstattungund mit Christian Appel ein erfahrener Pädagoge undBandleiter bereit. Dass die fünf über eine solide musi-kalische Ausbildung verfügen, ist nicht zu überhören.Olivia, seit einem Jahr bei „In Circle“, singt auch imJugendchor und bei Opernproduktionen. GitarristMax Pröschel, Bassist Franz Rohner, KeyboarderKonstantin Hager und Schlagzeuger Tilman Fischer,die schon seit mehreren Jahren zusammenspielen, ha-ben alle in der Musikschule klein angefangen. Kritischverfolgt Christian Appel bei der Probe Lied für Lied,gibt Tipps und Hilfestellung. Bei der Auswahl redet erden Jugendlichen nicht rein. „Ich habe doch einenganz anderen Musikgeschmack“, meint er. Der Musi-ker freut sich besonders, dass „In Circle“ angefangenhaben, eigene Stücke zu schreiben. Bei ihren bisheri-gen Auftritten hat die Gruppe Lieder anderer Bands

gecovert. Für die Teilnahme bei der Rockbühne der „Nürnberger Nachrichten“, dem renommiertenNachwuchsbandwettbewerb, sollen vermehrt eigeneSongs entstehen.

Auf Volksliedgut baut derweil Musiklehrer EvgenyFishkin in der Bläserklasse an der Gebrüder-Grimm-Grundschule. „Der Kuckuck und der Esel“ ist aus denanfangs manchmal noch schrägen Tönen von Holz-und Blechbläsern im Laufe der Probe herauszuhören.„Passt auf, dass ihr die Töne besser trefft!“, ruftFishkin den elf Mädchen und Jungen zu, die im zwei-ten Jahr Querflöte, Klarinette, Saxophon, Trompete,Posaune oder das der Tuba ähnliche Euphonium spie-len. „Die Kinder lernen in ihrem gewohnten Umfeld“,erklärt Rudolf Wundling die Vorzüge des Klassen-musizierens.

Nach dem in den USA entwickelten Konzept werdenin sieben Bläser-, zwei Streicher- und vier Block-flötenklassen Nürnberger Grundschüler unterrichtet.Von den Musiklehrern erfordert das Konzept großespädagogisches Geschick. Die eine sieht von ihremPlatz aus den Dirigenten nicht richtig, der nächstemeint, sein Saxophon funktioniere nicht, und alsFishkin endlich den Dirigentenstab zum Einsatz hebt,fragt der Dritte mit suchendem Blick auf die Noten:„Wo geht’s eigentlich los?“ Dennoch erarbeiten sichdie Kinder in der auf zwei Jahre angelegten Klasse dieGrundlagen, auf die sie später im Einzelunterricht auf-bauen können. Rudolf Wundling sieht im Konzept desKlassenmusizierens auch einen Beitrag zur Bildungs-reform. „Wenn die Ganztagsschule weiter auf demVormarsch ist, müssen wir als Musikschule mit unse-ren Angeboten dabei sein“, sagt er. ■

Musikschule NürnbergKnauerstraße 2090443 NürnbergTelefon 0911 / 2 31-30 23Telefax 0911 / 2 31-30 25E-Mail [email protected]

Die Unterrichtsangebote und Veranstaltungen der Musikschule sind im Internet unter www.musikschule.nuernberg.de zu finden.Das Schuljahr beginnt am 1. September, Anmeldeschluss ist jeweils der 15. Juni.

Mit eigenen Songs wollen die Bandmitglieder von „In Circle“ bei einemNachwuchswettbewerbantreten. Foto rechts oben

In der Bläserklasse klappt das Zusammenspiel schonganz gut. Foto rechts unten

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