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ZumHofe MAGAZIN FÜR TIERÄRZTE GUT VERZAHNT, HALB GEWONNEN Privatdozent und Hoftierarzt: Dr. Andreas Palzer ZIEGENHIRTIN DER NEUZEIT Claudia Schäfer-Trumm veredelt Milch mit Lebensart 01 2017

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Page 1: Zum Hofe - QS · Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser Ausgabe der „Zum Hofe“. Beste Grüße LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER, ... Die Naturfotografen Joachim Wimmer und Klaus

ZumHofeMAGAZIN FÜR TIERÄRZTE

GUT VERZAHNT, HALB GEWONNEN Privatdozent und Hoftierarzt:Dr. Andreas Palzer

ZIEGENHIRTIN DER NEUZEIT Claudia Schäfer-Trumm veredelt Milch mit Lebensart

012017

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Impressum

„Zum Hofe“, Ausgabe 01/17, erschienen im Mai 2017

Redaktion: Kerstin RubelGestaltung:Susanne Del Din

DER HERAUSGEBER: WER IST QS?

QS sorgt seit 2001 für Lebensmittelsicherheit – vom Landwirt bis zur Ladentheke.95 Prozent des Schweine- und Geflügelfleischs deutscher Produktion stammenheute aus QS-zertifizierten Betrieben, beim Rindfleisch sind es 90 Prozent. 76.500Tierhalter nehmen insgesamt am QS-System teil. Das gemeinsame Ziel: konse-quente Eigenkontrollen sowie umfassende Prozess- und Herkunftssicherung. Pro -duzenten von frischem Obst, Gemüse und Kartoffeln kommen hinzu. Innerhalb desQS-Systems erzeugen sie nach klar definierten Kriterien sichere Lebensmittel, unter-stützt durch sämtliche vor- und nachgelagerten Wirtschaftsstufen. In diesem Sinnebeteiligen sich seit 2012 auch über 2.400 registrierte Hoftierärzte. Sie dokumentieren in einer eigens aufgebauten QS-Datenbank – im Auftrag der Land-wirte – den Einsatz von Antibiotika.

QS, das Bündnis für geprüfte Qualitätssicherung, setzt sich zusammen aus derLandwirtschaft, der Fleischwirtschaft, dem Lebensmitteleinzelhandel und der Futter-mittelwirtschaft. Die Gesellschafter der QS Qualität und Sicherheit GmbH in Bonnsind: der Deutsche Raiffeisenverband e.V., der Deutsche Bauernverband e.V., der Ver-band der Fleischwirtschaft e.V., der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenin-dustrie e.V. und die Handelsvereinigung für Marktwirtschaft e.V.

Der Verbraucher erkennt die sicheren Lebensmittel aus dem QS-System an dem eigenen, blau-weißen Prüfzeichen, das sich in 24.500 Märkten des Lebensmittelein-zelhandels wiederfindet.

www.q-s.de

Fotos S. 24 – 31: Knesebeck Verlag (Klaus Echle, Joachim Wimmer;Bildband links). Weiterer Bildnachweis: Piper Verlag, Claudia Schäfer-Trumm, QS (Wolfgang Uhlig), Shutterstock (Drew Rawcliffe, SupachaiKatiyasurin, Custom Photography Designs, Eder, La puma, linerpics)

„Zum Hofe“ erscheint zweimal jährlich, kostenfrei und exklusiv fürTierärzte im QS-System. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nurnach vorheriger Einwilligung.

Herausgeber: QS Qualität und Sicherheit GmbHDr. Hermann-Josef NienhoffSchedestr. 1–3, D-53113 Bonn

Telefon: +49 228 35068-0E-Mail: [email protected]

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EDITORIAL

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minus 11,4 Prozent, das ist eine ganze Menge! Nochmals 62,36 Tonnen weniger Anti biotika, die die Schweine- und Geflugelhalter 2016 innerhalb des QS-Systems verbrauchten. Damit konnten auch im letzten Jahr eindeutige Belege für den hochver-antwortlichen Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung aufgezeigt werden. Besondershervorzuheben ist die klare Reduktion bei den kritischen Antibiotika (Cephalosporineder 3. und 4. Generation sowie Fluorchinolone) in Höhe von 1,33 Tonnen und damit20,2 Prozent. Dies beweist, dass der Gesamtrückgang in der Nutztierhaltung nicht mit einer Zunahme der kritischen Anti -biotika „erkauft“ wird – sondern das Gegenteil der Fall ist. Der umsichtige Medika -menteneinsatz durch die Tierärzte, die verstärkte Beratung der Landwirte und dietierärztliche Bestandsbetreuung haben diesen Erfolg möglich gemacht. Unsere gemein-samen Anstrengungen im Antibiotikamonitoring schaffen die notwendige Transparenz.

In dieser Ausgabe haben wir die Zahlen zum Antibiotikaverbrauch in Deutschland, aberauch weltweit in Relation gesetzt. Die internationalen Verbrauchsmengen und die welt-weite Fleischerzeugung lassen sich nur schwer in wenigen Infografiken abbilden, „ZumHofe“ hat es dennoch versucht: Sehen Sie selbst ab Seite 18.

Mit Dr. Andreas Palzer und Dr. Uta Seiwald haben wir uns über tierärztliche Ethik unter-halten und berichten über die Spannungsfelder, denen Tierärzte ausgesetzt sind. Palzerbeispielsweise sagt, befragt zum Ethik-Kodex: „Wenn es praktisch wird, dann höre ichnur: ‚Das muss der Tierarzt im Einzelfall selbst entscheiden’“. Deshalb geht der Schwei-nepraktiker weiter nach vorn: „Wir Nutztierärzte müssen das Thema für uns auslotenund brauchen dazu die interne Diskussion“, fordert er. Mehr finden Sie ab Seite 6.

Einen ganz anderen Blick auf unsere Welt eröffnet Ihnen dann die Heftmitte: UnsereBildstrecke führt dieses Mal in den Schwarzwald.

Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser Ausgabe der „Zum Hofe“.Beste Grüße

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

Dr. Hermann-Josef NienhoffGeschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH

Wir freuen uns auf Ihre

Anregungen und

Reaktionen, Ihre Kritik

und Themenideen:

[email protected]

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GUT VERZAHNT IST HALB GEWONNEN HOFTIERARZT UND PRIVATDOZENT: DR. ANDREAS PALZER

Er glaubt fest an eine für alle Seiten gewinn-bringende Verzahnung von Forschung und Praxisalltag. Dr. Andreas Palzer praktiziert imschönen Allgäu, dabei hält er seine Tür für den tiermedizinischen Nachwuchs offen. „Zum Hofe“ besuchte den Schweinepraktikerund einen seiner Landwirte.

HÖR MAL! RINDERPRAKTIKERIN UND GESUNDHEITS -BERATERIN: DR. UTA SEIWALD

„Kommunikation ist alles“, davon ist Dr. Uta Seiwald, ehemalige Hoftierärztin undheutige Gesundheitsberaterin, überzeugt.„Dabei geht es aber nicht um das Reden,sondern um das Zuhören.“ Genau das hat„Zum Hofe“ getan – bei einem Kaminge-spräch in Ostfriesland. Dabei allgegenwärtig:die Vereinbarkeit von Job und Familie.

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6 DEUTSCHLAND UND DER ANTIBIOTIKA-GLOBUS FAKTEN UND PROGNOSEN

„Zum Hofe“ blickt auf den Antibiotika-Globus.Wie werden sich die Verbrauchsmengen in der weltweiten Nutztierhaltung verändern?Wie verhalten sich einzelne Länder, die USAzum Beispiel? Wie macht sich Deutschland im internationalen Vergleich? Und wie steht es eigentlich um die Eindämmung antibiotika -resistenter Bakterien? Expertenmeinungenund Prognosen, die nachdenklich stimmen.

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BILDBAND DER SCHWARZWALD

Der Knesebeck Verlag stellte „Zum Hofe“ eini -ge beeindruckende Fotos zur Verfügung, diejüngst im Bildband „Nationalpark Schwarz -wald“ erschienen. Die Naturfotografen JoachimWimmer und Klaus Echle erinnern uns an dieEinzigartigkeit und Vielfalt unserer Natur.

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IN DER PRAXIS

INHALT

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ZIEGENHIRTIN DER NEUZEIT DIE „KLEINE FROMAGERIE“ DER CLAUDIA SCHÄFER-TRUMM

Sie hält Ziegen, produziert Käse, bewirtetGäste – und würzt all dies mit einer Prise Lebensart. Ein attraktives Rezept, das offen-sichtlich Erfolg verspricht. „Zum Hofe“ be-suchte Claudia Schäfer-Trumm und ihre über100 Ziegen im Westerwald. So wie die 4.000anderen Gäste, die Jahr für Jahr vorbeischauen

FERN AB VON COWBOY-ROMANTIKLOW-STRESS-STOCKMANSHIP MIT PHILIPP WENZ

Low-Stress-Stockmanship ist eine Manage-ment-Methode für Weidetiere. So ließe sichdas Thema rein sachlich beschreiben. MehrFleisch an die Sache bringt Philipp Wenz. Dergelernte Landwirt und Agraringenieur trainiertseit 2008 Herdentiere und deren Besitzer.Seine Ziele? Neben Effizienz und Kontrollemehr Freude im Job. Darüber ein Interview.

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32 FACHWISSEN FÜR DEN HÜTTENABEND ALPINE FUNDSTÜCKE – AUFGELESEN VON SEBASTIAN HERRMANN

Wer die Natur liebt und gerne in die Bergereist, der findet hier die richtige Lektüre. Einwahres Sammelsurium aus alpinem Wissenund liebenswerten Histörchen hat SebastianHerrmann, seines Zeichens Buchautor undBergsportler, zusammengetragen. Der PiperVerlag hat sie „Zum Hofe“ freundlicherweisezur Verfügung gestellt.

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NACH DER PRAXIS

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IN DER PRAXIS

Gute 100 Kilometer fährt Andreas Palzer bis zum Hof von Armin Hügle. Auf der anderenSeite des Bodensees liegt er, nahe der Schweizer Grenze: ein Familienbetrieb, 180Sauen, dazu eine eigene Mast. Typische Kennzeichen des Palzerschen Kundenkreises.Auffällig dagegen ist der hohe persönliche Aufwand, den der Landwirt bei der Tier-haltung treibt. „Das beginnt schon beim Stall: Der ist 20 Jahre alt, aber bereits so ge-baut, wie man heute nach Tierwohl-Kriterien planen würde“, erklärt der Fachtierarztfür Schweine. Auch das Füttern von Heu, das große Platzangebot in der Wartehaltungund die intensive Betreuung der ferkelnden Sauen – von der Teppichunterlage biszum Trockenreiben der Neugeborenen – zeichnen Hügle aus, der seine landwirtschaft-liche Ausbildung seinerzeit in der nahen Schweiz absolvierte.

Dass der Betrieb bei der „Initiative Tierwohl“ dabei ist und der „Überzeugungstäter“nun auch eine zusätzliche Vergütung erfährt, freut seinen Veterinär. Der besucht denHof in Gottmadingen routinemäßig jede Woche, so wie alle Ferkelerzeuger, die er be-treut. „Über 50 Prozent meiner Arbeitszeit entfallen auf die Beratung“, schätzt Palzer,darauf angesprochen. Allein daran zeige sich, wie sehr sich der Beruf gewandelt habe:Wurde der Hoftierarzt einst gerufen, um Krankheiten zu heilen, dann gehe es heuteviel mehr um deren Vorbeugung und damit um eine solide Bestandsgesundheit.

Gut verzahnt ist halb gewonnen

HOFTIERARZT UND PRIVATDOZENT: DR. ANDREAS PALZER

Auf 800 Höhenmeter verschlug es Dr. Andreas Palzer: Im schönen

Allgäu, genauer in Scheidegg, praktiziert der Privatdozent der

Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Fest glaubt der Hoftierarzt

an eine für alle Seiten gewinnbringende Verzahnung von Forschung

und Praxisalltag. Der tiermedizinische Nachwuchs jedenfalls trifft bei

ihm auf eine offene Tür. Auch „Zum Hofe“ ist hindurchgegangen.

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IN DER PRAXIS

„Über 50 Prozentmeiner Arbeitszeitentfallen auf die

Beratung“, schätztDr. Andreas Palzer.Den Betrieb von

Armin Hügle (untenrechts) besucht er routinemäßig

jede Woche.

So weit alles schön und gut, der Wandelvom Mediziner zum Berater ist schließlichin aller Munde. Aber läuft der Tierarzt, dersich selbst als solcher definiert, nicht Ge-fahr, einer unter vielen zu werden?Schließlich fahren Berater unterschied-lichster Provenienz über die Dörfer. Ent-steht womöglich ein neuer Wettbewerb,in dem die so spezifischen Aspekte desheilenden und ethisch verantwortlichenBerufs leiden könnten? „Ha! Das ist einegute Frage!“, ruft Palzer und legt sogleich

die Stirn in Falten. Nach kurzer Denk-pause eine Gegenfrage: „Wer, wenn nichtwir Hoftierärzte, sind entscheidend? Nie-mand kennt den Betrieb so gut wie wir,niemand ist so häufig vor Ort, niemandkann mehr Vertrauen zum Landwirt auf-bauen.“ Nein, einen Statusverlust be-fürchtet der „beratende“ Hoftierarztnicht. Nicht in seinem rund 100 Kilometergroßen Einzugsgebiet, wo er in jedemBetrieb ausschließlich mit einem An-sprechpartner – und zwar dem Chef – zu

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tun habe. Hier komme dem Mediziner auch zukünftig eine kostbareSchlüsselrolle zu. Diese mit Leben zu füllen, sei allerdings gewissabhängig vom Tierarzt selbst und seiner Persönlichkeit, räumt derSchweinepraktiker ein.

Eine Vergutung nach Stunden, die er fur seine Beratungsleistung be-rechnen könnte, verlangt Palzer bei seinen Bestandskunden übrigensnicht. Sie ist in der Jahrespauschale fur die allgemeine Bestandsbe-treuung integriert. „Ich fürchte eben, dass die Arbeit schlechter wird,sobald ich anfange, Stunden zu zählen. In jedem Landwirt tickt eineinnere Stechuhr. Auf die Beratungsqualität kann sich das nur negativauswirken“, glaubt Palzer, der vor sieben Jahren – als dritter Inhaber –in die Tierarztpraxis Scheidegg einstieg. Die Gemeinschaftspraxis istganz auf Schweine spezialisiert, wobei ein Kleintierbereich angeschlos-sen ist. Insgesamt zählt das Team 15 Köpfe. Darunter neun Tierärzte,zu denen derzeit drei Doktoranden gehören. Auch Palzers Ehefrau istvom Fach und arbeitet im Kollegenkreis.

Doch zurück zum Thema Prophylaxe, das mit der Beratung bereitszur Sprache kam: Die meisten Höfe, deren Bestandsbetreuung dieTierarztpraxis Scheidegg innehat, liefern in das QS-System und neh-men damit am QS-Antibiotikamonitoring teil. Die Datenübertragungvon der QS- zur HIT-Datenbank läuft automatisch. Die Antibiotikare-duktion ist für Palzer selbstverständliches Tagesgeschäft und seinerMeinung nach auch in den Betrieben längst angekommen. In derpraktischen Bestandsbetreuung setzt er gerne auf Ergänzungsfut-termittel, die den allgemeinen Gesundheitszustand stabilisieren:„Probiotika, Präbiotika, Säuren – damit kann man viel machen. Nichtalles, aber viel“, bilanziert er. Da die meisten seiner Landwirte ihrFutter selbst mischen, lassen sich die Mittel leicht einbringen. Dasgilt auch für Armin Hügle. Er betreibt zudem ein eigenes, detailliertesFuttermonitoring. Anders ausgedrückt: „Er schreibt sich einfach allesauf. Das schafft eine Datenlage, mit der sich bestens arbeiten lässt“,findet sein Hoftierarzt. Und? Zahlt sich der ganze Aufwand aus, denHügle letztlich zusätzlich betreibt? Palzer wiegt den Kopf: „Kaufmän-nisch kann ich das nicht beurteilen. Aber wenn es um die Tierge-sundheit geht, dann auf jeden Fall.“ Die QS-Antibiotikadatenbankbestätigt dies: Hügles Mastschweine und Aufzuchtferkel haben,Quartal für Quartal, einen Therapieindex von null.

Seit 2015 sitzt Palzer im Präsidium des Bundesverbands Praktizie-render Tierärzte, bpt. Seither beschäftigt ihn die Antibiotikareduktionumso mehr. So sind es auch die Themenbereiche „Arzneimittel“ und„EU“, die in sein Ressort fallen. Zudem leitet er eine neu geschaf-fene Arbeitsgruppe, die sich mit der AMG-Novellierung befasst. Alswäre all dies nicht genug, engagiert sich der Privatdozent Palzer,der Anfang 2016 habilitierte, an der Tierärztlichen Fakultät derMünchner Ludwig-Maximilians-Universität, LMU. „Erst gestern be-suchten uns Studierende, drei Stunden haben wir zusammen aufeinem Betrieb verbracht“, erzählt der Hoftierarzt, der fest an eine

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für alle Seiten gewinnbringende Verzahnung von Forschung undPraxisalltag glaubt. Auch wenn deren Umsetzung im alles be-stimmenden Tagesgeschäft, so räumt der Familienvater ein, allesandere als leicht sei.

Bevor Palzer, der selbst in München studierte, in die ScheideggerPraxis einstieg, verbrachte er acht Jahre als wissenschaftlicherMitarbeiter an der LMU. „Die Forschung so ganz aufzugebenkonnte ich mir nie vorstellen“, sagt er rückblickend. Warum, washält ihn bei der Stange? Nach ein paar Minuten des Überlegensweiß er es: Es ist die Sorge um den fachlichen Stillstand. Sie istes, die den Fachtierarzt für Schweine und „Diplomate of the Eu-ropean College“ dranbleiben lässt.

Eine konkrete Vorstellung davon, was „dranbleiben“ für Palzerbedeutet, bekommt der, der ihn zum Ethik-Kodex befragt. 2015vom Deutschen Tierärztetag beschlossen, 2016 mit Umsetzungs-empfehlungen unterfüttert, soll der Ethik-Kodex Veterinäreselbstverpflichtend beim „ethisch richtigen Handeln“ unterstüt-zen. „Schön und gut“, meint Palzer, „aber wenn es praktischwird, dann höre ich nur: ‚Das muss der Tierarzt im Einzelfallselbst entscheiden.‘ Das war vorher auch schon so, dafür brau-che ich keinen Kodex!“ Der Hoftierarzt kommt in Fahrt und führteine Reihe von Praxisbeispielen an. Ihnen allen ist eins gemein:Steht der Hoftierarzt vor einer Gruppe ernsthaft erkrankter Tiere,dann bedeutet die Heilung derer, die durchkommen, immer auchdas verlängerte Leid derer, denen nicht mehr zu helfen ist. „Miteinem frühzeitigen Bolzenschuss wäre Letzteren – im Sinne desTierwohls – besser gedient. Oder sollen wir lieber der Naturihren Lauf lassen? Wo, in diesem großen Graubereich, liegen dieverbindlichen Grenzen?“, fragt der Veterinär und ringt mit denHänden.

Was sich Palzer wünscht, sind konkrete ethische Anhaltspunkte,die sich nach prozentualen Heilungschancen, einer definiertenMenge von Krankentagen und Ähnlichem mehr richten. Sie sol-len seinem Berufsstand praktische Orientierung bieten. Unddabei geht es ihm noch nicht einmal um seine persönliche Entscheidungsfindung im Fall des Falles. Hier fühlt sich Palzer

ANGEWANDTE ETHIK MIT DR. ANDREAS PALZER Wie lässt sich tierärztliche Ethik praktisch undfaktisch haltbar umsetzen? Als bpt-Präsidiums-mitglied wünscht sich Dr. Andreas Palzer einenaktiven Austausch mit anderen Hoftierärzten.Wer sich davon angesprochen fühlt, kann sichdirekt mit ihm in Verbindung setzen: Tel. 08381/ 2572, [email protected].

„Wo, in diesem großenGraubereich, liegen dieverbindlichen Grenzen?“

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sicher, er folgt einem inneren Seismo-graphen, auch mit nachgelagertenZweifeln hat er nicht zu kämpfen.Nein, worum es ihm im Kern geht, isteine fundierte, faktisch gesicherte Ar-gumentation gegenüber der Öffent-lichkeit, den Medien und einemkritisch nachfragenden Amtsveterinär.„Wir Nutztierärzte müssen das Themafür uns ausloten und brauchen dazudie interne Diskussion. Denn wirhaben da offensichtlich ein Problem“,fordert er auf und stoppt damit auchnicht vor den kontrollierenden Behör-den: „Amtsveterinäre besitzen inner-

halb der Gesellschaft die größteGlaubwürdigkeit. Sie müssen wir inFragen ethischer Nutztierhaltung stär-ker integrieren!“ Für all das will Palzerinnerhalb seiner bpt-Arbeit werben,sich selbst einsetzen.

Reichlich Durchsetzungskraft ist dem 39-Jährigen zuzutrauen, der bisherigeBlick in seine Vita genügt. Und dabeifing Palzers Werdegang so beschaulichan: Aufgewachsen ist er auf demrheinland-pfälzischen Lande, hier hiel-ten seine Eltern Milchkühe, im Neben-erwerb. Zudem bot der Hof Platz für

allerlei Kleintiere – Hühner, Enten,Gänse, Kaninchen –, die der Filiusnicht nur aufzog, sondern auch selbstschlachtete. Dass er Tierarzt werdenwollte, das wusste Palzer schon da-mals, dass es aber speziell dieSchweine werden sollten, daraufbrachte ihn erst Frankreich: Hier be-suchte er ab seinem 16. Lebensjahr re-gelmäßig einen schweinehaltendenFamilienbetrieb, bei dem er die Som-merferien über aushalf. Das gefiel dem„Eifeler Jung“ so gut, dass er dem Hofbis heute freundschaftlich die Treuehält – und sich medizinisch ganz demBorstenvieh verschrieb.

Ob es nun Frankreich oder doch dieTiere der Kindheit waren, die schließ-lich seinen Wunsch nach einem eige-nen Hof nährten – man weiß es nicht.Fest steht nur, dass Palzer im letztenJahr Nägel mit Köpfen machte und einaltes Gehöft nahe Scheidegg erwarb.Viel Platz für allerlei Mitbewohner. Dieersten eigenen Hühner sind schonausgebrütet. Jetzt träumt er eine Kate-gorie größer: Black-Angus sollen einesTages auf seinen Weiden grasen. Undwährend er von den stattlichen Rin-dern erzählt, bekommt sein Blicketwas Schwärmerisches. Keine Frage:Palzers Black-Angus sind im An-marsch.

IN DER PRAXIS

„Amtsveterinäre besitzen innerhalb der Gesellschaft die größte

Glaubwurdigkeit. Sie mussen wir in Fragen ethischer Nutztierhaltung

stärker integrieren!“

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IN DER PRAXIS

Hör mal!RINDERPRAKTIKERIN UND GESUNDHEITSBERATERIN: DR. UTA SEIWALD

Vielleicht ist sie das Musterbeispiel eines zukünftigen Hoftierarztes:

eine kommunikationsstarke Beraterin der Landwirtschaft, angestellt

und mit aller Selbstverständlichkeit mehrfache Mutter. Die Rede ist

von Dr. Uta Seiwald. Nach zwei Jahrzehnten, die die Ostfriesin in

einer Großtierpraxis verbrachte, wechselte sie in die übergeordnete

Gesundheits beratung, zudem arbeitet sie in der Fleischbeschau.

Da rüber ein Kamingespräch. Sein Herzstück: das Zuhören.

Es ist der erste Satz, der fällt: „Die Kuh ist das schönste Tier, das es gibt.“ Und wäh-rend Uta Seiwald das so sagt, taucht „das schönste Tier, das es gibt“, höchstpersön-lich vor dem Wohnzimmerfenster auf: Mathilda. Eine Mutterkuh, sieben Jahre alt.Pechschwarz. So steht sie am Zaun, Kopf und Hörner erhoben. Rasch ist ihre Stam-mesgeschichte erzählt und auch, dass sie in einem Jahr ein Pflegekalb aufnahm, essäugte, als die eigene Mutter es nach einer Kaiserschnittgeburt nicht annehmenwollte. „Mathilda ist so zutraulich, dass sich Spaziergänger manchmal vor ihr erschre-cken“, erzählt ihre Besitzerin mit blitzenden Augen, „sie springt um einen herum wieein junges Kalb.“ In diesem Jahr grasen auf den Wiesen am Haus drei Fleischrinder.Sie wandern – mit Ausnahme von Mathilda, „die bleibt“ – in Kochtopf und Kühltruhe.Ebenso wie Seiwalds Hühner. Im Zuge der präventiven Stallhaltungspflicht, die dasLand Niedersachsen zur Vogelgrippe erließ, hat sie sie allesamt geschlachtet: „DerStall ist nichts für meine Hühner, da tue ich die lieber weg.“

Die handfeste Nutztierärztin tauschte nach 20 Jahren Großtierpraxis kürzlich ihren Jobgegen eine Teilzeitstelle beim Landeskontrollverband Weser-Ems (LKV) im niedersäch-sischen Leer. Beim LKV geht es, natürlich, um Kühe, um die Milchkontrolle der ange-gliederten Höfe, um Leistungsmengen und Inhaltsstoffe, um Eutergesundheit undFruchtbarkeit, letztlich um Herdenmanagement. Seiwalds Steckenpferde hier heißen„GKUHplus“ oder auch „KuhVision“. Hinter dem ersten Gemeinschaftsprojekt verstecktsich ein interdisziplinäres, flächendeckendes Gesundheitsmonitoring. Milchproduzie-rende Betriebe, die an GKUHplus teilnehmen, erfassen sämtliche Krankheitsdiagnosenin einer zentralen Datenbank. So erhalten sie einerseits einen soliden Überblick über

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den Gesundheitsstand der eigenenHerde. „Andererseits können auf die-ser Datengrundlage der Hoftierarztoder externe Berater wie ich viel effek-tiver arbeiten“, erklärt die Rinderprak-tikerin. „Letztlich geht es immer umGesundheitsprophylaxe.“ Sie ist in Zeiten hohen Kostendrucks eine we-sentliche Stellschraube des wirtschaft-lichen Erfolgs. Ohne einen gesundenund damit langlebigen Bestand gehtes nicht. Womit wir schon bei Sei-walds zweitem LKV-Projekt wären:KuhVision, ein bundesweites Zucht-programm, das auf leistungsstarke,aber eben auch robuste und wider-standsfähigere Milchkühe zielt.

Neben dieser verbandsübergreifendenProjektarbeit und der damit verbunde-nen Vortragsarbeit schätzt die 47-Jährige nach wie vor die Zusammenar-beit mit „ihren“ Landwirten. Kämpfteiner der LKV-Höfe beispielsweiseständig mit Mastitis, kommt sie alstierärztliche Beraterin hinzu und kann– auch auf Grundlage der schon be-schriebenen Datenerfassung – intensivnachforschen, um den Euter-Entzün-dungen ursächlich auf die Schliche zukommen. Dass sie jetzt mehr Muße fürdiese Beratungsarbeit hat, gefällt ihrsehr. „In Zeiten der Großtierpraxis war

ich immer mit Vollgas unterwegs, esist mit den Jahren alles schneller ge-worden“, resümiert sie und findet einanschauliches Beispiel: „Typischer-weise hältst du mit der einen Handdie Infusion und greifst mit der ande-ren schon wieder zum klingelndenHandy. Für ein reflektiertes Gesprächbleibt da einfach zu wenig Zeit.“ Abergenau dieses Gespräch ist es, das ihram Herzen liegt.

„Mehr noch“, sagt sie, „Kommunika-tion ist alles.“ Davon ist die 47-Jährigeüberzeugt. „Egal in welchem Lebens-

bereich: Kommunikation ist das Wich-tigste, um gemeinsam Lösungen zu fin-den und Verständnis füreinanderaufzubringen.“ Und? Sind Frauen hierim Vorteil? „Davon bin ich fest über-zeugt!“, schießt es aus ihr heraus.„Dabei geht es aber nicht um dasReden, sondern um das Zuhören. Diemeisten Landwirte wissen genau, wasbei den Patienten nicht stimmt. Was sieerzählen können ist wertvoll für jedeDiagnose.“ Aber auch in brenzligen Si-tuationen oder in Tierwohl-Fragen habesich das Zuhören bewährt: „Wenn ichmeine Bauern zutexte, am besten noch

„Kommunikation ist das Wichtigste, umgemeinsam Lösungen zu finden und Verständnis füreinander aufzubringen.“

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IN DER PRAXIS

mit Vorwürfen konfrontiere, dann machendie dicht, dann geht da gar nichts mehr.“Mit Freundlichkeit, Verständnis und fach-lich überzeugenden Argumenten aberließe sich eigentlich immer eine Lösungfinden. Auch in wirtschaftlich angespann-ten Zeiten. Dann etwa, wenn ein Bullen-kalb, das am Markt aktuell nur zehn Eurobringe, mit fraglichen Heilungschancen vorihr liege. „Dann müssen wir es aus ethi-schen Gründen wenigstens erlösen. Undwenn es gar nicht anders geht, bezahltder Bauer eben nur das Präparat, der Ar-beitsaufwand bleibt bei mir“, erzählt sieaus ihren Praxiszeiten.

Zusätzlich zum LKV ist Seiwald auch inder Fleischbeschau unterwegs. Rinder,Schweine, Schafe, alles ist dabei. „In derFleischbeschau kann man, auch im De-tail, viel für den Tierschutz tun“, sagt sie.Beispiel: Strombetäubung. Sie muss rich-tig sitzen, auch dann, wenn sie der neueAzubi angelegt hat. Alles in allem blicktSeiwald zufrieden auf ihre Schlachter:„Überzeugte Tierquäler hab ich nochkeine getroffen. Ein bisschen sensibilisie-ren reicht meist schon.“ Es sind vor allemkleinere Schlachtbetriebe, die sie in ihrerRegion besucht. Und dort ist es, wie sooft im Leben, der oberste Kopf, der den

Mehr Muße beider Beratungs -arbeit: Seit Dr. UtaSeiwald in derübergeordneten Gesundheitsbe-treuung arbeitet,besucht sie „ihre“ Bauern nur noch lieber.Heute HilmarSchulte, Junior als auch Senior.

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kompletten Umgang mit Tier und Menschbestimmt. Beeindruckt erzählt sie etwavon der großen Ruhe, die sie speziell ineinem Betrieb erlebe und die ganz vomChef ausgehe. „Auch die Tiere sind, wennsie abgeladen werden, völlig ruhig“, be-ginnt sie zu erzählen. „Ich habe erlebt,dass ein Mitarbeiter mal hektisch wurde,da war direkt der Chef zur Stelle: ‚Sonicht!‘ Der schlachtet jedes Jahr hunderteTiere, aber nur eines zu triezen, daskommt dem nicht in den Sinn.“

Während sie das alles erzählt, Tee nach-schenkt und in das Kaminfeuer blickt,steht immer wieder eines ihrer fünf Kin-der neben dem großen Esstisch: DasMundstück der Posaune fehlt, der kleine

Bruder guckt schon wieder Fernsehen,wann seid ihr endlich fertig. Da formuliertsich von ganz allein die Frage: Wie, umalles in der Welt, schafft sie es, mit einerKinderschar berufstätig zu sein? Und dasin einem heilenden, immer wieder durchNotfälle bestimmten Beruf? Seiwald kenntdie Frage, leicht findet sie die Antwort:Neben den Groß eltern, die beständig ein-springen, sind es vor allem kooperativeArbeitgeber und Kollegen, die dies mög-lich machen. Und: „Es ist die Region. DieOstfriesen sind kinderlieb, große Familiensind normal, auch bei uns Tierärzten“, er-zählt sie. Fazit: „Der Zusammenhalt imAlltag ist einfach da, man achtet auf -einander – und dann geht’s.“ Dies sei,gerade bei idealistisch motivierten Tier-

„Die Kuh ist dasschönste Tier, das es gibt“,davon ist die

Rinderpraktikerinüberzeugt. Daher

laufen die eigenenExemplare auchdirekt am Haus.

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IN DER PRAXIS

ärztinnen, oft wichtiger als die Bezahlung. Vielleicht einkleines Lehrstück für alle Praxisinhaber, die im ländlichenBereich keinen Nachwuchs finden. Der ist zumindest in tier-ärztlichen Studentenkreisen zu 85 Prozent weiblich.

Aussagekräftig auch, dass Seiwald nicht in das traurigeLied der ausgebeuteten Assistenzärzte einzustimmen ver-mag. Sie habe immer Glück gehabt, erinnert sie sich, seials Angestellte gut zurechtgekommen und halte bis heuteeinen freundschaftlichen Kontakt zu ihren einstigen Chefs.Auch hier läge der Schlüssel zum mitmenschlichen Erfolg,schlicht und ergreifend, in der Kommunikation. „Dazu ge-hört auch, seine Meinung zu sagen und konsequent Gren-zen zu setzen. Verbiegt man sich zu sehr, dann geht manselber ein“, sagt sie nachdenklich und erzählt von zweiHörstürzen. „Die Arbeitsspirale dreht schnell hoch, zumalja auch die Gesellschaft viel von uns allzeit bereiten Medi-zinern erwartet.“

Nach zwei Jahrzehnten im Praxisgeschäft geht es bei Sei-wald heute deutlich planbarer zu. Fachlich ist die Kombi-nation aus LKV-Gesundheitsberatung und Fleischbeschaugenau das, was ihr an ihrem Beruf gefällt: „Zusammen mitmeinen Erfahrungen in der Großtierpraxis ergibt sich nunein rundes Bild.“ Zumal sie sich auch im BundesverbandPraktizierender Tierärzte, bpt, engagiert, so etwa 2015 inder niedersächsischen Projektarbeit zur „Vermeidung derSchlachtung tragender Rinder“. An ihrem Ende stand eineVereinbarung zwischen dem Niedersächsischen Ministeriumfür Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und23 Vertretern der Schlachthöfe, der Transportunternehmen,der Landwirtschaft und der Tierärzteschaft, um nur einigezu nennen. Sie verpflichteten sich aus ethischen Gründen,Rinderföten vor einem qualvollen Tod zu bewahren, indemdie Schlachtung der Muttertiere verhindert wird. Bislangfehlt hier eine tierschutzrechtliche Regelung. Seiwald legte

so viel Herzblut in das Thema, dass sie gar ihren Familien-urlaub abbrach, um an einer entscheidenden Sitzung teil-zunehmen.

Neben ihrer Arbeit im Landesverband Niedersachsen sitztsie zudem im aktuellen bpt-Präsidium. Hier sind es die berufspolitischen Themen, die ihr wichtig sind. Im „Arbeits-kreis Angestellte Tierärzte“ etwa geht es um Arbeitsver-träge, Praxiszertifizierungen oder Arbeitszeitmodelle. Bei alldem gäbe es tüchtig Nachholbedarf, so sei die schlichteArbeitszeiterfassung in vielen Praxen beispielsweise nochZukunftsmusik. Hat sich Seiwald in ihrer Verbandsarbeitalso, typisch Frau, der familienorientierten Work-Life-Ba-lance verschrieben? „Nein, das sind Generationsthemen,keine Frauenprobleme“, weist die groß gewachsene Mutter, die nie etwas anderes werden wollte als Tierärztin, be-stimmt zurück.

Von Kindesbeinen an ist Seiwald mit den Nutztieren ver-bandelt: Die Großmutter bewirtschaftete einen kleinen Hof.„Wenn es mir in Kindertagen mal schlecht ging, bin ich inden Stall und habe den Kühen beim Kauen zugehört. Dannging’s schon wieder“, erzählt sie lächelnd. Zum erstenSchülerpraktikum ging es dann in die Tierarztpraxis – undder Berufswunsch war geboren. Nach ihren Studienjahrenin Hannover zog es die gebürtige Ostfriesin wieder in diealte Heimat und in eben diese Großtierpraxis, die sie schonals Schülerin kennengelernt hatte.

„Kleintiere hätten bei mir auf Dauer auch nicht funktioniert.Da läuft in der Tierhaltung so viel verkehrt, ich hätte mirmeinen Mund verbrannt und noch dazu die Kunden ver-grault“, sagt sie und erzählt von Kaninchen mit überlangenZähnen, fetten Hunden, die „doch Schokolade so lieben“,und einer im Todeskampf krampfenden Katze, die nicht ein-geschläfert werden durfte, damit „ihre Seele frei zum Him-mel aufsteigen kann“. Auf Seiwalds Stirn bilden sichZornesfalten. Nein, sie habe Tierärztin werden wollen, nichtPsychologin, und als solche halte sie sich doch lieber andie Landwirte, da ginge es ehrlicher zu. „Denn mal ganzsachlich gesprochen: Steht es um den Tierschutz schlecht,dann stimmt auch die Leistung nicht – und das kann sichauf Dauer kein Bauer leisten“, folgert sie. In Sachen Tier-wohl träfe sie hier ohnehin meist auf offene Ohren, ebensoauf Investitionswillen. Allein: Die Höfe müssten sich die Ver-besserungen auch leisten können. Denn was die Hoftier-ärztin auch beobachtet hat: Geht es dem Landwirt schlecht,aus wirtschaftlicher oder gesundheitlicher Not heraus, dannleiden immer auch die Tiere. „Tierwohl und Menschenwohlsind aufs Engste miteinander verquickt“.

„Tierwohl und Menschenwohl sind

aufs Engste miteinanderverquickt.“

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Deutschland und der Antibiotika-Globus

FAKTEN UND PROGNOSEN

Die deutsche Antibiotikareduktion verläuft beispielhaft. Allein im Jahr 2016 wurden

62,36 Tonnen weniger Antibiotika in der Schweine- und Geflügelhaltung innerhalb des

QS-Systems eingesetzt. Das entspricht einem Minus von 11,4 Prozent. Diese Zahl ist umso

bedeutsamer, da die Tierhalter des QS-Systems rund 95 Prozent des deutschen

Schweine- und Geflügelfleischs produzieren.

„Zum Hofe“ hat sich aber nicht nur die aktuellen Zahlen aus Deutschland angeschaut,

sondern auch auf den gesamten Antibiotika-Globus geblickt. Auf diesen – und seine

prognostizierte Entwicklung – werfen die nachfolgenden Infografiken einige Schlaglichter.

Dabei fällt auf: Wer international mit Fleisch handelt, der muss auch den Antibiotikaeinsatz

in den Produktionsländern im Auge behalten. Ganz besonders gilt das für den, der sich

an das eigentliche Ziel aller Anstrengungen erinnert: Die Eindämmung

von resistenten Bakterien, die für Mensch wie Tier gefährlich werden können.

ZumHofe18

IN DER PRAXIS

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ZumHofe 19

deutsche Geflügelhalter nehmen am QS-Anti-

biotikamonitoring teil und weitere 1.813 aus

europäischen Nachbarländern. Bei den Schweine

haltenden Betrieben sind es in Deutschland

und 372 im Ausland.

1.056 Präparate sind in der

QS-Antibiotikadatenbank angelegt.

Davon 467 ausländische

Präparate, da auch Betriebe aus

dem Ausland am Antibiotika-

monitoring teilnehmen.

Hoftierärzte sind aktuell im QS-Antibiotika-

monitoring registriert. 92 von ihnen kommen

aus dem Ausland.

2.906

53%

95%

90%

gesenkt werden (seit 2011).

Die eingesetzte Antibiotikamenge konnte innerhalb des QS-Systems um

des Schweine- und Geflügelfleischsaus deutscher Produktion stammt aus QS-zertifizierten Betrieben. Beim deutschen Rindfleisch sind es etwa

Rund

Tierhalter gehören zum QS-System.

76.422

2.440

107.887Teilnehmer umfasst die

QS-Systemkette Fleisch und Fleischwaren insgesamt.

Behandlungsbelege meldeten die Hoftierärzte bislang inner-halb des QS-Antibiotikamoni- torings (2012 bis März 2017).

Hiervon wurden

2.615.424

an die staatliche HIT-Datenbank übertragen.

835.599

29.223

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ZumHofe20

IN DER PRAXIS

PRAXISBEISPIELDEUTSCHLANDNach einer starken Reduktionvon 2014 auf 2015 (minus21,6%) sank der Antibiotika -verbrauch der QS-Betriebe, die Mastgeflügel und Schweinehalten, weiterhin: Der Vorjah-resvergleich 2016 weist einMinus von 11,4% auf, zudemfielen die Verbrauchsmengender kritischen Antibiotika (Reserveantibiotika). Wie dieDIMDI-Zahlen (Infografik oben)für 2016 aussehen werden,bleibt noch abzuwarten. DasBundesamt für Verbraucher-schutz und Lebensmittelsicher-heit veröffentlicht sie erst imAugust. Die DIMDI-Zahlen be-ziffern die Gesamtmenge vonAntibiotika, die deutsche Tier-arztpraxen im jeweils letztenJahr von der Pharmaindustrieerhielten. Sie gelten für Nutz-und Haustiere.

Jahr für Jahr: stark sinkender Antibiotikaver-brauch in derdeutschenNutztierhaltung

Aminoglykoside 17,82 11,89 15,44 29,8 %

Cephalosporine, 1. Gen. 0,00 0,00 0,00 0,0 %

Cephalosporine, 3. & 4. Gen. 0,36 0,49 0,41 -16,8 %

Fluorchinolone 7,29 6,08 4,83 -20,6 %

Folsäureantagonisten 8,39 4,29 3,32 -22,6 %

Lincosamide 10,76 8,16 9,79 20,0 %

Makrolide 64,19 49,16 37,57 -23,6 %

Penicilline 282,08 232,23 210,06 -9,5 %

Phenicole 1,14 1,51 1,72 13,9 %

Pleuromutiline 9,6 10,10 8,91 -11,7 %

Polypeptid-Antibiotika 56,59 45,38 41,07 -9,5 %

Sulfonamide 44,9 23,47 19,18 -18,3 %

Tetracycline 194,08 155,15 133,26 -14,1 %

Summe 697,2 547,91 485,55 -11,4%

2014 2015 2016

Entwicklung2015 zu 2016

QS-Betriebe (Mastgeflügel, Schwein)

Angaben jeweils in Tonnen. Quelle: Bundesamt fur

Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Aminoglykoside 47 40 39 38 25

Cephalosporine, 1. Gen. 2 2 2 2,1 1,9

Cephalosporine, 3. & 4. Gen. 3,6 4 3,8 3,7 3,6

Fluorchinolone 8,2 10,4 12,1 12,3 10,6

Folsäureantagonisten 30 26 24 19 10

Lincosamide 17 15 17 15 11

Makrolide 173 145 126 109 52

Penicilline 528 501 473 450 299

Phenicole 6,1 5,7 5,2 5,3 5,0

Pleuromutiline 14 18 15 13 11

Polypeptid-Antibiotika 127 124 125 107 82

Sulfonamide 185 162 152 121 73

Tetracycline 564 566 454 342 221

Summe 1.706 1.619 1.452 1.238 805

2011 2013 20142012 2015

DIMDI (alle Nutz- und Heimtiere)

Angaben jeweils in Tonnen. Quelle: QS Qualität und Sicherheit

➘ ➘ ➘ ➘

➘ ➘

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ZumHofe 21

Geflügelfleisch aus Drittländern

0

2013 2014 2015 2016

Importbeispiele Deutschland. Angaben jeweils in Tonnen. Quelle: Statistisches Bundesamt, *Stand: November 2016

30.676 t

25.846 t

27.325 t

22.884 t

Schweinefleisch aus Drittländern

15.000

20.000

25.000

30.000

35.000

19.267 t 19.659 t18.848 t*

21.676 t

„Wer Fleisch importiert, importiert Risiken.“

Deutschland ist bekanntermaßen ein starker Fleischexporteur. Trotzdem wird auch Fleisch importiert, nicht nur aus der EU, sondern auch aus Ländern mit fraglicher Antibiotika-Politik. Zwei Beispiele führt die Grafik oben an.

EXPERTENMEINUNGEN AUS DEUTSCHLAND „Die deutsche Antibiotikareduktionläuft gut an. Bei all den Monitoring-ergebnissen und Jahresbilanzen dür-fen wir aber nicht vergessen, woraufalle Anstrengungen letztlich zielen:auf eine reduzierte Resistenzentwick-lung. Antibiotikaresistente Keime gefährden Mensch und Tier. Ein ein-deutiger Beleg für die Reduktion vonAntibiotikaresistenzen fehlt bisher inder EU und in Deutschland. Der welt-weite Fleischhandel macht das Themazudem komplex.“Prof. Dr. Annemarie Käsbohrer, BfR

„Es ist und bleibt eine Frage der Qua-litätssicherung: Wer Fleisch einführt,der muss sich auch mit der Antibio-tika-Politik der jeweiligen Produktions-länder auseinandersetzen. Da weltweitder deutsche oder europäische Stan-dard nicht vorausgesetzt werden kann,lässt sich die Schlussfolgerung treffen:Wer Fleisch importiert, importiert auchRisiken. Wie sieht es beispielsweisemit Resistenzen aus?“

Thomas May, QS Qualität und Sicherheit

PRAXISBEISPIEL EUBei der Antibiotikafrage, ob national oder international, ob in der Human- oder Veterinärmedizin, geht es immernur um eins: um die Eindämmung einer Resistenzentwicklung, die für Mensch und Tier kritisch werden kann.„Jedes Jahr führen Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien zu etwa 25.000 Todesfällen in der EU – aberdie Bedrohung ist nicht auf Europa beschränkt. Dies ist ein globales Problem, das eine globale Lösung erfor-dert“, fasste Vytenis Andriukaitis, EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, zusammen.

Ob, etwa im Zuge der beispielhaften Antibiotikareduktion in der deutschen Nutztierhaltung, bereits Fortschritteerzielt werden konnten, bleibt bislang unerforscht. Dass es diese gibt, lässt jedoch Marta Hugas von der Euro-pean Food Safety Authority (EFSA) vermuten. Im letzten Jahr stellte sie einen Bericht über Antibiotikaresistenzenbei Zoonosebakterien in Europa vor. Die Leiterin des EFSA-Referats für biologische Gefahren und Kontaminantenbeobachtete hier große regionale Unterschiede. Ein Beispiel: „In Nordeuropa ist ein geringeres Auftreten von Re-sistenzen bei Bakterien aus Geflügel zu verzeichnen, vor allem in Ländern mit niedrigem Antibiotikaeinsatz beiTieren“, so Hugas. Die höchsten Antibiotikaresistenzen seien dagegen in Ost- und Südosteuropa zu beobachten.

4 4 3 3 2

2 2 2 2 1

3 4 3 3 3

8 1 1 1 1

3 2 2 1 1

1 1 1 1 1

1 1 1 1 5

5 5 4 4 2

6 5 5 5 5

1 1 1 1 1

1 1 1 1 8

1 1 1 1 7

5 5 4 3 2

1 1 1 1 8

}

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ZumHofe22

IN DER PRAXIS

Quelle der drei Infografiken: Princeton University, Department of Ecology and Evolutionary Biology, Studie 2014. Ergänzung zu Europa (14%): Hochrechnung QS Qualität und Sicherheit

Tonnen Antibiotika

2010 2030

63.151

105.596

39,0

17,23 20,28

5,97Tonnen

Antibiotika

Davon zwei Drittel durch zunehmend mehr Nutztiere verursacht

Prognostizierter Antibiotikaverbrauch weltweit

Anstieg um 67%

USA 13%

Europa 14 %

Indien 3%

Brasilien 9%

China 23%

63.151Tonnen

Antibiotika

Sonstige 38%

2

Deutschland 3%

2010

2010 wurden weltweit 63.151 TonnenAntibiotika in der Nutztierhaltung ein -gesetzt. Nach einer Studie der PrincetonUniversity soll der Verbrauch auf105.596 Tonnen im Jahr 2030 ansteigen.Die Wissenschaftler rechneten dieseZahl entsprechend der zukünftigen Weltbevölkerung hoch, im Zuge dessenFleischverzehr und Nutztierhaltung an-steigen sollen – analog dazu der Anti -biotika verbrauch. Bislang nicht be rück- sichtigt sind die nationalen Monitoring-und Reduktionsprogramme und derenAuswirkung auf den zukünftigen Medi-kamenteneinsatz.

Prognostiziert: weltweiter Antibiotikaverbrauch in der Nutztierhaltung

Länder mit dem höchsten Antibiotika -verbrauch 2010

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ZumHofe 23

China 30%

USA 10%

Brasilien 8%

Indien 4%

Mexiko 2%

105.596Tonnen

Antibiotika

Sonstige 46%

2

EXPERTENMEINUNG AUS DEUTSCHLAND „Die EU und Deutschland sind internationale Vorreiter,sie gehen mit gutem Beispiel voran, setzen Maßstäbeund Standards. Was uns aktuell Sorge bereitet, ist,dass die Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln unddamit der Tierproduktion weltweit ansteigt – unddamit auch der Antibiotikaeinsatz. Bisher fällt die Sensibilität für eine notwendige Reduktion länderspe-zifisch sehr unterschiedlich aus.“

Prof. Dr. Annemarie Käsbohrer, Nationales Referenzlabor für Antibiotikaresis-

tenz am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin

2030

PRAXISBEISPIEL USA Seit Anfang 2017 gelten in den Vereinigten Staaten von Amerika neue Vorgaben für den Antibiotikaeinsatz in derNutztierhaltung. So gab die zuständige Behörde, die Food and Drug Administration (FDA), bekannt, dass der Ein-satz von humanmedizinisch relevanten Antibiotika nun durch Veterinäre zu überwachen sei. Viele bislang frei er-hältliche Präparate seien zudem verschreibungspflichtig. Außerdem gelte, dass bestimmte Wirkstoffe, die auchdie Humanmedizin nutze, nun nicht mehr zur Leistungsförderung für Nutztiere eingesetzt werden dürften. Hier zunennen sind: Chlortetracyclin, Erythromycin, Gentamicin, Lincomycin, Neomycin, Oxytetramycin, Penicillin, Specti-nomycin, Sulfadimethoxin, Sulfaquinoxalin und Tetracyclin.

„Für deutsche Ohren klingt das nach Steinzeit“, kommentiert Thomas May, der das QS-Antibiotikamonitoring seit2011 betreut. „Nehmen wir nur das Thema Wachstumsförderer: Sie sind in Deutschland seit über zehn Jahren ver-boten – und zwar über alle Wirkstoffgruppen hinweg.“ Auch mit den neuen FDA-Vorgaben gibt es in den USAweiterhin Präparate, die jeder Landwirt beliebig als „Over the counter“-Produkte im Landhandel kaufen kann.Ohne jede tierärztliche Verschreibung. Auch Antibiotika als Wachstumsförderer – beispielsweise mit dem WirkstoffTiamulin – sind weiterhin statthaft, solange sie keine humanmedizinische Relevanz besitzen.

Ohne Deutschland: die prognostizierten „Top 5“ im Jahr 2030

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012017

DERSCHWARZ

WALD

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ist nicht schwarz. Er ist bunt.

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Und reich an Bewohnern: Kleine Käuzchen hausen in den Baumwipfeln …

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… junge Füchse verstecken sich im Unterholz.

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012017

Alte Heimatist der Wald.

Urig, fastschon zum

Stein geworden.

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ZumHofe 33

NACH DER PRAXIS

Ziegenhirtin der Neuzeit

DIE „KLEINE FROMAGERIE“ DER CLAUDIA SCHÄFER-TRUMM

Ziegen erfreuen sich großer Sympathien. Häufig als reine Liebhabertiere für die

Wiesen ums Haus angeschafft, darf man die quicklebendigen Tiere aber keinesfalls

unterschätzen. Vor allem nicht, wenn sie auf eine ebenso quirlige Claudia Schäfer-

Trumm treffen: Die unternehmenslustige Westerwälderin bewirtschaftet einen Hof mit

über 100 Milchziegen. Den selbst veredelten Käse kredenzt sie in ihrer

„Kleinen Fromagerie“. „Zum Hofe“ besuchte sie im rheinland-pfälzischen Dörfchen

Oberrod. So wie die 4.000 anderen Gäste, die Jahr für Jahr vorbeischauen.

Claudia Schäfer-Trumm steht vor ihrem Packtisch und rauftsich die Haare: Es gibt zu wenig Käse für zu viele Bestel-lungen! Was 2005 zur reinen Selbstversorgung mit drei Tie-ren – Anna, Emma und Paul – begann, hat sich mit denJahren und „völlig ungeplant“ zu einem veritablen Ziegen-hof mit eigener Käserei entwickelt. Für die notwendige Bekanntheit sorgten Gastro-Magazine wie „Feinschmecker“oder „Essen und Trinken“. Der Deutsche LandFrauenver-band kürte Schäfer-Trumm zur „Unternehmerin des Jahres2016“, Motto: „LandFrauen mit Ideen“.

Gut 100 „Weiße Deutsche Edelziegen“ zählt Schäfer-Trumms Herde, die Milch, die sie geben, wandert komplettin die hauseigene Käseproduktion. 170 Lämmer wurden al-lein im letzten Jahr geboren, meist Zwillings-, häufig aberauch Drillingsgeburten. 60 von ihnen verkaufte die gebür-tige Westerwälderin lebend. „Mir scheint, dass sich immermehr Menschen für Ziegenhaltung interessieren“, erzähltsie. „Es kommt schon vor, dass wir zehn Zicklein auf ein-mal abgeben, häufig wollen die Leute aber nur zwei oderdrei halten.“ Es sind meist Liebhabertiere, die ganz neben-bei der Landschaftspflege dienen. Dabei kann das frucht-bare Geschöpf so viel mehr, ganz besonders die Weiße

Deutsche Edelziege. Sie ist – nach der „Bunten DeutschenEdelziege“ – die beliebteste und auch die produktivsteRasse hierzulande. In ihrer rund 240 Tage währenden Laktation gibt sie rund 1.100 Kilogramm fett- und eiweiß-reiche Milch, die zu allen gängigen Milchprodukten verar-beitet wird.

30 Kilo beträgt die tägliche Käseproduktion der KleinenFromagerie. Ein Teil verlässt den Ziegenhof via Postpaket.Einen anderen nehmen regionale Restaurants, Hof- undFeinkostläden ab, sie schätzen die violett etikettierten Wes-terwald-Originale in ihrem Sortiment. Am liebsten aberkauft die Kundschaft direkt vor Ort. Dann, wenn ClaudiaSchäfer-Trumm zu Betriebsbesichtigungen oder, noch bes-ser, zur „Sinfonie der Sinne“ einlädt. Zu der siebengängi-gen Käse-Wein-Verkostung empfängt sie direkt am eigenenHaus, das oberhalb der Ställe in einem Wohngebiet liegt.Gasträume, Küche, Käserei und privates Leben gehen wieselbstverständlich ineinander über. „Wir leben einfach so,wie wir es schön finden, und lassen unsere Gäste daranteilhaben“, sagt die 53-Jährige. Und dieser Satz kommt ihrderart freimütig über die Lippen, dass man ihr die uner-müdliche Gastfreundschaft direkt glauben mag. So vergeht

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ZumHofe34

kein Sonntag, an dem nicht irgendjemand an der Türe klopft:hier ein Gutschein, da ein paar Gramm Käse und „nur malkurz Ziegen gucken“.

Vielleicht ist es genau diese Zugabe von Persönlichkeit,die, neben aller Produktqualität, das Erfolgsrezept der Klei-nen Fromagerie ausmacht. Zu jedem Camembert, zu jedemBrie und Frischkäse gibt es eine Prise Lebensart dazu. Aneben dieser liegt Schäfer-Trumm viel. So baute sie etwaaus den Steinen einer alten Scheune, historischen Fensternund Steinplatten, die sie mitsamt Familie im Wald ausgrub,ein urig anmutendes Bruchsteinhäuschen im kleinen Innen-hof. Hier veranstaltet sie ihre Gastro-Events im Landhaus-look, bei denen sie nicht Ruhe gibt, bis „jeder Kräuterzweigan der richtigen Stelle liegt“. Rund 4.000 Besucher emp-fängt sie pro Jahr. Und die unternehmenslustige ClaudiaSchäfer-Trumm kommt langsam an ihre Grenzen: „Im nächs-ten Jahr müssen wir kürzer treten“, sagt sie und zählt imgleichen Atemzug auf, was sie schon wieder alles plant: größere Stallungen, den Ausbau der Sommerküche, einenTurm aus alten Bruchsteinen, weitere Ferienwohnungen undendlich einen richtigen Hofladen.

So wie es ausschaut, hat die Kleine Fromagerie ins zeit-geistig Schwarze getroffen. Gewiss profitiert sie von demungebrochenen Trend der „Landlust“, von mediterranenReiseträumen, von der Sehnsucht nach Handgemachtemund Ursprünglichem. Ein Potpourri, in dem sich Ziegenkäsebes tens macht. „Früher war er verpönt, aber heute gehörter zur feinen Lebensart“, so Schäfer-Trumm. Den einststrengen und derben Geschmack der Ziegenmilchprodukterechnet sie der mangelnden Stallhygiene vergangener Tagezu. „Es wurde in den offenen Eimer gemolken, der dannnoch im warmen Stall herumstand, bis alle Tiere versorgtwaren. So hat die Ziegenmilch dann wohl auch geschmeckt,sie nimmt ungeheuer leicht Gerüche an“, erzählt sie. Inihrem Stall stehen ein moderner Melkstand und edelstahl-glänzende Kühlsysteme. Dieser luftdichten Verpackungkann selbst der legendäre Gestank eines Ziegenbocksnichts mehr anhaben.

Bei der Kleinen Fromagerie im Westerwald packen nebenden drei erwachsenen Söhnen und deren Großmütter zweiVollzeitkräfte und drei Aushilfen mit an. Und natürlich Dirk,der Ehemann. „Er ist unser Architekt und Sommelier“, sodie muntere Gattin. Eigentlich jedoch ist er als Geschäfts-führer bei einem kommunalen Unternehmen beschäftigt.Die Ziegen laufen für ihn, wie die Gäste auch, nach Feier-abend und am Wochenende nebenher. Eine landwirtschaft-liche oder gastronomische Ausbildung besitzt er nicht, von

NACH DER PRAXIS

Claudia Schäfer-Trumm hält Ziegen, produziert Käse, bewirtet Gäste –und würzt all dies mit einer Prise Lebensart.

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ZumHofe 35

Haus aus ist er Betriebswirt. Gleiches gilt für seine Frau, die trotzihres wirtschaftlichen Erfolgs immer noch Teilzeit in der Perso-nalleitung eines Hotels arbeitet. Denn es ist dieses „raus ausden Pumps, rein in die Gummistiefel“, der Tausch von „Mistgabelgegen Laptop“, der für sie Lebensqualität bedeutet. Die richtigeMischung ist es also wieder einmal, die es macht. Und der per-sönliche Anspruch, die zahlreichen Facetten, die das Leben an-zubieten vermag, auszuleben.

Auf eben diesem Wege gelangte auch das französische Flair inden Westerwald, formte gar namensgebend die „Kleine Fro-magerie“. „Ich liebe die Provence, und es gab eine Zeit, da plan-ten wir, ein Haus in Frankreich zu kaufen“, erinnert sichSchäfer-Trumm. Da es dann doch nicht dazu kam, holte die krea-tive „Teilzeit-Aussteigerin“ die mediterrane Lebensart eben zu sichnach Oberrod. Kein Problem für die tatkräftige Unternehmerin,denn: „Man darf nicht so viel nachdenken, sonst fängt man janichts an.“ Vom Käse- bis zum Heumachen hat sie sich alles selbstangeeignet. Auch hauseigenes Porzellan, T-Shirts im Ziegenstyleund ein Buch, das sie im Selbstverlag herausbrachte, sind in ihrerKreativwerkstatt entstanden. Ein Ende ist dabei nicht in Sicht, besonders kein kulinarisches: Aktuell experimentiert Schäfer-Trumm mit Käse, den sie in einem Barrique-Fass reifen lässt. Dabei setzt sie, wie bei all ihren Rezepturen, auf traditionelle Zu-bereitungsformen und einfache, aber gute Zutaten, die sie dannraffiniert verfeinert. So entstanden auch die zahlreichen Camem-berts, die Kundenlieblinge, die sie mit Kräutern, Steinpilzen, Trüf-feln oder Nüssen, die sie aus dem Piemont bezieht, füllt. „Diegute Qualität macht sich bezahlt“, sagt sie. Und: „Ich kann nurverkaufen, was ich selbst gern esse.“ Dabei klopft sie nachdrück-lich auf die Tischplatte.

Ein wenig später, aber nicht weniger nachdrücklich, prüft sie jedeKlinke, rappelt an jedem Riegel in ihrem Stall. Wer Ziegen hält,muss wachsam sein und kontrolliert am besten alles zweimal.Die eigenwilligen Tiere sind wahre Entfesselungskünstler. Ganzzum Leidwesen ihrer Besitzer, die jede Unachtsamkeit mit eineranschließenden Suchaktion büßen müssen. Selbst nach einemDutzend Jahren wissen die klugen Geschöpfe auch Schäfer-Trummnoch auszutricksen: So machten sich die beiden Böcke Michelund Emil jüngst selbstständig, überwanden einen hohen Zaunund fanden sich bei den benachbarten Damen ein. „So, wie esaussieht, haben sie alle gedeckt“, erzählt ihre Besitzerin miteinem leichten Seufzen. Eigentlich wollte sie den Winter durch-melken, so aber versiegte der Milchfluss schon im Dezember. Biszu den ersten Geburten im Frühjahr wird sich daran auch nichtsändern. Ernüchternd für die Kundschaft, die trotz leerer Regalefleißig bestellt, und bitter für Schäfer-Trumm, die nicht nur aufUmsatz verzichtet, sondern auch auf ihre eigenen zwei Liter Zie-genmilch, die sie täglich trinkt.

DIE KUH DES KLEINEN MANNES10.000 Jahre schon begleitet die Ziege, die ihreUrsprünge in Kleinasien findet, den Menschen.Heute ist die „Kuh des kleinen Mannes“ vorallem in Entwicklungsländern zu finden, rund 95Prozent des Weltbestandes leben hier. NebenFleisch und Milch liefert sie wertvolles Leder, imFalle der Angora- und Kaschmirziegen auchWolle. Mit all dem trug das Tier bis vor nichtallzu langer Zeit auch hierzulande wesentlich zurfamiliären Eigenversorgung bei. In deutschenBergbaugebieten etwa sorgten die Ziegen derHinterhöfe für ein unersetzbares Lebensmittel:für Milch. 130.000 der Paarhufer leben heuteschätzungsweise in Deutschland, 22 Rassen zähltder Bundesverband Deutscher Ziegenzüchter.

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NACH DER PRAXIS

Fern ab von Cowboy-Romantik

LOW-STRESS-STOCKMANSHIP MIT PHILIPP WENZ

Fangen wir mal ganz von vorne an: Wie sind Sie überhaupt zum Stockmanshipgekommen?„Als Betriebsleiter habe ich mich immer wieder über das Handling unserer Mutterkuh-herden geärgert. Sie verlieren leicht den Kontakt zum Menschen. Das tägliche Melkenund Füttern entfällt, die Kühe kalben allein auf der Weide, sie sind sehr selbstständig.Ging es nun also an den Weideumtrieb, das Absetzen der Kälber, das Aussortieren undVerladen, dann waren für 50 Kühe und deren Nachwuchs rasch sieben, acht Leute von-nöten. Der halbe Betrieb lag lahm! Hinzu kam noch: Niemand hatte Lust. Schnell wurdedie Arbeit hektisch und dann auch gefährlich. Ich habe einfach nach einer Lösung ge-sucht. ‚Irgendwie muss das doch anders gehen‘, hab ich mir gesagt. Heute erledigeich die gleiche Aufgabe viel sicherer und schneller, allein oder mit einem Helfer.“

Low-Stress-Stockmanship hat wenig mit Cowboyromantik zu tun,

mehr mit dem Management von Rinderherden. Es geht um Effizienz,

Kontrolle und mehr Freude an der Arbeit. Besser: Freude an der Zu-

sammenarbeit. Denn daran beteiligt sind immer zwei: Mensch und

Rind. Der gelernte Landwirt und Agraringenieur Philipp Wenz trainiert

seit 2008 Herdentiere und deren Besitzer. Seine Methode allerdings

stammt aus den USA. Ehrensache.

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NACH DER PRAXIS

Und wie schaffen Sie das? „Das ganze Geheimnis liegt darin, sich richtig zum Tier zupositionieren und zu bewegen. Es gibt einen Balancepunkt,etwa auf Schulterhöhe, der ist häufig entscheidend. Steheich nur einen halben Schritt davor, weicht das Rind zurück,stehe ich treibend dahinter, geht das Tier vor. Eben ein Ba-lancepunkt.“

Nun werden Rinder in unseren Breiten schon ewig ge -halten. Bauernfamilien leben seit Generationen mit ihnen,ihre Kinder sind von klein auf an den Umgang gewöhnt.Wieso brauchen wir jetzt Stockmanship? „Man kann es sich so vorstellen: In unseren früheren, eherkleinbäuerlichen Strukturen konnte sich die Kuh an denMenschen gewöhnen. Das tägliche Füttern, das manuelleMisten und Melken bot ihr reichlich Gelegenheit, die andereSpezies kennenzulernen. In eher großen Beständen undMutterkuhherden ist es umgekehrt: Es ist an uns, zu ver-stehen, wie das Herdentier tickt, wie es in seinen natür -lichen Verhaltensweisen funktioniert.“

Sie arbeiten ja nicht nur mit Weidetieren, sondernauch mit Milchkühen. Stellen Sie Unterschiede zwischeneher manuell geprägten und stark mechanisierten, großenund kleinen Betrieben fest? „Auch reine Familienbetriebe, die im Vollerwerb von ihrenMilchkühen leben, kommen ohne Automatisierung nichtaus. Daraus entstehen Probleme, die es in der traditionellenRinderhaltung so nicht gab. Letztlich lässt sich alles auf eineFormel bringen: Wer quantitativ wächst, steht qualitativ vorHerausforderungen. Deshalb musste ich eines Tages auchin die USA reisen.“

Philipp Wenz flog 2004 erstmals in die USA, um seine heu-tige Methode, das Low-Stress-Stockmanship, kennenzuler-nen. Zu dieser Zeit leitete er einen ostdeutschen Betriebmit 800 Rindern. Einmal Blut geleckt, folgten weitere Ame-rikareisen. 2008 dann hängte der Familienvater sein An-stellungsverhältnis an den Nagel und machte sich alsTrainer und Ausbilder für Stockmanship selbstständig.

Wer interessiert sich für Stockmanship, wer ist IhreKundschaft? „Anfangs habe ich vor allem an Landwirte gedacht, ich binja selbst einer. Aber mit der Zeit kamen Tierärzte hinzu,Klauenpfleger, Spediteure oder Schlachter, also auch Dienst-leister, die nur punktuell mit den Tieren zu tun haben. Undtatsächlich gibt es einige Hilfestellungen, die im Handum-drehen jedem helfen.“

Das heißt, Sie stellen sich in Ihren Seminaren einerfremden Herde?„Genau. Bei meinen Einführungsseminaren beispielsweisestelle ich vormittags die Theorie vor, nachmittags geht esraus auf die Weide oder auch in den Stall. Es ist immereine völlig fremde Herde, auf die ich treffe. Welche Vorer-fahrungen sie mitbringt, sehe ich erst, wenn ich anfange,mit ihr zu arbeiten. Sind es flüchtige Weidetiere, kann ichmich anfangs vielleicht auf 100 Meter nähern. Nach einerStunde sind es zehn Meter. Noch ein wenig später lässt sichdie ganze Herde geschlossen durch ein Gatter treiben.“

Eine Stunde, die man seinen Kühen hinterherläuft,kann ganz schön lang werden – und nervtötend ...„Ja, klar, das Stöhnen kenne ich: ‚Eine Stunde!‘ Man mussbedenken, dass die Tiere mich nicht kennen – und umge-kehrt. Wenn ein Landwirt mit seinen Kühen in Übung ist,Vertrauen und gemeinsame Erfolge entstehen, dann siehtdie Zeitbilanz anders aus. Zumal er keine Helfer braucht,die können währenddessen andere Aufgaben erledigen.“

Wenn wir schon bei der Nutzenrechnung sind: Welche Vorteile verspricht Stockmanship insgesamt?„Letztlich geht es darum, dass ich mit meiner Herde wirklicharbeiten kann, dass ich sie kontrollieren kann. Wie oft bleibtbeispielsweise ein kränkelndes Rind unbehandelt, einfachweil man nicht herankommt. Dabei sollte das Selektierendoch eine Selbstverständlichkeit sein. Schlussendlich bringtStockmanship mehr Kontrolle, Sicherheit, Effizienz in denBetriebsabläufen und viel mehr Freude am Job. Habe ichStress auf dem Hof, dann wirkt der immer in zwei Richtun-gen: auf die Tiere und auf mich.“

Wenn mich diese Methode mit all ihren Vorzügen nunüberzeugt, wie fange ich an? „Indem Sie beobachten. Häufig höre ich von meinen Teil-nehmern, auch von den kritischen, dass ihnen nach demersten Seminar plötzlich ganz andere Verhaltensweisen anihren Rindern auffallen. Sie sehen Zusammenhänge, dieihnen vorher nicht bewußt waren. Dann fangen sie an zuexperimentieren und sind erstaunt, was da alles in Gangkommt. Letztlich muss der Groschen bei jedem Einzelnenfallen. Wenn ich das Funktionieren nicht für möglich halte,werde ich eine neue Methode auch nicht ausprobieren.“

Mehr als dieses „Für-möglich-Halten“ hatte auch Bud Wil-liams nicht, der Begründer des Low-Stress-Stockmanships.Der Farmerssohn wuchs in den 1930er Jahren im US-Bun-desstaat Oregon auf. Dort hörte er die alten Geschichten

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von Männern, die einst, ganz auf sich gestellt, riesige Weideherden in der Prärie oder auf den Bergen zu-sammenhalten konnten. Allein aus diesen Erzählun-gen, dem Vertrauen „irgendwie muss das gehen“,entwickelte Williams das heutige Stockmanship, daser als Methode schließlich lehrte und an Interessiertewie Philipp Wenz weitergab. Der Begriff übrigens lei-tet sich ab von Viehbestand (Stock) und Mensch(Man). Die Endung „ship“ verhält sich ähnlich wiedas deutsche „schaft“, etwa in Freundschaft.

Dem Stockmanship eilt ein gewisser Nimbusvoraus, so wie der Pferdeflüsterei. Woher kommt daseigentlich? „Frappierend für meine Zuschauer – und auch fürmich – ist immer wieder, wie schnell es mit einerHerde besser wird. Ich weiß natürlich nie, wie weit ichin der vorhandenen Zeit komme, was ich aber weiß:Es wird deutlich besser sein als alles vorher. Letztlichbin ich immer wieder erstaunt, was die Tiere für undmit uns tun. Es sind nur wenige Zentimeter, fünf Mi-nuten mehr Geduld – und dann arbeitet die ganzeHerde plötzlich mit. Sie lässt sich exakt in die Rich-tung und in dem Tempo treiben, das ich vorgebe.Ganz leicht, ganz ruhig. Und letztlich zeigt sich dochnur das ganz natürliche Verhalten des Herdentiers. Esfür sich zu nutzen ist aber in der Tat ein Balanceakt.“

Kann Stockmanship eigentlich jeder lernen,auch Menschen, die mit Mitte zwanzig erstmals voreiner Kuh stehen?„Ja, das kann jeder lernen. Wobei es, wie überall, demeinen leichter fällt als dem anderen. Fleiß und Willemüssen manchmal das mangelnde Talent ausgleichen.Auch habe ich festgestellt, dass Menschen, die bislangnur mit Kleintieren zu tun hatten, einen Höllenrespektvor der Masse Kuh haben können. Wer Großtiere vonklein auf kennt, besitzt ein gewisses Selbstverständnisim Umgang, er hat schon eigene Erfahrungen gesam-melt und Selbstvertrauen. Trotzdem gilt: Lernen kanndas jeder.“

Philipp Wenz tourt als Stockmanship-Trainer durchDeutschland und das benachbarte Ausland. Dabei ar-beitet der 48-Jährige nicht nur mit Rindern, sondernauch mit anderen Weidetieren: Pferden, Schafen, Al-pakas. Wer ihm dabei zuschaut, sieht nur einenMann, der im ruhigen Tempo, ohne einen Laut übereine Weide oder durch einen Stall geht. Die Tiere be-

wegen sich dabei wie von Geisterhand. Kein Druck,keine Hektik, kein Herumfuchteln mit den Armen.

Nun gibt es unter den stressfreien Methoden jaauch die des Lockens mit Futter. Ist das keine gute,traditionelle Alternative?„Das Locken ist eine schöne Methode, viele Tierhalternutzen sie und trainieren ihre Herde auf den Futterei-mer. Das Problem ist nur: Sobald Unsicherheit auf-kommt – und die kann eine Arbeit wie das Sortierenauslösen –, funktioniert das Locken nicht mehr. Letzt-lich liegt das an einer recht naiven Sichtweise auf un-sere Beziehung zum Tier.“

Welche Sichtweise meinen Sie? „Nun, viele Rinderhalter denken: ‚Wenn ich meineTiere anfassen kann, habe ich ein gutes Verhältnis zuihnen.‘ Und tatsächlich ist Streicheln etwas sehr Schö-nes. Es darf aber nicht mit Zusammenarbeit verwech-selt werden. Ein Beispiel: Ich traf einen Landwirt, derhatte sich sehr viel Arbeit mit seinen handzahmenKühen gemacht. Aber wenn er etwas von ihnenwollte, dann kam er nicht mehr an sie heran. Kühesind extrem gute Beobachter, sie erkennen sofort: Derkommt heute nicht nur, um nett zu sein. Der will was!Wenn ich also nur auf Locken und Streicheln setze,dann stoße ich als Praktiker immer wieder an Grenzen– das nervt einfach.“

Für Sie sind Rinder eher ‚Mitarbeiter‘, von denenSie schlichtweg etwas verlangen, nicht wahr? „Genau. Stockmanship ist für mich kein Goody, sondern die Basis meines Herden-Managements.Dabei muss ich hier nicht mehr investieren als Auf-merksamkeit und anfangs etwas Zeit, um mit meinenTieren zu üben. Dieses Üben ist aber etwas völlig anderes, als ein Rind so lange über die Weide zujagen, bis es schweißnass und entkräftet aufgibt. Ichmöchte mit den Tieren stressfrei zusammenarbeiten.Dabei sollen sie vertrauen, verstehen und tun, wasich von ihnen möchte. Ihre Bereitschaft dazu ist er-staunlich.“

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NACH DER PRAXIS

Fachwissen fürden Hüttenabend

ALPINE FUNDSTÜCKE – AUFGELESEN VON SEBASTIAN HERRMANN,BUCHAUTOR UND BERGSPORTLER

DER EISERNE ALPINISTFrüher waren die Menschen in vielen Gegenden der Alpen überzeugt, es sei unmög-lich, auf einem Gipfel zu übernachten. Dort eine Nacht zu verbringen, bedeute densicheren Tod. Überhaupt müsse man sich schon glücklich schätzen, wenn einem inder großen Höhe nicht schon bei Tage der Kopf platze, war eine gängige Überzeu-gung. Von einem sagenhaften und unbekannten Erstbesteiger des Lagginhorns(4.010 Meter) in den Walliser Alpen berichtet die Legende, dieser habe sich eineneisernen Ring um die Stirn schmieden lassen, damit sein Schädel nicht platzte.

Ein unvergesslicher Hüttenabend lebt von zünftiger Kost und allerlei

Anekdötchen, mit denen die teilnehmenden Wanderer, Naturliebha-

ber, Mountainbiker und Kletterfreunde zu brillieren wissen. Sebastian

Herrmann, Buchautor und Bergsportler, folgte ihren Spuren und hat

ein wahres Sammelsurium aus alpinem Wissen, historischen Fundstü-

cken und liebenswerten Erzählungen zusammengetragen. „Zum

Hofe“ druckt einige ab.

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WANDERNDE WÖRTERAus dem weiten Feld der Berge und desBergsports haben einige deutsche Wör-ter ins Englische gefunden. Ein paarBeispiele: Abseiling, Rucksack, to schlep(für schleppen, etwas tragen).

MARKIGE BERGWORTEBergsteiger beschwören gerne den Geistder Kameradschaft. In markigen Wortenloben sie die besondere Verbindung zuihren Seilpartnern und Expeditionsge-fährten. Hermann Buhl, Erstbesteigerdes Nanga Parbat, schrieb in seinerAlpin-Autobiografie „Achttausend drüberund drunter“: „Eisglasuren springenunter den Hammerschlägen vom glattenFels, dann erst kann ich mit dem Finger-nagel nach einer Ritze suchen. Es dau-ert jedes Mal eine Ewigkeit, bis dannein Haken eingetrieben ist. Aber wasnützt schon ein Haken, wenn er nichtsitzt? Es ist uns klar, dass hier ein Sturzins Seil – so oder so – unser Endebedeuten würde. Aber kein Wort desVerzagens kommt über unsere Lippen.Hier beweist sich wieder einmal echte

Bergkameradschaft. Nur einen Augen-blick zweifeln, ein einziges verzagtesWort könnte schon zur Katastrophe füh-ren. Einer muss den anderen im Glau-ben lassen, dass man der Situationgewachsen sei, auch wenn es längstnicht mehr so ist.“

HEIL-KNÄUELGämsen wurden in den Alpen lange Zeitnicht nur wegen ihres Fleisches, ihrer Hautund ihres Fells gejagt. Man stellte demziegenartigen Wild auch wegen der soge-nannten Gämskugeln nach. Diese wurdenauch „Deutsche Bezoare“ genannt. DerBegriff stammt aus dem Arabischen undbezeichnet einen harten Ball aus unver-daulichen Materialien wie etwa Haarenoder Pflanzenfasern, die sich im Magenvon Tieren sammeln. Liegen diese Knäuelsehr lange im Magen, bildet sich eineharte Kruste um sie herum – in diesemFall werden sie als Bezoar-Stein bezeich-net. Diesen Steinen sprach man einst ma-gische Fähigkeiten zu. Mit ihnen ließensich vergiftete Getränke wieder genießbarmachen, hieß es zum Beispiel. Zu diesem

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Zwecke schufen Handwerker wertvolle Schmuckstücke ausBezoar-Steinen, die in mutmaßlich tödliche Getränke getunktwurden. Natürlich halfen die Steine nicht. Stattdessen warensie für Gämsen tödlich, die ihretwegen gejagt wurden. Auchdem Gamsblut trauten die Menschen einst besondere Heil-kraft zu.

ALLES DABEI?Die Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Al-penvereins veröffentlichten in einer Ausgabe von 1879 eineListe der Gegenstände, die jeder Bergsteiger mindestensin seinem Rucksack dabeihaben solle: Feuerzeug * Feldste-cher * Feldflasche * Thermometer * Kompass * Steigeisen* Gletscherbrillen * Gletschersalbe * Reisehandbuch * Karte* Notizbuch * Bleistift * vielleicht auch Skizzenbuch * Pa-pier für Pflanzen und Mineralien * Pergamentpapier oderWachsleinwand * Hausschuhe * wollene Kappe * Taschen-tuch * Zigarren * Seifenpulver * Kamm * Zahnbürste * Näh-nadeln und Faden * Reserveknöpfe * Reservenägel *Leinwand * englisches Pflaster * Opiumtropfen * ein StückWachslicht * Laterne * Insektenpulver * Rum und Proviant* Wettermantel * Geld * Uhr * Messer

AUF DER PIRSCHDer Asiatische Kragenbär tötet mit einer perfiden List. Triffter im Winter an den Hängen des Himalaja auf Kaschmirhir-sche, rollt er sich an einem Hang u ber der Herde zu einerKugel zusammen und stu rzt sich hinab. Da der Schnee inseinem Fell haften bleibt, kapieren die Hirsche erst, dassda keine Schneekugel auf sie zukommt, wenn es fu r min-destens einen von ihnen zu spät ist – ein fast perfektesVerbrechen.

ZU HAUSE IST ES AM SCHÖNSTENDer Südtiroler Bergführer Johann Pinggera (1837–1916) istfür viele Erstbesteigungen in den Alpen bekannt. Unter an-derem bezwang er den Monte Cevedale, die Vertainspitze,den Monte Zebrù und eine ganze Reihe weiterer Gipfel. DerBauer und Holzarbeiter aus Sulden unterstützte den Wis-senschaftler Julius von Payer bei der Kartografierung desOrtlergebietes. Er galt als fleißiger und zuverlässiger Helfer,so dass man ihn einlud, an der deutschen Nordpol-Expedi-tion von 1869 teilzunehmen, an der sich auch von Payerbeteiligte. Pinggera sagte zu und machte sich auf den Wegin die Arktis. Weit in den Norden schaffte er es nicht. InBozen, so erzählt man sich, plagte ihn das Heimweh bereitsso sehr, dass er umdrehte und zurück nach Hause ging.Seine Reise zum Nordpol endete also bereits nach fünfzigKilometern in Südtirol.

IMMER AUF DIE KLEINENIm Sportklettern existiert der Begriff „Zwergentod“. Damitwerden Stellen in einer Route bezeichnet, die unter einergewissen Körpergröße nicht überwindbar sind, weil dernächste Griff außerhalb der Reichweite liegt.

ZAGHAFTE SCHWÄRMEREIDer Philosoph und Pädagoge Jean-Jacques Rousseau sorgteim 18. Jahrhundert dafür, dass die Gegend um Bern in derSchweiz zu einem der beliebtesten Reiseziele Europaswurde. Die Berge, die zuvor als öde, lebensfeindliche Wüsten galten, erfuhren durch eine seiner Schriften einenBedeutungswandel. Die Berge wandelten sich zum Gegen-entwurf der verderbten Zivilisation. So schrieb Rousseau1761 in „Briefe zweier Liebender“ aus einer kleinen Stadtam Fuße der Alpen: „Alle Menschen werden die Wahrneh-mung machen, dass man auf hohen Bergen, wo die Luftrein und dünn ist, freier atmet und sich körperlich leichterund geistig heiterer fühlt. […] Es scheint, dass man, sobald man sich über die Wohnstätten der Menschen erhebt, alle niederen und irdischen Gefühle zurücklässt und dass die Seele, je mehr sie sich den ätherischen Regionen nähert, etwas von ihrer ursprünglichen Rein-heit zurückerhält.“

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NACH DER PRAXIS

Die abgedruckten Textpassagen

stammen aus dem Taschenbuch

„Über alle Berge. Ein Handbuch nicht

nur für Gipfelstürmer“ von Sebastian

Herrmann (Piper Verlag, 2016).

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