zwei doppelfälle von tumor des kleinhirnbrückenwinkels mit und ohne neurofibromatose

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Zwei Doppelfiille yon Tumor des Kleinhirnbriickenwinkels mit und ohne Neurofibromatose. Von Prof. Dr. L. Heine (Kiel). (Aus der Universit~ts-Augenklinik Kiel.) (Eingegangen am 15. Oktober 1925.) Dan sich Krankheitsf~lle, ja ganze Krankengeschichten gelegentlich aul3erordentlich ~hnlich sehen k6nnen, ist ja bekannt. Eine so weit- gehende Ubereinstimmung in den klinischen Symptomen, wie sie in den sogleich mitzuteilenden recht komplizierten F~llen vorlag, war mir aber bisher unbekannt und so rechtfertigt sich deren kurze Mit- teilung vie]leicht, wenn sich auch in Anbetracht dieser Fi~lle mehr Fragen aufwerfen als beantworten lassen. Sch., Otto, 20 Jahre alt, Landmann, Rixdorf b. Ploen. Vor 6 Jahren allm~hliches Auftreten einer StrecklShmung des 4. und 5. Fingers der linken Hand. RSntgenbefund des Halswirbe]s und der Hand negativ. Auf- treten einer heiseren Spraehe; nach Vermutung des Arztes handelt es sieh um eine Schadigung des N. reeurrens. Augenbefund damals nicht erhoben. Vom Chirurgen tempori~re Clavicular- resektion vorgenommen, es land sieh dort ein schwieliges Gebilde. Es be- stand seitdem Nachtblindheit und Un- sicherheit im Gang. Jetzt erhebliche Versehlechterung des Sehens. Visus: g. ~/~s" L. ~/s- Beiderseits Stauungspapille. Blickparese nach oben. Nystagmus nach links. Gesichts/eld /rei. Rechts Cornea andethetisch. Links Cornea hyper~isthetisch. Lumbaldruck iiber 500. EiweiBvermehnmg. Wassermann 0. Es besteht hochgradige Schwerlgirigkeit. 12. IV. 1922 zur Trepanation in die Cbir. Klinik verlegt. z. f. d. g. Neur. u. Psych. C. Kramer. Periphere und zentrale Neurofibromatose. Neurol. Centralbl. 28, 239. 1922. 21jahr. Patient. Vor 8 Jahren (1913) bildete sich ein Knoten in der rechten Supraclaviculargrube, allm~hlichWaehs- turn bis zu Kindskopfgr613e. Nach 2 Jahren allm~hlich sich verschlim- mernde Schwdche des rechten Armes. 1 Jahr sp~ter Tumor operativ entfernt (Neurofibrom). Seit Beginn allmah- liches Hervortreten des linken Auges. Oktober 1916 land sich rechtsseitige Plexusl~thmung yore' Klumpkeschen Typus, Piotrusio des linken Auges, in geringeiem Grade auch des rech- ten. 1917 Enucleation des linken Auges nebst Neuro]ibrom der Orbita. Seit 1918 Knoten im linken Nacken. Seit 1 Jahr Schwindel und Taumelig- keit. Seit Frtihjahr 1921 Sehwerh6rig- keit, zuerst links, dann auch rechts. Im Sp~tsommer Verschlechterung des Sehens. Aufnahme in die Klinik Oktober 1921. Rechts leichte Protrusio bulbi, Stauungspapille, Nervenschwer- h6rigkeit beiderseits, links mehr als rechts. ~Vystagmus horiz, in den seitl. 32

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Zwei Doppelfiille yon Tumor des Kleinhirnbriickenwinkels mit und ohne Neurofibromatose.

Von Prof. Dr. L. Heine (Kiel).

(Aus der Universit~ts-Augenklinik Kiel.)

(Eingegangen am 15. Oktober 1925.)

Dan sich Krankhei t s f~l le , ja ganze Krankengesch ich ten gelegent l ich aul3erordentl ich ~hnlich sehen k6nnen, is t j a bekann t . E ine so weit- gehende U b e r e i n s t i m m u n g in den kl in ischen Symptomen , wie sie in den sogleich mi t zu te i l enden rech t kompl iz ie r t en F~l len vorlag, war mi r aber bisher u n b e k a n n t und so rech t fe r t ig t sich deren kurze Mit- te i lung vie]leicht, wenn sich auch in A n b e t r a c h t dieser Fi~lle mehr F ragen

aufwerfen als bean twor t en lassen.

Sch., Otto, 20 Jahre alt, Landmann, Rixdorf b. Ploen.

Vor 6 Jahren allm~hliches Auftreten einer StrecklShmung des 4. und 5. Fingers der linken Hand. RSntgenbefund des Halswirbe]s und der Hand negativ. Auf- treten einer heiseren Spraehe; nach Vermutung des Arztes handelt es sieh um eine Schadigung des N. reeurrens. Augenbefund damals nicht erhoben. Vom Chirurgen tempori~re Clavicular- resektion vorgenommen, es land sieh dort ein schwieliges Gebilde. Es be- stand seitdem Nachtblindheit und Un- sicherheit im Gang. Jetzt erhebliche Versehlechterung des Sehens.

Visus: g. ~/~s" L. ~/s- Beiderseits Stauungspapille. Blickparese nach oben. Nystagmus nach links. Gesichts/eld /rei. Rechts Cornea andethetisch. Links Cornea hyper~isthetisch. Lumbaldruck iiber 500. EiweiBvermehnmg. Wassermann 0.

Es besteht hochgradige Schwerlgirigkeit. 12. IV. 1922 zur Trepanation in die

Cbir. Klinik verlegt. z. f. d. g. Neur. u. Psych. C.

Kramer. Periphere und zentrale Neurofibromatose. Neurol. Centralbl. 28, 239. 1922.

21jahr. Patient. Vor 8 Jahren (1913) bildete sich ein Knoten in der rechten Supraclaviculargrube, allm~hlichWaehs- turn bis zu Kindskopfgr613e. Nach 2 Jahren allm~hlich sich verschlim- mernde Schwdche des rechten Armes. 1 Jahr sp~ter Tumor operativ entfernt (Neurofibrom). Seit Beginn allmah- liches Hervortreten des linken Auges. Oktober 1916 land sich rechtsseitige Plexusl~thmung yore ' Klumpkeschen Typus, Piotrusio des linken Auges, in geringeiem Grade auch des rech- ten. 1917 Enucleation des linken Auges nebst Neuro]ibrom der Orbita. Seit 1918 Knoten im linken Nacken. Seit 1 Jahr Schwindel und Taumelig- keit. Seit Frtihjahr 1921 Sehwerh6rig- keit, zuerst links, dann auch rechts. Im Sp~tsommer Verschlechterung des Sehens. Aufnahme in die Klinik Oktober 1921. Rechts leichte Protrusio bulbi, Stauungspapille, Nervenschwer- h6rigkeit beiderseits, links mehr als rechts. ~Vystagmus horiz, in den seitl.

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482 L. Heine: Zwei Doppelfitlle yon Tumor

12. VI. Stauungspapille beiderseits noch erheblieb, beginnende Atrophie; keine Blutungen. Pupillenreaktion man- gelhaft.

24.VII. 1922 Rechts Fingerziihlen 1 m. Links Fingerz~hlen v. d. Auge. Blau wird erkannt. Rot nicht.

11. IX. 1922. Opt.-Atrophie, fast oblit. Gef~Be. Pupille reagiert tr~ge. B1ickhebungsl~hmung; seitlicher Ny- stagmus, Senkung relativ am besten.

Visus: Rechts Fingerzahlen 3 m. L. 0. Befund dec Ohrenklinik: Nervus ol-

factorius o. B. Geschmacksprtifung o.B. Leichte Parese des Facialis. Rechts: Recurrensparalyse, links Recurrens- parese.

Bauchdeckenreflexe rechts nicht aus- zul6sen, links abgeschwi~cht. Spastische Parese der rechten unteren Extremit~t.

Auf der Brust zwei fibromatSse Wucherungen.

Diagnose: Cerebrale Neurofibroma- rose.

16. XI. 1922 Exitus. Anatomische Diagnose: TypischeiVeu-

ro/ibromatose. Ziemlich grofle m~nnliche Leiehe von

sehlankem K6rperbau und gutem Er- n~hrungszustand. Haut blaB. Aus- gedehnte Totenflecke in den ab- h~ngenden Partien. In der Gegend des linken Sternoc]aviculargelenks gr6Bere fli~chenhafte Narbe mit Ausl~ufern in der Richtung der linken Clavieula und des M. sternoeleidomast. In der Bauch- haut vereinzelte kleine Kn6tchen.

Bmsth6hle: Zwerchfellstand beider- seits 4. Rippe. Pleurah6hlen enthalten keinen frischen Inhalt. Herzbeutel einige klare Fltissigkeit. Innenfliiche glatt und spiegelnd.

Milz: VergrSflert, auffallend welch. Follikel und Trabekel deutlich zu er- kennen. Pulpa veffliissigt, trtib. Die Lymphknoten des Mesenteriums ge- sehwollen, gr6Btenteils verkalkt.

KopfhSh]e: Multiple Narben yon ~lteren Trepanationen in der Kopfhaut. Das kn6cherne Sch~deldach im hinteren Abschnitt yon unebener, hSckeriger Oberfl~he, sehr fest. Innenflache glatt.

Blickrichtungen, geringe Parese des rechten Facialis. Parese des rechten Stimmbandes und des rechten Gaumen- sege]s. Beim Stehen und Gehen cere- bellare Ataxie. Befund am rechten Arm wie friiher. Rechter Achillesreflex fehlt, sonstige Reflexe normal. Aul~er der Geschwulst am Nacken kein Neuro- fibrom am K6rper fiihlbar. Am 1. XI. 1921 Trepanation i~ber dem Kleinhirn rechts. Nur erster Akt ausgeftihrt, Dura nicht geSffnet. Da sich nach der ersten Zeit das subjektive Befinden und die Sehst6rung besserte, lehnte Pat. eine weitere Operation ab. Stauungspapille nach der Operation zuriickgegangen. Sonstiger Status unver~ndert. Es ist durchaus wahrscheinlieh, dal~ aueh die cerebralen Symptome auf Neurofibrome in der Sch~delkapsel zurtickzufiihren sind, da die Kombination von zentralen mit peripheren Neurofibromen ja niehts Seltenes ist. An welchem Nerven sieh diese entwickelt haben und welche Hirn- nerven nur sekund~r betroffen sind, l~Bt sich nicht mit Sicherheit ent- scheiden. Daft der Acusticus primer betroffen ist, ist nicht wahrscheinlich, da die Schwerh6rigkeit hier beiderseits nicht komplett ist. Ob der fehlende Achillesreflex auf ein Neurofibrom im Spinalkanal zurtickzufiihren ist, l~Bt sich ebenfalls nicht sicher entscheiden.

Demonstration des Gehirns des im Dezember 1921 (Zentralbl. 28) vor- gestellten Falles yon multipler Neuro- fibromatose (Zentratbl. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 31, 397. 1923).

Der Pat. ist vor einigen Tagen infolge einer Sehluckst6rung gestorben. Es fin- den sieh im Gehirn 2 grol3e Neurofibrome beiderseits in der Gegend des Kleinhirn- briickenwinkels, anscheinend vom Aeu- sticus ausgehend. In der rechten mitt- leren Sehadelgrube hinter der Orbita fand sieh ein Tumor, der im Gegensatz zu den anderen glatten knotigen Tu- moren ein zottiges Aussehen tr~gt und anscheinend yon der Dura an der Basis ausgeht. Kleine Neurofibrome fanden sieh noch zu beiden Seiten der Medulla oblongata an dem tlbergang in das

des Kleinhirnbrllckenwinkels mit und ohne Neurofibromatose. 483

In beiden Schl~fengegenden grofle ope- rative Defekte, durch we]che sich, yon der Dura bedeckt, Hirnmasse vorwSlbt. In der rechten Schli~fengegend pfennig- stiickgrofle TrepanationsSffnung ~lteren Datums. Frische TrepanationsSffnung in tier Hinterhauptgegend. Die harte Hirnhaut stark gespannt. Innenflache sehnig gli~nzend. Die gesamte Falx cerebri yon zahlreichen flachen, sehr derben Geschwulstknoten durchsetzt. Vereinzelte kleine Knoten auch in der Scheitelgegend. Die weichen Hiiute zart und durchsichtig, nur in der Gegend des Foramen Magendi fibr6s verdickt. Am !inken Kleinhirnbriickenwinkel ein kleinapfelgroBer, sehr derber Geschwulst- knoten, der enge Beziehungen zu dem nur undeutliche Reste aufweisenden N. acusticus zeigt, sich aber yon seiner Umgebung sonst allseitig teicht abl6sen l~Bt. Der N. facialis stark komprimiert. Auch im linken Porus acusticus int. linden sich derbe Geschwulstmassen. Kleine Geschwulstmassen von insge-

Rtickenmark. Ferner fanden sich ein- zelne kleine Tumoren an der Dura der Konvexitat. Die schon yon auBen ftihl- bare Geschwulst an der linken Nacken- seite erweist sich als yon den Cervical- wurzeln ausgehend durch das Foramen intervertebrale nach au$en durch- gewachsen. Am Riickenmark fanden sich an den Wurzeln, insbesondere denen der Cauda equina, eine Reihe yon kleinen Tumoren.

Aussprache: Henneberg l~at 2 ~hnliche F/ille beschrieben (Arch. f. Psychiatrie u. Nervenkrankh. 36); einen weiteren Fall haben Bielschowsky und Henneberg in der bald erscheinenden Festschrift Roman y Ca]als besprochen. Die Be- funde werden versti~ndlich, wenn man frfihembryonale StSrungen in dem Abwandern der Spongioblasten an- nimmt. An unrichtiger Stelle liegen- bleibendes Zellmaterial ist im Sinne Cohnheims als Ausgang der Geschwulst- bildung zu betrachten.

samt etwa BohnengrSl3e auch in der Gegend des rechten Porus acusticus int., die festere Verbindungen mit der Dura mater aufweisen und den rechten N. acusticus vor und nach seinem Eintritt in das Felsenbein umscheiden. Die Windungen des GroBhirns stark abgeplattet. Die Hirnkammern betr~cht- lich erweitert. Das Ependym deutlich granuliert. Die Hirnsubstanz fiberall sehr matschig. Sparliche leicht abstreifbare Blutpunkte. Die Gegend der Corpora quadrigemina anscheinend erweicht. Die basalen Hirngef~Be zart.

Medulla spinalis: Im Bereich der Cauda equina finden sich im Verlaufe zahlreicher Nervenwurzeln kn6tchenfSrmige Anschwellungen bis zu Klein- erbsengr61~e, einmal auch von Bohnengr6i~e.

Peripheres Nervensystem: Betriichtliche diffuse Verdickung der Nerven~ste im Bereich des linken Plexus brachialis, vereinzelte auch spindelfSrmige knotige Anschwellungen, rechts die gleichen Verimderungen in betri~chtlich geringe- rem Ausmal3e. Knotige Anschwellung und diffuse Verdickung auch in beiden Nn. hypoglossi unterhalb der Zunge. Besonders rechts ein erbsengrol~er Kno- ten im 5. Intercostalraum subpleural neben der Wirbelsiiule. Unbedeutende Verdickungen im Verlauf des linken N. femoralis etwa unter dem Poupart- schen Bande.

17. XI. 1911. M., Carl, 27 Jahre alt, aus Wisch.

Diagnose: Hydrocephalus internus? Tumor cerebri ?

Eltern leben, sind gesund. W~hrend der 1. Gravidit/~t bekam die Mutter pl6tzlich Krampfanf~lle mit Bewul~t- seinsstSrung. Deswegen Einleitung der Frtihgeburt, dieses Kind ist tot. Seit-

15. VIII. 1921. M., Meta, 36 Jahre alt, aus Wisch. Mutter von Carl M.

Diagnose: Stauungspapille bds. Ein Bruder an Tuberkulose gestorben. Eine Tante war lange leidend. Pat. hatte w/~hrend der Schulzeit Gelenkrheuma- tismus, sonst immer gesund nur immer etwas nervenschwach. Mann gesund.

Seit 4--5Wochen Kopfschmerzen,

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484 L. Heine: Zwei Doppelfalle von Tmnor

dem keine Krampfanfitlle wieder. Pat. besonders in der Schlafengegend. Zeit- ist /~ltestes lebendes Kind. Geburt weises Verschwimmen vor den Augen, leicht, Laufen mit 11/4 Jahren, Sprechen sonst keine SehstSrungen. Kein Doppel- ~benso. Geistige und kSrperliche Ent- sehen. Pat. ist gravid. wicklung normal. AuBerdem leben 3 Geschwister und sind gesund. Ein Bruder der Mutter starb an ,,Drfisen" im 18. Lebensjahr. Sonst keine Tbc.-Belastung. Im Juni fiel Pat. beim Spielen mit dem I-Iinterkopf auf einen Stein, keine BewuBtseinsstSrung, keine Kr~mpfe. Seit- dem Kopfschmerzen, dabei h~ufig der Gang, vortibergehend Doppelsehen.

Visus: Rechts 6/7 obj. + 5 , 0 D . Links 6/7 fast.

Pupillen: Links Spur weiter als rechts. Reaktion auf Licht links etwas weniger ausgiebig.

Augenbewegungen: Leichter Strabis- mus konverg, beiderseits Abducens- parese reehts mehr als links, sonst frei. Ophthalmoskopisch: Beiderseits Neu- ritis optici mit Stauungspapille, leichte Prominenz 11/2 D.

Augenhintergrund mit wei$1iehen radi~r angeordneten eircumpapill~ren Streifen. Peripherie: stellenweise ange- deutete Pfeffer- und Salz-Zeichnung.

Gesichts/eld: Peripherie scheinbar frei, nur nach unten leichte Einengung. Farben erkannt.

Tension beiderseits 20. Allgemeinuntersuchung: Kleiner mit-

telkr/~ftiger Junge. Grobe Kraft r. = I. Reflexe nicht gesteigert. Babinski 0. Romberg 0. Rechts ausgesprochene Ataxie in Arm und Bein. Links an- gedeutet. Zungengrund links tiefer als rechts. Gaumensegel links h/~ngend. Sensibilit/~t und Lagegefiihl o. B. Keine Klopfempfindlichkeit des Sch/~dels.

Gang rechts spastisch ataktisch. Kopf- umfang 50 cm.

Dunkeladaptation rechts 105, links 100. n. Piper (normal).

Lumbaldruck fiber 500 mm Hg. Spur Albumen. Sonst o. B. Wassermannsche Reaktion im Liq.

neg., im Blur zweifelhaft, am 18. XII. neg. Urin frei. Stuhlgang schlecht.

30. XI. 1 : 2000 Alt-Tub. Nach Rfickgang des Fiebers bis 37,6 ~ an- dauernd starke Schlafsucht, ab und zu Neigung zu Erbrechen.

1. XII, Temp. 37,6 ~ Starke Kopf-

Erbrechen, groBe Mattigkeit, taumeln-

Visus: Beiderseits e/s. Gesichtsfeld: Geringe VergrSl~erung des blinden Fleckes, leichte konz. Einschr. Blick- beschr/~nkung beim Blick nach links. Nystagmusartige Zuckungen. Beim Blick nach rechts Nystagmus horizon- talis. Beim Blick geradeaus Nystagmus rotatorius. Pupillen o.B. Beiderseits Stauungspapille yon 2 D., keine Blu- tungen.

Nervenstatus: Leichte Unsicherheit bei Zielbewegung mit der rechten Hand und Andeutung yon Adiadochokinesis. Achillesreflex rechts leicht herabgesetzt. Romberg schwach -4-. Unsicherheit im Gang.

Der Nervenbefund deutet auf einen Prozet~ in der hinteren Sch/~delgrube bin.

Dunkeladaptationbeiderseits 120 (nor- mal). ~Tassermann negativ. Lumbal- druck 190.

1. XI. Lumbaldruck 300. 22. XI. Lumbaldruck 350. 27. XI. ~ormaler Partus. 7. XIL Stauungspapille noch 3D.

Visus beiderseits 6/s. Dunkeladaptation beiderseits 67 (stark herabgesetzt).

6. XII. Dunkeladaptation beider- seits 68. Am rechten Opticus sind meh- rere kleine Blutungen aufgetreten. Vi- sus beiderseits s/t 0. Gesichtsfeld o.B.

20. XII. Visus schlechter (6A5). Lumbalpunktion 2 real wSchentlich, dauernd hoher Druck 350--450.

23. XII. Dauernd starke Kopf- sehmerzen. Visus beiderseits 1/20.

23. XII. Areflexie der Cornea rechts. Sensibilit~t links herabgesetzt. Schwer- hSrigkeit rechts. Stauungspapille un- ver~ndert. Zur Operation in die Chir. Klinik verlegt. Visus 6/15.

Diagnose: Doppels. Acusticustumor ?

des Kleinhirnbrfickenwinkels mit und ohne Neurofibromatose. 485

schmerzen und Erbrechen. Beide Patel- lar-Reflexe fehlen, ebenso der linke Achillesehnen-Refiex. Rechter Ach.-Re- flex schwach. Lumbaldruck fiber 500.

5. XII. Befinden gut. Visus: Rechts 4/5, links 4/4. Stauungspapille entschieden geringer. 15. XII. Visus: Beiderseits 6/10 obj.

+ 3,0 D. Gesiehtsfeld links frei, rechts vielleicht noch etwas eingeengt. Pu- pillenweite 8 mm. Reakt. + . Corneal- reflex beiderseits herabgesetzt. Gang taumelnd, weicht gewShnlich nach links ab. Romberg + . R5ntgenbild negativ.

18. XIL Andauernd seit einigen Tagen Erbrechen, das besonders heftig bei Bewegungen des Kopfes auftritt. Lahmung des rechten Abducens. Ny- stagmus beim Blick nach links.

22. XII. Befinden besser (beurlaubt). 2. I. 1912. Beiderseits Abducenslah-

mung; rechts total, links noch geringe Beweglichkeit.

Visus: Rechts Handbewegungen, Links 6/25 .

Pupillen mydriatisch. Reaktion rechts schlechter als links.

Stauungspapille beiderseits 3 D. Rechts Opticus etwas blasser als links.

Rechts Otitis media. In der Nasen- klinik Paracentese.

12. I. Lumbaldruck fiber 600 Hg. 19. I. Lumbaldruck fiber 600 Hg. Otitis media ohne Komplikationen

geheilt. 4. IX. Rechts Fingerzi~hlen 1/~m;

links 6/2o--6/1 s. 19. II. Links Druck fiber 600. 27. IL Auf 7 : 100 Alt-Tub. leiehte

Reaktion ohne Herderscheinungen. RSntgenbestrahlung. Linksseitige Ab- ducensparese vollkommen zuriickge- gangen.

4. III. Rechte Papille atrophisch mit scharfen Grenzen und circumpapill~rer Verfiirbung. Linke Papille graurStlich Prominenz 1,5 D.

14. IV. Rechts Fingerzahlen l m; links 6/12. Papillen beiderseits weii~lich atrophisch ohne Prom. Nystagmus beim Blick nach rechts. Rcchtsseitige Abducensparese.

Palliativtrepanation in der Chir. Klin. beiderseits subtemporal.

Auszug aus dem Sektionsprotokoll, 6. II. 1922.

Anatomische Diagnose: Tumor im Kleinhirnbr fickenwinkel (Acusticus- tumor). Kompression der Brficke, der Medulla oblongata und des Kleinhirns. Geringer Hydrocephalus internus. 0dem der Lungen. Bronchopneumonie des lin- ken Unterlappens. Geringe Anamie der Bauchorgane. Schnfirfurchen der Leber. Uterus post partum in Riickbildung.

Mikroskopisch: Neurinom. Beiderscits an der Schlafengegend

Operationswunden mit ErSffnung des Sch~deldaches und der Dura mater. An beiden zeigt sich eiu Grol~hirnprolaps, links starker als rechts. Linkerseits sind die prolabierten Gehirnbestandteile stark erweicht, etwas breiig. Ein Quer- schnitt an dieser Stelle ergibt, dal~ eine ca. faustgro]e Erweichungsstelle be- steht, die sich in die Marksubstanz der linken GroBhirnhemisph~ire hinein er- streckt. Rechterseits ist die erweichte blutig durchtrankte Substanz etwa zweimarkstfickgroB; sie ist mit Blut durchsetzt und dementsprechend ist die R inden -und Marksubstanz etwa in 1 cm Dicke mit zahlreichen Blutungen durchsetzt. Die harte Hirnhaut hat glatte Innenflache und ist feucht. Die weiehen Hirnh~tute durchscheinend, nur in der Umgebung der erweichten Stelle linkerseits eine ffinfmarkstfickgroBe flachenhafte Blutdurchtrankung in der Pia mater. Bei Herausnahme des Ge- hirns zeigt sich unter dem rechten Tentorium ein Tumor, der sich in den Meatus acusticus internus hinein fort- setzt. Nach Herausnahme des Gehirns zeigt er sich als ca. pflaumengroile Geschwulst am Kleinhirnbrfickenwinkel Pons und Medulla rechterseits sind stark abgeplattet, ebenso die rechte Kleinhirnhemisphare. Der Tumor laBt sich yon dem Kleinhirn und vom Pons und der Medulla leicht ablSsen, hat eine ziemlich glatte Oberflache und mittlere Konsistenz.

486 L. Heine: Zwei Doppelfalle yon Tumor

24. IV. Lumbaldruck 450. 18. V. entlassen. Status idem. 10. VI. Lumbaldruck 500 (ambulante Behandlung). 30. VII. 1918 Rechts totale, links temp. Atrophie. Nystagmus horizontal. 14. III . 1919. Strab. converg. Pupillen rechts Spur weiter als links.

Reaktion auf Lieht und Konvergenz + . Nystagmus. Rechts Opticus atroph. Links temp. blaB. Bliekparese nach rechts. Seh~delumfang 561/2 cm.

3. VIII. 1920. Beiderseits Abducensparese. Nystagmusartige Zuckungen beim Blick nach rechts. Opticus rechts atrophisch; links temp. atrophisch. Pigment- verschiebungen links mehr als rechts.

Visus: Rechts 6/u; links e/6. Wiederau/nahme am 9. VIII. 1921. Visns: Rechts 6/60; links e/6 f. Nystagmus in den Endstellungen. Ophthalm.: Rechts Atrophia nervi opt.; links temporale Abblassung. Gesichtsfeld: Rechts starke konzentrische Einengung; links normal. Nervenklinik: Rechts Andeutung yon Intensionstremor, leichte Ataxie des

rechten Arms, leichte Adiadochokinesis in der rechten Hand und dem rechten FuB, leiehte Hypotonie des rechten Arms. Nystagmus und Bliekschw~che in den seitlichen Endstellungen der Bulbi beim Baranyschen Zeigeversuch: 1%igung nach rechts vorbeizuzeigen. Der Befund deutet eine leichte A//ektion der rechten Kleinhirnhemisphdre an. Wassermann im Blur negativ. Lumbaldruek 180, nach 10 ccm 120. Entlassen.

10. III . 1922. Bald nach der Entlassung Riickf~lle. 13. III . 1922. Visus: Rechts 6/24; links 8/s. Dunkeladaptation rechts 67 (starke

Sch~digung); links 92 (geringe Sch~digung). 7. IV. 1922. Links Opticus hyper~misch prominent. Visus 6/j 2. 4. V. Prominenz zurfickgegangen. Wohlbefinden. 12. V. Links P. Druck fiber 600. 26. V. Visus: Rechts 6/36; links 6As. 15. VI. Rechts 6/e0; links 6/12. Nichts Frisches. Subjektives Wohlbefinden.

Hat Alttuberkulin erhalten bis 15 mg. Entlassen. 20. V. 1925. Visus: Rechts 6/60; links 6/12. G1. b. n. Rechts amblyop. Pup.

Schw~che. Links Pup. reagiert. Allgemeinbefinden gut. Geh0r gut. Nystagmus horiz, i. d. seitl. Endstellungen. Beiderseits Atrophia n. optici,

teilweise eingescheidete Gefi~fle. l~'ervenbefund wie ffiiher.

Zusammenfassung.

Beide Falle von Neurofibromatose (Neurinomatose) betrafen also in dem ersten Doppelfall junge Manner von ca. 20 Jah ren ; bei beiden begann das Leiden mit einer Extremitdtenldhmung in Fall I der l inken Hand , in Fall 2 des reehten Armes, bedingt dureh einen Supraclaviculartumor. I n beiden Fallen t ra t dann Heiserkeit durch Affektion des Recurrens auf, in beiden dann Schwerh6rigkeit, die in einem Fall zur E r t a u b u n g ffihrte. I n beiden land sich Nystagmus und doppelseitige Stauungs- papille, deretwegen beide t repanier t wurden. Die unteren Ex t remi ta t en waren in Fall 1 spastisch paretisch, in Fall 2 cerebellar-ataktisch.

des Kleinhirnbrtlckenwinkels mit und ohne Neurofibromatose. 487

Besonderes bot Fall 1 durch Blickparese nach oben, Fall 2 durch den Exophthalmus duplex, der links zur Enucleation ffihrte.

Die anatomische Untersuchung ergab im ersten Fall typische Neuro- fibromatose in der Bauchhaut, die Falx cerebri yon zahlreichen flachen, sehr derben Knoten durchsetzt. Am linken Kleinhirnbrfickenwinkel einen klein-apfelgrol~en sehr derben Knoten (Acustieustumor), Nervus facialis komprimiert. Auch rechts eine kleiner Acusticustumor. Hirn- stamm matschig, Gegend des Corp. quadrig, erweicht. Die Cauda equina zeigt knOtchenfOrmige Anschwellungen zahlreicher Nerven- wurzeln. Auch das periphere Nervensystem ist mehrfach entsprechend ver~ndert. Ebenso der Hypoglossus unterhalb der Zunge.

Im Falle 2 (Kramer) finden sich im Gehirn zwei groi~e Neurofibrome beiderseits in der Gegend des Kleinhirnbrfickenwinkels, anscheinend vom Acusticus ausgehend. In der rechten mittleren Sch~delgrube hinter der Orbita land sich ein Tumor. Kleine Neurofibrome fanden sich noch zu beiden Seiten der Medulla oblongata, ferner an der Dura der Konvexit~t. Die Geschwulst an der linken Nackenseite erweist sich als yon den Cervicalwurzeln ausgehend.

Der andere Doppel/all betrifft Mutter und Sohn. Letzterer erkrankte 1911 im Alter yon 7 Jahren an einer doppelseitigen Stauungspapille Abducensparese, Nystagmus, rechtsseitiger Ataxie in Arm und Bein, taumelndem Gang, Erbrechen, Kop/weh. Es wurde eine (tuberkulSse~.) Affektion der rechten Kleinhirnhemisph~re oder des betreffenden Klein- hirnbrfickenwinkels angenommen. Seit einigen Jahren ist der Prozel~ zum Stillstand gekommen.

10 Jahre sp~ter kam die Mutter (1921) mit denselben Symptomen zu uns: doppelseitige Stauungspapille, Abducensparese, Nystagmus und Ataxie, taumelndem Gang, Kop/weh. Auch hier wurde ein Prozel~ im Kleinhirnbrfickenwinkel angenommen.

Die Autopsie ergab einen Acusticustumor (Neurinom). Zu den vielen Fragen, welche das Studium der Neurofibromatose

aufgeworfen hat, in anatomischer sowohl wie in klinischer Beziehung, veranlassen vorstehende zwei Doppelfiille noch einige weitere.

Was die ersten 2 F~lle anbetrifft, so liegt ja zweifellos typische Neuro- fibromatose vor, nur gibt die weitgehende klinische 1Jbereinstimmung der Symptome und deren zeitliches Auftreten recht zu denken. Man kann sich kaum dem Gedanken verschliel~en, dab hier ein gewisser Turnus yon Pr~dilektionsstellen innegehalten ist. Aus andern Kranken- geschichten geht das zwar nicht mit solcher Deutlichkeit hervor, doch linden sich vielleicht ~hnliche Verh~ltnisse, wenn genauer danach ge- sucht wird. Familiarit~t kommt in diesen F~llen nicht in Frage.

Die 2 anderen Krankengeschichten betreffen nun Mutter und Sohn, wobei aber fiir den letzteren die Diagnose nur eine klinische ist. Dal~ bei

488 L. Heine: Zwei Doppelflille yon Tumor des KleinhirnbrUckenwinkels.

der Neurofibromatose Familiarit~t bzw. Erblichkeit nachzuweisen ist, zum Teil bis in die vierte Generation, ist bekannt.

Fraglich bleiben mug aber, ob dieses so h~ufig ist, dab man aus der weitgehenden ~bereinstimmung der klinischen Symptome bei Mutter und Sohn nun etwa aM die gleiche anatomische Ursache schliegen diirfte.

Fraglich bleiben muB vielleicht auch, ob es schon jetzt berechtigt ist, ohne weiteres alle Acusticustumoren den Neurinomen zuzurechnen und sie so aus dem mesodermalen in das ektodermale Gebiet zu verschieben, welch letzteres sich jetzt erheblich grSBerer Beliebtheit erfreut, als das sehr zuriickgesetzte erstere.

Often bleiben muB endlieh die Frage nach der Heilbarkeit dieser Tumoren.

DaB selbst die im anatomischen Sinne malignesten Tumoren heilen kSnnen, ist auf allen Gebieten beobachtet, selbst auf dem des Ms besonders bSsartig angesehenen Chorioidalsarkoms. Aber auch yon Epithel- geschwfilsten ist es bekannt. Und das Studium der Heilungen -- mit und ohne therapeutische Ma~nahmen -- verdient gewi~ ein hohes Inter- esse. Nun sind die Acusticustumoren -- fiberhaupt die Neurinome -- oder Neurofibrome -- nicht eigentlich maligne im anatomischen Sinne, allerdings im klinischen, aber meist nut dutch ihren Sitz in der Nach- barschaft lebenswichtiger Organe. Penetrierende Wucherungen gehen sie meist nicht ein, auch wird das multiple Auftreten nicht als eigentliche Metastasierung angesprochen. So kSnnte man doch vielleicht in einer gewissen Prozentzahl mit der MSglichkeit der Spontanheilung rechnen.